OGH 4Ob69/23k

OGH4Ob69/23k12.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Kodek als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Schwarzenbacher und MMag. Matzka sowie die Hofrätinnen Mag. Istjan, LL.M., und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Marktgemeinde R*, vertreten durch die Nusterer & Mayer Rechtsanwälte OG in St. Pölten, gegen die beklagte Partei O*, vertreten durch die Urbanek & Rudolph Rechtsanwälte OG in St. Pölten, wegen Feststellung, Einverleibung, Beseitigung und Unterlassung (Gesamtstreitwert 20.000 EUR), über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Jänner 2023, GZ 12 R 111/22i‑60, womit das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 6. Juli 2022, GZ 24 Cg 68/18z‑55, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0040OB00069.23K.0912.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Klagsgegenständlich sind die Grundstücke 114/1 und 130/1 von Liegenschaften, die sich im Gemeindegebiet der Klägerin befinden und im Eigentum des Beklagten stehen. Über diese beiden Grundstücke führte – bis zu dessen Beseitigung Ende 2017/Anfang 2018 durch den Beklagten – ein Weg mit einer großteils geschotterten Grundfläche und einer durchgehenden Breite im Bereich von 3 bis 3,5 Meter. Der Weg führte im direkten Weiterverlauf von der öffentlichen Gemeindestraße zunächst zu einem geringen Teil über das Grundstück 130/1 und anschließend in einer Rechtskurve über das Grundstück 114/1 vorbei am Vierkanthof des Beklagten bis zu einem Grundstück der Klägerin, das an die öffentliche Landesstraße angrenzt. Der Beklagte erwarb am 5. 4. 2017 die Liegenschaft mit dem Grundstück 130/1 (Weg). Mit Kaufvertrag vom 17. 11. 2017 erwarb der Beklagte von der Voreigentümerin, einer im Eigentum der Republik Österreich/Landwirtschaftsministerium stehenden GmbH, das Grundstück 114/1, über das der Großteil des klagsgegenständlichen Weges verläuft. Im Lastenblatt der entsprechenden EZ ist keine Dienstbarkeit des Gehens oder Fahrens eingetragen.

[2] Die klagende Marktgemeinde begehrte 1) die Feststellung, dass ihr gegenüber dem Beklagten als Eigentümer der dienenden Grundstücke Nr 114/1 und 130/1 die Dienstbarkeit des Wegerechts (Benutzung durch einen nicht bestimmbaren Personenkreis zu Geh‑ und Fahrtzwecken) zustehe; 2) die Einwilligung in die Einverleibung der Dienstbarkeit des Wegerechts; 3) die Beseitigung der vorgenommenen Aufschüttungen und Absperrungen, sodass der Straßenverlauf wiederhergestellt werde; 4) die Unterlassung von Beeinträchtigungen des Wegerechts, insbesondere durch Aufschüttungen und Absperrungen. Über die beiden Grundstücke führe seit unvordenklicher Zeit, jedenfalls aber seit weit mehr als 30 Jahren ein Weg, der ein als öffentliches Gut dem Gemeingebrauch gewidmetes Grundstück mit der Landesstraße verbinde. Dieser Weg sei als Gemeindestraße seit Jahrzehnten, jedenfalls aber mehr als 30 Jahre, von einem nicht bestimmbaren Personenkreis benutzt worden und dafür habe auch ein Verkehrsbedürfnis bestanden. Er sei faktisch von der Klägerin erhalten und verwaltet worden, die auch den Winterdienst auf ihre Kosten durchgeführt habe. Es sei schon vor Jahrzehnten zur Ersitzung eines Wegerechts durch die Klägerin gekommen. Eine grundbücherliche Einverleibung sei unterblieben, da das Wegerecht seitens der Liegenschaftseigentümer niemals in Frage gestellt worden sei. Die Gemeindeorgane seien gutgläubig und hätten den Weg als Teil des öffentlichen Gutes wahrgenommen. Die Benutzung durch die Allgemeinheit sei für den belasteten Liegenschaftseigentümer unübersehbar gewesen. Die Dienstbarkeit sei in einer geradezu exemplarischen Weise offenkundig gewesen und der Beklagte habe positive Kenntnis darüber gehabt. Er habe daher die beiden Grundstücke mitsamt der Belastungen der Dienstbarkeit zugunsten der Klägerin erworben. Kurz nach Erwerb habe der Beklagte den Weg beseitigt, indem er diesen aufgeschüttet und planiert und somit unpassierbar gemacht habe.

[3] Der Beklagte wendete ein, die Klägerin habe kein Wegerecht ersessen, da die für die Ersitzung notwendige Frist nicht vorliege, die Klägerin nicht gutgläubig gewesen und der Besitzwille nicht bekundet worden sei. Der Beklagte habe die Liegenschaft gutgläubig erworben, sodass ein allfällig ersessenes Recht mangels Eintragung im Grundbuch verloren gegangen sei. Bereits ein Voreigentümer habe den Weg abgesperrt und schon Mitte der 1980er Jahre ein Fahrverbotsschild aufgestellt, sodass ab diesem Zeitpunkt jedenfalls die Gutgläubigkeit für eine Ersitzung weggefallen sei. Es sei zu einer Freiheitsersitzung gemäß § 1488 ABGB gekommen. Der Beklagte habe durch die spätestens am 8. 12. 2017 installierten Absperrungen ein wahrnehmbares Hindernis errichtet, sodass die Benützung des Weges unmöglich gemacht worden sei. Zwar habe die am 19. 11. 2018 eingebrachte Klage zur Verjährungsunterbrechung gemäß § 1497 ABGB geführt. Diese sei jedoch rückwirkend weggefallen, da die Klägerin das Verfahren nicht gehörig fortgesetzt habe.

[4] Das Erstgericht gab der Klage statt. Die Klägerin habe durch Ersitzung gemäß § 1452 ABGB ein Geh‑ und Fahrrecht auf dem klagsgegenständlichen Weg erworben, da dieser sowohl von Anrainern als auch durch Befahrung des Weges mit Gemeindefahrzeugen über einen Zeitraum von 30 Jahren genutzt worden sei. Damit habe die Gemeinde ihren Ersitzungswillen zum Ausdruck gebracht. Die Redlichkeit der Ersitzung sei dadurch gegeben, dass die verbotswidrige Benutzung jahrzehntelang unbeanstandet hingenommen worden sei; dies auch nach Aufstellung des Fahrverbotsschilds, welches zudem nicht behördlich genehmigt worden sei. Vor allem aber sei der Weg zugunsten der Allgemeinheit sehr nützlich, weil sonst das öffentliche Gut eine Sackgasse ohne geeignete Umkehrmöglichkeit wäre. Bei entsprechender Beobachtung wäre der doch immer wieder vorkommende Geh‑ und Fahrverkehr für jedermann erkennbar gewesen. Zur Ersitzung eines Wegerechts für die Allgemeinheit durch die Gemeinde genüge es, dass alle nach der räumlichen Nähe in Betracht kommenden Personen einen Weg offenkundig zum allgemeinen Vorteil benützen. Ab dem Zeitpunkt, in dem dieses Signal für den Belasteten bzw dessen Rechtsvorgänger unübersehbar werde, beginne die Ersitzung des Wegerechts, wobei der Besitzwille der Gemeinde zu vermuten sei. Aufgrund der Ausgestaltung des Weges im Jahr 2017 sei von einer Offenkundigkeit auszugehen. Bereits sichtbare Fahrrinnen oder eine Befestigung bzw Schotterung des Weges rechtfertigten dies. Vor allem verbinde der streitgegenständliche Weg zwei öffentliche Verkehrsflächen, sodass auch deshalb eine Offenkundigkeit evident sei. Zu einer Freiheitsersitzung nach § 1488 ABGB sei es nicht gekommen. Der Beklagte habe die Zufahrt zum klagsgegenständlichen Weg im Dezember 2017 mit einer Kette abgesperrt und damit die Ausübung der Dienstbarkeit verhindert. Die Klägerin habe mit der am 20. 11. 2018 eingebrachten Klage eine Verjährungsunterbrechung gemäß § 1497 ABGB bewirkt. Dem Einwand des Beklagten, dass das Verfahren nicht gehörig fortgesetzt worden sei, sei nicht zu folgen. Als Folge der wirksamen Ersitzung sei die Klägerin auch berechtigt, gegen die Absperrung und vorgenommenen Umgrabungen/Aufschüttungen im Sinne eines Beseitigungsbegehrens vorzugehen. Aufgrund der Weigerung des Beklagten, die Absperrung zu beseitigen und der damit einhergehenden Wiederholungsgefahr sei auch das Unterlassungsbegehren berechtigt.

[5] Das Berufungsgericht hob das Urteil des Erstgerichts auf und trug diesem eine neuerliche Entscheidung auf. Es übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen sowie dessen rechtliche Beurteilung im Zusammenhang mit dem echten und redlichen Besitz, dem Besitzwillen und der gehörigen Fortsetzung des Verfahrens durch die klagende Gemeinde. Unklar sei allerdings, ob die erforderliche Ersitzungszeit abgelaufen sei, zumal diese gegen die in § 1472 ABGB genannten begünstigten Rechtskörper 40 Jahre betrage, jedoch bloß der Ablauf von 30 Jahren festgestellt sei. Vom Feststellungsmangel sei zwar nur das Grundstück 114/1 betroffen, ein Wegservitut allein auf dem Grundstück 130/1 wäre aber für die Klägerin zwecklos. Das Erstgericht werde im fortgesetzten Verfahren Feststellungen zu den Eigentumsverhältnissen am Grundstück 114/1 sowie zur Nutzung des Weges durch die Allgemeinheit in den letzten 40 Jahren vor Erwerb durch den Beklagten zu treffen haben. Das fortgesetzte Verfahren habe sich auf diese Punkte zu beschränken, alle übrigen Streitpunkte seien als endgültig erledigt anzusehen (§ 496 Abs 2 ZPO). Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zuzulassen, da die Anwendung der langen, 40‑jährigen Ersitzungsfrist auf juristische Personen des Privatrechts in der neueren Literatur mit ausführlicher Begründung kritisiert werde und der Oberste Gerichtshof dies in der jüngeren Rechtsprechung zuletzt ausdrücklich offen gelassen habe (1 Ob 120/10v; 6 Ob 74/21g).

[6] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen. Es seien keine Feststellungen zur Nutzung des Weges in den letzten 40 Jahren vor Erwerb durch den Beklagten zu treffen, sondern wenn auf eine begünstigte Person eine nicht begünstigte als Ersitzungsgegner folge, sei eine Verhältnisrechnung anzustellen. Im Übrigen habe der Oberste Gerichtshof zu 8 Ob 81/21a die Anwendung der 40‑jährigen Ersitzungsfrist auf juristische Personen wie der hier maßgeblichen verneint. Es sei daher im gegebenen Fall die Erfüllung der 30‑jährigen Ersitzungsfrist ausreichend.

[7] Der Beklagte beantragt mit seiner Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben. Die Voreigentümerin des Grundstücks 114/1 sei durch bzw aufgrund eines Bundesgesetzes gegründet worden, sodass die 40‑jährige Ersitzungsfrist anzuwenden sei. Im Übrigen hätten die Vorinstanzen auch die übrigen Voraussetzungen für die Ersitzung unrichtig gelöst, zumal bei Vorliegen eines Verbotsschilds jedenfalls Unredlichkeit gegeben sei und der Klägerin im Hinblick auf die Klagsführung eine ungewöhnliche Untätigkeit anzulasten sei.

Rechtliche Beurteilung

[8] Der Rekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.

[9] 1.1. Gemäß § 1472 ABGB reicht gegen den Fiskus, […], gegen die Verwalter der Güter der Kirchen, Gemeinden und anderer erlaubten Körper, die gemeine ordentliche Ersitzungszeit (von 30 Jahren) nicht zu, sondern wird auf 40 Jahre ausgedehnt.

[10] 1.2. In der jüngeren Rechtsprechung wurde die Frage der Anwendbarkeit der langen Frist nach § 1472 ABGB auf juristische Personen des Privatrechts zunächst offen gelassen (1 Ob 120/10v; 6 Ob 74/21g; 8 Ob 73/21z).

[11] 1.3. In der Entscheidung 8 Ob 81/21a ist der 8. Senat – indem er sich den in der jüngeren Literatur dargestellten überwiegenden Bedenken anschloss – von der generellen Anwendbarkeit der längeren Ersitzungsfrist gegen juristische Personen des Privatrechts abgegangen. Schon de lege lata könne der Begriff der „erlaubten Körper“ gemäß § 1472 ABGB nicht über die (im Wesentlichen) konzessionspflichtigen und auf Gesetz beruhenden Gesellschaften hinausgehen. Diese Interpretation trage dem historischen Hintergrund Rechnung, dass zum Zeitpunkt der Einführung Erwerbsgesellschaften nur in der Form der Gesellschaft bürgerlichen Rechts hätten gegründet werden können, denen aber mangels eigener Rechtspersönlichkeit die Begünstigung gerade nicht zugekommen sei. Die Beschränkung der Einbeziehung anderer Körperschaften auf jene, deren Entstehung und Eintragung eines Gesetzes‑ oder Verwaltungsakts bedürfe, belasse dem geltenden Gesetz einen klar umrissenen Anwendungsbereich. Dieser würde dem Zweck gerecht, (nur) solche juristische Personen durch eine längere Ersitzungs‑ und Verjährungsfrist zu schützen, denen eine, sich in ihren Gründungsvoraussetzungen widerspiegelnde, gesamtgesellschaftliche Bedeutung beigemessen werde und die wegen ihrer Größe und/oder komplexeren Organisationsstruktur typischerweise schwerer als Einzelpersonen in der Lage seien, einen durch Ersitzung oder Verjährung drohenden Rechtsverlust wahrzunehmen und ihm rechtzeitig entgegenzutreten. Ein derartiges besonderes Schutzbedürfnis sei für private, erwerbsorientierte Kapitalgesellschaften und Unternehmer kraft Rechtsform (§ 2 UGB), die von der Rechtsordnung grundsätzlich strenger behandelt würden als Einzelpersonen, zu verneinen. Jedenfalls falle eine unternehmerisch tätige GmbH, die weder durch oder aufgrund eines Gesetzes gegründet worden sei, noch einer bereits für die Firmenbucheintragung vorausgesetzten öffentlich-rechtlichen Konzessionspflicht unterliege, nicht unter den Begriff der erlaubten Körperschaft im Sinne des § 1472 ABGB.

[12] 2.1. § 1472 ABGB sieht jedoch eine längere Ersitzungszeit nicht nur für (andere) „erlaubte Körper“ vor, sondern auch für den „Fiskus“. Daher ist zu prüfen, ob diese Ausnahmebestimmung auch auf von der öffentlichen Hand gegründete („ausgelagerte“) Kapitalgesellschaften anzuwenden ist.

[13] Im vorliegenden Fall war eine der Voreigentümerinnen des Grundstücks 114/1 eine GmbH, die vom Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen aufgrund gesetzlicher Ermächtigung (BGBl Nr 794/1996) gegründet wurde und deren Alleingesellschafterin die Republik Österreich ist. Die gesetzliche Ermächtigung enthielt zudem detaillierte Vorgaben hinsichtlich der Ausgestaltung und Funktion der zu gründenden Gesellschaft. Jedenfalls bei einer solchen Konstellation, nämlich Errichtung der Gesellschaft durch Gesetz oder aufgrund spezialgesetzlicher Ermächtigung sowie Alleingesellschafterstellung der öffentlichen Hand, liegt wertungsmäßig eine nach § 1472 ABGB privilegierte juristische Person vor, sodass hier weitere Voraussetzungen, die in der zitierten Entscheidung des 8. Senats angeführt wurden, nicht zu prüfen sind. Vielmehr ist in Hinblick auf die vorliegende Sonderkonstellation für den Zeitraum, während dessen die belastete Liegenschaft im Eigentum der genannten Gesellschaft stand, von einer 40‑jährigen Ersitzungszeit auszugehen.

[14] 2.2. Das Erstgericht wird daher im weiteren Verfahren zu prüfen und festzustellen haben, ob das genannte Grundstück innerhalb der Ersitzungszeit weitere Voreigentümer hatte und auf welche Zeitspanne sich das Eigentumsrecht der privilegierten juristischen Person erstreckte, zumal beim Zusammentreffen von nicht begünstigten mit begünstigten Rechtspersonen die Fristen verhältnismäßig zu berechnen wären (RS0034135; 6 Ob 679/84; Ehgartner in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.04 § 1472 Rz 8 f). Dies wäre freilich dann unerheblich, wenn ohnehin festgestellt würde, dass der Weg seit 40 Jahren gutgläubig benützt wurde.

[15] 3. Da bei Rekursen gegen Aufhebungsbeschlüsse zweiter Instanz das Verbot der reformatio in peius nicht gilt (RS0043939), ist auch auf die – auf Klageabweisung gerichteten – Einwände des Rekursgegners (Beklagten) einzugehen.

[16] 3.1. Der Beklagte macht zunächst geltend, die Klägerin sei nicht redlich gewesen, weil nach der Rechtsprechung ein Verbotsschild die Redlichkeit des Ersitzenden jedenfalls ausschließe. Jene Personen, die das Schild ignoriert und trotz Verbotstafel den Weg befahren hätten, hätten die Unrechtmäßigkeit der Benützung des Weges jedenfalls erkennen müssen.

[17] 3.2. Grundsätzlich gilt, dass das Aufstellen einer Verbotstafel der Redlichkeit des Ersitzungsbesitzers entgegensteht, weil ihm die Unrechtmäßigkeit des Besitzes bzw der Benützung bekannt sein musste (2 Ob 280/00s; 4 Ob 123/14p; 4 Ob 49/16h; 5 Ob 1/21i). Die Redlichkeit kann jedoch dennoch gegeben sein, wenn über Jahrzehnte hinweg die Besitzausübung trotz Kenntnis der Nutzung trotz Verbotstafel seitens des Ersitzungsgegners geduldet wird (4 Ob 49/16h).

[18] 3.3. Zu 4 Ob 49/16h klagte eine Stadtgemeinde auf Feststellung einer Wegeservitut und Wiederherstellung des vorigen Zustands, weil Gemeindebürger einen Weg seit 50 Jahren zum Spazierengehen und Fahrradfahren benutzten. Am Anfang des Weges stand ein Fahrverbotsschild (roter Außenkreis mit weißem Innenkreis), in dessen Mitte „Privatweg“ stand. Der Senat hielt die Rechtsansicht der Vorinstanzen für vertretbar, dass trotz Aufstellen des Schildes durch jahrzehntelanges Hinnehmen der verbotswidrigen Verwendung des Weges die Redlichkeit, und somit die Ersitzung durch die Gemeinde, zu bejahen sei. Dies deshalb, weil der bloße Hinweis auf Privateigentum die Redlichkeit nicht zwingend ausschließt, weil die Eigentumsverhältnisse der gutgläubigen Annahme eines Wegerechts nicht entgegen stehen.

[19] 3.4. Zu 5 Ob 1/21i wurde auf Feststellung einer Dienstbarkeit und Unterlassung künftiger Störungen geklagt, wobei ebenfalls zu beurteilen war, ob an einem Weg eine Servitut durch jahrzehntelange Nutzung ersessen wurde. Am Beginn des strittigen Weges befand sich ein Schild mit der Aufschrift „Privatweg – Durchfahrt verboten“. Der 5. Senat hielt die Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach die Klage abzuweisen war, weil es dem Kläger durch das Vorhandensein des Schildes an der notwendigen Redlichkeit fehlte, für nicht korrekturbedürftig. Dabei wurde ausdrücklich Bezug auf 4 Ob 49/16h genommen und ausgeführt, dass anders als in der letztgenannten Entscheidung die Tafel „Privatweg – Durchfahrt verboten“ nicht bloß als Hinweis auf den Privatbesitz zu verstehen sei, sondern die Zulässigkeit des Befahrens generell ausschließen solle. Die Redlichkeit könne nicht schon wegen nur fallweise (seitens des Ersitzungsgegners) wahrgenommenen unerlaubten Befahrens des Weges angenommen werden.

[20] 3.5. Im hier zu beurteilenden Fall wurde nach den Feststellungen in den 1980er Jahren bloß ein Fahrverbotsschild (roter Außenkreis mit weißem Innenkreis) am Anfang des Weges durch einen Vorvoreigentümer aufgestellt. Seit Jahrzehnten wird das Bestehen dieses Schildes jedoch durch die Benützer des Weges ignoriert und die Nutzung wurde auch – trotz des Schildes – nicht weiter untersagt oder sonst unterbunden. Erst Ende 2017 wurde eine Absperrvorrichtung (zunächst eine Kette, dann ein Zaun) errichtet. Der gegenständliche Sachverhalt unterscheidet sich von jenem zu 5 Ob 1/21i somit darin, dass hier das dauerhafte (jahrzehntelange) Benutzen durch etliche Verkehrsteilnehmer generell (und nicht nur fallweise) hingenommen wurde, ohne eine Sperrvorrichtung oä zu errichten. Der Rechtsansicht der Vorinstanzen, wonach die Redlichkeit der Klägerin zu bejahen sei, ist daher beizutreten.

[21] 4.1. Der Beklagte macht weiters geltend, es sei bereits deswegen zu einer Freiheitsersitzung gekommen, weil die Klagseinbringung die Verjährung nicht unterbrochen habe. Der Beklagte habe nämlich nur bis zum 15. 9. 2020 auf die Geltendmachung des Einwands der nicht gehörigen Fortsetzung des Verfahrens verzichtet. Der Antrag auf Fortsetzung des Verfahrens sei hingegen erst im Februar 2021 gestellt worden.

[22] 4.2. Keine gehörige Fortsetzung des Verfahrens kann nur dann angenommen werden, wenn der Kläger eine ungewöhnliche Untätigkeit an den Tag legt, die darauf schließen lässt, dass ihm an der Erreichung des Prozessziels nicht mehr gelegen sei (RS0034765). Das Vereinbaren des Ruhens des Verfahrens ist dabei grundsätzlich neutral zu beurteilen, nur wenn der Kläger selbst nur zögerlich oder nicht ernstlich das Verfahren vorantreibt oder bei objektiver Betrachtung das Verhalten des Beklagten Anlass dazu gibt, anzunehmen, dass weitere Vergleichsversuche sinnlos sind, dann hat der Kläger, der nicht im frühest möglichen Zeitpunkt die Fortsetzung des Verfahrens begehrt, die Klage nicht gehörig fortgesetzt (RS0034599).

[23] 4.3. Die Vorinstanzen haben bereits zutreffend darauf verwiesen, dass die Verzögerungen seitens des (ehemaligen) Vertreters des Beklagten nicht erkennen ließen, dass dieser kein Interesse mehr an Vergleichsverhandlungen habe; vielmehr sei aufgrund der Rückmeldungen des Beklagtenvertreters davon auszugehen gewesen, dass auch der Beklagte Interesse am Vergleich habe. Bis 11. 2. 2021 fanden Telefonate über den beabsichtigten Vergleich zwischen den Rechtsvertretern der Parteien statt. Wenn dann die Klägerin nach Beendigung dieser Gespräche am 22. 2. 2021 den Fortsetzungsantrag einbringt, kann bei Gesamtwürdigung des Sachverhalts tatsächlich keine auffallende Untätigkeit der Klägerin angenommen werden. Vielmehr ist von einer Unterbrechung der Verjährung durch Klagseinbringung und gehörigen Fortsetzung des Verfahrens auszugehen.

[24] 4.4. Die Argumente des Beklagten in Richtung fehlende Redlichkeit und Verjährung sind daher nicht stichhältig.

[25] 5. Zusammenfassend ist dem Rekurs der Klägerin nicht Folge zu geben und der angefochtene Aufhebungsbeschluss zur Ergänzung der Feststellungen und Neubewertung der Ersitzungszeit zu bestätigen.

[26] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 3 ZPO.

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