OGH 1Ob34/24t

OGH1Ob34/24t27.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 27.245 EUR sA, über die Revisionen der klagenden (Revisionsinteresse 6.556,81 EUR) und der beklagten Partei (Revisionsinteresse 5.388,96 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 29. November 2023, GZ 1 R 152/23p‑37, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels vom 1. August 2023, GZ 36 Cg 39/20t‑31, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00034.24T.0527.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, derbeklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 143,11 EUR (darin 18,63 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Der Kläger erwarb am 4. 7. 2012 einen von der Beklagten hergestellten VW Touran Sky BMT TDI (Erstzulassung am 10. 2. 2012) mit einem Kilometerstand von 9.500 km und einer Restlaufleistung von 240.500 km um einen Kaufpreis von 27.245 EUR. Derzeit beträgt der Kilometerstand 202.430 km. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet und verfügte über eine unzulässige Abschalteinrichtung. Deshalb war es von einem Rückruf betroffen, im Zuge dessen durch ein Software‑Update die Regelkonformität nachträglich hergestellt werden sollte. Im April 2018 wurde dem Kläger bescheinigt, dass die Rückrufaktion bei seinem Fahrzeug ordnungsgemäß durchgeführt wurde und dieses nun den geltenden gesetzlichen Bestimmungen entspricht. Nach dem Aufspielen des Software‑Updates gibt es nicht mehr – wie zuvor – zwei Betriebsmodi, sondern nur mehr einen Modus, mit dem der NEFZ nach Aufspielen des Software-Updates nachgefahren wurde und der auch der Straßenmodus ist. Dieser Modus bedient sich eines sogenannten Thermofensters, also einer temperaturabhängigen Abschalteinrichtung. Beim Klagsfahrzeug wird das Thermofenster im Temperaturbereich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius bzw unter einer geodätischen Höhe von 1.000 Metern wirksam, darunter und darüber wird ausgerampt, das heißt, es wird schrittweise die Abgasrückführung zurückgenommen. Die Durchschnittstemperatur in Österreich beträgt etwa 9 Grad Celsius. Hätte der Kläger gewusst, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, aufgrund der latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs droht, hätte er es nicht gekauft.

[2] Der Kläger begehrt mit seiner am 6. 5. 2020 beim Erstgericht eingebrachten Klage in erster Linie die schadenersatzrechtliche Rückabwicklung des Kaufvertrags. Von Anfang an sei eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer „Umschaltlogik“ im Fahrzeug vorhanden gewesen. Auch mit dem aufgespielten Software‑Update sei keine Gesetzeskonformität erreicht worden, weil auch nach dem Update die Abgasrückführung lediglich zwischen 15 Grad Celsius und 33 Grad Celsius Außentemperatur und in Österreich damit nur zwischen vier und fünf Monaten im Jahr voll funktioniere. Die Klage sei insbesondere auch deshalb rechtzeitig eingebracht worden, weil die Tatsache, dass auch durch das Software‑Update keine Mängelbehebung erfolgt sei, frühestens ab Anfang 2019 medial publik geworden sei und kein Käufer zuvor davon habe wissen können.

[3] DieBeklagte bestritt. Insbesondere brachte sie vor, die NOx‑Thematik im Zusammenhang mit EA189‑Fahrzeugen sei bereits seit Mitte September 2015 bekannt. Der Kläger sei seit Oktober 2015 in Kenntnis der Betroffenheit seines Fahrzeugs. Da er seine Klage erst am 6. 5. 2020 eingebracht habe, seien sämtliche Schadenersatzansprüche verjährt. Für den Fall des Zurechtbestehens der Klageforderung wandte die Beklagte ein Benützungsentgelt von 22.100 EUR compensando ein.

[4] Das Erstgericht erkannte im zweiten Rechtsgang die Klageforderung mit 27.245 EUR und die Gegenforderung mit 22.100 EUR als zu Recht bestehend. Es verpflichtete die Beklagte zur Zahlung von (richtig) 5.145 EUR samt 4 % Zinsen aus 27.245 EUR seit 20. 5. 2020 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

[5] Der Kaufvertrag sei rückabzuwickeln. Der Kläger habe sich aber ein Benützungsentgelt anrechnen zu lassen.

[6] Das Berufungsgericht gab sowohl der Berufung desKlägers als auch der der Beklagten teilweise Folge. Es sprach aus, dass die Klageforderung mit 5.388,96 EUR zu Recht und die Gegenforderung nicht zu Recht bestehe und die Beklagte daher schuldig sei, dem Kläger 5.388,96 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. 5. 2020 Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs zu zahlen. Das Mehrbegehren auf Zahlung weiterer 21.856,04 EUR sA wies es ab und berichtigte damit teilweise den Urteilsspruch des Erstgerichts entsprechend dessen klarem Entscheidungswillen. Die ordentliche Revision ließ es zu.

[7] Die Beklagte übersehe mit ihren Ausführungen zur Verjährung, dass die Verjährung bereits im ersten Rechtsgang vom Erstgericht verneint, die Klage aber aus anderen Gründen abgewiesen worden sei. Auf ihren Einwand, dass sämtliche Ansprüche des Klägers verjährt seien, und die Argumentation des Erstgerichts, dass der Beklagten der Beweis der Verjährung nicht gelungen sei, sei sie in ihrer Berufungsbeantwortung im ersten Rechtsgang nicht eingegangen. Die Frage der Verjährung sei daher ein abschließend erledigter Streitpunkt, der im zweiten Rechtsgang nicht mehr neu aufgerollt werden könne.

[8] Werde schuldhaft eine unzulässige Abschalteinrichtung („Umschaltlogik“) eingebaut und liege auch nach dem Software‑Update weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form des „Thermofensters“ vor, hafte die Beklagte als Fahrzeugherstellerin (auch) wegen einer Schutzgesetzverletzung für den dadurch verursachten Schaden.

[9] Da der Kläger nach den Feststellungen das Fahrzeug im Wissen darüber nicht gekauft hätte, dass darin eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut sei, aufgrund der latent die Gefahr einer Betriebsuntersagung des Fahrzeugs drohe, sei ihm ein ersatzfähiger Schaden entstanden. Die Beklagte habe eine vorsätzliche Täuschung und eine Schädigungsabsicht, jedenfalls aber eine fahrlässige Irreführung hinsichtlich der Umschaltlogik nie konkret bestritten, sodass insofern ein Verschulden als zugestanden anzusehen sei. Ob sie am Fehlschlagen des Versuchs, die mangelhafte (unzulässige) Abschalteinrichtung durch ein Software‑Update zu beseitigen, ein Verschulden treffe (oder nicht), sei unbeachtlich.

[10] Wenn eine geeignete Beseitigung der unzulässigen Abschalteinrichtung durch Reparatur des Fahrzeugs nicht angeboten werde, könne Schadenersatz in Form einer Erstattung des Kaufpreises gegen Übergabe des mit der unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs verlangt werden. Es sei dann allerdings im Rahmen der Vorteilsanrechnung alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem ungewollten Vertrag zu seinem Vorteil habe, also nicht bloß das zurückzustellende Fahrzeug selbst, sondern auch seine tatsächliche Nutzung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz. Die Höhe des Benützungsentgelts richte sich – wie gegenüber dem Händler – nach der linearen Ausmittlungsmethode. Entgegen der Ansicht des Klägers sei das Benützungsentgelt auf Basis des tatsächlich bezahlten Kaufpreises und nicht des konkret angemessenen – hier vermeintlich um 30 % zu reduzierenden – Kaufpreises zu berechnen. Der Kläger sei mit dem Fahrzeug aber nicht (wie das Erstgericht seiner Berechnung zugrunde gelegt habe) 202.430 km, sondern nur 192.930 km gefahren, sodass sich ein Benützungsentgelt von 21.856,04 EUR und ein Schadenersatzanspruch des Klägers von 5.388,96 EUR errechne. Da die Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger bereits beim Vorteilsausgleich durch Abzug von der Klageforderung zu berücksichtigen sei, bestehe die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht.

[11] Eine Bereicherung in Ansehung des gezahlten Kaufpreises könne nur beim Fahrzeugverkäufer bestehen, dem der Kaufpreis tatsächlich zur Nutzung zur Verfügung stehe, nicht hingegen beim Fahrzeughersteller. Zinsen seien daher nicht aus 27.245 EUR, sondern nur aus dem tatsächlich zugesprochenen Betrag zuzusprechen.

[12] Die ordentliche Revision sei zulässig, weil eine Klarstellung durch das Höchstgericht insbesondere zur Frage angezeigt sei, ob bei der Ermittlung des Benützungsentgelts im Wege der linearen Berechnungsmethode vom tatsächlichen Kaufpreis auszugehen oder ob davon der Minderwert in Abzug zu bringen sei, der sich aus dem Umstand ergebe, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei.

[13] Gegen diese Entscheidung richten sich die (jeweils von der Gegenseite beantworteten) Revisionen beider Parteien: Jene des Klägers zielt darauf ab, ihm weitere 6.556,81 EUR zuzusprechen; jene der Beklagten strebt eine Abweisung des gesamten Klagebegehrens an. Hilfsweise stellen beide Parteien Aufhebungsanträge.

Rechtliche Beurteilung

[14] Beide Revisionen sind zur Klarstellungzulässig. Sie sind allerdings nicht berechtigt.

I.  Zur Revision der Beklagten

[15] 1. Die Beklagte bemängelt die Ansicht des Berufungsgerichts, dass es sich bei ihrem Verjährungseinwand um einen rechtskräftig erledigten Streitpunkt handle. Damit befindet sie sich im Recht:

[16] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können, wenn in der Berufung nur in bestimmten Punkten eine Rechtsrüge ausgeführt wurde, andere Punkte in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden, jedenfalls wenn es um mehrere selbständig zu beurteilende Rechtsfragen geht (RS0043338 [T13]). Das Rechtsmittelgericht ist nämlich als Ausfluss der Dispositionsbefugnis der Parteien nicht nur an die Rechtsmittelanträge der Parteien, sondern auch an eine Beschränkung des Rechtsmittelgegenstands, also der Klagegründe (und Einwendungen), durch den Rechtsmittelwerber gebunden (vgl 4 Ob 2341/96k). Dies gilt sinngemäß auch, wenn die Rechtsrüge in der Berufung des bereits in erster Instanz unterlegenen Revisionswerbers zu einem „selbständigen Teilbereich“ überhaupt keine Ausführungen enthält oder die Rechtsrüge dazu nicht gesetzmäßig ausgeführt war (RS0043573 [T33, T49]).

[17] Hingegen muss die obsiegende Partei in der Berufungsbeantwortung rechtliche Gesichtspunkte, die das Erstgericht für unwesentlich hielt bzw die in der Berufung nicht erwähnt wurden, nicht erörtern, um sich die Möglichkeit der Geltendmachung in der Revision zu wahren. Wenn die Berufung erfolgreich ist, muss der Rechtsmittelgegner den für ihn im Berufungsverfahren nach dem Ersturteil bedeutungslosen Rechtsgrund, der seinen Sachantrag – entsprechend seiner Überzeugung – gleichfalls stützt, allerdings in der Revision aufgreifen, um eine Überprüfung des Berufungsurteils auch nach diesem Gesichtspunkt zu ermöglichen, sofern es sich dabei um einen selbständigen Teilbereich handelt (Lovrek in Fasching/Konecny 3 IV/1 § 503 ZPO Rz 189 [Stand 1. 9. 2019, rdb.at]; vgl auch § 507 ZPO Rz 22).

[18] 1.2. Im vorliegenden Fall hat das Erstgericht im ersten Rechtsgang den Anspruch des Klägers zwar nicht für verjährt erachtet, das Klagebegehren aber aus anderen Gründen abgewiesen. Das Berufungsgericht hat über Berufung des Klägers im ersten Rechtsgang einen Aufhebungsbeschluss gefasst, ohne den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zuzulassen. In dieser Konstellation durfte es das Berufungsgericht im zweiten Rechtsgang aber nicht ablehnen, sich mit dem in ihrer Berufung im zweiten Rechtsgang aufrecht erhaltenen Verjährungseinwand der nunmehr zumindest zum Teil unterliegenden Beklagten auseinander-zusetzen. Insoweit haftet der Berufungsentscheidung ein Rechtsfehler an.

[19] 2. In der Sache ist der Beklagten damit aber noch nicht geholfen, weil das Erstgericht die Verjährung im Ergebnis zutreffend verneint hat.

[20] 2.1. Im Zusammenhang mit dem sogenannten Dieselabgasskandal hat der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach ausgesprochen, dass ein Käufer, der unter Hinweis auf die Betroffenheit seines Fahrzeugs zur Durchführung eines Software‑Updates aufgefordert wird, dieses Verhalten dahin verstehen muss, dass die Gewährleistung aus dem Verkauf eines den geltenden Abgasvorschriften widersprechenden Fahrzeugs anerkannt und auf die Einrede der bereits eingetretenen Verjährung verzichtet wird (8 Ob 40/23z; 8 Ob 118/23w; 9 Ob 55/23p).

[21] Ein solcher Käufer muss die Durchführung dieses Updates typischerweise dahin verstehen, dass damit der Verstoß gegen die geltenden Abgasvorschriften behoben, also sein Auto diesen fortan entsprechen wird. Dies gilt insbesondere, wenn er mit gutem Grund annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden, dem Standpunkt der Beklagten im Verfahren entsprechend, zur Gänze behoben ist (9 Ob 33/23b; 8 Ob 76/23v mwN). Für ihn besteht dann aber nicht der geringste Anlass zur Verfolgung von – für ihn rein hypothetischen – weiteren Ersatzansprüchen, und sei es auch in Form einer Feststellungsklage. Die Sachlage ist dann nicht anders, als wenn der Betroffene von einem vorhandenen Schaden überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat. Es wäre nicht sinnvoll, dem Geschädigten zur Wahrung seiner Interessen die Klageerhebung aufzuerlegen (RS0034426).

[22] In diesem Fall beginnt die dreijährige Verjährungsfrist (neu) zu dem Zeitpunkt, zu dem der Käufer davon Kenntnis erlangte, dass trotz des vermeintlich erfolgreichen Software‑Updates nach wie vor vom Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist (ua 9 Ob 33/23b; 6 Ob 122/23v; 10 Ob 31/23s; 7 Ob 169/23p; 8 Ob 76/23v).

[23] Diese Rechtslage gilt auch gegenüber dem Fahrzeughersteller (vgl 8 Ob 76/23v).

[24] 2.2. Der Kläger hat sich in Replik auf den Verjährungseinwand der Beklagten unter anderem auch ausdrücklich darauf gestützt, dass die Untauglichkeit des Software‑Updates zur Herstellung der Vorschriftskonformität erst im Jahr 2019 allgemein bekannt geworden sei. Dem ist die Beklagte gar nicht entgegengetreten. Vielmehr hat sie sich wiederholt nur darauf berufen, dass der Kläger aufgrund der Rückrufmusterschreiben spätestens am 20. 10. 2015 Kenntnis davon erlangt habe, dass sein Fahrzeug von der EA189‑Thematik betroffen sei. Nach den Feststellungen wurde das Software-Update am 4. 4. 2018 – also innerhalb der offenen Verjährungsfrist – durchgeführt und dem Kläger die Ordnungsmäßigkeit seines Fahrzeugs bestätigt. Da damit die (dreijährige) Verjährungsfrist neu zu laufen begonnen hat, ist die Klage am 6. 5. 2020 rechtzeitig eingebracht worden. Entgegen der Meinung der Beklagten sind die ursprünglich im Fahrzeug verbaute Umschaltlogik einerseits und das durch das Software‑Update später geschaffene Thermofenster andererseits auch in keiner Weise mit zwei Aufklärungsfehlern im Rahmen einer Anlageberatung vergleichbar, die wegen eines engen inhaltlichen Bezugs zwischen den beiden aufklärungsbedürftigen Umständen als einheitlicher Beratungsfehler angesehen werden, sodass die diesbezügliche Rechtsprechung (vgl RS0050355 [T10]) nicht einschlägig ist.

[25] 3. Dem Einwand der Beklagten, die Implementierung des Thermofensters sei keinesfalls schuldhaft erfolgt, hat das Berufungsgericht bereits zutreffend die Entscheidung 6 Ob 84/23f entgegengehalten. Demnach ist unbeachtlich, ob die Beklagte am Fehlschlagen des Versuchs, die mangelhafte (unzulässige) Abschalteinrichtung durch das Update zu beseitigen, ein Verschulden trifft (oder nicht), wenn – was die Beklagte gar nicht bestreitet – der Verstoß gegen die VO 715/2007/EG (worin eine Schutzgesetzverletzung liegt) von ihr bei Inverkehrbringen der Fahrzeuge mit der Umschaltlogik bewusst in Kauf genommen wurde. Schlägt – wie hier – der Versuch einer Schadensbeseitigung (verschuldet oder unverschuldet) fehl, hat es bei ihrer Haftung zu bleiben.

[26] 4. Der Revision der Beklagten ist aus diesen Gründen nicht Folge zu geben.

II. Zur Revision des Klägers

[27] 1. Die Vorteilsanrechnung soll dem Umstand Rechnung tragen, dass ein schädigendes Ereignis dem Geschädigten auch Vorteile bringen kann. Derartige Vorteile des Geschädigten, die ohne die erfolgte Beschädigung nicht entstanden wären, sind grundsätzlich zugunsten des Schädigers anzurechnen (RS0022834). Die Anrechnung eines Vorteils muss dem Zweck des Schadenersatzes entsprechen und soll nicht zu einer unbilligen Entlastung des Schädigers führen (RS0023600).

[28] Der Oberste Gerichtshof hat mittlerweile klargestellt, dass der in der Nutzung eines Fahrzeugs, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ausgestattet ist, liegende Vorteil nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu ermitteln ist (vgl 10 Ob 2/23a). Maßstab für die Bemessung eines angemessenen Benützungsentgelts ist demnach, was sonst für den Gebrauch einer entsprechenden Sache auf dem Markt hätte aufgewendet werden müssen (Lurger in Kletečka/Schauer, ABGB‑ON1.09 § 1041 Rz 26 mwN [Stand 15. 9. 2023, rdb.at]). Im Fall eines berechtigten Wandlungsbegehrens hat sich der Kläger jenen tatsächlichen Nutzen anrechnen zu lassen, den er durch eine fortgesetzte Verwendung der Sache lukriert hat, weil er sich den Aufwand für eine Ersatzbeschaffung erspart hat (RS0018534). Ob bzw welcher Nutzen anzurechnen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RS0018534 [T13]).

[29] 2. Im Zusammenhang mit Wandlungsbegehren bei Kraftfahrzeugen wegen unzulässiger Abschalteinrichtung hat der Oberster Gerichtshof zuletzt mehrfach ausgesprochen, dass der Gebrauchsnutzen des Käufers eines Kraftfahrzeugs, der die Rückabwicklung nicht zu vertreten hat, grundsätzlich in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern linear zu berechnen ist. Er ist ausgehend vom (Brutto‑)Kaufpreis anhand eines Vergleichs zwischen tatsächlichem Gebrauch (gefahrene Kilometer) und voraussichtlicher Gesamtnutzungsdauer (erwartete Gesamtlaufleistung bei Neufahrzeugen und erwartete Restlaufleistung bei Gebrauchtwagen) zu bestimmen (RS0134263).

[30] Zu 3 Ob 146/22z wurde davon ausgegangen, dass es (auch) bei einem gebrauchten Fahrzeug sachgerecht ist, bei der Berechnung den konkret vereinbarten Kaufpreis heranzuziehen, wenn und weil dieser als angemessene Gegenleistung angesehen werden kann. Die Formel lautet daher wie folgt: Tatsächlicher Kaufpreis x gefahrene Kilometer : erwartbare Restlaufleistung.

[31] Im Einzelfall kann zur Bemessung des angemessenen Benützungsentgelts auch § 273 ZPO herangezogen werden (RS0018534 [T5]). So ist etwa eine Angemessenheitskorrektur nach § 273 ZPO geboten, wenn der Geschädigte aufgrund der linearen Berechnungsmethode für das Benützungsentgelt im Ergebnis nur einen Betrag erhielte, der den aktuellen Zeitwert des zurückzugebenden Fahrzeugs unterschreitet (3 Ob 121/23z).

[32] 3. Der Kläger vertritt die Ansicht, dass bei Berechnung des Benützungsentgelts auf den konkret (unter Berücksichtigung des Mangels) angemessenen Kaufpreis abgestellt werden müsse, weil die Beklagte widrigenfalls neuerlich von der Manipulation durch Fiktion der Mangelfreiheit profitieren würde. Außerdem müsse der zugesprochene Schaden eine wirksame Abschreckungskomponente beinhalten. Der konkret angemessene Kaufpreis betrage 19.071,50 EUR (um 30 % reduzierter Kaufpreis von 27.245 EUR), womit sich ein Benützungsentgelt von (nur) 15.299,23 EUR errechne. Der Kläger habe daher Anspruch auf insgesamt 11.945,77 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs.

[33] 4. In der Literatur finden sich – soweit ersichtlich – folgende Stellungnahmen zu der vom Kläger aufgeworfenen Frage:

[34] Maderbacher (VbR 2020, 204 [207]) geht davon aus, dass eine Berechnung des Benützungsentgelts nach Modalitäten, die für den Käufer die Rückabwicklung des Kaufvertrags wirtschaftlich nachteilig machen würden, gegen das Unionsrecht verstieße. Auch Benützungsentgeltmodelle, die auf eine lineare Aufteilung des Kaufpreises des Fahrzeugs auf eine bestimmte erwartete Gesamtlaufleistung des Kfz abstellten, seien nicht jedenfalls unbedenklich, da auch in ihrem Rahmen ein aufgrund des dem Kfz anhaftenden Mangels überhöhter Kaufpreis letztlich doch (zur Gänze oder teilweise) über das Benützungsentgelt an den Verkäufer fließe. Er plädiert daher dafür, den auf die Laufleistung verteilten Kaufpreis um den angenommenen Minderwert aufgrund des dem Fahrzeug anhaftenden Mangels zu reduzieren.

[35] Kolbitsch‑Franz (Glosse zu 10 Ob 2/23a, EvBl 2023/196) lehnt eine Berechnung anhand des ursprünglich vereinbarten Kaufpreises ab, weil dieser gerade nicht die objektiv eingeschränkte Nutzungsmöglichkeit reflektiere. Außerdem sei zu bezweifeln, ob diese Art der Vorteilsanrechnung den Vorgaben des EuGH für eine wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktion des Unionsrechtsverstoßes genüge. Im Ergebnis spreche viel dafür, den Vorteilsausgleich anhand des objektiv angemessenen Werts des Fahrzeugs mit eingeschränkter Nutzungsmöglichkeit zu bemessen.

[36] Nach Kepplinger (Glosse zu 10 Ob 2/23a, EvBl 2023/195) liegt schon der besprochenen Entscheidung die Erwägung zugrunde, dass bei der Ermittlung des Benützungsentgelts eine etwaige Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs zu berücksichtigen sei. Die Berücksichtigung habe wohl so zu erfolgen, dass man anstelle des Bruttokaufpreises den (nach der relativen Berechnungsmethode eruierten) Preis des mangelhaften Fahrzeugs ansetze; dies jedoch nur dann, wenn der Mangel die Nutzung des Fahrzeugs tatsächlich beeinträchtige. Dem sei in der Entscheidung 10 Ob 2/23a laut Feststellungen nicht so gewesen.

[37] Riedler (VW‑Abgasskandal, ZVR 2020, 320 [321 FN 19]) meint, es gebe gute Argumente für die Ansicht, dass in jenen Fällen, in welchen der Mangel auch die Nutzung der Sache beeinträchtige, für die Berechnung des Nutzungsentgelts nicht der objektive Wert der mangelfreien, sondern der objektive Wert der mangelhaften Sache in Ansatz zu bringen sei.

[38] Auch U. Neumayr (Glosse zu 2 Ob 5/23h, ZVR 2024/45) betont, dass für das Benützungsentgelt und den Vorteilsausgleich richtigerweise nicht auf den Kaufpreis, sondern auf den objektiven Wert der mangelhaften Sache abzustellen sei. Allerdings führe die Berechnung unter Zugrundelegung des vereinbarten Kaufpreises in den Abgasskandalfällen dennoch zu angemessenen Ergebnissen, weil der Gebrauch der Fahrzeuge nicht eingeschränkt und auch der objektive Marktwert nicht verringert werde.

5. Der erkennende Senat hat dazu erwogen:

[39] Da das Entgelt dem verschafften Nutzen angemessen sein muss (vgl RS0019850), leuchtet es ein, dass bei Berechnung des Benützungsentgelts Mängel in Anschlag zu bringen sind, die den Gebrauchsnutzen der Sache tatsächlich beeinträchtigen. Es macht einen Unterschied, ob dem Käufer des Fahrzeugs der volle oder nur ein eingeschränkter Gebrauchsvorteil zugekommen ist.

[40] Ein solch eingeschränkter Gebrauchsvorteil wird hier vom Kläger allerdings nicht einmal behauptet: Der Oberste Gerichtshof hat bereits ausgeführt, dass der primäre Gebrauchsnutzen eines Fahrzeugs in der Transportleistung liegt (2 Ob 82/23g). Dieser Gebrauchsnutzen wird durch das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht beeinträchtigt.

[41] Bei einem reinen Minderwert des Fahrzeugs ohne einer damit einhergehenden Beeinträchtigung des Gebrauchsnutzens ist eine „Angemessenheitskorrektur“ des Benützungsentgelts und damit ein Abgehen von der auf den vereinbarten Kaufpreis abstellenden Rechtsprechung – ohne Hinzutreten weiterer Faktoren (wie etwa in 3 Ob 121/23z) – nicht geboten:

[42] Dagegen spricht vor allem, dass ja zu berücksichtigen ist, welchen Aufwand der Kläger hätte tätigen müssen und sich daher durch die Benützung des gekauften Kraftfahrzeugs erspart hat, um sich den Gebrauchsnutzen eines dem gekauften gleichwertigen gebrauchten Kraftfahrzeugs zu verschaffen (RS0018534). Es ist daher danach zu fragen, welchen Preis der Kläger für ein – einen gleichwertigen Gebrauchsnutzen verschaffendes – Kraftfahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung zu zahlen gehabt hätte. Dass der vereinbarte Kaufpreis einem vergleichbaren Fahrzeug (ohne unzulässige Abschalt-einrichtung) nicht entsprochen hätte, behauptet der Kläger hier aber nicht.

[43] Die von ihm konkret vorgetragenen Argumente für ein Abstellen auf einen (allfälligen) mangelbedingten Minderwert überzeugen nicht:

[44] Er führt mit dem Hinweis auf eine „Abschreckungskomponente“ nur Erwägungen ins Treffen, die auf eine Art Strafschadenersatz hinauslaufen. Die Heranziehung von Straferschwernis‑ und Strafmilderungsgründe nach §§ 33, 34 StGB zwecks Bemessung des Benützungsentgelts ist dem Vorteilsausgleich aber fremd.

[45] Eine unbillige Entlastung des Schädigers ist bei einer Ermittlung des Gebrauchsnutzens anhand der vom Obersten Gerichtshof für vergleichbare Fälle grundsätzlich als sachgerecht beurteilten Methode (vgl 10 Ob 2/23a [Rz 116]) ebenfalls nicht zu erkennen: Der Schädiger, der die schadenersatzrechtliche Rückabwicklung auf Verlangen des Fahrzeugkäufers hinzunehmen hat, trägt dabei nicht nur die – gerade bei neuen Fahrzeugen oder Geräten am Anfang sehr hohe – Wertminderung durch Zeitablauf („degressive Abschreibung“) sowie die merkantile Wertminderung, die durch eine verzögerte Rückabwicklung eintritt (10 Ob 2/23a), sondern auch die (angeblich) dem (zurückgegebenen) Fahrzeug wegen der unzulässigen Abschalteinrichtung immanente Minderung des Verkehrswerts. Der Kläger hätte im Übrigen auch die Wahl gehabt, statt der Rückabwicklung einen Minderwert geltend zu machen.

[46] 6. Damit ist festzuhalten, dass der objektive Wert der mangelhaften Sache im Ankaufszeitpunkt dem Benützungsentgelt jedenfalls dann nicht zugrunde gelegt werden kann, wenn der Gebrauchsnutzen des Kraftfahrzeugs für den Käufer uneingeschränkt gegeben und der vereinbarte Kaufpreis dem Preis angemessen war, den der Käufer für ein vergleichbares Fahrzeug (ohne unzulässige Abschalteinrichtung, aber mit demselben Gebrauchsnutzen) hätte aufwenden müssen und sich daher durch die Benützung des zurückzugebenden Fahrzeugs erspart hat.

[47] 7. Da kein Grund besteht, der Berechnung des Benützungsentgelts einen fiktiven reduzierten Kaufpreis zugrunde zu legen, wenn und weil dem Käufer der in der Transportleistung liegende Gebrauchsnutzen des Fahrzeugs trotz unzulässiger Abschalteinrichtung uneingeschränkt zugute kam, ist die Revision des Klägers nicht berechtigt.

[48] III. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 41 Abs 1, § 50 Abs 1 ZPO. Die Bemessungsgrundlage für die Revisionsbeantwortung des Klägers beträgt richtig 5.388,96 EUR. Die Kosten für die Rechtsmittelbeantwortungen waren zu saldieren.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte