OGH 3Ob121/23z

OGH3Ob121/23z6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* S*, vertreten durch Mag. Martin J. Moser, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei M* AG, *, Deutschland, vertreten durch Univ.‑Prof. Mag. Dr. Franz Pegger ua Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 29.500 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 14. April 2023, GZ 4 R 176/22p‑23, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 28. September 2022, GZ 3 Cg 111/21i‑17, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00121.23Z.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und es wird in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass das Urteil lautet:

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 9.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. November 2021 Zug um Zug gegen Rückgabe des Kraftfahrzeugs der Marke Mercedes‑Benz CLS 350 CDI, FIN *, mit 195 kW, zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei darüber hinaus schuldig, der klagenden Partei weitere 20.500 EUR samt 4 % Zinsen seit 10. November 2021 sowie aus 29.500 EUR vom 18. März 2018 bis 9. November 2021 zu zahlen, wird abgewiesen.

Das Eventualbegehren, es werde mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei für sämtliche Schäden aus der Manipulation des Kraftfahrzeugs der Marke Mercedes‑Benz CLS 350 CDI, FIN *, mit 195 kW mit einer Software zur Umgehung von Emissionskontrollsystemen zu haften habe, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.863,04 EUR bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.802,63 EUR an anteiligen Barauslagen bestimmten Kosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Mit Kaufvertrag vom 6. 3. 2018 erwarb die Klägerin von einer Händlerin das im Spruch bezeichnete, von der Beklagten hergestellte Kraftfahrzeug Mercedes‑Benz CLS 350 CDI um 29.500 EUR mit einem Kilometerstand von ca 176.000 km. Heute weist das Fahrzeug einen Kilometerstand von ca 280.000 km auf; die Klägerin legte mit dem Fahrzeug 104.000 km zurück. Das Fahrzeug wurde ihr am 9. 3. 2018 übergeben; die Erstzulassung erfolgte im August 2012. Die Klägerin hat den Kaufpreis kreditfinanziert. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin keinen Eigentumsvorbehalt zu Gunsten der finanzierenden Bank vereinbart hat. Im Kaufzeitpunkt interessierte die Klägerin nicht, welche Menge an Stickoxiden das Fahrzeug ausstößt. Es kann nicht festgestellt werden, wie die Beklagte das Fahrzeug beworben hat.

[2] Das Fahrzeug wurde vom KBA nach der Abgasklasse Euro 5 typengenehmigt. Bei der Typenprüfung im Zuge des NEFZ‑Tests wurde der NOx‑Grenzwert von 180 mg/km eingehalten.

[3] Das Fahrzeug verfügt als NOx‑Reduktionsmaßnahme über die innermotorische Abgasrückführung (AGR‑Ventil ohne Speicherkatalysator). Der Motor des Fahrzeugs verfügt über ein sogenanntes „Thermofenster“ mit einem Temperaturbereich zwischen 13 bzw 15 und 33 Grad Celsius. Innerhalb dieses Temperaturfensters ist die Abgasrückführung voll gegeben, außerhalb desselben wird die Abgasrückführung „ausgerampt“, also reduziert. Die Durchschnittstemperatur in Österreich beträgt zwischen 6 und 8 Grad Celsius, sodass das Thermofenster über den Großteil des Jahres nicht völlig offen ist, sondern zumindest ausgerampt oder bei deutlich tieferen Temperaturen gegen 0 Grad Celsius überhaupt geschlossen ist. Eine volle Abgasrückführung findet nur in der warmen Jahreszeit statt; in der Übergangszeit und im Winter gibt es kaum oder überhaupt keine Abgasrückführung. Das Thermofenster dient primär dem Schutz der Betriebssicherheit des Fahrzeugs.

Im Jänner 2022 wurde der Klägerin von der Firma P* ein Software‑Update für ihr Fahrzeug angeboten, das sie allerdings ablehnte.

[4] Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Zahlung von 29.500 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs, hilfsweise stellte sie ein Feststellungsbegehren. In dem von ihr gekauften Fahrzeug sei ein Dieselmotor der Abgasklasse Euro 5 verbaut. Dieser Motor weise ein Thermofenster auf. Aufgrund dieser unzulässigen Abschalteinrichtung würden die zulässigen Grenzwerte massiv überschritten. Dieses Verhalten der Beklagten begründe eine arglistige Täuschung. Wäre sie in Kenntnis dieser Vorgangsweise gewesen, so hätte sie das Fahrzeug nicht gekauft. Die Beklagte habe sowohl die Typengenehmigungsbehörde als auch die Käufer arglistig getäuscht, zumal der Entzug der Typengenehmigung und der Zulassung drohe. Einen Vorteilsausgleich in Form eines Benützungsentgelts müsse sie sich nicht anrechnen lassen, weil ein derartiger Ausgleich die Beklagte unbillig entlaste.

[5] Die Beklagte entgegnete, dass es der Klägerin an der Aktivlegitimation mangle, weil diese nicht Eigentümerin des Fahrzeugs sei. Im Klagsfahrzeug sei keine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden; die Euro 5‑Abgasnorm werde eingehalten. Das Fahrzeug stimme mit der EG‑Typengenehmigung überein und sei uneingeschränkt nutzbar. Ein Widerruf der Typengenehmigung drohe nicht, weshalb auch keine Gefahr eines Zulassungsentzugs drohe. Sie habe auch keine vorsätzlichen Täuschungshandlungen gesetzt. Die Klägerin müsse sich jedenfalls ein Benützungsentgelt von 25.000 EUR anrechnen lassen. Diese habe auch kein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren, weil die behaupteten Folgeschäden nicht drohten bzw Fahrverbote und Mautgebühren für Dieselfahrzeuge mit dem vorgeworfenen Fehlverhalten in keinem Zurechnungszusammenhang stünden. Zu einer Mängelbehebung sei es gar nicht gekommen, vielmehr habe sie bloß ein freiwilliges Software-Update angeboten, das eine Verbesserung der Emissionen bewirke.

[6] Das Erstgericht erkannte die Beklagte schuldig, der Klägerin 4.760 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu zahlen; das Mehrbegehren und das hilfsweise gestellte Feststellungsbegehren wies es ab. Die Klägerin sei Eigentümerin des Fahrzeugs geworden, weshalb der Einwand der fehlenden Aktivlegitimation nicht berechtigt sei. Die Beklagte habe die Kunden über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines zu engen Thermofensters arglistig getäuscht. Gemäß § 874 ABGB sei auch der Dritte zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er den Vertrag durch List bewirkt habe. Der bei der Klägerin eingetretene Schaden liege im Erwerb des ungewollten Fahrzeugs selbst. Die Beklagte sei daher zur Naturalrestitution verpflichtet. Die Klägerin müsse sich jedoch ein Benützungsentgelt anrechnen lassen, das sich mit 24.714 EUR errechne. Dem Klagebegehren sei daher mit 4.760 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs stattzugeben. Aufgrund der angeordneten Leistung Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs seien weitere Schäden ausgeschlossen, weshalb es der Klägerin am rechtlichen Interesse für das Feststellungsbegehren fehle.

[7] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien Folge, hob die angefochtene Entscheidung auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück. Das Fahrzeug verfüge über eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil das Thermofenster den überwiegenden Teil des Jahres in Funktion sei. In diesem Fall komme es auf die in Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen des Motorschutzes nicht an. Die Beklagte sei als Fahrzeugherstellerin daher grundsätzlich zum Schadenersatz verpflichtet. Das Berufungsvorbringen der Beklagten, wonach die Klägerin durch das angebotene Software-Update klaglos gestellt worden sei, verstoße gegen das Neuerungsverbot. Als Schaden mache die Klägerin jenen Schaden geltend, der ihr durch den Abschluss des nicht gewollten Kaufvertrags entstanden sei. Sie mache daher den Vertragsabschlussschaden und nicht jenen Schaden geltend, der dem Erhalt eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung entspreche. Für die ungewollte Vermögensdisposition der Klägerin könne aber nur eine Verletzung einer Informations- oder Aufklärungspflicht iSd § 874 ABGB kausal sein. Dazu lägen sekundäre Feststellungsmängel vor, weil das Erstgericht keine ausreichend klaren Feststellungen dazu getroffen habe, ob konkreten Organen oder Repräsentanten der Beklagten ein subjektiv vorwerfbares arglistiges Fehlverhalten anzulasten sei. Außerdem habe das Erstgericht nicht festgestellt, ob die Klägerin das konkrete Fahrzeug auch in Kenntnis des Umstands gekauft hätte, dass dieses mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sei. Auf eine Schutzgesetzverletzung könne sich die Klägerin mit Rücksicht auf ihr Vorbringen nicht stützen. Bei einem Schadenersatzanspruch aus einer Schutzgesetzverletzung wegen des Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung liege der geschützte Schaden im Nichterfüllungsschaden. Einen derartigen Anspruch mache die Klägerin nicht geltend. Sekundäre Feststellungsmängel lägen auch zur Berechnung des Benützungsentgelts vor. Der Oberste Gerichtshof stelle zwar – und dies auch beim Gebrauchtwagenkauf – auf die lineare Berechnungsmethode ab. Im Anlassfall sei jedoch zu berücksichtigen, dass das Fahrzeug die erwartbare Restlaufleistung beinahe erreicht habe und aufgrund der speziellen Marktsituation noch ein Händlereinkaufspreis von 9.000 EUR bis 10.000 EUR lukriert werden könne. Im Fall der linearen Berechnung des Benützungsentgelts erhielte die Klägerin nur einen Kaufpreisanteil von 4.760 EUR zurück, müsste im Gegenzug dazu aber ein Fahrzeug zurückgeben, das mehr als doppelt so viel wert sei. Aus diesem Grund sei im Anlassfall vom angemessenen Kaufpreis jener Preis abzuziehen, der aus einem Weiterverkauf des Fahrzeugs am privaten Gebrauchtwagenmarkt (von Privat zu Privat) zu erzielen wäre. Zu diesem Marktpreis habe das Erstgericht aber keine Feststellung getroffen. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil zur Frage des Ersatzes und der Berechnung des Schadens eines Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeugersteller bei Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie zur Anrechnung des Benützungsentgelts bisher höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

[8] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem Klagebegehren vollinhaltlich stattzugeben.

[9] Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

[10] Der Rekurs ist zulässig und teilweise berechtigt.

[11] Die Klägerin vertritt in ihrem Rekurs den Standpunkt, dass das Berufungsgericht dem Klagebegehren hätte stattgeben müssen. Dabei stützt sie sich ausdrücklich nur mehr auf Schadenersatz wegen einer Schutzgesetzverletzung. Dafür komme es weder auf ein konkretes vorsätzliches Vorhalten der Organe bzw Repräsentanten der Beklagten noch auf eine Kaufkausalität an.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte behauptet in der Rekursbeantwortung, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege, weil es auf die durchschnittliche Jahrestemperatur im Unionsgebiet ankomme, die 12 Grad Celsius betrage. Außerdem fehle es hinsichtlich einer Schutzgesetzverletzung am Verschulden der Beklagten; die Klägerin habe zudem gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen.

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

1. Unzulässige Abschalteinrichtung:

[12] 1.1 In der Entscheidung zu C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen (ÖJZ 2022/114 [Brenn]), hat der EuGH ausgesprochen, dass Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art 5 Abs 2 lit a leg cit vorhandene Ausnahme fallen.

[13] 1.2 In dem in Anschluss an diese Entscheidung des EuGH vom Obersten Gerichtshof am 21. 2. 2023 zu 10 Ob 2/23a gefällten Urteil wurde beurteilt, dass ein Thermofenster, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist, unzweifelhaft als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Eine solche Abschalteinrichtung ist iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG jedenfalls unzulässig, wenn sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (vgl auch 3 Ob 140/22t; 3 Ob 142/22m). Die zuletzt genannte Voraussetzung ist bei einem Thermofenster, bei dem die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius und – aufgrund der in Österreich herrschenden klimatischen Verhältnisse – nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist, während im überwiegenden Teil des Jahres die Abgasrückführung durch die Abschalteinrichtung reduziert ist, erfüllt. Im Hinblick darauf ist das fragliche Thermofenster nach der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig, wenn sie im konkreten Fall erst einsetzen würde, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Ein solches Thermofenster fällt daher nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG .

[14] 1.3 Im Anlassfall erfasst das im Motor implementierte Thermofenster den Temperaturbereich zwischen 13 bzw 15 und 33 Grad Celsius Außentemperatur; außerhalb dieses Temperaturbereichs wird die Abgasrückführung (Emissionsminderung) ausgerampt, also reduziert. Nach der Entscheidung des EuGH zu C-128/20 , GSMB Invest, Rn 43, kommt es auf die Bedingungen im Unionsgebiet, also überall innerhalb der Grenzen der EU an. Das Thermofenster ist daher jedenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG , weil sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen jedenfalls in Österreich im überwiegenden Teil des Jahres aktiv ist und die Abgasrückführung reduziert.

[15] In einem solchen Fall kommt es auf die in Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen des Motorschutzes nicht an. Es bleibt daher ohne Bedeutung, ob die Abschalteinrichtung in ihrer Funktionsweise für den Motorschutz erforderlich ist oder nicht.

[16] Daraus folgt, dass es sich bei dem in Rede stehenden Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Nr 10 VO 715/2007/EG handelt.

2. Schadenersatz gegen den Fahrzeughersteller:

[17] 2.1 In der Entscheidung zu C‑100/21 , Mercedes‑Benz Group, hat der EuGH zur Haftung des Herstellers einer mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs gegenüber dem Käufer ausgesprochen, dass die einschlägigen unionsrechtlichen Rechtsgrundlagen (Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG und Art 18, 26 und 46 Rahmen‑RL 2007/46/EG ) auch die Einzelinteressen des Käufers eines solchen Kraftfahrzeugs schützen. Aus diesem Grund hat ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 leg cit ausgestattet ist. Ist dem Käufer durch den Einbau der Abschalteinrichtung ein Schaden im Zusammenhang mit der Anmeldung, dem Weiterverkauf oder dem Betrieb des Fahrzeugs entstanden, so steht ihm ein Anspruch auf Schadenersatz zu. Dieser Schadenersatz muss im Verhältnis zum entstandenen Schaden angemessen sein und der Anforderung genügen, dass es sich um eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion handelt. Die weiteren Modalitäten für diesen Anspruch richten sich nach dem nationalen Recht, wobei allerdings der Grundsatz der Effektivität zu beachten ist. Die nationalen Gerichte sind auch befugt, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt; dies geschieht etwa durch Anrechnung des Nutzungsvorteils für die tatsächliche Nutzung.

[18] 2.2 In der im Anschluss an diese Entscheidung des EuGH vom Obersten Gerichtshof am 25. 4. 2023 zu 10 Ob 2/23a gefällten Entscheidung wurde beurteilt, dass der vom Kläger geltend gemachte Schadenersatzanspruch, ihn aus dem Titel des deliktischen Schadenersatzes so zu stellen, als hätte er das klagsgegenständliche Fahrzeug nicht erworben, primär auf Naturalersatz gerichtet sei. Jedenfalls in dem Fall, dass eine geeignete Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten werde, könne der Schadenersatz in Form einer Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs (Zug‑um‑Zug‑Abwicklung) verlangt werden. Im Rahmen der Vorteilsanrechnung sei alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem (ungewollten) Vertrag zu seinem Vorteil habe, also nicht bloß das zurückzustellende Fahrzeug selbst, sondern auch seine tatsächliche Nutzung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Der Kläger müsse sich für den in der Nutzung des Fahrzeugs liegenden Vorteil daher ein Benützungsentgelt anrechnen lassen. Die Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger sei dabei bereits im Rahmen des Vorteilsausgleichs durch Abzug von der Klagsforderung und nicht aufrechnungsweise in Form einer Gegenforderung zu berücksichtigen. Die Höhe des Benützungsentgelts richte sich – wie gegenüber dem Händler – nach der linearen Ausmittlungsmethode. Die konsequente Umsetzung dieser in der Rechtsprechung anerkannten Grundsätze spreche dafür, den Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kraftfahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten habe, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen. Dafür gelte grundsätzlich die Formel „Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer : erwartete Gesamtlaufleistung“. Bei einem gebrauchten Fahrzeug sei es gleichermaßen sachgerecht, bei der Berechnung den konkret vereinbarten Kaufpreis heranzuziehen, wenn und weil dieser als angemessene Gegenleistung angesehen werden könne. Konsequenterweise sei dann bei der Berechnung nicht die Gesamtlaufleistung, sondern die dem (als angemessen unterstellten) Kaufpreis zugrunde gelegte (geringere) erwartete Restlaufleistung zu berücksichtigen (4 Ob 21/21y). Die Formel sei daher wie folgt anzupassen: „Tatsächlicher Kaufpreis x gefahrene Kilometer : erwartete Restlaufleistung“. Im Einzelfall könne zur Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts auch § 273 ZPO herangezogen werden (RS0018534 [T5]; 3 Ob 131/19i).

[19] Auf diese Weise kann demnach auch dem unionsrechtlichen Grundsatz, dass der Schadenersatz des Herstellers angemessen sein muss, Rechnung getragen werden.

[20] 2.3 Im Anlassfall macht die Klägerin ausdrücklich den Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen dessen Rückgabe geltend. Demnach will sie so gestellt werden, als hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Dazu hat sie auch vorgebracht, dass sie das Fahrzeug nicht gekauft hätte, wenn sie von der unzulässigen Abschalteinrichtung Kenntnis gehabt hätte.

[21] Das Berufungsgericht geht in dieser Hinsicht von einem sekundären Feststellungsmangel aus, weil das Erstgericht eine solche Feststellung nicht getroffen habe. Dabei hat das Berufungsgericht jedoch übersehen, dass die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren die Behauptung der Klägerin nicht substanziiert bestritten hat. ISd § 267 ZPO zugestandene Tatsachen bedürfen aber keines Beweises. Es ist daher im Rahmen der rechtlichen Beurteilung davon auszugehen, dass die Klägerin das Fahrzeug in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht gekauft hätte. Unter diesen Voraussetzungen kann nach der zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs wegen einer Schutzgesetzverletzung ein Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens aus dem Abschluss eines nicht gewollten Vertrags anerkannt werden.

[22] 2.4 Die Beklagte beruft sich in ihrer Rekursbeantwortung hinsichtlich einer allfälligen Schutzgesetzverletzung auf fehlendes Verschulden zufolge eines entschuldbaren Rechtsirrtums. Die Ausgestaltung des Emissionskontrollsystems sei nach einer zumindest vertretbaren und vom KBA geteilten Rechtsauffassung zulässig.

[23] Dass dem Schädiger an der Übertretung eines Schutzgesetzes kein Verschulden trifft, hat der Schädiger zu beweisen (RS0112234 [T1]). Dazu muss er auf Tatsachenebene konkrete und stichhaltige Umstände vortragen, die sein Verhalten nicht als fahrlässig erscheinen lassen. Der Fahrzeughersteller, der sich unter Berufung auf einen unvermeidbaren Rechtsirrtum entlasten will, muss sowohl den Rechtsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Rechtsirrtums konkret darlegen und beweisen. Der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, spricht ohne Vorliegen besonders rücksichtswürdiger Umstände gegen die Annahme eines Rechtsirrtums.

[24] Das erstinstanzliche Vorbringen der Beklagten ist auch in diesem Punkt nur vage gehalten und keinesfalls ausreichend, um daraus einen entschuldbaren Rechtsirrtum nachvollziehbar ableiten zu können. Es ist daher vom Verschulden der Beklagten an der vorgeworfenen Schutzgesetzverletzung auszugehen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kommt es auf die Zurechnung von Täuschungshandlungen von Organen oder Repräsentanten der Beklagten nicht an. Auch dazu bestehen daher keine sekundären Feststellungsmängel.

[25] 2.5 Zu der von der Beklagten in ihrer Rekursbeantwortung (und in ihrer Berufung) der Klägerin vorgeworfenen Verletzung der Schadensminderungspflicht, die sie in der Nichtvornahme des vorhandenen Software-Update erblickt, hat bereits das Berufungsgericht zutreffend festgehalten, dass dieses Vorbringen zur angeblichen Klaglosstellung der Klägerin gegen das Neuerungsverbot verstößt. Dem vagen Vorbringen lassen sich insbesondere die Auswirkungen des „freiwilligen Software-Updates“ auf die Funktionsweise des vorhandenen Thermofensters nicht entnehmen.

[26] 2.6 Warum sich die (kryptisch formulierte) Negativfeststellung des Erstgerichts zu einem allfälligen Eigentumsvorbehalt zu Gunsten der Kreditgeberin zum Nachteil der Klägerin auswirken soll, vermag die Beklagte nicht nachvollziehbar zu begründen. Die Beklagte hat den Einwand der fehlenden Aktivlegitimation erhoben und trägt daher auch die Beweislast dafür.

[27] 2.7 Damit sind die inhaltlichen Voraussetzungen für den von der Klägerin geltend gemachten deliktischen Schadenersatzanspruch gegen die beklagte Fahrzeugherstellerin (dem Grunde nach) gegeben.

3. Benützungsentgelt:

[28] 3.1 Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, dass im Anlassfall kein Benützungsentgelt in Abzug zu bringen sei. Die Anrechnung eines solchen Entgelts widerspreche dem Präventionsgedanken und dem unionsrechtlichen Grundsatz, dass vom Fahrzeughersteller ein angemessener und effektiver Schadenersatz zu zahlen sei. Selbst wenn man die vom Erstgericht herangezogene Berechnungsmethode anwenden wollte, sei der Berechnung nicht der tatsächlich gezahlte Kaufpreis (29.500 EUR), sondern ein um 30 % reduzierter Minderwert heranzuziehen. Davon ausgehend wäre der Klage mit 12.180,65 EUR stattzugeben. Wenn man vom angemessenen Kaufpreis und Händlereinkaufspreis ausgehe, sei ihr der Betrag von 9.500 EUR zuzusprechen.

[29] 3.2 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass das Benützungsentgelt aus der Differenz zwischen dem angemessenen Kaufpreis bei Abschluss des Kaufvertrags und dem aktuell zu erzielenden Preis bei Weiterverkauf auf dem Privatmarkt zu bemessen sei und dazu ein sekundärer Feststellungsmangel vorliege, findet in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs keine Deckung. Zutreffend ist aber der Hinweis des Berufungsgerichts, dass – ausgehend vom festgestellten aktuellen Zeitwert des Fahrzeugs – die Klägerin unter Heranziehung der linearen Berechnungsmethode für das Benützungsentgelt – nur 4.760 EUR erhielte, dafür aber ein Fahrzeug mit höherem Wert zurückgeben müsste.

[30] Dazu ergibt sich aus der zitierten Rechtsprechung des EuGH zu den unionsrechtlichen Vorgaben für den dem Fahrzeugkäufer gegen den Fahrzeughersteller zustehenden Anspruch auf Schadenersatz, dass dieser Ersatz für den Schaden aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung angemessen sein und mit dem Effektivitätsgrundsatz im Einklang stehen muss. Eine derartige Angemessenheitskorrektur ist allerdings nicht durch eine neue Berechnungsmethode, sondern durch Anwendung des § 273 ZPO vorzunehmen. Danach besteht der angemessene Schadenersatz im Anlassfall darin, dass die Klägerin jedenfalls den vom Erstgericht festgestellten aktuellen Zeitwert des Fahrzeugs erhält, der zumindest 9.000 EUR beträgt.

[31] 3.3 Die von der Klägerin geltend gemachten Verzugszinsen gebühren ab Klagszustellung, weil ein Anspruch auf Schadenersatz erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch (empfangsbedürftige) Mahnung, Klage oder Klagserweiterung fällig wird (RS0023392 [T6]; RS0024386).

4. Ergebnis:

[32] Zusammenfassend folgt, dass die vom Berufungsgericht erkannten sekundären Feststellungsmängel zur Kaufkausalität, zur Zurechnung von Täuschungshandlungen von Organen oder Repräsentanten der Beklagten sowie zur Bemessung des Benützungsentgelts nicht vorliegen. Insgesamt war daher eine Sachentscheidung dahin möglich, dass – in teilweiser Stattgebung des Rekurses – dem Klagebegehren im dargelegten Ausmaß stattzugeben war. Das Eventualbegehren war nicht mehr Gegenstand der Berufung und daher ein erledigter Streitpunkt. Einen Anspruch aus arglistiger Täuschung hat die Klägerin ausdrücklich nicht mehr erhoben.

[33] Die Kostenentscheidung beruht auf § 43 Abs 1 ZPO (iVm § 50 ZPO). Die Beklagte hat keine Umsatzsteuer verzeichnet.

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