OGH 10Ob31/23s

OGH10Ob31/23s19.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Hofrätin Dr. Faber als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Steger, Mag. Schober, Dr. Thunhart und Dr. Annerl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V*, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 13.406,42 EUR sA und Feststellung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil desOberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 26. April 2023, GZ 2 R 35/23i‑35, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 17. Jänner 2023, GZ 45 Cg 12/21k‑30, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0100OB00031.23S.1219.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

I. Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass sie – einschließlich des in Rechtskraft erwachsenen Teils – als Teilurteil lautet:

„Die Klagebegehren,

1. die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 4 % Zinsen aus 13.406,42 EUR von 29. April 2013 bis 17. Februar 2021 zu zahlen, sowie

2. es werde mit Wirkung zwischen der klagenden Partei und der beklagten Partei festgestellt, dass die beklagte Partei für jeden Schaden hafte, welcher der klagenden Partei aus dem Kauf des Audi Q5 2.0 TDI quattro mit der Fahrgestellnummer (FIN) *, und dem darin verbauten Dieselmotor Typ EA189 zukünftig entstehe,

werden abgewiesen.

Die auf diesen Teil entfallende Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.“

II. Im übrigen Umfang, betreffend das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 13.406,42 EUR samt 4 % Zinsen seit 18. Februar 2021 zu zahlen, werden die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben. In diesem Umfang wird die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind insoweit weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe

und

Begründung:

[1] Mit Kaufvertrag vom 29. April 2013 kaufte die Klägerin einen Neuwagen Audi Q5 2.0 TDI quattro, der mit einem EA189, EU 5‑Motor ausgestattet ist, zu einem Kaufpreis von 44.688,06 EUR. Die Erstzulassung erfolgte am 27. Februar 2013.

[2] Das deutsche Kraftfahrt‑Bundesamt (KBA) und das deutsche Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) haben nach ihren Untersuchungen festgestellt, dass im EA189‑Motor ursprünglich eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut wurde, weil zwei Modi programmiert wurden, wovon der Modus 1 den NEFZ‑Prüfstandtest über den kumulierten Weg des NEFZ‑Testzyklus erkannte („Umschaltlogik“). Eine der drei Ausnahmen der Verordnung (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (VO 715/2007/EG ) war dadurch nach Auffassung des KBA nicht gegeben. Das wurde 2015 auch öffentlich gemacht.

[3] Diese nach Auffassung des KBA und des BMVI unzulässige Programmierung des Steuergeräts ist durch das mittlerweile für alle Motor‑, Getriebe‑ und Antriebsvarianten mit dem EA189‑Motor vom KBA geprüfte Software‑Update behebbar (Software‑Update vom 25. August 2016), allerdings ist ein „Thermofenster“ implementiert. Das KBA hat das Software‑Update in Kenntnis seiner Funktionsweise genehmigt. Das KBA stellte als zuständige Behörde mit einer Ergänzung der Typengenehmigung fest, dass mit dem Software‑Update die unzulässige „Umschaltlogik“ eliminiert wurde und das Fahrzeug bzw der Motor nunmehr den Akkreditierungsbedingungen der VO 715/2007/EG entspricht.

[4] Das Software‑Update ist nicht nur vom KBA, sondern auch von zahlreichen beigezogenen Institutionen überprüft worden, wobei das KBA gefordert hat, dass es keine Leistungsschmälerung geben darf und auch keinen Mehrverbrauch. Über alle Motoren und Fahrzeugtypen gerechnet wurde diese Vorgabe auch eingehalten. Naturgemäß hat es gewisse Unterschiede gegeben. Dass es beim klagsgegenständlichen Fahrzeug zu einer objektiv spürbaren Verschlechterung, die eine Änderung im Fahrverhalten bedungen hätte, gekommen wäre, steht nicht fest.

[5] Die Dieselmotoren des Typs EA189, EU 5, verfügen über ein Abgasrückführungssystem, das als innermotorische Maßnahme Abgas aus dem Auslassbereich des Motors in den Ansaugtrakt des Motors zurückleitet. Die Abgasrückführung dient – zusammengefasst – der Reduktion der Stickoxid‑(NOx)‑Emissionen. Alle Fahrzeughersteller verwenden eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführungsrate („Thermofenster“). Wird der Temperaturbereich des „Thermofensters“ verlassen, finden im Motor Vorgänge statt, die einzelne Bauteile und in weiterer Folge den ganzen Motor beschädigen können. Ohne temperaturabhängige Parametrierung des Abgasrückführungssystems ist kein sicherer und emissionskonformer Betrieb von EU 5‑ und EU 6b‑Fahrzeugen über die gesetzlich geforderte Nutzungsdauer von emissionsmindernden Bauteilen möglich. Die temperaturabhängige Parametrierung des Abgasrückführungssystems dient dazu, ein Versotten und Verlacken der Bauteile der Abgasrückführung hintanzuhalten. Für die unmittelbare Gefahr für den Motor sind praktisch ausschließlich das Abgasrückführungsventil und der Abgasrückführungskühler relevant. Deren Ausfall erfolgt gegebenenfalls plötzlich und unerwartet. Die Motorsteuerung schaltet dann zumeist auf den „Notlauf“ und das Fahrzeug kann dann nur mehr mit sehr eingeschränkter Leistung notdürftig gefahren werden.

[6] Die mittlerweile generell eingesetzte Möglichkeit der NOx‑Nachbehandlung, die auch schon 2010 verfügbar gewesen wäre, wenn auch bei weitem nicht in der Qualität wie sie aufgrund des technischen Fortschritts heute vorhanden ist, ist die zusätzliche Verwendung eines SCR‑Katalysators (adBlue). Theoretisch hätte man das streitgegenständliche Fahrzeug auch mit einem SCR‑System, dh von vornherein höherwertig ausstatten können. Unter anderem aufgrund der Einführung der SCR‑Technik konnte der Betriebsbereich des „Thermofensters“ in den letzten Jahren ständig erweitert werden.

[7] In welchem Temperaturbereich das Abgasrückführungsventil im klagsgegenständlichen Fahrzeug offen ist („Thermofenster“), steht nicht fest.

[8] Die Klägerin erlangte vom Abgasskandal und darüber, dass ihr Fahrzeug auch davon betroffen war, erst durch ein Schreiben der Generalimporteurin im Jahr 2016 Kenntnis, mit dem sie darüber informiert wurde, dass ein Software‑Update durchzuführen sei. Sie ließ das Software‑Update am 28. Oktober 2016 aufspielen. Die Klägerin wollte nicht gegen den Händler vorgehen, weil sie der Meinung war, dass mit dem Software‑Update „alles passen“ würde. Als sie zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt von einer Freundin informiert wurde, dass dem nicht so sei, suchte sie erst im Jänner 2021 die Klagevertretung auf, in welchem Zeitpunkt ihr mitgeteilt wurde, dass das Software‑Update weiterhin unzulässig sei. Dass das Software‑Update vom KBA genehmigt und auch mit Ergänzung der Typengenehmigung festgestellt wurde, dass mit dem Software‑Update die unzulässige „Umschaltlogik“ eliminiert wurde, wusste die Klägerin bis zuletzt nicht.

[9] Hätte die Klägerin beim Kauf gewusst, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut war, dann hätte sie das Fahrzeug auch dann nicht gekauft, wenn sie damals gewusst hätte, dass ein Software‑Update zur Verfügung gestellt würde und das KBA das Software‑Update nachträglich als Sanierung dieser unzulässigen Abschalteinrichtung ansieht.

[10] Zum Zeitpunkt des Kaufabschlusses hätte ein durchschnittlicher (richtig:) Verkäufer, der zwei idente Fahrzeuge anbietet, eines mit einer von vornherein verordnungskonformen Software und ein zweites mit einer vorerst nicht verordnungskonformen Software, allerdings mit der Zusage der Behebung binnen Jahres‑ oder Zweijahresfrist, das Fahrzeug mit der unzulässigen Software um 10 % günstiger anbieten müssen, damit es gleich gerne gekauft wird.

[11] Die Klägerin begehrt – gestützt auf die Verletzung des Art 5 VO 715/2007/EG als Schutzgesetz, auf arglistige Irreführung nach § 874 ABGB und vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB – die Zahlung von 13.406,42 EUR sA und die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden, der der Klägerin aus dem Kauf des Fahrzeugs und des darin verbauten Motors zukünftig entstehe. Die Beklagte habe der Klägerin durch die Übergabe der Übereinstimmungsbescheinigung (COC‑Papier) zugesichert, dass das Fahrzeug dem genehmigten Typ entspreche. Repräsentanten der Beklagten hätten außerdem bewusst aus reinem Gewinnstreben die Entscheidung getroffen, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verbauen. Die Klägerin habe dadurch einen Schaden erlitten, weil sie ein überteuertes Fahrzeug erworben habe. Sie hätte einen um 30 % geringeren Kaufpreis gezahlt, der auch dem objektiven Minderwert entspreche. Aufgrund der Tatsache, dass die Verjährung gemäß § 1489 Satz 2 ABGB 30 Jahre betrage, sei die Klage rechtzeitig. Die Klägerin habe überdies geglaubt, dass sich ihr Fahrzeug nach dem Software‑Update in einem gesetzmäßigen Zustand befinde; kein Käufer habe vor 2019 von der temperaturabhängigen Abschalteinrichtung wissen können.

[12] Die Beklagte beantragte die Abweisung der Klagebegehren. Sie sei am Kaufvertragsabschluss nicht beteiligt gewesen und habe davon auch keine Kenntnis gehabt. Sie sei nicht Herstellerin des von der Klägerin erworbenen Fahrzeugs und insofern nicht passiv legitimiert. Die Software stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar; die technische Maßnahme sei vom KBA freigegeben worden und sämtliche Fahrzeuge mit dem Dieselmotor EA189 seien auf Kosten der Beklagen technisch überarbeitet worden. Es liege keine Täuschung vor und die Durchführung der technischen Maßnahme (Software‑Update) sei erfolgreich gewesen. Die Beklagte habe in Bezug auf die unzulässige Abschalteinrichtung auf die Freigabe durch das KBA vertrauen dürfen und nicht einmal fahrlässig gehandelt. Die von der Klägerin geltend gemachten Schadenersatzansprüche seien verjährt, weil die hier gegenständliche Thematik bereits seit Mitte September 2015 bekannt und der Klägerin konkret spätestens am 20. Oktober 2015 bekannt geworden sei. Die 30‑jährige Frist des § 1489 Satz 2 ABGB komme nicht zur Anwendung, weil das Verhalten der Beklagten nicht tatbestandlich iSd § 146 StGB sei und diese Bestimmung nur gegenüber dem Schädiger, nicht aber gegen dritte, mithaftende Personen zum Tragen komme.

[13] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Unter Zugrundelegung der dreijährigen Verjährungsfrist seien die Ansprüche der Klägerin mit Oktober 2019 verjährt. Die 30‑jährige Verjährungsfrist komme nicht zur Anwendung, weil die Klägerin zu den Voraussetzungen des Betrugs kein hinreichend substantiiertes Vorbringen erstattet habe.

[14] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin (richtig: teilweise) Folge und gab den Klagebegehren mit Ausnahme eines abgewiesenen Zinsenmehrbegehrens (Zinsenlauf erst ab 18. Februar 2021) statt. In der Verwendung des „Thermofensters“ liege eine unzulässige Abschalteinrichtung, weil technisch bereits ab 2010 eine aktive Abgasreinigung möglich gewesen wäre. Daran änderten die Negativfeststellungen nichts. Die auf die Unzulässigkeit des „Thermofensters“ gestützten Ansprüche seien mangels Kenntnis der Klägerin vor 2019 auch nicht verjährt. Ein Ersatzanspruch ergebe sich aus der Verletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG als Schutzgesetz, weswegen die Beklagte für den – nach § 273 Abs 1 ZPO ermittelten – Minderwert des erworbenen Fahrzeugs hafte. Hinsichtlich des Feststellungsbegehrens ergebe sich das Feststellungsinteresse aus dem drohenden Entzug der Typengenehmigung.

[15] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zur Frage der Verjährung außervertraglicher Ansprüche zu.

[16] Dagegen richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Wiederherstellung des Ersturteils; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[17] Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[18] Die Revision ist zulässig und zum Teil im Sinn einer Wiederherstellung des Ersturteils und zum Teil im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.

[19] 1.1. Dass auf den gegenständlichen Motor die VO 715/2007/EG anwendbar ist, wird von den Streitteilen nicht in Zweifel gezogen.

[20] 1.2. Nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Eine Abschalteinrichtung ist nach der Legaldefinition des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG ein Konstruktionsteil, das die Temperatur, die Fahrzeuggeschwindigkeit, die Motordrehzahl (UpM), den eingelegten Getriebegang, den Unterdruck im Einlasskrümmer oder sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

[21] Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert drei Ausnahmetatbestände vom Verbot von Abschalteinrichtungen. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen dann nicht unzulässig, wenn die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten.

[22] 1.3. Die Beklagte bestreitet – zutreffend (6 Ob 161/22b Rz 15; 10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023, Rz 47) – nicht, dass die zum Erwerbszeitpunkt im gegenständlichen Fahrzeug vorhandene „Umschaltlogik“ eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG war.

[23] 1.4. Mit dem Software‑Update (von der Beklagten „technische Maßnahme“ genannt) wurde die „Umschaltlogik“ beseitigt. Fraglich ist, ob die danach verbleibende temperaturabhängige Abschalteinrichtung („Thermofenster“), nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässig (Standpunkt der Klägerin) oder aufgrund eines Ausnahmetatbestands des Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG zulässig (Standpunkt der Beklagten) ist.

[24] 1.4.1. Dass eine temperaturabhängige Steuerung der Abgasrückführungsrate eine Abschalteinrichtung darstellt, wird von der Beklagten nicht bestritten. Nach der Grundregel des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG sind Abschalteinrichtungen verboten.

[25] 1.4.2. Grundsätzlich hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638; RS0037797). Soweit sich die Beklagte auf eine Ausnahme von diesem Verbot stützt, liegt es daher an ihr, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (6 Ob 155/22w Rz 66; 1 Ob 149/22a Rz 46).

[26] 1.4.3. Die Beklagte stützte sich in diesem Sinn auf Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG , wonach die Abschalteinrichtung, um zulässig zu sein, notwendig sein muss, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten.

[27] 1.4.3.1. In Anbetracht der Tatsache, dass die Ausnahme eng auszulegen ist, kann eine solche Abschalteinrichtung nur dann ausnahmsweise zulässig sein, wenn nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführsystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen.

[28] Dabei ist eine Abschalteinrichtung nur dann „notwendig“ iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG , wenn zum Zeitpunkt der EG‑Typgenehmigung dieser Einrichtung oder des mit ihr ausgestatteten Fahrzeugs keine andere technische Lösung unmittelbare Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall, die beim Fahren eines Fahrzeugs eine konkrete Gefahr hervorrufen, abwenden kann (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 73; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 62; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 74; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 94 f, ÖJZ 2023/16 [Brenn]; 2 Ob 5/23h Rz 26; 6 Ob 155/22w Rz 38 f; 10 Ob 2/23a vom 21. Februar 2023 Rz 59 f).

[29] 1.4.3.2. Es steht aber fest, dass durch SCR‑Systeme der Temperaturbereich des „Thermofensters“ erweitert werden kann und man solche Systeme zur NOx‑Nachbehandlung schon seit zumindest 2010 kannte und sie auch in die nach Amerika exportierten Fahrzeuge verbaut wurden. Diese Möglichkeit wäre auch schon 2010 verfügbar gewesen und das von der Klägerin erworbene Fahrzeug hätte man auch mit einem SCR‑System ausstatten können. Nach diesen Feststellungen stand daher eine andere technische Lösung – nämlich ein SCR‑System in Verbindung mit einem „Thermofenster“ mit erweitertem Temperaturbereich – zur Verfügung, die für den Motor bestehende Risiken und Gefahren abwenden hätte können.

[30] 1.4.3.3. Der Verweis der Beklagten in der Revision auf die weitere Feststellung, wonach diese Systeme der Abgasnachbehandlung bei weitem nicht in der Qualität vorhanden waren, wie sie aufgrund des technischen Fortschritts heute vorhanden sind, legt nicht offen, inwiefern diese Systeme nicht als andere technische Lösung anzusehen sind. Dass eine technische Lösung weiterentwickelt und daher später in höherer Qualität verfügbar wurde, schließt die Anwendung der bereits damals verfügbaren Lösung nicht aus. Soweit die Beklagte überdies behauptet, dass ein SCR‑System kein funktionales Äquivalent für die Nutzung eines „Thermofensters“ darstelle, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus, nach dem durch SCR‑Systeme der Temperaturbereich des „Thermofensters“ vergrößert werden kann. Bei Einsatz dieser anderen Lösung hätte die Wirksamkeit des Abgasrückführungssystems in einem bestimmten Temperaturbereich somit nicht oder weniger stark verringert werden müssen, sodass in diesem Temperaturbereich unmittelbare Risiken für den Motor auf andere Art als durch die Funktion der Abschalteinrichtung abgewendet worden wären.

[31] 1.4.4.1. Nach der Rechtsprechung des EuGH fällt eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, überdies – ungeachtet des Vorliegens der in Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen – nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (EuGH C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, Rn 74, 81; C‑128/20 , GSMB Invest, Rn 65, 70; C‑134/20 , IR gegen Volkswagen, Rn 77, 82; C‑873/19 , Deutsche Umwelthilfe, Rn 90 f; 10 Ob 2/23a vom 21. Februar 2023, Rz 61 f).

[32] 1.4.4.2. Im vorliegenden Fall traf das Erstgericht zum Temperaturbereich, in dem das Abgasrückführungsventil offen (die Abschalteinrichtung also nicht wirksam) ist, eine Negativfeststellung, sodass auch nicht beurteilt werden kann, ob sie den überwiegenden Teil des Jahres (nicht) wirksam ist. Die Beklagte konnte somit nicht nachweisen, dass die gegenständliche Abschalteinrichtung unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG fällt.

[33] 1.5. Als Zwischenergebnis ist somit festzuhalten, dass die (ursprünglich vorhandene und mit dem Software‑Update beseitigte) „Umschaltlogik“ und das (nach dem Software‑Update weiter vorhandene) „Thermofenster“ nach Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtungen sind.

[34] 1.6. Die Beklagte behauptet in der Revision unter dem Stichwort „Grenzwertkausalität“, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung nur vorliege, wenn die reduzierte Wirkung des Emissionskontrollsystems zu einer Überschreitung der gesetzlichen Emissionsgrenzwerte während des genormten NEFZ‑Prüfstandstests führe.

[35] Dem ist nicht zu folgen:

[36] 1.6.1. Die Emissionsgrenzwerte haben den Zweck, zur Verbesserung der Luftqualität die Kraftfahrzeugemissionen zu senken (vgl ErwGr 5, 6 VO 715/2007/EG ) bzw zu begrenzen (Art 4 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG ; Art 3 Z 5 der Verordnung 692/2008/EG der Kommission vom 18. Juli 2008 zur Durchführung und Änderung der Verordnung 715/2007/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen [Euro 5 und Euro 6] und über den Zugang zu Reparatur‑ und Wartungsinformationen für Fahrzeuge, künftig Durchführungsverordnung 692/2008/EG ), was sich primär bei der Verwendung der Fahrzeuge unter normalen Nutzungsbedingungen im praktischen Straßenverkehr auswirken soll (vgl ErwGr 12 VO 715/2007/EG , wonach sichergestellt werden soll, dass sich die Grenzwerte auf das tatsächliche Verhalten der Fahrzeuge bei ihrer Verwendung beziehen).

[37] Den bei Typengenehmigungen durchgeführten Emissionsmessungen liegen aber standardisierte Prüfverfahren (damals der neue Europäische Fahrzyklus, NEFZ) zugrunde. Dies hat den Zweck, zu gewährleisten, dass die Verbraucher und Anwender objektive und genaue Informationen erhalten, und zu verhindern, dass zwischen den Mitgliedsstaaten technische Handelshemmnisse entstehen (ErwGr 17 VO 715/2007/EG ).

[38] Nach der Durchführungsverordnung 692/2008/EG hat der Hersteller dementsprechend zu gewährleisten, dass die bei der Emissionsprüfung ermittelten Werte unter den in dieser Verordnung angegebenen Prüfbedingungen den geltenden Grenzwert nicht überschreiten (Art 3 Z 6 Durchführungsverordnung 692/2008/EG ). Diese Prüfbedingungen sind nach Art 3 Z 2 Durchführungsverordnung 692/2008/EG aus dem Anhang I Tabelle I.2.4 zu ermitteln und ergeben sich bei Fahrzeugen mit Selbstzündungsmotoren, die mit Dieselkraftstoff betrieben werden, hinsichtlich der Emission von gasförmigen Schadstoffen und von Partikeln (Prüfung Typ 1) nach Anhang III Abs 2.1. Durchführungsverordnung 692/2008/EG aus Abs 5.3.1 der Regelung Nr 83 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) – Einheitliche Bedingungen für die Genehmigung der Fahrzeuge hinsichtlich der Emission von Schadstoffen aus dem Motor entsprechend den Kraftstofferfordernissen des Motors (ABl L 375/246) mit den in Anhang III Abs 2 Durchführungsverordnung 692/2008/EG genannten Maßgaben.

[39] 1.6.2. Die im Anhang I VO 715/2007/EG festgelegten Grenzwerte sind daher grundsätzlich ausschließlich für die Emissionsmessung in den festgelegten standardisierten Prüfverfahren von Relevanz, worauf die Beklagte in der Revision selbst verweist. Ein Regelungskonzept dahingehend, dass das Fahrzeug in allen Betriebszuständen – insbesondere im praktischen Fahrbetrieb – die Grenzwerte nicht überschreitet („not‑to‑exceed“-Regelungskonzept), wurde im Rahmen der VO 715/2007/EG lediglich für die Zukunft erwogen und somit bewusst (noch) nicht eingeführt (ErwGr 15 Satz 4 VO 715/2007/EG ). Um zu gewährleisten, dass die bei der Typgenehmigungsprüfung gemessenen Emissionen denen im praktischen Fahrbetrieb entsprechen, wurde vielmehr die Möglichkeit von Überprüfungen und Anpassungen des NEFZ vorgesehen (Art 5 Abs 3, Art 14 Abs 3, ErwGr 15 Satz 1 bis 3 sowie ErwGr 26 VO 715/2007/EG ).

[40] 1.6.3. Dem Risiko, dass die Emissionsgrenzwerte unter Prüfbedingungen eingehalten werden, die Wirkung des Emissionskontrollsystems jedoch ansonsten (unter Bedingungen, die bei normalen Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind) verringert wird, begegnet die VO 715/2007/EG durch das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen.

[41] Dieses Verbot wird nur von drei Ausnahmen durchbrochen. Dass die Ausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG nicht erfüllt ist, wurde bereits dargelegt. Die weitere Ausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit b VO 715/2007/EG ist hier nicht einschlägig. Im Zusammenhang mit der von der Beklagten in der Revision behaupteten Einhaltung der Emissionsgrenzwerte trotz Aktivität der Abschalteinrichtung „Thermofenster“ ist auf die weitere Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG einzugehen. Nach dieser Bestimmung ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, (ausnahmsweise) nicht unzulässig, wenn „die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen im Wesentlichen enthalten sind“. Werden also die Emissionsgrenzwerte in einem Typengenehmigungsverfahren nicht überschritten, obwohl eine Abschalteinrichtung aktiv ist, ist diese für die Einhaltung der Grenzwerte irrelevant; sie kommt mit anderen Worten nur in einer Situation zur Anwendung, die im Typengenehmigungsverfahren „im Wesentlichen enthalten“ ist (vgl Schröder, Thermofenster vor dem EuGH, NZV 2022, 408 [409]).

[42] Das bedeutet, dass bei einer Abschalteinrichtung, deren Wirkung unter Prüfbedingungen auf die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte geprüft werden konnte, keine Umgehung der Messverfahren anzunehmen ist. Eine solche Abschalteinrichtung kann nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG zulässig sein (vgl dazu auch das Vorabentscheidungsersuchen zu 3 Ob 33/23h). Eine Abschalteinrichtung, die unter den genormten Prüfbedingungen nicht aktiv ist – etwa weil sie bei anderen Temperaturen aktiviert wird, als sie während des Prüfstandstests herrschen –, ist daher nicht nach dieser Verbotsausnahme zulässig, weil diesfalls ihre „Bedingungen“ im Prüfverfahren nicht „im Wesentlichen enthalten“ sind.

[43] In diesem Sinn stellte die Kommission jüngst in den Leitlinien zum derzeit geltenden, auf den vorliegenden Fall noch nicht anwendbaren Emissionsprüfungsverfahren (Leitlinien für den Nachweis von Abschalteinrichtungen hinsichtlich der Emission bei auf Emissionen im praktischen Fahrbetrieb [RDE] geprüften Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen und bei schweren Nutzfahrzeugen sowie für Manipulationsschutzmaßnahmen [ABl C 68/01]) ausdrücklich klar, dass eine Emissionsstrategie, die im Emissionsprüfverfahren nicht bewertet (also nicht geprüft) wurde, automatisch als unzulässige Abschalteinrichtung gilt, sofern nicht eine andere Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG vorliegt (Leitlinien ABl C 68/01 Punkt 3.1.).

[44] 1.6.4. Nach Anhang III Abs 2.1. der Durchführungsverordnung 692/2008/EG iVm Absatz 5.3.1 der UN/ECE‑Regelung Nr. 83 muss die Temperatur des Prüfraums während der Prüfung zwischen 20 und 30 Grad Celsius betragen. Da im vorliegenden Fall der Temperaturbereich des Thermofensters nicht feststellbar war, konnte die Klägerin nicht nachweisen, dass die im Fahrzeug vorhandene Abschalteinrichtung im normierten Prüfverfahren im Wesentlichen aktiv ist, sodass sie sich nicht auf die Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG berufen kann. Dass im Fall der hier vorliegenden Abschalteinrichtungen die Bedingungen in den Verfahren zur Prüfung der Verdunstungsemissionen und der durchschnittlichen Auspuffemissionen iSd Art 5 Abs 2 lit c VO 715/2007/EG im Wesentlichen enthalten wären, behauptet die Beklagte auch gar nicht.

[45] Die von der Beklagten in der Revision geforderte Prüfung, ob die Emissionsgrenzwerte unter Prüfbedingungen (NEFZ), die von den normierten abweichen, bei Aktivität der Abschalteinrichtung eingehalten werden, hat nicht stattzufinden (vgl zur Thematik der „Grenzwertkausalität“ auch BGH 26. Juni 2023, VIa ZR 335/21 Rz 51). Der diesbezüglich von der Beklagten in der Revision gerügte sekundäre Feststellungsmangel liegt somit nicht vor.

[46] 1.6.5. Auch eine Prüfung, ob die Emissionsgrenzwerte trotz Aktivität der Abschalteinrichtung „im realen Straßenverkehr“ eingehalten werden (worauf das Erstgericht Bezug nahm), ist nicht durchzuführen. Wie dargelegt, dürfen die Emissionen die festgelegten Grenzwerte unter den in der Durchführungsverordnung angegebenen Prüfbedingungen nicht überschreiten. Für eine Prüfung im Realbetrieb besteht keine Rechtsgrundlage. Soweit der insofern nicht näher begründeten Entscheidung 3 Ob 77/23d etwas anderes entnommen werden kann, ist sie vereinzelt geblieben.

[47] 2. Das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs durch die Klägerin führt aber noch nicht notwendig dazu, dass ein Schadenersatzanspruch zu bejahen ist. Die Klägerin stützte sich zunächst auf eine Verletzung des Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG als Schutzgesetz. Diese Bestimmung richtet sich aber – wie die Beklagte in der Revision zutreffend geltend macht – in Bezug auf das von der Klägerin erworbene Fahrzeug nicht an die Beklagte.

[48] 2.1. Der Oberste Gerichtshof folgerte aus den zugrunde liegenden unionsrechtlichen Vorschriften und der dazu ergangenen Rechtsprechung des EuGH, dass nur derjenigen Person oder Stelle eine Verletzung des Art 5 VO 715/2007/EG zur Last gelegt werden kann, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs auftrat und die Übereinstimmungsbescheinigung ausstellte (ausführlich 6 Ob 161/22b Rz 20 ff; 6 Ob 16/23f Rz 19; vgl 3 Ob 40/23p Rz 32 ff). Der vom Fahrzeughersteller verschiedene Motorenhersteller ist folglich nicht Adressat dieses Schutzgesetzes (so auch BGH 10. Juli 2023 VIa ZR 1119/22).

[49] 2.2. Der von der Klägerin selbst vorgelegte, ihrem Inhalt nach unstrittige (und daher der Entscheidung zugrunde zu legende: RS0121557 [T3]; RS0040083 [T1]) Datenauszug ./W weist nicht die Beklagte, sondern eine andere Gesellschaft als Herstellerin des gegenständlichen Fahrzeugs aus. Auf die Schutzgesetzverletzung kann die Klägerin ihren Schadenersatzanspruch gegen die Beklagte, die nicht Herstellerin des Fahrzeugs ist, daher nicht gründen.

[50] 3. Eine (unmittelbare) Haftung der Beklagten als Herstellerin des Motors ist aber nach § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB möglich (6 Ob 16/23f Rz 21; 6 Ob 84/23f Rz 23 ff; 6 Ob 161/22b Rz 30 ff; 3 Ob 40/23p Rz 34), worauf die Klägerin den von ihr behaupteten Anspruch auch stützte.

[51] 3.1.1. Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RS0016298). Hält der Getäuschte am Vertrag fest, ist der Schaden gemäß § 874 ABGB aufgrund der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln (RS0107864; RS0014750; vgl auch RS0016260 zur Vertragsänderung nach § 872 ABGB; zur im Detail uneinheitlichen Literatur s etwa I. Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch, Klang³ § 874 ABGB Rz 82; Franz, Die Haftung des Herstellers im „Diesel-Skandal“ aus der Perspektive des österreichischen Schadenersatzrechts, ZVR 202, 129 [132]; Riedler, Irrtum, List, Gewährleistung und Schadenersatz – auch vor dem Hintergrund der BGH‑E VI RZ 252/19, ZVR 2020, 320 [326]; Kogler, Falsche Abgaswerte – Rechtsfolgen, SV 2017, 71 [75]). Auch bei arglistiger Irreführung durch Dritte wird somit nach ständiger Rechtsprechung, von der abzugehen kein Anlass besteht, schadenersatzrechtlich ein Ergebnis erzielt, das dem einer Vertragsanpassung gleichkommt. Demnach ist zu fragen, welcher Vermögensstand vorhanden wäre, wenn der Vertrag mit entsprechendem Inhalt zustande gekommen wäre. Auch wenn feststeht, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung das Fahrzeug nicht erworben hätte, kann sie somit durch die Veranlassung der Leistung eines überhöhten Kaufpreises am Vermögen geschädigt worden sein (vgl 4 Ob 1/17a).

[52] 3.1.2. Ein Schadenersatz kommt nach § 874 ABGB aber nur im Fall von List (oder – hier nicht relevanter – ungerechter Furcht) in Betracht (RS0016277). List iSd § 870 ABGB ist rechtswidrige, vorsätzliche Täuschung (RS0014790; RS0014821), wobei dolus eventualis ausreicht (6 Ob 161/22b Rz 34; RS0014837). Das Verhalten des Täuschenden und damit der Irrtum muss für den Vertragsabschluss kausal sein (RS0014790; RS0014821 [T3]): Der Vertragsschließende wird durch die Vorspiegelung falscher Tatsachen in Irrtum geführt oder durch Unterdrückung wahrer Tatsachen in seinem Irrtum belassen oder bestärkt und dadurch zum Vertragsabschluss bestimmt (6 Ob 186/21b Rz 62; RS0014827 [T4, T5]).

[53] Eine Haftung der Beklagten würde somit voraussetzen, dass ihr zurechenbare Personen (Repräsentanten) es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass der gegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung an Fahrzeugkäufer wie die Klägerin verkauft wird, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollen und ohne diesen Irrtum keinen (oder zumindest einen Kaufvertrag mit anderem Inhalt) schließen würden. Ob dies hier – wie die Klägerin im Verfahren substantiiert behauptete – der Fall ist, kann mangels dazu getroffener Feststellungen nicht beurteilt werden.

[54] 3.1.3. Zur behaupteten „Klaglosstellung“ durch Aufspielen des Software‑Updates genügt es, auf die Untauglichkeit der angebotenen Maßnahme, eine Klaglosstellung zu bewirken, zu verweisen. Die Eliminierung der „Umschaltlogik“ vermochte nichts daran zu ändern, dass beim Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung programmiert ist bzw blieb. Wurde – was hier aufgrund fehlender Feststellungen dazu noch nicht beurteilt werden kann – die „Umschaltlogik“ arglistig und in Täuschungsabsicht implementiert, würde selbst eine zwischenzeitige Verhaltensänderung per se weder die Unzulässigkeit der (arglistig entwickelten und eingebauten) Abschalteinrichtung, noch einen von der Beklagten veranlassten Irrtum beseitigen (vgl 6 Ob 84/23f Rz 27 ff).

[55] 3.1.4. Zusammengefasst fehlen zur Beurteilung des auf § 874 ABGB gestützten Schadenersatzanspruchs daher Feststellungen über ein listiges Handeln der (Vertreter der) Beklagten.

[56] 3.2.1. Letzteres trifft auch auf die von der Klägerin weiters angezogene Anspruchsgrundlage des § 1295 Abs 2 ABGB zu.

[57] 3.2.2. Dem Klagevorbringen ist die Behauptung zu entnehmen, der Beklagten zuzurechnende Personen hätten vorsätzlich bewirkt bzw dazu beigetragen, dass Fahrzeuge mit unzulässiger Abschalteinrichtung in Verkehr gebracht und verkauft wurden, die Käufer wie die Klägerin bei entsprechender Aufklärung nicht gekauft hätten.

[58] 3.2.3. Eine solche (vorsätzliche) Einwirkung auf die Willensbildung Dritter, die zum Abschluss eines nachteiligen Vertrags führt, wäre auch als sittenwidrige Schädigung iSd § 1295 Abs 2 ABGB zu beurteilen und würde somit den geltend gemachten Ersatz des – nach den oben zu § 874 ABGB dargestellten Grundsätzen (ErwGr 3.1.1.) zu ermittelnden – Schadens dem Grunde nach rechtfertigen.

[59] 3.3. Als weiteres Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass die von der Klägerin geltend gemachten Anspruchsgrundlagen gemäß den §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB das Klagebegehren grundsätzlich begründen könnten. Zur diesbezüglichen Beurteilung wären jedoch Feststellungen dazu erforderlich, ob die der Beklagten zuzurechnenden Personen (Repräsentanten) es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass Fahrzeuge mit dem von ihr hergestellten Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen waren und an Fahrzeugkäufer wie die Klägerin verkauft wurden, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollten und ohne diesen Irrtum keinen (oder einen Vertrag mit anderem Inhalt) geschlossen hätten.

[60] 4. Die Beklagte wendet die Verjährung der geltend gemachten Ansprüche ein. Für die auf eine Schutzgesetzverletzung gestützten Schadenersatzansprüche erübrigt sich eine dahingehende Prüfung, weil solche gegenüber der Beklagten als bloße Motorenherstellerin nicht bestehen (oben ErwGr 2. ff). Dem Einwand könnte somit nur hinsichtlich der auf §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB gestützten Schadenersatzansprüche Bedeutung zukommen. Entgegen der in der Revision vertretenen Rechtsauffassung sind diese aber nicht verjährt.

[61] 4.1.1. Die kurze Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Ersatzberechtigte sowohl den Schaden als auch den Ersatzpflichtigen so weit kennt, dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann (RS0034524). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RS0034951 [T1, T2, T4 bis T7] uva). Der anspruchsbegründende Sachverhalt muss dem Geschädigten zwar nicht in allen Einzelheiten, aber doch so weit bekannt sein, dass er in der Lage ist, das zur Begründung seines Anspruchs erforderliche Sachvorbringen konkret zu erstatten (RS0034524 [T24]). Hat der Geschädigte als Laie keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährung nicht zu laufen (RS0034603).

[62] 4.1.2. Nach den Feststellungen erfuhr die Klägerin zwar 2016 durch ein Schreiben der Generalimporteurin vom „Abgasskandal“ und davon, dass ihr Fahrzeug davon betroffen war. Allerdings wurde ihr ein Software‑Update angeboten, das eine „technische Lösung“ für das Problem bieten sollte und das die Klägerin auch in Anspruch nahm.

[63] 4.1.3. Darf der Geschädigte annehmen, dass der aufgetretene Schaden behoben ist, besteht für ihn nicht der geringste Anlass zur Verfolgung von – für ihn rein hypothetischen – weiteren Ersatzansprüchen, und sei es auch in Form einer Feststellungsklage. Die Sachlage ist dann nicht anders, als wenn der Betroffene von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat (RS0034426). Es wäre nicht sinnvoll, dem Geschädigten zur Wahrung seiner Interessen die Erhebung einer Klage aufzuerlegen, obwohl weitere Schadensfolgen nicht vorhersehbar sind und daher die Überzeugung gerechtfertigt erscheint, dass die Geltendmachung weiterer Ansprüche nicht in Betracht komme. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Geschädigte mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden zur Gänze behoben ist (9 Ob 33/23b ErwGr 7.; 1 Ob 82/00s mwN).

[64] 4.1.4. Ausgehend von diesen Grundsätzen war ein allfälliger Anspruch bei Klagseinbringung noch nicht verjährt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin bereits 2016 Kenntnis von Schaden und Schädiger hatte, konnte sie aufgrund des Verhaltens der Beklagten, die eine mit den Behörden abgestimmte „technische Lösung“ entwickelte und auch die Kosten für die „technische Überarbeitung“ des gegenständlichen Motors (das Aufspielen des Software‑Updates) trug, mit gutem Grund davon ausgehen (und ging sie auch davon aus), dass der bei Erwerb des Fahrzeugs vorliegende Mangel behoben wurde (9 Ob 33/23b ErwGr 8.). Damit erschien eine Klagsführung aber überflüssig.

[65] Die dreijährige Verjährungsfrist beginnt damit im vorliegenden Fall zu dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Klägerin davon Kenntnis erlangte, dass trotz des Software‑Updates nach wie vor eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden sei. Die geltend gemachten Ansprüche waren demnach bei Klagseinbringung auch unter Zugrundelegung der dreijährigen Verjährungsfrist noch nicht verjährt.

[66] 5.1. Die Rechtssache ist somit noch nicht entscheidungsreif, weil keine Feststellungen getroffen wurden, die die Beurteilung des (noch revisionsgegenständlichen Teils des) Leistungsbegehrens nach den Anspruchsgrundlagen des § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB zulassen. Dies macht die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung der Rechtssache an das Erstgericht erforderlich.

[67] 5.2. Soweit die Beklagte in der Revision die Beurteilung des Berufungsgerichts in Zweifel zieht, wonach der eingetretene Schaden unter Heranziehung des § 273 ZPO zu bemessen sei, ist die Anwendung des § 273 ZPO grundsätzlich nicht zu beanstanden. Da das Ergebnis der Anwendung die Höhe des geltend gemachten Schadenersatzanspruchs betrifft, erübrigen sich im derzeitigen Verfahrensstadium, in dem der Schadenersatzanspruch dem Grunde nach zu klären ist, weitere Ausführungen dazu.

[68] Soweit die Beklagte geltend macht, dass durch das Software-Update die ursprüngliche „Umschaltlogik“ beseitigt worden sei und das von der Klägerin behauptete „Thermofenster“, unabhängig davon, ob es rechtmäßig sei oder nicht, keinen Einfluss auf einen beim Kauf vorhandenen Minderwert habe, ist sie bereits jetzt darauf zu verweisen, dass der erkennende Senat zu 10 Ob 2/23a (Endurteil vom 25. April 2023, Rz 36) dargelegt hat, dass, wenn durch das angebotene Software-Update zwar der „Umschaltmodus“ beseitigt wird, aber infolge eines „Thermofensters“ eine unzulässige Abschalteinrichtung weiter aktiv ist, dies nicht zur Beseitigung der Unsicherheit hinsichtlich der Nutzungsmöglichkeit und des ungewollten Zustands des Vermögens des Käufers (einem Fahrzeug, bei dem die zulassungsrechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden) führt. Dem haben sich in der Folge bereits andere Senate des Oberen Gerichtshofs angeschlossen (9 Ob 33/23b; 6 Ob 150/22k Rz 44).

[69] 6. Hinsichtlich des von der Klägerin erhobenen Feststellungsbegehrens zeigt die Revision hingegen zutreffend auf, dass dieses nicht berechtigt ist.

[70] 6.1. Das Erstgericht ging bei seiner abweisenden Entscheidung davon aus, dass der im Verfahren erster Instanz von der Klägerin vorgetragene, zukünftig für möglich erachtete Schaden an den Bauteilen des Fahrzeugs ausgeschlossen sei. Diese Beurteilung wurde von der Klägerin schon in der Berufung nicht mehr bekämpft, sodass darauf nicht weiter einzugehen ist.

[71] 6.2. Die Klägerin stützte die Berechtigung des Feststellungsbegehrens in der Berufung (ausschließlich) auf einen in der Zukunft möglichen (weiteren) Vermögensschaden aufgrund des drohenden Entzugs der Zulassung.

[72] Dafür haftet die Beklagte allerdings nicht, weil das Risiko des Entzugs der Zulassung bereits in die Bemessung des Schadenersatzes einfließt. Dadurch wird letztlich jener Zustand hergestellt, der bei Kenntnis vom Bestehen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vorliegen würde. Aufgrund der Entscheidung des Erwerbers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs, das Fahrzeug in seinem Vermögen zu behalten und nicht eine mögliche Zug-um-Zug-Abwicklung, sondern den Ersatz des Minderwerts zu begehren, geht er das Risiko des – von ihm als möglich angesehenen – Zulassungsentzugs vielmehr bewusst ein. Der Umstand, dass sich dieses Risiko in weiterer Folge verwirklicht, ist daher nicht zusätzlich zum dadurch geminderten Wert des Fahrzeugs bei Vertragsabschluss ersatzfähig, sondern damit bereits abgegolten (jüngst 10 Ob 27/23b Rz 44).

[73] 7.1. Insgesamt war der Revision somit Folge zu geben, das abweisende Ersturteil hinsichtlich des Feststellungsbegehrens als Teilurteil wiederherzustellen und die Entscheidungen der Vorinstanzen im übrigen (revisionsgegenständlichen) Umfang aufzuheben und dem Erstgericht insofern eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzutragen.

[74] 7.2. Der Kostenvorbehalt beruht hinsichtlich des Teilurteils auf § 52 Abs 4 ZPO und im Übrigen auf § 52 Abs 1 ZPO.

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