VwGH Ra 2019/20/0175

VwGHRa 2019/20/017529.4.2019



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, in der Rechtssache der Revision des M H E in W, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7-11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Februar 2019, W210 2189806- 1/19E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8 Abs1
MRK Art3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2019:RA2019200175.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der im Jahr 1996 geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte am 20. August 2015 gemeinsam mit weiteren Familienangehörigen einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Mit Bescheid vom 20. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das auch den von den übrigen Familienmitgliedern gestellten Anträgen keine Folge gab, den vom Revisionswerber gestellten Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Das Bundesverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde - unter Hinweis darauf, dass auch die von den anderen Familienmitgliedern eingebrachten Beschwerden abgewiesen worden seien - mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei. 4 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen. 6 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. 7 Im von allen Familienmitglieder zur Erhebung von Revisionen eingebrachten gemeinsamen Schriftsatz wird, soweit es den Revisionswerber betrifft, zur Begründung der Zulässigkeit der Revision geltend gemacht, er sei im Iran aufgewachsen, ihm würde im Falle einer Ansiedlung in Kabul die notdürftigste Lebensgrundlage fehlen und er würde in Ansehung existenzieller Grundbedürfnisse in eine lebensbedrohliche Situation geraten, weil es sich bei der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Kabul um eine Neuansiedlung in Afghanistan handeln würde. Auch in Herat und Mazar-e Sharif sei er noch nie aufhältig gewesen.

8 Mit seinem Vorbringen spricht der Revisionswerber eine ihm nach seiner Ansicht im Fall seiner Rückführung in seinem Heimatland drohende Verletzung des Rechtes nach Art. 3 EMRK an. 9 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der vom Revisionswerber angesprochenen Beurteilung eine Einzelfallprüfung vorzunehmen ist, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen nicht revisibel, wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde (vgl. etwa VwGH 31.1.2019, Ra 2018/14/0404, mwN).

10 Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits ausgeführt, dass eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Verletzung des nach Art. 3 EMRK geschützten Rechts mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit annehmen zu können oder um eine innerstaatliche Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 11.2.2019, Ra 2018/20/0479, mwN).

11 Die Revision zeigt mit ihren Ausführungen nicht auf, dass die Beurteilung des Bundesverwaltungsgericht, das sich in seinen Feststellungen zur Situation im Heimatland des Revisionswerbers auf die Berichtslage vom Oktober 2018 gestützt hat, im konkreten Einzelfall unvertretbar erfolgt wäre. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine auf die Umstände des Einzelfalls Bedacht nehmende Prüfung in Bezug auf die Frage nach einer allfälligen Verletzung des Art. 3 EMRK als auch der Frage der Zumutbarkeit der Rückkehr in bestimmte Teile des Heimatlandes des Revisionswerbers durchgeführt und eine solche in vertretbarer Anwendung der in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien bejaht. Die Revision vermag auch mit ihrem Vorbringen, das Bundesverwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Revisionswerber im Iran geboren und aufgewachsen sei, nicht das Gegenteil aufzuzeigen. Entgegen den Revisionsausführungen legte das Verwaltungsgericht nämlich seiner Entscheidung zugrunde, dass dieser im Iran geboren, im Familienverband aufgewachsen und in diesem Rahmen auch sozialisiert worden sei sowie dass er im Iran sein bisheriges Leben verbracht, sechs Jahre die Schule besucht und anschließend als Schneider gearbeitet habe.

12 Dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen sei, entspricht der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 7.3.2018, Ra 2018/18/0103, mwN, insbesondere auch unter Verweis auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes). Dass im konkreten Fall besondere Umstände vorgelegen wären, sodass hier eine andere Beurteilung Platz zu greifen hätte, vermag der Revisionswerber nicht darzutun. 13 Weiters ist darauf zu verweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 22.10.2018, Ra 2018/20/0446, mwN). Die Revision zeigt nicht auf, dass sich die vom Bundesverwaltungsgericht im konkreten Fall vorgenommene Beurteilung als unvertretbar darstellen würde.

14 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.

Wien, am 29. April 2019

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