VwGH Ra 2019/20/0309

VwGHRa 2019/20/030931.10.2019

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, die Hofräte Mag. Eder und Dr. Schwarz, die Hofrätin Mag. Schindler sowie den Hofrat Mag. Cede als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Mai 2019, Zl. W136 2197146- 1/10E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: A H in W), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs3
EURallg
MRK Art3
32011L0095 Status-RL Art8 Abs2
32013L0032 IntSchutz-RL Art10 Abs3 litb

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200309.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A.II. und A.III. wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 23. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass er seine Heimat aufgrund des Krieges und der unsicheren Lage verlassen habe. Da seine Heimatregion von den Taliban eingenommen worden sei, habe er dort als Schiit nicht mehr leben können.

2 Mit Bescheid vom 27. April 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Unter einem wurde gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgelegt (Spruchpunkt VI.).

3 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde, der das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hinsichtlich des Spruchpunktes I. nicht Folge gab (Spruchpunkt A.I.), hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte jedoch stattgab, dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannte (Spruchpunkt A.II.) und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilte (Spruchpunkt A.III.). Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B.).

4 Begründend führte das BVwG - soweit für den vorliegenden Revisionsfall von Bedeutung - aus, dem Mitbeteiligten drohe im Fall einer Rückkehr in seine Herkunftsprovinz Kunduz die reale Gefahr einer Verletzung der ihm durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte. Die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat verneinte das BVwG. Die beiden Städte seien zwar sicher erreichbar, die Sicherheitslage stehe einer Ansiedlung nicht entgegen und die Versorgungslage sei trotz der Folgen der Dürre in den Provinzen Herat und Balkh "zumindest als grundlegend gesichert" anzusehen. Laut den Richtlinien des UNHCR vom 30. August 2018 sei die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative jedoch nur dann zumutbar, wenn die betroffene Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft habe und man sich vergewissert habe, dass diese willens und in der Lage seien, die betroffene Person tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellten nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im berufsfähigen Alter ohne besondere Gefährdungsfaktoren dar. 5 Auch EASO komme für das Personenprofil der "alleinstehenden, gesunden und erwerbsfähigen Männer", die früher schon einmal in Afghanistan gelebt hätten, zum Ergebnis, dass diesen die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zumutbar sein könne, selbst wenn diese über kein familiäres oder sonstiges Unterstützungsnetzwerk innerhalb des als innerstaatliche Fluchtalternative geltenden Gebietes verfügten. Hierbei sei allerdings stets zu prüfen, ob die persönlichen Umstände des Betroffenen, wie etwa sein Alter, Gesundheitszustand, Familienstand sowie schulischer und beruflicher Hintergrund allenfalls zusätzliche Aspekte aufzeigten, die eine besondere Schutzwürdigkeit auslösen könnten.

6 Der Mitbeteiligte sei gesund, im erwerbsfähigen Alter, habe vier Jahre die Grundschule besucht und spreche eine der üblichen Landessprachen, er habe jedoch "weder eine weiterführende Ausbildung erhalten oder einen Beruf erlernt" noch verfüge er über ein "entsprechendes soziales Netz" in seiner Heimat. Selbst wenn der Mitbeteiligte noch Verwandte oder Freunde in Afghanistan hätte, wäre vor dem Hintergrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage und seiner langen Abwesenheit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen, dass diese ihn längerfristig ausreichend unterstützen könnten oder wollten. Außerdem habe er Afghanistan bereits mit 15 Jahren verlassen und bis dahin nur in seinem Heimatdorf gelebt. Es sei daher nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon auszugehen, dass er mit seinen "spärlichen Kenntnissen von der Landwirtschaft bzw. vom Beruf des Malers und Anstreichers", auf sich allein gestellt und "ohne berufliche Erfahrung bzw. Kenntnis des Arbeitslebens in Afghanistan" seine Existenz sichern könne.

7 Die vorliegende Amtsrevision richtet sich gegen die Spruchpunkte A.II. und A.III. des angefochtenen Erkenntnisses und bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit ein Abweichen von den im Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Jänner 2018, Ra 2018/18/0001, dargelegten Kriterien für die Zumutbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative vor. Der Verwaltungsgerichtshof habe mit Bezug auf die Verhältnisse in Afghanistan ausgeführt, dass - soweit es sich um einen jungen und gesunden Mann handle, der über Schulbildung und Berufserfahrung verfüge - auf der Grundlage der Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat nicht zu erkennen sei, dass eine Neuansiedlung in Kabul nicht zugemutet werden könne. Dies stehe auch im Einklang mit der Einschätzung der UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 19. April 2016, denen zufolge es alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im berufsfähigen Alter ohne spezifische Vulnerabilität möglich sei, auch ohne Unterstützung durch die Familie in urbaner Umgebung zu leben.

8 Nach Erlassung des genannten Erkenntnisses habe der UNHCR am 30. August 2018 seine Richtlinien aktualisiert. Ob die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes zur innerstaatlichen Fluchtalternative Kabul vor dem Hintergrund der neuen UNHCR-Richtlinien noch uneingeschränkt gelten, könne im Revisionsfall dahingestellt bleiben. Die Richtlinien bezögen sich nämlich nicht darauf, ob Mazar-e Sharif und Herat als innerstaatliche Fluchtalternative grundsätzlich verfügbar seien. Zudem habe der Verwaltungsgerichtshof seine Ausführungen auch vor dem Hintergrund der neuen UNHCR-Richtlinien im Hinblick auf eine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif und Herat wiederholt (Hinweis auf VwGH 4.3.2019, Ra 2018/20/0540), sodass den Aussagen zur innerstaatlichen Fluchtalternative betreffend Kabul auch aktuell in Bezug auf diese beiden Städte Bedeutung zukomme. 9 Soweit das BVwG mit seinen Feststellungen eine prekäre Sicherheits- und Versorgungslage aufzeige und seine Entscheidung nicht darauf stütze, dass deshalb Rückkehrern die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Mazare Sharif oder Herat generell nicht zugemutet werden könne, stehe das angefochtene Erkenntnis noch im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Wenn es das BVwG aber als entscheidungswesentlich für die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative erachte, dass im konkreten Fall besondere Gefährdungsfaktoren und eine besondere Vulnerabilität des Mitbeteiligten vorhanden seien, weil der Mitbeteiligte weder eine weiterführende Ausbildung erhalten oder einen Beruf erlernt habe, noch über ein soziales Netzwerk in der Heimat verfüge und daher aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage und seiner langen Abwesenheit nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit damit gerechnet werden könne, dass seine Verwandten oder Freunde ihn unterstützen könnten und wollten, sei dies verfehlt. Der Verwaltungsgerichtshof habe nämlich in einem vergleichbaren Fall ("Iran-Rückkehrer", Hazara, kein Netzwerk) bereits erkannt, dass damit zwar eine schwierige Lebenssituation aufgezeigt werde, die aber für sich betrachtet nicht ausreiche, um das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (Hinweis auf VwGH 28.3.2019, Ra 2018/14/0067).

10 Zusammengefasst habe das BVwG daher nicht dargelegt, dass dem Mitbeteiligten, der ein junger gesunder Mann mit Schulbildung und Berufserfahrung sei, die Landessprache beherrsche und aufgrund seines afghanischen Elternhauses mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut sei, keine innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif oder Herat offen stünde. Dass der Mitbeteiligte über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in Afghanistan mehr verfüge, könne für sich betrachtet das Ergebnis, dass die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative unzumutbar wäre, nicht tragen. Die Höchstgerichte hätten n��mlich auch in solchen Fällen diese für zumutbar erachtet, sofern im Einzelfall gewährleistet sei, dass die betreffende Person eine Landessprache beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut sei und sich dort mit Gelegenheitsarbeiten eine Existenzgrundlage schaffen könne.

11 Im Übrigen begründeten die vom BVwG angeführten Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche nicht die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative, sofern es sich - wie im gegenständlichen Fall - um einen volljährigen, arbeitsfähigen und gesunden jungen Mann handle. Der Mitbeteiligte sei in Afghanistan aufgewachsen, dort vier Jahre lang zur Schule gegangen, beherrsche eine landesübliche Sprache und sei mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut. Weiters habe er berufliche Erfahrungen im Bereich der Landwirtschaft und als Maler sammeln können. Der Mitbeteiligte weise daher "keine besonderen Vulnerabilitäten" auf.

 

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Amtsrevision nach Einleitung des Vorverfahrens - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

13 Die Revision ist zulässig. Sie ist auch berechtigt.

14 Der Verwaltungsgerichtshof erkennt in ständiger

Rechtsprechung, dass bei der Beurteilung in Bezug auf Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 25.5.2016, Ra 2016/19/0036; 14.8.2019, Ra 2019/20/0347; 17.9.2019, Ra 2019/14/0160).

15 Soweit es die Beurteilung betrifft, ob eine innerstaatliche Fluchtalternative besteht, hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass die Frage der Sicherheit des Asylwerbers in dem als innerstaatliche Fluchtalternative geprüften Gebiet des Herkunftsstaates wesentliche Bedeutung hat. Es muss mit ausreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden können, dass der Asylwerber in diesem Gebiet Schutz vor asylrechtlich relevanter Verfolgung und vor Bedingungen, die nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigten, findet. Sind diese Voraussetzungen zu bejahen, so wird dem Asylwerber unter dem Aspekt der Sicherheit regelmäßig auch die Inanspruchnahme der innerstaatlichen Fluchtalternative zuzumuten sein. Um von einer zumutbaren innerstaatlichen Fluchtalternative sprechen zu können, reicht es aber nicht aus, dem Asylwerber entgegen zu halten, dass er in diesem Gebiet keine Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu erwarten hat. Es muss ihm vielmehr möglich sein, im Gebiet der innerstaatlichen Fluchtalternative nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Es handelt sich letztlich um eine Entscheidung im Einzelfall, die auf der Grundlage ausreichender Feststellungen über die zu erwartende Lage des Asylwerbers in dem in Frage kommenden Gebiet sowie dessen sichere und legale Erreichbarkeit getroffen werden muss (vgl. VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001; 29.5.2019, Ra 2019/20/0208, mwN).

16 Eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, reicht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes für sich betrachtet nicht aus, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 27.5.2019, Ra 2019/14/0153, Rn. 123, mwN). 17 Weiters entspricht es in Bezug auf Afghanistan der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. auch dazu VwGH Ra 2019/14/0153, Rn. 124, mwN).

18 Wie die Amtsrevision zutreffend aufzeigt, hat der Verwaltungsgerichtshof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass diese Rechtsprechung - im Besonderen auch in Bezug auf afghanische Staatsangehörige, die im Iran aufgewachsen sind oder dort die längste Zeit ihres Lebens verbracht haben - auch zur hier maßgeblichen Berichtslage aufrechtzuerhalten ist (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 41, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

19 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in diesem Zusammenhang auch den Richtlinien des UNHCR besondere Beachtung zu schenken ("Indizwirkung"). Diese Indizwirkung bedeutet zwar nicht, dass die Asylbehörden in Bindung an entsprechende Empfehlungen des UNHCR internationalen Schutz gewähren müssten. Allerdings haben sich die Asylbehörden (und dementsprechend auch das BVwG) mit den Stellungnahmen, Positionen und Empfehlungen des UNHCR auseinanderzusetzen und, wenn sie diesen nicht folgen, begründet darzulegen, warum und gestützt auf welche entgegenstehenden Berichte sie zu einer anderen Einschätzung der Lage im Herkunftsstaat gekommen sind. Auch den vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (European Asylum Support Office - EASO) herausgegebenen Informationen ist in einem solchen Fall Beachtung zu schenken (vgl. zu den Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 und zu der von EASO herausgegebenen "Country Guidance: Afghanistan" vom Juni 2018 neuerlich VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, Rn. 42 ff mwN).

20 Weder EASO (Leitfaden vom Juni 2018) noch UNHCR (Richtlinien vom 30. August 2018) gehen von der Notwendigkeit der Existenz eines sozialen Netzwerkes in Mazar-e Sharif für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität für die Verfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative aus. Es entspricht zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0546, mwN). 21 Dem angefochtenen Erkenntnis lagen fallbezogen die (zum Teil disloziert im Rahmen der rechtlichen Beurteilung getroffenen) Feststellungen zugrunde, dass es sich beim Mitbeteiligten um einen gesunden Mann im erwerbsfähigen Alter handle, der vier Jahre die Grundschule besucht habe, die üblichen Landessprachen spreche und seinen Herkunftsstaat im Alter von rund fünfzehn Jahren verlassen habe. Bei seiner Einschätzung, dem Mitbeteiligten sei die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht zumutbar, stützte sich das BVwG tragend auf den Umstand, dass der Mitbeteiligte keine "weiterführende" Ausbildung absolviert habe und mit seinen "spärlichen Kenntnissen von der Landwirtschaft bzw. vom Beruf des Malers und Anstreichers" auf sich allein gestellt, "ohne berufliche Erfahrung bzw. Kenntnis des Arbeitslebens in Afghanistan" sei und über kein soziales Netzwerk in Afghanistan verfüge.

22 Vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtsprechung und der vom BVwG getroffenen Feststellungen stellt sich diese Begründung als nicht nachvollziehbar dar. Soweit das BVwG das Fehlen eines sozialen Netzes in Afghanistan ins Treffen führt, ist dem - wie bereits dargelegt - zu entgegnen, dass es darauf in einem Fall wie dem Vorliegenden nach der oben dargestellten Rechtsprechung nicht maßgeblich ankommt. Aber auch mit dem Argument, der Mitbeteiligte, der bereits über Berufserfahrung verfügt, habe keine "weiterführende" Ausbildung erhalten, legt das BVwG nicht nachvollziehbar dar, weshalb es dem Mitbeteiligten nicht möglich wäre, in der Stadt Mazar-e Sharif nach allfälligen anfänglichen Schwierigkeiten Fuß zu fassen. Wie die Revision zutreffend aufzeigt, hat das BVwG zudem in seine Beurteilung nicht einbezogen, dass der Mitbeteiligte bis zu seinem 15. Lebensjahr in Afghanistan gelebt hat und daher davon auszugehen ist, dass er mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftslandes vertraut ist.

23 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 31. Oktober 2019

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