OGH 1Ob113/07k

OGH1Ob113/07k14.8.2007

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei O***** AG, ***** vertreten durch Univ. Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen EUR 30.177,28 s.A., infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 28. März 2007, GZ 4 R 42/07k-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 22. Dezember 2006, GZ 12 Cg 100/05m-14, in der Hauptsache bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei EUR 30.177,28 samt 4 % Zinsen seit 15. 10. 2004 zu zahlen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 6.338,35 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin meldete in einem Konkursverfahren eine Forderung von EUR 96.187,33 an. Diese wurde vom Masseverwalter in der Prüfungstagsatzung bestritten. Das Konkursgericht setze den Gläubigern zur Geltendmachung ihrer bestrittenen Forderungen mittels Klage eine Frist von drei Monaten. Die entsprechende Verständigung nach § 110 Abs 5 KO wurde der Klägerin trotz einer entsprechenden Verfügung des Konkursrichters nie zugestellt. Am 19. 1. 2004 erhielt die Klägerin eine Verständigung über die Anberaumung einer Tagsatzung für den 6. 2. 2004; darin wurde weiters mitgeteilt, dass der vom Masseverwalter vorgelegte Verteilungsentwurf für die Konkursgläubiger eine Quote von rund 31,6 % vorsehe und dass alle Konkursgläubiger in den Verteilungsentwurf Einsicht nehmen und dagegen binnen 14 Tagen Erinnerungen anbringen könnten. Die Klägerin, die sich abgesehen von der Anmeldung ihrer Forderung am Konkursverfahren nicht beteiligt hatte, nahm weder in den Verteilungsentwurf Einsicht noch besuchte sie die anberaumte Tagsatzung. Erst nach Erhalt einer Verständigung über die Aufhebung des Konkurses am 20. 4. 2004 erfuhr sie nach einer Erkundigung beim Masseverwalter am 3. 8. 2004, dass die von ihr angemeldete Forderung bei der Verteilung nicht berücksichtigt worden war.

Die Klägerin begehrte nun aus dem Titel der Amtshaftung den Klagebetrag samt Zinsen und brachte dazu im Wesentlichen vor, sie hätte eine (erfolgreiche) Konkursfeststellungsklage gemäß § 110 KO eingebracht, wenn sie von der Bestreitung ihrer Forderung verständigt worden wäre. Die in der zuständigen Geschäftsabteilung tätigen Organe hätten rechtswidrig und schuldhaft gehandelt, weil sie entgegen den Bestimmungen der Geo auf das Fehlen eines Zustellausweises nicht reagiert hätten. Die Klägerin habe nicht gegen ihre Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG verstoßen, weil es ihr nicht möglich gewesen wäre, den Schaden abzuwenden. Sie hätte keinen Anlass gehabt, in den Verteilungsentwurf Einsicht zu nehmen, weil sie grundsätzlich mit einer rechtmäßigen Vorgangsweise rechnen habe dürfen und auch keinen Anlass gehabt habe, anzunehmen, dass ihre Forderung bestritten worden sein könnte. Im Übrigen hätten auch Erinnerungen gegen den Verteilungsentwurf oder ein Rekurs gegen den Verteilungsbeschluss den Schaden nicht abwenden können, weil die Frist für die Einbringung der Prüfungsklage - ohne Rücksicht auf die Zustellung einer Verständigung an die Klägerin - jedenfalls am 10. 7. 2002 geendet habe. Der Klägerin sei auch weder eine Verletzung der Schadensminderungspflicht noch ein Mitverschulden vorzuwerfen.

Die Beklagte wandte dagegen im Wesentlichen ein, die Klägerin habe ihre Rettungspflicht im Sinn des § 2 Abs 2 AHG verletzt. Hätte sie Erinnerungen gegen den Verteilungsentwurf, bei deren Ablehnung Rekurs gegen den Verteilungsbeschluss eingebracht, wäre der nunmehr geltend gemachte Schaden vermieden worden. Dass ihre Forderung im Verteilungsentwurf nicht berücksichtigt war, hätte die Klägerin bei der ihr leicht zumutbaren Einsicht feststellen können. Hätte sie den Verteilungsentwurf bzw den Verteilungsbeschluss eingesehen, so wäre ihr das Fehlen ihrer Forderung aufgefallen und der eingetretene Schaden wäre im Wege eines Rechtsmittels vermeidbar gewesen. Wenn dieses Versäumnis nicht als Verletzung der Rettungspflicht qualifiziert werden sollte, habe sie doch gegen ihre Schadensminderungspflicht verstoßen bzw treffe sie ein beträchtliches Mitverschulden am Entstehen des Schadens. Richtigerweise hätte die angemeldete Forderung im Verteilungsentwurf als bestrittene Forderung nach § 131 Abs 3 KO berücksichtigt werden müssen, weil die Frist zur Erhebung der Klage nach § 110 Abs 4 KO wegen der unterlassenen Verständigung von der Bestreitung noch gar nicht zu laufen begonnen habe und daher auch noch nicht abgelaufen gewesen sei.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte fest, dass der Klägerin gegen die Gemeinschuldnerin eine Forderung in Höhe von insgesamt EUR 96.187,33 zustand; wäre diese Forderung bei der Verteilung berücksichtigt worden, wäre ihr eine Geldsumme in Höhe des Klagebetrags zugekommen. Der Klägerin könne jedoch nicht vorgeworfen werden, die ihr zumutbare Sorgfalt verletzt zu haben, zumal diese Sorgfaltspflicht nicht überspannt werden dürfe. Zunächst dürfe jede Partei auf eine rechtmäßige Vorgangsweise der Behörden vertrauen, es sei denn, es lägen Anhaltspunkte für Gegenteiliges vor. Die Klägerin habe ihre Forderung ordnungsgemäß angemeldet, sei aber von der Bestreitung nicht verständigt worden. Sie habe daher zu Recht davon ausgehen dürfen, dass sie im Verteilungsentwurf berücksichtigt werde, sodass für eine Erinnerung im Sinne des § 130 Abs 1 KO kein Anlass bestanden habe, zumal das Konkursgericht den Verteilungsentwurf von Amts wegen zu überprüfen habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig. Da die Klagefrist des § 110 Abs 4 KO durch die Zustellung der Verständigung über die Forderungsbestreitung ausgelöst werde, sei sie zum Zeitpunkt der Verteilungstagsatzung noch offen gewesen. Die Forderung hätte bei der Verteilung daher nicht als unberechtigt betrachtet werden dürfen. Der Klägerin sei allerdings keine schuldhafte Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG vorzuwerfen. Es hätten keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Vorgehen des Konkursgerichts bestanden, insbesondere nicht darauf, dass eine gesetzlich vorgeschriebene Verständigung nicht durchgeführt worden wäre. Die Klägerin habe daher davon ausgehen können, dass ihre Forderung nicht bestritten worden sei und daher bei der Verteilung berücksichtigt werden würde. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfragen zu lösen gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Die Beklagte wirft der Klägerin vor, weder in den Verteilungsentwurf bzw den Verteilungsbeschluss Einsicht genommen noch dagegen Erinnerungen bzw Rekurs erhoben zu haben. Zu prüfen ist daher vorerst, ob diese Unterlassungen einen Verstoß gegen die in § 2 Abs 2 AHG normierte Rettungspflicht darstellen.

Nach der genannten Bestimmung besteht dann kein Ersatzanspruch, wenn der Geschädigte den Schaden durch Rechtsmittel oder Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof hätte abwenden können. Dabei ist von einem weiten Rechtsmittelbegriff auszugehen (RIS-Justiz RS0026901), zumal der ersichtliche Zweck dieser Norm darin besteht, den von einem rechtswidrigen und schuldhaften Verhalten eines Organs Betroffenen zunächst zu verhalten, im Rahmen der bestehenden rechtlichen Möglichkeiten einen Schaden gar nicht entstehen zu lassen (vgl nur Schragel, AHG³ § 2 Rz 183). Rechtsmittel sind danach alle Rechtsbehelfe, die sich unmittelbar gegen die schädigende Amtshandlung oder Unterlassung richten und nach der gesetzlichen Ordnung ihre Beseitigung oder Berichtigung ermöglichen. Nach der Rechtsprechung handelt es sich bei dem Ersatzanspruch nach dem AHG um einen „subsidiären Rechtsbehelf", der erst dann zum Tragen kommt, wenn alle anderen Mittel zur Abwendung oder zum Ersatz des Schadens vergeblich waren (RIS-Justiz RS0053128). Amtshaftung hat nur einzutreten, wenn das von den Gesetzen primär zur Verfügung gestellte Sicherheitsnetz an Rechtsbehelfen nicht ausreicht oder ausreichen könnte, den Schaden noch zu verhindern (SZ 71/7; SZ 71/98; SZ 72/28; SZ 72/51). Der Rechtsmittelbegriff des AHG umfasst alle prozessualen Anfechtungsmittel im weiteren Sinn, sodass nur für nicht sanierbare Akte der Vollziehung Ersatz zu gewähren ist. Das Gesetz somit überlässt auf diese Weise zunächst dem Betroffenen selbst die Wahrung seiner Interessen und gewährt ihm Amtshaftungsansprüche nur dort, wo er innerhalb des betreffenden Verfahrens alle Anfechtungsmittel vergeblich ausgeschöpft hat (RIS-Justiz RS0026901). Auch wenn jede Partei grundsätzlich mit einer rechtmäßigen Vorgangsweise des Gerichts rechnen darf, sofern nicht Anhaltspunkte für Gegenteiliges vorliegen (1 Ob 95/00b), kann die Untätigkeit des durch eine fehlerhafte Gerichtshandlung Geschädigten jedenfalls dann eine Verletzung der Rettungspflicht nach § 2 Abs 2 AHG darstellen, wenn die einschlägigen Verfahrensvorschriften - allenfalls auch ganz spezielle - Möglichkeiten eröffnen, allfällige Gerichtsfehler zu verhindern oder (rechtzeitig) zu beseitigen.

Nach Auffassung des erkennenden Senats trägt die Regelung des § 130 KO über die Möglichkeit des Anbringens von Erinnerungen gegen den Verteilungsentwurf einschließlich der Zulässigkeit eines Rekurses gegen den auf dem Entwurf basierenden Verteilungsbeschluss - der auch Konkursgläubigern offensteht, die keine Erinnerungen angebracht haben (wbl 1988, 29) - gerade der Gefahr Rechnung, dass bei der Verteilung im Konkurs immer wieder (Gerichts-)Fehler auftreten können, auf die das Gericht von den Betroffenen im Wege eines geordneten Verfahrens rechtzeitig aufmerksam gemacht werden soll, um Vermögensnachteile zu vermeiden. Auch hier überlässt das Gesetz zunächst dem Betroffenen selbst die Wahrung seiner Interessen, sodass Amtshaftungsansprüche nur dort in Betracht kommen, wo er innerhalb des betreffenden Verfahrens alle Anfechtungsmittel im weiteren Sinn vergeblich ausgeschöpft hat.

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin weder Einsicht in den Verteilungsentwurf noch in den gerichtlichen Verteilungsbeschluss genommen und sich damit selbst die Möglichkeit versperrt, im Wege von Erinnerungen oder eines Rekurses eine endgültige gerichtliche Entscheidung herbeizuführen, die ihren Interessen Rechnung getragen und den schließlich eingetretenen Vermögensschaden verhindert hätte. Diese Missachtung ihrer eigenen Interessen ist im Sinne der obigen Darlegungen als Verletzung der Rettungspflicht des § 2 Abs 2 AHG zu qualifizieren. Berücksichtigt man weiters, dass sich die Klägerin am gesamten Konkursverfahren - abgesehen von der Forderungsanmeldung - nicht beteiligt hat, ist ihr die Verletzung der Rettungspflicht auch subjektiv vorwerfbar. Gerade weil fehlerhafte Entscheidungen im Verteilungsverfahren immer wieder vorkommen können, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit geschaffen, den betroffenen Gläubigern auf einem besonderen Weg rechtliches Gehör zukommen zu lassen, der grundsätzlich geeignet ist, eine (drohende) fehlerhafte Entscheidung zu verhindern. Unterlässt es nun ein Konkursgläubiger, in den Verteilungsentwurf und den Verteilungsbeschluss Einsicht zu nehmen, so lässt er sich gerade auf jenes Risiko ein, das die einschlägigen Vorschriften erkennbar verhindern sollen. Dem kann auch nicht entgegengehalten werden, dass die Klägerin mit der Bestreitung ihrer Forderung nicht rechnen musste. Sie wäre ja auch dann nicht berücksichtigt worden, wenn sie aus ganz anderen Gründen - etwa wegen eines bloßen Übersehens - nicht unter die (anteilig) zu befriedigenden Gläubiger aufgenommen worden wäre.

Damit ist auf die von der Revisionsgegnerin - schon in der Klage - aufgeworfene Frage einzugehen, ob das Anbringen von Erinnerungen bzw die Erhebung eines Rekurses überhaupt geeignet gewesen wäre, den entstandenen Schaden zu verhindern. Die Klägerin vertritt dazu die Auffassung, die Frist zur Erhebung der Prüfungsklage sei zum fraglichen Zeitpunkt bereits abgelaufen gewesen, sodass der durch die unterlassene Zustellung entstandene Schaden nicht mehr abgewendet hätte werden können; die in der Prüfungstagsatzung vom 10. 4. 2002 bestimmte Frist von drei Monaten habe - unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um ein Vielparteienverfahren handle - mit der Verkündung begonnen und damit am 10. 7. 2002 geendet. Dem hat das Berufungsgericht entgegengehalten, die Klagefrist sei im Sinne des § 131 Abs 3 KO noch offen gewesen, weil die Zustellung der fristauslösenden Verständigung von der Forderungsbestreitung noch nicht erfolgt gewesen sei und daher die Frist nach den §§ 124 f ZPO noch nicht ablaufen habe können; auch bei Unterlassen einer solchen Zustellung sei die Klagefrist noch „offen", stelle doch § 131 Abs 3 KO lediglich darauf ab, ob noch eine Klage nach § 110 Abs 4 KO eingebracht werden könne oder nicht.

Der erkennende Senat schließt sich der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts in diesem Punkt an. Gemäß § 171 KO ist auf das Konkursverfahren die ZPO sinngemäß anzuwenden. Da für die Verständigung von der Bestreitung und der gerichtlichen Bestimmung der Klagefrist keine konkursrechtlichen Sonderbestimmungen bestehen, ist der Fristbeginn für jeden Gläubiger einer bestrittenen Forderung individuell zu bestimmen. Jedenfalls für Gläubiger, die bei der Verkündung des Beschlusses in einer Tagsatzung nicht anwesend waren, beginnt die vom Gericht bestimmte Klagefrist gemäß §§ 124, 426 Abs 2 ZPO mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung (ebenso Kodek in Bartsch/Pollak/Buchegger IV4 § 110 KO Rz 56 unter Hinweis auf Konecny in Konecny/Schubert § 110 Rz 29). War aber die der Klägerin zustehende Klagefrist im dargelegten Sinn noch „offen", hätte das Konkursgericht im Falle entsprechender Erinnerungen gegen den Verteilungsentwurf - ebenso das Rekursgericht bei einem Rekurs gegen den Verteilungsbeschluss - den Umstand aufgreifen müssen, dass über die Berechtigung der von der Klägerin angemeldeten Forderung noch nicht Klarheit besteht, sodass diese jedenfalls nicht endgültig unberücksichtigt bleiben darf. Da bei Beurteilung der Kausalität der Rettungspflichtverletzung von einem rechtmäßigen Vorgehen der Behörde nach dem Hinweis auf den (drohenden) Fehler auszugehen ist, muss angenommen werden, dass die Erhebung von Erinnerungen bzw eines Rekurses den geltend gemachten Schaden abgewendet hätte.

Damit erweist sich das Ersatzbegehren als unberechtigt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.

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