European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00039.24M.1023.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)
Spruch:
I. Den Revisionen wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
II. Der Antrag der beklagten Partei, beim Verfassungsgerichtshof ein Gesetzesprüfungsverfahren einzuleiten, wird zurückgewiesen.
Begründung:
[1] Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Nr *167 derzeit inliegend in * mit einer Fläche von 163 m² samt einem darauf errichteten Gebäude. Der Beklagte ist Eigentümer der Grundstücke Nr *178, *183 und *184 derzeit inliegend in *. Diese Grundstücke hat der Beklagte mit Kaufvertrag vom 30. 11. 2006 von der Nebenintervenientin, deren Geschäftsführer der Beklagte ist, gekauft. Sämtliche genannten Liegenschaften liegen in der Ferienanlage *. Das Grundstück Nr 178 hat eine Fläche von 9.803 m², das Grundstück Nr 183 eine Fläche von 1.616 m² und das Grundstück Nr 184 eine Fläche von 1.054 m².
[2] Die Ferienanlage wurde in den 1970er‑Jahren gebaut und besteht einerseits aus Parzellen mit Häusern, an denen Alleineigentum begründet wurde, und anderseits aus Flächen, auf denen Hotelanlagen und sonstige touristische Einrichtungen errichtet wurden. Eine dieser Hotelanlagen ist der sogenannte „W*“ (iF: Hotel), der unmittelbar an die Grundstücke Nr 183 und Nr 184 angrenzt. Der Vater des Klägers kaufte im Jahr 1978 das Grundstück Nr 167. Das Grundstück Nr 178 war und ist in der Natur eine Wiese, teilweise befand und befindet sich (vor allem an den Rändern zum Wasser hin) Schilfbewuchs.
[3] Schon von Anfang an, also ab dem Jahr 1978, machten es sich der Vater des Klägers und seine Familienmitglieder (also auch der Kläger) zur Angewohnheit, das Grundstück Nr 178 und die daran angrenzende Wasserfläche zum Baden, Liegen und auch für Spiele und diversen Sport zu nutzen. Dafür verließen sie ihr Grundstück am „hinteren“ Ende und gingen über die Grundstücke Nr 166 und 165; wenn sich auf diesen Grundstücken Personen aufhielten, gingen sie über das Grundstück Nr 170, auf dem sich ein Bootssteg für den daran angrenzenden Hafen befindet. In weiterer Folge gingen sie über das Grundstück Nr 183, dieses nutzten sie im Umfang von ca zwei Metern und in Verlängerung der nördlich gelegenen Grundgrenze des Grundstücks Nr 170. Diese Vorgangsweise blieb bis zum Sommer 2021 unverändert.
[4] Das Grundstück Nr 178 wurde aber nicht nur vom Kläger und seinen Familienmitgliedern regelmäßig genutzt, sondern auch von Besuchern und Freunden sowie einer Reihe weiterer Bewohner von Häusern der Ferienanlage sowie von Gartengästen des Hotels.
[5] Der Beklagte ist bereits seit dem Jahr 1992 Geschäftsführer der Nebenintervenientin, zuvor waren seine Mutter und sein Vater Geschäftsführer der Nebenintervenientin. Dem Beklagten waren die Gegebenheiten in der Ferienanlage bereits von Anfang an (daher auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags vom 30. 11. 2006) bekannt.
[6] Mit Schenkungsvertrag vom 31. 7. 2015 schenkte der Vater des Klägers diesem das Grundstück Nr 167. In der Vertragsurkunde findet sich kein Hinweis auf ein allfälliges Nutzungsrecht an den Grundstücken Nr 178, 183 und 184.
[7] Der Kläger begehrt vom Beklagten die Feststellung und Verpflichtung zur Einverleibung einer Dienstbarkeit und brachte vor, es sei ihm und seiner Familie seit mehr als 30 Jahren uneingeschränkt möglich gewesen, die in unmittelbarer Nähe zu seinem Grundstück gelegenen Grundstücke Nr 178 und 184 zum Baden, als Liege- und Spielwiese und für andere Freizeitaktivitäten zu nützen. Diese Art der Nutzung der genannten Fremdgrundstücke sei dem Kläger und seiner Familie sowie seinem Rechtsvorgänger für einen 30 Jahre übersteigenden Zeitraum ungehindert und redlich möglich gewesen. Nun sei diese Art der Nutzung nicht mehr in jenem Umfang, wie in den letzten Jahrzehnten, möglich. Über den Winter 2021/2022 sei ein Teil der dem Beklagten gehörigen Grundstücke abgesperrt worden und der abgesperrte Teil der Grundstücke sei nun für den Kläger und seine Familie (wie auch andere Einwohner der Ferienanlage) nicht mehr im genannten Sinne nutzbar. Er beantragte weiters die Servitut des Gehens zugunsten des herrschenden Grundstücks Nr 167 betreffend das Grundstück Nr 183, das seit jeher als Zugang zum Grundstück Nr 178 gedient habe, „im Umfang von 2 Metern und in Verlängerung der nördlich gelegenen Grundgrenze des Grundstücks Nr. 170“.
[8] Der Beklagte und die Nebenintervenientin auf Seiten des Beklagten wandten ein, es sei nicht richtig, dass der Kläger bzw dessen Rechtsvorgänger im guten Glauben und über eine Dauer von mehr als 30 Jahren irgendwelche Rechte hinsichtlich der Grundstücke Nr 178 und 184 in Form der Benützung als Liegewiese, Badezugang und für die Ausübung von Spiel und Sport ausgeübt bzw ersessen hätten. Der Beklagte habe seine Grundstücke von der Nebenintervenientin mit der Zusage der Lastenfreiheit gekauft und darauf vertraut, dass die Grundstücke nicht mit Dienstbarkeiten belastet seien.
[9] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
[10] Das Berufungsgericht gab den dagegen vom Beklagten und der Nebenintervenientin erhobenen Berufungen nicht Folge.
[11] Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zugelassen, weil keine gesicherte Rechtsprechung zur Frage vorliege, ob bzw inwieweit die Nutzung einer „mehrere 1000 m² großen“ Fläche als Liegewiese bzw zur Ausübung von Spiel und Sport eine zeitlich unbegrenzte Servitut zu begründen vermöge.
[12] Gegen diese Entscheidung richten sich die Revisionen des Beklagten sowie der Nebenintervenientin auf Beklagtenseite mit dem Antrag, die Entscheidungen der Vorinstanzen dahingehend abzuändern, dass die Klage abgewiesen werde, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Der Beklagte stellt weiters einen Antrag gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG auf Anfechtung des § 1477 Satz 2 ABGB und des § 328 ABGB wegen Verfassungswidrigkeit beim Verfassungsgerichtshof.
[13] Der Kläger beantragt in seinen Revisionsbeantwortungen, die Revisionen jeweils zurückzuweisen, in eventu ihnen nicht Folge zu geben und spricht sich gegen den Antrag gemäß Art 89 Abs 2 B‑VG aus.
Zu I.:
Rechtliche Beurteilung
[14] Die Revisionen des Beklagten sowie der Nebenintervenientin sind zulässig, da der Oberste Gerichtshof zu einer Servitut der Ausübung von Spiel und Sport als Grunddienstbarkeit noch nicht Stellung genommen hat. Sie sind im Sinne des jeweils eventualiter gestellten Aufhebungsbegehrens auch berechtigt.
1. Zum Vorliegen einer Grunddienstbarkeit
[15] Es liegt entgegen der Ansicht der Revisionen eine (zeitlich unbegrenzte) Grunddienstbarkeit und keine persönliche Dienstbarkeit vor:
[16] 1.1. Die Aufzählung der Grunddienstbarkeiten in den §§ 475 bis 477 ABGB ist nicht erschöpfend (RS0011558). Charakteristikum von Grunddienstbarkeiten ist, dass den Eigentümer des belasteten Grundstücks Duldungs- oder Unterlassungspflichten treffen und der jeweilige Eigentümer des herrschenden Grundstücks berechtigt ist (RS0011597 [T2]). Eine Grunddienstbarkeit besteht aber nur dann, wenn sich die Duldung oder Unterlassung, zu der der Eigentümer der belasteten Liegenschaft verpflichtet ist, auf die Nutzung des belasteten Grundstücks selbst bezieht. Duldung „in Rücksicht seiner Sache“ erfordert also stets eine unmittelbare Beziehung zur Nutzung der belasteten Sache (RS0011510 [T2, T4]). Eine Grunddienstbarkeit muss außerdem der vorteilhafteren oder bequemeren Benützung des herrschenden Grundstücks dienen (§ 473 ABGB; RS0011597 [T1]; RS0011582). Auch das Erfordernis der Nützlichkeit oder Bequemlichkeit bezieht sich immer auf das Grundstück selbst, nicht auf persönliche Vorteile seines Eigentümers (RS0011593 [T1]). Entscheidend für die Einordnung als Dienstbarkeit sind also nur liegenschaftsbezogene Utilitätserwägungen (5 Ob 102/23w; 5 Ob 29/22h).
[17] Bei der Beurteilung des Utilitätserfordernisses ist kein strenger Maßstab anzuwenden (RS0011593). Erhöht sich die Bequemlichkeit der Benützung des herrschenden Grundstücks, wird dies für ausreichend erachtet (RS0011597 [T7]). Nur völlige Zwecklosigkeit verhindert das Entstehen einer Dienstbarkeit (vgl RS0011541) bzw vernichtet diese (RS0011589; RS0011582 [T8]).
[18] Entgegen der Ansicht der Revisionen mangelt es somit nicht am Utilitätserfordernis. Dass sich die Bequemlichkeit der Nutzung des Grundstücks des Klägers durch ein Bade- und Liegerecht sowie das Recht, auf den Grundstücken des Beklagten Sport und Spiele auszuüben, erhöht, ist unzweifelhaft; eine völlige Zwecklosigkeit liegt nicht vor.
[19] 1.2. Der Gesetzgeber hat sich in § 479 ABGB auch ausdrücklich dazu bekannt, dass es Rechte an fremden Grundstücken geben kann, deren Inhalt von den normalen – im Gesetz typisierten – Rechtsformen abweicht. Derartigen Berechtigungen ist also die gesetzliche Anerkennung keineswegs versagt; sie sind wahre Dienstbarkeiten und deshalb im Grundbuch einzutragen (5 Ob 130/92 mwN). Wenngleich § 479 ABGB diesen verbücherungsfähigen Typus der „unregelmäßigen Servitut“ nur im Zusammenhang mit Dienstbarkeiten erwähnt, die an sich Grunddienstbarkeiten sind, vereinbarungsgemäß aber „der Person allein“ zustehen sollen, unterliegt es dennoch keinem Zweifel, dass auch die seltener vorkommende Abweichung, dass ein zu den persönlichen Dienstbarkeiten gezähltes Recht dem jeweiligen Eigentümer eines Grundstücks gebühren soll, rechtlich möglich ist. Es kann daher eine Dienstbarkeit, die gewöhnlich eine persönliche ist, als Grunddienstbarkeit bestellt werden (RS0011621), dies allerdings nur zeitlich beschränkt (RS0115508). Fördert die vom Eigentümer der dienenden Sache zu unterlassende oder zu duldende Nutzung eine vorteilhaftere oder bequemere Benützung einer Liegenschaft (oder eines mit dieser verbundenen Unternehmens, Gewerbes oder einer Anlage) im Eigentum des Berechtigten, ohne dass es dazu maßgeblich auf dessen persönliche Eigenschaften oder Bedürfnisse ankäme, so handelt es sich im Zweifel (§ 479 Satz 2 ABGB) um eine Grunddienstbarkeit (10 Ob 81/16h; § 473 ABGB; Koch in KBB7 § 473 Rz 1).
[20] Das Recht, die Grundstücke des Beklagten zum Baden, Liegen und zur Ausübung von Spiel und Sport zu nutzen, ist keines, das an persönliche Eigenschaften oder Bedürfnisse des Klägers anknüpft, sondern generell die vorteilhaftere und bequemere Benützung des herrschenden Grundstücks fördert, sodass (auch im Zweifel) von einer Grunddienstbarkeit auszugehen ist.
[21] 1.3. Der Oberste Gerichtshof hat zudem bereits zahlreiche, teils mit dem vom Kläger behaupteten Nutzen zu Freizeitzwecken vergleichbare Grunddienstbarkeiten behandelt:
[22] In 8 Ob 235/64 wurde ausgesprochen, dass das Recht, vom dienenden Grundstück aus im Gewässer zu baden und Bootsfahrten zu unternehmen sowie anderen Personen die Benützung des Gewässers zu diesem Zwecke von seinem Grundstück aus zu ermöglichen, der vorteilhafteren Benützung des (von einem Fremdenbeherbergungsunternehmen genutzten) herrschenden Grundstücks im Sinn des § 473 ABGB dienen und dieses Recht daher den Erfordernissen einer Grunddienstbarkeit entsprechen kann.
[23] Auch nach 9 Ob 38/20h (Pkt 2.1.) bewirkt die Einräumung eines Rechts auf den Zugang zum See und die Benutzung des Uferstreifens als Badeplatz eine vorteilhaftere Benutzung des Grundstücks.
[24] In der Entscheidung 1 Ob 76/15f wurde die Inanspruchnahme der Bademöglichkeit zu Freizeit- und Erholungszwecken nur deshalb nicht als vorteilhaftere Nutzung landwirtschaftlicher Grundstücke betrachtet, weil sich auf diesen Grundstücken (Acker) grundsätzlich niemand regelmäßig aufhielt und im Zusammenhang damit auch sein Erholungsbedürfnis befriedigen wollte. Damit vergleichbar ist auch 1 Ob 11/65, wo es ebenfalls um das Baden in einem fremden See ausgehend von einem landwirtschaftlichen Anwesen ging.
[25] 1.4. Die begehrte Servitut stellt auch kein von der Rechtsprechung abgelehntes Nutzungseigentum oder „geteiltes Eigentum“ dar:
[26] Der Umstand, dass die Duldungs- oder Unterlassungspflicht des Eigentümers bei einem entsprechenden Inhalt der Grunddienstbarkeit dazu führen kann, dass er von der (Mit-)Nutzung von Teilen des dienenden Grundstücks faktisch mehr oder weniger ausgeschlossen ist, liegt in der Natur dieser Form der Beschränkung des Eigentumsrechts (vgl etwa RS0011557 [Dienstbarkeit des Haltens eines Bauwerks oder von Teilen eines Bauwerks]; oder aus jüngerer Zeit 5 Ob 238/18p [Grunddienstbarkeit des Parkplatzes]; 5 Ob 7/22y [„ökologische Ausgleichsfläche“]). Diese allfällige Konsequenz einer regulären Grunddienstbarkeit ist nicht mit dem Nutzungseigentum oder dem „geteilten Eigentum“ gleichzusetzen. Die Rechtsprechung zu den Grenzen zulässiger Dienstbarkeiten bezieht sich vielmehr auf die Erweiterung eines Fruchtgenussrechts zu einer Grunddienstbarkeit. Ein zur Grunddienstbarkeit ausgeweitetes Fruchtgenussrecht darf demnach nicht dazu führen, dass es zu einer Aushöhlung des Eigentumsrechts kommt und statt dessen eine Art Nutzungseigentum geschaffen wird. Um dauerhaft geteiltes Eigentum zu verhindern, lässt der Oberste Gerichtshof die Begründung und Verbücherung eines Fruchtgenussrechts als Grunddienstbarkeit daher in ständiger Rechtsprechung nur mit einer zeitlichen Begrenzung zu (5 Ob 102/23w mwH; RS0115508; RS0011621 [T1]). Die Ersitzung eines unbefristeten Fruchtgenussrechts zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers einer Liegenschaft ist dementsprechend von vornherein ausgeschlossen (8 Ob 42/22t; RS0115508 [T2]; RS0011621 [T4]).
[27] Eine Qualifikation der hier begehrten Nutzung als Fruchtgenuss scheidet aus, weil ein solcher gemäß § 509 ABGB das dingliche Recht auf volle Nutzung einer fremden Sache unter Schonung der Substanz ist (vgl RS0088537 [T2]). Auch die vom Beklagten zitierte Entscheidung 5 Ob 40/06b ändert nichts an dieser rechtlichen Beurteilung, war doch im dortigen Fall mittels Servitutsbestellungsvertrag das Recht eingeräumt, jeden anderen von der Benutzung des dienenden Grundstücks auszuschließen und war somit eine eigentümerähnliche Stellung gegeben.
2. Zur Kontinuität der Besitzausübung
[28] Entgegen der Ansicht der Revisionen ergibt sich aus den Feststellungen auch in der nötigen Deutlichkeit (noch), dass der Kläger und seine Angehörigen das Grundstück des Beklagten Nr 178 und die daran angrenzende Wasserfläche zum Baden, Liegen und auch für Spiele und Sport regelmäßig nutzten, nämlich seit 1978 und unverändert bis zum Sommer 2021. Dass die nötige Regelmäßigkeit der Besitzausübung schon wetterbedingt wohl nur in der wärmeren Jahreszeit erfolgte, bedarf keiner weiteren Begründung. Diese Unterbrechungen führen aber nicht dazu, dass damit die nötige Kontinuität der Besitzausübung verloren gegangen wäre. Die zur Begründung einer Dienstbarkeit führenden Besitzausübungshandlungen, die ihrer Natur nach nicht ständig, sondern in mehr oder weniger großen Zeitabständen wiederkehrend vorzunehmen sind, müssen nicht bei jeder in Betracht kommenden Gelegenheit tatsächlich vorgenommen werden. Vielmehr hat der Gesetzgeber für alle derartigen nicht selten, aber auch nicht ständig auszuübenden Rechte bewusst auf eine diesbezügliche Regelung verzichtet (vgl RS0010336). Es ist nicht der Nachweis der Ausübung des Rechts in jedem einzelnen Jahr der Ersitzungszeit erforderlich, sondern nur der Nachweis einer einheitlichen Besitzausübung (Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1460 ABGB Rz 35 mwN).
3. Zur objektiven Erkennbarkeit
[29] Auch die objektive Erkennbarkeit der Ausübung ist zu bejahen.
[30] 3.1. Für die Begründung einer Dienstbarkeit durch Ersitzung ist nach ständiger Rechtsprechung eine für den Eigentümer des belasteten Gutes erkennbare Rechtsausübung während der Ersitzungszeit im Wesentlichen gleichbleibend zu bestimmten Zwecken und in bestimmtem Umfang notwendig (1 Ob 115/14i; RS0105766; RS0033018). Auf die positive Kenntnis des Eigentümers der belasteten Sache kommt es dagegen nicht an (RS0010135, insbesondere [T3, T4]). Der Eigentümer der belasteten Liegenschaft muss aber aus der Art der Benützungshandlungen erkennen können, dass damit ein (individuelles) Recht ausgeübt wird (RS0010135 [T1]).
[31] 3.2. Dem Berufungsgericht ist insofern zuzustimmen, dass es für die Frage der Erkennbarkeit nicht auf die positive Kenntnis des Eigentümers der belasteten Sache ankommt und daher eine den Außerstreitstellungen widersprechende Feststellung hinsichtlich der Kenntnis des Vaters des Beklagten für die rechtliche Beurteilung irrelevant ist. Insofern steht auch die undeutliche Feststellung, wonach dem Beklagten „die Gegebenheiten [in der Ferienanlage] bereits von Anfang an (und sohin auch zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags vom 30. 11. 2006) bekannt“ gewesen seien, der rechtlichen Beurteilung nicht entgegen.
[32] 3.3. Die Besitzausübung durch den Kläger und seine Familienangehörigen erfolgte offenkundig, regelmäßig und über einen Zeitraum von mehr als 40 Jahren. Die objektive Erkennbarkeit ist zu bejahen.
4. Zum Umfang der begehrten Servitut
[33] Allerdings bestehen hinsichtlich des begehrten Umfangs der Servitut, nämlich der Nutzung der Grundstücke des Beklagten für „Spiel und Sport“ Bedenken und stehen die zu allgemeinen bzw nicht ausreichend konkreten Feststellungen einer abschließenden rechtlichen Beurteilung entgegen:
[34] 4.1. Das Ausmaß der Dienstbarkeit und der Umfang der den Berechtigten zustehenden Befugnisse richtet sich nach dem Inhalt des Titels, bei dessen Auslegung insbesondere Natur und Zweck der Dienstbarkeit zu beachten sind (RS0011720). Beim Erwerb von Dienstbarkeiten durch Ersitzung kann von der Natur und dem Zweck der „Bestellung“ im wörtlichen Sinn nicht gesprochen werden. Bei ersessenen Dienstbarkeiten kommt es daher darauf an, zu welchem Zweck das dienstbare Gut während der Ersitzungszeit verwendet wurde, was also der Eigentümer des herrschenden Gutes während dieser Zeit benötigte (RS0011664). Ausschlaggebend ist das Ausmaß der Besitzergreifungsakte am Beginn der Ersitzungszeit, weshalb die Dienstbarkeit nur in jenen räumlichen Grenzen, aber auch nur in jenem Umfang erworben wird, wie deren Rechtsinhalt schon vor dreißig Jahren tatsächlich ausgeübt wurde (RS0011702; RS0034182).
[35] 4.2. Es liegt eine „ungemessene“ Servitut, bei der die Art, das (zeitliche) Ausmaß und der (räumliche) Umfang der dem Berechtigten zustehenden Befugnisse in einem Titel nicht eindeutig begrenzt sind (RS0116523 [T2]), vor. Bei „ungemessenen“ Dienstbarkeiten sind im Rahmen der ursprünglichen oder der vorhersehbaren Art der Ausübung die jeweiligen Bedürfnisse des Berechtigten maßgebend (RS0097856). Seine Befugnisse richten sich nach § 484 ABGB (vgl RS0011756).
[36] 4.3. Nach den Feststellungen nutzen der Kläger, sein Rechtsvorgänger sowie seine Familie das Grundstück Nr 178 und die daran angrenzende Wasserfläche seit dem Jahr 1978 zum Baden, Liegen und auch für „Spiele und diversen Sport“. Dass sie dabei nur ganz bestimmte Teile des Grundstücks (räumlich) genutzt hätten, ergibt sich aus den Feststellungen nicht. Allerdings ist aus den sehr allgemeinen und vagen Feststellungen des Erstgerichts nicht ausreichend deutlich ableitbar, für welche Spiele und für welche Sportarten die Grundstücke (in welchem Ausmaß) tatsächlich genutzt wurden, in welchem Umfang somit eine Servitut allenfalls ersessen worden sein kann. Dies wurde vom Beklagten im Berufungsverfahren auch als sekundärer Feststellungsmangel gerügt, der zu Unrecht vom Berufungsgericht nicht behandelt wurde. Das Erstgericht wird daher im fortgesetzten Verfahren dem Kläger die Möglichkeit eines ergänzenden Vorbringens einzuräumen und genauere Feststellungen zum Umfang der begehrten Servitut nachzutragen haben.
5. Zur Redlichkeit
[37] Auch die Frage der Redlichkeit des Klägers und seines Rechtsvorgängers für die gesamte Dauer der Ersitzungszeit kann aufgrund eines vom Berufungsgericht zu Unrecht nicht wahrgenommenen sekundären Feststellungsmangels noch nicht abschließend rechtlich beurteilt werden:
[38] 5.1. Die Redlichkeit des Besitzers wird gemäß § 328 ABGB im Zweifel vermutet (vgl RS0034237 [T5]). Der für die Ersitzung erforderliche gute Glauben fällt weg, wenn der Besitzer entweder positiv Kenntnis erlangt, dass sein Besitz nicht rechtmäßig ist, oder wenn er zumindest solche Umstände erfährt, die zu Zweifeln an der Rechtmäßigkeit eines Besitzes Anlass geben (RS0010137 [T1]; RS0010184; RS0010175 [T6]; 8 Ob 96/14x [Pkt 4.]; 9 Ob 16/15s). Die Ersitzung wird nicht nur durch Klage, sondern unter anderem auch durch nachträgliche Schlechtgläubigkeit unterbrochen (RS0034103). Eine Schlechtgläubigkeit nach Ablauf der Ersitzungsfrist schadet nicht (Gusenleitner-Helm in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 1463 ABGB Rz 9 mwN).
[39] 5.2. Grundsätzlich gilt, dass das Aufstellen einer Verbotstafel der Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers entgegensteht, weil ihm die Unrechtmäßigkeit des Besitzes bzw der Benützung bekannt sein musste (4 Ob 69/23k Rz 17 mwH; siehe auch bereits 1 Ob 8/70 = RS0034232). Die Redlichkeit kann jedoch dennoch gegeben sein, wenn über Jahrzehnte hinweg die Besitzausübung trotz Kenntnis der Nutzung trotz Verbotstafel seitens des Ersitzungsgegners geduldet wird, er diese also unbeanstandet hinnimmt (4 Ob 69/23k Rz 20; 4 Ob 49/16h Pkt 2).
[40] 5.3. Der Beklagte erstattete im Verfahren erster Instanz Vorbringen und Beweisanbote dazu, dass seit Beginn der Errichtung der Ferienanlage die Benutzung der Grundstücke Nr 178 sowie Nr 184 als Liege-, Bade- und Spielwiese ausschließlich nur den Hotelgästen, einer Mieterin und in weiterer Folge nur den Gästen der Strandbar gewährt worden sei. Der Ausschluss weiterer Personen sei mittels Schildern auch unmittelbar beim Eingang der Grundstücke, welche im Übrigen durch Jahre hinweg mit einem Zaun abgesperrt seien, ersichtlich. Der diesbezügliche Hinweis befinde sich seit Jahren dort und sei selbstverständlich aufgrund der Offenkundigkeit dem Kläger bekannt. Zudem sei die Nordostseite des Grundstücks mit einem breiten Schilfgürtel und einer dicht gewachsenen Buschreihe nicht zugänglich gewesen. Als Beweis wurden auch jeweils Bildaufnahmen vorgelegt. Das Erstgericht unterließ es allerdings, zu diesem jeweils mit Beweisanboten unterlegten Vorbringen Feststellungen zu treffen. Dies wurde auch im Berufungsverfahren gerügt.
[41] 5.4. Die Ansicht des Berufungsgerichts, wonach ein Schild mit der Aufschrift, dass ein Zutritt nur für Hotelgäste oder Gäste der Strandbar erlaubt sei, keine Rückschlüsse darauf zulasse, ob die Nutzung für Anrainer geduldet werde oder nicht, kann nicht geteilt werden. Es liegt diesbezüglich aufgrund bereits in erster Instanz vom Beklagten erstatteten Vorbringens und Beweisanboten ein sekundärer Feststellungsmangel vor (vgl RS0053317), der zur Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen führen muss.
[42] 5.5. Das Erstgericht wird daher sowohl Feststellungen zu einem vom Beklagten und der Nebenintervientin behaupteten Zaun, den einen Zutritt womöglich nicht ermöglichenden Büschen sowie dem Verbotsschild nachzutragen haben, insbesondere wann und wo der Zaun und die Schilder aufgestellt wurden, ob und wann eine den Zugang verhindernde Hecke vorhanden war und ob, falls die Ersitzung zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen war, eine Widersetzung durch den Kläger und seine Familienmitglieder dennoch über einen langen Zeitraum seitens des Beklagten bzw seiner Rechtsvorgänger unbeanstandet blieb.
[43] 6. Da somit zur Frage des exakten Umfangs der begehrten Servitut sowie zur Frage der Redlichkeit bzw deren allfälligen Erschütterung Feststellungen fehlen, ist eine abschließende rechtliche Beurteilung nicht möglich. Es sind daher die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.
[44] Das Erstgericht wird anlässlich des fortgesetzten Verfahrens zudem Feststellungen zur behaupteten Nutzung des Grundstücks Nr 184 durch den Kläger und seine Familie nachzuholen haben. Es wurde diesbezüglich eine Servitut zugunsten des Grundstücks des Klägers von den Vorinstanzen angenommen und spruchmäßig festgestellt, allerdings fehlen derzeit noch Feststellungen dazu, dass auch dieses Grundstück vom Kläger und seiner Familie genutzt worden wäre.
[45] 7. Dass eine vom Beklagten angesprochene Freiheitsersitzung gemäß § 1488 ABGB erfolgt sei, ist aus den Feststellungen nicht abzuleiten.
[46] 8. Den Revisionen war daher im Sinn des Aufhebungsantrags Folge zu geben.
[47] Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 Abs 1 ZPO.
Zu II.:
[48] Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Partei nicht befugt zu begehren, dass der Oberste Gerichtshof beim Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes wegen Verfassungswidrigkeit stelle; ein solcher Antrag ist daher zurückzuweisen (RS0058452 [T3]).
[49] Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Revisionswerber hinsichtlich § 1477 ABGB werden im Übrigen nicht geteilt: Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Ersitzungsvoraussetzungen trifft nach ständiger Rechtsprechung den Ersitzungsbesitzer. Der Gegner ist vorerst nicht verhalten, ein Vorbringen zu erstatten, dass und weshalb die vom Kläger behaupteten anspruchsbegründenden Voraussetzungen nicht gegeben sind. Seine Sache ist es lediglich, die rechtshemmenden oder rechtsvernichtenden Tatsachen vorzubringen, somit etwa ein die Ersitzung ausschließendes Verhältnis unter Beweis zu stellen (RS0034237). Der Beweis der Unredlichkeit und der Fehlerhaftigkeit des Besitzes obliegt dem Gegner, die Redlichkeit des Besitzers wird gemäß § 328 ABGB im Zweifel vermutet (RS0034237 [T5, T6]). Diese Beweislastverteilung entspricht den allgemeinen Beweisregeln (vgl RS0106638; RS0037797; RS0039936), eine unsachliche bzw gleichheitswidrige Regelung ist darin nicht zu erblicken. Im Übrigen steht es dem Ersitzungsgegner schließlich offen, die Redlichkeit des Besitzers jederzeit durch entsprechende Widersetzung zu erschüttern.
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