European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0010OB00123.15T.0827.000
Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Begründung:
Der am 21. 5. 2008 wegen des Verdachts des Verbrechens der kriminellen Organisation nach § 278a StGB festgenommene Kläger befand sich bis 2. 9. 2008 wegen Verdunkelungs‑ und Tatbegehungsgefahr in Untersuchungshaft. Die zuständige Staatsanwaltschaft brachte am 6. 8. 2009 gegen ihn einen Strafantrag ein. Im (auch gegen andere) geführten Ermittlungsverfahren war verdeckt ermittelt worden, wovon die Staatsanwaltschaft bereits im Jahr 2007 informiert worden war. Den Bericht der verdeckten Ermittlerin übergab die Kriminalpolizei der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht. Der Kläger versuchte im Ermittlungsverfahren, Akteneinsicht in den bei der Polizei erliegenden Ermittlungsakt zu nehmen. Aufgrund seiner Einsprüche sprach das Landesgericht Wiener Neustadt mit Beschlüssen vom 24. 2. 2009 und 14. 10. 2010 aus, dass die pauschale und unbegründete Verweigerung der Akteneinsicht durch die Kriminalpolizei den Kläger in seinem Recht auf Akteneinsicht nach § 51 StPO verletzt habe und nach wie vor verletze; in jenem vom 15. 3. 2011 stellte es fest, dass die fortgesetzte Verweigerung des Rechts auf Einsehen und Anhören der Ergebnisse im Sinne des § 134 Z 5 StPO den Beschuldigten in seinem Recht nach § 139 Abs 1 StPO verletzt habe. Soweit er in seinen Einsprüchen vom 13. 5. 2009 und 13. 1. 2011 eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht aufgrund von mangelnder Aktenvollständigkeit releviert hatte, wurden diese mit den genannten Beschlüssen vom 14. 10. 2010 und 15. 3. 2011 abgewiesen, und zwar mit der Begründung, das Recht auf Akteneinsicht beziehe sich auf „vorliegende“ Ergebnisse, ein Verfahrensrecht auf Aktenvollständigkeit bestehe nicht. Dazu hatte sich der Kläger im Einspruch vom 13. 5. 2009 darauf gestützt, dass bereits am 13. 9. 2007 ein umfangreicher Ermittlungsakt bestanden haben müsse und dort ausgeführt: „… CI Ing. B***** B***** erläuterte damals im Rahmen eines Zwischenberichts den aktuellen Stand der Ermittlungen … (Erkenntnisse aus der Observation, Funkzellenauswertung, historischen Rufdatenerfassung, Überwachung der Telekommunikation, VP und VE Einsatz sowie Spurenauswertungen, Open Sources) kann ausgesagt werden, dass folgende Organisationen/Personen in der ggst Causa eine bedeutende Rolle spielen; Schon [sic] ein Vergleich dieser Aufzählung mit den zur Akteneinsicht bereit gestellten Unterlagen zeigt, dass die gebotene Akteneinsicht unvollständig war.“
Dem Gericht wurde der Bericht über die verdeckte Ermittlung am 1. 12. 2010 übergeben; der Kläger nahm darin erstmals am 2. 12. 2010 Einsicht.
Mit (durch Rückziehung der angemeldeten Berufung mittlerweile) rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 2. 5. 2011 (38 Hv 44/13d) im sogenannten „Tierschützerprozess“ wurde der Kläger von den wider ihn erhobenen Vorwürfen gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Aufgrund seines Aufforderungsschreibens vom 30. 4. 2013 teilte die Finanzprokuratur in ihrem Antwortschreiben vom 12. 8. 2013 mit, dass das Bundesministerium für Justiz den auf das StEG gestützten Ersatzanspruch mit einem Betrag von 26.645,20 EUR (10.500 EUR Haftentschädigung, 12.028,02 EUR haftbedingt notwendige Kosten des Verteidigers, 4.000 EUR Verdienstentgang sowie 117,20 EUR Kosten für das Aufforderungsschreiben) anerkannt habe und weitere Ansprüche nicht berechtigt seien.
Mit seiner am 5. 11. 2013 eingebrachten Klage begehrt der Kläger die Zahlung weiterer 580.716,17 EUR sA (unter anderem an Schmerzengeld wegen posttraumatischer Belastungs‑ und Panikstörung sowie für Verteidigerkosten) und die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für sämtliche vorhersehbaren oder nicht vorhersehbaren Spät‑ und Dauerfolgen, welche aus seiner Anhaltung sowie aus der Verweigerung der Akteneinsicht und der Nichtvorlage von Beweisstücken, insbesondere des Berichts der verdeckten Ermittlerin mit dem Decknamen „Danielle Durand“, im Rahmen und aufgrund des Strafverfahrens zu seinem Nachteil resultierten. Er erhebt ‑ zusammengefasst ‑ den Vorwurf, die mit den Ermittlungen im Strafverfahren beauftragten Beamten des Bundesministeriums für Inneres, Bundeskriminalamt, hätten rechtswidrig und schuldhaft wesentliche Ermittlungsergebnisse, insbesondere den 96 Seiten langen entlastenden Bericht der verdeckten Ermittlerin, die in der Zeit vom 25. 4. 2007 bis 20. 7. 2008 tätig gewesen sei, zurückgehalten; dieser Bericht wäre bereits für sich genommen geeignet gewesen, den Anfangsverdacht gegen ihn und die übrigen Beschuldigten vollkommen zu entkräften. Die Einleitung des Strafverfahrens samt Zwangsmaßnahmen und auch die Erhebung der Anklage resultiere aus dieser Zurückhaltung. Die zuständige Staatsanwaltschaft hätte in Kenntnis des Einsatzes der verdeckten Ermittlerin von der Ermittlungsbehörde diesen Bericht abverlangen oder von der verdeckten Ermittlerin eine Aussage einholen müssen. Er sei erst über ausdrücklichen Auftrag der Verhandlungsrichterin in der Hauptverhandlung vorgelegt worden und gemeinsam mit der Aussage der verdeckten Ermittlerin ein wesentliches Beweisergebnis für den Freispruch gewesen. Wären die Auswertung der Überwachung der Telefonanschlüsse der Beschuldigten und der Funkzellenauswertung zu Tatörtlichkeiten und andere vom Kläger aufgelistete Ermittlungsergebnisse vorgelegt worden, wäre es zu einer Anklage nicht gekommen.
Die beklagte Partei wendete ein, die zuständige Staatsanwaltschaft sei erstmals im Jahr 2007 vom Einsatz der verdeckten Ermittlerin im Rahmen einer Besprechung mit der Leitung der beim Bundeskriminalamt eingerichteten „SOKO Bekleidung“ informiert worden. Diese habe Ende 2007 mitgeteilt, dass es der verdeckten Ermittlerin nicht gelungen sei, zum engen Kreis bzw zur Führungsebene innerhalb der nach der Verdachtslage bestehenden kriminellen Organisation vorzudringen, weshalb geplant sei, den Einsatz zu beenden. Daraufhin habe die Staatsanwaltschaft beschlossen, auf eine Anordnung gemäß § 131 StPO in der Fassung der Strafprozessreform (Strafprozessreformgesetz BGBl I 2004/19 und Strafprozessreformbegleitgesetz BGBl I 2007/93), die mit 1. 1. 2008 in Kraft trat, zu verzichten. Die Leitung der SOKO Bekleidung habe in der Folge entschieden, die verdeckte Ermittlung nach § 21 Abs 1 SPG weiterzuführen und in der Folge sukzessive zu beenden. Die rechtliche Grundlage des Einsatzes der verdeckten Ermittlerin seien Zwecke der Gefahrenabwehr gemäß § 54 Abs 3 SPG gewesen. Daher hätten die Berichte keinen Eingang in den Ermittlungsakt gefunden. Auch die Ladung der verdeckten Ermittlerin als Zeugin sei von der Staatsanwaltschaft nicht beantragt worden, weil aus deren Wahrnehmungen nichts Relevantes ‑ weder zu Gunsten, noch zu Lasten der Beschuldigten ‑ zu gewinnen gewesen wäre. Selbst bei Vorliegen der schriftlichen Berichte der verdeckten Ermittlerin hätte die Staatsanwaltschaft nicht von der Einbringung eines Strafantrags abgesehen.
Sämtliche Angeklagte bzw ihre Verteidiger hätten nach Gewährung der vollständigen Akteneinsicht ab 10. 6. 2008 zumindest die Möglichkeit gehabt, vom Einsatz der verdeckten Ermittlerin Kenntnis zu erlangen. Damit hätte dem Kläger ab 10. 6. 2008 bekannt sein müssen, dass der Bericht der verdeckten Ermittlerin von den Polizeibehörden nicht an das Gericht weitergeleitet worden sei. Bereits mit seinen Schriftsätzen vom 5. 11. 2008 und 13. 5. 2009 im Strafverfahren sei er auf die ‑ ihm zu diesem Zeitpunkt jedenfalls bekannte ‑ verdeckte Ermittlung eingegangen, weswegen bei Einlangen des Aufforderungsschreibens bei der Finanzprokuratur am 14. 5. 2013 die dreijährige Verjährungsfrist bereits abgelaufen gewesen und die Ansprüche verjährt seien. Dass der Kläger trotz Kenntnis des verdeckten Ermittlungseinsatzes die Beischaffung des Berichts darüber nicht beantragt habe, sei ihm als eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG vorzuwerfen. Überdies bestritt die beklagte Partei das Vorliegen von Spät‑ und Dauerfolgen sowie den Anspruch auch der Höhe nach.
Das Erstgericht schränkte die Verhandlung auf die Fragen der Verjährung und der behaupteten Verletzung der Rettungspflicht ein und wies mit seinem Urteil das Klagebegehren zur Gänze ab. Es stellte Auszüge aus dem Bericht der verdeckten Ermittlerin fest und legte seiner Entscheidung zugrunde, dass es auch bei Weitergabe aller Ermittlungsergebnisse durch die Kriminalpolizei (trotzdem) zu einem Verfahren gegen den Kläger gekommen wäre, da die Staatsanwaltschaft die Tatsache, dass der Bericht nichts strafrechtlich Relevantes enthalten habe, nicht als entlastend gewertet hätte. Da der Staatsanwalt nicht erwartet habe, dass der Bericht strafrechtlich Relevantes enthielt, habe er auch bei der Unterlassung von dessen Beischaffung vertretbar gehandelt. Ob die Anhaltung des Klägers, die Verweigerung der Akteneinsicht und die Nichtvorlage von Beweisstücken unvertretbare fehlerhafte Hoheitsakte darstellten, könne aber aufgrund der eingetretenen Verjährung dahingestellt bleiben. Der Primärschaden des Klägers sei hier mit der Einleitung des Verfahrens samt Verhängung der Untersuchungshaft im Mai 2008 eingetreten, wobei der Kläger bereits vor dem 13. 5. 2009 Kenntnis von der Verweigerung der Akteneinsicht und der Nichtvorlage von Beweisstücken gehabt habe. Auch ohne Kenntnis deren Inhalts habe er aufgrund seiner Unschuld gewusst, dass ihn diese Ermittlungsergebnisse nicht belasteten, zumal sie sonst vorgelegt worden wären. Den Kausalzusammenhang zwischen der Nichtvorlage der Ermittlungsergebnisse und der Einleitung sowie der Weiterführung des Verfahrens gegen ihn habe er damit erkennen können. Amtshaftungsansprüche aus seiner Anhaltung, der Verweigerung von Akteneinsicht und der Nichtvorlage von Beweisstücken seien daher jedenfalls spätestens seit 13. 5. 2012 verjährt.
Das Berufungsgericht gab der dagegen erhobenen Berufung des Klägers Folge, hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Die Verjährungsfrist müsse angesichts der Hemmung zwischen dem Zugang des Aufforderungsschreibens und der Zustellung des Antwortschreibens in Ansehung der Einbringung der Klage am 5. 11. 2013 vor dem 5. 8. 2010, bei allenfalls früherer Zustellung vor dem 3. oder 4. 8. 2010 zu laufen begonnen haben, damit der Anspruch verjährt sei. Die Verjährungsfrist eines Amtshaftungsanspruchs könne erst zu laufen beginnen, wenn der Geschädigte ausreichend Gewissheit über ein rechtswidriges und schuldhaftes Organverhalten habe oder wisse, dass er ohne eigene Aktivitäten seinen Wissensstand nicht mehr erhöhen könne, wobei er nicht untätig bleiben dürfe, sondern alles zu versuchen habe, den erforderlichen Wissensstand zu gewinnen. Trotz der in § 2 Abs 2 AHG verankerten Rettungspflicht, nach der ein potenziell Geschädigter zunächst verpflichtet sei, die ihm vom Rechtsstaat zur Verfügung gestellten und eine Abwendung oder Minderung des Schadens noch ermöglichenden Rechtsbehelfe auszunützen, sei die rechtskräftige Beendigung eines Verfahrens nicht immer notwendige Voraussetzung für die Geltendmachung eines Schadenersatzbegehrens im Wege der Amtshaftung. Davon werde im Regelfall nur dann auszugehen sein, wenn tatsächlich erst mit dem Ergebnis des Verfahrens feststehe, ob dem Geschädigten überhaupt ein Schaden entstanden sei.
Der Kläger, der seinen Anspruch darauf stütze, dass die Kriminalpolizei den Bericht nicht vorgelegt und die Staatsanwaltschaft den Bericht, der entlastende Beweisergebnis enthalten habe, nicht beigeschafft habe, habe die von ihm behauptete Rechtswidrigkeit dieses Organverhaltens erst mit Kenntnis des Inhalts des vorenthaltenen Berichts erkennen können. Da er erstmals am 2. 12. 2010 Einsicht in den Bericht genommen habe, liege das die Verjährungsfrist auslösende Ereignis nicht länger als drei Jahre (unter Hinzurechnung der Hemmung) zurück. Allein die Kenntnis von einer verdeckten Ermittlung könne den Lauf der Verjährungsfrist noch nicht auslösen. Auch könne von einem die Verjährungsfrist früher auslösenden Untätigbleiben des Klägers hier nicht gesprochen werden, zeigten doch die Beschlüsse des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 24. 2. 2009, 14. 10. 2010 und 15. 3. 2011, dass der Kläger seit Oktober 2008 versucht habe, Einsicht in den kompletten Ermittlungsakt der Kriminalpolizei oder später der Staatsanwaltschaft zu nehmen. Eine Kenntniserlangung des Klägers vom Bericht der verdeckten Ermittlerin sei daran gescheitert, dass die Kriminalpolizei die Ansicht vertreten habe, die verdeckte Ermittlung sei zur Gefahrenabwehr nach dem SPG erfolgt und somit nicht Gegenstand des „gegenständlichen“ polizeilichen oder gerichtlichen Ermittlungsakts. Offensichtlich habe der Kläger erst über seine Verteidigung in der Hauptverhandlung erreicht, dass die Kriminalpolizei über ausdrücklichen Auftrag des Gerichts den Bericht vorlegte.
Das Berufungsgericht verneinte auf Grundlage der getroffenen Feststellung auch eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG und erläuterte, die beklagte Partei übersehe bei ihrer Behauptung, der Kläger habe es ab 10. 6. 2008 selbst in der Hand gehabt, beim Landesgericht Wiener Neustadt die Beischaffung des schriftlichen Berichts der verdeckten Ermittlerin von der Kriminalpolizei zu beantragen, weil der Zwischenbericht der Kriminalpolizei vom 13. 9. 2007 bereits auf die verdeckte Ermittlung hingewiesen habe und dieser Zwischenbericht ab 10. 6. 2008 der Akteneinsicht unterlegen sei, dass dessen Festnahme schon am 21. 5. 2008 erfolgt sei und die Akteneinsicht ab dem 10. 6. 2008 bereits zeitlich nicht mehr möglich gewesen sei. Es stelle sich überdies bereits die Frage, ob dem Kläger überhaupt ein prozessualer Rechtsbehelf gegen die unterlassene Vorlage der Ermittlungsergebnisse zur Verfügung gestanden sei. Zur Wahrung des in § 51 Abs 1 StPO normierten subjektiven Rechts auf Akteneinsicht stehe dem Beschuldigten ein Einspruch wegen Rechtsverletzung nach § 106 StPO zu. Es könne sich aber dieses Recht nur auf die vorliegenden Ergebnisse des Ermittlungs‑ und des Hauptverfahrens beziehen. Die StPO kenne kein Verfahrensrecht auf Aktenvollständigkeit. Bestünden trotz Verpflichtung zur Aktenvollständigkeit Bedenken, könne der Beschuldigte einen Erkundungsbeweisführungsantrag stellen. Für die Phase des Ermittlungsverfahrens sei somit kein geeigneter prozessualer Rechtsbehelf zur Verfügung gestanden. Da der Kläger erst mit der Einsichtnahme in den Bericht die konkrete Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Kriminalpolizei habe erkennen können, habe seine Rettungspflicht nicht vor diesem Zeitpunkt einsetzen können.
Im Übrigen teilte das Berufungsgericht die Bedenken des Klägers in der Berufung zum Ergebnis des Erstgerichts, wonach der Staatsanwalt in dem Bericht nichts strafrechtlich Relevantes erwartet habe und auch in Kenntnis des Berichts von der Anklage nicht zurückgetreten wäre, da es sich dabei um eine bloße Annahme ohne näheres Beweissubstrat handle. Es trug dem Erstgericht auf, als Sachverhaltsgrundlage zur Beurteilung einer gebotenen Vorlage die vorhandenen Ermittlungsergebnisse festzustellen. Sollte sich auf einer so geschaffenen Tatsachengrundlage eine Rechtswidrigkeit der Nichtvorlage (auch der Kriminalpolizei) ergeben, werde zu beurteilen sein, ob diese Rechtswidrigkeit auch das zur Begründung eines Amtshaftungsanspruchs erforderliche Ausmaß der Unvertretbarkeit erreicht habe.
Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof erklärte das Berufungsgericht für zulässig, weil den Fragen, wann die Verjährungsfrist bei einer nicht erfolgten Übermittlung eines Ermittlungsberichts von der Kriminalpolizei an die Staatsanwaltschaft zu laufen beginne und ob ein Beschuldigter und späterer Kläger im Amtshaftungsprozess eine Rettungspflichtverletzung begehe, wenn er in Kenntnis des stattgefundenen Einsatzes einer (verdeckten) Ermittlerin die Beischaffung des Ermittlungsberichts nicht beantrage, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
In ihrem Rekurs gegen den berufungsgerichtlichen Aufhebungsbeschluss wiederholt die beklagte Partei ihren Standpunkt, es könne nicht auf die tatsächliche Kenntnisnahme durch den Kläger ankommen, vielmehr sei auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem der Kläger positive Kenntnis von der Nichtgewährung der Einsicht in den Bericht der verdeckten Ermittlerin gehabt habe. Ab Bekanntsein der verdeckten Ermittlung hätte er den Antrag bei Gericht stellen müssen, dass entweder das zuständige Gericht oder die zuständige Staatsanwaltschaft die Ergebnisse der verdeckten Ermittlung beischaffe. Sie legt ‑ in denklogischem Widerspruch zu ihrem Vorbringen, wonach die Anklage auch unter Zugrundelegung des Berichts erhoben worden wäre ‑ dar, dass die Beischaffung des Ermittlungsberichts die geltend gemachten Schäden verhindert hätte, was dem Kläger jedenfalls als überwiegendes Mitverschulden anzulasten sei.
Der Kläger setzt diesen Ausführungen in seiner Rekursbeantwortung entgegen, es sei erst in der Hauptverhandlung hervorgekommen, dass ein solcher Bericht überhaupt existiere, und verweist dazu auf das Ersturteil im Strafprozess. Bloß weil bekannt gewesen sei, dass eine verdeckte Ermittlerin tätig gewesen sein solle, sei dies nicht gleichbedeutend mit dem Wissen, dass von dieser tatsächlich auch ein Bericht vorgelegt worden sei. Ohne Kenntnis von diesem Bericht habe die Verjährung jedenfalls nicht zu laufen beginnen können. Der Kläger habe einen Antrag auf Akteneinsicht gestellt und die beklagte Partei lasse offen, wie er in Kenntnis des Berichts hätte kommen sollen. Die Verjährung sei überdies erst nach dem Ablauf von zehn Jahren eingetreten, weil es sich beim Vorgehen um einen Missbrauch der Amtsgewalt gemäß § 302 StGB durch die Strafverfolgungsbehörden handle.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der beklagten Partei ist nicht berechtigt.
1. Zu den Grundsätzen der Rettungspflicht im Amtshaftungsrecht:
1.1. Nach § 2 Abs 2 AHG (in der hier unstrittig relevanten Fassung vor BGBl I 2013/33) besteht ein Ersatzanspruch dann nicht, wenn der Geschädigte den Schaden durch ein Rechtsmittel oder eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (nun eine solche beim Verwaltungsgericht und Revision beim Verwaltungsgerichtshof) hätte abwenden können.
Unter „Rechtsmitteln“ im Sinne des § 2 Abs 2 AHG sind prozessuale Rechtsbehelfe zur Abhilfe gegen gerichtliche oder sonstige behördliche Entscheidungen zu verstehen, die dazu dienen, fehlerhafte gerichtliche (oder sonstige behördliche) Entscheidungen, sei es im Instanzenweg, sei es auf andere Weise, zu beseitigen (RIS‑Justiz RS0110188; RS0050080). Dieser Rechtsmittelbegriff ist extensiv auszulegen (RIS‑Justiz RS0050097) und umfasst alle prozessualen Anfechtungsmittel im weiteren Sinn, sodass nur für nicht sanierbare Akte der Vollziehung Ersatz zu gewähren ist. Das Gesetz überlässt auf diese Weise zunächst dem Betroffenen selbst die Wahrung seiner Interessen und gewährt ihm Amtshaftungsansprüche nur dort, wo er innerhalb des betreffenden Verfahrens alle Anfechtungsmittel vergeblich ausgeschöpft hat (1 Ob 362/98m = SZ 72/29 uva; RIS‑Justiz RS0026901).
Das Wort „können“ in § 2 Abs 2 AHG bedeutet nur, dass ein Rechtsbehelf bestand, der seiner Art nach abstrakt die Möglichkeit bot, den Schaden noch zu verhindern (1 Ob 22/92 = SZ 66/77; RIS‑Justiz RS0053073 [T1]), wobei nur offenbar aussichtslose Abhilfemaßnahmen die Rechtsfolgen des § 2 Abs 2 AHG nicht eintreten lassen, was vor allem dann der Fall ist, wenn ein bestimmter Rechtsbehelf schon nach seiner abstrakten Wirkungsmöglichkeit zur Schadensabwehr ungeeignet ist. Der potenzielle Erfolg eines nicht erhobenen Rechtsbehelfs ist dagegen von den Gerichten nicht nachzuvollziehen. Diese Einschränkung der Überprüfungsbefugnis des Amtshaftungsgerichts wird in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs damit begründet, dass das Gericht im Sinn des § 11 Abs 1 AHG nicht berechtigt sei, die Rechtswidrigkeit eines Bescheids selbständig zu prüfen und daher den Eintritt der Rechtsfolge des § 2 Abs 2 AHG nur nach der Erschöpfung des Rechtszugs als Klagevoraussetzung zu beurteilen habe. Wenn jemand gewillt sei, einen Rechtsträger wegen der Schadensfolgen aus einem rechtswidrigen Bescheid zu klagen, mute ihm das Gesetz zu, zunächst den primären Rechtsschutz der Verfahrensgesetze auszunützen. Der Kläger müsse daher sogar einen Bescheid bekämpfen, den er selbst für richtig halte (1 Ob 24/81 = SZ 55/81; 1 Ob 77/14a).
§ 2 Abs 2 AHG bedeutet eine Verschärfung der im österreichischen Zivilrecht allgemein geltenden Schadensminderungspflicht (1 Ob 4/94; 1 Ob 203/11a).
Nach den allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts (§ 1304 ABGB) setzt auch der Ausschluß des Ersatzanspruchs nach § 2 Abs 2 AHG ein Verschulden oder besser eine Sorglosigkeit des Amtshaftungsklägers im Umgang mit seinen eigenen Rechtsgütern voraus (RIS‑Justiz RS0027565; RS0027200). Dabei kommt es einerseits auf die konkreten Kenntnisse und Fähigkeiten des Geschädigten und andererseits auf die gesamten Begleitumstände seines Verhaltens an (1 Ob 287/03t = RIS‑Justiz RS0027565 [T3]).
1.2. Als Verstöße gegen die Rettungspflicht im Sinn des § 2 Abs 2 AHG wurden in der Rechtsprechung ua anerkannt:
Die Unterlassung der Erhebung des Widerspruchs gegen das Protokoll gemäß §§ 212, 212a ZPO (1 Ob 181/03d = SZ 2004/74 = RIS‑Justiz RS0119131), der Berufung samt dem leicht möglichen Nachweis gemäß § 19 Abs 2 zweiter Satz ErbStG, welcher jedenfalls abstrakt geeignet gewesen wäre, den Schaden durch Reduzierung der Steuerbemessungsgrundlage deutlich zu verringern (1 Ob 210/06y = RIS‑Justiz RS0050199 [T5]), eines Wiedereinsetzungsantrags (RIS‑Justiz RS0036768), eines Antrags auf Einstellung der Zwangsverwaltung gemäß § 129 Abs 2 EO (1 Ob 193/65 = RIS‑Justiz RS0050285), des Antrags auf die in § 28 Abs 3 bis 5 FleischUG (bis zur Aufhebung mit BGBl I 2006/13) vorgesehenen Überprüfung der von einem Fleischuntersucher beziehungsweise Fleischuntersuchungstierarzt vorgenommenen Beurteilung des Fleisches (1 Ob 51/97z = RIS‑Justiz RS0107174) oder etwa auch, dass der bei der Verteilung zu Unrecht übergangene Konkursgläubiger trotz Aufforderung weder in den Verteilungsentwurf Einsicht nimmt und Erinnerungen erhebt, noch den Verteilungsbeschluss mit Rekurs bekämpft (1 Ob 113/07k = SZ 2007/126 = RIS‑Justiz RS0122417).
Auch Rechtsbehelfe zur Abwehr von Nachteilen, die aus einem Verstoß gegen die Beschleunigungs‑ und Entscheidungspflicht eintreten könnten, sind Rechtsmittel im Sinn des § 2 Abs 2 AHG, so etwa Devolutionsanträge (RIS‑Justiz RS0049745) und Säumnisbeschwerden (RIS‑Justiz RS0050264) im Verwaltungsverfahren sowie Fristsetzungsanträge nach § 91 GOG (1 Ob 222/13y = JBl 2014, 730 = RIS‑Justiz RS0129349; Schragel,AHG³ Rz 153; Mader in Schwimann, ABGB³ § 2 AHG Rz 8), nicht aber die Unterlassung von Urgenzen, (1 Ob 310/01x = SZ 2002/27; 1 Ob 151/05w RIS‑Justiz RS0116361; RS0026771 [T2]; RS0050080 [T1]; RS0026901 [T9]; RS0110188 [T1]), welche aber ein Mitverschulden begründen kann (RIS‑Justiz RS0116361 [T2]; RS0050080 [T7]; RS0026771 [T4]).
Nach Lehre und Rechtsprechung ist es ohne Belang, ob der von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellte Behelf formal im selben Verfahren oder in einem gesonderten Verfahren zur Verfügung steht, wenn er nur geeignet ist, die schadensverursachenden Folgen eines rechtswidrigen und schuldhaften Organverhaltens durch direkte Einwirkung auf das betreffende Verfahren zu verhindern oder zu verringern (1 Ob 38/90 = SZ 64/126 ua; RIS‑Justiz RS0050199; Schragel aaO Rz 183). Hingegen ist weder der Antrag, mit dem ein Zwischenverfahren eingeleitet wird (so etwa der Antrag mehrerer Parteien, ihre Ansprüche im Zusammenlegungsverfahren zu einem gemeinsamen Abfindungsanspruch zu vereinigen: 1 Ob 391/97z = SZ 71/98 = RIS‑Justiz RS0110402), noch eine Maßnahme zur Ingangsetzung neuer, selbständiger Verfahren, die einen drohenden Schaden abwenden sollen (RIS‑Justiz RS0050199 [T1, T3]; RS0105574) noch etwa die Vorausklage gegen den Mitschädiger (RIS‑Justiz RS0050080) ein „Rechtsmittel“ im Sinn des § 2 Abs 2 AHG; deren Unterlassung kann aber unter dem Gesichtspunkt des § 1304 ABGB relevant sein (1 Ob 391/97z = RIS‑Justiz RS0110402, RS0050199). Nicht einmal Mitverschulden begründet die Unterlassung eines Antrags auf Aufschiebung der [drohenden] Exekution (RIS‑Justiz RS0114437). Ebensowenig ist das Unterlassen der Antragstellung gemäß § 252 Abs 2 StPO (in der Stammfassung), die dort genannten Aktenteile zu verlesen, in Anbetracht der Amtswegigkeit des Verfahrens und der eingeschränkten Mitwirkungspflichten des Angeklagten im Strafverfahren dem Unterlassen der Erhebung eines Rechtsmittels (im weiteren Sinn) gleichzuhalten (1 Ob 18/95 = SZ 68/133 = RIS‑Justiz RS0080103 auch zum Mitschuldeinwand).
2. Zur Verjährung eines Anspruchs nach dem AHG:
2.1. Nach § 6 Abs 1 AHG verjähren auf Amtshaftung gestützte Ersatzansprüche in drei Jahren nach Ablauf des Tages, an dem der Schaden dem Geschädigten bekannt geworden ist, keinesfalls aber vor einem Jahr nach Rechtskraft einer rechtsverletzenden Entscheidung oder Verfügung. Ist dem Geschädigten der Schaden nicht bekannt geworden, so verjährt der Ersatzanspruch erst zehn Jahre nach der Entstehung des Schadens. Der Ersatzanspruch verjährt auch dann erst nach zehn Jahren wenn der Schaden aus einer gerichtlich strafbaren Handlung entstanden ist, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist. Für den Beginn des Fristenlaufs stellen die Verjährungsbestimmungen des AHG nicht auf das schädigende Ereignis und die Kenntnis des Schädigers, sondern auf die Entstehung (= Wirksamkeit) des Schadens und bei der dreijährigen Verjährungsfrist auf dessen Kenntnis ab (RIS‑Justiz RS0050376; RS0050338; RS0034512 [T3]).
2.2. Die Voraussetzung, dass dem Geschädigten der Ursachenzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem eingetretenen Schaden bekannt geworden sein muss (RIS‑Justiz RS0034951 [T2]), wird schon dann erfüllt, wenn der Geschädigte Kenntnis von den schädlichen Wirkungen eines Ereignisses erlangt, dessen Ursache oder Mitursache irgendein dem Schädiger anzulastendes Verhalten ist (1 Ob 53/07m; 1 Ob 19/08p ua). Anzuknüpfen ist daher an jenen Zeitpunkt, zu dem der Kläger aufgrund der ihm bekannten Tatsachen ohne nennenswerte Mühe auf das Verschulden eines Organs schließen konnte (RIS‑Justiz RS0050355) oder weiß, dass er ohne eigene Aktivität seinen Wissensstand nicht mehr erhöhen kann (vgl RIS‑Justiz RS0050360). Die Verjährungsfrist wird bereits dann in Gang gesetzt, wenn dem Geschädigten der anspruchsbegründende Sachverhalt so weit bekannt ist, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben kann (1 Ob 70/07m ua; zuletzt 1 Ob 6/15m; 7 Ob 56/15h; RIS‑Justiz RS0034524; RS0050338 [T5]; RS0050355 [T5]). Er darf nicht etwa so lange mit der Klageführung warten, bis sein Prozessrisiko auf ein Minimum reduziert ist (1 Ob 211/14g uva; RIS‑Justiz RS0034524 [T6]).
3.1. Nach den Behauptungen des Klägers entstand ihm der geltend gemachte Schaden (Verdienstentgang, Verfahrenskosten) durch die von der Kriminalpolizei pflichtwidrig unterlassene Vorlage des Ergebnisses der verdeckten Ermittlung an die Staatsanwaltschaft sowie deren Unterlassung der Beischaffung solcher Ergebnisse trotz Kenntnis von der verdeckten Ermittlung und der in der Folge von ihr darauf ‑ nämlich mangels wesentlicher entlastender Beweisergebnisse ‑ gegründeten falschen Anklage-entscheidung. Auf ein vorsätzliches Vorgehen der Behörden dabei stützte sich der Kläger im Verfahren erster Instanz nicht, er erstattete auch kein im Hinblick auf den erforderlichen Schädigungsvorsatz der Beamten diesbezügliches Sachvorbringen, sodass seine Ausführungen dazu in der Rekursbeantwortung gegen das Neuerungsverbot verstoßen und die dreijährige, nicht aber die zehnjährige Frist zur Anwendung gelangt.
In seiner Klage stütze sich der Kläger allein auf eine angeblich „rechtswidrige und schuldhafte Zurückhaltung von wesentlichen Ermittlungsergebnissen“ durch die Kriminalpolizei. Erst in seinem am 6. 3. 2014 eingebrachten vorbereitenden Schriftsatz erhob er gegenüber der Staatsanwaltschaft konkrete Vorwürfe, und zwar im Wesentlichen, dass die Staatsanwaltschaft ‑ in Kenntnis des Einsatzes einer verdeckten Ermittlung ‑ den Bericht darüber hätte beischaffen und die Ermittlerin vernehmen müssen. Die beklagte Partei hat auch diesen neu eingeführten Klagegründen den Einwand der Verjährung entgegengesetzt. Da der Kläger am 2. 12. 2010 Einsicht in den Bericht über die verdeckte Ermittlung nahm, waren ihm schon damals alle Tatsachen bekannt, aus denen er, folgt man seinem Standpunkt, auf ein Verschulden der Staatsanwaltschaft schließen konnte. Die von ihm relevierte Rechtsverletzung durch die Staatsanwaltschaft verkörpert für sich selbst eine eigenständige Schadensursache (vgl dazu 1 Ob 11/07k). Auch unter Hinzurechnung der Frist gemäß § 6 Abs 1 letzter Satz AHG iVm § 8 AHG von drei Monaten, während der die Verjährung gehemmt sein konnte, brachte er diesen neuen Tatbestand zur Unterstützung seiner Klage erst nach dem Ablauf der kurzen Verjährungsfrist vor. Auf diesen Verhaltensvorwurf gegenüber der Staatsanwaltschaft kann er sich demnach wegen Verjährung nicht mehr mit Erfolg berufen (vgl zur Klageänderung durch neu vorgetragene rechtserzeugende Tatsachen 7 Ob 8/10t mwN).
Die Verjährung des Anspruchs wie auch eine vorwerfbare Verletzung der Rettungspflicht ist dagegen, soweit sich der Kläger auf den schon am 5. 11. 2013 geltend gemachten Haftungsgrund des Zurückhaltens von Ermittlungsergebnissen durch die Kriminalpolizei stützt, aufgrund einer Zusammenschau der im Strafverfahren herrschenden Grundsätze, so der Amtswegigkeit, der Unschuldsvermutung, des Anklagegrundsatzes, des Objektivitätsgebots und des Selbstbelastungsverbots („nemo tenetur se ipsum accusare“) zu verneinen:
3.2. Nach dem „nemo‑tenetur‑Prinzip“ darf niemand gezwungen werden, sich selbst zu belasten. Niemand ist verpflichtet, Zeugnis gegen sich selbst abzulegen (§ 7 Abs 2 StPO). Das Schweigerecht (vgl RIS‑Justiz RS0127962) erlaubt, passiv zu bleiben (Zerbes, Spitzeln, Spähen, Spionieren 99).
Die aktive Rolle kommt im Strafverfahren, mit dem der Strafanspruch des Staates durchgesetzt werden soll, grundsätzlich den Behörden zu. Diese sind zu amtswegigem Vorgehen verpflichtet (§ 2 StPO). Zufolge des Anklagegrundsatzes darf ein Hauptverfahren ohne rechtswirksame Anklage weder eingeleitet noch durchgeführt werden (§ 4 Abs 2 StPO; 11 Os 132/14t, 133/14i ua) und obliegt der Staatsanwaltschaft (Art 90 Abs 2 B‑VG, § 4 Abs 1 StPO) die Beurteilung, ob aufgrund eines ausreichend geklärten Sachverhalts eine Verurteilung naheliegt oder das Verfahren einzustellen ist (Pilnacek/Pleischl, Das neue Vorverfahren Rz 78). Sie ist im Ermittlungsverfahren weder Gegnerin des Beschuldigten noch des Gerichts (Pilnacek/Pleischl aaO Rz 76). Konkretisiert sich der zum Einschreiten notwendige Anfangsverdacht im Zuge der Ermittlungen soweit, dass mit einer gerichtlichen Verurteilung gerechnet werden kann, ist die Staatsanwaltschaft im Sinne des Anklagegrundsatzes nach § 4 Abs 1 iVm § 210 Abs 1 StPO verpflichtet, entweder Anklage zu erheben und eine Entscheidung des Gerichts über die Verdachtslage herbeizuführen oder aber diversionell (§§ 198 ff StPO) vorzugehen (Schroll, WK‑StPO § 192 Rz 2 mwN; Nordmeyer, WK‑StPO § 196 [idF BGBl I 2004/19] Rz 15).
Gemäß dem in § 3 StPO geregelten Grundsatz der Objektivität haben Kriminalpolizei, Staatsanwaltschaft und Gericht die Wahrheit zu erforschen und alle Tatsachen aufzuklären, die für die Beurteilung der Tat und des Beschuldigten von Bedeutung sind (§ 3 Abs 1 StPO; zur Wahrheitsförderungspflicht des Gerichts in der Hauptverhandlung vgl auch § 232 Abs 2 StPO). Alle Richter, Staatsanwälte und kriminalpolizeilichen Organe haben ihr Amt unparteilich und unvoreingenommen auszuüben, jeden Anschein der Befangenheit zu vermeiden und die zur Belastung und die zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit der gleichen Sorgfalt zu ermitteln (§ 3 Abs 2 StPO). Sowohl im Ermittlungsverfahren als auch in der Hauptverhandlung müssen demnach die Strafverfolgungsbehörden darauf hinwirken, dass auch ohne entsprechenden Antrag einer Verfahrenspartei alle relevanten Beweismittel beschafft und berücksichtigt werden (§§ 2, 3 sowie 232 Abs 2 StPO; Schmoller, WK‑StPO § 55 Rz 18; auch die entlastenden: vgl Pilnacek/Pleischl aaO Rz 14). Gerade beim Auftreten der Kriminalpolizei gegenüber einem Beschuldigten sollte diese deshalb nicht den Anschein erwecken, als sei es ihr primäres Ziel, dem Beschuldigten eine Straftat nachzuweisen; vielmehr muss es der Kriminalpolizei erkennbar darum gehen, den wahren Sachverhalt zu ermitteln, also gegebenenfalls auch die Unschuld eines Verdächtigen zu belegen (so zu Recht Schmoller aaO § 3 Rz 25).
3.3. Neben dem Recht zu schweigen, das Passivität erlaubt, ermöglicht beispielsweise das Beweisantragsrecht nach § 55 StPO einem Beschuldigten oder Angeklagten (der seine Rechte, so auch auf Akteneinsicht auch nach einer Verhaftung durch seinen Verteidiger durchsetzen kann) zwar auch eine aktive Rolle, jedoch muss zum auch im Strafverfahren angestrebten Grundsatz der „Waffengleichheit“ konstatiert werden, dass angesichts des der Staatsanwaltschaft zur Verfügung stehenden gesamten polizeilichen Ermittlungsapparats, der Rechtslage, dass Zeugen nur Behörden gegenüber zur Aussage verpflichtet sind und nur diesen gegenüber Beweissachen herausgegeben werden müssen, ein Ungleichgewicht zugunsten der Anklagebehörde besteht, deren Gegengewichte eben ua der Grundsatz „in dubio pro reo“ und das Objektivitätsgebot der Staatsanwaltschaft bilden (Zerbes aaO 99, 105).
3.4. Als wesentlicher Unterschied zum Zivilverfahren muss festgehalten werden, dass in diesem die Parteien ‑ auch die beklagte Partei oder den Antragsgegner ‑ eine Verfahrensförderungspflicht (Prozessförderungspflicht nach § 178 Abs 2 ZPO bzw § 13 Abs 1 AußStrG zweiter Satz [vgl dazu 1 Ob 29/13s mwN]) trifft, während eine solche Verpflichtung des Beschuldigten im Strafverfahren fehlt, obliegt es doch nach den vorerwähnten Grundsätzen allein der Anklagebehörde, zu einem Anfangsverdacht zu ermitteln und auf Basis der von den Ermittlungsbehörden zu Tage geförderten Ergebnisse die Entscheidung für oder gegen eine Anklageerhebung zu treffen.
Ein Amtshaftungsanspruch kann in dem hier geltend gemachten Zusammenhang denkbar sein, wenn die Ermittlungsbehörden die Aufnahme von (ihnen bekannten oder zugänglichen) Beweisen in pflichtwidriger Weise unvertretbar unterlassen oder bereits vorhandene Beweise, obwohl für die Beurteilung des Tatverdachts von Aussagekraft (gleich, ob als be‑ oder entlastend), in unvertretbarer Weise nicht in die Akten einbeziehen (vgl § 100 Abs 1 und 4 StPO und zum bestehenden Graubereich in der Aktenführung Achammer, WK‑StPO §§ 51‑53 Rz 3, der unter Verweis auf die Materialien ausführt, es sei unbefriedigend, dass weder aus dem Gesetz noch den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage zweifelsfrei hervorgehe, welche Ermittlungsschritte zu dokumentieren und aktenkundig zu machen seien).
Weil es aber die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, die Grundlage für die von ihr zu treffende, auf der Prognose einer naheliegenden Verurteilung beruhende Entscheidung, bei der sie die erhobenen Beweise in ihrer Glaubwürdigkeit zu bewerten und abzuwägen hat, zu schaffen, und den Verdächtigen dabei keine Mitwirkungspflicht trifft, kann diesem, dem ja auch nicht bekannt ist, aus welchen bereits vorhandenen Mosaikstückchen an Beweisergebnissen der zuständige Staatsanwalt zum Bild gelangen werde, es könne mit einer Verurteilung gerechnet werden, nicht abverlangt werden, selbst weitere ‑ den Ermittlungsbehörden (der Kriminalpolizei) bekannte oder (der Staatsanwaltschaft) leicht zugängliche ‑ Beweismittel beizubringen. Mit einem Antrag auf Beischaffung eines Beweismittels wird für sich auch keine Entscheidung bewirkt, sondern eben bloß die Grundlage für eine allenfalls später erfolgende Anklage (oder einen Strafantrag) der Staatsanwaltschaft geschaffen, wobei die Anklage vor einem Schöffen‑ oder Geschworenengericht vom Angeklagten mit einem Rechtsbehelf bekämpft werden kann.
3.5. Im Fall einer verdeckten Ermittlung, die erst mit dem StrafprozessreformG (BGBl I 2004/19) in der StPO (vgl §§ 131 ff) verankert wurde (im vorliegenden Fall wurden die verdeckten Ermittlungen nach Auffassung der Polizeibehörden nach dem SPG durchgeführt, nicht aber nach den ab 1. 1. 2008 wirksamen Bestimmungen in der Fassung des StrafprozessreformG), trifft zwar zu, dass es naheliegt, dass, darüber ein Bericht verfasst worden ist. Daraus kann aber weder auf den Umfang noch ‑ ohne Einsicht und Kenntnis seines Wortlauts ‑ auf den Inhalt und schon gar nicht auf den Beweiswert eines solchen Berichts geschlossen werden.
Wenn die Kriminalpolizei die Einsprüche des Angeklagten, die ja erkennbar ihrem Sinn nach eine Vorlage und Berücksichtigung auch des Berichts anstrebten, nicht zum Anlass nahm, diesen vorzulegen, dann durfte der Kläger, der pflichtwidriges Vorgehen der Behörden zunächst nicht unterstellen musste, davon ausgehen, dass aus dem Bericht nichts Relevantes für das Verfahren zu gewinnen sein werde. Davon dass der Kläger, bloß weil der Bericht nicht vorgelegt worden war, mit ausreichender Wahrscheinlichkeit annehmen habe müssen, der Bericht werde ihn entlasten ‑ und zwar so weit, dass es gar nicht zu einer Anklage gekommen wäre ‑, kann keinesfalls gesprochen werden.
4. Schon wegen des nemo‑tenetur‑Prinzips, aber auch wegen des Anklagegrundsatzes in Verbindung mit der Amtswegigkeit, dem Objektivitätsgebot und der Unschuldsvermutung trifft einen Verdächtigen keine Verpflichtung, die Grundlagen für eine Entscheidung über die Wahrscheinlichkeit seiner eigenen Verurteilung zu erarbeiten. Zur Abklärung der Tatsachengrundlage, auf deren Basis die Entscheidung über eine Anklageerhebung zu treffen ist, sind allein die Ermittlungsbehörden, im Besonderen die Staatsanwaltschaft als Anklagebehörde, verpflichtet.
Eine Rettungspflicht im Sinn des § 2 Abs 2 AHG, im Ermittlungsverfahren nach der StPO die Vorlage eines nicht bekannten Berichts über verdeckte Ermittlungen zu beantragen, mit dem Ziel, eine etwa später von der Staatsanwaltschaft erhobene Anklage oder einen Strafantrag abzuwenden, besteht nicht.
5. Darauf, ob ein von ihm an die Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft gerichteter Antrag, einen Bericht zu einer verdeckten Ermittlung beizuschaffen (dessen Beobachtungszeitraum und ‑umfang, Verfasser, Zugehörigkeit zu einem Akt oder Aktenzahl er nicht kannte), überhaupt Erfolg beschieden gewesen wäre (vgl zum Erkundungsbeweis, RIS‑Justiz RS0129608; RS0118444; RS0107040; RS0099453; RS0118123; Schmoller aaO § 55 Rz 35 ff; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 330) und ihm Akteneinsicht nach § 51 StPO nur in vorliegende Ergebnisse zustand (Achammer,WK‑StPO §§ 51‑53 Rz 13), muss daher nicht mehr eingegangen werden.
6. Trifft aber den Kläger keine Obliegenheit, auf die Beischaffung eines solchen Berichts zu dringen, dann ist sein mit Klage vom 5. 11. 2013 geltend gemachter Anspruch auch nicht verjährt. Erst mit Einsicht in den Bericht über die verdeckte Ermittlung am 2. 12. 2010 waren dem Kläger jene Tatsachen bekannt bzw mussten sie ihm bekannt sein, aus denen er auf das Verschulden von Organen schließen konnte (vgl Pkt 2.2.).
7. Insgesamt erweist sich somit die Entscheidung des Berufungsgerichts als zutreffend. Wenn das Berufungsgericht die Ergänzung der Feststellungen für erforderlich erachtet, kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (vgl Kodek in Rechberger 4 § 519 ZPO Rz 26 mwN; RIS‑Justiz RS0042179).
8. Da der Rekurs zur Klärung der Rechtslage beigetragen hat, ist die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens im Sinn des § 52 ZPO der abschließenden Sachentscheidung vorzubehalten (RIS‑Justiz RS0035976).
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