European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0060OB00182.23T.0320.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Rekurse werden zurückgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 283,17 EUR (darin 34,77 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Die Klägerin erwarb im Juli 2010 bei einem Händler einen Neuwagen der Marke Audi A5 um 38.350 EUR. Die Beklage ist nicht Herstellerin des Fahrzeugs, sondern lediglich des darin verbauten, von ihr entwickelten Dieselmotors des Typs EA189 der Abgasklasse Euro 5.
[2] Das Fahrzeug verfügte bei Übergabe an die Klägerin über eine „Umschaltlogik“, die bewirkte, dass das Fahrzeug nur auf dem Prüfstand die NOx‑Werte der Euro 5-Abgasnorm einhielt. Das durchgeführte Software‑Update ersetzte die Umschaltlogik durch ein „Thermofenster“, aufgrund dessen der emissionsmindernde Modus auch im Fahrbetrieb bei Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius zum Einsatz gelangt.
[3] Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadenersatz in Form einer Zahlung in Höhe des Kaufpreises, abzüglich eines Benützungsentgelts von 15.446 EUR, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs, dies gestützt auch auf arglistige Irreführung, und erhob Eventualbegehren.
[4] Das Berufungsgericht hob das die Klage samt Eventualbegehren abweisende Urteil des Erstgerichts auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück. Auch wenn die Beklagte bloß den Motor hergestellt habe, seien – wenn der Klägerin der Nachweis eines Schadenseintritts gelinge – eine Beweisaufnahme und Feststellungen zu den neben der behaupteten Schutzgesetzverletzung geltend gemachten weiteren Haftungsansätzen (insbesondere nach §§ 874, 1295 ABGB) erforderlich. Die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen reichten für die Beurteilung der Frage, ob das den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügende Fahrzeug vielleicht dennoch konkret dem Willen der Käuferin entsprach, nicht aus.
[5] Den Ausspruch, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, begründete das Berufungsgericht mit „Blick auf die Vielzahl an gerichtsanhängigen, ähnlichen Fällen und dem Fehlen von Rechtsprechung zur Haftung eines Komponentenzulieferers“.
Rechtliche Beurteilung
[6] Die gegen diese Entscheidung erhobenen Rekurse sind – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig.
[7] 1. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO, § 528a ZPO).
[8] 2.1. Gemäß Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, unzulässig. Daher kommt es nach der jüngeren Rechtsprechung (ausführlich 10 Ob 31/23s [Rz 40, 46]; 6 Ob 175/23p [ErwGr II.2.2.]) auch nicht darauf an, ob die Emissionsgrenzwerte trotz Aktivität der Abschalteinrichtung „im realen Straßenverkehr“ eingehalten werden. Dem Risiko, dass die Emissionsgrenzwerte unter Prüfbedingungen eingehalten werden, die Wirkung des Emissionskontrollsystems jedoch ansonsten (unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind) verringert wird, begegnet die VO 715/2007/EG durch das grundsätzliche Verbot von Abschalteinrichtungen. Soweit der insofern nicht näher begründeten Entscheidung 3 Ob 77/23d etwas anderes entnommen werden könnte, ist sie vereinzelt geblieben (10 Ob 31/23s [Rz 46]). Dieses Verbot wird – nur – von drei Ausnahmen durchbrochen (10 Ob 31/23s [Rz 41]).
[9] 2.2. Der Oberste Gerichtshof hat unter Berufung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. 7. 2022, C-145/20 , Porsche Inter Auto und Volkswagen, bereits ausgesprochen, dass die auch beim gegenständlichen Fahrzeug zum Übergabezeitpunkt vorhandene „Umschaltlogik“ als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 [Rz 47]; 9 Ob 68/22y [Rz 26]; vgl schon 10 Ob 44/19x [Pkt E.2.1]).
[10] 2.3. Ein denselben Temperaturbereich wie im vorliegenden Fall (Außentemperaturen zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius) umfassendes „Thermofenster“ wurde ebenso bereits als Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG qualifiziert, die nicht nach dem Ausnahmetatbestand des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG (Einrichtung notwendig, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Kraftfahrzeugs zu gewährleisten) zulässig ist, weil sie aufgrund der vorherrschenden Außentemperaturen jedenfalls in Österreich im überwiegenden Teil des Jahres aktiv ist und die Abgasrückführung reduziert (vgl auch 3 Ob 121/23z [ErwGr 1.3.]). Auf die durchschnittliche Umgebungstemperatur im Unionsgebiet kommt es nicht an (6 Ob 16/23f [ErwGr 2.2.3.]; 3 Ob 40/23p [ErwGr 1.3.]).
[11] 2.4. Zur Frage der Ausnahme nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG hat der Oberste Gerichtshof zusammengefasst dahin Stellung genommen (10 Ob 31/23s [Rz 36 ff]; 4 Ob 151/22t [ErwGr 4.3.]), dass (nur) bei einer Abschalteinrichtung, deren Wirkung unter Prüfbedingungen auf die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte geprüft werden konnte, keine Umgehung der Messverfahren anzunehmen ist; eine solche Abschalteinrichtung könnte nach Art 5 Abs 2 Satz 2 lit c VO 715/2007/EG zulässig sein. Eine Abschalteinrichtung, die unter den genormten Prüfbedingungen nicht aktiv ist – etwa weil sie bei anderen Temperaturen aktiviert wird, als sie während des Prüfstandstests herrschen – ist daher nicht nach dieser Verbotsausnahme zulässig, weil diesfalls ihre „Bedingungen“ im Prüfverfahren nicht „im Wesentlichen enthalten“ sind.
[12] 3.1. Es wurde bereits ausgesprochen, dass die Feststellung, der Kläger hätte das Fahrzeug gleichfalls gekauft, wenn er Kenntnis davon gehabt hätte, dass „eine Software eingebaut ist, welche eine Abschalteinrichtung betreffend die NOx‑Emissionen in Bezug auf den Prüfzyklus darstellt“, bzw er hätte es „bei Kenntnis der programmierten Abschalteinrichtung“ gleichfalls gekauft, nicht ausreicht, um daraus den Schluss zu ziehen, dem Kläger sei kein Schaden entstanden (10 Ob 16/23k [ErwGr II.3.3.2.]); dies gilt auch für die Feststellung, es könne nicht festgestellt werden, dass der Kläger in Kenntnis der manipulierten Software den Wagen nicht gekauft hätte (9 Ob 65/22g [ErwGr 8.4.]).
[13] Solche Feststellungen lassen nicht ausreichend erkennen, welche von den objektiven Verkehrserwartungen abweichenden Umstände der Kläger konkret in Kauf genommen und das Fahrzeug dennoch erworben hätte. Sie geben keine Auskunft darüber, ob er das Fahrzeug gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass es sich bei der vorhandenen Software („Umschaltlogik“) um ein verbotenes Konstruktionselement handelte, das der Typengenehmigungsbehörde verschwiegen wurde, sodass nur deshalb die EG‑Typengenehmigung erteilt wurde. Ebenso wenig lassen solche Feststellungen erkennen, ob der Kläger die Notwendigkeit des Software‑Updates und die vom EuGH angesprochene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs in Kauf genommen und den gegenständlichen Neuwagen dennoch erworben hätte (9 Ob 65/22g [ErwGr 8.4.]; 10 Ob 16/23k [ErwGr II.3.3.2.]).
[14] 3.2. Im vorliegenden Fall hätte die Klägerin auch bei Kenntnis von der Manipulationssoftware, unter der Voraussetzung der Behebung, selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass die dafür erforderliche Software erst entwickelt werden müsse, das Fahrzeug gekauft.
[15] 3.3. Das Berufungsgericht war der Auffassung, diese Feststellungen reichten nicht aus, um daraus den Schluss zu ziehen, der Klägerin sei kein Schaden entstanden. Es seien Feststellungen zur Frage, ob die Klägerin die Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs in Kauf genommen und das Fahrzeug dennoch erworben habe, zu treffen. Diese Beurteilung findet Deckung in der erörterten Rechtsprechung.
[16] 4. Dass eine deliktische Haftung wegen des Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung aus der vom EuGH beurteilten Schutzgesetzverletzung nur den Fahrzeughersteller, der Inhaber der EG‑Typengenehmigung ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat, trifft, hat der Oberste Gerichtshof ebenso bereits ausgesprochen (3 Ob 40/23p [ErwGr 5.2]; ausführlich 6 Ob 161/22b [ErwGr 3]) wie Rechtsprechung dazu vorliegt, dass eine Haftung des Motorenherstellers nach § 1295 Abs 2 ABGB und wegen arglistiger Irreführung denkbar ist (6 Ob 16/23f [ErwGr 4.1.]; 3 Ob 40/23p [ErwGr 5.2.f]).
[17] 5. Wäre – was aber noch nicht feststeht – Ergebnis des Verfahrens, dass der Beklagten hinsichtlich der Umschaltlogik ein arglistig herbeigeführter Irrtum oder eine absichtliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise nachgewiesen werden würde, entfiele ihre Haftung nicht bei fehlendem Verschulden (oder einem Mangel von Arglist oder Schädigungsabsicht) zum Thermofenster (siehe 6 Ob 84/23f [ErwGr 3.], wobei unbeachtlich wäre, dass die Beklagte nur Motorenherstellerin ist, soweit bei ihr nur die Haftungsvoraussetzungen nach § 874 oder § 1295 Abs 2 ABGB hinsichtlich der Umschaltlogik erfüllt sind). Ob der Versuch der Schadensbeseitigung durch das Software‑Update verschuldet oder unverschuldet fehlschlägt, ist unbeachtlich (6 Ob 149/23i [ErwGr 2.3.]).
[18] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41 und 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rekurses gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts im Sinne des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RS0123222 [T2, T4]). Beide Parteien haben in ihren Rekursbeantwortungen jeweils auf die Unzulässigkeit des von der Gegenseite erhobenen Rekurses und dessen fehlende Berechtigung hingewiesen. Der Beklagten gebührt die Differenz der Rekursbeantwortungskosten.
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