OGH 6Ob179/24b

OGH6Ob179/24b6.11.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Gitschthaler als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer, Dr. Faber, Mag. Pertmayr und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M*, 2. E*, beide *, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei V* AG, *, Deutschland, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 50.090 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 25. Juli 2024, GZ 6 R 101/24a‑67, womit das Urteil des Landesgerichts Wels vom 12. Juni 2024, GZ 2 Cg 59/20h‑62, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00179.24B.1106.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit 1.126,42 EUR (darin 179,85 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Die Kläger erwarben im April 2012 einen Neuwagen der Marke Audi Q3 2.0 TDI quattro um 50.090 EUR. Die Beklage ist die Herstellerin des darin verbauten Dieselmotors des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5, nicht aber die Fahrzeugherstellerin.

[2] Das Fahrzeug verfügte bei Übergabe an die Kläger über eine unzulässige Abschalteinrichtung (Umschaltlogik). Auch nach Durchführung des Software‑Updates liegt eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, weil die Abgasrückführung nur zwischen 15 und 33 Grad Celsius und damit in Österreich nur zwischen vier bis fünf Monaten voll aktiv ist.

[3] Die Kläger nutzten das Fahrzeug, das eine Gesamtlaufleistung von 250.000 Kilometer hat, durch 12 Jahre hindurch. Es weist einen Kilometerstand von 52.611 Kilometer auf.

[4] Die Kläger begehren von der Beklagten Schadenersatz in der Höhe des Kaufpreises (samt Zinsen ab Klagszustellung) Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, gestützt auch auf arglistige Irreführung.

[5] Die Beklagte erklärte nach Aufhebung des klagsabweisenden Ersturteils durch das Berufungsgericht im ersten Rechtsgang (siehe 6 Ob 149/23i) im zweiten Rechtsgang, das Klagebegehren „aus rein prozessökonomischen Gründen und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht dem Grunde nach“ anzuerkennen.

[6] Die Vorinstanzen sprachen den Klägern 39.548,86 EUR (nicht aber den vollen Kaufpreis in Höhe von 50.090 EUR) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu, weil sie den Gebrauchsvorteil der Kläger, die das Fahrzeug durch 12 Jahre hindurch benützt hatten, berücksichtigten. Das dafür angerechnete Benützungsentgelt setzten sie („linear“) in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern fest (vgl RS0134263).

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision der Kläger ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig, weil sie keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigt.

[8] Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

[9] 1. Die Revision fordert – entgegen der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach gegenüber einer Motorenherstellerin nur ein durch nationales Recht determinierter Schadenersatzanspruch wegen Täuschung oder arglistiger Irreführung nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB in Betracht kommt, nicht aber eine Haftung wegen einer Schutzgesetzverletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG (8 Ob 70/24p [Rz 11 f]; 2 Ob 46/24i [Rz 7]; 5 Ob 83/24b [Rz 29]; 9 Ob 51/24a [Rz 11]; 9 Ob 18/24y [Rz 14]; 4 Ob 160/23t [Rz 7]; 6 Ob 182/23t [Rz 16]; 10 Ob 36/23a [Rz 29]; 2 Ob 139/23i [Rz 14]; 4 Ob 147/22d [Rz 12]; RS0134616) – eine Gleichsetzung bzw Gleichbehandlung der Motorenherstellerin mit der Fahrzeugherstellerin. Daraus und aus dem im ABGB verankerten Ersatz auch des entgangenen Gewinns nach § 1324 ABGB, des Affektionsinteresses nach (richtig) § 1331 ABGB sowie des höheren Ersatzes nach § 53 Abs 3 Markenschutzgesetz sowie § 150 Abs 3 PatentG bei (grober Fahrlässigkeit oder) Vorsatz soll sich ein Entfall der von den Vorinstanzen vorgenommenen Anrechnung des Gebrauchsvorteils ableiten, wenn die (Fahrzeug- oder die) Motorenherstellerin Arglist zu vertreten hat.

[10] 2. Die von der Revision aufgelisteten Bestimmungen betreffen den Umfang von Schadenersatz (Ersatzfähigkeit auch des entgangenen Gewinns oder des Affektionsinteresses) in besonderen Fällen oder überhaupt Vorschriften aus einem anderen Rechtsbereich (Marken-, Patentrecht). Ganz abgesehen davon, dass keiner der von diesen Normen betroffenen Fälle vorliegt, regeln diese Bestimmungen, welcher Schaden zu ersetzen ist. Von der Frage, was für ein (ersatzfähiger) Schaden dem Geschädigten entstanden ist, ist die Frage der Anrechung eines Vorteils auf diesen (etwa nach den aufgezählten Normen ermittelten) Schaden zu trennen, was die Revision aber zu vermengen versucht. Für die dem Gedanken der Hintanhaltung einer ungerechtfertigten Bereicherung entspringende Vorteilsanrechnung, also für die Frage, ob sich der Geschädigte auf den erlittenen Schaden den Vorteil, den er aus dem ungewollten Vertrag gezogen hat (siehe dazu 10 Ob 2/23a vom 25. 4. 2023 [Endurteil]), anrechnen lassen muss – wenn wie hier der Schaden und der Vorteil ihre Wurzel in demselben Tatsachenkomplex haben – lässt sich aus den von der Revision angeführten Normen nichts gewinnen.

[11] 3. Die nach den Grundsätzen des Schadenersatzrechts vorzunehmende Vorteilsanrechnung soll ganz allgemein dem Umstand Rechnung tragen, dass ein schädigendes Ereignis dem Geschädigten auch Vorteile bringen kann. Derartige Vorteile des Geschädigten, die ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wären, sind grundsätzlich zugunsten des Schädigers anzurechnen (1 Ob 34/24t [Rz 27]; RS0022834; allgemein zur Pflicht der Entrichtung eines dem verschafften Nutzen entsprechenden Entgelts RS0019850; 5 Ob 214/19k). Ansonsten wäre der Geschädigte um diese Vorteile bereichert.

[12] 4. Zu einer Anrechnung des dem Käufer zugekommenen Nutzen hat es nach diesen Grundsätzen sowohl bei auf §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB (vgl dazu 2 Ob 5/23h [Rz 53]), als auch bei auf (Schutzgesetz-)Verletzung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG gestützten Schadenersatzansprüchen Zug um Zug gegen Rückgabe des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs zu kommen, zumal es auch bei einem Verstoß gegen Art 5 VO 715/2007/EG Sache des Rechts des betreffenden Mitgliedstaats ist, die Vorschriften über den Ersatz des Schadens festzulegen (EuGH C-100/21 , QB gegen Mercedes-Benz Group AG [Rn 97, Spruchpunkt 2.]). Soweit eine Haftung darauf gegründet ist, müssen sich die innerstaatlichen Vorschriften aber auch am Effektivitätsgrundsatz messen lassen (EuGH C-100/21 [Rn 93]), also eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion für den Verstoß darstellen (EuGH C‑100/21 [Rn 90]). Sie dürfen dem Erwerber die Erlangung eines angemessenen Schadenersatzes nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (EuGH C‑100/21 [Rn 93]), wobei der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) den nationalen Gerichten anlässlich der Festsetzung eines angemessenen Schadenersatzbetrags ausdrücklich die Befugnis einräumt, dafür Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt (EuGH C-100/21 [Rn 94]; dazu, dass dies etwa durch Anrechnung des Nutzungsvorteils geschieht, schon 3 Ob 121/23z [Rz 17]). Strafschadenersatz, wie ihn die Revision offenbar anstrebt, wurde (gegenüber einer Fahrzeugherstellerin) bereits in der Entscheidung zu 1 Ob 34/24t abgelehnt.

[13] 5. Dementsprechend wird in der Rechtsprechung (insbesondere) die tatsächliche Nutzung des betroffenen Fahrzeugs bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im Rahmen der Vorteilsanrechung berücksichtigt (RS0134263; 10 Ob 2/23a; 3 Ob 121/23z; 10 Ob 16/23k; 4 Ob 143/22s [Rz 15], in welchem Fall neben Schutzgesetzverletzung die Haftung der Fahrzeugherstellerin auch nach §§ 874 und 1295 Abs 2 ABGB geltend gemacht wurde; 8 Ob 42/23v; Haftung der Fahrzeugstellerin auch wegen Arglist bejaht in 6 Ob 84/23f [Rz 23, 35 f]; zur Motorenherstellerin vgl 2 Ob 5/23h und weiteren gegen Motorenherstellerinnen angestrengten Verfahren 4 Ob 160/23t [Rz 13] und 6 Ob 16/23f [Rz 25], in welchen Fällen neben [fehlenden] Feststellungen zu den Tatbestandselementen für die behauptete Anwendung von § 874 bzw § 1295 Abs 2 ABGB auch solche für die Festsetzung des Benützungsentgelts bzw dessen Erörterung aufgetragen wurde).

[14] 6. Gerade für den vorliegenden Einzelfall kann die Revision nicht aufzeigen, warum – selbst bei Zugrundelegung von Arglist (hier) der Motorenherstellerin – eine ungerechtfertigte Bereicherung der Kläger nicht darin liegen sollte, wenn ihnen, wie gefordert, nach 12-jähriger Nutzung gar nichts, also nicht einmal das von den Vorinstanzen berücksichtigte Fünftel des Kaufpreises als Vorteil angerechnet würde. Die Kläger haben das Fahrzeug durch mehr als ein Jahrzehnt hindurch genutzt, wobei bei gleichbleibendem (und weit unterdurchschnittlichem) Gebrauch des Fahrzeugs dessen Gesamtkilometerleistung fiktiv insgesamt erst in rund 60 Jahren erreicht wäre. Sie erhalten rund 40.000 EUR vom Kaufpreis in Höhe von rund 50.000 EUR zurück (also 4/5), die Beklagte erhält dagegen ein Fahrzeug mit einem Händlereinkaufspreis von „11.000 oder 12.000 Euro“ und einem Wiederbeschaffungswert aufgrund der geringen Laufleistung von „15.000 bis 18.000 Euro“.

[15] Bei dieser Sachlage entspricht die von den Vorinstanzen vorgenommene Anrechnung dem Zweck des Schadenersatzes und führt – auch bei angenommener Arglist – nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers (vgl RS0023600); ebenso wenig könnte – bei von den Klägern angenommener „Gleichstellung“ mit einer Fahrzeugherstellerin – davon die Rede sein, dass der festgesetzte Schadenersatz nicht in Einklang mit dem Effektivitätsgebot stünde.

[16] 7. Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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