AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2021:W192.2166248.2.00
Spruch:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Ruso als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX 2.) XXXX , geb. XXXX , und 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Afghanistan, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 03.09.2020, Zahlen: 1.) 1092825307-200396357, 2.) 1092825100-200396373, und 3.) 1092824604-200396365, zu Recht:
A) I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. bis III. werden gemäß § 68 Abs. 1 AVG i.d.g.F., §§ 8 Abs. 1, 57 AsylG 2005 i. d. g. F. als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen die Spruchpunkte IV. bis VI. wird gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG i.d.g.F. stattgegeben und diese behoben. Die Rückkehrentscheidung ist jeweils bis zum 08.09.2021 vorübergehend unzulässig.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Die Beschwerdeführer sind volljährige Staatsangehörige Afghanistans und Brüder. Sie reisten gemeinsam mit ihren Eltern, zwei weiteren Geschwistern, ihrer Schwägerin und einem Neffen (Ehegattin und Kind des ältesten Bruders) illegal ins Bundesgebiet ein und stellten am 30.10.2015 gemeinsam mit den genannten Familienangehörigen erste Anträge auf internationalen Schutz. Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer waren zum damaligen Zeitpunkt noch minderjährig.
Die Beschwerdeführer beriefen sich in diesen Verfahren jeweils auf die für die gesamte Familie vorgebrachten Fluchtgründe ohne eine sie persönlich betreffende Verfolgung konkret anzuführen.
Diese Anträge wurden durch Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 nach Durchführung von mündlichen Beschwerdeverhandlungen gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen und gegen die Beschwerdeführer jeweils Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen, festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und es wurde eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise eingeräumt. In dieser Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht über die Beschwerdeführer folgende Feststellungen getroffen:
„Die Beschwerdeführer (…) sind allesamt afghanische Staatsangehörige, schiitischen Glaubens, gehören der Volksgruppe der Tadschiken an und stammen (…) aus Herat. Die letzten vier Jahre vor ihrer Ausreise nach Europa verbrachten die Beschwerdeführer im Iran. Sie sprechen die Sprache Dari auf muttersprachlichem Niveau.
Der Drittbeschwerdeführer ist ledig, gesund, in Herat geboren und dort mit seiner Familie aufgewachsen. Er hat in Herat zwölf Jahre lang die Schule besucht und abgeschlossen. Sodann hat er drei Jahre lang den Beruf eines „Naturheilers“ vergleichbar der Homöopathie bei einer Person erlernt und in dessen Geschäft in Herat gearbeitet. Bevor er im Bereich der Homöopathie gearbeitet hat, hat er bei seinem Vater im Kleidungsgeschäft gearbeitet. Im Iran hat er mit seinem älteren Bruder in einem Schuhgeschäft gearbeitet und den Lebensunterhalt für die Familie verdient.
Der [nunmehrige Erstbeschwerdeführer] ist ledig, gesund, in Herat geboren und dort mit seiner Familie aufgewachsen. Er hat vier Jahre lang die Schule in Afghanistan besucht. Im Iran ist er nicht in die Schule gegangen. Er hat in Afghanistan seinem Vater manchmal im Geschäft geholfen, im Iran hat er nicht gearbeitet.
Der [nunmehrige Zweitbeschwerdeführer] ist ebenfalls ledig, gesund, in Herat geboren und dort mit seiner Familie aufgewachsen. Er hat in Afghanistan bis zur vierten Klasse die Schule besucht. Im Iran ist er nicht zur Schule gegangen. Er hat weder in Afghanistan, noch im Iran gearbeitet.
Die Beschwerdeführer reisten (…) im Familienverband unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellten am 30.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
Die Beschwerdeführer leiden nicht an lebensbedrohlichen Erkrankungen oder sonstigen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen.
Es wird festgestellt, dass die Familien der Beschwerdeführer in Afghanistan in gesicherten wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen leben und ihnen ebenfalls keine Verfolgung droht. Die Beschwerdeführer halten Kontakt zu ihren Familien und den Verwandten in Afghanistan.
Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:
Die Beschwerdeführer waren in Afghanistan keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihnen asylrelevante Gründe für das Verlassen ihres Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan. Es ist nicht glaubhaft, dass den Beschwerdeführern in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung droht.
Es ist nicht glaubhaft, dass die [Schwägerin der Beschwerdeführer] und die übrigen Beschwerdeführer aufgrund einer vermeintlichen Verteilung von CDs im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit als Koranlehrerin für Kinder bedroht wurden. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer deshalb konkret und individuell mit der Ausübung von physischer und/oder psychischer Gewalt bedroht worden sind noch, dass sie konkreten Verfolgungshandlungen ausgesetzt waren oder sind.
Festgestellt wird auch, dass dem [Vater der Beschwerdeführer] und seiner Familie keine Verfolgung aufgrund seiner Vortragstätigkeit als Maddah, die er jahrzehntelang ausgeübt hat, gedroht hat und auch nach wie vor nicht droht.
Festgestellt wird, dass den Beschwerdeführern auch nicht wegen ihrer Zugehörigkeit zum schiitischen Islam oder der tadschikischen Volksgruppe konkret und individuell physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.
Dem Drittbeschwerdeführer droht und drohte auch keine individuelle Verfolgung aufgrund des Aufhängens schwarzer Tücher vor seinem Geschäft durch den Besitzer des Nachbargeschäfts (…).
Des Weiteren droht ihnen auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass sie in Europa bzw. dem Iran gelebt haben. Gleichsam wird festgestellt, dass nicht jedem afghanischen Rückkehrer aus Europa/Iran physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.
Ebenso wenig droht den Beschwerdeführern aus etwaigen anderen Gründen eine asylrelevante Verfolgung in Afghanistan.
Die Beschwerdeführer verließen den Iran aufgrund der schwierigen Lebensbedingungen für dort aufhältige Afghanen.
Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat:
Bei einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihre Heimatstadt Herat können die Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Sie können zumindest anfänglich auf die (zumindest finanzielle) Unterstützung durch die ebenfalls in Herat Stadt lebenden Familien der (…) und [des Vaters sowie der Mutter der Beschwerdeführer] zurückgreifen. Die wirtschaftliche Situation der dort lebenden Familien ist gesichert und sie können bei einer Rückkehr mit Unterstützung seitens der Familien rechnen. Darüber hinaus können die Beschwerdeführer für ihr Auskommen und Fortkommen sowie für das der [weiblichen und minderjährigen Familienmitglieder] sorgen. Sie leiden an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten, sind arbeitsfähig und haben bis auf den [nunmehrigen Erstbeschwerdeführer] bereits Berufserfahrung. (…) Die Beschwerdeführer haben auch die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen und damit eine weitere finanzielle Hilfe sowie Hilfe vor Ort zu erhalten.
(…)
Es ist den Beschwerdeführern nicht zuletzt auch aufgrund des vorhandenen sozialen Auffangnetzes somit möglich, nach einer Rückkehr in die Stadt Herat Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.“
Der Verfassungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 21.01.2020, Zahl: E 193-202/2020-6, die Behandlung einer Beschwerde gegen die dargestellten Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts abgelehnt.
2. Die Beschwerdeführer brachten (ebenso wie die weiteren Familienmitglieder) am 12.05.2020 die vorliegenden Folgeanträge ein.
Bei der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass die bereits vorgebrachten Fluchtgründe noch aufrecht seien, ihre Feinde seien noch mächtiger geworden. Zudem ginge er hier zur Schule und habe sich gut integriert.
Der Zweitbeschwerdeführer brachte ebenfalls vor, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht blieben, zwischenzeitlich hätten auch weitere Familienmitglieder aus Angst vor ihren Feinden Afghanistan verlassen müssen.
Der Drittbeschwerdeführer berief sich ebenfalls darauf, dass die alten Fluchtgründe noch aufrecht seien und die Feinde noch mächtiger geworden seien. Außerdem habe er im Jahr 2018 eine in Österreich asylberechtigte Frau geheiratet.
Anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 30.07.2020 gab der Erstbeschwerdeführer zusammengefasst an, dass die Probleme seiner Familie im Herkunftsstaat nach wie vor aufrecht und noch intensiver geworden seien. Ihr Feind von damals sei stärker geworden, die Leute bzw. Mullahs von Mazar-e Sharif hätten sich mit diesem zusammengetan. Er persönliche habe keine Probleme gehabt. Für den Fall der Rückkehr befürchte er, dass ihr Feind – ein namentlich bezeichneter Mullah – überall Leute habe und der Staat nichts gegen diesen ausrichten könne. Der Erstbeschwerdeführer selbst sei damals sehr jung gewesen und könne sich an die Bedrohungssituation nicht erinnern. Aus Erzählungen seiner Familie habe er erfahren, dass es sich um eine Bedrohung gegen seine Schwägerin in Zusammenhang mit der Veröffentlichung von CDs gehandelt hätte. Im Falle einer Rückkehr befürchte er, aufgrund seiner Familienzugehörigkeit ebenfalls bedroht zu sein. Auch hätten seine Feinde Probleme mit Schiiten. Zudem lebe er seit fünf Jahren in Österreich und habe sich an das Leben hier gewöhnt. Er habe bis zum elften Lebensjahr in Herat gelebt und dort eine Schule besucht, anschließend habe er mit seiner Familie vier Jahre im Iran verbracht. Zudem sei es insofern zu einer sexuellen Belästigung gekommen, als er von einem unbekannten älteren Mann am Körper angegriffen worden sei. Nach der negativen Entscheidung sei der Erstbeschwerdeführer sehr traurig gewesen; er habe sich das Leben nehmen wollen und sei eine Woche stationär behandelt worden. Momentan ginge es ihm gesundheitlich gut, er habe zwei- bis dreimal einen Psychologen aufgesucht. Aktuell stehe er nicht in Behandlung.
Der Erstbeschwerdeführer lebe gemeinsam mit seiner Familie von der Grundversorgung. Er habe den Pflichtschulabschluss absolviert und sich über eine Lehrstelle als Mechaniker erkundigt.
Der Erstbeschwerdeführer legte Unterlagen zur Bestätigung seines Schulbesuchs sowie absolvierter Praktika, Empfehlungsschreiben, ein von ihm verfasstes Schreiben über die Situation in Afghanistan und ärztliche Unterlagen aus September 2019, welchen sich die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome, bzw. eine Anpassungsstörung mit depressiven und ängstlichen Anteilen sowie frontale Cephalea entnehmen lässt, vor.
Der Zweitbeschwerdeführer gab anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.07.2020 zusammengefasst an, die alten Fluchtgründe aufrecht zu halten. Er sei zum Zeitpunkt der Ausreise aus Afghanistan zehn Jahre alt gewesen. Junge Männer würden in Afghanistan belästigt und missbraucht werden. Die Schwierigkeiten seiner Familie seien ihm wegen seines noch sehr jungen Alters nicht mitgeteilt worden. Den Folgeantrag stelle er, da ihre Feinde vor etwa einem Jahr versucht hätten, seinen Neffen zu entführen. Ihre Feinde in Afghanistan seien mächtiger geworden. Bei den Feinden handle es sich um einen Mullah, dessen Leute wegen der bereits bekannten Geschichte seiner Schwägerin nach ihnen suchen würden. Vor kurzem seien auch seine Schwestern belästigt worden, welche nunmehr mit einem Onkel im Iran leben würden. Der Mullah habe viele Anhänger (Sunniten) in ganz Afghanistan. Der Zweitbeschwerdeführer sei in Afghanistan nicht persönlich bedroht worden, da er damals noch sehr jung gewesen sei. Allerdings sei er von einem Nachbarn belästigt worden, welcher ihn an der Hand genommen hätte und ihm zuvor bereits Sachen gesagt hätte, die ein normaler Mensch nicht sagen würde. Bei einer Rückkehr habe der Zweitbeschwerdeführer Angst vor dem erwähnten Mullah.
In Österreich lebe der Zweitbeschwerdeführer gemeinsam mit seiner Familie und besuche eine Handelsschule im letzten Jahr. Er spiele Fußball und würde gerne als Krankenpfleger arbeiten. Der Zweitbeschwerdeführer legte ein Schreiben eines Hotelbetriebes, Unterlagen über seinen Schulbesuch sowie seine Aktivität in einer Hobbyfußballgruppe und ein von ihm verfasstes Schreiben über die Situation in Afghanistan vor.
Der Drittbeschwerdeführer gab anlässlich seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.07.2020 zusammengefasst an, seine ursprünglichen Fluchtgründe, welche die gesamte Familie betreffen würden, seien weiterhin aufrecht. Den Folgeantrag stelle er, da sie einen negativen Bescheid erhalten hätten und das Geld für eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof nicht besessen hätten. Die Unterstützung durch das Land Niederösterreich sei nach Erhalt des negativen Bescheides weggefallen. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan fürchte er die mittlerweile noch mächtigeren Feinde seiner Familie, welche viele Anhänger hätten und öffentlich im Fernsehen auftreten würden. Jener Mullah sei deshalb so mächtig, da er eine Moschee in Herat hätte und alle, die ungebildet seien, ihm folgen würden. Zudem gebe es in Afghanistan täglich Attentate und er würde bei einer Rückkehr aus dem Ausland als Ungläubiger bezeichnet werden. Seine Schwestern und sein Onkel hätten mittlerweile auch wegen des erwähnten Mullahs das Land verlassen, nachdem sein Neffe persönlich bedroht worden wäre. Der Drittbeschwerdeführer habe bis zum Alter von 20 Jahren in Herat gelebt, im Anschluss habe er vier Jahre im Iran verbracht. Nach Afghanistan habe er keine Kontakte mehr.
Der Drittbeschwerdeführer lebe zusammen mit seinen Eltern und Geschwistern, beziehe Grundversorgung und habe 2018 eine asylberechtigte Afghanin nach islamischem Recht sowie standesamtlich geheiratet, mit welcher er acht Monate lang zusammengelebt hätte. Derzeit bestehe wegen seiner aufenthaltsrechtlichen Situation ein getrennter Wohnsitz, er sehe seine Frau alle zwei bis drei Tage. Den negativen Bescheid habe er am Tag der traditionellen Eheschließung erhalten. Der Drittbeschwerdeführer würde gerne als Hilfskoch arbeiten, aktuell sei ihm eine Erwerbstätigkeit aufgrund seiner aufenthaltsrechtlichen Stellung nicht möglich.
Vorgelegt wurden die traditionelle und standesamtliche Heiratsurkunde, Zertifikate über eine Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 und eine ÖSD-Deutschprüfung auf dem Niveau B2.
In der Folge wurden ein Unterstützungsschreiben sowie eine Einstellungszusage für eine Tätigkeit als Koch in einem Hotel übermittelt.
3. Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020 wurden die Folgeanträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten jeweils gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkte I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkte II.) abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde den Beschwerdeführern nicht erteilt (Spruchpunkte III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass deren Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkte V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für ihre freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkte VI.).
Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Beschwerdeführer hätten jeweils keine seit rechtskräftigem Abschluss des vorangegangenen Verfahrens neu entstandenen asylrelevanten Tatsachen vorgebracht. Die Beschwerdeführer hätten sich neuerlich auf die bereits im vorangegangenen Verfahren als unglaubwürdig erachtete Verfolgung ihres Vaters und ihrer Schwägerin berufen, eine persönliche Bedrohung ihrer Personen jedoch – auch mit ihren Ausführungen zur allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan – nicht aufgezeigt. Eine generelle Verfolgung von aus Europa zurückgekehrten Personen ließe sich der Berichtslage nicht entnehmen.
Diese seien allesamt jung, gesund und könnten ihren Lebensunterhalt in Afghanistan eigenständig bestreiten und sich zudem gegenseitig unterstützen. Ein maßgebliches Risiko bei einer Rückkehr in die Heimatstadt Herat, in welcher eine vergleichsweise stabile Sicherheitslage bestehe, sei demnach auch unter Berücksichtigung der derzeit vorherrschenden Covid-19-Pandemie nicht zu erkennen. Im Falle des Erstbeschwerdeführers sei von einer Stabilisierung seines psychischen Gesundheitszustandes auszugehen, zumal er sich nach dem stationären Aufenthalt in einem Landesklinikum im September 2019 in keine weitergehende Behandlung begeben hätte. Im Übrigen würden auch in Afghanistan Behandlungsmöglichkeiten in Bezug auf psychische Erkrankungen vorhanden sein.
Der Drittbeschwerdeführer sei sich zum Zeitpunkt des Eingehens einer Ehe im Bundesgebiet der Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst gewesen und habe mit seiner Gattin nur kurze Zeit im gemeinsamen Haushalt gelebt, sodass eine verfestigte Beziehung nicht anzunehmen sei. Eine Abhängigkeit zwischen den in Österreich aufhältigen Familienmitgliedern sei nicht zu erkennen gewesen. Die Beschwerdeführer hätten ausschließlich aus Mitteln der Grundversorgung gelebt und seien keiner Erwerbstätigkeit nachgegangen. Diese hätten sich zwar um eine sprachliche und schulische Integration bemüht, seien sich jedoch der Unsicherheit ihres Aufenthalts bewusst gewesen und hätten den Großteil ihres bisherigen Lebens im Familienverband in Afghanistan verbracht.
4. Gegen diese Bescheide brachten die Beschwerdeführer durch die damals bevollmächtigte Rechtsberatungsorganisation am 24.09.2020 fristgerecht die verfahrensgegenständlichen Beschwerden ein, in welchen begründend ausgeführt wurde, die Beschwerdeführer hätten Afghanistan aufgrund der Tätigkeit ihres Vaters als schiitischer Maddah (Liedermacher, Sänger) und der Tätigkeit ihrer Schwägerin verlassen. Die gesamte Familie sei durch einen namentlich bezeichneten Mullah bedroht worden. Auch hätte sich nicht nur die allgemeine Sicherheits- und Versorgungssituation in Afghanistan, sondern auch die individuelle Situation der Beschwerdeführer verschlechtert. Die Behörde habe eine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer unterlassen und zu Unrecht wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Der Erstbeschwerdeführer habe sich nach Erhalt der negativen Entscheidung des BVwG das Leben nehmen wollen und leide, auch wenn es ihm momentan besser ginge, an psychischen Problemen, welche in Afghanistan keiner ausreichenden Behandlung zugänglich wären. Durch die vorherrschende Covid-19-Pandemie seien die Versorgungslage sowie der Zugang zum Arbeitsmarkt zusätzlich beschränkt und es wäre den Beschwerdeführern jeweils nicht möglich, in Herat Fuß zu fassen und ein Leben ohne unbillige Härten zu führen. Die Eltern der Beschwerdeführer seien in Österreich als subsidiär Schutzberechtigte zum befristeten Aufenthalt berechtigt, diese seien krank, Analphabeten und demnach auf Unterstützung der Beschwerdeführer angewiesen. Zu Afghanistan hätten die Beschwerdeführer jeweils keine Bindungen mehr und wären dort auf sich alleine gestellt.
Die Beschwerdeführer hätten während ihres fünfjährigen Aufenthalts ein schützenswertes Privatleben im Bundesgebiet begründet und einen westlichen Lebensstil angenommen. Der Erstbeschwerdeführer habe in Österreich den Pflichtschulabschluss absolviert, besuche derzeit die erste Klasse einer Tourismusschule, sei ehrenamtlich tätig, habe an Bildungsveranstaltungen teilgenommen und einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut. Dieser habe mehrere Arbeitsplatzzusagen und wolle keine Last für den österreichischen Staat sein.
Der Zweitbeschwerdeführer besuche eine Handelsschule, verfüge über sehr gute Deutschkenntnisse, könnte bei Erteilung eines Aufenthaltstitels als Koch oder im Service in einem Hotelbetrieb arbeiten, er habe einen großen Freundeskreis und sei ehrenamtlich tätig.
Die von der Behörde vertretene Ansicht, dass das vom Drittbeschwerdeführer in Österreich begründete Familienleben keine besondere Intensität aufweisen würde, sei unzutreffend. Im Falle einer positiven Entscheidung könnte dieser als Koch arbeiten, zudem gehe er ehrenamtlichen Tätigkeiten nach.
Mit Eingabe vom 29.10.2020 wurden Zeugnisse über die absolvierte Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 des Erstbeschwerdeführers und des Zweitbeschwerdeführers übermittelt.
Mit Eingaben vom 15.03.2021 wurden Zertifikate über vom Erstbeschwerdeführer und vom Zweitbeschwerdeführer bestandene ÖSD-Prüfungen auf dem Niveau B2 übermittelt.
Mit Eingabe vom 28.04.2021 wurde bekanntgegeben, dass der Drittbeschwerdeführer den österreichischen Führerschein erlangt hat.
Am 19.05.2021 wurde betreffend den Zweitbeschwerdeführer ein Jahreszeugnis einer Bundeshandelsakademie für das Schuljahr 2020/2021 übermittelt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen (Sachverhalt):
1.1. Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Afghanistan, Muslime schiitischer Ausrichtung und Angehörige der Volksgruppe der Tadschiken. Die Beschwerdeführer sind Brüder. Sie sind mit ihren Eltern und weiteren Familienangehörigen 2015 illegal nach Österreich eingereist und stellten am 30.10.2015 jeweils einen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019, Zahlen: W162 2166242-1/26E, W162 2166244-1/24E und W162 2166248-1/29E, sowohl hinsichtlich des Status von Asylberechtigten als auch des Status von subsidiär Schutzberechtigten rechtskräftig abgewiesen worden ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung die Verfolgungsbehauptungen der Beschwerdeführer, im Herkunftsstaat wegen der Tätigkeit des Vaters der Beschwerdeführer als Maddah und wegen einer durch die Schwägerin der Beschwerdeführer erfolgten Verteilung von CDs an Schüler einer Drohung ausgesetzt zu sein, als nicht glaubhaft beurteilt. Weiters hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass die vom Drittbeschwerdeführer erwähnte Bedrohung durch einen benachbarten Geschäftsinhaber keinen asylrelevanten Umstand bilde und eine generelle Verfolgung von Rückkehrern aus dem Ausland sowie von Schiiten in Afghanistan nicht vorherrsche.
Am 12.05.2020 brachten die Beschwerdeführer sowie die erwähnten weiteren Familienmitglieder Folgeanträge auf internationalen Schutz ein, zu deren Begründung sie keinen neuen Sachverhalt behauptet, sondern sich auf ein weiteres Bestehen der bereits durch die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 als unglaubhaft beurteilten Bedrohungssituation berufen haben.
1.2. Die Beschwerdeführer sind in Herat geboren und haben dort bis zum Jahr 2011 im Familienverband gelebt. Im Anschluss zogen die Beschwerdeführer gemeinsam mit ihren Eltern und weiteren Geschwistern in den Iran, wo sie bis zur Ausreise Richtung Europa im Jahr 2015 lebten. Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer haben in Herat jeweils vier Jahre eine Schule besucht, der Drittbeschwerdeführer hat eine zwölfjährige Schulbildung absolviert. Der Erstbeschwerdeführer hat fallweise im Geschäft seines Vaters ausgeholfen. Darüber hinaus haben der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer weder in Afghanistan, noch im Iran gearbeitet.
Der Drittbeschwerdeführer hat in Afghanistan drei Jahre lang den Beruf eines „Naturheilers“ vergleichbar der Homöopathie bei einer Person erlernt und in deren Geschäft in Herat gearbeitet. Bevor er im Bereich der Homöopathie gearbeitet hat, hat er bei seinem Vater im Kleidungsgeschäft gearbeitet. Im Iran hat er mit seinem älteren Bruder in einem Schuhgeschäft gearbeitet und den Lebensunterhalt für die Familie verdient.
Bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsstadt Herat oder einer alternativen Niederlassung in Mazar-e Sharif besteht für die Beschwerdeführer als jeweils leistungsfähige Männer im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf keine konkrete Gefahr, einen Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit zu erleiden und liefen die Beschwerdeführer auch nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.
Der Erstbeschwerdeführer leidet an keinen körperlichen Erkrankungen, die ihn in seiner Möglichkeit, seinen Alltag und seinen Lebensunterhalt eigenständig zu bestreiten, einschränken. Bei diesem wurde im September 2019 nach Erhalt der das erste Verfahren abschließenden abweisenden Entscheidung infolge eines laut seinen Angaben aus diesem Grund erfolgten Suizidversuchs und eines fünftägigen stationären Aufenthalts in der psychiatrischen Abteilung eines Landesklinikums eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2), diagnostiziert. Der Erstbeschwerdeführer nahm seither keine Behandlung in Anspruch und brachte im Verfahren vor dem Bundesamt vor, dass es ihm nunmehr besser ginge und er gesund sei. Zudem befand sich der Erstbeschwerdeführer im Zeitraum 2016/2017 aufgrund der Diagnose frontale Cephalea (Anm.: Kopfschmerzen) in Behandlung; ein aktueller Behandlungsbedarf wurde auch in diesem Zusammenhang nicht vorgebracht. Der Erstbeschwerdeführer hat nicht dargetan, dass er zum Entscheidungszeitpunkt eine Behandlung benötigen würde, welche in Afghanistan nicht erhältlich oder für ihn nicht individuell zugänglich ist.
Der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer sind gesund.
1.3. Die unbescholtenen Beschwerdeführer waren jeweils seit ihrer Antragstellung im Oktober 2015 auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in ihren Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Infolge des rechtskräftigen Abschlusses der Verfahren über ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz und Erlassung von Rückkehrentscheidungen mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 sowie Ablehnung der Behandlung einer gegen diese Erkenntnisse eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 21.01.2020, Zahl: E 193-202/2020-6, verblieben diese nach Ablauf der gesetzten Frist für die freiwillige Ausreise im Bundesgebiet und stellten die gegenständlichen (unbegründeten) Folgeanträge.
Die Beschwerdeführer haben ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung sowie durch Unterstützung von Freunden bestritten und waren bislang nicht selbsterhaltungsfähig. Sie leben gemeinsam mit ihren Eltern und einer Schwester in einem gemeinsamen Haushalt in Oberösterreich und unterstützen ihre Eltern im Alltag (u.a. Begleitung zu Arztbesuchen, Übersetzungen).
Alle Beschwerdeführer haben sich um eine Integration im Bundesgebiet bemüht und sich jeweils fortgeschrittene Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet.
Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer haben jeweils im September 2020 eine ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 bestanden. Im März 2021 haben diese jeweils das ÖSD-Zertifikat B2 absolviert und „gut bestanden.“ Zuletzt haben diese sich für einen weiterführenden Sprachkurs auf dem Niveau C1 angemeldet.
Der Drittbeschwerdeführer hat im Juli 2020 die ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 sowie das ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau B2 absolviert und letzteres „sehr gut bestanden.“
Der Erstbeschwerdeführer hat ab dem Schuljahr 2015/2016 eine Handelsschule in Österreich besucht. Im Rahmen dieses Schulbesuchs absolvierte der Erstbeschwerdeführer zwischen Oktober 2018 und Mai 2019 ein Betriebspraktikum bei einer Stadtgemeinde.
Ab Herbst 2019 besuchte er einen WIFI-Kurs „Nachholen des Pflichtschulabschlusses.“
Seit September 2020 besucht dieser eine HTL im Bundesgebiet.
Der Erstbeschwerdeführer arbeitete ehrenamtlich beim Roten Kreuz und nahm an verschiedenen Freizeitaktivitäten des ortsansässigen Jugendzentrums teil.
Der Zweitbeschwerdeführer besucht seit September 2017 eine Bundeshandelsakademie im Bundesgebiet und hat zuletzt das Schuljahr 2020/2021 (elfte Schulstufe) positiv abgeschlossen.
Der Zweitbeschwerdeführer ist Mitglied in einem Fußballverein.
Der Drittbeschwerdeführer geht in Österreich weder einer beruflichen Tätigkeit nach, noch übt er gemeinnützige Tätigkeiten aus, oder beteiligt sich aktiv in einem Verein oder seiner Nachbarschaft.
Im April 2021 wurde diesem ein österreichischer Führerschein ausgestellt.
Der Drittbeschwerdeführer verfügt über schriftliche Einstellungszusagen aus August 2020 und September 2020 für eine Tätigkeit als Koch bzw. Hilfskoch.
Der Drittbeschwerdeführer hat im August 2019 eine in Österreich asylberechtigte afghanische Staatsbürgerin nach islamischem Recht sowie standesamtlich geheiratet. Er lebte mit dieser rund acht Monate in einem gemeinsamen Haushalt, aktuell liegt ein gemeinsamer Haushalt laut seinen Angaben wegen seiner aufenthaltsrechtlichen Situation nicht mehr vor, jedoch sei die neuerliche Begründung eines gemeinsamen Wohnsitzes geplant. Die im Jahr 1997 geborene Ehegattin des Drittbeschwerdeführers lebt in Wien im Haushalt ihrer Schwester, bereitet sich auf den Pflichtschulabschluss vor und arbeitet geringfügig in einem Café. Der Drittbeschwerdeführer und seine Ehegattin waren sich zum Zeitpunkt der Begründung der Beziehung und der Eheschließung der Unsicherheit des Aufenthaltsstatus des Drittbeschwerdeführers bewusst und konnten nicht auf die Möglichkeit zu einem gemeinsamen Familienleben in Österreich vertrauen.
Die Beschwerdeführer sind jeweils kinderlos und haben keine Sorgepflichten.
Die Beschwerdeführer haben sich in Österreich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, mit welchem sie regelmäßig Freizeitaktivitäten unternahmen. Die Beschwerdeführer waren sich bei Setzung der dargestellten Integrationsbemühungen der Unsicherheit der Möglichkeit eines weiteren Aufenthalts stets bewusst und konnten insbesondere nach rechtskräftigem Ausspruch einer Rückkehrentscheidung nicht mehr mit einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen.
Die Folgeanträge der Eltern der Beschwerdeführer wurden mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020, Zahlen: 1092819702-200396322 und 1092819800-200396349, jeweils hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 i.V.m. § 34 Abs. 3 AsylG 2005 wurde den Eltern der Beschwerdeführer der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihnen jeweils die befristete Aufenthaltsberechtigung für subsidiär Schutzberechtigten für ein Jahr erteilt, welche bis zum 08.09.2021 Gültigkeit besitzt.
Begründend wurde ausgeführt, dem Vater der Beschwerdeführer sei zum aktuellen Zeitpunkt eine Rückkehr in den Herkunftsstaat nicht zumutbar, da dieser aufgrund festgestellter gesundheitlicher Beeinträchtigungen wie Diabetes und Asthma immungeschwächt sei und damit zu einer Risikogruppe der Covid-19-gefährdeten Personen gehören würde.
Eine durch die Eltern der Beschwerdeführer im Umfang der Abweisung der Anträge im Hinblick auf die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten erhobene Beschwerde wurde mit in Rechtskraft erwachsenen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 22.10.2020, Zahlen: W192 2166250-2/3E und W192 2166249-2/3E, als unbegründet abgewiesen.
Mit (im zweiten Rechtsgang ergangenen) Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22.05.2020, Zahlen W162 2166253-1/49E ua., wurde dem ältesten Bruder der Beschwerdeführer, dessen Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern der Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt und es wurde diesen eine befristete Aufenthaltsberechtigung für die Dauer eines Jahres erteilt.
Begründend wurde im Wesentlichen auf die besondere Vulnerabilität des Neffen und der Nichte der Beschwerdeführer als Kinder im Alter von zehn und drei Jahren verwiesen.
Der volljährigen Schwester der Beschwerdeführer wurde zwischenzeitlich mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 09.12.2020 aufgrund der Annahme eines sogenannten westlich orientierten Lebensstils der Status einer Asylberechtigten zuerkannt.
1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat:
Es wird auf die entsprechenden Feststellungen der angefochtenen Bescheide verwiesen, die auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation gegründet wurden.
Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (in seiner aktualisierten Fassung) ergibt sich auszugsweise insbesondere Folgendes:
COVID-19
Letzte Änderung: 31.03.2021
Bezüglich der aktuellen Anzahl der Krankheits- und Todesfälle in den einzelnen Ländern empfiehlt die Staatendokumentation bei Interesse/Bedarf folgende Website der WHO: https://www.who.int/emergencies/diseases/novel-coronavirus-2019/situation-reports oder der Johns-Hopkins-Universit ät: https://gisanddata.maps.arcgis.com/apps/opsdashboard/index.html#/bda7594740fd40299423467b48e9ecf6 mit täglich aktualisierten Zahlen zu kontaktieren.
Entwicklung der COVID-19 Pandemie in Afghanistan
Der erste offizielle Fall einer COVID-19 Infektion in Afghanistan wurde am 24.2.2020 in Herat festgestellt (RW 9.2020; vgl UNOCHA 19.12.2020). Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten zwischen März und Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan Anzeichen und Symptome von COVID-19. Laut offiziellen Regierungsstatistiken wurden bis zum 2.9.2020 in Afghanistan 103.722 Menschen auf das COVID-19-Virus getestet (IOM 23.9.2020). Aufgrund begrenzter Ressourcen des öffentlichen Gesundheitswesens und der Testkapazitäten, der Testkriterien, des Mangels an Personen, die sich für Tests melden, sowie wegen des Fehlens eines nationalen Sterberegisters werden bestätigte Fälle von und Todesfälle durch COVID-19 in Afghanistan wahrscheinlich insgesamt unterrepräsentiert (HRW 14.1.2021; cf. UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021, UNOCHA 19.12.2020, RFE/RL 23.2.2021a). Bis Dezember 2020 gab es insgesamt 50.536 [Anmerkung: offizielle] Fälle im Land. Davon ein Drittel in Kabul. Die tatsächliche Zahl der positiven Fälle wird jedoch weiterhin deutlich höher eingeschätzt (IOM 18.3.2021; vgl. HRW 14.1.2021).
Die fortgesetzte Ausbreitung der Krankheit in den letzten Wochen des Jahres 2020 hat zu einem Anstieg der Krankenhauseinweisungen geführt, wobei jene Einrichtungen die als COVID-19-Krankenhäuser in den Provinzen Herat, Kandahar und Nangarhar gelten, nach Angaben von Hilfsorganisationen seit Ende Dezember voll ausgelastet sind. Gesundheitseinrichtungen sehen sich auch zu Beginn des Jahres 2021 großen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung ihrer Kapazitäten zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung grundlegender Gesundheitsdienste gegenüber, insbesondere, wenn sie in Konfliktgebieten liegen (BAMF 8.2.2021; cf. IOM 18.3.2021).
Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein Vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021)
Maßnahmen der Regierung und der Taliban
Das afghanische Gesundheitsministerium (MoPH) hat verschiedene Maßnahmen zur Vorbereitung und Reaktion auf COVID-19 ergriffen. "Rapid Response Teams" (RRTs) besuchen Verdachtsfälle zu Hause. Die Anzahl der aktiven RRTs ist von Provinz zu Provinz unterschiedlich, da ihre Größe und ihr Umfang von der COVID-19-Situation in der jeweiligen Provinz abhängt. Sogenannte "Fix-Teams" sind in Krankenhäusern stationiert, untersuchen verdächtige COVID-19-Patienten vor Ort und stehen in jedem öffentlichen Krankenhaus zur Verfügung. Ein weiterer Teil der COVID-19-Patienten befindet sich in häuslicher Pflege (Isolation). Allerdings ist die häusliche Pflege und Isolation für die meisten Patienten sehr schwierig bis unmöglich, da die räumlichen Lebensbedingungen in Afghanistan sehr begrenzt sind (IOM 23.9.2020). Zu den Sensibilisierungsbemühungen gehört die Verbreitung von Informationen über soziale Medien, Plakate, Flugblätter sowie die Ältesten in den Gemeinden (IOM 18.3.2021; vgl. WB 28.6.2020). Allerdings berichteten undokumentierte Rückkehrer immer noch von einem insgesamt sehr geringen Bewusstsein für die mit COVID-19 verbundenen Einschränkungen sowie dem Glauben an weitverbreitete Verschwörungen rund um COVID-19 (IOM 18.3.2021; vgl. IOM 1.2021).
Gegenwärtig gibt es in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif keine Ausgangssperren. Das afghanische Gesundheitsministerium hat die Menschen jedoch dazu ermutigt, einen physischen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten, eine Maske zu tragen, sich 20 Sekunden lang die Hände mit Wasser und Seife zu waschen und Versammlungen zu vermeiden (IOM 18.3.2021).
Laut IOM sind Hotels, Teehäuser und andere Unterkunftsmöglichkeiten derzeit [Anm.: März 2021] nur für Geschäftsreisende geöffnet. Für eine Person, die unter der Schirmherrschaft der IOM nach Afghanistan zurückkehrt und eine vorübergehende Unterkunft benötigt, kann IOM ein Hotel buchen. Personen, die ohne IOM nach Afghanistan zurückkehren, können nur in einer Unterkunftseinrichtung übernachten, wenn sie fälschlicherweise angeben, ein Geschäftsreisender zu sein. Da die Hotels bzw. Teehäuser die Gäste benötigen, um wirtschaftlich überleben zu können, fragen sie nicht genau nach. Wird dies durch die Exekutive überprüft, kann diese - wenn der Aufenthalt auf der Angabe von falschen Gründen basiert - diesen jederzeit beenden. Die betreffenden Unterkunftnehmer landen auf der Straße und der Unterkunftsbetreiber muss mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (IOM AUT 22.3.2021). Laut einer anderen Quelle gibt es jedoch aktuell [Anm.: März 2021] keine Einschränkungen bei der Buchung eines Hotels oder der Unterbringung in einem Teehaus und es ist möglich, dass Rückkehrer und Tagelöhner die Unterbringungsmöglichkeiten nutzen (RA KBL 22.3.2021).
Indien hat inzwischen zugesagt, 500.000 Dosen seines eigenen Impfstoffs zu spenden, erste Lieferungen sind bereits angekommen. 100.000 weitere Dosen sollen über COVAX (COVID-19 Vaccines Global Access) verteilt werden. Weitere Gespräche über Spenden laufen mit China (BAMF 8.2.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Die Taliban erlauben den Zugang für medizinische Helfer in Gebieten unter ihrer Kontrolle im Zusammenhang mit dem Kampf gegen COVID-19 (NH 3.6.2020; vgl. Guardian 2.5.2020) und gaben im Januar 2020 ihre Unterstützung für eine COVID-19-Impfkampagne in Afghanistan bekannt, die vom COVAX-Programm der Weltgesundheitsorganisation mit 112 Millionen Dollar unterstützt wird. Nach Angaben des Taliban-Sprechers Zabihullah Mudschahid würde die Gruppe die über Gesundheitszentren durchgeführte Impfaktion "unterstützen und erleichtern". Offizielle Stellen glauben, dass die Aufständischen die Impfteams nicht angreifen würden, da sie nicht von Tür zu Tür gehen würden (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021).
Bei der Bekanntgabe der Finanzierung sagte ein afghanischer Gesundheitsbeamter, dass das COVAX-Programm 20% der 38 Millionen Einwohner des Landes abdecken würde (REU 26.1.2021; vgl. ABC News 27.1.2021, ArN 27.1.2021, IOM 18.3.2021). Die Weltbank und die asiatische Entwicklungsbank gaben laut einer Sprecherin des afghanischen Gesundheitsministeriums an, dass sie bis Ende 2022 Impfstoffe für weitere 20% der Bevölkerung finanzieren würden (REU 26.1.2021; vgl. RFE/RL 23.2.2021a).
Im Februar 2021 hat Afghanistan mit seiner COVID-19-Impfkampagne begonnen, bei der zunächst Mitglieder der Sicherheitskräfte, Mitarbeiter des Gesundheitswesens und Journalisten geimpft werden (RFE/RL 23.2.2021a). Die Regierung kündigte an, 60% der Bevölkerung zu impfen, als die ersten 500.000 Dosen COVID-19-Impfstoff aus Indien in Kabul eintrafen. Es wurde angekündigt, dass zuerst 150.000 Mitarbeiter des Gesundheitswesens geimpft werden sollten, gefolgt von Erwachsenen mit gesundheitlichen Problemen. Die Impfungen haben in Afghanistan am 23.2.2021 begonnen (IOM 18.3.2021).
Gesundheitssystem und medizinische Versorgung
COVID-19-Patienten können in öffentlichen Krankenhäusern stationär diagnostiziert und behandelt werden (bis die Kapazitäten für COVID-Patienten ausgeschöpft sind). Staatlich geführte Krankenhäuser bieten eine kostenlose Grundversorgung im Zusammenhang mit COVID-19 an, darunter auch einen molekularbiologischen COVID-19-Test (PCR-Test). In den privaten Krankenhäusern, die von der Regierung autorisiert wurden, COVID-19-infizierte Patienten zu behandeln, werden die Leistungen in Rechnung gestellt. Ein PCR-Test auf COVID-19 kostet 3.500 Afghani (AFN) (IOM 18.3.2021).
Krankenhäuser und Kliniken haben nach wie vor Probleme bei der Aufrechterhaltung oder Erweiterung der Kapazität ihrer Einrichtungen zur Behandlung von Patienten mit COVID-19 sowie bei der Aufrechterhaltung wesentlicher Gesundheitsdienste, insbesondere in Gebieten mit aktiven Konflikten. Gesundheitseinrichtungen im ganzen Land berichten nach wie vor über Defizite bei persönlicher Schutzausrüstung, medizinischem Material und Geräten zur Behandlung von COVID-19 (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, HRW 13.1.2021, AA 16.7.2020, WHO 8.2020). Bei etwa 8% der bestätigten COVID-19-Fälle handelt es sich um Mitarbeiter im Gesundheitswesen (BAMF 8.2.2021).
Während öffentliche Krankenhäuser im März 2021 weiterhin unter einem Mangel an ausreichenden Testkapazitäten für die gesamte Bevölkerung leiden, können stationäre Patienten während ihres Krankenhausaufenthalts kostenfreie PCR-Tests erhalten. Generell sind die Tests seit Februar 2021 leichter zugänglich geworden, da mehr Krankenhäuser von der Regierung die Genehmigung erhalten haben, COVID-19-Tests durchzuführen. In Kabul werden die Tests beispielsweise im Afghan-Japan Hospital, im Ali Jennah Hospital, im City Hospital, im Alfalah-Labor oder in der deutschen Klinik durchgeführt (IOM 18.3.2021).
In den 18 öffentlichen Krankenhäusern in Kabul gibt es insgesamt 180 Betten auf Intensivstationen. Die Provinzkrankenhäuser haben jeweils mindestens zehn Betten auf Intensivstationen. Private Krankenhäuser verfügen insgesamt über 8.000 Betten, davon wurden 800 für die Intensivpflege ausgerüstet. Sowohl in Kabul als auch in den Provinzen stehen für 10% der Betten auf der Intensivstation Beatmungsgeräte zur Verfügung. Das als Reaktion auf COVID-19 eingestellte Personal wurde zu Beginn der Pandemie von der Regierung und Organisationen geschult (IOM 23.9.2020). UNOCHA berichtet mit Verweis auf Quellen aus dem Gesundheitssektor, dass die niedrige Anzahl an Personen die Gesundheitseinrichtungen aufsuchen auch an der Angst der Menschen vor einer Ansteckung mit dem Virus geschuldet ist (UNOCHA 15.10.2020) wobei auch die Stigmatisierung, die mit einer Infizierung einhergeht, hierbei eine Rolle spielt (IOM 18.3.2021; vgl. UNOCHA 12.11.2020, UNOCHA 18.2.2021, USAID 12.1.2021).
Durch die COVID-19 Pandemie hat sich der Zugang der Bevölkerung zu medizinischer Behandlung verringert (AAN 1.1.2020). Dem IOM Afghanistan COVID-19 Protection Monitoring Report zufolge haben 53 % der Bevölkerung nach wie vor keinen realistischen Zugang zu Gesundheitsdiensten. Ferner berichteten 23 % der durch IOM Befragten, dass sie sich die gewünschten Präventivmaßnahmen, wie den Kauf von Gesichtsmasken, nicht leisten können. Etwa ein Drittel der befragten Rückkehrer berichtete, dass sie keinen Zugang zu Handwascheinrichtungen (30%) oder zu Seife/Desinfektionsmitteln (35%) haben (IOM 23.9.2020).
Sozioökonomische Auswirkungen und Arbeitsmarkt
COVID-19 trägt zu einem erheblichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit im ganzen Land bei (USAID 12.1.2021; vgl. UNOCHA 18.2.2021, UNOCHA 19.12.2020). Die sozioökonomischen Auswirkungen von COVID-19 beeinflussen die Ernährungsunsicherheit, die inzwischen ein ähnliches Niveau erreicht hat wie während der Dürre von 2018 (USAID, 12.1.2021; vgl. UNOCHA 19.12.2020, UNOCHA 12.11.2020). In der ersten Hälfte des Jahres 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise, die im April 2020 im Jahresvergleich um rund 17% stiegen, nachdem in den wichtigsten städtischen Zentren Grenzkontrollen und Lockdown-Maßnahmen eingeführt worden waren. Der Zugang zu Trinkwasser war jedoch nicht beeinträchtigt, da viele der Haushalte entweder über einen Brunnen im Haus verfügen oder Trinkwasser über einen zentralen Wasserverteilungskanal erhalten. Die Auswirkungen der Handelsunterbrechungen auf die Preise für grundlegende Haushaltsgüter haben bisher die Auswirkungen der niedrigeren Preise für wichtige Importe wie Öl deutlich überkompensiert. Die Preisanstiege scheinen seit April 2020 nach der Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, der Durchsetzung von Anti-Preismanipulationsregelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Nahrungsmittelimporte nachgelassen zu haben (IOM 23.9.2020; vgl. WHO 7.2020), wobei gemäß dem WFP (World Food Program) zwischen März und November 2020 die Preise für einzelne Lebensmittel (Zucker, Öl, Reis...) um 18-31% gestiegen sind (UNOCHA 12.11.2020). Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark (AA 16.7.2020).
Die Lebensmittelpreise haben sich mit Stand März 2021 auf einem hohen Niveau stabilisiert: Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht waren die Preise für Weizenmehl von November bis Dezember 2020 stabil, blieben aber auf einem Niveau, das 11 %, über dem des Vorjahres und 27 % über dem Dreijahresdurchschnitt lag. Insgesamt blieben die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 überdurchschnittlich hoch, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel zurückzuführen ist (IOM 18.3.2021).
Laut einem Bericht der Weltbank zeigen die verfügbaren Indikatoren Anzeichen für eine stark schrumpfende Wirtschaft in der ersten Hälfte des Jahres 2020, was die Auswirkungen der COVID-19-Krise im Kontext der anhaltenden Unsicherheit widerspiegelt. Die Auswirkungen von COVID-19 auf den Landwirtschaftssektor waren bisher gering. Bei günstigen Witterungsbedingungen während der Aussaat wird erwartet, dass sich die Weizenproduktion nach der Dürre von 2018 weiter erholen wird. Lockdown-Maßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion und blieben in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt. Die Produktion von Obst und Nüssen für die Verarbeitung und den Export wird jedoch durch Unterbrechung der Lieferketten und Schließung der Exportwege negativ beeinflusst (IOM 18.3.2021; vgl. WB 15.7.2020).
Es gibt keine offiziellen Regierungsstatistiken, die zeigen, wie der Arbeitsmarkt durch COVID-19 beeinflusst wurde bzw. wird. Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass die COVID-19-Pandemie erhebliche negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Lage in Afghanistan hat, einschließlich des Arbeitsmarktes (IOM 23.9.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die afghanische Regierung warnt davor, dass die Arbeitslosigkeit in Afghanistan um 40% steigen wird. Die Lockdown-Maßnahmen haben die bestehenden prekären Lebensgrundlagen in dem Maße verschärft, dass bis Juli 2020 84% der durch IOM-Befragten angaben, dass sie ohne Zugang zu außerhäuslicher Arbeit (im Falle einer Quarantäne) ihre grundlegenden Haushaltsbedürfnisse nicht länger als zwei Wochen erfüllen könnten; diese Zahl steigt auf 98% im Falle einer vierwöchigen Quarantäne (IOM 23.9.2020). Insgesamt ist die Situation vor allem für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftssektoren von den Lockdown-Maßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ betroffen sind (IOM 23.9.2020; vgl. Martin/Parto 11.2020).
Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die durch die COVID-19-Pandemie geschaffen wurden, haben auch die Risiken für vulnerable Familien erhöht, von denen viele bereits durch lang anhaltende Konflikte oder wiederkehrende Naturkatastrophen ihre begrenzten finanziellen, psychischen und sozialen Bewältigungskapazitäten aufgebraucht hatten (UNOCHA 19.12.2020).
Die tiefgreifenden und anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Krise auf die afghanische Wirtschaft bedeuten, dass die Armutsquoten für 2021 voraussichtlich hoch bleiben werden. Es wird erwartet, dass das BIP im Jahr 2020 um mehr als 5 % geschrumpft sein wird (IWF). Bis Ende 2021 ist die Arbeitslosenquote in Afghanistan auf 37,9% gestiegen, gegenüber 23,9% im Jahr 2019 (IOM 18.3.2021).
Nach einer Einschätzung des Afghanistan Center for Excellence sind die am stärksten von der COVID-19-Krise betroffenen Sektoren die verarbeitende Industrie (Non-Food), das Kunsthandwerk und die Bekleidungsindustrie, die Agrar- und Lebensmittelverarbeitung, der Fitnessbereich und das Gesundheitswesen sowie die NGOs (IOM 18.3.2021).
[…]
Bewegungsfreiheit
Im Zuge der COVID-19 Pandemie waren verschiedene Grenzübergänge und Straßen vorübergehend gesperrt (RFE/RL 21.8.2020; vgl. NYT 31.7.2020, IMPACCT 14.8.2020, UNOCHA 30.6.2020), wobei aktuell alle Grenzübergänge geöffnet sind (IOM 18.3.2021). Im Juli 2020 wurden auf der afghanischen Seite der Grenze mindestens 15 Zivilisten getötet, als pakistanische Streitkräfte angeblich mit schwerer Artillerie in zivile Gebiete schossen, nachdem Demonstranten auf beiden Seiten die Wiedereröffnung des Grenzübergangs gefordert hatten und es zu Zusammenstößen kam (NYT 31.7.2020).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen statt (F 24 o.D.; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).
IOM Österreich unterstützt auch derzeit Rückkehrer im Rahmen der freiwilligen Rückkehr und Teilnahme an Reintegrationsprogrammen. Neben der Reiseorganisation bietet IOM Österreich dabei Unterstützung bei der Ausreise am Flughafen Wien Schwechat an (STDOK 14.7.2020). Von 1.1.2020 bis 22.9.2020 wurden 70 Teilnahmen an dem Reintegrationsprojekt Restart III akzeptiert und sind 47 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 23.9.2020). Mit Stand 18.3.2021 wurden insgesamt 105 Teilnahmen im Rahmen von Restart III akzeptiert und sind 86 Personen freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt (IOM 18.3.2021).
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 25.03.2021
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2020). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die Provinzhauptstädte, die meisten Distriktzentren und die meisten Teile der wichtigsten Transitrouten. Mehrere Teile der wichtigsten Transitrouten sind umkämpft, wodurch Distriktzentren bedroht sind. Seit Februar 2020 haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF (Afghan National Defense Security Forces) aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen, welche in der Nähe von Provinzhauptstädten stationiert sind - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden. Unabhängig davon begann IS/ISKP im Februar 2020 (zum ersten Mal seit dem Verlust seiner Hochburg in der Provinz Nangarhar im November 2019) Terroranschläge gegen die ANDSF und die Koalitionstruppen durchzuführen (USDOD 1.7.2020). Die Zahl der Angriffe der Taliban auf staatliche Sicherheitskräfte entsprach im Jahr 2020 dem Niveau der Frühjahrsoffensiven der vergangenen Jahre, auch wenn die Offensive dieses Jahr bisher nicht offiziell erklärt wurde (AA 16.7.2020; vgl. REU 6.10.2020).
Die Umsetzung des US-Taliban-Abkommens, angefochtene Ergebnisse der Präsidentschaftswahlen, regionale politische Spannungen zwischen den Vereinigten Staaten und dem Iran, Diskussionen über die Freilassung von Gefangenen, Krieg und die globale Gesundheitskrise COVID-19 haben laut dem Combined Security Transition Command-Afghanistan (CSTC-A) das zweite Quartal 2020 für die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) zum "vielleicht komplexesten und herausforderndsten Zeitraum der letzten zwei Jahrzehnte" gemacht (SIGAR 30.7.2020).
Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt (BBC 1.4.2020). Diese Gespräche sind ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welche Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens sind (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020; vgl. HRW 13.1.2021), was den afghanischen Friedensprozess gefährden könnte (SIGAR 30.1.2021).
Die Sicherheitslage im Jahr 2020
Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 verzeichnete UNAMA die niedrigste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021). Laut AAN (Afghanistan Analysts Network) war 2020 in Afghanistan genauso gewalttätig wie 2019, trotz des Friedensprozesses und der COVID-19-Pandemie. Seit dem Abkommen zwischen den Taliban und den USA vom 29. Februar haben sich jedoch die Muster und die Art der Gewalt verändert. Das US-Militär spielt jetzt nur noch eine minimale direkte Rolle in dem Konflikt, so dass es sich fast ausschließlich um einen afghanischen Krieg handelt, in dem sich Landsleute gegenseitig bekämpfen, wenn auch mit erheblicher ausländischer Unterstützung für beide Seiten. Seit der Vereinbarung vom 29.2.2020 haben die Taliban und die afghanische Regierung ihre Aktionen eher heruntergespielt als übertrieben, und die USA haben die Veröffentlichung von Daten zu Luftangriffen eingestellt (AAN 16.8.2020).
Die Taliban starteten wie üblich eine Frühjahrsoffensive, wenn auch unangekündigt, und verursachten in den ersten sechs Monaten des Jahres 2020 43 Prozent aller zivilen Opfer, ein größerer Anteil als 2019 und auch mehr in absoluten Zahlen (AAN 16.8.2020). Afghanistans National Security Council (NSC) zufolge nahmen die Talibanattacken im Juni 2020 deutlich zu. Gemäß NATO Resolute Support (RS) nahm die Anzahl an zivilen Opfern im zweiten Quartal 2020 um fast 60% gegenüber dem ersten Quartal und um 18% gegenüber dem zweiten Quartal des Vorjahres zu (SIGAR 30.7.2020). Während im Jahr 2020 Angriffe der Taliban auf größere Städte und Luftangriffe der US-Streitkräfte zurückgingen, wurden von den Taliban durch improvisierte Sprengsätze (IEDs) eine große Zahl von Zivilisten getötet, ebenso wie durch Luftangriffe der afghanischen Regierung. Entführungen und gezielte Tötungen von Politikern, Regierungsmitarbeitern und anderen Zivilisten, viele davon durch die Taliban, nahmen zu (HRW 13.1.2021; vgl. AAN 16.8.2020).
In der zweiten Jahreshälfte 2020 nahmen insbesondere die gezielten Tötungen von Personen des öffentlichen Lebens (Journalisten, Menschenrechtler usw.) zu. Personen, die offen für ein modernes und liberales Afghanistan einstehen, werden derzeit landesweit vermehrt Opfer von gezielten Attentaten (AA 14.1.2021, vgl. AIHRC 28.1.2021).
Obwohl sich die territoriale Kontrolle kaum verändert hat, scheint es eine geografische Verschiebung gegeben zu haben, mit mehr Gewalt im Norden und Westen und weniger in einigen südlichen Provinzen, wie Helmand (AAN 16.8.2020).
Zivile Opfer
Vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dokumentierte UNAMA 8.820 zivile Opfer (3.035 Getötete und 5.785 Verletzte), während AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) für das gesamte Jahr 2020 insgesamt 8.500 zivile Opfer registrierte, darunter 2.958 Tote und 5.542 Verletzte. Das ist ein Rückgang um 15% (21% laut AIHRC) gegenüber der Zahl der zivilen Opfer im Jahr 2019 (UNAMA 2.2021; vgl. AIHRC 28.1.2021) und die geringste Zahl ziviler Opfer seit 2013 (UNAMA 2.2021).
Nach dem Abkommen zwischen den USA und den Taliban dokumentierte UNAMA einen Rückgang der Opfer unter der Zivilbevölkerung bei groß angelegten Angriffen in städtischen Zentren durch regierungsfeindliche Elemente, insbesondere die Taliban, und bei Luftangriffen durch internationale Streitkräfte. Dies wurde jedoch teilweise durch einen Anstieg der Opfer unter der Zivilbevölkerung durch gezielte Tötungen von regierungsfeindlichen Elementen, durch Druckplatten-IEDs der Taliban und durch Luftangriffe der afghanischen Luftwaffe sowie durch ein weiterhin hohes Maß an Schäden für die Zivilbevölkerung bei Bodenkämpfen ausgeglichen (UNAMA 2.2021).
Die Ergebnisse des AIHRC zeigen, dass Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger das häufigste Ziel von gezielten Angriffe waren. Im Jahr 2020 verursachten gezielte Angriffe 2.250 zivile Opfer, darunter 1.078 Tote und 1.172 Verletzte. Diese Zahl macht 26% aller zivilen Todesopfer im Jahr 2020 aus (AIHRC 28.1.2021).
Die von den Konfliktparteien eingesetzten Methoden, die die meisten zivilen Opfer verursacht haben, sind in der jeweiligen Reihenfolge folgende: IEDs und Straßenminen, gezielte Tötungen, Raketenbeschuss, komplexe Selbstmordanschläge, Bodenkämpfe und Luftangriffe (AIHRC 28.1.2021). […]
Während des gesamten Jahres 2020 dokumentierte UNAMA Schwankungen in der Zahl der zivilen Opfer parallel zu den sich entwickelnden politischen Ereignissen. Die "Woche der Gewaltreduzierung" vor der Unterzeichnung des Abkommens zwischen den Vereinigten Staaten und den Taliban in Doha am 29.2.2020 zeigte, dass die Konfliktparteien die Macht haben, Schaden an der Zivilbevölkerung zu verhindern und zu begrenzen, wenn sie sich dazu entschließen, dies zu tun. Ab März wuchs dann die Besorgnis über ein steigendes Maß an Gewalt, da UNAMA zu Beginn des Ausbruchs der COVID-19-Pandemie eine steigende Zahl von zivilen Opfern und Angriffen auf Gesundheitspersonal und -einrichtungen dokumentierte. Regierungsfeindliche Elemente verursachten mit 62% weiterhin die Mehrzahl der zivilen Opfer im Jahr 2020. Während UNAMA weniger zivile Opfer dem Islamischen Staat im Irak und in der Levante - Provinz Chorasan (ISIL-KP, ISKP) und den Taliban zuschrieb, hat sich die Zahl der zivilen Opfer, die durch nicht näher bestimmte regierungsfeindliche Elemente verursacht wurden (diejenigen, die UNAMA keiner bestimmten regierungsfeindlichen Gruppe zuordnen konnte), im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt (UNAMA 2.2021; vgl. AAN 16.8.2020). Pro-Regierungskräfte verursachten ein Viertel der getöteten und verletzten Zivilisten im Jahr 2020 (UNAMA 2.2021; vgl. HRW 13.1.2021). Nach den Erkenntnissen der AIHRC (Afghanistan Independent Human Rights Commission) sind von allen zivilen Opfern in Afghanistan im Jahr 2020 die Taliban für 53 % verantwortlich, regierungsnahe und verbündete internationale Kräfte für 15 % und ISKP (ISIS) für fünf Prozent. Bei 25 % der zivilen Opfer sind die Täter unbekannt und 2 % der zivilen Opfer wurden durch pakistanischen Raketenbeschuss in Kunar, Chost, Paktika und Kandahar verursacht (AIHRC 28.1.2021).
High-Profile Angriffe (HPAs)
Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 1.7.2020). Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019). Angriffe auf hochrangige Ziele setzen sich im Jahr 2021 fort (BAMF 18.1.2021).
Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich fort. Der Großteil der Anschläge richtet sich gegen die ANDSF und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in der Provinz Nangarhar zu einer sogenannten 'green-on-blue-attack': der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens sechs Personen getötet und mehr als zehn verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020). Seit Februar haben die Taliban ein hohes Maß an Gewalt gegen die ANDSF aufrechterhalten, vermeiden aber gleichzeitig Angriffe gegen Koalitionstruppen um Provinzhauptstädte - wahrscheinlich um das US-Taliban-Abkommen nicht zu gefährden (USDOD 1.7.2020). Die Taliban setzten außerdem bei Selbstmordanschlägen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh an Fahrzeugen befestigte improvisierte Sprengkörper (SVBIEDs) ein (UNGASC 17.3.2020).
Anschläge gegen Gläubige, Kultstätten und religiöse Minderheiten
Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).
Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (TN 26.3.2020; vgl. BBC 25.3.2020, USDOD 1.7.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 26.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020, USDOD 1.7.2020). Beamte, Journalisten, Aktivisten der Zivilgesellschaft, religiöse Gelehrte, einflussreiche Persönlichkeiten, Mitglieder der Nationalversammlung und Menschenrechtsverteidiger waren im Jahr 2020 ein häufiges Ziel gezielter Anschläge (AIHRC 28.1.2021).
[…]
Balkh
Letzte Änderung: 25.03.2021
Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan (UNOCHA Balkh 13.4.2014; vgl. GADM 2018). Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif. Die Provinz ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Balkh, Char Bolak, Char Kent, Chimtal, Dawlat Abad, Dehdadi, Kaldar, Kishindeh, Khulm, Marmul, Mazar-e Sharif, Nahri Shahi, Sholgara, Shortepa und Zari (NSIA 1.6.2020; vgl. IEC Balkh 2019).
Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in Balkh im Zeitraum 2020-21 auf 1,509.183 Personen, davon geschätzte 484.492 Einwohner in Mazar-e Sharif (NSIA 1.6.2020). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern, sunnitischen Hazara (Kawshi) (PAJ Balkh o.D.; vgl. NPS Balkh o.D.) sowie Mitgliedern der kleinen ethnischen Gruppe der Magat bewohnt wird (AAN 8.7.2020).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Ring Road (auch Highway 1 genannt) verbindet Balkh mit den Nachbarprovinzen Jawzjan im Westen und Kunduz im Osten sowie in weiterer Folge mit Kabul (TD 5.12.2017). Rund 30 km östlich von Mazar-e Sharif zweigt der National Highway (NH) 89 von der Ring Road Richtung Norden zum Grenzort Hairatan/Termiz ab (OSM o.D.; vgl. TD 5.12.2017). Dies ist die Haupttransitroute für Warenverkehr zwischen Afghanistan und Usbekistan (LCA 4.7.2018).
Entlang des Highway 1 westlich der Stadt Balkh in Richtung der Provinz Jawzjan befindet sich der volatilste Straßenabschnitt in der Provinz Balkh, es kommt dort beinahe täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen. Auch besteht auf diesem Abschnitt in der Nähe der Posten der Regierungstruppen ein erhöhtes Risiko von IEDs - nicht nur entlang des Highway 1, sondern auch auf den Regionalstraßen (STDOK 21.7.2020). In Gegenden mit Talibanpräsenz, wie zum Beispiel in den südlichen Distrikten Zari (AAN 23.5.2020), Kishindeh und Sholgara, ist das Risiko, auf Straßenkontrollen der Taliban zu stoßen, höher (STDOK 21.7.2020; vgl. TN 20.12.2019).
In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (Kam Air Balkh o.D.; STDOK 25.3.2019).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählte zu den relativ friedlichen Provinzen im Norden Afghanistans, jedoch hat sich die Sicherheitslage in den letzten Jahren in einigen ihrer abgelegenen Distrikte verschlechtert (KP 10.2.2020, STDOK 21.7.2020), da militante Taliban versuchen, in dieser wichtigen nördlichen Provinz Fuß zu fassen (KP 10.2.2020; vgl. AA 16.7.2020). Die Taliban greifen nun häufiger an und kontrollieren auch mehr Gebiete im Westen, Nordwesten und Süden der Provinz, wobei mit Stand Oktober 2019 keine städtischen Zentren unter ihrer Kontrolle standen (STDOK 21.7.2020). Anfang Oktober 2020 galt der Distrikt Dawlat Abad als unter Talibankontrolle stehend, während die Distrikte Char Bolak, Chimtal und Zari umkämpft waren (LWJ o.D.). Im Jahr 2020 gehörte Balkh zu den konfliktreichsten Provinzen des Landes (UNGASC 9.12.2020, UNGASC 17.6.2020, UNGASC 17.3.2020; vgl. LWJ 10.3.2020) und in der Hauptstadt und den Distrikten kommt es weiterhin zu sicherheitsrelevanten Vorfällen (ACCORD 27.1.2021, KP 3.3.2021).
Mazar-e Sharif gilt als vergleichsweise sicher, jedoch fanden 2019 beinahe monatlich kleinere Anschläge mit improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) statt, meist in der Nähe der Blauen Moschee. Ziel der Anschläge sind oftmals Sicherheitskräfte, jedoch kommt es auch zu zivilen Opfern. Wie auch in anderen großen Städten Afghanistans ist Kriminalität in Mazar-e Sharif ein Problem. Bewohner der Stadt berichteten insbesondere von bewaffneten Raubüberfällen (STDOK 21.7.2020). Im Dezember und März 2019 kam es in Mazar-e Sharif zudem zu Kämpfen zwischen Milizführern bzw. lokalen Machthabern und Regierungskräften (NYT 16.12.2019, REU 14.3.2019).
Auf Regierungsseite befindet sich Balkh im Verantwortungsbereich des 209. Afghan National Army (ANA) "Shaheen" Corps (USDOD 1.7.2020, TN 22.4.2018), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - North (TAAC-N) untersteht, welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020). Das Hauptquartier des 209. Afghan National Army (ANA) "Shaheen" Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Die meisten Soldaten der deutschen Bundeswehr sind in Camp Marmal stationiert (SP 7.4.2019). Weiters unterhalten die US-amerikanischen Streitkräfte eine regionale Drehscheibe in der Provinz (USDOD 1.7.2020).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Der folgenden Tabelle kann die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in der Provinz gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für den Zeitraum 1.1.2019-31.12.2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer – auch bzgl. Problemen bei der Vergleichbarkeit der Zahlen zwischen 2019 und 2020; hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
[…]
Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 712 zivile Opfer (263 Tote und 449 Verletzte) in der Provinz Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 157% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (IEDs; ohne Selbstmordattentate) (UNAMA 2.2021). Ungeachtet der Friedensgespäche finden weiterhin sicherheitsrelevante Vorfälle in der Hauptstadt und den Distrikten statt (KP 3.3.2021, ACCORD 27.1.2021)
Der UN-Generalsekretär zählte Balkh in seinen quartalsweise erscheinenden Berichten über die Sicherheitslage in Afghanistan im Jahr 2020 zu den konfliktintensivsten Provinzen des Landes (UNGASC 9.12.2020, UNGASC 17.6.2020, UNGASC 17.3.2020; vgl. LWJ 10.3.2020) und auch im September 2020 galt Balkh als eine der Provinzen mit den schwersten Talibanangriffen im Land (BAMF 14.9.2020). Es kommt zu direkten Kämpfen (KP 3.3.2021, UNOCHA 23.9.2020, AJ 1.5.2020, DH 8.4.2020) und Angriffen der Taliban auf Distriktzentren (UNOCHA 23.7.2020, REU 1.5.2020, UNOCHA 26.2.2020) oder Sicherheitsposten (ANI 6.3.2021, NYTM 1.10.2020, NYTM 28.8.2020, AnA 18.3.2020, XI 7.1.2020). Die Regierungskräfte führen Räumungsoperationen durch (KP 3.3.2021, AN 25.6.2020, MENAFN 24.3.2020, AA 18.3.2020, XI 25.1.2020).
Ebenso wurde von IED-Explosionen, beispielsweise durch Sprengfallen am Straßenrand (NYTM 28.8.2020), aber auch an Fahrzeugen befestigten Sprengkörpern (vehicle-borne IEDs, VBIEDs) (TN 25.8.2020, RFE/RL 25.8.2020; vgl. NYTM 28.8.2020) sowie Selbstmordanschlägen berichtet (TN 25.8.2020, RFE/RL 25.8.2020, RFE/RL 19.9.2020). Auch in Mazar-e Sharif kam es wiederholt zu IED-Anschlägen (ACCORD 27.1.2021, NYTM 1.10.2020, AN 19.9.2020, TN 1.7.2020, AP 14.1.2020, TN 4.1.2020) sowie Angriffen auf bzw. die Tötung von Sicherheitskräften (KP 3.3.2021, ANI 6.3.2021, ACCORD 27.1.2021, BAMF 18.1.2021; vgl. PAJ 12.1.2021, AT 12.1.2021). Zudem wird von der Entführung (TN 13.3.2021, DH 8.4.2020) und Ermordung von Zivilisten in der Provinz berichtet (KP 3.3.2021, ACCORD 27.1.2021, NYTM 1.10.2020, DH 8.4.2020).
Herat
Letzte Änderung: 25.03.2021
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA Herat 4.2014). Herat ist in die folgenden Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Enjil, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kuhna, Obe, Pashtun Zarghun, Zendahjan und die „temporären“ Distrikte Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar, Kozeor), Zawol und Zerko (NSIA 1.6.2020; IEC Herat 2019), die aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Ihre Schaffung wurde vom Präsidenten nach Inkrafttreten der Verfassung von 2004 aus Sicherheits- oder anderen Gründen genehmigt, während das Parlament seine Zustimmung (noch) nicht erteilt hat (AAN 16.8.2018). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (NSIA 1.6.2020). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ Herat o.D.).
Die National Statistics and Information Authority of Afghanistan (NSIA) schätzt die Bevölkerung in der Provinz Herat im Zeitraum 2020-21 auf 2,140.662 Personen, davon 574.276 in der Provinzhauptstadt (NSIA 1.6.2020). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ Herat o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. STDOK 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017, LCA 4.7.2018). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Straßen verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (LCA 4.7.2018), wo sich einer der größten Trockenhäfen Afghanistans befindet (KN 7.7.2020). Die Schaffung einer weiteren Zollgrenze zum Iran ist im Distrikt Ghoryan geplant (TN 11.9.2020). Eine Eisenbahnverbindung zwischen der Stadt Herat und dem Iran, die die Grenze an diesem Punkt überqueren wird, ist derzeit im Bau (1TV 28.10.2020, TN 11.9.2020). Auf der Strecke Herat-Islam-Qala wurde über Tötungen und Entführungen berichtet (UNAMA 7.2020, KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020) sowie über Sprengfallen am Straßenrand (KN 7.7.2020; vgl. PAJ 6.2.2020), auch auf der Ring Road in Richtung Kandahar (TN 10.10.2020). Darüber hinaus gibt es Berichte über illegale Zolleinhebungen durch Aufständische sowie Polizeibeamte entlang der Strecke Herat-Kandahar (HOA 12.1.2020, PAJ 4.1.2020; vgl. NYT 1.11.2020). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (STDOK 25.11.2020; cf. Kam Air Herat o.D.).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die Sicherheitslage auf Stadt- und Distriktebene unterscheidet sich voneinander. Während einige Distrikte, wie z.B. Shindand, als unsicher gelten, weil die Kontrolle zwischen der Regierung und den Taliban umkämpft ist, kam es in Herat-Stadt in den letzten Jahren vor allem zu kriminellen Handlungen und kleineren sicherheitsrelevanten Vorfällen, jedoch nicht zu groß angelegten Angriffen oder offenen Kämpfen, die das tägliche Leben vorübergehend zum Erliegen gebracht hätten. Die sicherheitsrelevanten Vorfälle, die in letzter Zeit in der Stadt Herat gemeldet wurden, fielen meist in zwei Kategorien: gezielte Tötungen und Angriffe auf Polizeikräfte (AAN 21.4.2020; vgl. OA 20.7.2020). Darüber hinaus fanden im Juli und September 2020 (UNAMA 10.2020) sowie Oktober 2019 Angriffe statt, die sich gegen Schiiten richteten (AAN 21.4.2020). Bezüglich krimineller Handlungen wurde beispielsweise über bewaffnete Raubüberfälle und Entführungen berichtet (OA 20.7.2020, AAN 21.4.2020, AN 2.1.2020).
Je weiter man sich von der Stadt Herat (die im Januar 2019 als "sehr sicher" galt) und ihren Nachbardistrikten in Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer ist der Einfluss der Taliban (STDOK 13.6.2019). Pushtkoh und Zerko befanden sich im Februar 2020 einem Bericht zufolge vollständig in der Hand der Taliban (AAN 28.2.2020), während die Kontrolle der Regierung in Obe auf das Distriktzentrum beschränkt ist (AAN 8.4.2020, AAN 20.12.2019). In Shindand befindet sich angeblich das "Taliban-Hauptquartier" von Herat (AAN 20.12.2019). Dem Long War Journal (LWJ) zufolge kontrollierten die Taliban Ende November 2020 jedoch keinen Distrikt von Herat vollständig. Mehrere Distrikte wie Adraskan, Ghoryan, Gulran, Kushk, Kushk-i-Kuhna, Obe und Shindand sind umstritten, während die Distrikte um die Stadt Herat unter der Kontrolle der Regierung stehen (LWJ o.D.; vgl. STDOK 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (SaS 2.11.2018; vgl. RUSI 16.3.2016). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab (SaS 2.11.2018). Die Rasoul-Gruppe, die mit der stillschweigenden Unterstützung der afghanischen Regierung operiert hat, kämpft mit Stand Jänner 2020 weiterhin gegen die Hauptfraktion der Taliban in Herat, auch wenn die Zusammenstöße zwischen den beiden Gruppen laut einer Quelle innerhalb der Rasoul-Fraktion nicht mehr so häufig und heftig sind wie in den vergangenen Jahren. Etwa 15 Kämpfer der Gruppe sind Anfang 2020 bei einem Drohnenangriff der USA gemeinsam mit ihrem regionalen Führer getötet worden (SaS 9.1.2020; vgl. UNSC 27.5.2020).
Während ein UN-Bericht einen Angriff in der Nähe einer schiitischen Moschee im Oktober 2019 dem Islamischen Staat Provinz Khorasan (ISKP) zuschrieb (UNGASC 10.12.2019) und ein Zeitungsartikel vom März 2020 behauptete, dass der ISKP eine Hochburg in der Provinz unterhält (VOA 20.3.2020), gab eine andere Quelle an, dass es unklar sei, ob und welche Art von Präsenz der ISKP in Herat hat. Angriffe gegen schiitische Muslime sind Teil des Modus operandi des ISKP, aber - insbesondere angesichts der Schwäche der Gruppe in Afghanistan - stellt ein Bekenntnis des ISKP zu einem bestimmten Angriff noch keinen vollständigen Beweis dafür dar, dass die Gruppe ihn wirklich begangen hat (AAN 21.4.2020). Ein Bewohner des Distrikts Obe hielt eine ISKP-Präsenz in Herat angesichts der Präsenz der Taliban z.B. im Distrikt Shindand für unwahrscheinlich (AAN 20.12.2019).
Auf Regierungsseite befindet sich Herat im Verantwortungsbereich des 207. Afghan National Army (ANA) "Zafar" Corps (USDOD 1.7.2020; vgl. ST 2.10.2020), das der NATO-Mission Train Advise Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 1.7.2020).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Der folgenden Tabelle kann die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle in der Provinz gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für den Zeitraum 1.1.2019-31.12.2020 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer – auch bzgl. Problemen bei der Vergleichbarkeit der Zahlen zwischen 2019 und 2020; hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
[Grafik entfernt, Anm.]
*temporäre Distrikte; sicherheitsrelevante Vorfälle in diesen Distrikten werden dem Distrikt Shindand zugerechnet. ACLED o.D.; GIM o.D.
Im Jahr 2020 dokumentierte UNAMA 339 zivile Opfer (124 Tote und 215 Verletzte) in der Provinz Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 15% gegenüber 2019. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von gezielten Tötungen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 2.2021). Im Jahr 2020 wurden auch mehrere Fälle von zivilen Opfern aufgrund von Luftangriffen gemeldet (UNAMA 10.2020, AAN 24.2.2020, RFE/RL 22.1.2020).
Es kam in mehreren Distrikten der Provinz Herat zu Kämpfen zwischen den Regierungstruppen und den Taliban, sowie zu Angriffen der Taliban auf Regierungseinrichtungen (KP 20.11.2020, NYTM 29.10.2020, PAJ 15.10.2020, NYTM 1.10.2020, KP 5.9.2020, NYTM 28.8.2020, NYTM 27.2.2.2020, NYTM 30.1.2020). Die Regierungstruppen führten in der Provinz Operationen durch (AN 5.9.2020, AJ 23.7.2020, XI 29.1.2020b, RFE/RL 22.1.2020). Darüber hinaus wurde von Explosionen von Sprengfallen am Straßenrand in verschiedenen Distrikten berichtet (KP 22.11.2020, NYTM 29.10.2020, TN 10.10.2020, NYTM 1.10.2020, NYTM 28.8.2020, TN 5.7.2020, NYTM 30.1.2020).
Vorfälle mit IEDs, wie Detonationen von an Fahrzeugen befestigten IEDs (VBIED) (AJ 13.3.2021; REU 12.3.2021; KP 1.11.2020; ACCORD 27.1.2021), einer Sprengfalle am Straßenrand (NYTM 28.8.2020) und eines weiteren IEDs kommen auch in der Stadt Herat vor (GW 10.11.2020; vgl. AAN 27.10.2020). Auch werden sowohl in den Distrikten als auch der Stadt Herat gezielte Tötungen durchgeführt (AJ 13.3.2021; REU 12.3.202; NYTM 29.10.2020; NYTM 1.10.2020; NYTM 28.8.2020; NYTM 27.2.2.2020; NYTM 30.1.2020) und es kommt zu Angriffen auf Soldaten und Sicherheitskräfte (AJ 13.3.2021; REU 12.3.2021; ACCORD 27.1.2021; AN 16.1.2021; ANI 8.1.2021).
Religionsfreiheit
Letzte Änderung: 01.04.2021
Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha´i und Christen machen weniger als 1% der Bevölkerung aus (AA 16.7.2020; vgl. CIA 6.10.2020, USDOS 10.6.2020). Genaue Angaben zur Größe der christlichen Gemeinschaft sind nicht vorhanden (USDOS 10.6.2020). In Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan (UP 16.8.2019; vgl. BBC 11.4.2019). Die muslimische Gemeinschaft der Ahmadi schätzt, dass sie landesweit 450 Anhänger hat, gegenüber 600 im Jahr 2017 (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Ausländische Christen und einige wenige Afghanen, die originäre Christen und nicht vom Islam konvertiert sind, werden normal und fair behandelt. Es gibt kleine Unterschiede zwischen Stadt und Land. In den ländlichen Gesellschaften ist man tendenziell feindseliger (RA KBL 10.6.2020). Für christliche Afghanen gibt es keine Möglichkeit der Religionsausübung außerhalb des häuslichen Rahmens (AA 16.7.2020; vgl. USCIRF 4.2020, USDOS 10.6.2020), da es keine öffentlich zugänglichen Kirchen im Land gibt (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Einzelne christliche Andachtsstätten befinden sich in ausländischen Militärbasen. Die einzige legale christliche Kirche im Land befindet sich am Gelände der italienischen Botschaft in Kabul (RA KBL 10.6.2020). Die afghanischen Behörden erlaubten die Errichtung dieser katholischen Kapelle unter der Bedingung, dass sie ausschließlich ausländischen Christen diene und jegliche Missionierung vermieden werde (KatM KBL 8.11.2017). Gemäß hanafitischer Rechtsprechung ist Missionierung illegal; Christen berichten, die öffentliche Meinung stehe ihnen und der Missionierung weiterhin feindselig gegenüber (USDOS 10.6.2020). Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist (USDOS 10.6.2020; vgl. AA 16.7.2020). Wie in den vergangenen fünf Jahren gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen wegen Blasphemie oder Apostasie; jedoch berichten Personen, die vom Islam konvertieren, dass sie weiterhin die Annullierung ihrer Ehen, die Ablehnung durch ihre Familien und Gemeinschaften, den Verlust ihres Arbeitsplatzes und möglicherweise die Todesstrafe riskieren (USDOS 10.6.2020).
Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen (USDOS 10.6.2020). Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist (USDOS 10.6.2020; vgl. ICRC o.D.), sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (USDOS 10.6.2020).
Das Zivil- und Strafrecht basiert auf der Verfassung; laut dieser müssen Gerichte die verfassungsrechtlichen Bestimmungen sowie das Gesetz bei ihren Entscheidungen berücksichtigen. In Fällen, in denen weder die Verfassung noch das Straf- oder Zivilgesetzbuch einen bestimmten Rahmen vorgeben, können Gerichte laut Verfassung die sunnitische Rechtsprechung der hanafitischen Rechtsschule innerhalb des durch die Verfassung vorgegeben Rahmens anwenden, um Recht zu sprechen. Die Verfassung erlaubt es den Gerichten auch, das schiitische Recht in jenen Fällen anzuwenden, in denen schiitische Personen beteiligt sind. Nicht-Muslime dürfen in Angelegenheiten, die die Scharia-Rechtsprechung erfordern, nicht aussagen. Die Verfassung erwähnt keine eigenen Gesetze für Nicht-Muslime. Vertreter nicht-muslimischer religiöser Minderheiten, darunter Sikhs und Hindus, berichten über ein Muster der Diskriminierung auf allen Ebenen des Justizsystems (USDOS 10.6.2020).
Die Religionsfreiheit hat sich seit 2001 zwar verbessert, jedoch wird diese noch immer durch Gewalt und Drangsalierung gegenüber religiösen Minderheiten und reformerischen Muslimen behindert (FH 4.3.2020; vgl. USDOS 10.6.2020).
Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung (FH 4.3.2020). Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung (USDOS 10.6.2020; vgl. FH 4.3.2020). Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen (USDOS 10.6.2020).
Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (USDOS 10.6.2020). Ehen zwischen zwei Nicht-Muslimen sind gültig (USE o.D.). Die nationalen Identitätsausweise beinhalten Informationen über das Religionsbekenntnis. Das Bekenntnis zum Islam wird für den Erwerb der Staatsbürgerschaft nicht benötigt. Religiöse Gemeinschaften sind gesetzlich nicht dazu verpflichtet, sich registrieren zu lassen (USDOS 10.6.2020).
Laut Verfassung soll der Staat einen einheitlichen Lehrplan, der auf den Bestimmungen des Islam basiert, gestalten und umsetzen; auch sollen Religionskurse auf Grundlage der islamischen Strömungen innerhalb des Landes entwickelt werden. Der nationale Bildungsplan enthält Inhalte, die für Schulen entwickelt wurden, in denen die Mehrheiten entweder schiitisch oder sunnitisch sind; ebenso konzentrieren sich die Schulbücher auf gewaltfreie islamische Bestimmungen und Prinzipien. Der Bildungsplan beinhaltet Islamkurse, nicht aber Kurse für andere Religionen. Für Nicht-Muslime an öffentlichen Schulen ist es nicht erforderlich, am Islamunterricht teilzunehmen (USDOS 10.6.2020).
Schiiten
Letzte Änderung: 01.04.2021
Der Anteil schiitischer Muslime an der Bevölkerung wird auf 10 bis 19% geschätzt (CIA 6.10.2020; vgl. AA 16.7.2020). Zuverlässige Zahlen zur Größe der schiitischen Gemeinschaft sind nicht verfügbar und werden vom Statistikamt nicht erfasst. Gemäß Vertretern der Religionsgemeinschaft sind die Schiiten Afghanistans mehrheitlich Jafari-Schiiten (Zwölfer-Schiiten), 90% von ihnen gehören zur ethnischen Gruppe der Hazara. Unter den Schiiten gibt es auch Ismailiten (USDOS 10.6.2020).
Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Schiiten sind in Afghanistan selten (AA 16.7.2020). Beobachtern zufolge ist die Diskriminierung der schiitischen Minderheit durch die sunnitische Mehrheit zurückgegangen; dennoch existieren Berichte zu lokalen Diskriminierungsfällen. Gemäß Zahlen von UNAMA gab es im Jahr 2019 10 Fälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten, die 485 zivile Opfer forderten (117 Tote und 368 Verletzte), was einem Rückgang von 35 % gegenüber 2018 entspricht, als es 19 Fälle gab, die 747 zivile Opfer forderten (233 Tote und 524 Verletzte). Der Islamische Staat Khorasan Provinz (ISKP) bekannte sich zu sieben der zehn Vorfälle und gab an, dass diese auf die religiöse Minderheit der schiitischen Muslime ausgerichtet waren (USDOS 10.6.2020). In den Jahren 2016, 2017 und 2018 wurden durch den Islamischen Staat (IS) und die Taliban 51 terroristischen Angriffe auf Glaubensstätten und religiöse Anführer der Schiiten bzw. Hazara durchgeführt (FH 4.2.2019; vgl. USDOS 21.6.2019, CRS 1.5.2019).
Die schiitische Hazara-Gemeinschaft bezeichnet die Sicherheitsvorkehrungen der Regierung in den von Schiiten dominierten Gebieten als unzureichend. Die afghanische Regierung bemüht sich erneut um die Lösung von Sicherheitsproblemen im von schiitischen Hazara bewohnten Gebiet Dasht-e Barchi im Westen von Kabul-Stadt, das im Laufe des Jahres Ziel größerer Angriffe war, und kündigte Pläne zur Verstärkung der Präsenz der afghanischen nationalen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte (ANDSF) an. Nach Angaben der schiitischen Gemeinschaft gab es trotz der Pläne keine Aufstockung der ANDSF-Kräfte; es wurde jedoch angemerkt, dass die Regierung Waffen direkt an die Wachen der schiitischen Moscheen in Gebieten verteilt habe, die als mögliche Angriffsziele angesehen werden (USDOS 10.6.2020).
Die politische Repräsentation und die Beteiligung an den nationalen Institutionen seitens der traditionell marginalisierten schiitischen Minderheit, der hauptsächlich ethnische Hazara angehören, ist seit 2001 gestiegen (FH 4.3.2020). Obwohl einige schiitische Muslime höhere Regierungsposten bekleiden, behaupten Mitglieder der schiitischen Minderheit, dass die Anzahl dieser Stellen die demografischen Verhältnisse des Landes nicht reflektiert. Vertreter der Sunniten hingegen geben an, dass Schiiten im Vergleich zur Bevölkerungszahl in den Behörden überrepräsentiert seien. Einige Mitglieder der ismailitischen Gemeinschaft beanstanden die vermeintliche Vorenthaltung von politischen Posten; vier Parlamentssitze sind für Ismailiten reserviert (USDOS 10.6.2020).
Im Ulema-Rat, der nationalen Versammlung von Religionsgelehrten, die u. a. dem Präsidenten in der Festlegung neuer Gesetze und Rechtsprechung beisteht, beträgt die Quote der schiitischen Muslime 25 bis 30% (AB 8.9.2020; vgl. USIP 14.6.2018, AA 2.9.2019). Des Weiteren tagen regelmäßig rechtliche, konstitutionelle und menschenrechtliche Kommissionen, welche aus Mitgliedern der sunnitischen und schiitischen Gemeinschaften bestehen und von der Regierung unterstützt werden, um die interkonfessionelle Schlichtung zu fördern (USDOS 10.6.2020).
Das afghanische Ministry of Hajj and Religious Affairs (MOHRA) erlaubt sowohl Sunniten als auch Schiiten, Pilgerfahrten zu unternehmen (USDOS 10.6.2020).
Ethnische Gruppen
Letzte Änderung: 01.04.2021
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 36 Millionen Menschen (NSIA 6.2020; vgl. CIA 16.2.2021). Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht (STDOK 7.2016 ; vgl. CIA 16.2.2021). Schätzungen zufolge sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (GIZ 4.2019; vgl. CIA 2012, AA 16.7.2020).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimak, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“ (STDOK 7.2016). Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri (AA 2.9.2019). Es gibt keine Hinweise, dass bestimmte soziale Gruppen ausgeschlossen werden. Keine Gesetze verhindern die Teilnahme der Minderheiten am politischen Leben. Nichtsdestotrotz, beschweren sich unterschiedliche ethnische Gruppen, keinen Zugang zu staatlicher Anstellung in Provinzen zu haben, in denen sie eine Minderheit darstellen (USDOS 11.3.2020).
Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag bestehen fort und werden nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert (AA 16.7.2020). Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (USDOS 11.3.2020).
Tadschiken
Letzte Änderung: 01.04.2021
Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan (MRG o.D.d; vgl. RFE/RL 9.8.2019) und hat einen deutlichen politischen Einfluss im Land (MRG o.D.d). Sie machen etwa 27 bis 30% der afghanischen Bevölkerung aus (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d). Außerhalb der tadschikischen Kerngebiete in Nordafghanistan (Provinzen Badakhshan, Takhar, Baghlan, Parwan, Kapisa und Kabul) bilden Tadschiken in weiten Teilen des Landes ethnische Inseln, namentlich in den größeren Städten. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit (GIZ 4.2019).
Als rein sesshaftes Volk kennen die Tadschiken im Gegensatz zu den Paschtunen keine Stammesorganisation (GIZ 4.2019; vgl. MRG o.D.d). Heute werden unter dem Terminus tājik „Tadschike“ fast alle dari/persisch sprechenden Personen Afghanistans, mit Ausnahme der Hazara, zusammengefasst (STDOK 7.2016).
Tadschiken dominierten die „Nordallianz“, eine politisch-militärische Koalition, welche die Taliban bekämpfte und nach dem Fall der Taliban die international anerkannte Regierung Afghanistans bildete. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien, die dominanteste davon ist die Jamiat-e Islami, vertreten (MRG o.D.d). Die Tadschiken sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).
Bewegungsfreiheit
Letzte Änderung: 01.04.2021
Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Die Regierung respektierte diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 11.3.2020) [Anm.: siehe dazu auch Artikel 39 der afghanischen Verfassung (CoA 26.1.2004; vgl. FH 4.2.2019)]. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen. Als zentrale Hürde für die Bewegungsfreiheit werden Sicherheitsbedenken genannt. Besonders betroffen ist das Reisen auf dem Landweg (AA 16.7.2020). Dazu beigetragen hat ein Anstieg von illegalen Kontrollpunkten und Überfällen auf Überlandstraßen (AA 16.7.2020; vgl. USDOS 11.3.2020, FH 4.2.2019). In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht (FH 4.2.2019). Auch schränken gesellschaftliche Sitten die Bewegungsfreiheit von Frauen ohne männliche Begleitung ein (USDOS 11.3.2020; vgl. STDOK 6.2020).
Es gibt internationale Flughäfen in Kabul, Herat, Kandahar und Mazar-e Sharif, bedeutende Flughäfen, für den Inlandsverkehr außerdem in Ghazni, Nangarhar, Khost, Kunduz und Helmand sowie eine Vielzahl an regionalen und lokalen Flugplätzen. Es gibt keinen öffentlichen Schienenpersonenverkehr (AA 2.9.2019).
Die Ausweichmöglichkeiten für diskriminierte, bedrohte oder verfolgte Personen hängen maßgeblich vom Grad ihrer sozialen Verwurzelung, ihrer Ethnie und ihrer finanziellen Lage ab. Die sozialen Netzwerke vor Ort und deren Auffangmöglichkeiten spielen eine zentrale Rolle für den Aufbau einer Existenz und die Sicherheit am neuen Aufenthaltsort. Für eine Unterstützung seitens der Familie kommt es auch darauf an, welche politische und religiöse Überzeugung den jeweiligen Heimatort dominiert. Für Frauen ist es kaum möglich, ohne familiäre Einbindung in andere Regionen auszuweichen. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.7.2020).
Die Stadt Kabul ist in den letzten Jahrzehnten rasant gewachsen und ethnisch gesehen vielfältig. Neuankömmlinge aus den Provinzen tendieren dazu, sich in Gegenden niederzulassen, wo sie ein gewisses Maß an Unterstützung ihrer Gemeinschaft erwarten können (sofern sie solche Kontakte haben) oder sich in jenem Stadtteil niederzulassen, der für sie am praktischsten sie ist, da viele von ihnen - zumindest anfangs - regelmäßig zurück in ihre Heimatprovinzen pendeln. Die Auswirkungen neuer Bewohner auf die Stadt sind schwer zu evaluieren. Bewohner der zentralen Stadtbereiche neigen zu öfteren Wohnortwechseln, um näher bei ihrer Arbeitsstätte zu wohnen oder um wirtschaftlichen Möglichkeiten und sicherheitsrelevanten Trends zu folgen. Diese ständigen Wohnortwechsel haben einen störenden Effekt auf soziale Netzwerke, was sich oftmals in der Beschwerde bemerkbar macht „man kenne seine Nachbarn nicht mehr“ (AAN 19.3.2019).
Auch in größeren Städten erfolgt in der Regel eine Ansiedlung innerhalb von ethnisch geprägten Netzwerken und Wohnbezirken. Die Absorptionsfähigkeit der genutzten Ausweichmöglichkeiten, vor allem im Umfeld größerer Städte, ist durch die hohe Zahl der Binnenvertriebenen und der Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan bereits stark in Anspruch genommen. Dies schlägt sich sowohl in einem Anstieg der Lebenshaltungskosten als auch in einem erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt nieder (AA 16.7.2020).
Die internationalen Flughäfen in Kabul, Mazar-e Sharif, Kandarhar und Herat werden aktuell international wie auch national angeflogen und auch findet Flugverkehr zu nationalen Flughäfen wie jenem in Bamyan statt (F 24 18.11.2020; vgl. IOM 18.3.2021). Derzeit verkehren Busse, Sammeltaxis und Flugzeuge zwischen den Provinzen und Städten. Die derzeitige Situation führt zu keiner Einschränkung der Bewegungsfreiheit (IOM 18.3.2021).
Meldewesen
Letzte Änderung: 01.04.2021
Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, ebenso wenig 'gelbe Seiten' oder Datenbanken mit Telefonnummerneinträgen (EASO 2.2018; vgl. STDOK 13.6.2019). Auch muss sich ein Neuankömmling bei Ankunft nicht in dem neuen Ort registrieren. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer (STDOK 13.6.2019). Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (AA 16.7.2020).
Da es in der Vergangenheit zu Fällen kam, bei denen Wohnungen zur Vorbereitung von terroristischen oder kriminellen Taten verwendet wurden, müssen nun insbesondere in Kabul, aber auch in Mazar-e Sharif unter Umständen beispielsweise im Stadtzentrum gewisse Melde- und Ausweisvorgaben beim Mieten einer Wohnung oder eines Hauses erfüllt werden (STDOK 21.7.2020). Es ist gesetzlich vorgeschrieben, dass sich Mieter wie auch Vermieter beim Abschluss einer Mietvereinbarung mit einem Identitätsnachweis ausweisen, was jedoch nicht immer eingehalten wird. In Gebieten ohne hohes Sicherheitsrisiko ist es oftmals möglich, ohne einen Identitätsnachweis oder eine Registrierung bei der Polizei eine Wohnung zu mieten. Dies hängt allerdings auch vom Vertrauen des Vermieters in den potenziellen Mieter ab (STDOK 21.7.2020; vgl. RA KBL 5.4.2020).
Grundversorgung und Wirtschaft
Letzte Änderung: 01.04.2021
Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2020 lediglich Platz 169 von 189 des Human Development Index (UNDP o.D). Die afghanische Wirtschaft ist stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Das Budget zur Entwicklungshilfe und Teile des operativen Budgets stammen aus internationalen Hilfsgeldern (AF 2018; vgl. WB 7.2019). Jedoch konnte die afghanische Regierung seit der Fiskalkrise des Jahres 2014 ihre Einnahmen deutlich steigern (USIP 15.8.2019; vgl. WB 7.2019).
Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt (ILO 5.2012; vgl. ACCORD 7.12.2018). Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (FAO 23.11.2018; vgl. Haider/Kumar 2018), wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7% am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hatte (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). 45% aller Beschäftigen arbeiten im Agrarsektor, 20% sind im Dienstleistungsbereich tätig (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).
Afghanistan erlebte von 2007 bis 2012 ein beispielloses Wirtschaftswachstum. Während die Gewinne dieses Wachstums stark konzentriert waren, kam es in diesem Zeitraum zu Fortschritten in den Bereichen Gesundheit und Bildung. Seit 2014 verzeichnet die afghanische Wirtschaft ein langsames Wachstum (im Zeitraum 2014-2017 durchschnittlich 2,3%, 2003-2013: 9%) was mit dem Rückzug der internationalen Sicherheitskräfte, der damit einhergehenden Kürzung der internationalen Zuschüsse und einer sich verschlechternden Sicherheitslage in Verbindung gebracht wird (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020). Im Jahr 2018 betrug die Wachstumsrate 1,8%. Das langsame Wachstum wird auf zwei Faktoren zurückgeführt: einerseits hatte die schwere Dürre im Jahr 2018 negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft, andererseits verringerte sich das Vertrauen der Unternehmer und Investoren. Das Wirtschaftswachstum konnte sich zuletzt aufgrund der besseren Witterungsbedingungen für die Landwirtschaft erholen und lag 2019 laut Weltbank-Schätzungen bei 2,9%. Für 2020 geht die Weltbank COVID-19-bedingt von einer Rezession (bis zu -8% BIP) aus (AA 16.7.2020; vgl. WB 4.2020). Eine Reihe von U.S.-Wirtschafts- und Sozialentwicklungsprogrammen haben ihre Ziele für das Jahr 2020, aufgrund COVID-19-bedingter Einschränkungen nicht erreicht (SIGAR 30.1.2021).
Dürre und Überschwemmungen
Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Diese hatte primär Auswirkungen auf den Agrarsektor mit Verlusten bei Viehbeständen (STDOK 10.2020; vgl. STDOK 21.7.2020, STDOK 13.6.2019, ACCORD 26.5.2020) und verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter. Auch folgten schwerwiegende Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken (FAO 23.11.2018; vgl. AJ 12.8.2018).
Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen (WHO 3.2019; vgl. STDOK 21.7.2020). Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben worden waren (GN 6.3.2019).
Günstige Wetterbedingungen während der Aussaat 2020 lassen eine weitere Erholung der Weizenproduktion von der Dürre 2018 erwarten. COVID-19-bedingte Sperrmaßnahmen hatten bisher nur begrenzte Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Produktion, da sie in ländlichen Gebieten nicht durchgesetzt werden konnten (IOM 23.9.2020).
Armut und Lebensmittelunsicherheit
Letzte Änderung: 01.04.2021
Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 16.7.2020; AF 2018). Die Grundversorgung ist für große Teile der Bevölkerung eine tägliche Herausforderung, dies gilt in besonderem Maße für Rückkehrer. Diese bereits prekäre Lage hat sich seit März 2020 durch die COVID-19-Pandemie stetig weiter verschärft. Es wird erwartet, dass 2021 bis zu 18,4 Millionen Menschen (2020: 14 Mio Menschen) auf humanitäre Hilfe angewiesen sein werden (UNGASC 9.12.2020). Laut einer IPC-Analyse [Anm.: Integrated Food Security Phase Classification] vom April wurde geschätzt, dass die Zahl der Menschen, die in Afghanistan unter akuter Ernährungsunsicherheit der Stufe 4 des [Anm.: fünfteiligen] Emergency-IPC-Index leiden, im Zeitraum August 2020 - März 2021 3,6 Millionen betragen würde (IPC 10.2020).
In humanitären Geberkreisen wird von einer Armutsrate von 80% in Afghanistan ausgegangen. Auch die Weltbank prognostiziert einen weiteren Anstieg, da das Wirtschaftswachstum durch die hohen Geburtenraten absorbiert wird. Zusätzlich belastet die COVID-19-Krise mit einhergehender wirtschaftlicher Rezession die privaten Haushalte stark. Das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten bleibt eklatant. Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzureichende Infrastruktur für Energie, Trinkwasser und Transport (AA 16.7.2020). Während in ländlichen Gebieten bis zu 60% der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018), sind es in urbanen Gebieten rund 41,6% (NSIA 2019).
Lebensmittelunsicherheit
Die akute Ernährungsunsicherheit in ganz Afghanistan verschlechtert sich weiter und wird voraussichtlich einen ähnlichen Schweregrad erreichen, wie er während der Dürre 2018/2019 beobachtet wurde, wobei der Hauptgrund für die Verschlechterung der Ernährungssicherheit die wirtschaftlichen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind (USAID 12.1.2021).
Nach Angaben der Vereinten Nationen lag die Zahl der Menschen, die von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sind, im Zeitraum von August bis Oktober 2020 bei etwa 36% der untersuchten Bevölkerung, und die Zahl für den Zeitraum von November 2020 bis März 2021 wurde ein Anstieg auf 42% - zwischen 11,15 (ICP) und 13,9 (USAID) Millionen Menschen - prognostiziert (USAID 12.1.2021; vgl. ICP 10.2020).
Die COVID-19-Krise führte zu einem deutlichen Anstieg der akuten Ernährungsunsicherheit (USAID 12.1.2021; vgl. ICP 10.2020) und einem deutlichen Anstieg der Lebensmittelpreise (ICP 10.2020; vgl. IOM 18.3.2021). Die Preise scheinen seit April 2020, nach Verteilung von Weizen aus strategischen Getreidereserven, Durchsetzung von Anti-Preismanipulations-Regelungen und der Wiederöffnung der Grenzen für Lebensmittelimporte, wieder gesunken zu sein (IOM 18.3.2021). Nach Angaben des Ministeriums für Landwirtschaft, Bewässerung und Viehzucht lagen die Lebensmittelpreise auf den wichtigsten Märkten im Dezember 2020 weiterhin über dem Durchschnitt, was hauptsächlich auf höhere Preise für importierte Lebensmittel auf den Quellmärkten zurückzuführen ist, insbesondere für Weizen in Kasachstan. Auf nationaler Ebene waren die Preise für Weizenmehl in Afghanistan von November bis Dezember 2020 stabil, allerdings auf einem Niveau, das 11% über dem des letzten Jahres und 27% über dem Dreijahresdurchschnitt lag (FEWS NET 1.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Die afghanische Grenzen sind alle offen, was den normalen Handel mit Lebensmitteln erleichtert. Insgesamt werden in den kommenden Monaten zwar keine signifikanten zusätzlichen negativen Auswirkungen auf die Ernährungssicherheit erwartet, aber die anhaltenden Auswirkungen der COVID-19-Pandemie sind in Afghanistan immer noch sichtbar. Insbesondere wird erwartet, dass die unterdurchschnittliche Anzahl von Wanderarbeitern im Iran zu unterdurchschnittlichen Überweisungen für ländliche und städtische Haushalte beitragen wird (FEWS NET 1.2021; vgl. IOM 18.3.2021).
Auf der folgenden Karte findet sich die Prognose für die Lebensmittelsicherheit Afghanistans für den Zeitraum Februar bis Mai 2021. Dieser Karte zufolge befindet sich die Stadt Herat auf Stufe 3 („Crisis“) des von FEWS NET verwendeten fünfstufigen Klassifizierungssystems. Mazar-e Sharif befindet sich laut derselben Prognose im selben Zeitraum auf Stufe 2 („Stressed“) (ACCORD 27.1.2021; vgl. FEWS NET 1.2021).
[…]
In städtischen Gebieten werden die geringere Verfügbarkeit von Einkommensmöglichkeiten während des Winters, unterdurchschnittliche Rücküberweisungen und überdurchschnittliche Nahrungsmittelpreise wahrscheinlich den Zugang zu Nahrung und Einkommen für viele arme Haushalte einschränken, wobei während des gesamten Zeitraums bis Mai 2021 ohne Hilfe eine Bewertung mit IPC Stufe 3 ("Crisis") erwartet wird. Wenn die Umsetzung des COVID-19-Hilfsprogramms voranschreitet, werden sich die Haushalte, welche humanitäre Hilfe erhalten, wahrscheinlich auf IPC Stufe 2 ("Stressed") verbessern, bis sie die Hilfe ausschöpfen. Nach den vorliegenden Informationen (Stand 29.1.2021) haben insgesamt 3.020 städtische Haushalte (ca. 21.000 Personen, was weniger als 1% der Bevölkerung entspricht) in 13 Provinzhauptstädten diese Unterstützung erhalten (FEWS NET 1.2021).
Die meisten ländlichen Gebiete haben IPC Stufe 2 ("Stressed") und es wurde erwartet, dass dies während des gesamten Zeitraums bis Mai 2021 bestehen bleibt. In Gebieten, in denen die Ernte geringer ausgefallen ist und in Gebieten, die am stärksten von Konflikten betroffen sind, ist jedoch für den Rest der ertragsarmen Saison ein Abrutschen auf IPC Stufe 3 ("Crisis") wahrscheinlich. Im ganzen Land wird erwartet, dass eine zunehmende Anzahl von armen Haushalten - insbesondere solche mit unterdurchschnittlichen Vorräten oder solche, die nur geringe Geldsendungen erhalten - mit IPC Stufe 3 ("Crisis") zu bewerten wären, wenn die Vorräte aufgebraucht sind (FEWS NET 1.2021).
Wohnungsmarkt und Lebenserhaltungskosten
Letzte Änderung: 01.04.2021
Die Miete für eine Wohnung im Stadtzentrum von Kabul liegt durchschnittlich zwischen 200 USD und 350 USD im Monat. Für einen angemessenen Lebensstandard muss zudem mit durchschnittlichen Lebenshaltungskosten von bis zu 350 USD pro Monat (Stand 2020) gerechnet werden (IOM 2020). Auch in Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Miete zur Verfügung. Dies gilt auch für Rückkehrer. Die Höhe des Mietpreises für eine drei-Zimmer-Wohnung in Mazar-e Sharif schwankt unter anderem je nach Lage zwischen 100 USD und 300 USD monatlich (STDOK 21.7.2020). Einer anderen Quelle zufolge liegen die Kosten für eine einfache Wohnung in Afghanistan ohne Heizung oder Komfort, aber mit Zugang zu fließenden Wasser, sporadisch verfügbarer Elektrizität, einer einfachen Toilette und einer Möglichkeit zum Kochen zwischen 80 USD und 100 USD im Monat (Schwörer 30.11.2020). Es existieren auch andere Unterbringungsmöglichkeiten wie Hotels und Teehäuser, die etwa von Tagelöhnern zur Übernachtung genutzt werden (STDOK 21.7.2020). Auch eine Person, welche in Afghanistan über keine Familie oder Netzwerk verfügt, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden - vorausgesetzt die Person verfügt über die notwendigen finanziellen Mittel (Schwörer 30.11.2020; vgl. STDOK 21.7.2020). Private Immobilienunternehmen in den Städten informieren über Mietpreise für Häuser und Wohnungen (IOM 2020).
Wohnungszuschüsse für sozial Benachteiligte oder Mittellose existieren in Afghanistan nicht (IOM 2020).
Allgemein lässt sich sagen, dass die COVID-19-Pandemie keine besonderen Auswirkungen auf die Miet- und Kaufpreise in Kabul hatte. Die Mieten sind nicht gestiegen und aufgrund der momentanen wirtschaftlichen Unsicherheit sind die Kaufpreise von Häusern eher gesunken (Schwörer 30.11.2020).
Betriebs- und Nebenkosten wie Wasser und Strom kosten in der Regel nicht mehr als 40 USD pro Monat. Abhängig vom Verbrauch können die Kosten allerdings höher liegen. Die Kosten in der Innenstadt Kabuls sind höher. In ländlichen Gebieten kann man mit mind. 50 % weniger Kosten für die Miete und den Lebensunterhalt rechnen (IOM 2020).
Rückkehrende können bis zu zwei Wochen im IOM Empfangszentrum Spinzar Hotel unterkommen. Die Kosten dafür betragen 1.425 AFN pro Nacht (IOM 2020). Viele Rückkehrer wohnen nach ihrer Ankunft übergangsweise in Teehäusern. Diese waren während des Lockdowns in Afghanistan im März 2020 vorübergehend geschlossen, sind jedoch aktuell wieder geöffnet (Schwörer 30.11.2020).
Arbeitsmarkt
Letzte Änderung: 01.04.2021
Die Schaffung von Arbeitsplätzen bleibt eine zentrale Herausforderung für Afghanistan (AA 16.7.2020; vgl. STDOK 10.2020). Der Arbeitsmarkt ist durch eine niedrige Erwerbsquote, hohe Arbeitslosigkeit sowie Unterbeschäftigung und prekäre Arbeitsverhältnisse charakterisiert (STDOK 10.2020; vgl. Ahmend 2018; CSO 2018). 80% der afghanischen Arbeitskräfte befinden sich in "prekären Beschäftigungsverhältnissen", mit hoher Arbeitsplatzunsicherheit und schlechten Arbeitsbedingungen (AAN 3.12.2020; vgl.: CSO 2018). Schätzungsweise 16% der prekär Beschäftigten sind Tagelöhner, von denen sich eine unbestimmte Zahl an belebten Straßenkreuzungen der Stadt versammelt und nach Arbeit sucht, die, wenn sie gefunden wird, ihren Familien nur ein Leben von der Hand in den Mund ermöglicht (AAN 3.12.2020). Nach Angaben der Weltbank ist die Arbeitslosenquote innerhalb der erwerbsfähigen Bevölkerung in den letzten Jahren zwar gesunken, bleibt aber auf hohem Niveau und dürfte wegen der COVID-19-Pandemie wieder steigen (AA 16.7.2020; cf. IOM 18.3.2021) ebenso wie die Anzahl der prekär beschäftigten (AAN 3.12.2020), auch wenn es keine offiziellen Regierungsstatistiken über die Auswirkungen der Pandemie auf den Arbeitsmarkt gibt (IOM 23.9.2020).
Schätzungen zufolge sind rund 67% der Bevölkerung unter 25 Jahren alt (NSIA 1.6.2020; vgl STDOK 10.2020). Am Arbeitsmarkt müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neuankömmlinge in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (STDOK 4.2018). Somit treten jedes Jahr sehr viele junge Afghanen in den Arbeitsmarkt ein, während die Beschäftigungsmöglichkeiten aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten können (WB 8.2018; vgl. STDOK 10.2020, CSO 2018). In Anbetracht von fehlendem Wirtschaftswachstum und eingeschränktem Budget für öffentliche Ausgaben stellt dies eine gewaltige Herausforderung dar. Letzten Schätzungen zufolge sind 1,9 Millionen Afghan/innen arbeitslos - Frauen und Jugendliche haben am meisten mit dieser Jobkrise zu kämpfen. Jugendarbeitslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit starken Unterschieden im städtischen und ländlichen Bereich (STDOK 4.2018; vgl. CSO 2018).
Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Es gibt einen großen Anteil an Selbstständigen und mithelfenden Familienangehörigen, was auf das hohe Maß an Informalität des Arbeitsmarktes hinweist, welches mit der Bedeutung des Agrarsektors in der Wirtschaft einhergeht (CSO 8.6.2017). Im Rahmen einer Befragung an 15.012 Personen gaben rund 36% der befragten Erwerbstätigen an, in der Landwirtschaft tätig zu sein (AF 2018).
Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Ohne Netzwerke ist die Arbeitssuche schwierig (STDOK 21.7.2020; vgl. STDOK 13.6.2019, STDOK 4.2018). Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt (STDOK 13.6.2019). Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge gibt es keine Hinweise, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (STDOK 4.2018).
In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (CSO 2018; vgl. IOM 18.3.2021). Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang - als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (STDOK 4.2018).
Laut dem Afghanistan National Peace and Development Framework (ANPDF) hat die Regierung geplant, sich auf mehrere Sektoren zu konzentrieren, um Arbeitsplätze zu schaffen. Insbesondere konzentriert sie sich auf umfassende Programme zur Entwicklung der Landwirtschaft und des Privatsektors. Laut ANPDF steigt und fällt das afghanische BIP mit der Leistung der Landwirtschaft, die für mindestens 40% der Bevölkerung Arbeitsplätze schafft und einen bedeutenden Anteil der aktuellen Exporte ausmacht (IOM 18.3.2021; vgl. GoIRA 2021).
Neben einer mangelnden Arbeitsplatzqualität ist auch die große Anzahl an Personen im wirtschaftlich abhängigen Alter (insbes. Kinder) ein wesentlicher Armutsfaktor (CSO 2018; vgl. Haider/Kumar 2018): Die Notwendigkeit, das Einkommen von Erwerbstätigen mit einer großen Anzahl von Haushaltsmitgliedern zu teilen, führt oft dazu, dass die Armutsgrenze unterschritten wird, selbst wenn Arbeitsplätze eine angemessene Bezahlung bieten würden. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind (CSO 2018).
Während Frauen am afghanischen Arbeitsmarkt eine nur untergeordnete Rolle spielen, stellen sie jedoch im Agrasektor 33% und im Textilbereich 65% der Arbeitskräfte (STDOK 10.2020; vgl. CSO 2018).
Ungelernte Arbeiter erwirtschaften ihr Einkommen als Tagelöhner, Straßenverkäufer oder durch das Betreiben kleiner Geschäfte. Der Durchschnittslohn für einen ungelernten Arbeiter ist unterschiedlich, für einen Tagelöhner beträgt er etwa 5 USD pro Tag (IOM 18.3.2021). Während der COVID-19-Pandemie ist die Situation für Tagelöhner sehr schwierig, da viele Wirtschaftszweige durch die Sperr- und Restriktionsmaßnahmen im Zusammenhang mit COVID-19 negativ beeinflusst wurden. Kleine und große Unternehmen boten in der Regel direkte Arbeitsmöglichkeiten für Tagelöhner (IOM 18.3.2021).
Wirtschaft und Versorgungslage in den Städten Herat, Kabul und Mazar-e Sharif
Letzte Änderung: 01.04.2021
[…]
Herat
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (STDOK 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass Herat als Hotspot für Tagelöhner gilt (AAN 3.12.2020) - die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung in Herat sind Tagelöhner, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015). Die Verbreitung von Tagelohnarbeit ist zum Teil eine Folge der massiven Bevölkerungsbewegungen - insbesondere des Zustroms von Zehntausenden von Menschen, die vor allem durch den Konflikt zwischen 2012 und 2019 vertrieben wurden. Diese Bevölkerungsbewegungen, insbesondere von Binnenflüchtlingen, haben die Provinz Herat, vor allem ihre Hauptstadt Herat-Stadt, zu einem zunehmend schwierigen Lebens- und Arbeitsraum gemacht (AAN 3.12.2020)
Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GoIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GoIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).
Mazar-e Sharif
Mazar-e Sharif und die Provinz Balkh sind historisch betrachtet das wirtschaftliche und politische Zentrum der Nordregion Afghanistans. Mazar-e Sharif profitierte dabei von seiner geografischen Lage, einer vergleichsweise effektiven Verwaltung und einer relativ guten Sicherheitslage (STDOK 21.7.2020; vgl. GoIRA 2015). Mazar-e Sharif gilt als Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen, welche Kunsthandwerk und Teppiche anbieten (GoIRA 2015). Balkh ist landwirtschaftlich eine der produktivsten Regionen Afghanistans wobei Landwirtschaft und Viehzucht die Distrikte der Provinz dominieren (STDOK 21.7.2020; vgl. MIC 2018). Die Arbeitsmarktsituation ist auch in Mazar-e Sharif eine der größten Herausforderungen. Auf Stellenausschreibungen melden sich innerhalb einer kurzen Zeitspanne sehr viele Bewerber und ohne Kontakte ist es schwer, einen Arbeitsplatz zu finden. In den Distrikten ist die Anzahl der Arbeitslosen hoch. Die meisten Arbeitssuchenden begeben sich nach Mazar-e Sharif, um Arbeit zu finden (STDOK 21.7.2020).
In Mazar-e Sharif stehen zahlreiche Wohnungen zur Verfügung. Auch eine Person, die in Mazar-e Sharif keine Familie hat, sollte in der Lage sein, dort Wohnraum zu finden, wenn finanzielle Mittel zur Verfügung stehen. Des Weiteren gibt es in Mazar-e Sharif eine Anzahl von Hotels sowie Gast- oder Teehäusern, welche unter anderem von Tagelöhnern zur Übernachtung benutzt werden (STDOK 21.7.2020).
Sozialbeihilfen, wohlfahrtsstaatliche Leistungen und Versicherungen
Letzte Änderung: 01.04.2021
Afghanistan ist von einem Wohlfahrtsstaat weit entfernt und Afghanen rechnen in der Regel nicht mit Unterstützung durch öffentliche Behörden. Verschiedene Netzwerke ersetzen und kompensieren den schwachen staatlichen Apparat. Das gilt besonders für ländliche Gebiete, wo die Regierung in einigen Gebieten völlig abwesend ist. So sind zum Beispiel die Netzwerke - und nicht der Staat - von kritischer Bedeutung für die Sicherheit, den Schutz, die Unterstützung und Betreuung schutzbedürftiger Menschen (STDOK 4.2018).
Der afghanische Staat gewährt seinen Bürgern kostenfreie Bildung und Gesundheitsleistungen, darüber hinaus sind keine Sozialleistungen vorgesehen (BAMF/IOM 2018; vgl. EC 18.5.2019). Es gibt kein Sozialversicherungs- oder Pensionssystem, von einigen Ausnahmen abgesehen (z.B. Armee und Polizei) (SEM 20.6.2017; vgl. BDA 18.12.2018). Es gibt kein öffentliches Krankenversicherungssystem. Ein eingeschränktes Angebot an privaten Krankenversicherungen existiert, jedoch sind die Gebühren für die Mehrheit der afghanischen Bevölkerung zu hoch (BDA 18.12.2018).
Ein Pensionssystem ist nur im öffentlichen Sektor etabliert (BAMF/IOM 2018). Der zu pensionierende Staatsbedienstete erhält die Pension jährlich auf ein Bankkonto überwiesen. Die Pension eines Regierungsbeamten kann von seinen Familienmitgliedern geerbt werden (STDOK 4.2018). Berichten zufolge arbeitet die afghanische Regierung an der Schaffung eines Pensionssystems im Privatsektor (IWPR 6.7.2018). Private Unternehmen können für ihre Angestellten Pensionskonten einführen, müssen das aber nicht. Manche Arbeitgeber zahlen ihren Angestellten Abfertigungen, welche die Angestellten sich nach einem gewissen Zeitraum ausbezahlen lassen können (STDOK 4.2018). Die weitgehende Informalität der afghanischen Wirtschaft bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitskräfte nicht in den Genuss von Pensionen oder Sozialbeihilfen kommt (ILO 5.2012). Die International Labour Organization (ILO) berichtet, dass im Jahr 2010 rund 10% der afghanischen Bevölkerung im pensionsfähigen Alter eine Pension erhielten (ILO 2017).
Für Bedienstete des öffentlichen Sektors gibt es neben einer Alterspension finanzielle Unterstützung im Falle von Invalidität aufgrund einer Verletzung während des Dienstes, wie auch Witwenpensionen und Zulagen bei Armut oder im Fall von Arbeitslosigkeit (BDA 18.12.2018).
Das afghanische Arbeits- und Sozialministerium (MoLSAMD) bietet ad hoc Maßnahmen für einzelne Gruppen, wie zum Beispiel Familienangehörige von Märtyrern und Kriegsverwundete, oder Lebensmittelhilfe für von Dürre betroffene Personen, jedoch keine groß angelegten Programme zur Bekämpfung von Armut (STDOK 13.6.2019).
Unterstützungsprogramm - das Citizens’ Charter Afghanistan Project (CCAP)
Im Rahmen des zehn Jahre andauernden „Citizens’ Charter National Priority Program“ (TN 18.1.2018) wurde im Jahr 2016 das Citizens’ Charter Afghanistan Project ins Leben gerufen. Es zielt darauf ab, die Armut in teilnehmenden Gemeinschaften zu reduzieren und den Lebensstandard zu verbessern, indem die Kerninfrastruktur und soziale Leistungen durch Community Development Councils (CDCs) gestärkt werden. Das CCAP soll Entwicklungsprojekte unterschiedlicher Ministerien umsetzen und zu einem größeren Nutzen für die betroffenen Gemeinschaften führen (WB 10.10.2016; vgl. ARTF o.D. WB 6.12.2019, AAN 31.5.2020). Das CCAP ist das erste interministerielle und sektorübergreifende Prioritätenprogramm, in dem Ministerien im Rahmen eines strukturierten Ansatzes gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Folgende Ministerien sind hauptsächlich in dieses Projekt involviert: MRRD (Ministry of Rural Rehabilitation and Development), MoE (Ministry of Education), MoPH (Ministry of Public Health) und MAIL (Ministry of Agriculture, Irrigation & Livestock) (ARTF o.D.).
Ziel des Projektes war es von Anfang an, 3,4 Millionen Menschen den Zugang zu sauberem Trinkwasser zu ermöglichen, die Qualität von Dienstleistung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, ländliche Straßen und Elektrizität zu verbessern sowie die Zufriedenheit der Bürger mit der Regierung und das Vertrauen in selbige zu steigern. Außerdem sollten vulnerable Personen - Frauen, Binnenvertriebene, behinderte und arme Menschen - besser integriert werden (WB 10.10.2016; vgl. AAN 31.5.2020). Alleine im Jahr 2016 konnten 9,3 Millionen Afghanen von den Projekten profitieren (TN 23.11.2017). Es wird jedoch berichtet, dass die Aktivitäten des Projektes in einigen Gemeinden hinter dem Zeitplan zurückbleiben, weil das MRRD (Ministerium für ländliche Rehabilitation und Entwicklung) keinen Zugang hat oder unterbesetzt ist. NGO-Mitarbeiter berichten außerdem, dass sie 10% der finanziellen Mittel als Steuer an die Taliban abgeben mussten (AAN 31.5.2020).
Im Rahmen des CCAP wurden auch Sensibilisierungskampagnen betreffend COVID-19 in ländlichen Gebieten durchgeführt. Bis Juni 2020 wurden Treffen mit Ratsmitgliedern und Mullahs in etwa 12.000 Gemeinden in 124 Distrikten in ganz Afghanistan abgehalten (WB 28.6.2020).
Medizinische Versorgung
Letzte Änderung: 01.04.2021
Seit 2002 hat sich die medizinische Versorgung in Afghanistan stark verbessert, dennoch bleibt sie im regionalen Vergleich zurück (AA 16.7.2020). In einem Bericht aus dem Jahr 2018 kommt die Weltbank zu dem Schluss, dass sich die Gesundheitsversorgung in Afghanistan im Zeitraum 2004-2010 deutlich verbessert hat, während sich die Verbesserungen im Zeitraum 2011-2016 langsamer fortsetzten (EASO 8.2020b; vgl. UKHO 12.2020).
Im Jahr 2003 richtete das Gesundheitsministerium ein standardisiertes Basispaket an Gesundheitsdiensten (Basic Package of Healthcare Services, BPHS) ein, um die medizinische Grundversorgung und den gleichberechtigten Zugang zu Gesundheitsdiensten für die gesamte Bevölkerung Afghanistans sicherzustellen. Die Umsetzung des BPHS wurde an Nichtregierungsorganisationen (NGO) vergeben, die in allen Provinzen Afghanistans - mit Ausnahme von drei Provinzen, in denen das MoPH das BPHS direkt umsetzte - medizinisches Personal ausbildeten und grundlegende Gesundheitsdienste anboten. Im Jahr 2005 erweiterte das MoPH das Programm durch die Einführung des Essential Package of Hospital Services (EPHS). Das EPHS ist ein standardisiertes Paket von Krankenhausleistungen für jede Ebene von Krankenhäusern im öffentlichen Sektor (MedCOI 5.2019).
Bislang werden BPHS und EPHS vom MoPH reguliert und an 40 nationale und internationale NGOs in 31 Provinzen ausgelagert. In den verbleibenden drei Provinzen Afghanistans stellt das MoPH das BPHS über eine Contracting-In-Initiative mit dem Titel "Strengthening Mechanism" direkt bereit (MedCOI 5.2019; vgl. GaH 2016).
Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit gab es deutliche Verbesserungen (AA 16.7.2020). Trotz der im Entwicklungsländervergleich relativ hohen Ausgaben für Gesundheit ist die Gesundheitsversorgung im ganzen Land sowohl in den von den Taliban als auch in den von der Regierung beeinflussten Gebieten generell schlecht. Zum Beispiel gibt es in Afghanistan 2,3 Ärzte und fünf Krankenschwestern und Hebammen pro 10.000 Menschen, verglichen mit einem weltweiten Durchschnitt von 13 bzw. 20 (USIP 4.2020).
Der Konflikt, COVID-19 und unzureichende Investitionen in die Infrastruktur treiben den Gesundheitsbedarf an und verhindern, dass die betroffenen Menschen rechtzeitig sichere, ausreichend ausgestattete Gesundheitseinrichtungen und -dienste erhalten (UNOCHA 19.12.2020; vgl. EASO 8.2020b, Schwörer 30.11.2020). Gleichzeitig haben der aktive Konflikt und gezielte Angriffe der Konfliktparteien auf Gesundheitseinrichtungen und -personal zur periodischen, verlängerten oder dauerhaften Schließung wichtiger Gesundheitseinrichtungen geführt, wovon in den ersten zehn Monaten des Jahres 2020 bis zu 1,2 Millionen Menschen in mindestens 17 Provinzen betroffen waren (UNOCHA 19.12.2020).
Die Lebenserwartung ist in Afghanistan von 50 Jahren im Jahr 1990 auf 64 im Jahr 2018 gestiegen (WB o.D.a.; vgl. WHO 4.2018). Im Jahr 2018 gab es 3.135 funktionierende medizinische Institutionen in ganz Afghanistan und 87% der Bevölkerung wohnten nicht weiter als zwei Stunden von einer solchen Einrichtung entfernt (WHO 12.2018). Vor allem in den Bereichen Mütter- und Kindersterblichkeit kam es zu erheblichen Verbesserungen (AA 16.7.2020). Eine weitere Quelle spricht von 641 Krankenhäusern bzw. Gesundheitseinrichtungen in Afghanistan, wobei 181 davon öffentliche und 460 private Krankenhäuser sind. Die genaue Anzahl der Gesundheitseinrichtungen in den einzelnen Provinzen ist nicht bekannt (RA KBL 20.10.2020)
90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan wird nicht direkt vom Staat erbracht, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die unter Vertrag genommen werden (AA 16.7.2020). Durch dieses Vertragssystem wird die primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitsversorgung bereitgestellt. Primärversorgungsleistungen auf Gemeinde- oder Dorfebene, Sekundärversorgungsleistungen auf Distriktebene und Tertiärversorgungsleistungen auf Provinz- und nationaler Ebene (MedCOI 5.2019). Es mangelt jedoch an Investitionen in die medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während es in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken gibt, ist es für viele Afghanen schwierig, in ländlichen Gebieten eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen. Nach Berichten von UNOCHA haben rund 10 Millionen Menschen in Afghanistan nur eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu medizinischer Grundversorgung (AA 16.7.2020). Laut einer Studie aus dem Jahr 2017, die den Zustand der öffentlichen Gesundheitseinrichtungen untersuchte, wiesen viele Gesundheitszentren im ganzen Land immer noch große Mängel auf, darunter bauliche und wartungsbedingte Probleme, schlechte Hygiene- und Sanitärbedingungen, wobei ein Viertel der Einrichtungen nicht über Toiletten verfügte, vier von zehn Gesundheitseinrichtungen kein Trinkwassersystem hatten und eine von fünf Einrichtungen keinen Strom hatte. Es gab nicht genügend Krankenwagen und viele Gesundheitseinrichtungen berichteten über einen Mangel an medizinischer Ausrüstung und Material (IWA 8.2017).
Insbesondere die COVID-19-Pandemie offenbarte die Unterfinanzierung und Unterentwicklung des öffentlichen Gesundheitssystems, das akute Defizite in der Prävention (Schutzausrüstung), Diagnose (Tests) und medizinischen Versorgung der Kranken aufweist. Die Verfügbarkeit und Qualität der Basisversorgung ist durch den Mangel an gut ausgebildeten Ärzten und Assistenten (insbesondere Hebammen), den Mangel an Medikamenten, schlechtes Management und schlechte Infrastruktur eingeschränkt. Darüber hinaus herrscht in der Bevölkerung ein starkes Misstrauen gegenüber der staatlich finanzierten medizinischen Versorgung. Die Qualität der Kliniken ist sehr unterschiedlich. Es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen (AA 16.7.2020; vgl. WHO 8.2020).
Neben dem öffentlichen Gesundheitssystem gibt es auch einen weitverbreiteten, aber teuren privaten Sektor. Trotz dieser höheren Kosten wird berichtet, dass über 60% der Afghanen private Gesundheitszentren als Hauptansprechpartner für Gesundheitsdienstleistungen nutzen. Vor allem Afghanen, die außerhalb der großen Städte leben, bevorzugen die private Gesundheitsversorgung wegen ihrer wahrgenommenen Qualität und Sicherheit, auch wenn die dort erhaltene Versorgung möglicherweise nicht von besserer Qualität ist als in öffentlichen Einrichtungen (MedCOI 5.2019). Die Kosten für Diagnose und Behandlung variieren dort sehr stark und müssen von den Patienten selbst getragen werden (AA 16.7.2020), was den privaten Sektor sehr vielfältig macht mit einer uneinheitlichen Qualität der Leistungen, die oft unzureichend sind oder nicht dem Standard entsprechen (MedCOI 5.2019).
In einem MoU (Memorandum of Understanding) zwischen dem Gesundheitsministerium und drei indischen Privatunternehmen wurde am 16.6.2020 der Bau von zwei Gesundheitszentren und einer Pharmafabrik in Afghanistan im Wert von 12,5 Mio. $ vereinbart. Außerdem wurden im vergangenen Jahr Vereinbarungen über den Bau eines Gesundheitszentrums in Kabul und 53 Gesundheitszentren in den Provinzen Kandahar und Helmand unterzeichnet. Darüber hinaus hat Aga Khan Health Services (AKHS) als Teilprojekt im Rahmen des nationalen Projekts (SEHATMANDI) im Februar 2019 bis Juni 2021 das Management von Gesundheitseinrichtungen in den Provinzen Bamyan und Badakhshan auf Basis einer leistungsbezogenen Bezahlung übernommen. Im Januar 2019 erhielt das Schwedische Komitee für Afghanistan (SCA) den neuen SEHATMANDI-Vertrag zur Umsetzung der Interventionen Basic Package of Health Services (BPHS) und Essential Package of Health Services (EPHS) in der Provinz Wardak, Afghanistan bis zum 30.6.2021 (RA KBL 20.10.2020).
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Gesundheitsdienste (AA 16.7.2020; vgl. UNOCHA 7.3.2021, UNOCHA 19.12.2020, IKRK 17.6.2020). Trotz des erhöhten Drucks und Bedarfs an ihren Dienstleistungen werden Gesundheitseinrichtungen und -mitarbeiter weiterhin durch Angriffe sowie Einschüchterungsversuche von Konfliktparteien geschädigt, wodurch die Fähigkeit des Systems, den Bedarf zu decken, untergraben wird. Seit Beginn der Pandemie gab es direkte Angriffe auf Krankenhäuser, Entführungen von Mitarbeitern des Gesundheitswesens, Akte der Einschüchterung, Belästigung und Einmischung, Plünderungen von medizinischen Vorräten sowie indirekte Schäden durch den anhaltenden bewaffneten Konflikt (UNOCHA 19.12.2020; vgl. IKRK 17.6.2020). Das direkte Anvisieren von Gesundheitseinrichtungen und Personal führt nicht nur zu unmittelbaren Todesfällen und Verletzungen, sondern zwingt viele Krankenhäuser dazu, lebenswichtige medizinische Leistungen auszusetzen oder ganz zu schließen (MSF 3.2020; vgl. UNOCHA 7.3.2021).
Im Jahr 2018 stand Afghanistan mit 91 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldeten Angriffen auf das Gesundheitswesen an dritter Stelle bei der Anzahl an Angriffen auf Gesundheitseinrichtungen weltweit. Die Angriffe setzten sich 2019 fort, mit 119 gemeldeten Vorfällen in 23 Provinzen bis Ende Dezember (MSF 3.2020; vgl. Schwörer 30.11.2020). Zwischen dem 1.1.2020 und dem 21.10.2020 gab es 67 [gemeldete] Vorfälle, die von Konfliktparteien gegen medizinisches Personal oder Einrichtungen verübt wurden (UNOCHA 19.12.2020). Angriffe bei denen Gesundheitseinrichtungen angegriffen oder aufgrund derer der Zugang zu diesen eingeschränkt wird, setzen sich im Jahr 2021 fort. In der Provinz Samangan sind seit dem 4.11.2020 22 Gesundheitseinrichtungen geschlossen geblieben, was die Bereitstellung von Gesundheits- und Ernährungsdiensten in der Provinz behindert (UNOCHA 7.3.2021).
COVID-19
Die COVID-19-Pandemie hat sich negativ auf die Bereitstellung und Nutzung grundlegender Gesundheitsdienste in Afghanistan ausgewirkt, und zwar aufgrund von COVID-19-bedingten Bewegungseinschränkungen, dem Mangel an medizinischem Material und persönlicher Schutzausrüstung sowie der Abneigung der Gemeinschaft, Gesundheitseinrichtungen aufzusuchen. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen und Überweisungen ging von April bis Juni 2020 im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 um fast 25 Prozent zurück, während die Zahl der chirurgischen Eingriffe laut WHO um etwa 33 Prozent sank. Darüber hinaus ging die Rate der Routineimpfungen für Frauen und Kinder unter zwei Jahren im Laufe des Jahres zurück. Infolgedessen geht die WHO davon aus, dass die Sterblichkeit durch behandelbare und durch Impfung vermeidbare Gesundheitszustände im Jahr 2021 ansteigen könnte (USAID 12.1.2021).
Laut einer vom afghanischen Gesundheitsministerium (Afghan MoPH) durchgeführten Umfrage hatten mit Juli 2020 35% der Menschen in Afghanistan seit März 2020 Anzeichen und Symptome von COVID-19 (IOM 23.9.2020). Die Infektionen steigen weiter an und bis zum 17.3.2021 wurden der WHO 56.016 bestätigte Fälle von COVID-19 mit 2.460 Todesfällen gemeldet (IOM 18.3.2021; WHO 17.3.2021), wobei die tatsächliche Zahl der positiven Fälle um ein vielfaches höher eingeschätzt wird. Bis zum 10.3.2021 wurden insgesamt 34.743 Impfstoffdosen verabreicht (IOM 18.3.2021).
Einige der Regional- und Provinzkrankenhäuser in den Großstädten wurden im Hinblick auf COVID-19 mit Test- und Quarantäneeinrichtungen ausgestattet. Menschen mit Anzeichen von COVID-19 werden getestet und die schwer Erkrankten im Krankenhaus in Behandlung genommen. Die Kapazität solcher Krankenhäuser ist jedoch aufgrund fehlender Ausrüstung begrenzt. In den anderen Provinzen schicken die Gesundheitszentren, die nicht über entsprechende Einrichtungen verfügen, die Testproben in die Hauptstadt und geben die Ergebnisse nach sechs bis zehn Tagen bekannt. Im Großteil der Krankenhäuser werden nur grundlegende Anweisungen und Maßnahmen empfohlen, es gibt keine zwingenden Vorschriften, und selbst die Infizierten erfahren nur grundlegende und normale Behandlung (RA KBL 20.10.2020).
Zugang zu medizinischen Versorgung
Letzte Änderung: 01.04.2021
Zugang zur Behandlungsmöglichkeiten
Eine begrenzte Anzahl von staatlichen Krankenhäusern in Afghanistan bietet kostenlose medizinische Versorgung an. Voraussetzung für die kostenlose Behandlung ist der Nachweis der afghanischen Staatsbürgerschaft durch einen Personalausweis oder eine Tazkira. Alle Bürger haben dort Zugang zu medizinischer Versorgung und Medikamenten (STDOK 4.2018). Allerdings gibt es manchmal einen Mangel an Medikamenten. Daher werden die Patienten an private Apotheken verwiesen, um verschiedene Medikamente selbst zu kaufen (IOM 2018), oder sie werden gebeten, für medizinische Leistungen, Labortests und stationäre Behandlungen zu zahlen. Medikamente können auf jedem afghanischen Markt gekauft werden, und die Preise variieren je nach Marke und Qualität des Produkts. Die Kosten für Medikamente in staatlichen Krankenhäusern unterscheiden sich von den lokalen Marktpreisen. Private Krankenhäuser befinden sich meist in größeren Städten wie Kabul, Jalalabad, Mazar-e Sharif, Herat und Kandahar (STDOK 4.2018; vgl. AA 16.7.2020) und die medizinische Ausstattung ist oft veraltet oder nicht vorhanden. Es wird von schlechten hygienischen Bedingungen in öffentlichen Krankenhäusern berichtet (MedoCOI 5.2019) und von Ärzten, die nur wenige Stunden im Krankenhaus anwesend sind, weil sie ihre eigenen privaten Praxen haben (MedCOI 5.2019). Nach Daten aus dem Jahr 2017 waren 76 % der in Afghanistan getätigten Gesundheitsausgaben sogenannte "out-of-pocket"-Zahlungen der Patienten (WB n.d.b). Die Qualität und Kosten der Kliniken variiert stark, es gibt praktisch keine Qualitätskontrollen. Eine Unterbringung von Patienten ist nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden. Viele Afghanen suchen, wenn möglich, privat geführte Krankenhäuser und Kliniken auf (AA 16.7.2020).
In den großen Städten und auf Provinzebene ist die medizinische Versorgung gewährleistet, aber auf Distrikt- und Dorfebene sind die Einrichtungen oft weniger gut ausgestattet und es kann schwierig sein, Spezialisten zu finden. In vielen Fällen arbeiten Krankenschwestern anstelle von Ärzten, um die Grundversorgung zu gewährleisten und komplizierte Fälle an Krankenhäuser in der Provinz zu überweisen. Operationen können in der Regel nur auf Provinzebene oder höher durchgeführt werden; auf Distriktebene sind nur Erste Hilfe und kleinere Operationen möglich. Dies gilt nicht für das ganze Land, allerdings können Distrikte mit guter Sicherheitslage meist mehr und bessere Leistungen anbieten als in unsicheren Gebieten (IOM 2018; vgl. BDA 18.12.2018).
Die Haupthindernisse für den Zugang zur Gesundheitsversorgung in Afghanistan sind demnach die hohen Behandlungskosten, der Mangel an Ärztinnen, die großen Entfernungen zu den Gesundheitseinrichtungen und eine unzureichende Anzahl an medizinischem Personal in den ländlichen Gebieten, Korruption und Abwesenheit des Gesundheitspersonals, sowie Sicherheitsgründe (MedCOI 5.2019; vgl. EASO).
In privaten Krankenhäusern ist die Ausstattung besser, es gibt mehr medizinisches Personal und die Ärzte sind erfahrener als in öffentlichen Einrichtungen, wobei das Hauptproblem die mangelnde Zugänglichkeit für den armen Teil der Bevölkerung ist (MedCOI 5.2019).
Viele Staatsangehörige - die es sich leisten können - gehen zur medizinischen Behandlung ins Ausland nach Pakistan oder in die Türkei - auch für kleinere Eingriffe (AJ 25.5.2019; vgl. Geo TV o.J., MedCOI 5.2019, BDA 18.12.2018). In Pakistan zum Beispiel ist dies zumindest für die Mittelschicht vergleichsweise einfach und erschwinglich (BDA 18.12.2018).
Zugang zu Medikamenten
Sowohl die Quantität als auch die Qualität von essentiellen Medikamenten sind eine große Herausforderung für das afghanische Gesundheitssystem. Da es keine nationale Regulierungsbehörde gibt, sind Medikamente, Impfstoffe, biologische Mittel, Labormittel und medizinische Geräte nicht ordnungsgemäß reguliert, was die Gesetzgebung und die Durchsetzung von Gesetzen fast unmöglich macht. Die Funktion der Regulierungsbehörde ist auf verschiedene Regierungsstellen aufgeteilt, darunter die Generaldirektion für pharmazeutische Angelegenheiten, das Labor für Qualitätskontrolle und die Abteilung für Gesundheitsgesetzgebung. Traditionelle Medizin ist weit verbreitet, da sie weniger teuer und leichter zugänglich ist (WHO 2016).
Im Jahr 2017 startete das MoPH eine 12-wöchige Kampagne gegen gefälschte und minderwertige Medizin. Die Lizenzen von mehr als 900 lokalen und ausländischen pharmazeutischen Importunternehmen wurden ausgesetzt, während 100 Tonnen abgelaufene, gefälschte und minderwertige Medikamente in Apotheken beschlagnahmt wurden. Die Sicherheitslage beeinträchtigt die Lieferung und Verfügbarkeit von lebensrettenden Medikamenten zusätzlich durch die Unzugänglichkeit der Straßen (MedCOI 5.2019).
Die Essential Medicines List of Afghanistan (EML) (MoPH 2014) enthält Medikamente, die für den Einsatz im BPHS und EPHS empfohlen werden. Laut einem UN-Bericht aus dem Jahr 2017 kann es jedoch aufgrund der unsicheren und unzugänglichen öffentlichen Straßen zu Engpässen bei Medikamenten und medizinischen Geräten kommen. Auf allen Ebenen des Gesundheitssystems kann es zu Engpässen bei lebensrettenden Medikamenten kommen, selbst in Überweisungskrankenhäusern (MedCOI 5.2019).
Die Patienten müssen für alle Medikamente bezahlen, außer für Medikamente in der Primärversorgung, die in öffentlichen Gesundheitseinrichtungen kostenlos sind. Für bestimmte Arten von Medikamenten ist ein Rezept erforderlich. Obwohl es in Afghanistan viele Apotheken gibt, sind Medikamente nur in städtischen Gebieten leicht zugänglich, da es dort viele private Apotheken gibt. In ländlichen Gebieten ist dies weniger der Fall (MedCOI 5.2019). Auf den afghanischen Märkten sind mittlerweile alle Arten von Medikamenten erhältlich, aber die Kosten variieren je nach Qualität, Firmennamen und Hersteller. Die Qualität dieser Medikamente ist oft gering; die Medikamente sind abgelaufen oder wurden unter schlechten Bedingungen transportiert (BAMF 2016).
Psychische Erkrankungen
Letzte Änderung: 01.04.2021
Viele Menschen innerhalb der afghanischen Bevölkerung leiden unter verschiedenen psychischen Erkrankungen als Folge des andauernden Konflikts, Naturkatastrophen, endemischer Armut und der COVID-19-Pandemie (UNOCHA 19.12.2020). Die afghanische Regierung ist sich der Problematik bewusst und hat mentale Gesundheit als Schwerpunkt gesetzt, doch der Fortschritt ist schleppend und die Leistungen außerhalb Kabuls dürftig (STDOK 4.2018). Gemäß der "Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023" erhalten weniger als 10% der Bevölkerung die für die Behandlung ihrer psychischen Erkrankungen erforderlichen medizinischen Leistungen (MoPH o.D.; vgl. AOVA 1.10.2020, HRW 7.10.2019) und nur ein psychosozialer Berater steht für je 46.000 Menschen zur Verfügung (MoPH o. D.; vgl. HRW 7.10.2019). Da es kaum Anzeichen für eine Einstellung der Feindseligkeiten oder einen dauerhaften humanitären Waffenstillstand im Jahr 2021 gibt, wird geschätzt, dass bis zu 310.500 Traumafälle aufgrund des anhaltenden und eskalierenden Konflikts eine medizinische Notfallbehandlung benötigen (UNOCHA 19.12.2020).
Das Ziel der "Nationalen Strategie für psychische Gesundheit 2019-2023", die vom Ministerium für öffentliche Gesundheit (MoPH) entwickelt wurde, ist es, sich der psychischen Erkrankungen in der afghanischen Gesellschaft anzunehmen und durch diese Strategie qualitativ hochwertige psychische und psychosoziale Versorgung und Dienste für alle Bürgerinnen und Bürger bereitzustellen, wobei der Schwerpunkt auf den psychischen Gesundheitsbedürfnissen der armen, unterversorgten, benachteiligten und gefährdeten Bevölkerungsgruppen liegt. Diese Dienste sollen evidenzbasiert und gemeinwesenorientiert sein und auf allen Versorgungsebenen von qualifiziertem und motiviertem Personal erbracht sowie, dem Zeitplan nach, in allen Provinzen umgesetzt werden (MoPH o. D.; vgl. RA KBL 20.10.2020).
Der Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung oder psychosozialer Unterstützung bleibt für viele unerreichbar, insbesondere in ländlichen Gebieten. Obwohl psychische Gesundheit und psychosoziale Unterstützungsdienste (Mental Health and Psychosocial Support Services, MHPSS) in das nationale Basic Package of Health Services (BPHS) und Essential Package of Hospital Services (EPHS) integriert wurden, stehen landesweit nur 320 Krankenhausbetten im öffentlichen und privaten Sektor für Menschen mit psychischen Problemen zur Verfügung (UNOCHA 19.12.2020; vgl. WHO o.D.).
In der afghanischen Gesellschaft werden Menschen mit körperlichen oder psychischen Behinderungen als schutzbedürftig betrachtet. Sie sind Teil der Familie und werden - genauso wie Kranke und Alte - gepflegt. Daher müssen körperlich und geistig Behinderte sowie Opfer von Missbrauch eine starke familiäre und gesellschaftliche Unterstützung sicherstellen (STDOK 4.2018; vgl. BAMF 2016). Die Behandlung von psychischen Erkrankungen - insbesondere Kriegstraumata - findet, abgesehen von einzelnen Projekten von NGOs, nach wie vor nicht in ausreichendem Maße statt. Es gibt keine formelle Aus- oder Weiterbildung zur Behandlung psychischer Erkrankungen (AA 16.7.2020). Neben Problemen beim Zugang zu Behandlungen bei psychischen Erkrankungen, bzw. dem Mangel an spezialisierter Gesundheitsversorgung, sind falsche Vorstellungen der Bevölkerung über psychische Erkrankungen ein wesentliches Problem (BDA 18.12.2018). Psychische Erkrankungen sind in Afghanistan hoch stigmatisiert (AA 16.7.2020, vgl. BDA 18.12.2018). Die Infrastruktur für die Bedürfnisse mentaler Gesundheit entwickelt sich langsam; so existiert z.B. in Mazar-e Sharif ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus. In Kabul existiert eine weitere psychiatrische Klinik (STDOK 4.2018).
Zwar sieht das Basic Package of Health Services (BPHS) psychosoziale Beratungsstellen innerhalb der Gemeindegesundheitszentren vor, jedoch ist die Versorgung der Bevölkerung mit psychiatrischen oder psychosozialen Diensten aufgrund des Mangels an ausgebildeten Psychiatern, Psychologen, psychiatrisch ausgebildeten Krankenschwestern und Sozialarbeitern schwierig (BDA 18.12.2018).
Wie auch in anderen Krankenhäusern Afghanistans ist eine Unterbringung im Kabuler Krankenhaus von Patienten grundsätzlich nur möglich, wenn sie durch Familienangehörige oder Bekannte mit Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln versorgt werden (AA 16.7.2020). So werden Patienten bei stationärer Behandlung in psychiatrischen Krankenhäusern in Afghanistan nur in Begleitung eines Verwandten aufgenommen. Der Verwandte muss sich um den Patienten kümmern und für diesen beispielsweise Medikamente und Nahrungsmittel kaufen. Zudem muss der Angehörige den Patienten gegebenenfalls vor anderen Patienten beschützen, oder im umgekehrten Fall bei aggressivem Verhalten des Verwandten die übrigen Patienten schützen. Die Begleitung durch ein Familienmitglied ist in allen psychiatrischen Einrichtungen Afghanistans aufgrund der allgemeinen Ressourcenknappheit bei der Pflege der Patienten notwendig. Aus diesem Grund werden Personen ohne einen Angehörigen selbst in Notfällen in psychiatrischen Krankenhäusern nicht stationär aufgenommen (IOM 24.4.2019).
Die Internationale Psycho-Soziale Organisation (IPSO) bietet Menschen in Kabul Beratungsdienste zu psychosozialen und psychischen Gesundheitsfragen an (IPSO o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020), und Peace of Mind Afghanistan ist eine nationale Kampagne zur Sensibilisierung für psychische Gesundheit, die Botschaften und Instrumente zum psychischen Wohlbefinden verbreitet (PoMA o.D.; vgl. RA KBL 20.10.2020).
In folgenden Krankenhäusern kann man außerdem Therapien bei Persönlichkeits- und Stressstörungen erhalten:
Mazar-e -Sharif Regional Hospital: Darwazi Balkh; in Herat das Regional Hospital und in Kabul das Karte Sae Mental Hospital. Wie bereits erwähnt gibt es ein privates psychiatrisches Krankenhaus in Kabul, aber keine spezialisierten privaten Krankenhäuser in Herat oder Mazar-e Sharif. Dort gibt es lediglich Neuropsychiater in einigen privaten Krankenhäusern (wie dem Luqman Hakim Private Hospital) die sich um diese Art von Patienten tagsüber kümmern (IOM 26.4.2019). In Mazar-e Sharif existiert z.B. ein privates neuropsychiatrisches Krankenhaus (Alemi Hospital) und ein öffentliches psychiatrisches Krankenhaus (STDOK 4.2018).
Das Zusammenwirken von Krieg, Armut, häuslicher Gewalt und sozialer Marginalisierung führt dazu, dass Frauen überproportional von psychischen Problemen und psychosozialen Behinderungen betroffen sind (HRW 28.4.2020). Dort, wo Dienste verfügbar sind, führen kulturelle Barrieren, Stigmatisierung und die begrenzte Anzahl weiblicher Anbieter psychischer Gesundheit häufig dazu, dass Frauen vom Zugang zu geeigneten Diensten ausgeschlossen sind (UNOCHA 19.12.2020).
Medizinische Versorgungseinrichtungen in Afghanistan (Kabul, Herat, Balkh...)
Letzte Änderung: 01.04.2021
[…]
Herat
Das Jebrael-Gesundheitszentrum im Nordwesten der Stadt Herat bietet für rund 60.000 Menschen im dicht besiedelten Gebiet mit durchschnittlich 300 Besuchern pro Tag grundlegende Gesundheitsdienste an, von denen die meisten die Impf- und allgemeinen ambulanten Einheiten aufsuchen (WB 1.11.2016). Laut dem Provinzdirektor für Gesundheit in Herat verfügte die Stadt im April 2017 über 65 private Gesundheitskliniken (TN 7.4.2017), unter anderem das staatliche Herat Regional Hospital (RA KBL 20.10.2020). Die Anwohner von Herat beklagen jedoch, dass "viele private Gesundheitszentren die Gesundheitsversorgung in ein Unternehmen umgewandelt haben". Auch wird die geringe Qualität der Medikamente, fehlende Behandlungsmöglichkeiten und die Fähigkeit der Ärzte, Krankheiten richtig zu diagnostizieren, kritisiert. Infolgedessen entscheidet sich eine Reihe von Heratis für eine Behandlung im Ausland (TN 7.4.2017).
Mazar-e Sharif
In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es zwischen 10 und 15 Krankenhäuser; dazu zählen sowohl private als auch öffentliche Anstalten. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer; jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken; 20% dieser Gesundheitskliniken finanzieren sich selbst, während 80% öffentlich finanziert sind (STDOK 4.2018).
Das Regionalkrankenhaus Balkh ist die tragende Säule medizinischer Dienstleistungen in Nordafghanistan; selbst aus angrenzenden Provinzen werden Patienten in dieses Krankenhaus überwiesen. Anstelle des durch einen Brand zerstörten Hauptgebäude des Regionalkrankenhauses Balkh im Zentrum von Mazar-e Sharif wurde ein neuer Gebäudekomplex mit 360 Betten, 21 Intensivpflegeplätzen, sieben Operationssälen und Einrichtungen für Notaufnahme, Röntgen- und Labordiagnostik sowie telemedizinischer Ausrüstung errichtet. Zusätzlich kommt dem Krankenhaus als akademisches Lehrkrankenhaus mit einer angeschlossenen Krankenpflege- und Hebammenschule eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung des medizinischen und pflegerischen Nachwuchses zu. Die Universität Freiburg (Deutschland) und die Mashhad Universität (Iran) sind Ausbildungspartner dieses Krankenhauses (STDOK 4.2018; vgl. RA KBL 20.10.2020). Balkh gehörte bei einer Erhebung von 2016/2017 zu den Provinzen mit dem höchsten Anteil an Frauen, welche einen Zugang zu Gesundheitseinrichtungen haben (CSO 2018).
[…]
Rückkehr
Letzte Änderung: 01.04.2021
In den letzten zehn Jahren sind Millionen von Migranten und Flüchtlingen nach Afghanistan zurückgekehrt. Während der Großteil der Rückkehrer aus den Nachbarländern Iran und Pakistan kommt, sinken die Anerkennungsquoten für Afghanen im Asylbereich in der Europäischen Union und die Zahl derer die freiwillig, unterstützt und zwangsweise nach Afghanistan zurückkehren, nimmt zu (MMC 1.2019). Die schnelle Ausbreitung des COVID-19 Virus in Afghanistan hat starke Auswirkungen auf die Vulnerablen unter der afghanischen Bevölkerung, einschließlich der Rückkehrer, da sie nur begrenzten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, insbesondere zur Gesundheitsversorgung, haben und zudem aufgrund der landesweiten Abriegelung Einkommens- und Existenzverluste hinnehmen müssen (IOM 7.5.2020).
IOM (Internationale Organisation für Migration) verzeichnete im Jahr 2020 die bisher größte Rückkehr von undokumentierten afghanischen Migranten (MENAFN 15.2.2021). Von den mehr als 865.700 Afghanen, die im Jahr 2020 nach Afghanistan zurückkehrten, kamen etwa 859.000 aus dem Iran und schätzungsweise 6.700 aus Pakistan (USAID 12.1.2021; vgl. TNH 26.1.2021). Im gesamten Jahr 2018 kehrten, im Vergleich dazu, aus den beiden Ländern insgesamt 805.850 Personen nach Afghanistan zurück (IOM 5.1.2019, vgl. AA 16.7.2020).
Die freiwillige Rückkehr nach Afghanistan ist aktuell (Stand 19.3.2021) über den Luftweg möglich. Es gibt internationale Flüge nach Kabul, Mazar-e Sharif und Kandahar (IOM 18.3.2021; vgl. F 24 19.3.2021). Es sei darauf hingewiesen, dass diese Flugverbindungen unzuverlässig sind - in Zeiten einer Pandemie können Flüge gestrichen oder verschoben werden (IOM 18.3.2021).
Seit 12.8.2020 ist der Grenzübergang Spin Boldak an der pakistanischen Grenze sieben Tage in der Woche für Fußgänger und Lastkraftwagen geöffnet (UNHCR 12.9.2020). Der pakistanische Grenzübergang in Torkham ist montags und dienstags für Rückkehrbewegungen nach Afghanistan und zusätzlich am Samstag für undokumentierte Rückkehrer und andere Fußgänger geöffnet (UNHCR 12.9.2020).
Die Wiedervereinigung mit der Familie wird meist zu Beginn von Rückkehrern als positiv empfunden und ist von großer Wichtigkeit im Hinblick auf eine erfolgreiche Reintegration (MMC 1.2019; vgl. IOM KBL 30.4.2020, Reach 10.2017). Ohne familiäre Netzwerke kann es sehr schwer sein, sich selbst zu erhalten, da in Afghanistan vieles von sozialen Netzwerken abhängig ist. Eine Person ohne familiäres Netzwerk ist jedoch die Ausnahme und einige wenige Personen verfügen über keine Familienmitglieder in Afghanistan, da diese entweder in den Iran, nach Pakistan oder weiter nach Europa migrierten (IOM KBL 30.4.2020; vgl. Seefar 7.2018). Der Reintegrationsprozess der Rückkehrer ist oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019). Aufgrund der Sicherheitslage ist es Rückkehrern nicht immer möglich, in ihre Heimatorte zurückzukehren (VIDC 1.2021).
"Erfolglosen" Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des "Versagens" an. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa (VIDC 1.2021; cf. Seefar 7.2018), was durch die aktuelle Situation im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie noch verschlimmert wird (VIDC 1.2021). Rückkehrer drückten ihr Bedauern und ihre Scham über die Rückkehr aus, die sie als eine vertane Chance betrachteten, bei der Geld und Zeit verschwendet wurden (Seefar 7.2018; vgl. VIDC 1.2021, MMC 1.2019).
Auch wenn scheinbar kein koordinierter Mechanismus existiert, der garantiert, dass alle Rückkehrer die Unterstützung erhalten, die sie benötigen und dass eine umfassende Überprüfung stattfindet, können Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, dennoch verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen (STDOK 4.2018; vgl. STDOK 14.7.2020, IOM AUT 23.1.2020, VIDC 1.2021). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Wegen der hohen Fluktuation im Land und der notwendigen Zeit der Hilfsorganisationen, sich darauf einzustellen, ist Hilfe nicht immer sofort dort verfügbar, wo Rückkehrer sich niederlassen. UNHCR beklagt zudem, dass sich viele Rückkehrer in Gebieten befinden, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (AA 16.7.2020).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich (VIDC 1.2021; vgl. IOM KBL 30.4.2020, MMC 1.2019, Reach 10.2017). Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk (STDOK 13.6.2019, IOM KBL 30.4.2020), auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (STDOK 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kollegen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (STDOK 4.2018; vgl. VIDC 1.2021).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 16.7.2020). UNHCR verzeichnete jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (STDOK 13.6.2019).
Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Dem deutschen Auswärtigen Amt sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden (AA 16.7.2020) und auch IOM Kabul sind keine solchen Vorkommnisse bekannt (IOM KBL 30.4.2020). Andere Quellen geben jedoch an, dass es zu tätlichen Angriffen auf Rückkehrer gekommen sein soll (STDOK 10.2020; vgl Seefar 7.2018), wobei dies auch im Zusammenhang mit einem fehlenden Netzwerk vor Ort gesehen wird (Seefar 7.2018). UNHCR berichtet von Fällen zwangsrückgeführter Personen aus Europa, die von religiösen Extremisten bezichtigt werden, verwestlicht zu sein; viele werden der Spionage verdächtigt. Auch glaubt man, Rückkehrer aus Europa wären reich (STDOK 13.6.2019; vgl. VIDC 1.2021) und sie würden die Gastgebergemeinschaft ausnutzen. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (STDOK 13.6.2019).
Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen (VIDC 1.2021; vgl. STDOK 13.6.2019, STDOK 4.2018). Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (VIDC 1.2021; vgl. AA 16.7.2020, IOM KBL 30.4.2020, STDOK 10.2020). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 11.3.2020). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (STDOK 13.6.2019).
Viele afghanische Rückkehrer werden de facto IDPs, weil die Konfliktsituation sowie das Fehlen an gemeinschaftlichen Netzwerken sie daran hindert, in ihre Heimatorte zurückzukehren (UNOCHA 12.2018). Trotz offenem Werben der afghanischen Regierung für Rückkehr sind essenzielle Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheit in den grenznahen Provinzen nicht auf einen Massenzuzug vorbereitet (AAN 31.1.2018). Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbst gebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (UNOCHA 12.2018).
Eine Reihe unterschiedlicher Organisationen ist für Rückkehrer und Binnenvertriebene (IDP) in Afghanistan zuständig (STDOK 4.2018). Rückkehrer/innen erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z. B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer (STDOK 4.2018; vgl. Asylos 8.2017).
Unterstützung von Rückkehrer/innen durch die afghanische Regierung
Neue politische Rahmenbedingungen für Rückkehrer und IDPs sehen bei der Reintegration unter anderem auch die individuelle finanzielle Unterstützung als einen Ansatz der „whole of community“ vor. Demnach sollen Unterstützungen nicht nur Einzelnen zugutekommen, sondern auch den Gemeinschaften, in denen sie sich niederlassen. Die Rahmenbedingungen sehen eine Grundstücksvergabe vor, jedoch gilt dieses System als anfällig für Korruption und Missmanagement. Es ist nicht bekannt, wie viele Rückkehrer aus Europa Grundstücke von der afghanischen Regierung erhalten haben und zu welchen Bedingungen (STDOK 4.2018).
Die Regierung Afghanistans bemüht sich gemeinsam mit internationalen Unterstützern, Land an Rückkehrer zu vergeben. Gemäß dem 2005 verabschiedeten Land Allocation Scheme (LAS) sollten Rückkehrer und IDPs Baugrundstücke erhalten. Die bedürftigsten Fälle sollten prioritär behandelt werden (Kandiwal 9.2018; vgl. UNHCR 3.2020). Jedoch fanden mehrere Studien Probleme bezüglich Korruption und fehlender Transparenz im Vergabeprozess (Kandiwal 9.2018; vgl. UNAMA 3.2015, AAN 29.3.2016, WB/UNHCR 20.9.2017). Um den Prozess der Landzuweisung zu beginnen, müssen die Rückkehrer einen Antrag in ihrer Heimatprovinz stellen. Wenn dort kein staatliches Land zur Vergabe zur Verfügung steht, muss der Antrag in einer Nachbarprovinz gestellt werden. Danach muss bewiesen werden, dass der Antragsteller bzw. die nächste Familie tatsächlich kein Land besitzt. Dies geschieht aufgrund persönlicher Einschätzung eines Verbindungsmannes und nicht aufgrund von Dokumenten. Hier ist Korruption ein Problem. Je einflussreicher ein Antragsteller ist, desto schneller bekommt er Land zugewiesen (Kandiwal 9.2018). Des Weiteren wurde ein fehlender Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen, wie auch eine weite Entfernung der Parzellen von Erwerbsmöglichkeiten kritisiert. IDPs und Rückkehrer ohne Dokumente sind von der Vergabe von Land ausgeschlossen (IDMC/NRC 2.2014; vgl. Kandiwal 9.2018).
Die afghanische Regierung hat 2017 mit der Umsetzung des Aktionsplans für Flüchtlinge und Binnenflüchtlinge begonnen. Ein neues, transparenteres Verfahren zur Landvergabe an Rückkehrer läuft als Pilotvorhaben an, kann aber noch nicht flächendeckend umgesetzt werden. Erste Landstücke wurden identifiziert, die Registrierung von Begünstigten hat begonnen (AA 16.7.2020).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu den Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer:
Die Feststellungen zu den Personen der Beschwerdeführer und ihren persönlichen und familiären Verhältnissen ergeben sich aus ihren dahingehenden Angaben vor dem BFA und dem Bundesverwaltungsgericht. Da ihre behauptete Identität nicht durch entsprechende Original-Dokumente belegt wurde, steht sie nicht fest. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit der Beschwerdeführer, zu ihrer Herkunft und Volksgruppenzugehörigkeit, ihrem Reiseweg, ihrer Ausbildung und ihrer Berufserfahrung gründen auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben der Beschwerdeführer, welche bereits den rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 zugrunde gelegt wurden; das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen – im gesamten Verfahren im Wesentlichen gleich gebliebenen und sich mit den Länderberichten zu Afghanistan deckenden – Aussagen der Beschwerdeführer zu zweifeln.
Die Feststellungen zur gesundheitlichen Situation der Beschwerdeführer ergeben sich aus deren Angaben im Verfahren sowie den seitens des Erstbeschwerdeführers vorgelegten ärztlichen Unterlagen. Demnach wurden beim Erstbeschwerdeführer im September 2019 eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome [vgl. Kurzbrief vom 17.09.2019] respektive eine Anpassungsstörung mit depressiven und ängstlichen Anteilen [Befundbericht vom 10.09.2019] diagnostiziert. Der Erstbeschwerdeführer brachte anlässlich der Einvernahme vom 30.07.2020 vor, infolge des Erhalts der abweisenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im September 2019 einen Suizidversuch unternommen zu haben, erwähnte jedoch, dass es ihm nunmehr besser ginge und er keine Behandlung in Anspruch nehmen würde. Er äußerte anlässlich der zuletzt abgehaltenen Einvernahme vor dem Bundesamt keine Rückkehrbefürchtungen in Zusammenhang mit seiner gesundheitlichen Situation und brachte nicht vor, aufgrund der im Jahr 2019 gestellten Diagnose in seiner Möglichkeit zur Teilnahme am Erwerbsleben und selbständigen Bewältigung seines Alltags eingeschränkt zu sein. Aus den Länderberichten ergibt sich zudem, dass auch in Afghanistan Behandlungsmöglichkeiten für Erkrankungen im psychischen Bereich grundsätzlich vorhanden sind, sodass der Erstbeschwerdeführer auch nach einer Rückkehr im Bedarfsfall eine Behandlung aufnehmen könnte. Der Erstbeschwerdeführer hat im Verfahren keine entgegenstehenden Befürchtungen geäußert. Insofern konnte nicht festgestellt werden, dass der (mit Ausnahme von Kopfschmerzen) an keinen körperlichen Erkrankungen leidende Erstbeschwerdeführer zum Entscheidungszeitpunkt einer (lebensnotwendigen) medizinischen Behandlung bedarf, welche für ihn in Afghanistan nicht verfügbar oder individuell nicht leistbar wäre. Dass sich der aktuelle Allgemeinzustand des Erstbeschwerdeführers nicht als derart eingeschränkt erweist, dass dieser einer Rückkehr in den Herkunftsstaat per se entgegenstehen würde, ergibt sich aus dem Umstand, dass der Genannte in Österreich keinerlei Behandlung in Anspruch nimmt und, wie an anderer Stelle dargelegt, regelmäßig schulischen und ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie diversen weiteren sozialen Aktivitäten nachgeht.
Der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer sind jeweils laut eigenen Aussagen gesund.
2.2. Zum vorgebrachten Ausreisegrund und den vorgebrachten Rückkehrbefürchtungen:
2.2.1. Die Behauptungen der Beschwerdeführer, im Herkunftsstaat einer Verfolgung durch einen näher bezeichneten Mullah und dessen Anhänger ausgesetzt zu sein, weil sich aus der Tätigkeit des Vaters der Beschwerdeführer als Maddah oder wegen der behaupteten Verteilung von CDs durch die Schwägerin der Beschwerdeführer während deren Tätigkeit als Religionslehrerin ein Konflikt entwickelt habe, sind bereits mit den rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 als unglaubhaft beurteilt worden.
Die Beschwerdeführer haben im Verfahren über ihre Folgeanträge lediglich vorgebracht, dass eine solche Bedrohung weiterhin bestehe und sich intensiviert hätte, jedoch keine im Vergleich zu den in den Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 nunmehr neu entstandenen Sachverhalte aufgezeigt.
Die Beschwerdeführer haben sich erkennbar ausschließlich auf die bereits dem ersten Verfahren zugrunde gelegten Verfolgungsbehauptungen, sohin Vorfälle, welche sich vor ihrer Ausreise aus Afghanistan im Jahr 2011, ereignet hätten, berufen und keine seither neu entstandenen Sachverhalte geltend gemacht. Soweit diese in allgemeiner und nicht näher substantiierter Weise vorbrachten, dass die Feinde ihrer Familie zwischenzeitlich an Macht dazugewonnen hätten und auch weitere Angehörige im Herkunftsstaat Probleme mit dem betreffenden Mullah bekommen hätten, so stellt dieses Vorbringen lediglich eine Bekräftigung eines bereits rechtskräftig als unglaubwürdig qualifizierten Vorbringens dar, welches eine neuerliche inhaltliche Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status der Asylberechtigten nicht zu tragen vermag. Im Übrigen haben die Beschwerdeführer jeweils festgehalten, im Vorfeld der Ausreise persönlich nie bedroht worden zu sein und lediglich aufgrund der Zugehörigkeit zu ihrer Familie eine Gefährdung zu befürchten. Dazu ist nochmals festzuhalten, dass im Verfahren keines Familienmitgliedes ein asylrelevanter Sachverhalt festgestellt werden konnte und insbesondere in den Verfahren des Vaters und der Schwägerin der Beschwerdeführer, welche von den Problemen primär betroffen gewesen wären, im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten rechtskräftig abweisende Entscheidungen vorliegen.
Insbesondere die Angaben des Drittbeschwerdeführers anlässlich der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 28.07.2020 verdeutlichen, dass die gegenständlichen Folgeanträge nicht aufgrund neu entstandener Verfolgungsbefürchtungen eingebracht worden sind; so erklärte dieser, dass seine Familie sich zur Stellung der Folgeanträge entschlossen hätte, da über die ersten Anträge durch das Bundesverwaltungsgericht abweisend abgesprochen worden sei und für die Einbringung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof (infolge Ablehnung der Behandlung einer an den VfGH gerichteten Beschwerde) die finanziellen Mittel gefehlt hätten, sodass erkennbar ist, dass eine neuerliche Überprüfung des bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren behandelten Vorbringens bezweckt wurde.
Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer beriefen sich im Übrigen darauf, dass sie in Bezug auf die ausreisekausalen Umstände aufgrund ihres damals noch jungen Lebensalters keine eigenen Wahrnehmungen hätten, sondern von der Bedrohung lediglich aus Erzählungen ihrer Angehörigen erfahren hätten, sodass jedenfalls auch insofern kein substantiiertes neues Tatsachenvorbringen zu erkennen ist.
Soweit der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren erstmals erwähnten, in Afghanistan im Kindesalter von älteren Männern sexuell belästigt worden zu sein (beide schilderten jeweils einen unabhängig voneinander erlebten einmaligen Vorfall, bei welchen sie von einer unbekannten Person bzw. einem Nachbarn am Körper berührt worden seien), so handelt es sich ebenfalls um keinen zeitlich neu entstandenen Sachverhalt und es wurden von den – zwischenzeitlich volljährigen – Beschwerdeführern jeweils keine an diese vor rund einem Jahrzehnt stattgefundenen Vorfälle knüpfenden Rückkehrbefürchtungen genannt.
Das weiters erstattete Vorbringen eines westlich orientierten Lebenswandels der Beschwerdeführer stellt sich ebenfalls als bei weitem zu unkonkret dar, um auf einen den Beschwerdeführern im Herkunftsstaat tatsächlich drohenden Eingriff in ihre körperliche Unversehrtheit oder eine sonstige relevante Gefährdung schließen zu können, zumal diese auch nicht darlegten, welche konkreten Verhaltensweisen sie nunmehr (insbesondere seit dem Zeitpunkt des rechtskräftigen Abschlusses des vorangegangenen Verfahrens) angenommen hätten, die sie bei einer Rückkehr nach Herat allenfalls gefährden würden. Die Feststellungen, dass den Beschwerdeführern auf Grund ihres Aufenthalts in Europa und eines hier erfolgten Lebenswandels keine physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht, ergeben sich aus ihren diesbezüglich lediglich allgemein gehaltenen Angaben, mit denen sie mögliche Gewalthandlungen gegen ihre Personen nicht hinreichend substantiiert aufzuzeigen vermochten in Zusammenschau mit den vorliegenden Länderberichten, die eine generelle Verfolgung von Rückkehrern aus dem Ausland nicht aufzeigen.
Die Beschwerdeführer haben auch im Verfahren über ihre Folgeanträge keine konkreten Anhaltspunkte dafür geäußert, dass sie bei einer Rückkehr einer Verfolgung aufgrund ihrer Volksgruppenzugehörigkeit, ihrer religiösen Überzeugung oder ihrer Auslandsaufenthalte ausgesetzt sein sollten, sodass sich auch insofern keine Änderung gegenüber den in den Erkenntnissen vom 08.08.2019 getroffenen Feststellungen ergeben haben.
2.3. Zur (darüberhinausgehenden) Prognose zu den Lebensumständen der Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr:
Die Feststellung zur grundsätzlichen Vertrautheit der Beschwerdeführer mit den Gegebenheiten in Afghanistan, insbesondere in ihrer Herkunftsstadt Herat, ergeben sich aus ihren gleichbleibenden Angaben im Verfahren, wonach der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer bis zum Alter von etwa zehn bzw. elf Jahren sowie der Drittbeschwerdeführer bis zum Alter von 20 Jahren im Familienverband in dieser Stadt gelebt und dort eine Schule besucht hätten. Der Drittbeschwerdeführer sei zudem verschiedenen beruflichen Tätigkeiten in Herat nachgegangen und sei bereits im Vorfeld der Ausreise in der Lage gewesen, seinen Lebensunterhalt eigenständig zu erwirtschaften.
Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr der Beschwerdeführer in der Stadt Herat sowie bei einer (alternativen) Niederlassung in Mazar-e Sharif ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten und aus den glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführer zu ihren jeweiligen persönlichen Umständen, ihrem Bildungsstand, ihren Lebensumständen, ihren beruflichen Tätigkeiten im Vorfeld der Ausreise sowie ihrer in Österreich gezeigten Anpassungsfähigkeit. Zur Prognosebeurteilung im Hinblick auf eine Rückkehr nach Herat bzw. Niederlassung in Mazar-e Sharif darf zudem zwecks Vermeidung von Wiederholungen auf die näheren Ausführungen unter Punkt 3.3. verwiesen werden.
2.4. Zur Situation der Beschwerdeführer in Österreich:
Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.
Dass diese bislang nicht selbsterhaltungsfähig waren, ergibt sich aus ihren Angaben.
Ihre jeweiligen Wohnverhältnisse – insbesondere der gemeinsame Wohnsitz mit ihren Eltern und der getrennte Wohnsitz von der Ehegattin des Drittbeschwerdeführers – ergeben sich ebenfalls aus den Angaben der Beschwerdeführer sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister. Die Ehe des Drittbeschwerdeführers ist durch die vorgelegte österreichische Heiratsurkunde belegt.
Die Feststellungen zum Aufenthaltsstatus der Familienangehörigen ergeben sich aus der Einsichtnahme in die zitierten Entscheidungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichts sowie das Zentrale Fremdenregister.
Die Feststellungen über ihre jeweiligen familiären und privaten Lebensumstände in Österreich und die gesetzten Integrationsbemühungen ergeben sich aus den Angaben der Beschwerdeführer, den von ihnen im Verfahren vorgelegten Belegen zu ihrem Schulbesuch, ihren ehrenamtlichen Tätigkeiten, zu ihren Deutschkenntnissen sowie zu ihren Aktivitäten gemeinsam mit ihren Freundes- und Bekanntenkreis, den schriftlichen Arbeitsplatzzusagen, sowie den vorgelegten Unterstützungsschreiben.
2.5. Zu den Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf das in den angefochtenen Bescheiden zitierte Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamts und die darin zitierten Quellen, welche den Beschwerdeführern im Verfahren zur Kenntnis gebracht wurden und von diesen inhaltlich nicht bestritten wurden. Soweit nunmehr die aktualisierte Version des Länderinformationsblatts zugrunde gelegt wurde, so deckt sich deren Inhalt im Wesentlichen mit den zuvor ins Verfahren eingeführten Quellen und zeigt keine Änderung in Bezug auf die im gegenständlichen Verfahren maßgeblichen Aspekte auf.
So zeigt die aktualisierte Berichtslage keine maßgebliche Verschlechterung im Hinblick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie auf; die Bewegungsfreiheit innerhalb des Landes war zuletzt nicht eingeschränkt.
Im Hinblick auf die Versorgungslage, insbesondere in Herat und Mazar-e Sharif, ergaben sich aus dem aktualisierten Länderinformationsblatt keine maßgeblichen Änderungen.
EASO geht in der Country Guidance zu Afghanistan aus Dezember 2020 nach wie vor davon aus, dass willkürliche Gewalt in Herat und Mazar- e Sharif auf so niedrigem Niveau stattfindet, dass für Zivilisten kein reales Risiko besteht, von dieser betroffen zu sein (S. 162) und die Städte über die 8km bzw. 10km außerhalb des Stadtgebietes gelegenen Flughäfen sicher erreichbar sind (S. 164). Die Zumutbarkeit einer Niederlassung in Herat und Mazar-e Sharif für alleinstehende gesunde Männer im erwerbsfähigen Alter wird im Allgemeinen nach wie vor als gegeben erachtet (S. 173).
Bei den angeführten Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter, teilweise vor Ort agierender staatlicher und nicht staatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Afghanistan ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln. Auch wurden keine Beweismittel in Vorlage gebracht, die geeignet gewesen wären, die diesem Erkenntnis zugrunde gelegten Feststellungen zur Lage in Afghanistan zu entkräften.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
§ 1 BFA-VG, BGBl I 2012/87 idF BGBl I 2013/144 bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.
§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.
Zu A)
3.2. Zur Zurückweisung der Folgeanträge im Hinblick auf den Status der Asylberechtigten wegen entschiedener Sache (Spruchpunkte I. der angefochtenen Bescheide):
3.2.1. Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung bzw. Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 und 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.
Verschiedene Sachen im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG liegen vor, wenn in der für den Vorbescheid maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid als maßgebend erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist oder wenn das neue Parteibegehren von dem früheren (abgesehen von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind) abweicht (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266). Liegt keine relevante Änderung der Rechtslage oder des Begehrens vor und ist in dem für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt keine Änderung eingetreten, so steht die Rechtskraft des ergangenen Bescheides dem neuerlichen Antrag entgegen und berechtigt die Behörde zu seiner Zurückweisung. Ist also eine Sachverhaltsänderung, die eine andere rechtliche Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 21.09.2000, 98/20/0564).
Auch Bescheide, die - auf einer unvollständigen Sachverhaltsbasis ergangen - in Rechtskraft erwachsen sind, sind verbindlich und nur im Rahmen des § 69 Abs. 1 AVG einer Korrektur zugänglich. Einem zweiten Asylantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, steht die Rechtskraft des über den ersten Antrag absprechenden Bescheides entgegen (VwGH 10.06.1998, 96/20/0266 mit Hinweis auf VwGH 24.03.1993, 92/12/0149).
Könnten die behaupteten neuen Tatsachen, gemessen an der dem rechtskräftigen Bescheid zugrunde liegenden Rechtsanschauung, zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, so bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubwürdigkeit (Hinweis E 26. Juli 2005, 2005/20/0343; gegen den bloßen Verweis auf den inhaltlichen Zusammenhang mit dem im Erstverfahren als unglaubwürdig erachteten Vorbringen zuletzt E 27. September 2005, 2005/01/0363). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass das neue Vorbringen in einem inhaltlichen Zusammenhang mit den im Erstverfahren nicht geglaubten Behauptungen stand. Ein solcher Zusammenhang kann für die Beweiswürdigung der behaupteten neuen Tatsachen argumentativ von Bedeutung sein, macht eine Beweiswürdigung des neuen Vorbringens aber nicht von vornherein entbehrlich oder gar - in dem Sinn, mit der seinerzeitigen Beweiswürdigung unvereinbare neue Tatsachen dürften im Folgeverfahren nicht angenommen werden - unzulässig (VwGH 29.09.2005, 2005/20/0365).
§ 68 Abs. 1 AVG soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderungen der Sach- oder Rechtslage) verhindern. Die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die "entschiedene Sache", also durch die Identität der Verwaltungssache, über die bereits mit einem formell rechtskräftigen Bescheid abgesprochen wurde, mit der im neuen Antrag intendierten bestimmt. Identität der Sache liegt dann vor, wenn einerseits weder in der Rechtslage noch in den für die Beurteilung des Parteibegehrens maßgeblichen tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist und sich andererseits das neue Parteibegehren im Wesentlichen (von Nebenumständen, die für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerheblich sind, abgesehen) mit dem früheren deckt. Dabei kommt es allein auf den normativen Inhalt des bescheidmäßigen Abspruches des rechtskräftig gewordenen Vorbescheides an. In Bezug auf wiederholte Asylanträge muss die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen glaubhaften Kern aufweisen, dem Asylrelevanz zukommt und an den die positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Danach kann nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtliche Relevanz zukäme. Die Behörde hat sich mit der behaupteten Sachverhaltsänderung bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit der (neuerlichen) Antragstellung insoweit auseinander zu setzen, als von ihr - gegebenenfalls auf der Grundlage eines durchzuführenden Ermittlungsverfahrens - festzustellen ist, ob die neu vorgebrachten Tatsachen zumindest einen (glaubhaften) Kern aufweisen, dem für die Entscheidung Relevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mit Hinweisen auf VwGH 29.01.2008, 2005/11/0102 mwN; und VwGH 16.02.2006, 2006/19/0380, mwN; VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; 25.04.2017, Ra 2016/01/0307).
Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit den angefochtenen Bescheiden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten zurückgewiesen hat, ist Gegenstand der vorliegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts insofern nur die Beurteilung der Rechtmäßigkeit dieser Zurückweisung, nicht aber der zurückgewiesene Antrag selbst. Zu prüfen ist demnach, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist (vgl. VwGH 22.11.2017, Ra 2017/19/0198, mwN).
Diese Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH 24.06.2014, Ra 2014/19/0018). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesverwaltungsgericht somit nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0025; 24.05.2018, Ra 2018/19/0234).
Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist auch vom VwG von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt (vgl. VwGH 17.02.2015, Ra 2014/09/0029). Auch das VwG hat dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid nach den vorstehenden Grundsätzen zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis (vgl. dazu etwa VwGH 09.09.2015, Ro 2015/03/0032) einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl. idS etwa VwGH 23.05.1995, 94/20/0785; vgl. VfGH vom 18.06.2014, G 5/2014 (VfSlg 19.882/2014)) (vgl. VwGH 22.02.2021, Ra 2020/18/0537 mwN.)
3.2.2. In den die Verfahren über die ersten Anträge auf internationalen Schutz abschließenden Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer keine aktuellen oder zeitnahen Verfolgungshandlungen konkret gegen ihre Person glaubhaft haben machen können und aus den Angaben der Beschwerdeführer auch keine zukünftige und wahrscheinliche Verfolgung absehbar sei. Die primär von ihrem Vater und ihrer Schwägerin vorgebrachten Verfolgungsbefürchtungen, auf welche sich auch die Beschwerdeführer, welche keine individuelle Bedrohung in Afghanistan erlebt hätten, berufen haben, wurden aufgrund näher dargestellter Widersprüche innerhalb der Vorbringen als unglaubwürdig qualifiziert.
Das Bundesamt hat in den nunmehr angefochtenen Bescheiden richtigerweise festgehalten, dass die Beschwerdeführer ihre zweiten Anträge auf internationalen Schutz jeweils aus den bereits im Vorverfahren angegebenen Gründen gestellt haben. Die Beschwerdeführer stützen sich somit auf ein Vorbringen, welches bereits in den Verfahren über die ersten Anträge auf internationalen Schutz behandelt worden ist und nicht zur Glaubhaftmachung einer asylrelevanten Gefahr geeignet gewesen ist. Neu entstandene Gründe wurden hingegen nicht behauptet.
Soweit sich die Beschwerdeführer demnach zur Begründung der gegenständlichen Folgeanträge auf internationalen Schutz auf ein Fortbestehen ihrer im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe beriefen, so wurde über dieses Vorbringen bereits rechtskräftig entschieden und darf über die mit einer rechtswirksamen Entscheidung erledigte Sache entsprechend der Judikatur des VwGH nicht neuerlich entschieden werden. Insofern die Beschwerdeführer in allgemeiner Weise erwähnten, dass ihre Feinde zwischenzeitlich an Macht gewonnen hätten und auch die im Herkunftsstaat verbliebenen Verwandten mittlerweile Probleme bekommen hätten, so handelt es sich hierbei lediglich um eine Bekräftigung des bereits im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren als unglaubwürdig qualifizierten Vorbringens, welches zudem keine konkrete Betroffenheit der Beschwerdeführer erkennen lässt, sodass auch dieses Vorbringen nicht geeignet ist, eine neuerliche inhaltliche Prüfung hinsichtlich des Status der Asylberechtigten erforderlich werden zu lassen.
Die vom Erstbeschwerdeführer und vom Zweitbeschwerdeführer im nunmehrigen Verfahren erstmals angesprochenen Vorfälle einer sexuellen Belästigung durch ältere Männer im Kindsalter haben ebenfalls bereits im Zeitraum des ersten Verfahrens vorgelegen und stellen demnach keine neu entstandenen Sachverhaltselemente dar. Im Übrigen schilderten die Beschwerdeführer jeweils einmalig im Kindesalter vor rund einem Jahrzehnt erlebte Belästigungen, an welche sie keine aktuellen Rückkehrbefürchtungen knüpften. Auch von Amts wegen ist nicht zu erkennen, dass die zwischenzeitlich volljährigen Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr von einer Verfolgung in Zusammengang mit diesen Vorfällen bedroht wären oder neuerlich einer gleichgelagerten Bedrohung ausgesetzt sein würden.
Auch im Hinblick auf eine Bedrohung wegen ihrer schiitischen Religion sowie ihres Aufenthalts im Ausland haben die Beschwerdeführer keine neu entstandenen Rückkehrbefürchtungen dargetan und haben auch sonst nicht aufgezeigt, dass nunmehr ein Sachverhalt eingetreten wäre, welcher es gebieten würde, von der Feststellung in den Erkenntnissen vom 08.08.2019, demnach eine individuelle oder generelle Verfolgung der Beschwerdeführer als Schiiten bzw. als Rückkehrer aus dem westlichen Ausland nicht festzustellen gewesen sei, abzuweichen. Auch aus den vorliegenden Länderberichten ergeben sich keine Änderungen in diesem Zusammenhang. Die Beschwerdeführer haben jeweils auch nicht konkret vorgebracht, in wie weit sich ihre Lebensweise seit rechtskräftigem Abschluss des ersten Verfahrens allenfalls geändert hätte, um nunmehr vor diesem Hintergrund eine gezielte Bedrohung annehmen zu können.
Soweit die Beschwerdeführer generell auf die Sicherheitslage in Afghanistan verwiesen haben, ist festzuhalten, dass sie eine mögliche individuelle Betroffenheit in diesem Zusammenhang auch im nunmehrigen Verfahren nicht aufgezeigt haben.
Das oben dargestellte (Beschwerde)Vorbringen vermag im nunmehr gegenständlichen Verfahrensgang daher keinen neuen Sachverhalt, welcher eine neue Sachentscheidung im Hinblick auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als zulässig erscheinen ließe, zu begründen, weshalb im gegenständlichen Fall - wie auch bereits von der belangten Behörde zutreffend ausgeführt - nicht von einer behaupteten entscheidungsrelevanten Sachverhaltsänderung nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens auszugehen ist. In der Beschwerde wurde in diesem Zusammenhang nichts dargetan, was dieser Annahme entgegenstehen würde.
3.3. Zur Abweisung der Anträge im Hinblick auf die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten:
3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, 1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder 2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg.cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg.cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg.cit. zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg.cit.) offen steht.
Nach § 11 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz von Asylwerbern, denen in einem Teil ihres Herkunftsstaates vom Staat oder sonstigen Akteuren, die den Herkunftsstaat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebietes beherrschen, Schutz gewährleistet werden kann und denen der Aufenthalt in diesem Teil des Staatsgebietes zugemutet werden kann, abzuweisen (Innerstaatliche Fluchtalternative). Schutz ist gewährleistet, wenn in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates keine wohlbegründete Furcht nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen kann und die Voraussetzungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG 2005) in Bezug auf diesen Teil des Herkunftsstaates nicht gegeben sind.
3.3.2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 2 oder 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) insbesondere einer gegen Art. 2 oder 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053, mwN).
Herrscht im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, so liegen stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vor, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände (Gefährdungsmomente) dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein – im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen – höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, mwN insbesondere zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Europäischen Gerichtshofes).
Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen (vgl. VwGH 19.06.2017, Ra 2017/19/0095). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.05.2016, Ra 2016/19/0036, mwN; 08.09.2016, Ra 2016/20/006).
In diesem Zusammenhang ist auf die ständige Judikatur des EGMR hinzuweisen, wonach es – abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde – grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf das Urteil des EGMR vom 05.09.2013, I gegen Schweden, Nr. 61 204/09; s. dazu zuletzt auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, 93/18/0214).
Der Verwaltungsgerichtshof hat zuletzt mit Erkenntnis vom 21.05.2019, Ro 2019/19/0006-3, mit Bezug auf das Erkenntnis vom 06.11.2018, Ra 2018/01/0106, in welchem näher ausgeführt worden war, dass zu den vom Unionsrecht vorgegebenen Rahmenbedingungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz allein die Rechtsprechung des EuGH maßgeblich sei, klargestellt, dass eine Interpretation, mit der die Voraussetzungen der Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 mit dem in der Judikatur des EuGH dargelegten Verständnis des subsidiären Schutzes nach der Statusrichtlinie in Übereinstimmung gebracht würde, die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer – unionsrechtlich nicht geforderten – Auslegung contra legem führen würde, wodurch der Statusrichtlinie eine ihr im gegebenen Zusammenhang nicht zukommende unmittelbare Wirkung zugeschrieben werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hielt demnach zuletzt an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat – wenn auch diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird – die Zuerkennung subsidiären Schutzes begründen kann (vgl. Rz 44 aaO.).
Für den hier in Rede stehenden Herkunftsstaat Afghanistan hat der Verwaltungsgerichtshof jüngst mehrfach auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen, wonach die allgemeine Situation in Afghanistan nicht so gelagert ist, dass schon alleine die Rückkehr eines Antragstellers dorthin eine ernsthafte Bedrohung für die durch Art. 3 EMRK geschützten Rechte bedeuten würde (vgl. dazu VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134; 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 13.09.2016, Ra 2016/01/0096; 25.4.2017, Ra 2017/01/0016; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; jeweils mit zahlreichen Hinweisen auf die seit 2013 bestehende Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte).
In diesem Sinn hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner jüngeren zum Herkunftsstaat Afghanistan ergangenen Rechtsprechung wiederholt und unter Bezugnahme auf die diesbezügliche ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesprochen, dass es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. VwGH 23.02.2016, Ra 2015/01/0134, mit Verweis auf EGMR 05.09.2013, I gegen Schweden, Appl. 61204/09; siehe dazu auch VwGH 18.03.2016, Ra 2015/01/0255; 19.06.2017, Ra 2017/19/0095; 05.12.2017, Ra 2017/01/0236;).
Selbst wenn einem Antragsteller in seiner Herkunftsregion eine Art. 3 EMRK-widrige Situation drohen sollte, ist seine Rückführung dennoch möglich, wenn ihm in einem anderen Landesteil seines Herkunftsstaates eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung steht (§ 11 AsylG 2005). Ihre Inanspruchnahme muss dem Fremden zumutbar sein (Prüfung der konkreten Lebensumstände am Zielort). Dass das mögliche Vorliegen einer innerstaatlichen Fluchtalternative auch bei der Prüfung des subsidiären Schutzes zu berücksichtigen ist, ergibt sich aus dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 AsylG 2005, wonach sich die innerstaatliche Fluchtalternative, die als ein Kriterium u.a. die Zumutbarkeit des Aufenthalts in einem bestimmten Teil des Staatsgebietes vorsieht, auf den „Antrag auf internationalen Schutz“ und somit auch auf jenen auf Zuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten bezieht (vgl. hierzu auch VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0233).
Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 123, mwN). Weiters entspricht es in Bezug auf Afghanistan der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er keine Angehörigen in Afghanistan hat (vgl. auch dazu VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 124, mwN; 31.10.2019, Ra 2019/20/0309).
Zur Beurteilung der Rückkehrsituation sind laut höchstgerichtlicher Rechtsprechung hinreichend aktuelle Länderberichte heranzuziehen; dies betrifft insbesondere Staaten mit sich rasch ändernder Sicherheitslage (vgl. etwa VfSlg. 19.466/2011; VfGH 21.09.2012, U 1032/12; 26.06.2013, U 2557/2012; 11.12.2013, U 1159/2012 ua.; 11.03.2015, E 1542/2014; 22.09.2016, E 1641/2016; 23.09.2016, E 1796/2016; 27.02.2018, E 2124/2017; 12.12.2019, E 3369/2019-9). Im Zusammenhang mit der Prüfung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ordnet Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie) an, dass genaue und aktuelle Informationen aus relevanten Quellen, wie etwa Informationen des UNHCR oder des EASO, eingeholt werden; diesen misst das Unionsrecht auch sonst besonderes Gewicht bei (vgl. zB auch Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes [Verfahrensrichtlinie] und etwa EuGH 30.05.2013, Rs. C-528/11 , Halaf, Rz 44). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfSlg. 20.021/2015, 20.166/2017; VfGH 24.09.2018, E 761/2018; 30.11.2018, E 3870/2018; VfGH 12.12.2019, E 3369/2019-9) und des Verwaltungsgerichtshofes (jüngst etwa VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 07.06.2019, Ra 2019/14/0114; 31.10.2019, Ra 2019/20/0309) ist diesen Berichten daher besondere Beachtung zu schenken.
3.3.3. Zunächst ist festzuhalten, dass die Behörde angesichts der Entwicklung der Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat (insbesondere unter Berücksichtigung der Covid-19-Pandemie) sowie der geänderten familiären Lage der Beschwerdeführer (insbesondere Wegzug der zuletzt in Herat ansässigen Verwandten) in Bezug auf die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten zurecht eine inhaltliche Behandlung der Folgeanträge vorgenommen hat.
Was die generelle Sicherheitslage für die Zivilbevölkerung betrifft, ist festzuhalten, dass Herat und Mazar-e Sharif jeweils in einer Provinz mit einer im landesweiten Vergleich stabilen Sicherheitslage mit einer in Relation zur Einwohnerzahl vergleichsweise geringen Anzahl an zu verzeichnenden sicherheitsrelevanten Vorfällen gelegen sind. Die Beschwerdeführer können Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher und legal mit dem Flugzeug erreichen. Entsprechend den aktuellen Länderinformationen im EASO-Leitfaden werden auch die Straßen zwischen dem etwas außerhalb der Stadtgebiete gelegenen internationalen Flughäfen und der Stadt während des Tages als sicher eingestuft (vgl. EASO, Country Guidance 2020, 164). Die afghanische Regierung hat die Kontrolle über Herat und Mazar-e Sharif und es besteht trotz vereinzelten Anschlägen und Angriffen regierungsfeindlicher Gruppen keine derartige Gefahrenlage, die ein reales Risiko für eine Beeinträchtigung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der Beschwerdeführer darstellen würde, eine Einschätzung, die zuletzt auch von EASO geteilt wurde (vgl. EASO, Country Guidance 2020, 162; wonach willkürliche Gewaltausübung in Herat und Mazar-e Sharif bloß auf so niedrigem Niveau stattfinde, dass für Zivilpersonen kein reales Risiko besteht, Opfer nicht zielgerichteter Gewalt zu werden).
Die Schlussfolgerung, dass Angehörigen der Personengruppe gesunder alleinstehender Männer im erwerbsfähigen Alter, welche die Verkehrssprache(n) Afghanistans beherrschen und mit den Gepflogenheiten Afghanistans grundlegend vertraut sind, eine eigenständige Erwirtschaftung ihres Lebensunterhalts in urbanen und semi-urbanen Gebieten ihres Heimatlandes grundsätzlich auch ohne externe Unterstützung durch ein soziales Netz möglich ist, ergibt sich aus einer Gesamtschau der dargelegten Länderinformationen und deckt sich mit den jüngsten Einschätzungen von EASO und UNHCR (vgl. UNHCR 2018, 124 f; EASO Country Guidance 2020, 174). Diese Auffassung wurde auf Basis der dargestellten Berichtslage sowie unter Berücksichtigung der jüngeren Auswirkungen der Covid-19-Pandemie zuletzt auch von den nationalen Höchstgerichten vertreten (vgl. etwa in Bezug auf Herat bzw. Mazar-e Sharif VwGH 24.09.2020, Ra 2020/20/0334-6; 14.09.2020, Ra 2019/14/0350-6; 30.02.2020, Ra 2019/01/0488; 29.01.2020, Ra 2019/18/0258; 05.11.2019, Ra 2019/01/0348-7; 07.05.2019, Ra 2019/20/0144; 06.05.2019, Ra 2019/14/0192; 30.04.2019, Ra 2018/14/0356; 29.04.2019, Ra 2019/20/0154; 25.04.2019, Ra 2019/19/0133; 12.04.2019, Ra 2019/18/0133; 10.04.2019, Ra 2019/20/0153; 14.03.2019, Ra 2019/18/0079; 28.02.2019, Ra 2019/14/0049; in Bezug auf Kabul VwGH 29.04.2019, Ra 2019/20/0175; ohne ausdrückliche Bezugnahme auf eine dieser Städte VwGH 31.10.2019; Ra 2019/20/0309; 29.04.2019, Ra 2019/01/0142; mit Bezugnahme auf die Covid-19-Pandemie VwGH 12.04.2021, Ra 2021/14/0082-8; 18.12.2020, Ra 2020/20/0384-9; 18.12.2020, Ra 2020/20/0416-6; 17.12.2020, Ra 2020/18/0480-6; 09.11.2020, Ra 2020/20/0373-7; 05.10.2020, Ra 2020/20/0329-6; 01.10.2020, Ra 2020/19/0196-8; 07.09.2020, Ra 2020/01/0273-7; 27.07.2020, Ra 2020/01/0130; 16.07.2020, Ra 2020/18/0231-5; siehe auch die Beschwerdeablehnungen des VfGH vom 25.02.2019, E 4009/2018-10; 26.02.2019, E 370/2019-7 sowie VfGH 06.10.2020, E 2406/2020-13).
Wie an anderer Stelle dargelegt, handelt es sich bei den Beschwerdeführern um Männer im Alter von 21, 20 und 29 Jahren, welche jeweils an keinen schwerwiegenden Erkrankungen leiden, die sie in ihrer Möglichkeit, ihren Alltag selbständig zu bewältigen und am Erwerbsleben teilzunehmen, einschränken würden. Sowohl der Zweitbeschwerdeführer als auch der Drittbeschwerdeführer haben im gesamten Verfahren keine gesundheitlichen Probleme erwähnt und keine medizinische Behandlung im Bundesgebiet in Anspruch genommen. Der Erstbeschwerdeführer hat seinen Angaben zufolge nach Erhalt des das erste Verfahren abschließenden Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts im September 2019 einen Suizidversuch unternommen und sich im Anschluss fünf Tage in stationärer Behandlung in einem Landesklinikum befunden. Er nahm er laut seinen Angaben zwei bis drei Termine bei einem Psychologen wahr, befindet sich jedoch seither nicht mehr in Behandlung und nimmt keine Medikamente ein.
Es hat sich demnach kein Anhaltspunkt dafür ergeben, dass sich der Erstbeschwerdeführer, welcher sich nicht in ständiger stationärer Pflege befand, zuletzt in einem schwerwiegenden Krankheitszustand befunden oder eine akut lebensnotwendige Behandlung durchlaufen hat, welche er in Afghanistan nicht ausreichend zeitnah fortsetzen könnte. Es kann demnach – mangels einer aktuell in Anspruch genommenen Behandlung – nicht erkannt werden, dass sich der psychische Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers als derart eingeschränkt erweist, als dass er vor diesem Hintergrund im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat eine unzumutbare Verschlechterung seines Gesundheitszustandes zu befürchten hätte oder in eine ausweglose Lage geraten würde. Ebensowenig haben sich Hinweise auf eine Einschränkung seiner Erwerbsfähigkeit aus gesundheitlichen Gründen ergeben. Entsprechende Rückkehrbefürchtungen wurden vom Erstbeschwerdeführer nicht geäußert. Laut den vorliegenden Länderberichten bestehen überdies auch in Afghanistan und speziell in Herat Möglichkeiten zur Behandlung psychischer Erkrankungen, sodass dem Erstbeschwerdeführer im Bedarfsfall auch im Herkunftsstaat die (neuerliche) Aufnahme einer Therapie offen stehen würde.
Was die gesundheitliche Situation des Erstbeschwerdeführers betrifft, ist zudem grundsätzlich festzuhalten, dass nach der ständigen Rechtsprechung im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).
Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. EGMR 13.12.2016, 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 189 ff).
Eine akute lebensbedrohende Krankheit des Erstbeschwerdeführers, welche eine Überstellung gemäß der dargestellten Judikatur des EGMR verbieten würde, liegt im konkreten Fall nicht vor. Auch wurde nicht substantiiert dargelegt, dass sich der Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers im Falle einer Überstellung verschlechtern würde. Es ist nicht der Fall, dass sich der Erstbeschwerdeführer zuletzt in dauernder stationärer Behandlung befunden hätte oder auf Dauer nicht reisefähig gewesen wäre.
Durch eine Abschiebung des Erstbeschwerdeführers wird Art. 3 EMRK somit nicht verletzt. Es reicht jedenfalls aus, wenn medizinische Behandlungsmöglichkeiten im Land der Abschiebung verfügbar sind, was in Afghanistan (Herat, Mazar-e Sharif) der Fall ist. Dass die Behandlung im Herkunftsstaat nicht den gleichen Standard wie in Österreich aufweist oder unter Umständen auch kostenintensiver ist, ist nicht relevant.
Überdies ist festzuhalten, dass die österreichische Fremdenpolizeibehörde bei der Durchführung einer Abschiebung im Falle von bekannten Erkrankungen des Fremden durch geeignete Maßnahmen dem jeweiligen Gesundheitszustand Rechnung zu tragen hat. Insbesondere erhalten kranke Personen eine entsprechende Menge der benötigten verordneten Medikamente. Anlässlich einer Abschiebung werden von der Fremdenpolizeibehörde auch der aktuelle Gesundheitszustand und insbesondere die Transportfähigkeit beurteilt sowie gegebenenfalls bei gesundheitlichen Problemen entsprechende Maßnahmen gesetzt. Bei Vorliegen schwerer psychischer Erkrankungen und insbesondere bei Selbstmorddrohungen werden geeignete Vorkehrungen zur Verhinderung einer Gesundheitsschädigung getroffen (vgl. in diesem Sinne VwGH 18.05.2018, Ra 2018/01/0189-7, mit Hinweis auf EuGH 16.02.2017, C.K. u.a./Slowenien, C-578/16 P PU).
Zum vorgebrachten Suizidversuch des Erstbeschwerdeführers im September 2019 (Hinweise auf eine aktuelle Suizidalität bestehen jedoch nicht) ist zu ergänzen, dass der EGMR im Urteil vom 30.06.2015, A.S. v. Switzerland, no. 39350/13, seine ständige Rechtsprechung bestätigt, dass ein Staat selbst dann nicht verpflichtet ist, von der Durchsetzung einer Ausweisung Abstand zu nehmen, wenn die betroffene Person Selbstmord angekündigt hat, sofern konkrete Vorkehrungen zur Verhinderung dieser Drohung getroffen werden (mit Hinweis auf Dragan and Others v. Germany (dec.), no. 33743/03, 07.10.2004; Karim v. Sweden (dec.), no. 24171/05, 04.07.2006; und Kochieva and Others v. Sweden (dec.), no. 75203/12, 30.4.2013), wobei dies auch gilt, wenn Antragsteller bereits zuvor Selbstmordversuche unternommen haben (Goncharova and Alekseytsev v. Sweden (dec.), no 31246/06, 3.5.2007; and A.A. v. Sweden (dec.), no. 8594/04, § 71, 02.09.2008).
Der Gesundheitszustand des Erstbeschwerdeführers steht einer Rückkehr in den Herkunftsstaat daher nicht entgegen.
Bei den Beschwerdeführern handelt es sich jeweils um junge Männer ohne physische Vorerkrankungen, sodass diese keiner Hochrisikogruppe für einen schwerwiegenden Verlauf einer möglichen Covid-19-Infektion angehören. Auch aus der Verbreitung von Covid-19 in Afghanistan kann aufgrund der Zahl der Infektionen sowie des typischen Krankheitsverlaufes und der persönlichen Situation der Beschwerdeführer (insbesondere deren Alter und Gesundheitszustand), sowie des Umstandes, dass der afghanische Staat auf die Situation reagierte, nicht abgeleitet werden, dass die Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Gefahr iSd Art. 2 bzw. 3 EMRK ausgesetzt wären (vgl. in diesem Sinn nochmals VwGH 27.07.2020, Ra 2020/01/0130; 16.07.2020, Ra 2020/18/0231-5; 01.07.2020, Ra 2020/14/0266-4; siehe auch VfGH 26.06.2020, E 1558/2020-12, zur Verpflichtung der Vollzugsbehörde, bei der Durchführung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme Art. 3 EMRK, insbesondere im Hinblick auf die Covid-19-Situation im Herkunftsstaat, zu beachten).
Die Beschwerdeführer beherrschen Dari auf muttersprachlichem Niveau, sind mit den Gegebenheiten in Afghanistan und speziell in Herat vertraut und haben in Afghanistan eine Schule besucht. Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer haben auch in Österreich eine Schule besucht, der Drittbeschwerdeführer hat bereits in Afghanistan und im Iran in unterschiedlichen Bereichen gearbeitet und den Lebensunterhalt für sich und weitere Familienmitglieder selbständig bestreiten können. Es ist demnach nicht zu erkennen, weshalb es den Beschwerdeführern bei einer Rückkehr nach Herat oder einer alternativen Niederlassung in Mazar-e Sharif nicht möglich sein sollte, (abermals) eigenständig für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Selbst wenn man deren Angaben folgt, wonach zwischenzeitlich sämtliche Angehörige ihrer Herkunftsfamilie Herat bzw. Afghanistan verlassen hätten, führt dies zu keiner anderen Beurteilung, zumal die Beschwerdeführer als junge, gesunde Männer im berufsfähigen Alter ohne festgestellten besonderen Schutzbedarf jeweils in der Lage sein werden, selbständig für ihren Lebensunterhalt aufzukommen.
Wenn es sich beim Drittbeschwerdeführer auch um keinen alleinstehenden Mann handelt, so ist festzuhalten, dass dieser mit einer in Österreich lebenden, hier asylberechtigten Frau verheiratet ist, welche ihren Lebensunterhalt bereits bisher unabhängig von einer Unterstützung durch den Drittbeschwerdeführer bestreitet und deren Rückkehr nach Afghanistan nicht im Raum steht, sodass die Ehe des Drittbeschwerdeführers bei Beurteilung seiner Rückkehrsituation zu keinem anderen Ergebnis führt.
Zudem ist zu betonen, dass die Beschwerdeführer alle im gleichen Umfang von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen bedroht wären und die Möglichkeit hätten, gemeinsam in den Herkunftsstaat zurückzukehren, einen gemeinsamen Wohnsitz zu begründen und sich beim Aufbau einer Existenz gegenseitig zu unterstützen, sodass sie bei einer Rückkehr nach Herat oder einer alternativen Ansiedelung in Mazar-e Sharif auch nicht auf sich alleine gestellt wären. Insbesondere der Drittbeschwerdeführer, welcher bis zum Alter von 20 Jahren in Herat lebte, dort eine zwölfjährige Schulbildung absolvierte und durch Ausübung einer Erwerbstätigkeit selbständig für seinen Lebensunterhalt sorgen konnte, wird seinen jüngeren Brüdern, welche mit den Gegebenheiten in Herat ebenfalls grundsätzlich vertraut sind, bei der anfänglichen Orientierung behilflich sein können. Die vorgebrachte langjährige Ortsabwesenheit steht einer Rückkehr demnach nicht entgegen.
Außerdem können die Beschwerdeführer durch die Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe zumindest übergangsweise in Herat oder Mazar-e Sharif das Auslangen finden; deshalb ist auch nicht zu befürchten, dass sie bereits unmittelbar nach ihrer Rückkehr und noch bevor sie in der Lage wären, selbst für ihren Unterhalt zu sorgen, in eine existenzbedrohende bzw. wirtschaftlich ausweglose Lage geraten könnten. Es gibt somit keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer im Fall einer Rückkehr nach Herat oder Niederlassung in Mazar-e Sharif in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (z.B. Nahrung, Unterkunft) einer ausweglosen bzw. existenzbedrohenden Situation ausgesetzt wären. Gleichermaßen würden diese in Mazar-e Sharif zumutbare Lebensbedingungen vorfinden.
Dies auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Covid-19-Pandemie, zumal die vorliegenden Berichte nicht aufzeigen, dass die Grundversorgung und der Arbeitsmarkt in den in Frage kommenden urbanen Gebieten generell zusammengebrochen wären und die Beschwerdeführer auch nicht dargelegt haben, dass sie im Vergleich zur afghanischen Durchschnittsbevölkerung im besonderem Maße von diesen betroffen sein würden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat überdies zuletzt festgehalten, dass der bloße Verweis auf wirtschaftliche Auswirkungen der Maßnahmen zur Bekämpfung der Verbreitung des SARS-CoV-2 Virus, ohne aufzuzeigen, von welchen konkreten Auswirkungen der Beschwerdeführer betroffen gewesen wäre, keine exzeptionellen Umstände darlegt, nach denen im Fall der Ansiedelung in den als innerstaatliche Fluchtalternative in Afghanistan in Betracht kommenden Orten die reale Gefahr einer drohenden Verletzung seiner durch Art. 2 oder Art. 3 EMRK garantierten Rechte zu gewärtigen oder die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative unzumutbar wäre (vgl. VwGH 05.10.2020, Ra 2020/20/0329-6, Rz 10ff). In diesem Zusammenhang ist zudem darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung bereits klargestellt wurde (vgl. zuletzt VwGH 18.12.2020, Ra 2020/20/0416-6; 09.11.2020, Ra 2020/20/0373-7), dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS-CoV-2-Virus und von Erkrankungen an Covid-19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. auch VwGH 07.09.2020, Ra 2020/20/0297; 02.07.2020, Ra 2020/20/0212; 03.07.2020, Ra 2020/14/0255).
Die Beschwerdeführer haben im Verfahren jeweils keine individuellen Rückkehrbefürchtungen im Hinblick auf die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie genannt. Der Verweis in den Länderberichten auf steigende Lebensmittelpreise, den „Lockdown“ sowie den (ehemals) eingeschränkten Flugverkehr und die erschwerte Möglichkeit, Arbeit und Wohnraum zu finden – zeigt nicht auf, dass den arbeitsfähigen Beschwerdeführern die Rückkehr in die Herkunftsregion oder die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar wäre (vgl. VwGH 07.10.2020, Ra 2020/14/0432, Rz 16, mwN).
3.3.4. Schließlich ist festzuhalten, dass zwar den Eltern der (zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits volljährigen) Beschwerdeführer sowie dem ältesten Bruder, dessen Ehegattin und deren beiden Kindern, zuletzt der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden ist. Diese Entscheidungen beruhten jedoch jeweils auf individuellen Gefährdungspotentialen, welche im Fall der Beschwerdeführer, wie dargelegt, nicht vorliegen, nämlich einerseits der gesundheitlichen Situation ihres Vaters sowie andererseits der besonderen Vulnerabilität ihrer minderjährigen Angehörigen.
3.3.5. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation der Beschwerdeführer ist in einer Gesamtbetrachtung jeweils nicht zu erkennen, dass diese im Fall ihrer Abschiebung nach Afghanistan und Rückkehr nach Herat in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden. Die Prüfung der maßgeblichen Kriterien führt im konkreten Fall zu dem Ergebnis, dass den Beschwerdeführern zudem eine Ansiedelung in Mazar-e Sharif möglich und auch zumutbar ist, sodass (alternativ) auch die Voraussetzungen für die zulässige Annahme einer innerstaatlichen Schutzalternative zu bejahen sind.
Im Ergebnis erweisen sich daher die Beschwerden auch hinsichtlich Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide jeweils als nicht begründet.
3.4. Zur Erteilung eines Aufenthaltstitels und Erlassung einer Rückkehrentscheidung stellen sich die maßgeblichen Rechtsgrundlagen wie folgt dar:
3.4.1. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.
Das AsylG 2005 regelt in seinem 7. Hauptstück die Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie das Verfahren zur Erteilung derselben. Die darin enthaltenen Bestimmungen lauten auszugsweise:
„Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK
§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ zu erteilen, wenn
dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und
der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.
(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine ‚Aufenthaltsberechtigung‘ zu erteilen.
[…]
Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz
§ 57. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ zu erteilen:
wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,
zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder
wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der ‚Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz‘ zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.
(2) Hinsichtlich des Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs. 1 Z 2 und 3 hat das Bundesamt vor der Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ eine begründete Stellungnahme der zuständigen Landespolizeidirektion einzuholen. Bis zum Einlangen dieser Stellungnahme bei der Behörde ist der Ablauf der Fristen gemäß Abs. 3 und § 73 AVG gehemmt.
(3) – (4) […]
Antragstellung und amtswegiges Verfahren
§ 58. (1) Das Bundesamt hat die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn
der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt,
einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird oder
ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 ist von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird. (3) – (13) […]“
Die maßgeblichen Bestimmungen des 7. und 8. Hauptstücks des FPG lauten:
„Abschiebung
§ 46. (1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Anordnung zur Außerlandesbringung, eine Ausweisung oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag des Bundesamtes zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn
die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,
sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,
auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder
sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.
(2) – (6) [...]
Duldung
§ 46a. (1) Der Aufenthalt von Fremden im Bundesgebiet ist zu dulden, solange
deren Abschiebung gemäß §§ 50, 51 oder 52 Abs. 9 Satz 1 unzulässig ist, vorausgesetzt die Abschiebung ist nicht in einen anderen Staat zulässig;
deren Abschiebung gemäß §§ 8 Abs. 3a und 9 Abs. 2 AsylG 2005 unzulässig ist;
deren Abschiebung aus tatsächlichen, vom Fremden nicht zu vertretenen Gründen unmöglich erscheint oder
die Rückkehrentscheidung im Sinne des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG vorübergehend unzulässig ist;
es sei denn, es besteht nach einer Entscheidung gemäß § 61 weiterhin die Zuständigkeit eines anderen Staates oder dieser erkennt sie weiterhin oder neuerlich an. Die Ausreiseverpflichtung eines Fremden, dessen Aufenthalt im Bundesgebiet gemäß Satz 1 geduldet ist, bleibt unberührt.
(2) Die Duldung gemäß Abs. 1 Z 3 kann vom Bundesamt mit Auflagen verbunden werden; sie endet jedenfalls mit Wegfall der Hinderungsgründe. Die festgesetzten Auflagen sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) während des anhängigen Verfahrens mitzuteilen; über sie ist insbesondere hinsichtlich ihrer Fortdauer im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen. § 56 gilt sinngemäß.
(3) […]
(4) Bei Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 hat das Bundesamt von Amts wegen oder auf Antrag eine Karte für Geduldete auszustellen. Im Antrag ist der Grund der Duldung gemäß Abs. 1 Z 1, 2, 3 oder 4 zu bezeichnen. Die Karte dient dem Nachweis der Identität des Fremden im Verfahren vor dem Bundesamt und hat insbesondere die Bezeichnungen „Republik Österreich“ und „Karte für Geduldete“, weiters Namen, Geschlecht, Geburtsdatum, Staatsangehörigkeit, Lichtbild und Unterschrift des Geduldeten sowie die Bezeichnung der Behörde, Datum der Ausstellung und Namen des Genehmigenden zu enthalten. Die nähere Gestaltung der Karte legt der Bundesminister für Inneres durch Verordnung fest.
(5) […]
(6) Der Aufenthalt des Fremden gilt mit Ausfolgung der Karte als geduldet, es sei denn das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 wurde bereits zu einem früheren Zeitpunkt rechtskräftig festgestellt. Diesfalls gilt der Aufenthalt ab dem Zeitpunkt der Rechtskraft der Feststellung als geduldet.
[...]
Verbot der Abschiebung
§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.
(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).
(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.
[...]
Rückkehrentscheidung
§ 52. (1) (1) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich
nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält oder
nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.
(2) Gegen einen Drittstaatsangehörigen hat das Bundesamt unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn
dessen Antrag auf internationalen Schutz wegen Drittstaatsicherheit zurückgewiesen wird,
dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wirdund ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.
(3) – (8) [...]
(9) Mit der Rückkehrentscheidung ist gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.
(10) – (11) […]
[...]
Frist für die freiwillige Ausreise
§ 55. (1) Mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 wird zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt.
(1a) Eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht nicht für die Fälle einer zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 AVG sowie wenn eine Entscheidung auf Grund eines Verfahrens gemäß § 18 BFA-VG durchführbar wird.
(2) Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.
(3) Bei Überwiegen besonderer Umstände kann die Frist für die freiwillige Ausreise einmalig mit einem längeren Zeitraum als die vorgesehenen 14 Tage festgesetzt werden. Die besonderen Umstände sind vom Drittstaatsangehörigen nachzuweisen und hat er zugleich einen Termin für seine Ausreise bekanntzugeben. § 37 AVG gilt.
(4) – (5) […]“
§ 9 BFA-VG lautet wie folgt:
„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
der Grad der Integration,
die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(4) – (6) [...]“
3.4.2. Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten als auch des Status eines subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn die Rückkehrentscheidung aufgrund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt wird.
3.4.3. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen nicht vor, weil der Aufenthalt der Beschwerdeführer jeweils weder seit mindestens einem Jahr gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG geduldet noch zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen notwendig ist noch die Beschwerdeführer ein Opfer von Gewalt iSd § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG wurden. Weder haben die Beschwerdeführer das Vorliegen eines der Gründe des § 57 AsylG behauptet noch kam ein Hinweis auf das Vorliegen eines solchen Sachverhalts im Ermittlungsverfahren hervor.
Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide erwiesen sich demnach jeweils als unbegründet.
3.4.4. Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).
3.4.4.1. Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffs; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung – nunmehr Rückkehrentscheidung – nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.
Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – die oben genannten Kriterien zu berücksichtigen (vgl. VfSlg. 18.224/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).
Dem § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 liegt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Ra 2016/21/0224 vom 20.10.2016) zugrunde, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 52 FrPolG 2005 erfüllt sind. Steht der Erlassung einer solchen Maßnahme auch die gebotene Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG 2014 nicht entgegen, so hat die Rückkehrentscheidung grundsätzlich zu ergehen. Ergibt die Abwägung hingegen, dass die privaten oder familiären Interessen des Fremden das öffentliche Interesse an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung überwiegen, so hat sie zu unterbleiben; zugleich ist auszusprechen, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur vorübergehend oder auf Dauer unzulässig ist. Wird Ersteres rechtskräftig festgestellt, so ist der Aufenthalt des betreffenden Fremden damit gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 (iVm Abs. 6) FrPolG 2005 geduldet. Kommt es aber zum Ausspruch, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei auf Dauer unzulässig, so ordnet § 58 Abs. 2 AsylG 2005 für diesen Fall an, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen "zu prüfen" ist (was nach wie vor heißt, dass gegebenenfalls ein solcher "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 MRK" zu erteilen ist; Hinweis E 12. November 2015, Ra 2015/21/0101). In diesem Sinn halten die ErläutRV zur am 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Stammfassung des § 9 Abs. 3 BFA-VG 2014 (1803 BlgNR 24. GP 12) fest, "(d)ie Frage, ob eine Rückkehrentscheidung aus Gründen des Art. 8 MRK dauerhaft unzulässig ist, ist maßgeblich für die amtswegige Prüfung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005. Die dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung führt gemäß § 55 AsylG 2005 nämlich entweder zur Erteilung einer ‚Aufenthaltsberechtigung plus' gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 oder zur Erteilung einer ‚Aufenthaltsberechtigung' gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005." Der Ausspruch über die dauernde oder nur vorübergehende Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist somit nicht Selbstzweck. Es geht vielmehr darum, eine eindeutige Grundlage für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Fremden zu schaffen, sei es durch Duldung oder Erteilung des Aufenthaltstitels "aus Gründen des Art. 8 MRK" nach § 55 AsylG 2005 (Hinweis E 25. Oktober 2012, 2012/21/0030).
3.4.4.2. Die Beschwerdeführer sind jeweils kinderlos und haben keine Sorgepflichten. Die Beschwerdeführer sind gemeinsam mit ihren Eltern ins Bundesgebiet eingereist, mit welchen sie von Geburt an im gemeinsamen Haushalt gelebt haben. Die Ausreise aus Afghanistan in den Iran, der dortige vierjährige Aufenthalt sowie die anschließende Reise nach Österreich erfolgten jeweils gemeinsam im Familienverband, wobei der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer damals noch minderjährig gewesen sind. Es besteht nach wie vor ein gemeinsamer Haushalt zwischen den Beschwerdeführern und ihren Eltern, welche von den Beschwerdeführern im Alltag, etwa bei Übersetzungstätigkeiten, Arztbesuchen u.Ä., unterstützt werden. Den Eltern der Beschwerdeführer wurde mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2020 der Status von subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, sodass diese nunmehr zum (befristeten) Aufenthalt im Bundesgebiet bis zum 08.09.2021 berechtigt sind. Da die Beschwerdeführer mit ihren Eltern im gemeinsamen Haushalt leben und diese im Alltag unterstützen, ist von einer grundsätzlich schützenswerten familiären Beziehung insbesondere der ledigen und kinderlosen Erst- und Zweitbeschwerdeführer im Alter von 20 und 21 Jahren, jedoch auch des 29-jährigen Drittbeschwerdeführers zu ihren Eltern auszugehen. Es liegt daher insofern ein schützenswertes Familienleben iSd Art. 8 EMRK im Bundesgebiet vor.
Von der Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung auf Dauer wird gemäß VwGH, Ra 2018/18/0260 vom 13.12.2018 regelmäßig auszugehen sein, wenn familiäre Bindungen zu einer Ankerperson einer Aufenthaltsbeendigung entgegenstehen und anzunehmen ist, dass sich diese Ankerperson weiterhin auf Dauer rechtmäßig im Bundesgebiet aufhalten wird. Ist das nicht der Fall und kommt der Ankerperson nur ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht zu, so liegt dagegen nur eine vorübergehende Unzulässigkeit vor (VwGH 25.10.2012, 2012/21/0030). Im vorliegenden Fall endet die Aufenthaltsberechtigung der Eltern der Beschwerdeführer als subsidiär Schutzberechtigte mit 08.09.2021, wobei angesichts der sich gegenwärtig abzeichnenden Stabilisierung der Coivid-19-Pandemie nicht auszuschließen ist, dass eine Rückkehr des Vaters der Beschwerdeführer vor dem Hintergrund seiner gesundheitlichen Situation künftig möglich sein könnte. Die diesbezügliche Beurteilung wird unter Berücksichtigung der dann gegebenen individuellen gesundheitlichen Situation des Vaters sowie der Lage im Herkunftsstaat vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Verfahren über die Verlängerung des Schutzstatus zu beurteilen zu sein.
Desweiteren leben ein älterer Bruder mit dessen Familie als subsidiär Schutzberechtigte sowie eine volljährige Schwester als Asylberechtigte im Bundesgebiet, zu welchen jeweils eine Beziehung wie sie zwischen volljährigen Geschwistern üblich ist, jedoch kein spezielles Nahe- oder Abhängigkeitsverhältnis, vorliegt.
Der Drittbeschwerdeführer hat im August 2019 die Ehe mit einer in Österreich asylberechtigten afghanischen Staatsbürgerin geschlossen und mit dieser rund acht Monate in einem gemeinsamen Haushalt gelebt. Aktuell besteht – laut Angaben des Drittbeschwerdeführers aufgrund seiner aufenthaltsrechtlichen und finanziellen Situation – kein gemeinsamer Haushalt mehr zwischen diesem und seiner Ehegattin, sondern er lebt wieder im Haushalt seiner Eltern in Oberösterreich, während seine Ehegattin bei ihrer Schwester in Wien wohnt. Die neuerliche Begründung eines gemeinsamen Wohnsitzes sei jedoch geplant. Die Schutzbedürftigkeit der bestehenden familiären Beziehung ist allerdings durch den Umstand gemindert, dass weder der Drittbeschwerdeführer noch seine nunmehrige Ehefrau damit rechnen durften, dass der Drittbeschwerdeführer nach der im Ergebnis nicht berechtigten Stellung eines Asylantrages in Österreich und der Eheschließung der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet gestattet wird. Der Drittbeschwerdeführer hat die Ehe zu einem Zeitpunkt geschlossen, als in Bezug auf seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz bereits eine abweisende Entscheidung des Bundesamtes unter gleichzeitigem Ausspruch einer Rückkehrentscheidung ergangen war, wobei er seinen Angaben zufolge am Tag der traditionellen Eheschließung die abweisende Beschwerdeentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts erhalten hätte. Insofern musste er zu diesem Zeitpunkt sowie zum Zeitpunkt der folgenden standesamtlichen Eheschließung im hohen Maß mit einer Beendigung seines Aufenthalts rechnen, sodass die in dieser Situation begründete Ehe keine maßgebliche Schutzwürdigkeit besitzt (vgl. zum Bewusstsein der Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe bzw. zum Zeitpunkt des Eingehens einer Lebensgemeinschaft VwGH 21.04.2021, Ra 2021/18/0137; 14.10.2019, Ra 2019/18/0396; VwGH 21.12.2020, Ra 2020/14/0518; sowie VwGH 10.03.2021, Ra 2021/19/0060, jeweils mwN).
Eine Trennung der Ehepartner ist zufolge VwGH Ra 2019/19/0114 vom 25.04.2019 nur dann gerechtfertigt, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie etwa bei Straffälligkeit des Fremden (Hinweis E 11. November 2013, 2013/22/0224; E 7. Mai 2014, 2012/22/0084) oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regelungen über eine geordnete Zuwanderung und den "Familiennachzug" (Hinweis E 18. Oktober 2012, 2011/23/0503). Da beiden Ehepartnern, wie dargelegt, die fehlende Berechtigung des Drittbeschwerdeführers zum Aufenthalt zum Zeitpunkt der Eheschließung bewusst war und das Familienleben des kinderlosen Ehepaars angesichts der Wohnsitze in verschiedenen Bundesländern gegenwärtig zudem nur in vergleichsweise geringer Intensität ausgeprägt ist, liegen daher die Voraussetzungen für die Trennung der Ehepartner im Sinne der zitierten Rechtsprechung vor.
Es liegt daher unter dem Aspekt des Rechts der Beschwerdeführer auf Achtung des Familienlebens derzeit eine (bloß) vorübergehende Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung bis 08.09.2021 vor.
3.4.4.3.1 Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen eines Menschen zu verstehen (vgl. EGMR 15.01.2007, Sisojeva ua. gegen Lettland, Appl. 60654/00). In diesem Zusammenhang kommt dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.
Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst der verstrichene Zeitraum im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art 8 MRK, ÖJZ 2007, 852 ff). Die zeitliche Komponente ist insofern wesentlich, als – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/01/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“. Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055, mwH).
Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216, mwH).
3.4.4.3.2. Die unbescholtenen Beschwerdeführer waren jeweils seit ihrer Antragstellung im Oktober 2015 auf Grund des vorläufigen Aufenthaltsrechts in ihren Asylverfahren rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Infolge des rechtskräftigen Abschlusses der Verfahren über ihre ersten Anträge auf internationalen Schutz und Erlassung von Rückkehrentscheidungen mit rechtskräftigen Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 08.08.2019 sowie Ablehnung der Behandlung einer gegen diese Erkenntnisse eingebrachten Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 21.01.2020, Zahl: E 193-202/2020-6, verblieben diese nach Ablauf der gesetzten Frist für die freiwillige Ausreise im Bundesgebiet und stellten die gegenständlichen (unbegründeten) Folgeanträge. Es liegt somit jedenfalls kein Fall vor, in dem die öffentlichen Interessen an der Einhaltung der einreise- und fremdenrechtlichen Vorschriften sowie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung angesichts der langen Verfahrensdauer oder der langjährigen Duldung des Aufenthaltes im Inland nicht mehr hinreichendes Gewicht haben, die Rückkehrentscheidung als „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig“ erscheinen zu lassen (vgl. VfSlg. 19.752/2013; EGMR 04.12.2012, Butt gegen Norwegen, Appl. 47017/09). Vielmehr liegt die seitherige Aufenthaltsdauer im Verantwortungsbereich der Beschwerdeführer, welche trotz der im September 2019 ausgesprochenen Rückkehrentscheidung unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieben sind.
Die Beschwerdeführer haben ihren Lebensunterhalt während der gesamten Aufenthaltsdauer im Rahmen der Grundversorgung sowie durch Unterstützung von Freunden bestritten und waren bislang nicht selbsterhaltungsfähig. Eine aktuelle berufliche Eingliederung liegt bei keinem der Beschwerdeführer vor.
Alle Beschwerdeführer haben sich jedoch um eine Integration im Bundesgebiet bemüht und sich jeweils fortgeschrittene Kenntnisse der deutschen Sprache angeeignet.
Der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer haben jeweils im September 2020 eine ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Niveau B1 bestanden. Im März 2021 haben diese jeweils das ÖSD-Zertifikat B2 absolviert und „gut bestanden.“ Zuletzt haben diese sich für einen weiterführenden Sprachkurs auf dem Niveau C1 angemeldet. Der Drittbeschwerdeführer hat im Juli 2020 die ÖIF-Integrationsprüfung auf dem Sprachniveau B1 sowie das ÖSD-Zertifikat auf dem Niveau B2 absolviert und letzteres „sehr gut bestanden.“
Zudem besuchen der Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführer seit mehreren Jahren eine Schule im Bundesgebiet. Der Erstbeschwerdeführer hat ab dem Schuljahr 2015/2016 eine Handelsschule in Österreich besucht und im Rahmen dieses Schulbesuchs zwischen Oktober 2018 und Mai 2019 ein Betriebspraktikum bei einer Stadtgemeinde absolviert. Ab Herbst 2019 besuchte er einen WIFI-Kurs „Nachholen des Pflichtschulabschlusses.“ Seit September 2020 besucht dieser eine HTL im Bundesgebiet. Der Zweitbeschwerdeführer besucht seit September 2017 eine Bundeshandelsakademie im Bundesgebiet und hat zuletzt das Schuljahr 2020/2021 (elfte Schulstufe) positiv abgeschlossen.
Der Drittbeschwerdeführer verfügt über schriftliche Einstellungszusagen aus August 2020 und September 2020 für eine Tätigkeit als Koch bzw. Hilfskoch.
Der Erstbeschwerdeführer arbeitete ehrenamtlich beim Roten Kreuz und nahm an verschiedenen Freizeitaktivitäten des ortsansässigen Jugendzentrums teil.
Der Zweitbeschwerdeführer ist Mitglied in einem Fußballverein.
Die Beschwerdeführer haben sich in Österreich einen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut, mit welchem sie regelmäßig Freizeitaktivitäten unternahmen.
Insgesamt sind die Beschwerdeführer in das örtliche Leben und die Gesellschaft gut integriert. Da jedoch eine berufliche Eingliederung und Selbsterhaltungsfähigkeit im Fall der Beschwerdeführer bislang jeweils nicht vorlag und deren gegenwärtiger Aufenthalt auf der Missachtung einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung und Stellung unbegründeter Folgeanträge beruhte, sind die dargelegten privaten Bindungen, auch in Zusammenschau mit den verwandtschaftlichen Bindungen im Bundesgebiet, nicht geeignet, die dauerhafte Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung zu begründen.
Die Beschwerdeführer waren sich bei Setzung der dargestellten Integrationsbemühungen der Unsicherheit der Möglichkeit eines weiteren Aufenthalts stets bewusst und konnten insbesondere nach rechtskräftigem Ausspruch einer Rückkehrentscheidung nicht mehr mit einem weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechnen. Die seither erfolgten weiteren Integrationsbemühungen der Beschwerdeführer (Fortsetzung des Schulbesuchs, Absolvierung von Deutschprüfungen, Einstellungszusage) sind vor diesem Hintergrund als relativiert zu erachten.
Da eine Selbsterhaltungsfähigkeit der Beschwerdeführer bislang nicht vorgelegen hat und eine berufliche Integration noch nicht erfolgt ist, kann zum Entscheidungszeitpunkt trotz der dargestellten Integrationsbemühungen und Bindungen zu Familienangehörigen und Freunden nicht erkannt werden, dass die persönlichen Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einem geordneten Fremdenwesen überwiegen würden. Dabei fällt maßgeblich ins Gewicht, dass die Beschwerdeführer die in den Erkenntnissen vom 08.08.2019 ausgesprochene Ausreiseverpflichtung missachtet haben, rechtswidrig im Bundesgebiet verblieben sind und unbegründete Folgeanträge auf internationalen Schutz eingebracht haben. Die seither erfolgte Intensivierung des Familien- und Privatlebens der Beschwerdeführer im Bundesgebiet konnte demnach nur durch das dargestellte fremdenrechtliche Fehlverhalten erfolgen, sodass der zwischenzeitlich erreichten Integration der Beschwerdeführer im Ergebnis jeweils noch kein solches Gewicht zukommt, welches eine Aufenthaltsbeendigung als unverhältnismäßig erscheinen ließe.
Die Beschwerdeführer verbrachten die ersten zehn bzw. 20 Lebensjahre in Afghanistan und sind mit den dortigen Gegebenheiten und der Sprache Dari vertraut. Eine vollständige Entwurzelung von ihrem Heimatland liegt demnach nicht vor. Wie an anderer Stelle dargelegt, bestehen für den Erstbeschwerdeführer im Bedarfsfall auch im Herkunftsstaat medizinische Behandlungsmöglichkeiten.
Festzuhalten ist somit, dass im Hinblick auf das Recht der beschwerdeführenden Parteien auf Achtung ihres Privatlebens keine Gründe für eine auf Dauer bestehende Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung vorliegen.
3.5. Aufgrund dieser Gesamtabwägung der Interessen und unter Beachtung aller bekannten Umstände ergibt sich, dass eine Rückkehrentscheidung gem. § 9 Abs. 3 BFA-VG bis 08.09.2021 vorübergehend unzulässig ist. Eine Prüfung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG hat zu unterbleiben, da die Rückkehrentscheidung nicht auf Dauer unzulässig ist (§ 58 Abs. 2 AsylG).
Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird mit der vorliegenden Entscheidung in die Lage versetzt, nach Ablauf dieser Frist die Prüfung des allfälligen weiteren Aufenthalts der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit der Behandlung eines etwaigen Antrags ihrer Eltern auf Verlängerung der Gültigkeit ihrer Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte vorzunehmen.
3.6. Der Aufenthalt der Beschwerdeführer im Bundesgebiet ist daher gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 FPG geduldet und eine Abschiebung gem. § 46 FPG nicht zulässig.
Gem. § 55 Abs. 1 ist mit Rückkehrentscheidung gem. § 52 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen. Da keine Rückkehrentscheidung zur Ausreise erlassen wurde, ist die Frist nicht auszusprechen. Somit waren die Spruchpunkte IV. bis VI. des angefochtenen Bescheids zu beheben.
4. Gemäß § 24 Abs. 1 des VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 21 Abs. 7 erster Fall BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich ausführlich in seinem Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 und 0018, mit dem Verständnis dieser Bestimmung auseinandergesetzt und geht seitdem in seiner ständigen Rechtsprechung (vgl. dazu statt vieler die Erkenntnisse vom 12. November 2014, Ra 2014/20/0029, vom 2. September 2015, Ra 2014/19/0127, vom 15. März 2016, Ra 2015/19/0180, vom 18. Mai 2017, Ra 2016/20/0258, und vom 20. Juni 2017, Ra 2017/01/0039) davon aus, dass für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung "wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint" folgende Kriterien beachtlich sind:
Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Im gegenständlichen Fall hat das Bundesverwaltungsgericht sich durch Einsichtnahme in aktualisiertes Berichtsmaterial von der Aktualität der den angefochtenen Bescheiden zugrunde gelegten Länderberichten überzeugt. Darüber hinaus hat das Gericht keinerlei neue Beweismittel beigeschafft und sich für seine Feststellungen über die Person der Beschwerdeführer und zur Lage in Afghanistan auf jene der angefochtenen Bescheide gestützt. Die Beschwerde ist der Richtigkeit dieser Feststellungen und der zutreffenden Beweiswürdigung der Behörde nicht ansatzweise substanziiert entgegengetreten (VwGH vom 20.12.2016, Ra 2016/01/0102) und hat keine neuen Tatsachen vorgebracht. Die Beschwerde hat die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht zwar beantragt, aber es nicht konkret aufzuzeigen unternommen, dass eine solche Notwendigkeit im vorliegenden Fall bestehen würde (vgl. zuletzt etwa VwGH 04.12.2017, Ra 2017/19/0316-14). Auch die Beschwerde hat im Hinblick auf die Beurteilung der Rückkehrsituation keine seit rechtskräftigem Abschluss der vorangegangenen Verfahren über die ersten Anträge auf internationalen Schutz neu entstandenen individuellen Sachverhalte behauptet. Es wurde weder aufgezeigt, weshalb sich die Ansicht der Börde im Hinblick auf eine betreffend die Beurteilung des Status des Asylberechtigten nicht maßgeblich geänderte Sach- und Rechtslage als unzutreffend erweisen sollte, noch wurde ein individuelles Vorbringen dazu erstattet, weshalb im Fall der Beschwerdeführer als im Wesentlichen gesunde, junge Männer, welche mit den Gegebenheiten Afghanistans vertraut sind, exzeptionelle Umstände vorliegen sollten, welche einer Rückkehr in ihre Herkunftsstadt Herat unter Berücksichtigung der Einschätzungen von UNHCR und EASO wie auch der vorherrschenden Covid-19-Pandemie entgegenstehen sollten. Im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführer ergaben sich keine strittigen Sachverhalte und es war, zumal die seither erfolgten zusätzlichen Integrationsbemühungen infolge der Missachtung einer rechtskräftigen Ausreiseverpflichtung erfolgten, die (abermalige) Verschaffung eines zusätzlichen persönlichen Eindrucks nicht erforderlich.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte daher im vorliegenden Fall von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA-VG ausgehen; es war nach den oben dargestellten Kriterien nicht verpflichtet, eine mündliche Verhandlung durchzuführen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)