OGH 2Ob117/16v

OGH2Ob117/16v20.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. I***** G*****, vertreten durch Dr. Walter Geißelmann und andere Rechtsanwälte in Bregenz, gegen die beklagten Parteien 1. M***** Z*****, 2. R***** Z*****, und 3. V***** V.a.G., *****, sämtliche vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch und Dr. Ursula Leissing, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 26.058 EUR sA und Feststellung (Streitinteresse 100 EUR), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. März 2016, GZ 4 R 20/16x‑61, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 28. Dezember 2015, GZ 4 Cg 50/13w‑57, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00117.16V.0620.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der beklagten Parteien an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Am 8. 4. 2013 ereignete sich auf der *****straße in L***** ein Verkehrsunfall, an dem die 1939 geborene Klägerin als Lenkerin des von ihr gehaltenen Pkws Audi A3 und die Erstbeklagte als Lenkerin des vom Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkws Fiat 500 beteiligt waren.

Die Klägerin fuhr auf der 7,5 m breiten Fahrbahn der *****straße in Richtung ***** Straße mit einer Geschwindigkeit von ca 40 km/h. Infolge Gegenverkehrs hielt sie eine Fahrlinie ein, bei der sich das rechte Räderpaar „maximal“ auf Höhe der Bodenmarkierungen befand, welche den von ihr befahrenen Fahrstreifen von einem rechts daran anschließenden Mehrzweckstreifen trennte.

Unterdessen parkte die Erstbeklagte rückwärts fahrend aus einer – aus Sicht der Klägerin – rechts von der Fahrbahn liegenden Garage aus. Sie fuhr zunächst bis zur Hauskante, wo sie kurz stehen blieb. Dann setzte sie ihre Fahrt über den Gehweg und den Mehrzweckstreifen hinweg langsam fort, sodass das Beklagtenfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 4 km/h in den von der Klägerin befahrenen Fahrstreifen gelangte. Die Sicht der Erstbeklagten in Richtung der Klägerin war aufgrund zweier parkender Fahrzeuge verdeckt. Auch die Klägerin hatte wegen der parkenden Fahrzeuge keine Sicht auf die dahinter liegende Garagenausfahrt und den Einfahrbereich des Beklagtenfahrzeugs.

Das Beklagtenfahrzeug kollidierte mit dem Klagsfahrzeug, wobei der Winkel der Fahrzeuglängsachsen ca 82,5° und die „Berührungsstrecke“ rund 2 m betrug. Nicht festgestellt werden konnte, wie weit die Erstbeklagte bereits in den von der Klägerin befahrenen Fahrstreifen eingefahren war; ebensowenig der genaue Kollisionsort, die genaue Kollisionsgeschwindigkeit und die Unfallendlage des Beklagtenfahrzeugs.

Beide Lenkerinnen nahmen einander erst aufgrund des Kollisionsgeräusches wahr. Im Kollisionsmoment waren beide Fahrzeuge in Bewegung. Die Erstbeklagte hätte das Klagsfahrzeug bei ihrem Fahrmanöver noch sehen und so rechtzeitig darauf reagieren können, dass eine Kollision vermieden worden wäre. Hingegen konnte nicht festgestellt werden, dass die Klägerin das Beklagtenfahrzeug rechtzeitig sehen und unfallverhindernd reagieren hätte können.

Das Klagsfahrzeug wurde durch den Anstoß in keine Schleuder- oder Driftbewegung versetzt. Es erfuhr lediglich eine sehr geringe Querbeschleunigung in einem Bereich von 1 bis 1,5 m/sek. Eine solche Querbeschleunigung tritt auch etwa dann auf, wenn eine starke Kurve durchfahren wird. Aufgrund einer solchen Beschleunigung kann ein gesunder Mensch die Fußpedale und das Lenkrad bedienen. Zwar geriet das Klagsfahrzeug ins Wanken, es stabilisierte sich aber auf der weiteren Fahrstrecke wieder.

Die Klägerin erschrak aufgrund des für sie nicht zuordenbaren Kollisionsgeräusches, ihre Aufmerksamkeit wurde dadurch erhöht. Sie verriss das Lenkrad und verlor die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Statt zu bremsen betätigte sie das Gaspedal, wodurch das Fahrzeug beschleunigte. Nach einer Wegstrecke von 36,3 m, für die sie 2,6 bis 2,9 sek benötigte, stieß das Klagsfahrzeug mit einer Geschwindigkeit von ca 45 km/h gegen einen auf der linken Straßenseite befindlichen Baum. Dadurch wurde das Klagsfahrzeug in eine Rotationsbewegung versetzt und um ca 55° gegen den Uhrzeigersinn gedreht, wobei es mit einem weiteren Baum kollidierte. Die Klägerin hätte die Kollision mit dem ersten Baum durch Bremsen oder angemessenes Gegenlenken vermeiden können. Ihr verblieben zumindest 1,4 sek für eine Abwehrreaktion.

Durch die streifende Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug hatte die Klägerin noch keine Verletzungen erlitten. An beiden Fahrzeugen waren nur geringfügige Schäden entstanden.

Infolge des Anstoßes gegen den Baum erlitt die Klägerin einen Speichenbruch rechts ohne Verschiebung, eine Brustkorbprellung, Hautablederungen am rechten Handrücken sowie einen Schienbeinkopfbruch links. Am Klagsfahrzeug trat wirtschaftlicher Totalschaden ein. Jener Schaden, der bereits durch die streifende Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug verursacht worden war, wirkte sich auf den Restwert nicht mehr negativ aus.

Die Klägerin war im Jahr 2003 an Morbus Parkinson erkrankt und wird seitdem medikamentös behandelt. Sie steht ua bei ihrer Vertrauensärztin in Behandlung, die sie bei auftretenden Problemen oder Änderungen konsultiert. Zumindest seit 10. 9. 2012 bis zum Unfall nahm die Klägerin regelmäßig die nachstehend genannten Medikamente in der vorgeschriebenen Dosierung ein, die „hauptsächlich im Gehirn wirksame und prinzipiell die Verkehrstüchtigkeit beeinträchtigende Wirkstoffe“ beinhalten. Letzteres war der Klägerin bekannt, wobei „die in den Beipackzetteln festgehaltenen Ausführungen zu den Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen/Kfz nachfolgende Fachinformationen“ vorsahen:

- Transtec® transdermales Pflaster

„Transtec wirkt sich erheblich auf die Fähigkeit des Patienten aus, Auto zu fahren oder Maschinen zu bedienen. Transtec kann auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch das Reaktionsvermögen soweit verändern, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt wird. Dies trifft insbesondere zu Behandlungsbeginn, im Falle von Dosierungsänderungen sowie im Zusammenwirken mit anderen zentral wirksamen Mitteln, einschließlich Alkohol, Beruhigungsmitteln, Sedativa und Hypnotika zu. Patienten, die aus zuvor genannten Gründen Anzeichen für ein beeinträchtigtes Reaktionsvermögen, wie zB Schwindel, Müdigkeit, verschwommenes Sehen oder Doppelt-Sehen, zeigen, sollten während und bis zu 24 Stunden nach Entfernen des transdermalen Pflasters weder Auto fahren noch Maschinen bedienen.

Treten die oben erwähnten Symptome nicht auf, so ist es Patienten, deren Dosierung individuell und stabil eingestellt ist, durchaus erlaubt, Auto zu fahren oder Maschinen zu bedienen. [...]“

- Azilect®

„Es wurden keine Studien zu den Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen durchgeführt.

Patienten sollten davor gewarnt werden, gefährliche Maschinen einschließlich Kraftfahrzeuge, zu bedienen, bis sie sicher sind, dass Azilect auf sie keinen negativen Einfluss hat. [...]“

- Trittico® mit Wirkstoff Trazodon HCI

„Trazodon kann, speziell am Beginn der Behandlung, das Reaktionsvermögen soweit verändern, dass die Fähigkeit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr oder zum Bedienen von Maschinen beeinträchtigt wird. Dies gilt im verstärkten Maß im Zusammenwirken mit Alkohol. [...]“

- Cymbalta®

„Es wurden keine Studien zu den Auswirkungen auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen durchgeführt. Mit der Anwendung von Cymbalta kann möglicherweise Müdigkeit und Schwindel einhergehen. Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass sie im Falle eines Auftretens von Müdigkeit und Schwindel potenziell gefährliche Tätigkeiten, wie zB das Führen von Fahrzeugen oder das Bedienen von Maschinen vermeiden sollen. [...]“

- PK-Merz-Schöller®

„Auswirkungen auf die Vigilanz und die Akkomodation– auch im Zusammenhang mit anderen Parkinsonmitteln – sind nicht auszuschließen. Zu Beginn der Behandlung kann es daher – über die krankheitsbedingten Einschränkungen hinaus – zu einer Verminderung der Fahrtüchtigkeit und der Fähigkeit, Maschinen zu bedienen, kommen.

Das Reaktionsvermögen kann während der Behandlung mit PK-Merz-Schöller-Filmtabletten beeinträchtigt werden. Das gilt im verstärkten Maße bei gleichbleibendem Alkoholkonsum. [...]“

- Madopar® mit Wirkstoff Levodopa

„Levodopa wurde mit Somnolenz und plötzlich auftretenden Schlafattacken in Verbindung gebracht. In seltenen Fällen wurde über plötzlich auftretende Schlafattacken während Aktivitäten des täglichen Lebens berichtet, welche in manchen Fällen unbewusst oder völlig unerwartet auftraten. Patienten müssen darüber informiert und darauf hingewiesen werden, während einer Behandlung mit Levodopa im Straßenverkehr oder beim Bedienen von Maschinen vorsichtig zu sein. Patienten, bei denen Somnolenz und/oder plötzlich auftretende Schlafattacken aufgetreten sind, dürfen kein Fahrzeug lenken und keine Maschine bedienen. Darüber hinaus sollte eine Dosisreduktion oder eine Beendigung der Therapie erwogen werden. [...]“

- Stalevo® mit Wirkstoffen Levodopa, Caridopa und Entacapon

„Die Einnahme von Stalevo kann großen Einfluss auf die Verkehrstüchtigkeit und die Fähigkeit zum Bedienen von Maschinen haben. Die Kombination von Levodopa, Caridopa und Entacapon kann Benommenheit und orthostatische Symptome hervorrufen. Daher ist beim Führen von Fahrzeugen und beim Bedienen von Maschinen Vorsicht geboten.

Patienten, die mit Stalevo behandelt werden und bei denen Somnolenz oder Episoden plötzlich eintretender Schlafanfälle auftreten, müssen darauf hingewiesen werden, dass sie kein Fahrzeug führen oder keiner anderen Tätigkeit nachgehen dürfen, bei denen sie sich selbst oder andere aufgrund verminderter Aufmerksamkeit dem Risiko schwerer Verletzungen oder des Todes aussetzen (zB beim Bedienen von Maschinen). Sie dürfen erst dann wieder ein Fahrzeug führen oder solche Tätigkeiten wieder aufnehmen, wenn diese Episoden nicht mehr auftreten. [...]“

- Requip® mit Wirkstoff Ropinirol HCI

„Patienten, die mit Ropinirol behandelt werden und Somnolenz und/oder Episoden plötzlichen Einschlafens zeigen, müssen informiert werden, dass sie kein Fahrzeug lenken oder keiner Tätigkeit nachgehen sollen, bei der verringerte Aufmerksamkeit sie selbst oder andere Personen dem Risiko schwerer Verletzungen oder des Todes aussetzen (zB Bedienen von Maschinen), solange bis wiederholte Episoden oder Schläfrigkeit nicht mehr auftreten. [...]“

Die Klägerin war eine bedachte und folgsame Patientin und hielt sich an die ärztlichen Anweisungen. Zu Beginn der Medikamenteneinnahme im Zusammenhang mit der Erkrankung Morbus Parkinson besprach die Vertrauensärztin mit ihr die Medikamente und im Wesentlichen die damit einhergehenden Risiken im Sinne der zuvor angeführten Fachinformationen. Die Klägerin wurde darauf hingewiesen, dass der Patient in der Eingewöhnungsphase nicht mit dem Auto fahren darf. Nur indirekt wurden auch die Auswirkungen der Medikamente auf das Lenken eines Autos thematisiert, indem die Ärztin nachfragte, ob bei der Klägerin Nebenwirkungen, Schwindel oder Schlafattacken aufgetreten seien. Das war jedoch weder zu Beginn der Medikamenteneinnahme noch später der Fall, was zwischen der Klägerin und ihrer Vertrauensärztin besprochen wurde.

Es konnte nicht festgestellt werden, ob die Klägerin die Beipackzettel der von ihr eingenommenen Medikamente gelesen hat.

Die Klägerin hatte rund ein halbes Jahr vor dem Unfall im Rahmen einer depressiven Störung über Konzentrationsdefizite geklagt, die sie als störend empfand. Diese Gedächtnisstörung wurde neuropsychologisch abgeklärt. Gegenstand der Abklärung war nicht die Fahrtüchtigkeit der Klägerin, sondern die Frage, inwieweit das kognitive Defizit aus einer Depression resultierte und ob es sich dabei um eine demenzielle Entwicklung im Zusammenhang mit der Parkinson-Erkrankung handelte. Aus den neuropsychologischen Abklärungen im Oktober 2012 gingen bereits fahrtauglichkeitsrelevante Einschränkungen der Hirnleistung der Klägerin hervor. Mit der Klägerin wurde darüber nicht gesprochen.

Die Klägerin war vor dem Unfall zuletzt im Jänner 2013 in der Ordination ihrer Vertrauensärztin. Ihr Zustand hatte sich seit dem Frühherbst des Vorjahres verbessert. In der Zeit von Jänner 2013 bis zum Unfall erfolgte keine Änderung der Medikation. Die Klägerin hatte auch keine gesundheitlichen Probleme wie Schwindel, Müdigkeit oder beim Sehen.

Vor dem Unfall wurde der Klägerin zwar von keinem Arzt ihre Fahrtauglichkeit attestiert. Sie wurde aber auch von niemandem darauf hingewiesen, dass sie nicht oder nur eingeschränkt fähig wäre, ein Auto zu lenken. Dieses Thema wurde zwischen der Klägerin und ihren Ärzten, auch ihrer Vertrauensärztin, nicht explizit besprochen. Die Klägerin ging insbesondere auch am Unfallstag davon aus, uneingeschränkt fahrtauglich zu sein. Auch wenn die Klägerin die Fachinformationen in den Beipackzetteln gelesen hätte, hätte dies an ihrer Einschätzung nichts geändert und sie hätte selbst ihr Fahrzeug gelenkt.

„Aus pharmakologischer/toxikologischer Sicht“ war die Fahrtauglichkeit der Klägerin jedoch tatsächlich eingeschränkt, was der Klägerin als Laie nicht erkennbar war. Die Klägerin hatte zwischen erster und zweiter Kollision zwar „eine erhöhte Aufmerksamkeit“, sie war jedoch nicht mehr in der Lage, das beabsichtigte Handeln in der vorhandenen Zeit in tatsächliches Handeln umzusetzen. Ob dies einer gesunden Person mit uneingeschränkter Verkehrstauglichkeit möglich gewesen wäre und ob diese entsprechend reagieren hätte können, konnte nicht festgestellt werden.

Die Klägerin begehrte unter Anrechnung einer Mithaftung von einem Viertel die Zahlung ihres zuletzt mit 26.058 EUR sA bezifferten Schadens sowie die Feststellung, dass ihr die beklagten Parteien – die drittbeklagte Partei beschränkt mit der Höhe der zum Unfallszeitpunkt gültigen Haftpflichtversicherungssumme – für drei Viertel ihrer zukünftigen, derzeit nicht bekannten Schäden zu haften hätten.

Sie brachte vor, die Erstbeklagte habe eine Vorrangverletzung begangen, eine Bremsung sei für sie nicht mehr möglich gewesen. Erschrocken und geschockt über dieses Ereignis habe sie die Kontrolle über ihr Fahrzeug verloren und sei linksseitig mit den die Straße begrenzenden Bäumen kollidiert. Sie sei am Unfallstag weder in ihrer Fahrtauglichkeit noch in ihrer Sehleistung eingeschränkt gewesen. Sollte dies doch der Fall gewesen sein, so sei es für sie nicht erkennbar gewesen. Die Beipackzettel habe sie nicht gelesen, wozu sie auch nicht verpflichtet gewesen sei. Auf eine allenfalls eingeschränkte Fahrtauglichkeit sei sie im Zuge jahrelanger Behandlung nie hingewiesen worden.

Die beklagten Parteien wandten ein, die Klägerin sei aufgrund ihrer Erkrankung und der Vielzahl von Medikamenten nicht oder nur eingeschränkt fahrtauglich gewesen, wovon sie auch Kenntnis hätte haben müssen. Dies sei auch die Ursache für ihre falsche Reaktion nach der Primärkollision gewesen, als sie offensichtlich Gaspedal und Bremspedal verwechselt habe und mit zumindest unverminderter Geschwindigkeit gegen den von der Primärkollisionsstelle weit entfernten Baum gestoßen sei. Ein solches Verhalten stehe völlig außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung und daher in keinem „Adäquanzzusammenhang“ mit der Primärkollision. Die beklagten Parteien wandten eine Gegenforderung von 260 EUR ein.

Das Erstgericht erachtete die Klagsforderung als zu Recht und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend und gab auch im dritten Rechtsgang sowohl dem Zahlungsbegehren als auch dem Feststellungsbegehren statt.

Es ging vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt aus und stellte überdies noch fest:

Die Vertrauensärztin der Klägerin nahm keine besondere Abklärung der Fahrtauglichkeit der Klägerin vor. Für sie war sie „bedenkenlos fahrtauglich“, wobei eine solche Einschätzung auch für einen Fachmann ohne besondere Abklärung nicht leicht möglich ist. Weder für die Klägerin noch für die Ärztin ergaben sich aber Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin am Unfallstag nicht uneingeschränkt in der Lage sein könnte, ein Auto zu lenken.

Rechtlich vertrat es die Ansicht, die Erstbeklagte habe den Vorrang der Klägerin verletzt. Die beklagten Parteien hätten nicht bewiesen, dass die Klägerin auf das in die Fahrbahn einfahrende Beklagtenfahrzeug kollisionsvermeidend reagieren hätte können. Die Klägerin habe jedoch objektiv gegen § 58 Abs 1 StVO verstoßen, weil feststehe, dass sie „aus pharmakologischer/toxikologischer Sicht“ zum Unfallszeitpunkt in ihrer Fahrtüchtigkeit eingeschränkt gewesen sei. Es sei ihr daher der Beweis oblegen, dass sie an der Übertretung der Schutznorm kein Verschulden treffe. Diesen Beweis habe sie erbracht, sei ihr doch die Einschränkung ihrer Fahrtauglichkeit nicht erkennbar gewesen. Auch die Adäquanz sei zu bejahen. Dass ein Fahrzeuglenker im Hinblick auf eine plötzliche Unfallsituation falsch reagiere, könne nicht als außergewöhnliche Verkettung von Umständen angesehen werden.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung in Ansehung des Zahlungsbegehrens dahin ab, dass es die Klagsforderung mit 24.402 EUR sowie die Gegenforderung mit 65 EUR als zu Recht bestehend erachtete und die beklagten Parteien daher zur Zahlung von 24.337 EUR sA an die Klägerin verpflichtete. Im Übrigen wurde das erstinstanzliche Urteil bestätigt. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der (jedenfalls 5.000 EUR übersteigende) Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 30.000 EUR nicht übersteigt und die ordentliche Revision zulässig sei.

Es ließ die Beweisrüge aus rechtlichen Überlegungen unerledigt und erörterte zur Frage des Mitverschuldens, dem einzigen Thema des Rechtsmittels zum Grund des Anspruchs, aus den Feststellungen lasse sich nicht ableiten, dass der Klägerin ihre eingeschränkte Fahrtüchtigkeit leicht und ohne weiteres erkennbar gewesen sei. Zwar sei ihr ärztlicherseits niemals ihre Fahrtüchtigkeit bestätigt worden, andererseits hätten die Ärzte aber auch keine Bedenken gegen ihre Fahrtüchtigkeit geäußert. Aus den Fachinformationen/Beipackzetteln der von ihr eingenommenen Medikamente sei weit überwiegend nur ableitbar, dass bei Auftreten der dort angeführten Nebenwirkungen (Schlafattacken, Müdigkeit, Schwindel, Sehprobleme) die Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs zu vermeiden sei, während ohne solche Nebenwirkungen und bei eingespielter Medikation grundsätzlich keine Bedenken gegen die Fahrtüchtigkeit geäußert würden. Insgesamt könne daher der Klägerin aus dem Umstand, dass sie trotz der Einnahme diversester Medikamente ihren Pkw in Betrieb genommen habe, wenn überhaupt, so jedenfalls kein gravierender Verschuldensvorwurf gemacht werden. Die Klägerin habe zwar nicht den Beweis erbracht, dass sich der Unfall bei voller Fahrtüchtigkeit gleichermaßen mit denselben (rechnerischen) Schadensfolgen ereignet hätte, die schreckhafte Reaktion der Klägerin auf die Erstkollision (Gasgeben statt Bremsen) stelle aber kein völlig außergewöhnliches Verhalten dar, das einem Durchschnittslenker keinesfalls unterlaufe. Im Übrigen sei ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der eingeschränkten Fahrtüchtigkeit der Klägerin, die für diese jedenfalls nicht leicht erkennbar gewesen sei, und ihrer Fehlreaktion gegeben. Mit der von der Klägerin ohnedies eingeräumten Mithaftung von einem Viertel werde das ihr vorwerfbare Mitverschulden angemessen und ausreichend berücksichtigt, stehe dem doch eine krasse Vorrangverletzung durch die Erstbeklagte gegenüber.

Berechtigt sei die Berufung nur insoweit, als sie eine Reduzierung der Klagsforderung der Höhe nach begehre, wobei auch ein Viertel der eingewendeten Gegenforderung zu berücksichtigen sei.

Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs bei Einnahme von die Fahrtüchtigkeit (allenfalls) beeinflussenden Medikamenten einen Verschuldensvorwurf begründen könne, in seiner Bedeutung über den gegenständlichen Rechtsstreit hinausgehe und neuere höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle.

Gegen dieses Berufungsurteil richtet sich die Revision der beklagten Parteien wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, sie ist im Sinne des Eventualantrags auch berechtigt.

Die beklagten Parteien machen geltend, der „Adäquanzzusammenhang“ liege nicht vor. Für die Erstbeklagte sei das Verhalten der Klägerin nach der Primärkollision in keiner Weise objektiv vorhersehbar gewesen. Ein solches Verhalten liege gänzlich außerhalb des Rahmens der gewöhnlichen Erfahrung. Selbst wenn aber die Adäquanz zu bejahen wäre, würden die Belastungsmomente auf Seiten der Klägerin derart überwiegen, dass der Folgeschaden den beklagten Parteien nicht zuzurechnen sei. Verfehlt sei auch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass der Klägerin kein gravierender Verschuldensvorwurf gemacht werden könne. Es sei zumindest von gleichteiligem Verschulden auszugehen.

Hiezu wurde erwogen:

I. Vorbemerkung:

1. In dritter Instanz ist unstrittig, dass die Erstbeklagte infolge einer Vorrangverletzung nach § 19 Abs 6 StVO das Alleinverschulden an der Kollision mit dem Klagsfahrzeug (Primärkollision) trifft. Strittig ist hingegen die Zurechnung des durch die Kollision des Klagsfahrzeugs mit dem (ersten) Baum (Sekundärkollision) entstandenen Schadens, den die Klägerin in diesem Rechtsstreit geltend macht.

2. Klarstellend ist festzuhalten, dass sich die Klägerin, die zunächst nur „aus prozessökonomischen Gründen“ drei Viertel des Schadens eingeklagt hatte, im weiteren Verlauf des erstinstanzlichen Verfahrens ausdrücklich eine „Mithaftung“ von einem Viertel „anrechnen“ ließ (AS 124 f). Diese Erklärung zeitigt dieselbe Wirkung wie die Teileinklagung unter Einbekennung eines Mitverschuldens (2 Ob 51/91; vgl RIS-Justiz RS0027184; Danzl , Verfahrensrechtliche Durchsetzung [von Verkehrsunfallschäden] – worauf ist zu achten? ZVR 2014, 492 [494]). Soweit sie in ihrer Revisionsbeantwortung wieder auf „prozessökonomische Gründe“ zurückkommt, ist dies unbeachtlich.

II. Adäquate Verursachung des aus der Sekundärkollision entstandenen Schadens:

1. Ein Schaden ist adäquat herbeigeführt, wenn seine Ursache ihrer allgemeinen Natur nach für die Herbeiführung eines derartigen Erfolgs nicht als völlig ungeeignet erscheinen muss und nicht nur infolge einer ganz außergewöhnlichen Verkettung von Umständen zu einer Bedingung des Schadens wurde. Der Schädiger haftet für alle, auch für zufällige Folgen, mit deren Möglichkeit abstrakt zu rechnen gewesen ist, aber nicht für einen atypischen Erfolg (RIS-Justiz RS0022906, RS0022944). Auch wenn eine weitere Ursache für den entstandenen Schaden dazu tritt, ist die Adäquanz zu bejahen, wenn nach den allgemeinen Erkenntnissen und Erfahrungen das Hinzutreten der weiteren Ursache, wenn auch nicht gerade normal, so doch wenigstens nicht gerade außergewöhnlich ist (RIS-Justiz RS0022546, RS0022918). Besteht die weitere Ursache in einer Handlung des Verletzten selbst, ist die Adäquanz nur dann zu verneinen, wenn mit dem dadurch bedingten Geschehensablauf nach der Lebenserfahrung nicht zu rechnen war (2 Ob 58/07d ZVR 2008/225 [Kathrein]; 2 Ob 205/08y ZVR 2010/82 [Kathrein]).

2. Entgegen der in der Revision vertretenen Auffassung steht es nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dass ein Fahrzeuglenker als Folge eines für ihn völlig unvermuteten Anstoßes im Zuge einer Schreckreaktion die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert und eine Reihe von Fahrfehlern begeht, wie sie hier der Klägerin unterlaufen sind (Verreißen nach links; Beschleunigen statt Bremsen; keine Abwehrreaktion vor der Sekundärkollision). Der eingetretene Erfolg ist daher keineswegs atypisch, wie dies auch die Vorinstanzen richtig erkannten.

3. Der Oberste Gerichtshof hat zwar in einigen Fällen, in denen ein Verkehrsteilnehmer wegen einer vermeintlichen Gefahrensituation erschrocken war und falsch reagierte, die adäquate Verursachung des Schadens verneint (vgl 2 Ob 17/94 ZVR 1995/135 [Sturz eines Radfahrers]; 2 Ob 366/99x [Sturz eines Fußgängers]; 2 Ob 3/09v [Sturz einer Radfahrerin]; 2 Ob 107/10i ZVR 2011/66 [Sprung über Brückengeländer]). In all diesen Fällen hatte aber weder eine Kollision stattgefunden noch konnte die vermeintliche Gefahrensituation erwiesen werden, sodass keine objektive Grundlage für die Schreckreaktion bestand. Darin liegt der wesentliche Unterschied zum vorliegenden Fall, in welchem die Schreckreaktion der Klägerin durch eine für sie unvorhersehbare (und allein von der Unfallgegnerin verschuldete) Kollision ausgelöst worden ist.

4. Schließlich stützen sich die beklagten Parteien auf jene Rechtsprechung, derzufolge trotz Bejahung der Adäquanz die Zurechnung einer Schadensfolge als nicht mehr gerechtfertigt angesehen wird, wenn diese auf einem selbständigen, durch den haftungsbegründenden Vorgang nicht herausgeforderten Entschluss des Klägers beruhte (RIS‑Justiz RS0022912). Abgesehen davon, dass es sich dabei richtigerweise um einen Aspekt der Schadensminderungspflicht handelt, der nicht schon auf der Ebene der Schadenszurechnung wahrzunehmen ist (vgl 2 Ob 205/08y ZVR 2010/82 [Kathrein]; 2 Ob 71/15b SZ 2015/55), liegen die genannten Voraussetzungen hier nicht vor. Sofern in diesem Zusammenhang überhaupt von einem „Entschluss“ der Klägerin die Rede sein kann, beruhte ihre Reaktion jedenfalls auf dem haftungsbegründenden Vorgang, nämlich die Verletzung ihres Vorrangs durch die Erstbeklagte.

III. Mitverschulden der Klägerin:

1. Bewertung der Fehlreaktion:

1.1 Wird ein Verkehrsteilnehmer bei einer plötzlich auftretenden Gefahr zu schnellem Handeln gezwungen und trifft er unter dem Eindruck dieser Gefahr eine – rückschauend betrachtet – unrichtige Maßnahme, dann kann ihm dies nach ständiger Rechtsprechung nicht als Mitverschulden angerechnet werden (2 Ob 160/16t; RIS-Justiz RS0023292). Eine solche Schreckreaktion ist insbesondere dann entschuldbar, wenn das ihr zugrunde liegende Ereignis plötzlich und völlig überraschend in einer derartig bedrohlichen Nähe eintritt, dass ein überstürztes Handeln erforderlich ist (2 Ob 138/09x ZVR 2011/35; RIS-Justiz RS0022393, RS0027217, RS0029878, RS0065732).

Andererseits muss von jedem Kraftfahrzeuglenker verlangt werden, dass er auch in gefährlichen Verkehrssituationen in der Lage bleibt, Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr zu treffen, ohne dabei die Herrschaft über das Fahrzeug zu verlieren (8 Ob 108/81 ZVR 1982/217; 8 Ob 42/82 ZVR 1983/160; 2 Ob 362/99w ZVR 2001/88; RIS‑Justiz RS0058339, RS0065966).

1.2 Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung könnte allenfalls noch das Verreißen des Lenkrades als entschuldbare Schreckreaktion der Klägerin auf den streifenden Kontakt gewertet werden, nicht aber der Kontrollverlust über ihr Fahrverhalten, der zu gravierenden Fahrfehlern (Beschleunigen statt Bremsen; keine Abwehrreaktion vor der Sekundärkollision) führte. Der Klägerin wäre daher, wäre sie uneingeschränkt fahrtüchtig gewesen, ein erhebliches Mitverschulden an der Sekundärkollision anzulasten, das gegenüber der schwerwiegenden Vorrangverletzung mit einer die zugestandene „Mithaftung“ übersteigenden Quote von einem Drittel zu veranschlagen wäre.

2. Eingeschränkte Fahrtüchtigkeit durch Einnahme von Medikamenten:

2.1 Gemäß § 58 Abs 1 Satz 1 StVO darf unbeschadet der Bestimmungen des § 5 Abs 1 StVO ein Fahrzeug nur lenken, „wer sich in einer solchen körperlichen und geistigen Verfassung befindet, in der er ein Fahrzeug zu beherrschen und die beim Lenken eines Fahrzeuges zu beachtenden Rechtsvorschriften zu befolgen vermag.“

Zu dieser ursprünglich in § 57 Abs 1 StVO enthaltenen und neben dem Lenken auch die Inbetriebnahme eines Fahrzeugs umfassenden Bestimmung führten die Gesetzesmaterialien aus, dass außer Personen, die sich in einem durch den Genuss von Alkohol oder Suchtgiften beeinträchtigten Zustand befänden, auch solche Personen zur Lenkung und Inbetriebnahme eines Fahrzeugs ungeeignet seien, die sich zB in einem Zustand heftiger Gemütserregung befänden oder die krank oder verletzt seien und deren Reaktionsvermögen oder deren Bewegungsfreiheit beeinträchtigt sei (ErläutRV 22 BlgNR IX. GP  59; Pürstl, StVO14 [2015] § 58 Anm 1; Grubmann, StVO³ [2015] § 58 Rz 1).

2.2 § 58 Abs 1 StVO ist lex generalis gegenüber § 5 Abs 1 StVO, wonach eine durch Alkohol oder Suchtgift beeinträchtigte Person ein Fahrzeug weder lenken noch in Betrieb nehmen darf (2 Ob 43/73 ZVR 1974/94; Dittrich/Stolzlechner, StVO³ § 58 Rz 15). Sie umfasst all jene Fälle, in denen die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht auf den Genuss von Alkohol oder Suchtgift, sondern auf andere Umstände zurückzuführen ist (4 Ob 146/77 ZVR 1978/272). Es ist allgemein anerkannt, dass eine Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit auch durch die Einnahme von Medikamenten hervorgerufen werden kann (vgl etwa Lesch/Lentner/Mader/Musalek/Nimmerrichter, Medikamentengebrauch und Verkehrssicherheit, ZVR 1986, 161; Gaisbauer, Medikamentenbedingte Fahruntüchtigkeit und Fahrlässigkeit, ZVR 1999, 38; Kaba, Drogen und Medikamente im Straßenverkehr, ZVR 1999, 66; Trischler/Riccabona‑Zecha/Kaiser, Medikamente am Steuer – Das unterschätzte Risiko, ZVR 2014, 67; Hoffer, Medikamente und Teilnahme am Straßenverkehr, ZVR 2016, 499).

2.3 Zu Verstößen gegen § 5 Abs 1 StVO vertritt der Oberste Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass eine Alkoholisierung zwar schulderschwerend, nicht aber haftungsbegründend wirkt (RIS-Justiz RS0027068). Die schulderschwerende Wirkung setzt voraus, dass der unter dem Einfluss von Alkohol stehende Verkehrsteilnehmer gegen straßenverkehrsrechtliche Vorschriften verstieß. Mangels eines solchen Verstoßes bleibt auch die Alkoholisierung außer Betracht (idS etwa 8 Ob 82/78 ZVR 1979/37; 2 Ob 222/78 ZVR 1979/204; 8 Ob 25/86 ZVR 1987/80). Der alkoholisierte Fahrzeuglenker hat in diesem Fall bewiesen, dass der Schaden auch ohne die Verletzung der Schutznorm des § 5 Abs 1 StVO eingetreten ist (2 Ob 222/78 ZVR 1979/204), er hat insoweit also den Beweis des rechtmäßigen Alternativverhaltens erbracht (RIS‑Justiz RS0027364, RS0111706).

2.4 Die Annahme einer schulderschwerenden, nicht aber haftungsbegründenden Wirkung ist auf die Verletzung der Schutznorm des § 58 Abs 1 StVO infolge der Einnahme von Medikamenten nicht ohne weiteres übertragbar. Abgesehen vom Fall des Missbrauchs ist zu berücksichtigen, dass Medikamente – anders als Alkohol oder Suchtgift – üblicherweise nicht dem „Genuss“ des Patienten dienen, sondern – ärztlich verordnetes – Heilmittel sind. Dabei kann die Einnahme von Medikamenten auch bewirken, dass eine krankheitsbedingte Fahruntüchtigkeit beseitigt wird. Während ein verantwortungsvoller Fahrzeuglenker die ihm in Bezug auf seine Fahrtüchtigkeit obliegende Eigenverantwortung in den Fällen des § 5 Abs 1 StVO (Alkohol und Suchtgift) in der Regel leicht wahrnehmen kann, wird er die Wirkung von Medikamenten häufig erst nach entsprechender fachlicher Aufklärung richtig einschätzen können. Unterlässt er eine gebotene Erkundigung, wäre ihm (nur) diese Unterlassung, nicht aber die seine Fahrtüchtigkeit einschränkende Einnahme der Medikamente vorwerfbar.

2.5 In wertender Betrachtung gelangt der Senat daher zu dem Ergebnis, dass im Falle einer aufgrund ärztlicher Anordnung erfolgten Einnahme von Medikamenten die schuldhafte Verletzung des § 58 Abs 1 StVO in der Regel nicht schulderschwerend, sondern gegebenenfalls haftungsbegründend wirkt. Trifft den nur eingeschränkt fahrtüchtigen Lenker an der Unkenntnis der Einschränkung ein Verschulden, so haftet er aus diesem Grund, sofern die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit für den Eintritt des Schadens auch ursächlich war.

Geht es – wie hier – um die Frage des Mitverschuldens, so ist dem Fehlverhalten des Unfallgegners der im Verstoß gegen die erwähnte Schutznorm begründete Schuldvorwurf gegenüberzustellen. Das Gewicht dieses Schuldvorwurfs wird maßgeblich dadurch bestimmt, auf welche Weise sich die eingeschränkte Fahrtüchtigkeit (das schuldhaft in Kauf genommene Risiko) in einem Unfallgeschehen auswirken kann.

2.6 Hatte der Fahrzeuglenker hingegen von seiner eingeschränkten Fahrtüchtigkeit unverschuldet keine Kenntnis, liegt keine vorwerfbare Verletzung des § 58 Abs 1 StVO vor. Auch das im Zustand eingeschränkter Fahrtüchtigkeit begangene Fehlverhalten könnte ihm nicht angelastet werden, sofern es auf der Einschränkung beruhte. Das bedeutet aber noch nicht zwingend, dass seine Haftung (Mithaftung) ausgeschlossen wäre. Dabei ist von folgenden Erwägungen auszugehen:

a) Analoge Anwendung des § 1310 ABGB:

aa) Ist dem beeinträchtigten Lenker der Beweis gelungen, dass er entgegen der Vermutung des § 1297 ABGB durch besondere Umstände im Zeitpunkt des schädigenden Verhaltens die gewöhnlichen Fähigkeiten, die ihn an sich zur Vermeidung des Schadens in die Lage versetzt hätten, nicht hatte bzw dass ihm die Einhaltung der erforderlichen Sorgfalt nicht möglich war (vgl 1 Ob 554/88 = RIS-Justiz RS0026214), ist – um Wertungswidersprüche zu verhindern – nach herrschender Auffassung § 1310 ABGB analog anzuwenden. Es besteht kein Grund, ihn günstiger als einen Deliktsunfähigen zu stellen (vgl Karner in KBB5 § 1310 Rz 4; Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 5/41 und Rz 7/5; Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1310 Rz 12).

ab) Grundsätzlich müssen auch auf einen (unmündigen) Geschädigten die nach § 1310 ABGB maßgeblichen Gesichtspunkte der Billigkeit angewendet werden (RIS-Justiz RS0027285). Eine Haftung (Mithaftung) käme allerdings nur in dem Umfang in Frage, in dem ein voll Deliktsfähiger für den Schaden einzustehen hätte (vgl 2 Ob 83/09h SZ 2009/170; 3 Ob 111/16v; RIS-Justiz RS0027662). Im vorliegenden Fall geht es daher um die Frage, ob jener Anteil des Schadens, den die Klägerin bei Annahme voller Fahrtüchtigkeit selbst zu tragen hätte (ein Drittel; Punkt 1.2), auch nach Billigkeitsgrundsätzen ganz oder teilweise von ihr selbst zu tragen ist. Dies wäre iSd § 1310 dritter Fall ABGB dann denkbar, wenn die Klägerin insoweit über eine (Unfall- oder Kasko-)Versicherungsdeckung verfügte, wobei auch die Deckung durch Sozialversicherungsträger heranzuziehen ist (6 Ob 601/94; 2 Ob 2325/96t).

ac) Da aber auch auf der Seite der beklagten Parteien (Haftpflicht-)Versicherungsdeckung besteht, muss dieser Ansatz hier nicht weiter verfolgt werden: Stehen einander auf beiden Seiten Versicherungen gegenüber, so ist dies im Rahmen der Billigkeitsabwägung zu berücksichtigen (9 Ob 181/00h; 6 Ob 214/12g; Reischauer in Rummel, ABGB³ II/2a § 1310 Rz 10a). Die unter diesen Voraussetzungen nur in Frage kommende teilweise Mithaftung der Klägerin für das ihrem fiktiven Mitverschulden entsprechende Schadensdrittel (= vier Zwölftel) ginge deshalb keinesfalls über die von ihr ohnehin zugestandene Mithaftung von einem Viertel (= drei Zwölftel) des insgesamt geltend gemachten Schadens hinaus. Die beklagten Parteien hätten nur ein weiteres Zwölftel dieses Schadens zu tragen, was ihnen im Hinblick auf die Deckung durch die Haftpflichtversicherung im Rahmen der Billigkeitsabwägung jedenfalls zumutbar wäre. Selbst wenn also eine Mithaftung der Klägerin infolge eigener Versicherungsdeckung in Betracht käme, würde diese nicht mehr als ein Viertel des Schadens betragen.

b) Gefährdungshaftung:

ba) Ist der beeinträchtigte Fahrzeuglenker – wie hier die Klägerin – auch Fahrzeughalter, so ist beim Schadensausgleich auch auf die Grundsätze der Gefährdungshaftung nach dem EKHG Bedacht zu nehmen. Zu prüfen ist, ob von jenem Fahrzeug eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgegangen ist. Eine solche ist bei einer besonderen Gefahrensituation anzunehmen, die nicht bereits regelmäßig und notwendig mit dem Betrieb verbunden ist, sondern durch das Hinzutreten besonderer, nicht schon im normalen Betrieb liegender Umstände vergrößert wurde (2 Ob 181/11y ZVR 2013/28 mwN; RIS-Justiz RS0058448, RS0058461, RS0058467). Das als Reaktion auf das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers erfolgte Verreißen eines Fahrzeugs begründet eine außergewöhnliche Betriebsgefahr (2 Ob 30/92 ZVR 1993/125; RIS-Justiz RS0058454, RS0058821).

bb) Auch Mängel in der eigenen Sphäre des Fahrzeuglenkers können zu einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr führen. So trägt nach herrschender Auffassung der Halter das Risiko für plötzliche gesundheitliche Störungen des Lenkers, die ein Steuern des Fahrzeugs unmöglich machen (2 Ob 339/00t ZVR 2002/15 = JBl 2001, 450 [Bumberger]; RIS-Justiz RS0058212 [Ohnmacht oder Bewusstseinsstörung]; Schauer in Schwimann/Kodek 4 VII [2017] § 9 EKHG Rz 44; Koziol/Apathy/Koch, Haftpflichtrecht³ III [2014] A 2 Rz 76). In der zitierten Entscheidung 2 Ob 339/00t wurde das Vorliegen außergewöhnlicher Betriebsgefahr in einem Fall bejaht, in welchem ein Kraftfahrzeug aufgrund der schweren Alkoholisierung seines Lenkers nicht mehr beherrschbar in Betrieb genommen und (vor dem Unfall) gleichsam „herrenlos“ gelenkt worden war.

bc) Allerdings setzt der Schadensausgleich unter Berücksichtigung der außergewöhnlichen Betriebsgefahr deren – etwa in 2 Ob 339/00t verneinte – Ursächlichkeit für den späteren Unfall voraus. Nach gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bleibt überdies beim Schadensausgleich nach § 11 EKHG die außergewöhnliche Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Geschädigten demjenigen Unfallbeteiligten gegenüber außer Betracht, der sie durch ein – schuldhaft oder schuldlos – verkehrswidriges Verhalten verursacht hat (2 Ob 15/17w; RIS-Justiz RS0110986; Schauer in Schwimann/Kodek 4 VII [2017] § 11 EKHG Rz 27).

bd) Nach diesen Grundsätzen kann von einem Fahrzeug, das von einem nur eingeschränkt fahrtüchtigen Lenker gelenkt wird, eine außergewöhnliche Betriebsgefahr ausgehen. Im Falle der Klägerin hat sich eine allenfalls schon ab der Inbetriebnahme des Fahrzeugs bestehende außergewöhnliche Betriebsgefahr zunächst nicht verwirklicht, sie war nicht ursächlich für die Primärkollision. Das Verreißen des Fahrzeugs erfolgte als Reaktion auf das grob verkehrswidrige Verhalten der Erstbeklagten, sodass die dadurch ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr im Verhältnis zu ihrer Unfallgegnerin ebenfalls außer Betracht bleibt. Erst der daran anschließende Kontrollverlust, der sich in weiteren Fehlreaktionen manifestierte (Punkt 1.2) und (mit-)ursächlich für die Sekundärkollision war, ist der eingeschränkten Fahrtüchtigkeit der Klägerin zuzurechnen. Es kann jedoch letztlich unerörtert bleiben, ob die falschen Reaktionen der Klägerin die durch die Primärkollision ausgelöste außergewöhnliche Betriebsgefahr „erhöhten“ oder ob an deren Stelle nun eine „neue“ außergewöhnliche Betriebsgefahr trat. Denn bei der Abwägung mit dem in der Vorrangverletzung gelegenen groben Verschulden der Erstbeklagten fiele auch die außergewöhnliche Betriebsgefahr mit nicht mehr als der zugestandenen Mithaftung von einem Viertel ins Gewicht (vgl 2 Ob 52/85; 2 Ob 30/92 ZVR 1993/125; RIS-Justiz RS0058551 [T8, T9]).

2.7 Somit stellt sich die Frage, ob sich die Haftung der beklagten Parteien über das von der Klägerin zugestandene Viertel hinaus dadurch mindert, dass die Klägerin gegen die Schutznorm des § 58 Abs 1 StVO verstoßen hat. Trifft dies zu, so war der Verstoß kausal für ihren Schaden: Hätte sie das Fahrzeug nicht gelenkt, wäre es nicht zum Unfall gekommen. Zu prüfen bleiben dann das Verschulden und das rechtmäßige Alternativverhalten.

Die Beweislast richtet sich insofern nach den für die Verletzung von Schutznormen aufgestellten Kriterien (RIS-Justiz RS0112234): Hat der Unfallgegner den Beweis einer objektiven Übertretung der Schutznorm des § 58 Abs 1 StVO erbracht, so hat der in seiner Fahrtüchtigkeit beeinträchtigte Fahrzeuglenker den Beweis zu erbringen, dass ihn an der Übertretung der Schutznorm kein Verschulden traf. Unabhängig vom Verschulden kann er aber auch beweisen, dass der Schaden ebenso im Falle vorschriftsmäßigen Verhaltens eingetreten wäre (rechtmäßiges Alternativverhalten; vgl 7 Ob 276/03v; RIS-Justiz RS0112234 [T5]).

2.8 Nach den Feststellungen des Erstgerichts war die Fahrtüchtigkeit der Klägerin „aus pharmakologischer/toxikologischer Sicht“, demnach infolge der Einnahme der ihr verordneten Medikamente, eingeschränkt. Sie hat somit die Schutznorm des § 58 Abs 1 StVO objektiv übertreten. Nach der erörterten Beweislastverteilung oblag ihr der Beweis des rechtmäßigen Alternativverhaltens oder des fehlenden Verschuldens an der Übertretung der Schutznorm.

a) Den Beweis des rechtmäßigen Alternativverhaltens hat die Klägerin nicht erbracht, blieb doch ungeklärt, ob derselbe Schaden auch im Falle voller Fahrtüchtigkeit eingetreten wäre. Die getroffene Negativfeststellung über die Abwehrmöglichkeiten einer uneingeschränkt verkehrstauglichen Person geht dabei zu ihren Lasten.

b) Es bleibt daher zu prüfen, ob der Klägerin der Beweis fehlenden Verschuldens an der objektiven Übertretung der Schutznorm gelungen ist. Wäre dies zu verneinen, hätte sie diesen Verstoß zu vertreten und es träfe sie ein Mitverschulden. Sollte aber der Entlastungsbeweis gelingen, so könnte der Klägerin nach dem oben Gesagten überhaupt kein (Mit-)Verschulden am Eintritt des Schadens vorgeworfen werden. Denn es steht fest, dass sie infolge ihrer (dann unverschuldeten) Beeinträchtigung zwischen Primär- und Sekundärkollision zwar eine „erhöhte Aufmerksamkeit“ hatte, jedoch nicht mehr in der Lage war, „das beabsichtigte Handeln in der vorhandenen Zeit in tatsächliches Handeln umzusetzen“. Ihr fehlerhaftes Verhalten nach der Primärkollision könnte ihr daher nicht als schuldhaft vorgeworfen werden.

3. Schuldhafter Verstoß der Klägerin gegen § 58 Abs 1 StVO?

3.1 Es existiert kaum Rechtsprechung zu den Voraussetzungen, unter denen einem Verkehrsteilnehmer ein (feststehender) Verstoß gegen § 58 Abs 1 StVO zum Vorwurf zu machen ist:

- Zu 2 Ob 336/68 SZ 41/160 wurde einem Fahrzeuglenker, der seine Fahrt kurz vor dem Unfall wegen kolikartiger Bauchschmerzen unterbrechen hatte müssen, dann aber weitergefahren war, kein Schuldvorwurf gemacht. Nach der dort vertretenen Auffassung wäre ein solcher nur in Betracht gekommen, wenn der Lenker mit dem Auftreten einer Bewusstseinsstörung (Ohnmacht) rechnen hätte müssen.

- In der Entscheidung 8 Ob 80/72 ZVR 1973/60 wurde bei einem an Narkolepsie leidenden Fahrzeuglenker ein Verschulden deshalb bejaht, weil – auch beim Lenken von Fahrzeugen – schon wiederholt Einschlafanfälle bzw Bewusstseinsstörungen aufgetreten waren und er bei entsprechender Aufmerksamkeit damit rechnen musste, dass sich derartiges beim Autofahren wiederholen kann.

- Die strafgerichtliche Entscheidung 11 Os 32/72 ZVR 1973/73, auf die sich das Berufungsgericht stützte (RIS‑Justiz RS0075344), hatte einen Fall zum Gegenstand, in welchem der Fahrzeuglenker die Fahrt in übermüdetem Zustand angetreten hatte. Der Oberste Gerichtshof stellte für die Verschuldensfrage darauf ab, ob für einen Lenker, der seine – bestehende oder unmittelbar drohende – Fahrunfähigkeit subjektiv nicht bemerkt hatte, bei entsprechender Aufmerksamkeit die Beeinträchtigung seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit „zumindest unschwer“ erkennbar gewesen sei und zwar „nicht etwa nur für den Fachmann nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft, sondern für jedermann bereits nach den Erfahrungen des täglichen Lebens“. Im Anlassfall wurden die Vorhersehbarkeit eines Schwächeanfalls und die schuldhafte Verursachung des Unfalls bejaht (zur Übermüdung vgl auch die in RIS-Justiz RS0065958 und RS0065961 zitierte strafgerichtliche Judikatur).

Mit dem hier zu beurteilenden Fall sind diese Sachverhalte nicht vergleichbar.

3.2 Im einschlägigen Schrifttum wird, soweit es sich mit der Verantwortung des Fahrzeuglenkers überhaupt befasst, die aktive Erkundigungspflicht eines Lenkers, der Medikamente einnimmt, für geboten erachtet. Der Lenker sei grundsätzlich selbst angehalten, sich vor Antritt der Fahrt über die Nebenwirkungen der von ihm eingenommenen Medikamente zu informieren, sei es über Arzt, Apotheker oder Gebrauchsinformation (vgl Gaisbauer, Medikamentenbedingte Fahruntüchtigkeit und Fahrlässigkeit, ZVR 1999, 38 [40]; ebenso Trischler/Riccabona‑Zecha/Kaiser, Medikamente am Steuer, ZVR 2014, 67 [68 und 71]). Zumutbar sei einem geprüften Fahrzeuglenker jedenfalls, sich anhand des Beipackzettels über allfällige Auswirkungen zu informieren (Gaisbauer aaO 41 und Trischler/Riccabona‑Zecha/Kaiser aaO 69 je mit Hinweisen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs [VwGH 13. 10. 1987, 87/03/0113]).

3.3 Der Senat hält diese Ausführungen im Wesentlichen für sachgerecht. Dazu ist zunächst festzuhalten, dass – anders als dies das Erstgericht bei seinen Feststellungen tat – zwischen den in diesen Beipackzetteln enthaltenen Gebrauchsinformationen und den Fachinformationen zu unterscheiden ist. Während erstere der Information der Patienten dienen (zum vorgeschriebenen Inhalt vgl §§ 16 f Arzneimittelgesetz [AMG]), sind Adressaten der letzteren (ua) Ärzte und Apotheker (vgl § 1 Abs 1 Fachinformationsverordnung 2008). Die Feststellung, die Beipackzettel hätten Fachinformationen enthalten, ist daher in sich widersprüchlich: Die darin genannten „Beipackzettel“ enthalten nach der eindeutigen Gesetzeslage nur die Gebrauchsinformation; die ua im Internet veröffentlichte (§ 27 Abs 4 und 5 AMG) Fachinformation ist darin nicht enthalten. Darauf kommt es aber, wie die nachstehenden Ausführungen (Punkt 3.5) zeigen werden, nicht an.

Allgemein ist festzuhalten, dass den (potenziellen) Fahrzeuglenker, der Medikamente einnimmt, zunächst nur die Pflicht trifft, die für ihn bestimmten Gebrauchsinformationen in den Beipackzetteln zu lesen, nicht aber auch die Fachinformationen im Internet. Ergeben sich aus den Gebrauchsinformationen Hinweise auf eine mögliche Einschränkung seiner Fahrtüchtigkeit, obliegt es ihm, Erkundigungen beim Arzt oder beim Apotheker einzuholen, sofern nicht ohnedies bereits eine ärztliche Aufklärung erfolgte. Sind solche Erkundigungen nicht möglich, hängt es von den Umständen des Einzelfalls ab, welche sonstigen konkreten Bemühungen er allenfalls unternehmen muss. Im Zweifel hat er das Lenken eines Fahrzeugs zu unterlassen.

3.4 Im vorliegenden Fall ist wesentlich, dass die Klägerin seit ihrer Erkrankung im Jahr 2003 an Morbus Parkinson in ständiger ärztlicher Behandlung stand. Diese Behandlung erfolgte (auch) medikamentös, wobei sich die Klägerin stets an die ärztlichen Anweisungen hielt. Nur zu „Beginn der Medikamenteneinnahme“, also offenbar im Jahr 2003, wurde die Klägerin von ihrer Vertrauensärztin allgemein darauf hingewiesen, dass sie in der Eingewöhnungsphase nicht mit dem Auto fahren dürfe. Welche Medikamente sie damals und in den folgenden Jahren verordnet bekam, steht allerdings nicht fest. Diejenigen Medikamente, die sie auch zur Zeit des Unfalls einnahm, erhielt sie in gleicher Kombination und Dosierung „zumindest“ seit September 2012 (demnach mehr als ein halbes Jahr vor dem Unfall). Die Klägerin wurde von ihrer Vertrauensärztin zwar nach Nebenwirkungen der Medikamente gefragt, ein Gespräch über ihre Fahrtüchtigkeit wurde aber – auch mit anderen Ärzten – nie geführt. Ob die Klägerin die Beipackzettel gelesen hatte, vermochte das Erstgericht zwar nicht festzustellen. Die Klägerin selbst hat aber ohnedies vorgebracht, die Gebrauchsinformationen nicht gelesen zu haben.

3.5 Nach den obigen Ausführungen (Punkt 3.3) hätte ein verantwortungsbewusster Kraftfahrer unter den gegebenen Umständen jedenfalls die Gebrauchsinformationen gelesen. Hätte deren (nicht festgestellter) Inhalt Hinweise auf eine Einschränkung der Fahrtüchtigkeit ergeben, hätte die Klägerin ihr Fahrzeug nur nach Rücksprache mit ihrer Ärztin lenken dürfen. Da die Klägerin die Gebrauchsinformationen aber nicht gelesen hat, wäre es ihr umso eher oblegen, sich aktiv um eine ärztliche Information über die eigene Fahrtüchtigkeit und allfällige Sicherheitsrisiken beim Lenken eines Kraftfahrzeugs zu bemühen. Sowohl die voranschreitende Krankheit als auch die möglichen Wechselwirkungen einer Vielzahl von Medikamenten, die für die Klägerin nicht einschätzbar sein konnten, hätten ein klärendes Gespräch erfordert, zumal ein solches seit dem Jahr 2003 über mögliche Sicherheitsrisiken beim Autofahren nicht mehr stattgefunden hat. Die Klägerin hat demnach gebotene Maßnahmen zur Abklärung ihrer Fahrtüchtigkeit unterlassen. Dies ist ihr als schuldhafte Verletzung des § 58 Abs 1 StVO vorzuwerfen. Anknüpfend an die Ausführungen in Punkt 2.5 hält der Senat die Gewichtung des in dieser Unterlassung gelegenen Mitverschuldens mit einem Drittel für sachgerecht.

3.6 Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen wäre die Unterlassung der Erkundigung für die Unkenntnis der Klägerin jedoch nicht kausal. Hätte sie ihre Vertrauensärztin nach ihrer Fahrtüchtigkeit gefragt, so hätte ihr diese Fahrtauglichkeit attestiert. Dies kann aus der Feststellung erschlossen werden, dass die Ärztin die Klägerin für „bedenkenlos fahrtauglich“ hielt. Auf eine solche Auskunft ihrer Vertrauensärztin, von der sie seit ihrer Erkrankung im Jahr 2003 betreut wird, hätte sich die Klägerin verlassen dürfen.

3.7 Allerdings haben die beklagten Parteien die zuletzt erwähnte Feststellung in ihrer Berufung mit Beweisrüge bekämpft und eine gegenteilige Ersatzfeststellung begehrt. Das Berufungsgericht unterließ die Erledigung dieser Rüge aus rechtlichen Erwägungen mit der Begründung, dass die Feststellung „nicht unbedingt von Relevanz“ erscheine, weil kein Arzt – auch nicht die Vertrauensärztin – der Klägerin ihre Fahrtauglichkeit attestiert habe. Dabei ging es offenkundig nicht von einer Erkundigungspflicht der Klägerin aus.

Entgegen dieser Auffassung folgt aber aus der vom Obersten Gerichtshof vertretenen Rechtsansicht, die Klägerin hätte sich aktiv um eine fachkundige Auskunft bemühen müssen, dass diese Feststellung für die rechtliche Beurteilung durchaus von entscheidungserheblicher Bedeutung ist.

IV. Ergebnis und Kosten:

1. Aus dem soeben angeführten Grund erweist sich die Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Erledigung der Beweisrüge durch das Berufungsgericht als unerlässlich. Sollte die Erledigung der Beweisrüge dazu führen, dass der Klägerin eine schuldhafte Verletzung des § 58 Abs 1 StVO anzulasten wäre, so wäre die Verschuldensteilung nach den obigen Kriterien (2 : 1 zu Lasten der beklagten Parteien) vorzunehmen. Bleibt es jedoch bei der bekämpften Feststellung, so wäre der Klägerin aus den vorstehend ausgeführten Gründen kein Mitverschulden vorwerfbar. Der Frage, ob allenfalls eine Mithaftung aus Billigkeitsgründen oder nach den Grundsätzen der Gefährdungshaftung in Betracht käme, muss aus den in Punkt 2.6 genannten Erwägungen nicht nachgegangen werden. Es bliebe daher beim bisherigen Ergebnis.

2. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

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