OGH 3Ob40/23p

OGH3Ob40/23p6.9.2023

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Höllwerth als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon.‑Prof. Dr. Brenn, die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun‑Mohr und Dr. Kodek und den Hofrat Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1) „A*“ * Gesellschaft mbH, *, und 2) A* AG, *, Deutschland, beide vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 29.688,40 EUR sA, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 30. November 2022, GZ 5 R 67/22w‑40, mit dem das Urteil des Landesgerichts Leoben vom 16. November 2021, GZ 4 Cg 13/20y‑31, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0030OB00040.23P.0906.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

I. Der angefochtene Beschluss wird in Ansehung des gegen die erstbeklagte Partei erhobenen Klagebegehrens einschließlich der Eventualbegehren aufgehoben und es wird in der Sache selbst dahin zu Recht erkannt, dass insoweit das klagsabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die Kostenentscheidung bleibt der Endentscheidung vorbehalten.

II. Im Übrigen, nämlich in Ansehung des gegen die zweitbeklagte Partei erhobenen Klagebegehrens, wird der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts bestätigt.

Insoweit sind die Kosten des Rekursverfahrens weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Erstbeklagte ist Vertragshändlerin für Fahrzeuge des VW‑Konzerns. Am 25. 2. 2017 schloss sie mit der Klägerin einen Vertrag über den Kauf des am 22. 5. 2013 erstmals zum Verkehr zugelassenen FahrzeugsVW Touareg V6 3.0 TDI, FIN *, mit einem Kilometerstand von 76.600 km um 35.990 EUR. Dieses Fahrzeug ist mit dem Dieselmotortyp EU5 Generation 2 EA896 (3,0 Liter) ausgestattet. Abgasrelevante Umstände waren nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen. Der Geschäftsführer der Klägerin hätte das Fahrzeug nicht gekauft, wenn er gewusst hätte, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist.

[2] Der Motor des Klagsfahrzeugs enthielt keine Umschaltlogik für die Abgasrückführung. Er verfügt aber über ein Thermofenster mit einem Temperaturbereich zwischen 17 und 33 Grad Celsius. Außerhalb des Thermofensters wird die Emissionskontrolle (Emissionsminderung) negativ beeinflusst. Die NOx‑relevante Abgasrückführung wird dabei außerhalb des Temperaturbereichs abrupt reduziert.

[3] Die Zweitbeklagte ist eine dem VW‑Konzern zugehörige Automobilherstellerin, die die Motorenbau-reihe EA896 federführend entwickelt und hergestellt hat. Repräsentanten der Zweitbeklagten, nicht aber jene der Erstbeklagten und der Klägerin, waren in Kenntnis davon, dass beim Motor des Klagsfahrzeugs ein Thermofenster installiert ist. Über die damit verbundene NOx‑Problematik wurde in den Medien seit 2015 als VW‑Abgasskandal berichtet. Die Klägerin erfuhr von diesen Umständen erst im Herbst 2019.

[4] Das Fahrzeug verfügt über eine aufrechte Typengenehmigung nach der VO 715/2007/EG . Danach werden die Emissionsgrenzwerte der Euro‑5‑Norm erfüllt; konkret weist das Fahrzeug zulassungsrelevant einen NOx‑Wert von 0,1455 g/km auf. Zum gegenständlichen Fahrzeugmodell erfolgten im Gegensatz zu anderen Modellen, die mit diesem Motortyp ausgestattet sind, keine Maßnahmen der Typengenehmigungsbehörde (KBA).

[5] Zum gegenständlichen Motortyp existiert zwischenzeitlich ein Software-Update, durch das NOx‑Emissionen bei kälteren Temperaturen reduziert werden. Dabei handelt es sich um eine freiwillige, von der Typengenehmigungsbehörde nicht angeordnete Maßnahme, die beim Klagsfahrzeug nicht vorgenommen wurde.

[6] Die Klägerin begehrte, die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 29.688,40 EUR sA Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu verpflichten; hilfsweise stellte sie ein Eventualbegehren. Beim Klagsfahrzeug sei eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut, ohne die die gesetzlichen Grenzwerte nicht eingehalten worden wären und die Typengenehmigung versagt worden wäre. In Kenntnis dieses Umstands hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Die Abgasmanipulationen seien von der Zweitbeklagten veranlasst worden und dieser bekannt gewesen. Das von der Zweitbeklagten aufgrund einer technischen Weiterentwicklung in den letzten Jahren vorhandene Software‑Update sei beim Klagsfahrzeug nicht durchgeführt worden. Als Benützungsentgelt lasse sich die Klägerin einen Betrag von 6.301,60 EUR anrechnen, der sich aus der gefahrenen Kilometerleistung von 39.117 km und der zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 223.407 km ergebe. Aufgrund des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung liege nicht nur eine Mangelhaftigkeit, sondern (auf ihrer Seite) auch ein Geschäftsirrtum vor, den die Erstbeklagte veranlasst habe, weil sie das Fahrzeug als „ganz normales Auto“ beworben habe. Die geltend gemachten Ansprüche seien nicht verjährt, weil die Gewährleistungsfrist für einen Rechtsmangel in jenem Zeitpunkt zu laufen beginne, in dem der Übernehmer vom Mangel Kenntnis erlange. Außerdem mache die Rechtsprechung auch bei Sachmängeln hinsichtlich des Beginns der Gewährleistungsfrist eine Ausnahme, sofern eine nicht sofort überprüfbare Eigenschaft vertraglich zugesichert worden sei. Hinsichtlich der Zweitbeklagten könne vor Kenntnis der Klägerin vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung die Verjährung nicht beginnen.

[7] Die Beklagten entgegneten, dass das Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung aufweise. Das vorhandene Thermofenster sei aus Gründen des Bauteil- und Motorenschutzes erforderlich. Das Fahrzeug verfüge über eine aufrechte Typengenehmigung für die Emissionsklasse Euro 5 und habe zu jeder Zeit dem genehmigten Typ entsprochen. Es drohe weder ein Widerruf der Typengenehmigung noch das Erlöschen der Zulassung. Auch die Voraussetzungen für eine Irrtumsanfechtung seien nicht gegeben. Das Benützungsentgelt ergebe sich aus der Differenz zwischen dem angemessenen Kaufpreis im Zeitpunkt des Kaufvertrags und dem Händlereinkaufspreis als Weiterverkaufspreis im Zeitpunkt des Rückabwicklungsbegehrens, wobei sich die Klägerin den Nutzungsvorteil bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz anrechnen lassen müsse. Die Klägerin nehme die Zweitbeklagte zu Unrecht wegen Schadenersatz in Anspruch, zumal diese weder Herstellerin noch Verkäuferin des Klagsfahrzeugs sei. Darüber hinaus werde der Einwand der Verjährung erhoben. Gegenüber der Erstbeklagten müssten Gewährleistungsansprüche spätestens zwei Jahre nach Übergabe des Fahrzeugs (am 27. 2. 2017) geltend gemacht werden. Die Klage sei jedoch erst am 12. 2. 2020 eingebracht worden. Auch allfällige Schadenersatzansprüche seien verjährt, weil die NOx‑Thematik bereits seit Mitte September 2015 bekannt sei.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren einschließlich der Eventualbegehren ab. Die Kostenentscheidung behielt es bis zur rechtskräftigen Erledigung der Streitsache vor. Das im Klagsfahrzeug vorhandene Thermofenster sei eine Abschalteinrichtung, die iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG notwendig sei, um den Motor vor Beschädigung zu schützen. Es handle sich daher um keine unzulässige Abschalteinrichtung. Ein Rechtsmangel liege schon deshalb nicht vor, weil die Typengenehmigung samt Übereinstimmungsbescheinigung und die behördliche Zulassung aufrecht seien. Eine irrtumsrelevante Fehlvorstellung oder ein rechtswidrig herbeigeführter Schaden der Klägerin setze eine unzulässige Abschalteinrichtung voraus.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Im Anlassfall sei unklar, ob es sich beim vorhandenen Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handle. Dies sei nicht der Fall, wenn die Beklagte den Beweis erbringe, dass durch diese Abschalteinrichtung schwerwiegende und unmittelbare Beschädigungen des Motors oder Verkehrsunfälle, die eine konkrete Gefahr beim Betrieb des Fahrzeugs seien, vermieden werden könnten, sowie dass die Abschalteinrichtung nicht den überwiegenden Teil des Jahres aktiv bleibe. Handle es sich demgegenüber um eine unzulässige Abschalteinrichtung, so liege ein nicht geringfügiger Mangel iSd § 932 Abs 4 ABGB vor. Da diese Umstände ungeklärt seien, sei das Verfahren zu ergänzen. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil das Höchstgericht zu den in der Entscheidung des EuGH zu C‑145/20 aufgeworfenen Fragen, insbesondere zur Haftung der Zweitbeklagten und zu den Folgen der Rückabwicklung, noch nicht Stellung genommen habe.

[10] Gegen den Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts richtet sich der Rekurs der Klägerin mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss zu beheben und in der Sache dahin selbst zu entscheiden, dass dem Klagebegehren stattgegeben werde.

[11] Mit ihrer Rekursbeantwortung beantragen die Beklagten, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Rekurs ist zulässig und teilweise berechtigt. Der Umstand, dass der Rekurs von der Klägerin erhoben wurde, hindert nicht die Entscheidung in der Sache selbst auch zum Nachteil der Rekurswerberin, weil der Grundsatz der Unzulässigkeit der „reformatio in peius“ im Rekursverfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss nicht gilt (RS0043903; RS0043939).

[13] Im Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss vertritt die Klägerin den Standpunkt, das Berufungsgericht hätte mangels der Notwendigkeit weiterer Beweisaufnahmen dem Klagebegehren stattgeben müssen. Inhaltlich beruft sie sich im Verhältnis zur Erstbeklagten auf einen (angeblich nicht verjährten) Sachmangel. Die Zweitbeklagte sei zum Schadenersatz verpflichtet, weil diese eine qualifizierte Sorglosigkeit treffe. In der Berufung hat sich die Klägerin gegenüber der Erstbeklagten (allgemein) auf eine Mangelhaftigkeit sowie auf das Vorliegen eines Geschäftsirrtums berufen.

[14] Die Beklagte behauptet in der Rekursbeantwortung, dass die vorhandene Abschalteinrichtung aus Gründen des Motorschutzes zulässig sei, sowie dass die durchschnittliche Umgebungstemperatur während der Fahrzeugnutzung im Unionsgebiet (jährlich) bei 12 Grad Celsius sowie in den Monaten Mai bis Oktober bei knapp unter 18 Grad Celsius liege. Die Zweitbeklagte könne sich zufolge Vorhandenseins und Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung auf das Vorliegen eines entschuldbaren Rechtsirrtums stützen.

Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

1. Unzulässige Abschalteinrichtung:

[15] 1.1 In der Entscheidung zu C‑145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen (ÖJZ 2022/114 [Brenn]), hat der EuGH ausgesprochen, dass Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG dahin auszulegen ist, dass eine Abschalteinrichtung, die insbesondere die Einhaltung der in dieser Verordnung vorgesehenen Emissionsgrenzwerte nur gewährleistet, wenn die Außentemperatur zwischen 15 und 33 Grad Celsius liegt, nach dieser Bestimmung allein unter der Voraussetzung zulässig sein kann, dass nachgewiesen ist, dass diese Einrichtung ausschließlich notwendig ist, um die durch eine Fehlfunktion eines Bauteils des Abgasrückführungssystems verursachten unmittelbaren Risiken für den Motor in Form von Beschädigung oder Unfall zu vermeiden, Risiken, die so schwer wiegen, dass sie eine konkrete Gefahr beim Betrieb des mit dieser Einrichtung ausgestatteten Fahrzeugs darstellen. Eine Abschalteinrichtung, die unter normalen Betriebsbedingungen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, damit der Motor vor Beschädigung oder Unfall geschützt und der sichere Betrieb des Fahrzeugs gewährleistet ist, kann jedenfalls nicht unter die in Art 5 Abs 2 lit a leg cit vorhandene Ausnahme fallen.

[16] 1.2 In dem in Anschluss an diese Entscheidung des EuGH vom Obersten Gerichtshof am 21. 2. 2023 zu 10 Ob 2/23a gefällten Urteil wurde beurteilt, dass ein Thermofenster, aufgrund dessen der emissionsmindernde Betriebsmodus nicht mehr nur im Prüfbetrieb, sondern auch im Fahrbetrieb zum Einsatz kommt, allerdings nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius voll wirksam ist, unzweifelhaft als Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist. Eine solche Abschalteinrichtung ist iSd Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG jedenfalls unzulässig, wenn sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen den überwiegenden Teil des Jahres funktionieren müsste, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten (vgl auch 3 Ob 140/22t; 3 Ob 142/22m). Die zuletzt genannte Voraussetzung ist bei einem Thermofenster, bei dem die Abgasrückführung nur bei Außentemperaturen zwischen 15 und 33 Grad Celsius und – aufgrund der im europäischen (österreichischen) Raum herrschenden klimatischen Verhältnisse – nur in vier oder fünf Monaten im Jahr voll aktiv ist, während im überwiegenden Teil des Jahres die Abgasrückführung durch die Abschalteinrichtung reduziert ist, erfüllt. Im Hinblick darauf ist das fragliche Thermofenster nach der Rechtsprechung des EuGH selbst dann nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG zulässig, wenn sie im konkreten Fall erst einsetzen würde, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten. Ein solches Thermofenster fällt daher nicht unter die Verbotsausnahme des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG .

[17] 1.3 Im Anlassfall erfasst das im Motor des Klagsfahrzeugs implementierte Thermofenster den Temperaturbereich von 17 bis 33 Grad Celsius Außentemperatur. Außerhalb dieses Temperaturbereichs wird die Abgasrückführung (Emissionsminderung) abrupt reduziert. Dieses Thermofenster ist sogar noch enger als beim Motortyp EA189 und daher jedenfalls eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG . In einem solchen Fall kommt es auf die in Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG normierten Voraussetzungen des Motorschutzes nicht an. Es bleibt daher ohne Bedeutung, ob die Abschalteinrichtung in ihrer Funktionsweise für den Motorschutz erforderlich ist oder nicht. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es auch nicht auf die durchschnittliche Umgebungstemperatur im Unionsgebiet an.

[18] Daraus folgt, dass es sich bei dem in Rede stehenden Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG handelt. Entgegen der Beurteilung des Berufungsgerichts liegen in dieser Hinsicht keine sekundären Feststellungsmängel vor.

2. Sachmangel:

[19] 2.1 Die Erstbeklagte erhob in der Klagebeantwortung den Einwand der Verjährung, weil Gewährleistungsansprüche spätestens zwei Jahre nach Übergabe des Fahrzeugs geltend gemacht werden müssten. Dazu entgegnete die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren, dass die Gewährleistungsfrist für einen Rechtsmangel erst in jenem Zeitpunkt zu laufen beginne, in dem der Übernehmer vom Mangel Kenntnis erlangt habe. Auch bei Sachmängeln mache die Rechtsprechung hinsichtlich des Beginns der Gewährleistungsfrist eine Ausnahme, sofern eine nicht sofort überprüfbare Eigenschaft vertraglich zugesichert worden sei.

[20] 2.2 Bei Sachmängeln beginnt die Gewährleistungsfrist mit der körperlichen Übergabe der Sache zu laufen. Der Beginn des Laufs der Gewährleistungsfrist wird nicht dadurch hinausgeschoben, dass im angegebenen Zeitpunkt der Ablieferung die Entdeckung des Mangels noch nicht möglich war (RS0018982; 8 Ob 113/21g). Entgegen der Argumentation der Klägerin wäre auch nicht von einer im Vertrag zugesicherten (abgasrelevanten) Eigenschaft auszugehen, weil solche Umstände nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen waren. Nach der Rechtsprechung ist das Nichtvorhandensein einer Abschalteinrichtung keine zugesicherte, sondern eine gewöhnlich vorausgesetzte Eigenschaft (3 Ob 148/22v).

[21] 2.3 Die Klägerin ließ das Vorbringen der Beklagten, dass das Fahrzeug am 27. 2. 2017 übergeben wurde, unbestritten. Davon ausgehend war die Gewährleistungsfrist (§ 933 ABGB idF vor dem Gewährleistungs-RL-Umsetzungsgesetz BGBl I 2021/175) bei Einbringung der Klage am 12. 2. 2020 bereits abgelaufen.

3. Rechtsmangel:

[22] 3.1 Auf einen Rechtsmangel geht die Klägerin im Rekurs an den Obersten Gerichtshof nicht mehr ein. Der in ihrer Berufung enthaltene Hinweis auf die Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung könnte sich aber auch auf das Vorliegen eines Rechtsmangels beziehen.

[23] 3.2 In dieser Hinsicht ist maßgebend, dass bei Übergabe des Fahrzeugs – so wie auch derzeit noch – die Typengenehmigung aufrecht war.

[24] Nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 3 Ob 5/07t begründet die Möglichkeit der nachträglichen Abänderung oder Aufhebung einer behördlichen Genehmigung für die Benützbarkeit eines Fahrzeugs im Straßenverkehr keinen bei der Übergabe vorhandenen Rechtsmangel (§ 924 ABGB). Eine Abänderung oder Aufhebung eines rechtskräftigen Genehmigungsbescheids nach § 68 AVG wirke nur ex nunc, also für die Zukunft, und nicht auf den Zeitpunkt der Übergabe zurück. Schon deshalb könne die rein hypothetische Möglichkeit einer Änderung oder Beseitigung nicht zur Wandlung berechtigen. Ein derartiger Fall sei mit einer – einen Rechtsmangel begründenden – gegen jederzeitigen Widerruf erteilte Baubewilligung bei einem Haus nicht vergleichbar.

[25] 3.3 An diesen Grundsätzen ist auch hinsichtlich der EG‑Typengenehmigung, die aufgrund der Übereinstimmungsbescheinigung zur Zulassung im Inland führt, festzuhalten. Der Rechtsmangel besteht im Fehlen der behördlichen Zulassung, sodass das Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr nicht in Betrieb genommen werden darf. Maßgebender Zeitpunkt für das Vorliegen dieses Rechtsmangels ist jener der Übergabe. Die zu diesem Zeitpunkt bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typengenehmigung bzw die bloß befürchtete, also nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung ist demnach kein Rechtsmangel. Soweit aus dem Unterbrechungsbeschluss zu 8 Ob 113/21g etwas Anderes ableitbar sein sollte, wird dieser Entscheidung nicht gefolgt.

[26] Da im Anlassfall die EG-Typengenehmigung und die Zulassung für das Klagsfahrzeug nach wie vor aufrecht sind und keine behördlichen Nutzungsverbote oder Nutzungsbeschränkungen gegeben sind, besteht kein Rechtsmangel. Argumente, warum trotz der dargelegten Rechtsgrundsätze dennoch ein beachtlicher Rechtsmangel vorliegen soll, hat die Klägerin auch nicht vorgetragen. Sie kann sich damit auch nicht auf einen Rechtsmangel stützen.

4. Irrtum:

[27] 4.1 Die Klägerin hat sich im erstinstanzlichen Verfahren sowie in der Berufung (nicht aber im Rekurs an den Obersten Gerichtshofs) auch auf das Vorliegen eines wesentlichen, von der Erstbeklagten veranlassten Geschäftsirrtum gestützt.

[28] 4.2 Bei der Irrtumsanfechtung gemäß § 871 ABGB muss der Kläger einen Sachverhalt behaupten, aus dem sich ergibt, dass sein Geschäftsirrtum (hier über eine für das Geschäft bedeutsame Eigenschaft) wesentlich war und entweder vom Beklagten veranlasst wurde oder diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste oder rechtzeitig aufgeklärt wurde (RS0093831). Nach der Rechtsprechung bedeutet „veranlassen“ nur eine adäquate Verursachung des Irrtums. Absichtlich oder zumindest fahrlässige Irreführung wird nicht vorausgesetzt; es genügt jedes für die Entstehung des Irrtums ursächliche Verhalten (RS0016195; RS0016188; 8 Ob 25/10z). In dieser Hinsicht kommen etwa unrichtige Werbeaussagen in Betracht, die einer Sache in Wahrheit nicht vorhandene Eigenschaften zumessen (vgl 7 Ob 177/98z). Ein Irrtum wird iSd § 871 ABGB auch dann „durch den anderen Teil veranlasst“, wenn er nicht vom Vertragspartner selbst, sondern von einer Person hervorgerufen wurde, die für den Vertragspartner beim Vertragsabschluss oder bei dessen Vorbereitung tätig war (RS0016196). (Verhandlungs-) Gehilfen, derer sich der Vertragspartner des Irrenden bei den Vertragsverhandlungen bedient, sind nicht Dritte iSd § 875 ABGB, soweit sie im Rahmen des Auftrags tätig sind (RS0016309; 8 Ob 46/15w).

[29] 4.3 Aus den Feststellungen ergibt sich, dass konkrete Eigenschaften, insbesondere auch motor- oder abgasbezogene Eigenschaften des Klagsfahrzeugs nicht Gegenstand der Vertragsverhandlungen waren. Auch für bestimmte dahingehende Werbeaussagen bestehen keine Anhaltspunkte. Aus dem Umstand, dass sich die Klägerin ein „normales Auto“ gewünscht hat, kann keine Veranlassung eines Irrtums durch die Erstbeklagte abgeleitet werden.

[30] Nach den Feststellungen wusste die Erstbeklagte nicht, dass beim Motor des Klagsfahrzeugs das erwähnte Thermofenster installiert war. Aus diesem Grund kann der Erstbeklagten auch nicht die Verletzung der gebotenen Aufklärung angelastet werden. Die Repräsentanten der Zweitbeklagten, bei der es sich nicht einmal um die Herstellerin des Fahrzeugs handelt, waren auch nicht etwa Verhandlungsgehilfen der Erstbeklagten.

[31] 4.4 Damit scheitert auch die Irrtumsanfechtung gegenüber der Erstbeklagten.

5. Schadenersatz gegen den Hersteller:

[32] 5.1 Die Klägerin nimmt die Zweitbeklagte wegen Schadenersatz in Anspruch, wobei sie ihr insbesondere die Beteiligung an den Abgasmanipulationen vorwirft. Der Vorstand der Zweitbeklagten habe Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung gehabt. Die Beklagte hat dazu bereits in der Klagebeantwortung und auch im Schriftsatz ON 11 das Begehren auf Schadenersatz mit dem Argument bestritten, dass sie nicht Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei.

[33] 5.2 Grundlage für die Bejahung der deliktischen Haftung des „Herstellers“ gegenüber einem Fahrzeugkäufer durch den EuGH (C‑100/21 , Mercedes Benz Group) ist der Umstand, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung iSd Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausgestattet ist. Diese Verordnung regelt unter anderem die Anforderungen, die die Hersteller von Neufahrzeugen zu erfüllen haben, um die EG‑Typengenehmigung zu erhalten (Art 5 leg cit). Sie richtet sich – so wie auch die Rahmenrichtlinie 2007/46/EG – bereits nach dem Titel und dem Regelungszweck an den Fahrzeughersteller. Dementsprechend bezieht auch der EuGH die Verbindung zwischen dem Käufer und dem Hersteller, auf den der Gerichtshof den Schutz der Einzelinteressen des Fahrzeugkäufers gegen den Hersteller gründet, auf den Hersteller, der in seiner Eigenschaft als Inhaber einer EG‑Typengenehmigung die Übereinstimmungsbescheinigung beizulegen hat. Inhaber der EG-Typengenehmigung ist der Hersteller des Fahrzeugs (vgl auch Art 3 Nr 27 der Rahmenrichtlinie 2007/46/EG ). Eine deliktische Haftung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung trifft daher (nur) den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG‑Typengenehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat.

[34] 5.3 Eine (unmittelbare) Haftung der Zweit-beklagten als Herstellerin des Motors ist aber nach § 1295 Abs 2 und § 875 ABGB denkbar. Die Klägerin hat sich im erstinstanzlichen Verfahren gegenüber der Zweitbeklagten auch auf deliktischen Schadenersatz iSd § 875 ABGB berufen und vorgebracht, dass die von der Zweitbeklagten vorsätzlich getätigten Manipulationen verschwiegen worden seien, um sich durch den gesteigerten Verkauf Vorteile zu verschaffen. Das Berufungsgericht ging in seiner aufhebenden Entscheidung auch dazu von einem Erörterungs- und Ergänzungsbedarf aus, indem es ausführte, dass es bei Bejahung einer unzulässigen Abschalteinrichtung Sache der Klägerin sei, die Voraussetzungen des von dieser geltend gemachten Rechtsgrundes und gegebenenfalls dessen Zurechnung zur Zweitbeklagten nachzuweisen. In ihrem Rekurs spricht die Klägerin zwar nur von einer qualifizierten Sorglosigkeit der Zweitbeklagten und referiert dazu eine Entscheidung des BGH zur „sekundären Darlegungslast“ der Zweitbeklagten hinsichtlich der Manipulationen, an denen diese beteiligt gewesen sei. Daraus kann nicht abgeleitet werden, dass sie die Geltendmachung eines allfälligen auf § 875 ABGB gestützten Anspruchs fallengelassen hätte.

6. Ergebnis:

[35] 6.1 Zusammenfassend folgt, dass die vom Berufungsgericht erkannten sekundären Feststellungsmängel zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht bestehen. In Ansehung der Erstbeklagten war eine Sachentscheidung dahin möglich, dass das Klagebegehren einschließlich der Eventualbegehren insgesamt abzuweisen war, weil sich die Klägerin weder auf Gewährleistung noch auf Irrtum stützen kann. In Ansehung der Zweitbeklagten ging das Berufungsgericht von einem Erörterungs- und Ergänzungsbedarf aus. Erachtet das Berufungsgericht ausgehend von einer zutreffenden oder (wie hier) im Rechtsmittel nicht beanstandeten Rechtsansicht den Sachverhalt für ergänzungsbedürftig oder die Sach- und Rechtslage für erörterungsbedürftig, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, dieser Beurteilung im Allgemeinen nicht entgegentreten (8 Ob 69/16d; 4 Ob 147/20a; 3 Ob 162/21a). Insoweit hat es daher bei der Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils zu verbleiben.

[36] 6.2 Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.

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