European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020140518.L00
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste am 23. Juni 2018 mit einem von der italienischen Vertretungsbehörde in Moskau ausgestellten „Schengenvisum“ in das Bundesgebiet ein. Bei seiner Einreise wurde der Revisionswerber aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Republik Moldawien festgenommen.
2 Mit Beschluss des Landesgerichts Korneuburg vom 15. März 2019, 404 HR 128/18g‑99, bestätigt durch den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 2. Juli 2019, wurde die Auslieferung an die moldawischen Behörden zur Strafverfolgung im Hinblick auf eine zu befürchtende Verletzung nach Art. 3 EMRK für unzulässig erklärt.
3 Nach der Entlassung aus der Auslieferungshaft stellte der Revisionswerber am 11. April 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er nach Österreich gereist sei, um seine nach traditionellem Recht verheiratete Ehefrau, der ein Aufenthaltstitel Daueraufenthalt‑EU zukomme, und seinen Sohn zu besuchen. Er befürchte, in seinem Herkunftsstaat festgenommen und nach Moldawien ausgeliefert zu werden, wo ihm ein unmenschliches Verhalten drohe.
4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 10. Jänner 2020 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zulässig sei.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, es sei in der Rechtsprechung bislang noch nicht geklärt worden, ob „standardisierte Länderfeststellungen“ allein ausreichend seien oder ob Recherchen im Sinn einer Einzelfallprüfung notwendig seien. Durch Recherchen im Heimatland hätte die Entscheidung jedenfalls anders ausfallen müssen.
10 Werden Verfahrensmängel ‑ wie hier Ermittlungs- und Feststellungsmängel ‑ als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass ‑ auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0147, mwN).
11 Mit dem Vorbringen, die Bezugnahme auf „standardisierte Länderfeststellungen“ sei nicht ausreichend, zeigt der Revisionswerber weder auf, welche weiteren konkreten Ermittlungen er für notwendig erachte, noch legt er die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels dar (vgl. VwGH 12.8.2020, Ra 2020/14/0322, mwN).
12 Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung bereits festgehalten, dass ein allgemeines Recht auf eine fallbezogene Überprüfung des Vorbringens des Asylwerbers durch Recherche im Herkunftsstaat nicht besteht (vgl. VwGH 25.6.2019, Ra 2019/19/0193, mwN).
13 Soweit sich die Revision in der Zulässigkeitsbegründung gegen die im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessenabwägung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 6.8.2020, Ra 2020/20/0248, mwN). Bei der Gewichtung der für den Fremden sprechenden Umstände darf im Sinn des § 9 Abs. 2 Z 8 BFA‑Verfahrensgesetz (BFA‑VG) maßgeblich relativierend einbezogen werden, dass er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste. Diese Überlegungen gelten insbesondere auch für eine Eheschließung mit einer in Österreich aufenthaltsberechtigten Person, wenn dem Fremden zum Zeitpunkt des Eingehens der Ehe die Unsicherheit eines gemeinsamen Familienlebens in Österreich in evidenter Weise klar sein musste, und daher umso mehr für eine in einer solchen Situation begründete Lebensgemeinschaft (vgl. VwGH 5.8.2020, Ra 2020/14/0199, mwN).
14 Der Revision zeigt nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Abwägung der öffentlichen Interessen mit den privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers, dessen Kontakt zu seiner nach traditionellem Recht verheirateten Ehefrau, die ebenfalls Staatsangehörige der Russischen Föderation ist, und seinen Kindern sich vor seiner Einreise im Jahr 2018 ‑ unbestritten ‑ auf vereinzelte Besuche beschränkte und vor dem Hintergrund der Möglichkeit der Fortsetzung des Familienlebens im Herkunftsstaat, in einer den in der Rechtsprechung aufgestellten Leitlinien widersprechenden unvertretbaren Weise vorgenommen hätte oder ihm fallbezogen ein relevanter Begründungsmangel unterlaufen wäre. Zum Revisionsvorbringen, es sei nicht auszuschließen, dass der Revisionswerber aufgrund der aufrechten „Interpolfahndung“ neuerlich ungerechtfertigt verhaftet werde und dadurch das Familienleben nicht weiter aufrechterhalten werden könne, was das Bundesverwaltungsgericht aber nicht berücksichtigt habe, ist darauf zu verweisen, dass bei der Beurteilung der Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung auf die wechselseitigen Beziehungen eines Elternteiles und seines Kindes lediglich auf im Entscheidungszeitpunkt konkret absehbare zukünftige Entwicklungen Bedacht zu nehmen ist (vgl. VwGH 31.8.2017, Ro 2017/21/0012). Eine reale Gefahr der Verhaftung des Revisionswerbers im Herkunftsstaat wurde vom Bundesverwaltungsgericht gerade nicht festgestellt.
15 Soweit der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 anspricht, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach nach dem klaren Wortlaut des § 58 Abs. 2 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 nur dann von Amts wegen zu prüfen ist, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA‑VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird (vgl. VwGH 3.9.2020, Ra 2020/19/0135 ‑ 0136, mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.
Wien, am 21. Dezember 2020
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