OGH 10Ob36/23a

OGH10Ob36/23a16.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula, Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. A* GmbH *, vertreten durch Mag. Daniela Aigner, Rechtsanwältin in Vorchdorf, und 2. V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, sowie die Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien P* KG *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg wegen 23.093,62 EUR sA, über die Rekurse der klagenden Partei und der zweitbeklagten Partei sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 24. Mai 2023, GZ 6 R 132/21f‑30, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 15. Juli 2021, GZ 6 Cg 27/21h‑18, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00036.23A.0416.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

 

1. Dem Rekurs der klagenden Partei wird teilweise Folge gegeben.

Der Beschluss des Berufungsgerichts wird in Ansehung des gegen die erstbeklagte Partei erhobenen Klagebegehrens aufgehoben und es wird in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass insoweit das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts einschließlich der die erstbeklagte Partei betreffende Kostenentscheidung wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 2.068,32 EUR (darin 344,72 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit  1.490,22 EUR (darin 248,37 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Im Übrigen sind die Kosten des Verfahrens über den Rekurs der klagenden Partei weitere Verfahrenskosten.

2. Der Rekurs der zweitbeklagten Partei sowie der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Parteien wird zurückgewiesen.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.639,20 EUR (darin 273,20 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründeund Begründung:

[1] Der Kläger erwarb am 24. Juni 2019 einen Pkw Audi A6 Avant 2,0 TDI mit einem Kilometerstand von 65.000 km und Erstzulassungsdatum 25. April 2016 um 27.000 EUR von der erstbeklagten Fahrzeughändlerin. Im Fahrzeug ist ein von der Zweitbeklagten entwickelter Dieselmotor des Typs EA288 verbaut, der unter die Schadstoffklasse Euro 6 fällt. Das Fahrzeug unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG .

[2] Im Fahrzeug (Motor) kommt neben einem „SCR‑System“ mit „AdBlue‑Einspritzung“ ein sogenanntes „Thermofenster“ zum Einsatz bei dem die volle Abgasrückführung nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius erfolgt. Darunter und darüber wird begonnen, „auszurampen“, das heißt die Abgasrückführung sukzessive stufenweise zu verringern, was für den sicheren Betrieb des Fahrzeugs und den Bauteilschutz unerlässlich ist. Für das Fahrzeug liegt eine aufrechte EG‑Typengenehmigung vor.

[3] Vor dem Kauf des Fahrzeugs wurde nicht über technische Details, sondern nur über den Kaufpreis, seine Finanzierung und die Kosten für Sommerreifen gesprochen. Die NOx‑Thematik war kein Thema und spielte für die Kaufentscheidung des Klägers auch keine Rolle. Im Kaufvertrag wurde eine Gewährleistungsfrist von zwölf Monaten vereinbart. Dass der Kläger „das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn es nicht den gesetzlichen Bestimmungen entsprochen hätte und er darüber Bescheid gewusst hätte“, konnte nicht festgestellt werden.

[4] Mit seiner am 2. April 2022 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Aufhebung des Kaufvertrags mit der Erstbeklagten und die Beklagten solidarisch zur Zahlung von 23.093,62 EUR sA (Kaufpreis abzüglich 3.906,38 EUR an Benützungsentgelt) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu verpflichten; eventualiter begehrt er von beiden Beklagten (solidarisch) 8.100 EUR sA an Preisminderung und die Feststellung ihrer solidarischen Haftung für jeden aus dem Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung entstehenden Schaden. Im Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen bei der Abgasrückführung und der Abgasnachbehandlung verbaut. Einerseits komme ein sogenanntes „Thermofenster“ zum Einsatz, das bewirke, dass die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam sei, die Abgase außerhalb dieses Bereichs hingegen mehr oder minder unbehandelt bleiben würden. Andererseits würden ein „Online‑“ und ein „Speichermodus“ dafür sorgen, dass nur am Prüfstand ausreichend AdBlue eingespritzt werde („Aufwärmstrategie“), wohingegen die Abgasnachbehandlung außerhalb des Prüfstands abhängig von der Temperatur und der Geschwindigkeit erheblich reduziert werde. Hätte er davon gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.

[5] Soweit noch von Relevanz beruft sich der Kläger gegenüber der Erstbeklagten neben Gewährleistung auf Irrtum und listige Irreführung, weil sie ihn nicht über die installierten unzulässigen Abschalteinrichtungen aufgeklärt habe und sie sich als Vertriebspartner der Zweitbeklagten überdies deren vorsätzliche Täuschung über die Manipulation des Fahrzeugs zurechnen lassen müsse. Die Zweitbeklagte hafte ihm als Motorenentwicklerin nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB, weil sie die Manipulationen zur Steigerung des Fahrzeugabsatzes vorsätzlich vorgenommen sowie bewusst verschwiegen habe und damit die Käufer arglistig getäuscht sowie sittenwidrig geschädigt habe. Ihr Verstoß gegen die VO 715/2007/EG bilde überdies auch eine Schutzgesetzverletzung.

[6] Die Erstbeklagte hielt dem entgegen, dass sie mit der Fertigung und Entwicklung des Fahrzeugs nichts zu tun gehabt und den Kläger auch nicht, geschweige denn arglistig, getäuscht oder einen Irrtum veranlasst habe. Mit Blick auf die wirksam vereinbarte Gewährleistungsfrist von zwölf Monaten stünden dem Kläger aus diesem Titel kein Ansprüche mehr zu.

[7] Die Zweitbeklagte und die Nebenintervenientin wandten ein, dass im Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei. Aufgrund seines extrem weiten Temperaturfensters von -24 bis 70 Grad Celsius sei vor allem das eingesetzte Thermofenster zulässig und üblich. Das Fahrzeug sei auch weder von einer Rückrufaktion noch generell von der Diesel‑Thematik betroffen, was der Kläger auf der Website der Herstellerin auch leicht überprüfen hätte können. Es sei vielmehr technisch sicher und fahrbereit und verfüge über eine aufrechte Typengenehmigung, deren Entzug nicht drohe. Ein rechtswidriges oder sittenwidriges Verhalten habe sie nicht gesetzt; ein Irrtum des Kläger liege nicht vor.

[8] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Angesichts der aufrechten Typengenehmigung stehe fest, dass keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut seien. Damit liege weder ein Mangel noch eine Täuschung vor. Die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche seien überdies verjährt. Die Irrtumsanfechtung scheitere daran, dass der NOx‑Ausstoß keine vertragswesentliche Eigenschaft gewesen sei.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück. Anhand der Feststellungen lasse sich noch nicht beurteilen, ob das Thermofenster eine unzulässige Abschalteinrichtung sei, weil seine Wirkungsweise und Funktion nicht geklärt seien. Zur Abschalteinrichtung im Zusammenhang mit der Abgasnachbehandlung (AdBlue) seien die Feststellungen nicht hinreichend nachvollziehbar, weil es nicht ausreiche, nur auf die dazu vertretene Ansicht des deutschen Kraftfahr‑Bundesamts (KBA) zu verweisen. Sollte das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen sein, bedürfe es neben Feststellungen zur Höhe des Klagebegehrens auch konkreter Feststellungen, ob der Kläger das Fahrzeug dennoch erworben hätte und vor allem dazu, ob er auch Mängel akzeptiert hätte, die einen Entzug der Typengenehmigung nach sich ziehen könnten. Im weiteren Verfahren sei hinsichtlich der Zweitbeklagten zu beachten, dass ihr als Motorenhersteller eine Schutzgesetzverletzung im Zusammenhang mit der VO 715/2007/EG nicht vorgeworfen werden könne. Hinsichtlich der Erstbeklagten seien die auf Gewährleistung gestützten Ansprüche jedenfalls in Bezug auf den geltend gemachten Sachmangel verjährt. Das gelte zwar auch für den ebenfalls behaupteten Rechtsmangel. Welche Bedeutung die Verkürzung der Gewährleistungsfrist auf einen solchen habe, sei aber nicht klar und daher zu erörtern.

[10] Den Rekurs ließ das Berufungsgericht zu, weil in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs die Haftung des bloßen Komponentenzulieferers noch nicht geklärt sei.

[11] Dagegen richten sich die jeweils beantworteten Rekurse einerseits des Klägers sowie andererseits der Zweitbeklagten und der Nebenintervenientin, mit denen sie jeweils eine Entscheidung in der Sache anstreben. Hilfsweise werden Aufhebungsanträge gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Rekurs des Klägers ist zulässig und teilweise berechtigt, der Rekurs der Zweitbeklagten und der Nebenintervenientin ist dagegen unzulässig.

[13] 1. Vorauszuschicken ist, dass aus Anlass eines Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss der Oberste Gerichtshof nicht nur die aufgeworfene Rechtsfrage, sondern die rechtliche Beurteilung durch das Berufungsgericht in jeder Richtung zu überprüfen hat und dabei auch zum Nachteil des Rekurswerbers in der Sache entscheiden kann (RS0043903; RS0043939). Zudem sprechen die Rekurse dieselben Anspruchsgründe an, sodass sie nicht gesondert behandelt werden.

[14] 1.1. In seinem Rekurs vertritt der Kläger die Ansicht, dass das Berufungsgericht die Sachverhaltsgrundlage zu Unrecht als unzureichend erachtet habe. Angesichts des unbekämpft feststehenden Temperaturbereichs sei das zum Einsatz kommende Thermofenster nämlich jedenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung. Darauf aufbauend beruft sich der Kläger gegenüber der Erstbeklagten auf einen seiner Ansicht nach nicht verjährten Rechtsmangel. Demgegenüber hafte ihm die Zweitbeklagte als Motorenherstellerin und Alleingesellschafterin der Fahrzeugherstellerin wegen der Verletzung von Schutzgesetzen. Auch über diesen Anspruch könne schon abschließend entschieden werden, weil die Zweitbeklagte ein fehlendes Verschulden weder behauptet noch nachgewiesen habe und im Rahmen des § 1311 ABGB die zur Kausalität getroffene Negativfeststellung zu Lasten der Beklagten gehe.

[15] 1.2. Im Rekurs der Zweitbeklagten und der Nebenintervenientin bestreiten diese, dass die Zweitbeklagte Adressatin der VO 715/2007/EG sei und damit aufgrund einer Schutzgesetzverletzung hafte. Im Übrigen erachten sie die Sache gegenüber der Zweitbeklagten als entscheidungsreif, weil eine unzulässige Abschalteinrichtung nicht festgestellt worden sei. Selbst wenn man von einer solchen ausgehe, habe der Kläger die Kausalität der behaupteten Irreführung nicht nachweisen können. Der Zweitbeklagten sei diesfalls auch kein schuldhaftes oder gar sittenwidriges Verhalten vorzuwerfen, wofür schon der Umstand spreche, dass dem KBA die ganze Abgasstrategie offengelegt und von diesem als zulässig erachtet worden sei.

2. Zur unzulässigen Abschalteinrichtung

[16] 2.1. Seit der Entscheidung des EuGH zu C‑145/20 ,Porsche Inter Auto und Volkswagen (ÖJZ 2022/114 [Brenn]) und der im Anschluss daran ergangenen Entscheidung zu 10 Ob 2/23a (vom 21. Februar 2023) entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass ein Thermofenster, das eine volle Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius gewährleistet, jedenfalls eine im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung darstellt, weil die Abgasrückführung aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist (8 Ob 118/23w Rz 11; 9 Ob 42/23a Rz 13; 3 Ob 40/23p Rz 16 ua). Eine solche Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, fällt nach der Rechtsprechung nicht unter die von der Zweitbeklagten allein – die behauptete Offenlegung der Emissionsstrategie erfolgte erst im Zuge der Aufarbeitung des Abgasskandals – in Anspruch genommene Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (4 Ob 204/23p Rz 16; 10 Ob 31/23s Rz 31; 3 Ob 121/23z Rz 13 ua).

[17] 2.2. Nach den unbekämpften Feststellungen, von denen der Oberste Gerichtshof auszugehen hat, erfasst auch das hier zum Einsatz kommende Thermofenster einenBereich von 15 bis 33 Grad Celsius Außentemperatur. Es ist demgemäß eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG , weil dieseangesichts der vorherrschenden Temperaturen jedenfalls in Österreich im überwiegenden Teil des Jahres aktiv ist und die Abgasrückführung reduziert. Ob die Abschalteinrichtung in ihrer Funktionsweise für den Motorschutz erforderlich ist oder nicht, ist angesichts dessen nicht von Bedeutung (6 Ob 16/23f Rz 15; 9 Ob 55/23p Rz 43 f; 3 Ob 40/23p Rz 16; 3 Ob 140/22t Rz 45 ua).

[18] 2.3. Vor diesem Hintergrund verweist der Kläger zu Recht darauf, dass es sich beim hier festgestellten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG handelt und – anders als etwa zu den denselben Motor betreffenden Entscheidungen zu 6 Ob 154/23z, 9 Ob 53/23v, 3 Ob 17/23f, 9 Ob 17/22y – dazu, also zur Abgasrückführung, keine sekundären Feststellungsmängel vorliegen. In den Rechtsmittelgegenschriften der Erst- sowie der Zweitbeklagten und der Nebenintervenientin wird das auch nicht mehr bestritten. Die im Rekurs der Zweitbeklagten und der Nebenintervenientin (noch) aufgeworfenen Fragen der Beweislast stellen sich daher nicht mehr. Diese sind in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs auch geklärt (vgl 4 Ob 171/23k Rz 31, 36; 8 Ob 109/23x Rz 20; 4 Ob 103/23k Rz 10).

3. Gewährleistung

[19] 3.1. Nach der mittlerweile gefestigten – erst nach der Berufungsentscheidung ergangenen – Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs stellt das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung keinen Rechtsmangel dar, solange die Typengenehmigung aufrecht ist und keine behördlichen Nutzungsverbote oder Nutzungsbeschränkungen gegeben sind (10 Ob 49/23p Rz 18; 4 Ob 178/23i Rz 5; 5 Ob 184/23d Rz 17; 2 Ob 122/23i Rz 21 ua). Das ist hier (unstrittig) der Fall, sodass die Klagebegehren gegenüber der Erstbeklagten nicht auf einen Rechtsmangel gestützt werden können. Angesichts dessen besteht der vom Berufungsgericht erkannte Erörterungsbedarf im Zusammenhang mit der Verkürzung der Gewährleistungsfrist nicht.

[20] 3.2. Auf die von den Vorinstanzen als verjährt erkannten Ansprüche wegen eines Sachmangels kommt der Kläger im Rekurs nicht mehr zurück. Es kann daher mit dem Hinweis sein Bewenden finden, dass die Beurteilung des Berufungsgerichts zutrifft: Selbst wenn man davon ausginge, dass die Übereinstimmung mit der VO 715/2007/EG (durch Übergabe des Datenauszugs) zugesichert worden wäre, käme die (stillschweigende) Verlängerung der Gewährleistungsfrist bis zur Erkennbarkeit des Mangels nicht in Betracht, weil ausdrücklich eine bestimmte andere Gewährleistungsfrist vereinbart wurde (10 Ob 49/23p Rz 22; RS0018909 [T5]).

[21] 3.3. Gewährleistungsansprüche stehen dem Kläger daher nicht zu.

4. Irrtum und List gegenüber der Erstbeklagten

[22] 4.1. Bei der Irrtumsanfechtung gemäß § 871 ABGB muss der Kläger einen Sachverhalt behaupten, aus dem sich ergibt, dass sein (Geschäfts-)Irrtum (hier über eine für den Kauf bedeutsame Eigenschaft des Fahrzeugs) wesentlich war und entweder vom Beklagten veranlasst wurde oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste oder rechtzeitig aufgeklärt wurde (RS0093831). Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet „veranlassen“ nur eine adäquate Verursachung des Irrtums. Absichtlich oder zumindest fahrlässige Irreführung wird nicht vorausgesetzt. Es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten (RS0016195; RS0016188). Ein Irrtum im Sinn des § 871 ABGB wird dabei auch dann „durch den anderen Teil veranlasst“, wenn er nicht von diesem selbst, sondern von einer Person hervorgerufen wurde, die für ihn beim Vertragsabschluss oder bei dessen Vorbereitung tätig war (RS0016196; RS0016309).

[23] Nach den Feststellungen waren technische Details und damit auch konkrete motor- oder abgasbezogene Eigenschaften des Fahrzeugs kein Gegenstand der Vertragsverhandlungen. Auch für bestimmte dahingehende Werbeaussagen liegen keine Anhaltspunkte vor. Dass die Erstbeklagte Kenntnis davon gehabt hätte, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung installiert war, der verbaute Motor überhaupt vom Abgasskandal betroffen sein könnte oder die Zweitbeklagte (als bloße Motorenherstellerin) in die Vertragsverhandlungen eingebunden gewesen wäre, behauptet der Kläger nicht. Eine Irrtumsveranlassung vor allem durch das Unterlassen einer gebotenen Aufklärung kann der Erstbeklagten daher nicht angelastet werden (in diesem Sinn bereits 2 Ob 122/23i Rz 24; 3 Ob 40/23p Rz 29 f ua).

[24] 4.2. Dass ein Verkäufer für List (§ 870 ABGB) des Herstellers des (hier:) Motors einstehen müsste, bedarf der Zurechnung nach § 875 ABGB (Teilnahme oder Wissen müssen). Zu vergleichbaren Konstellationen hat der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen, dass selbst ein „Vertriebshändler“ nicht schon durch den bloßen Verkauf eines manipulierten Kraftfahrzeugs an einer Handlung des Täters „teilnimmt“ (2 Ob 137/23w Rz 39; 1 Ob 104/23k Rz 25; 5 Ob 184/23d Rz 15; 9 Ob 21/22m Rz 31 ff ua). Dass die Erstbeklagte von einer listigen Handlung der Zweitbeklagten offenbar wissen musste (§ 875 ABGB 2. Fall), hat der Kläger nicht behauptet und lässt sich dem Sachverhalt auch nicht entnehmen.

[25] 4.3. Auf Irrtum und List kann die Klage gegen die Erstbeklagte daher ebenfalls nicht gestützt werden.

5. Schutzgesetzverletzung der Zweitbeklagten

[26] 5.1. Vorauszuschicken ist, dass der Kläger die Zweitbeklagte stets als Herstellerin des Motors in Anspruch genommen hat. In seinem Rekurs geht er auch explizit davon aus, dass sie nicht die Fahrzeugherstellerin ist, sondern mit dieser nur im Konzernverbund steht. Darauf aufbauend scheidet ein auf die VO 715/2007/EG und § 1311 ABGB gestützter Anspruch gegenüber der Zweitbeklagten aus.

[27] 5.2. Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt mehrfach betont, dass die deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausschließlich den Fahrzeughersteller, nicht aber den (bloßen) Hersteller des Motors trifft (RS0134616; 2 Ob 139/23i Rz 13; 8 Ob 92/23x Rz 17 ua). Daran ändert nichts, dass die Zweitbeklagte Alleingesellschafterin des Fahrzeugherstellers ist (6 Ob 154/23z Rz 11; 6 Ob 114/23t Rz 15 [je Seat]; so auch 10 Ob 40/23i Rz 14 [Audi]).

[28] Die dazu vom Berufungsgericht vertretene – auch in der Zulassungsbegründung angesprochene – Ansicht ist daher nicht zu beanstanden.

6. Schadenersatz gegen die Zweitbeklagte

[29] 6.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist ein durch nationales Recht determinierter Schadenersatzanspruch gegen den Motorenhersteller wegen arglistiger Irreführung (§§ 874, 1295 Abs 2 ABGB) möglich(2 Ob 139/23i Rz 14; 8 Ob 81/23d Rz 12; 10 Ob 31/23s Rz 50 ua). Aus der dazu ergangenen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist Folgendes hervorzuheben:

[30] 6.1.1. Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RS0016298; 4 Ob 150/22w Rz 36 ua).

[31] List im Sinne des § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014821), wobei dolus eventualis ausreicht (RS0014837; 10 Ob 31/23s Rz 52 ua). Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum muss für den Vertragsabschluss kausal sein (RS0014790; RS0014821 [T3]): Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt (4 Ob 204/23p Rz 40; RS0014827 [T4, T5] ua).

[32] 6.1.2. Nach § 1295 Abs 2 ABGB ist schadenersatzpflichtig, wer in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise absichtlich Schaden zufügt. Auch dafür genügt bedingter Vorsatz (RS0026603; 6 Ob 161/22bRz 35 ua).

[33] 6.2. Eine Haftung der Zweitbeklagten würde somit voraussetzen, dass ihr zurechenbare Personen (vgl dazu RS0009113; 8 Ob 81/23d Rz 13 ua) es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass der gegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung an Fahrzeugkäufer verkauft wird, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollen und ohne diesen Irrtum keinen Kaufvertrag (oder zumindest einen mit anderem Inhalt) schließen würden (10 Ob 31/23s Rz 53).

[34] 6.3. Der Kläger hat sich auf ein derartiges (als arglistig und sittenwidrig zu qualifizierendes) Verhalten, nämlich der Entwicklung eines für den Markt bestimmten „manipulierten“ Motors mit verbotener Abschalteinrichtung, berufen. Er hat insbesondere behauptet, die Zweitbeklagte respektive ihre (namentlich genannten) Organe und leitenden Mitarbeiter hätten sich bewusst dazu entschieden die Motorenmit unzulässigen Abschalteinrichtungen auszustatten, um die Abgaswerte erfüllen zu können, das vorsätzlich verschwiegen und in der Werbung, in Verkaufsunterlagen und durch die Erstbeklagte als Fahrzeugverkäuferinkonsequent unrichtige Angaben gemacht, um sich Entwicklungs- und Herstellungskosten zu sparen undihren Gewinn zu steigern. Zu ähnlichen Behauptungen hat der Oberste Gerichtshof schon klargestellt, dass darin eine für den Vertragsabschluss des Fahrzeugkäufers kausale Täuschung liegen kann, wenn er das Fahrzeug sonst nicht erworben hätte (4 Ob 204/23p Rz 36 und 43; 6 Ob 161/22b Rz 31 und 37; 4 Ob 150/22w Rz 33 und 41 ua). Ob diese Behauptungen auch zutreffen, kann mangels dazu getroffener Feststellungen derzeit aber nicht beurteilt werden und wird daher im fortgesetzten Verfahren zu klären sein.

[35] 6.3.1. Soweit die Zweitbeklagte und die Nebenintervenientin dazu vermeinen, aus der getroffenen, zu Lasten des Klägers gehenden (Negativ-)Feststellung ergebe sich schon jetzt die fehlende Kausalität der vermeintlichen Täuschung für den Kaufentschluss des Klägers, wird keine Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts aufgezeigt.

[36] Der Oberste Gerichtshof hat die Erfordernisse auf Tatsachenebene, um beurteilen zu können, ob das objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug dennoch dem Willen des Käufers entsprach, bereits definiert. Demnach bedarf es Feststellungen, aus denen sich ergibt, ob der Kläger das Fahrzeug auch gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingesetzt wird, die der Typengenehmigungsbehörde nicht offen gelegt wurde, sodass nur deshalb die EG-Typengenehmigung erteilt wurde, und ob der Kläger die daraus resultierende Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs in Kauf genommen und es dennoch erworben hätte (10 Ob 16/23k Rz 45; 5 Ob 159/23b Rz 12; 4 Ob 202/23v Rz 37 ua).

[37] Die Ansicht des Berufungsgerichts, anhand des derzeit feststehenden Sachverhalts lasse sich nicht beurteilen, welche von objektiven Verkehrserwartungen abweichenden Umstände der Kläger konkret in Kauf genommen und das Fahrzeug dennoch erworben hätte, entspricht dieser Rechtsprechung.

[38] 6.3.2. Auch der weitere Einwand, die Haftung der Zweitbeklagten könne schon verneint werden, weil sie einem entschuldbaren Rechtsirrtum unterlegen sei, überzeugt nicht.

[39] Der Oberste Gerichtshof hat zuletzt mehrfach betont, dass der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, ohne Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände gegen die Annahme eines Rechtsirrtums spricht (4 Ob 165/23b Rz 19; 3 Ob 121/23z Rz 23; 4 Ob 119/23p Rz 22 ua). Hier steht beides noch nicht fest. Zudem entfällt die Haftung der Beklagten nicht schon deshalb, weil das KBA (oder eine andere Behörde) noch keine unzulässige Abschalteinrichtung beim Motor EA288 festgestellt hat (jüngst 6 Ob 154/23z Rz 12; vgl 10 Ob 27/23b Rz 34 ff).

7. Ergebnis

[40] 7.1. Der Kläger zeigt in seinem Rekurs daher zu Recht auf, dass es keiner weiteren Feststellungen zur Wirkung und Funktion des bei der Abgasrückführung zum Einsatz kommenden Thermofensters bedarf, sondern der bislang festgestellte Sachverhalt ausreicht, um es als unzulässige Abschalteinrichtung zu qualifizieren. Sein Rekurs ist – zu seinen Lasten – auch insofern berechtigt, als das Erstgericht die Klage gegenüber der Erstbeklagten im Ergebnis zutreffend abgewiesen hat, weil sich der Kläger ihr gegenüber weder auf Gewährleistung noch auf Irrtum stützen kann.

[41] 7.2. Hingegen zeigen die Zweitbeklagte und die Nebenintervenientin nicht auf, dass das Berufungsgericht zu den von ihnen angesprochenen Fragen von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist. Ihr Rekurs ist daher zurückzuweisen.

[42] 7.3. Zur Frage, ob auch die festgestellte „Aufwärmstrategie“ oder die „angebliche Reduzierung des AdBlue‑Verbrauchs […] abhängig von der Temperatur und vom Fahrverhalten“ unzulässige Abschalteinrichtungen sind, enthalten die Rekurse keine Ausführungen. Wenn das Berufungsgericht dazunachvollziehbare Feststellungen vermisst und zur Klärung dieser Frage eine Ergänzung der Tatsachengrundlage als erforderlich erachtet, kann dem der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten (vgl RS0042179; RS0043414). Da überdies abzuwarten bleibt, ob der Klage gegenüber der Zweitbeklagten nicht ohnehin schon wegen der bereits als unzulässig erkannten Abschalteinrichtung (bei der Abgasrückführung) stattzugeben ist, bestehtderzeit auch kein Anlass, das Verfahren im Hinblick auf das zu 3 Ob 33/23h („Precon“) gestellte Vorabentscheidungsersuchen zu unterbrechen (vgl 6 Ob 178/23d).

[43] 8. Die Kostenentscheidung betreffend den Rekurs des Klägers gründet sich im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Erstbeklagten auf §§ 41, 50 ZPO und im Verhältnis zwischen dem Kläger und der Zweitbeklagten sowie der Nebenintervenientin auf § 52 ZPO. Für einen in der Berufungsbeantwortung begehrten „Zuschlag von 50 %“ fehlt eine Rechtsgrundlage.

[44] Hinsichtlich des Rekurses der Zweitbeklagten und der Nebenintervenientin beruht sie auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen, sodass die Kosten nicht nach § 52 ZPO vorzubehalten sind, sondern ein Kostenersatz stattfindet (RS0123222 [T8, T14]; RS0035976 [T2]). Der Streitgenossenzuschlag beträgt aber nur 10 %.

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