OGH 8Ob42/22t

OGH8Ob42/22t25.5.2022

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*, vertreten durch die Blum, Hagen & Partner Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei Mag. M*, vertreten durch Mag. Jürgen Nagel, Rechtsanwalt in Bregenz, wegen Feststellung, Räumung und Unterlassung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 16. Dezember 2021, GZ 2 R 160/21b‑63, mit welchem das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 23. Juli 2021, GZ 57 Cg 17/19s‑58 abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2022:0080OB00042.22T.0525.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die angefochtene Entscheidung wird dahingehend abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens hat das Erstgericht zu entscheiden

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger und der Beklagte sind Eigentümer zweier benachbarter Liegenschaften, auf denen sich ein Zweifamilienhaus befindet. Ursprünglich handelte es sich um eine einheitliche Liegenschaft, die nach dem Umbau des Hauses am 7. 4. 1952 innerhalb der Verwandtschaft geteilt wurde. Der Kläger ist nunmehr Eigentümer des Hinterhauses, der Beklagte Eigentümer des Vorderhauses. Der Kläger hat seine Liegenschaft von seinen Eltern geerbt. Der Beklagte hat seine Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 9. 9. 2014 von seiner Mutter und seinen Tanten, die das Grundstück von seiner Großmutter geerbt hatten, erworben.

[2] Ende der 1960er Jahre errichtete der Großvater des Klägers im Erdgeschoss des Hauses eine Mauer, wodurch ein Zwischenraum entstand, der sich auf der Liegenschaft des Klägers befindet. Der Raum konnte sowohl durch einen Mauerdurchgang vom Hinterhaus als auch durch eine Holztüre vom Vorderhaus betreten werden. Der Raum wurde als Verbindungsgang und von den Kindern beider Häuser zum Spielen verwendet. Darüber hinaus diente dieser Raum den Bewohnern des Vorderhauses als Lager- und Abstellraum sowie als Waschküche, indem sie dort Holz, Kohle, Gartengeräte, Fahrräder, Werkzeug und Lebensmittel aufbewahrten und eine Waschmaschine aufstellten. Das Wasser für das dort befindliche Waschbecken und der Stromanschluss des Raumes wird über das Vorderhaus abgerechnet. Auch der Boiler für die Warmwasserversorgung des Vorderhauses befand sich schon damals in diesem Raum.

[3] Die Bewohner des Hinterhauses haben keine Gegenstände in diesem Raum gelagert. Wohl aber montierte der Vater des Klägers im Jahr 1993 dort einen Warmwasserboiler für das Hinterhaus, der nach wie vor in Verwendung steht und der an die Stromversorgung des Hinterhauses angeschlossen ist. Spätestens im Jahr 1993 wurde der Mauerdurchgang zum Hinterhaus mit einer Metalltüre versehen, die nach dem Tod des Vaters des Klägers im Jahr 1999 von der Großmutter des Beklagten bis zu ihrem Tod im Jahr 2013 versperrt gehalten wurde, ohne dass die Bewohner des Hinterhauses über einen Schlüssel verfügten.

[4] Nach dem Tod der Großmutter des Beklagten im Jahr 2013 wurde das Vorderhaus vermietet. Zwischen 1999 und 2018 hatten die Bewohner des Hinterhauses und der Kläger keinen Zugang zum Raum, der ausschließlich von den Bewohnern des Vorderhauses benutzt wurde. Erst im Jahr 2018 erhielt der Kläger vom Vater des Beklagten einen Schlüssel für die Metalltüre und erfuhr dadurch, dass der Zwischenraum von den Mietern des Beklagten nunmehr als Wohnraum verwendet wird.

[5] Der Kläger begehrt vom Beklagten die Feststellung, dass dem Beklagten und seinen Rechtsnachfolgern kein ausschließliches Nutzungsrecht am Zwischenraum zukomme, ferner den Raum von eigenen Fahrnissen zu räumen sowie Anmaßungs‑ und Störungshandlungen wie insbesondere das Versperren der Zugangstüre zum Hinterhaus und die Nutzung des Raumes über den Betrieb des Warmwasserboilers hinaus zu unterlassen.

[6] Der Beklagte wendete ein, dass die Nutzung des Raumes durch die Bewohner des Vorderhauses auf einer Vereinbarung beruhe, jedenfalls aber durch den jahrzehntelangen Gebrauch ein ausschließliches Nutzungsrecht ersessen worden sei.

[7] Das Erstgericht wies das Klagebegehren hinsichtlich der Nutzung als Abstellraum und Waschküche ab und gab dem darüber hinausgehenden Feststellungs-, Räumungs- und Unterlassungsbegehren statt. Obwohl keine Vereinbarung hinsichtlich der Nutzung des Raumes feststellbar gewesen sei, habe der Beklagte aufgrund der über 30 Jahre andauernden Nutzung des Raumes durch die Bewohner des Vorderhauses eine Dienstbarkeit hinsichtlich einer Verwendung als Abstellkammer und Waschküche ersessen. Für eine darüber hinausgehende Nutzung, insbesondere für die Nutzung als Wohnraum, sei die Ersitzungszeit aber noch nicht abgelaufen.

[8] Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Beklagten teilweise Folge und änderte die Entscheidung des Erstgerichts dahin ab, dass dem Feststellungs- und Unterlassungsbegehren hinsichtlich einer „ausschließlichen, unbeschränkten und ungeteilten“ Nutzung des Raumes Folge gegeben, das darüber hinausgehende Feststellungs- und Unterlassungsbegehren sowie das Räumungsbegehren aber abgewiesen wurde. Der Beklagte habe ein Gebrauchsrecht als Grunddienstbarkeit ersessen, deren Umfang sich nach den Bedürfnissen des jeweiligen Eigentümers des Vorderhauses richte und nicht auf bestimmte Nutzungsarten beschränkt sei. Da eine Grunddienstbarkeit von jedem ausgeübt werden könne, der zur Nutzung des herrschenden Grundstücks berechtigt ist, hätten auch die Mieter des Beklagten den Raum als Wohnraum nutzen dürfen. Daneben sei aber auch der Kläger als Eigentümer zur Nutzung des Raumes berechtigt, weshalb der Beklagte die Metalltüre nicht versperren hätte dürfen.

[9] Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und die ordentliche Revision im Hinblick auf die Frage der Ersitzung von unregelmäßigen Gebrauchsrechten zulässig sei.

[10] Mit seiner Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des Ersturteils an, in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[11] Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

[12] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

[13] 1. Der Kläger richtet sich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach der Beklagte ein unregelmäßiges Gebrauchsrecht als Grunddienstbarkeit ersessen habe und der Umfang des Nutzungsrechts sich nach den Bedürfnissen des jeweiligen Eigentümers oder Mieters des Vorderhauses richte.

[14] 2. Die Servitut des Gebrauchsrechts besteht nach § 504 ABGB darin, dass jemand befugt ist, eine fremde Sache, ohne Verletzung der Substanz, bloß zu seinem Bedürfnisse zu benützen. Das Gebrauchsrecht ist deshalb grundsätzlich auf den persönlichen Gebrauch des Berechtigten beschränkt (RIS‑Justiz RS0011821). Die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, wonach auch die Mieter des Vorderhauses berechtigt wären, den Zwischenraum für ihre Bedürfnisse zu nutzen, ist deshalb mit der Natur eines bloßen Gebrauchsrechts nicht vereinbar. Nur der Fruchtgenussberechtigte hat nach § 509 ABGB das Recht, eine fremde Sache ohne alle Einschränkung zu genießen. Er kann daher sein Nutzungsrecht auch anderen überlassen, insbesondere die Sache vermieten (RS0011821 [T1]; RS0011877).

[15] 3. Das Gebrauchs‑, das Wohnungs- und das Fruchtgenussrecht zählen nach § 478 ABGB zu den persönlichen Servituten. Persönliche Dienstbarkeiten haben als Subjekt eine bestimmte Person, der ein Vorteil verschafft werden soll, während bei den Grunddienstbarkeiten das Recht dem jeweiligen Eigentümer einer bestimmten Liegenschaft zusteht (RS0011556). Richtig ist zwar, dass eine Dienstbarkeit, die gewöhnlich eine persönliche ist, als Grunddienstbarkeit bestellt werden kann, was gemeinhin als "unregelmäßige Dienstbarkeit" bezeichnet wird (RS0011621; § 479 ABGB).

[16] 4. Mittlerweile ist aber allgemein anerkannt, dass ein zur Grunddienstbarkeit ausgeweitetes Fruchtgenussrecht nicht dazu führen darf, dass es zu einer Aushöhlung des Eigentumsrechts kommt und statt dessen eine Art Nutzungseigentum geschaffen wird (Hofmeister, NZ 1993, 237 [242]; Rassi in Kodek, Grundbuchsrecht² § 12 GBG Rz 21; Merth/Spath in Schwimann/Kodek 5 § 479 ABGB Rz 5). Um dauerhaft geteiltes Eigentum zu verhindern, lässt der Oberste Gerichtshof eine Begründung und Verbücherung eines Fruchtgenussrechts als Grunddienstbarkeit in ständiger Rechtsprechung nur mit einer zeitlichen Begrenzung zu (RS0115508; RS0011621 [T1]). Die Ersitzung eines unbefristeten Nutzungs- oder Fruchtgenussrechts zu Gunsten des jeweiligen Eigentümers einer Liegenschaft, wie sie vom Berufungsgericht angenommen wurde, ist dementsprechend von vornherein ausgeschlossen.

[17] 5. Darüber hinaus ist für die Ersitzung einer Dienstbarkeit das Ausmaß der Besitzergreifungsakte ausschlaggebend, weshalb die Dienstbarkeit nur in jenem Umfang erworben wird, wie sie schon vor dreißig Jahren und während der gesamten Ersitzungszeit ausgeübt wurde (RS0011591; RS0011702). Bei der Ersitzung von Dienstbarkeiten kommt es daher darauf an, zu welchem Zweck das dienstbare Gut dreißig (oder vierzig) Jahre lang verwendet wurde (RS0011664; RS0011779; RS0016364). Da der streitgegenständliche Raum erst nach dem Jahr 2013 zu Wohnzwecken verwendet wurde, hat das Erstgericht richtig erkannt, dass der Beklagte kein über die Nutzung als Abstellraum und Waschküche und den Betrieb eines Warmwasserboilers hinausgehendes Nutzungsrecht ersessen hat.

[18] 6. Ob die Beklagte tatsächlich ein Recht zur Nutzung des Raumes als Abstellraum und Waschküche ersessen hat, wie dies vom Erstgericht angenommen wurde, ist vom Obersten Gerichtshof nicht zu überprüfen, weil der Kläger gegen die Entscheidung des Erstgerichts kein Rechtsmittel erhoben hat und die Abweisung seines Klagebegehrens insoweit in Rechtskraft erwachsen ist. Es war daher das Ersturteil wiederherzustellen.

[19] 7. Da das Berufungsgericht sowohl hinsichtlich der Kosten des Verfahrens erster Instanz als auch hinsichtlich der Kosten des Berufungsverfahrens von der Möglichkeit eines Kostenvorbehalts Gebrauch machte, ist auch der Oberste Gerichtshof daran gebunden (RS0129336). Nach § 52 Abs 3 ZPO hat das Erstgericht die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu bestimmen.

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