OGH 7Ob56/15h

OGH7Ob56/15h10.6.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei J***** M*****, vertreten durch Dr. Karl‑Heinz Plankel und andere, Rechtsanwälte in Dornbirn, gegen die beklagte Partei I***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Lederer Rechtsanwalt GmbH in Wien, wegen Feststellung (23 Cg 26/12z) und Feststellung (27 Cg 19/12z), über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 28. Jänner 2015, GZ 1 R 202/14d‑45, womit das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Handelsgericht vom 27. August 2014, GZ 23 Cg 26/12z, 27 Cg 19/12z‑40, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 7.567,56 EUR (darin enthalten 807,26 EUR an USt und 2.724 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Im März und im Mai 2005 zeichnete der Kläger zwei von der I***** Group GmbH, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, empfohlene Pensionsvorsorgemodelle „L*****“, die jeweils aus drei Elementen bestanden:

- endfällige Fremdwährungskredite der Ö*****-Aktiengesellschaft (in der Folge: „Ö*****“), einmalig in Schweizer Franken oder Japanischen Yen ausnutzbar, und der A*****aktiengesellschaft (in der Folge: „OÖ*****“), einmalig in Schweizer Franken ausnutzbar, im Gegenwert von jeweils 265.000 EUR;

- zwei Rentenversicherungen der W***** Aktiengesellschaft (in der Folge: „W*****“) mit Einmalerlägen von jeweils 250.000 EUR und monatlichen Rentenzahlungen von jeweils 1.170,23 EUR (in den ersten 15 Jahren, auf Grundlage einer vorläufig angenommenen 6%igen Gesamtverzinsung); und

- zwei Lebensversicherungen „F*****“ der T***** Company (in der Folge: „St*****“) mit zum 1. 5. 2025 garantierten Kapitalauszahlungen von jeweils 149.339 EUR und monatlich zu zahlenden Beiträgen von jeweils 700 EUR (in der Folge: „Tilgungsträger“).

Die Modelle sahen vor, dass mit den Fremdwährungskreditsummen die Rentenversicherungen der W***** eingezahlt wurden. Aus den daraus erzielten monatlichen Renten sowie einer zusätzlichen monatlichen Eigenleistung des Klägers von 2 x 50 EUR sollten die jeweils laufenden Zinsen der Fremdwährungskredite von vorerst 386 bzw 497 EUR und die monatlichen Beiträge zu den beiden St*****‑Tilgungsträgern von 2 x 700 EUR bedient werden. Im Jahr 2025 sollten aus den dann fälligen Garantiesummen der Tilgungsträger sowie deren erwarteten Überschussbeteiligungen die Fremdwährungskredite getilgt werden. Danach sollten dem Kläger die Rentenzahlungen aus den beiden Rentenversicherungen der W***** als Vorsorge für sich und seine Familie bleiben.

Die zu dieser Anlage führenden Beratungsgespräche führte der Kläger mit J***** P*****, der ab 28. 6. 2007 nicht mehr für die Beklagte tätig war, sondern sich mit der B***** GmbH selbständig machte. Der Kläger wechselte mit J***** P***** zur B***** GmbH.

Bereits 2008 reichten die Eigenleistungen des Klägers von monatlich 100 EUR und die monatlichen Rentenerträge von 2.340,46 EUR nicht mehr aus, um die als Folge der Finanzkrise gestiegenen laufenden Fremdwährungskreditzinsen und die laufenden Beiträge zu den Tilgungsträgern zu bedienen; die Eigenleistungen des Klägers waren auf monatlich 400 bis 500 EUR gestiegen. Da der Kläger diese monatlichen Belastungen nicht mehr aufbringen konnte, vereinbarte er deshalb im Jahr 2008 über Empfehlung von J***** P***** eine Kredit-Teiltilgung, einen „Zinscap“ und eine Kreditlaufzeitverlängerung bei einer Erhöhung seiner monatlichen Eigenleistungen auf 150 EUR.

Der Kläger begehrt mit Klagen vom 24. 1. 2012 (23 Cg 26/12z) und vom 9. 2. 2012 (27 Cg 19/12z) die Feststellung, dass ihm die Beklagte für sämtliche Schäden, Folgen und Nachteile aus der Zeichnung der genannten Pensionsvorsorgemodelle hafte. Er habe die Pensionsvorsorgemodelle im Glauben gezeichnet, in eine sicherere Anlageform zu investieren. Die Beklagte als Abschlussvermittlerin und Anlageberaterin habe ihn über „den Risikocharakter der Anlage gesamthaft unrichtig“ beraten. Die - ungekündigt aufrechten - Modelle wiesen noch nicht genau bezifferbare Deckungslücken auf, weil die versprochenen/garantierten Prämissen nicht eingehalten würden. Dies sei ihm erst im Jahr 2010, frühestens im Juni 2009 aufgrund eines eine Deckungslücke ansprechenden Schreibens der OÖ***** erkennbar geworden. Das Vorliegen einer Deckungslücke habe der Kläger erst durch die Beratung durch den Klagevertreter erkannt. Die Ansprüche seien nicht verjährt. Er begehre, so gestellt zu werden, als hätte er nicht auf die Zusicherungen der Beklagten vertraut. Wäre er richtig beraten worden, hätte er die Modelle nicht gezeichnet. Ihn treffe kein Mitverschulden.

Die Beklagte bestreitet. Die behaupteten Ansprüche seien verjährt, weil dem Kläger ‑ zufolge der ihm übermittelten Kontoauszüge der finanzierenden Banken sowie der Rückkaufswertmitteilungen der St***** bereits ab Sommer 2008 eine nicht seinen Vorstellungen entsprechende Entwicklung der Modelle hätte auffallen müssen. Der Kläger habe vor 2009 gewusst oder wissen müssen, dass die Modelle nicht seinen behaupteten Vorstellungen entsprochen hätten, zumal er in diesem Zeitraum mit höheren Eigenleistungen konfrontiert gewesen sei und ein Zinscap habe vorgenommen werden müssen. Jedenfalls sei dem Kläger klar gewesen, dass unter diesen Umständen die von ihm behauptete Kredittilgung nach 20 Jahren nicht möglich sein würde. Es liege keine Fehlberatung vor, der Kläger sei vollständig und richtig aufgeklärt worden. Den Kläger treffe an einem Schaden das Alleinverschulden.

Das Erstgericht wies die Feststellungsbegehren ab. Die Ansprüche seien verjährt, weil der Kläger aufgrund der vervielfachten Eigenleistung bereits im Sommer 2008 eine Zinsabsicherung (Zinscap) und eine Laufzeitverlängerung vorgenommen habe. Er berufe sich auf eine Zusicherung, wonach der Kredit nach 20 Jahren durch die Vermögensveranlagung vollumfänglich getilgt werden könne. Erwerbe er aber eine vermeintlich risikolose, „todsichere“ Vorsorge, bei der der Kredit nach 20 Jahren getilgt sei, bei der nichts passieren könne und bei der das Modell mögliche Schwankungen selbst auspuffere, so habe ihm spätestens bei der im Jahr 2008 vorgenommenen faktisch eine Umschuldung darstellenden Kreditlaufzeitverlängerung klar sein müssen, dass die Modelle nicht seinen Erwartungen an eine sichere Pensions‑ und Familienvorsorge entsprächen.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in ein die Verjährung verneinendes Zwischenurteil gemäß § 393a ZPO ab. Der Kläger habe aus bloßen Mitteilungen mit entsprechenden Informationen über den Kontostand angesichts des Umstands einer Erhöhung der laufenden Kreditzinsen nicht beurteilen können, ob sich das Finanzprodukt insgesamt entgegen seinen Erwartungen entwickelte. Gerade bei dem so komplexen Zusammenspiel mehrerer Faktoren würde die Obliegenheit überspannt, den Widerspruch des Plans zu den eigenen Erwartungen zu erkennen, wenn schon das Abweichen einzelner Risikofaktoren von der Prognose die Verjährungsfrist in Gang setzen würde. Aus Rückkaufswertermittlungen einer Lebensversicherung sei zudem eine verlässliche Information über deren Performance und Entwicklung bis zum vereinbarten Leistungsdatum nicht zu gewinnen. Dass die Modelle für die Zwecke des Klägers ungeeignet gewesen seien, sei daher aus isolierten Informationen, welche Grundlage der Behauptung der Verjährung bilden sollten, nicht zu erkennen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Beklagten mit einem Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger begehrt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus Gründen der Rechtssicherheit zulässig, sie ist auch berechtigt.

Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 erster Satz ABGB beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem dem Geschädigten sowohl der Schaden und der Schädiger als auch die Schadensursache bekannt geworden ist (RIS-Justiz RS0034951, RS0034374). Die Kenntnis des Sachverhalts, der den Grund des Entschädigungsanspruchs darstellt, beginnt erst, wenn dem Geschädigten der Sachverhalt soweit bekannt wurde, dass er eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erheben hätte können (RIS-Justiz RS0034366, RS0034524). Die Kenntnis muss dabei den ganzen anspruchsbegründenden Sachverhalt umfassen, insbesondere auch die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Schaden und einem bestimmten, dem Schädiger anzulastenden Verhalten, in Fällen der Verschuldenshaftung daher auch jene Umstände, aus denen sich das Verschulden des Schädigers ergibt (RIS‑Justiz RS0034951 [T5], RS0034524 [T29, T50]). Hat der Geschädigte als Laie jedoch keinen Einblick in die für das Verschulden maßgeblichen Umstände, so beginnt die Verjährungszeit nicht zu laufen (RIS-Justiz RS0034603). Die bloße Möglichkeit der Ermittlung einschlägiger Tatsachen vermag ihr Bekanntsein nicht zu ersetzen (RIS‑Justiz RS0034603 [T2]). Nach ständiger oberstgerichtlicher Judikatur darf sich der Geschädigte allerdings nicht einfach passiv verhalten und es darauf ankommen lassen, dass er von der Person des Ersatzpflichtigen eines Tages zufällig Kenntnis erhält. Wenn er die für die erfolgversprechende Anspruchsverfolgung notwendigen Voraussetzungen ohne nennenswerte Mühe in Erfahrung bringen kann, gilt die Kenntnisnahme schon als in dem Zeitpunkt erlangt, in welchem sie ihm bei angemessener Erkundigung zuteil geworden wäre. Dabei ist immer auf die Umstände des konkreten Falls abzustellen (RIS‑Justiz RS0034327, RS0034335). Die Erkundungsobliegenheit des Geschädigten, die sich auf die Voraussetzungen einer erfolgversprechenden Anspruchsverfolgung schlechthin und nicht nur auf die Person des Schädigers erstreckt (RIS‑Justiz RS0034327 [T8]), darf dabei nicht überspannt werden (RIS‑Justiz RS0034327).

Die kurze Verjährung von Ersatzansprüchen beginnt nicht vor dem tatsächlichen Eintritt des Schadens zu laufen (RIS‑Justiz RS0083144). Mit dessen positiver Kenntnis wird sie aber nach ständiger Rechtsprechung auch schon dann in Gang gesetzt, wenn der Geschädigte die Höhe seines Schadens noch nicht beziffern kann und wenn ihm noch nicht alle Schadensfolgen bekannt oder diese auch noch nicht zur Gänze eingetreten sind. Der drohenden Verjährung muss der Geschädigte mit einer Feststellungsklage begegnen (RIS‑Justiz RS0087615).

Zur Frage, wann die Verjährungsfrist bei Schäden im Zusammenhang mit einer Veranlagung zu laufen beginnt, hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach Stellung genommen:

Geht man davon aus, dass eine risikolose Veranlagung gewünscht wurde, so tritt der Schaden in dem Moment ein, in dem sich herausstellt, dass die erworbenen Papiere tatsächlich risikobehaftet sind, also die gewünschte Eigenschaft nicht erfüllt ist. Dieser Zeitpunkt ist unabhängig davon, ob nach einer Zukunftsprognose aus damaliger Sicht auf eine positivere Kursentwicklung zu hoffen war oder nicht, als maßgebender Termin für den Schadenseintritt anzusehen. Erhält der Geschädigte Kenntnis von Kursverlusten, so muss ihm zugleich auch klar sein, dass er sein Geld anstatt für ein von ihm gewünschtes risikoloses Wertpapier für ein Kursschwankungen unterworfenes Wertpapier ausgegeben hatte (7 Ob 253/97z, 7 Ob 18/13t mwN). Entscheidend ist, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt, dass ein Gesamtkonzept den Zusagen nicht entsprochen hat. Die Risikoträchtigkeit eines Gesamtkonzepts liegt jedenfalls dann vor, wenn sich dieses rein rechnerisch nicht mehr ohne zusätzliche Vermögensverminderung im Vergleich zur (herkömmlichen) Tilgung des Darlehens und Geldmittelbeschaffung vor dem Umschuldungs‑ und Finanzierungskonzept entwickeln konnte. Ein nach Erkennen der Risikoträchtigkeit eintretender weiterer Schaden ist als bloßer Folgeschaden zu qualifizieren, dessen Verjährung gleichfalls mit der Kenntnis vom Eintritt des Primärschadens beginnt (6 Ob 103/08b). Es ist also für den Lauf der Verjährungsfrist entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Anleger erkennt, dass sein Investment ‑ entgegen den Zusicherungen ‑ nicht risikolos ist, sondern die Gefahr eines Kapitalverlusts in sich birgt (10 Ob 39/11z, 7 Ob 18/13t).

Bereits 2008 reichte die Eigenleistung des Klägers von bisher monatlich 100 EUR und die monatlichen Rentenerträge von 2.340,46 EUR nicht mehr aus, um die laufenden Fremdwährungskreditzinsen und die laufenden Beiträge zu den Tilgungsträgern zu bedienen; vielmehr waren die Eigenleistungen des Klägers erheblich und zwar auf 400 bis 500 EUR monatlich gestiegen. Schon zu diesem Zeitpunkt musste dem Kläger klar sein, dass das Gesamtkonzept nicht mehr seinen ursprünglichen Erwartungen entsprach, immerhin musste er ‑ entgegen der Zusicherung ‑ bereits anderweitiges eigenes Vermögen einsetzen und daher damit rechnen, dass er mit seiner Veranlagung Verluste einfahren und eine Deckungslücke entstehen könne. Der vom Kläger durchgeführte Versuch, das ursprünglich von der Beklagten empfohlene Modell zu „sanieren“, führte überhaupt zu einer erheblichen Modifikation. Abgesehen von der Vereinbarung eines Zinscaps erfolgte eine Kredit-Teiltilgung, eine Kreditlaufzeitverlängerung und eine weiterhin höhere Eigenleistung, womit noch offenkundiger wurde, dass die Abwicklung des ursprünglichen Modells der Beklagten nicht mehr den Erwartungen des Klägers entsprach, daher an der Zuverlässigkeit der professionellen Beratung durch die Beklagte zu zweifeln und mit dem Entstehen einer Deckungslücke zu rechnen war.

Im Zeitpunkt der Klagseinbringungen war daher die dreijährige Verjährungsfrist abgelaufen. Dies hat das Erstgericht zutreffend erkannt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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