OGH 9Ob51/24a

OGH9Ob51/24a23.7.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner, Mag. Korn, Dr. Stiefsohn und Dr. Wallner‑Friedl in der Rechtssache der klagenden Partei F*, vertreten durch Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 11.442,32 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse: 7.903,32 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Berufungsgericht vom 14. März 2024, GZ 2 R 49/24t‑32, mit dem den Berufungen der klagenden und der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 30. Jänner 2024, GZ 13 C 971/20t‑26, nicht Folge gegeben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00051.24A.0723.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts einschließlich des rechtskräftigen Zuspruchs insgesamt lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei den Betrag von 5.308,50 EUR samt 4 % Zinsen seit 30. 10. 2020 zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von 6.133,82 EUR samt 4 % Zinsen seit 30. 10. 2020 zu zahlen sowie das Zinsenmehrbegehren von 4 % Zinsen aus 5.308,50 EUR von 20. 1. 2014 bis 29. 10. 2020 wird abgewiesen.“

Die Kostenaussprüche der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des erst- und des zweitinstanzlichen Verfahrens aufgetragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 555,75 EUR (darin 88,73 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die anteilige Pauschalgebühr für ihre Revision in Höhe von 335,72 EUR zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Klägererwarbam 29. 1. 2014 von einer Fahrzeughändlerin ein am 23. 9. 2013 erstmals zugelassenes Fahrzeug Seat Alhambra Style TDI CR mit einem Kilometerstand von 167 km um 35.390 EUR. Im Fahrzeugist ein von der Beklagten hergestellter Dieselmotor des Typs EA189 verbaut. Dass sowohl die darin verbaut gewesene Umschaltlogik als auch das – nach Durchführungdes Software‑Updates (weiterhin) implementierte – „Thermofenster“ eine gemäß Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG verbotene Abschalteinrichtung darstellt, ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig. Die Umschaltlogik wurde arglistig und in Täuschungsabsicht von der Beklagten implementiert.

[2] Zwischen einem Fahrzeug mit unzulässiger Abschaltvorrichtung, wie jenem des Klägers und einem Fahrzeug ohne verbotene Abschaltvorrichtung bestand zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses am 29. 1. 2014 eine Preisdifferenz zwischen 5 % und 15 %. Eine Differenz von 5 % liegt dann vor, wenn ein (vorhandenes) Software‑Update nur mehr durchgeführt werden muss, eine Differenz von 15 % hingegen, wenn kein Software‑Update verfügbar ist und noch nicht klar ist, wann dieses verfügbar sein wird. Ein Fahrzeug ohne Typengenehmigung hat nur einen Wert von rund 50 % des Preises eines Fahrzeugs mit Typengenehmigung, weil ein Fahrzeug ohne Typengenehmigung nur als Ersatzteilelager verwendet werden kann. Das Fahrzeug verfügt über eine aufrechte Typengenehmigung. Hätte der Kläger gewusst, dass das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, hätte er das Fahrzeug nicht, zumindest nicht um den vereinbarten Kaufpreis gekauft.

[3] Eine vom Kläger 2018 durchgeführte Reparatur des Katalysators um 825,32 EUR steht in keinem Zusammenhang mit der Abgasrückführung oder dem am 23. 1. 2017 durchgeführten Software‑Update.

[4] Der Kläger begehrt von der beklagten Motorenherstellerin (nach Klagseinschränkung) die Zahlung von 10.617 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. 1. 2014 an Schadenersatz, ua gestützt auf arglistige Irreführung nach § 874 ABGB sowie vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung nach § 1295 Abs 2 ABGB durch die Beklagte. Durch den Erwerb des fehlerhaften, überteuerten Fahrzeugs habe er einen Schaden in der Höhe von 30 % des Kaufpreises (objektiver Minderwert) erlitten. Für einen nach dem Software-Update erforderlichen Tausch des Katalysators habe er 825,32 EUR gezahlt.

[5] Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte – soweit für die Revisionsentscheidung relevant – ein, dass der Kläger keinen Schaden erlitten habe.

[6] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 3.539 EUR samt 4 % Zinsen seit 30. 10. 2020 statt. Das Leistungsmehrbegehren in Höhe von 7.903,32 EUR sA sowie das Zinsenmehrbegehren wies es ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, dass beim Erwerb eines mit einer nach Art 5 der VO 715/2007/EG unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs der Schaden in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit bestehe. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben sei der dem Kläger zustehende Schadenersatz, für den die Beklagte wegen arglistiger Irreführung und vorsätzlicher Schadenszufügung hafte, innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % auszumitteln. Unter Anwendung des § 273 ZPO sei ein Schadenersatz von 10 % des Kaufpreises angemessen. Für die Reparatur des Katalysators hafte die Beklagte nicht. Verzugszinsen stünden erst ab Klagszustellung zu.

[7] Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Parteien nicht Folge. Da der Schaden des Klägers schon durch die arglistig und in Täuschungsabsicht von der Beklagten eingebaute Umschaltlogik (unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art 5 der VO 715/2007/EG ) verursacht worden sei, komme es auf ein Verschulden der Beklagten hinsichtlich der Unzulässigkeit des implementierten Thermofensters nicht an. Die Ausmittlung des Schadenersatzes mit 10 % des Kaufpreises unter Anwendung des § 273 ZPO liege im Entscheidungsermessen des Erstgerichts und sei nicht korrekturbedürftig. Eine Verpflichtung zur Feststellung der exakten Wertminderung gebe es nicht. Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht zur Frage der Verjährung, des Verschuldens sowie zu den Sachmängeln der Höhenschaltung und Taxifunktion zugelassen.

[8] In seiner gegen den klageabweisenden Teil des Klagebegehrens gerichteten Revision beantragt der Kläger die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsstattgabe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[9] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, die Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[10] Die Revision des Klägers ist zulässig, weil – dies zeigt das Rechtsmittel auf – das Berufungsgericht bei der Berechnung des Schadenersatzes von der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen ist; sie ist auch teilweise berechtigt.

[11] 1. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kommt die von der Rechtsprechung für Haftung bei Schutzgesetzverletzungen entwickelte, aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben von der innerstaatlichen Systematik abweichende Methodik der Schadensberechnung (im Sinne des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung– selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen [etwa: Sachverständigen-]Beweises – innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises) nicht zur Anwendung, wenn – wie hier – nicht der Fahrzeughersteller aufgrund einer Verletzung von Schutzgesetzen, sondern die Motorenherstellerin nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB in Anspruch genommen wird (RS0134498 [T7]). Hält der Getäuschte am Vertrag fest, ist bei diesen Ansprüchen der Schaden nach der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln (RS0134498 [T9]; 10 Ob 31/23s Rz 51 mwN; 9 Ob 18/24y Rz 16 mwN). Der veränderte Preis muss sich zum vereinbarten Preis so verhalten, wie der Wert der Sache ohne Mangel zum Wert der Sache mit Mangel (10 Ob 27/23b Rz 38 mwN). Der getäuschte Käufer hat unter dem Gesichtspunkt eines ihm nach § 874 ABGB zu leistenden Schadenersatzes Anspruch auf einen Ausgleich für einen Minderwert der ihm verkauften Sache. Durch die Ermittlung des Ausmaßes des Ersatzes im Wege der relativen Berechnungsmethode wird ein Ausgleich für die durch den Willensmangel gestörte subjektive Äquivalenz der im Austauschverhältnis stehenden vertraglichen Leistungen geschaffen (2 Ob 139/23i Rz 24 f).

[12] 2. Der Kläger hat auf diese Rechtsprechung bereits in seiner Berufung Bezug genommen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts ist bei dieser Berechnung der dem getäuschten Käufer entstandene Schaden nur dann unter Anwendung des § 273 ZPO festzusetzen, wenn sich der Wert der „mangelfreien Sache“ nicht feststellen lässt (RS0018764 [T5]). Steht jedoch der Minderwert im Zeitpunkt des Ankaufs des Fahrzeugs fest, dann ist dieser dem arglistig getäuschten Käufer zu ersetzen (5 Ob 33/24z Rz 24 unter Hinweis auf 10 Ob 27/23b und 8 Ob 109/23x).

[13] 3. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Preisdifferenz zwischen dem Wert des Fahrzeugs mit Mangel und dem Wert des Fahrzeugs ohne Mangel 15 % des Kaufpreises beträgt, weil die Beklagte gar nicht behauptet hat, dass in absehbarer Zeit ein Software‑Update als Verbesserungsmaßnahme verfügbar sein wird, das den Sachmangel des Fahrzeugs beheben kann. Der Schadenersatzanspruch des Klägers beträgt daher 5.308,50 EUR. Da das Fahrzeug über eine aufrechte Typengenehmigung verfügt, kommt ein höherer Schadenersatz nicht in Betracht. Ein von der Revision zusätzlich geforderter „Abschreckungszuschlag“ ist dem österreichischen Schadenersatzrecht fremd.

[14] 4. Gegen die vom Berufungsgericht bestätigte Abweisung des begehrten Ersatzes von 825,32 EUR für die Reparatur des Katalysators sowie des Zinsenmehrbegehrens finden sich in der Revision – wie bereits in der Berufung – keine Ausführungen.

[15] Der Revision des Klägers war daher teilweise, und zwar im Sinne eines weiteren Zuspruchs von 1.769,50 EUR sA Folge zu geben.

[16] Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 50, 41 Abs 1 ZPO. Zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz wird auf die jüngere Judikatur verwiesen, wonach in komplexen Verfahren die Kostenentscheidung der ersten Instanz aufgetragen werden kann (RS0124588 [T13]; 6 Ob 157/23s Rz 16).

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