VwGH Ra 2021/14/0082

VwGHRa 2021/14/008212.4.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des A B, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. September 2020, W241 2129638‑1/30E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §11
AsylG 2005 §8
B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140082.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 5. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005. Zu seiner Begründung brachte der Revisionswerber vor, er habe am Flughafen gearbeitet und sei von den Taliban aufgefordert worden, zwei Männer auf das Flughafengelände einzuschleusen. Nachdem er sich geweigert habe, sei vor seinem Haus eine Bombe explodiert, diese habe seinen Vater verletzt und seinen Bruder getötet. Die Familie des Revisionswerbers sei daraufhin nach Kabul geflüchtet. Er sei dort erneut von den Taliban kontaktiert worden, weshalb er das Land verlassen habe.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 8. Juni 2016 zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom 3. September 2020 als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.

4 Das BVwG stellte dem Vorbringen des Revisionswerbers entsprechend fest, dass er ab 2011 als Flugzeugtechniker tätig gewesen sei. Seine Angaben zur Bedrohung durch die Taliban aufgrund einer Weigerung, mit ihnen bei einem geplanten Anschlag zu kooperieren, und damit die Gefahr einer Verfolgung aus asylrelevanten Gründen im Falle einer Rückkehr in den Herkunftsstaat, seien jedoch nicht glaubhaft. Eine Rückkehr des Revisionswerbers in seine Herkunftsprovinz Logar scheide zwar aus, weil ihm dort aufgrund der vorherrschenden Sicherheitslage ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde. Es sei ihm jedoch aus näher dargestellten Erwägungen möglich und zumutbar, sich statt in Logar in Kabul, Mazar‑e Sharif oder Herat niederzulassen. Insbesondere könne er seine Existenz durch die Wiederaufnahme seines bisherigen Berufs oder einer anderen Anstellung im technischen Bereich sichern.

5 Gegen diesen Beschluss erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 18. Jänner 2021, E 3539/2020-7, ablehnte und die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom 10. Februar 2021, E 3539/2020-9, zur Entscheidung abtrat.

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum gebotenen Eingehen auf maßgebliches Parteienvorbringen, zur Begründungspflicht verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen, zum Eingehen auf besondere Gefährdungsmomente sowie zur Indizwirkung von UNHCR‑Richtlinien abgewichen. So ergebe sich aus dem Vorbringen des Revisionswerbers, dass er für die afghanische Fluglinie „KAM Air“ tätig gewesen sei. Das BVwG hätte sich daher mit der Frage auseinander setzen müssen, ob diese (frühere) Tätigkeit dem Revisionswerber ein besonderes Risikoprofil verleihe, nämlich als Person, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung verbunden sei oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstütze. Zu diesem Risikoprofil verwiesen die einschlägigen UNHCR-Richtlinien auf einen Anschlag der Taliban auf ein Hotel im Jänner 2018, der Mitarbeitern der KAM Air gegolten habe. Der Eigentümer der Fluglinie solle über enge Verbindungen zu afghanischen Regierungskräften verfügen, die Fluglinie werde von der Regierung unterstützt. Weiters gäbe es keine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative, weil der Revisionswerber bei einer Tätigkeit als Flugzeugingenieur auf Flughäfen einer erhöhten Gefahr, zufällig Opfer eines Anschlages zu werden, ausgesetzt sei. Entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes habe das BVwG außerdem keine aktuellen Länderberichte herangezogen und sich nicht mit den Auswirkungen der COVID‑19-Pandemie auf die wirtschaftliche Versorgungslage im Entscheidungszeitpunkt auseinandergesetzt.

10 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargelegt.

11 Soweit die Revision ein fehlendes Eingehen auf maßgebliches Parteienvorbringen kritisiert, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Revisionswerber eine befürchtete Verfolgung allein auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit bei einer bestimmten Fluglinie nicht vorgebracht hatte. Er hat vielmehr konkrete Bedrohungen - die auf Grund seiner Weigerung zur Kooperation bei einem geplanten Anschlag ergangen sein sollen - geschildert, welche vom BVwG jedoch näher begründet als unglaubwürdig beurteilt wurden. Gegen diese Beweiswürdigung des BVwG wendet sich die Revision nicht.

12 Weiters ergibt sich auch aus den Berichten und UNHCR-Richtlinien, auf die sich die Revision bezieht, nicht, dass - insbesondere ehemalige - Mitarbeiter der KAM Air schon allein auf Grund ihrer (früheren) Tätigkeit für dieses Unternehmen einer landesweiten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt wären. Der Revision gelingt es somit nicht, eine Relevanz der in diesem Zusammenhang vorgebrachten Feststellungs- und Begründungsmängel für den Verfahrensausgang darzulegen (zu diesem Erfordernis vgl. etwa VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236, mwN).

13 Die Revision wendet sich in Bezug auf die Versagung subsidiären Schutzes weiters gegen die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative mit dem Argument, dem Revisionswerber sei die vom BVwG unterstellte mögliche Tätigkeit als Flugzeugingenieur aufgrund seines Risikoprofiles nicht zumutbar, weil er bei einem Arbeitsplatz auf einem Flughafen einer erhöhten Gefahr ausgesetzt wäre, zufällig Opfer von Anschlägen zu werden. Dabei übersieht sie jedoch offenbar, dass das BVwG nicht davon ausging, dass der Revisionswerber ausschließlich seine Tätigkeit als Flugzeugingenieur wiederaufnehmen könne, sondern generell eine Anstellung im technischen Bereich als möglichen existenzsichernden Wiedereinstieg in das berufliche Leben annahm. Dass eine solche Möglichkeit unzumutbar oder unzureichend wäre, behauptet die Revision nicht.

14 Wenn die Revision schließlich eine fehlerhafte Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von der COVID‑19‑Pandemie auf die wirtschaftliche Lage geltend macht, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine schwierige Lebenssituation, insbesondere bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht, die ein Fremder im Fall der Rückkehr in sein Heimatland vorfinden würde, für sich betrachtet nicht ausreicht, um die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative zu verneinen (vgl. VwGH 26.2.2021, Ra 2021/14/0044, mwN). In der Rechtsprechung wurde auch bereits klargestellt, dass für sich nicht entscheidungswesentlich ist, wenn sich für einen Asylwerber infolge der seitens afghanischer Behörden zur Verhinderung der Verbreitung des SARS‑CoV‑2‑Virus und von Erkrankungen an COVID‑19 gesetzten Maßnahmen die Wiedereingliederung im Heimatland wegen schlechterer wirtschaftlicher Aussichten schwieriger als vor Beginn dieser Maßnahmen darstellte, weil es darauf bei der Frage, ob im Fall seiner Rückführung eine Verletzung des Art. 3 EMRK zu gewärtigen ist, nicht ankommt, solange diese Maßnahmen nicht dazu führen, dass die Sicherung der existenziellen Grundbedürfnisse als nicht mehr gegeben anzunehmen wäre. Das gilt auch für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative (vgl. erneut VwGH 26.2.2021, Ra 2021/14/0044, mwN).

15 Das BVwG berücksichtigte in seiner Beurteilung, dass der Revisionswerber über eine überdurchschnittlich gute Berufsausbildung verfüge und daher davon auszugehen sei, dass er bei einer Rückkehr wieder beruflich Fuß fassen könne. Es sei ihm möglich, seine Existenz durch die Wiederaufnahme seines bisherigen Berufs oder einer anderen Anstellung im technischen Bereich zu sichern. In Kabul lebe überdies seine Familie. Er sei gesund und gehöre keiner Risikogruppe in Bezug auf COVID‑19 an. Die Revision vermag vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung somit nicht aufzuzeigen, dass diese Beurteilung des BVwG fallbezogen mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Rechtswidrigkeit belastet wäre und sich hierbei von den Leitlinien der Judikatur entfernt hätte.

16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 12. April 2021

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