VwGH Ra 2020/18/0537

VwGHRa 2020/18/053722.2.2021

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision der S C, vertreten durch MMag.a Marion Battisti, Rechtsanwältin in 6020 Innsbruck, Burggraben 4/4, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2020, L519 2210838‑2/4E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AVG §68 Abs1
VwGVG 2014 §17
VwGVG 2014 §27
VwGVG 2014 §28 Abs1

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020180537.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1 Die Revisionswerberin ist Staatsangehörige der Türkei und stellte am 26. Juni 2018 gemeinsam mit ihrem Ehemann und ihren zwei minderjährigen Söhnen erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen sie im Wesentlichen damit begründeten, als Aleviten in der Türkei bedroht worden zu sein. Dieser Antrag wurde im April 2019 vom Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Beschwerdeverfahren zur Gänze abgewiesen. Die Behandlung einer beim Verfassungsgerichtshof eingebrachten Erkenntnisbeschwerde wurde mit Erkenntnis vom 26. Juni 2019, E 1529‑1532/2019‑8, abgelehnt.

2 Der Ehemann und die Kinder der Revisionswerberin wurden am 24. Mai 2019 in die Türkei abgeschoben. Anfang Juli 2019 versuchte die Revisionswerberin sich das Leben zu nehmen, woraufhin sie zwei Mal stationär in einem Krankenhaus untergebracht wurde. Zuletzt wurde sie am 22. Oktober 2019 aus der stationären Behandlung entlassen.

3 Am 22. Oktober 2019 stellte die Revisionswerberin den verfahrensgegenständlichen Folgeantrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete sie zusammengefasst damit, dass die Gefahr für sie und ihre Familie in der Türkei noch größer geworden und sie zum katholischen Christentum konvertiert sei.

4 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 4. August 2020 wurde dieser Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen. Der Antrag hinsichtlich der Zuerkennung von subsidiärem Schutz in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei wurde abgewiesen. Es wurde der Revisionswerberin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass ihre Abschiebung in die Türkei zulässig sei. Weiters hielt die Behörde fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die dagegen erhobene Beschwerde mit der Maßgabe, dass der Antrag auf internationalen Schutz vom 22. Oktober 2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Türkei gemäß § 68 Abs. 1 AVG iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werde, als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG für nicht zulässig.

6 Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, dass nicht festgestellt habe werden können, dass die Revisionswerberin zum Christentum konvertiert sei, zudem in der Türkei Religionsfreiheit herrsche und keine systematische Bedrohung von Christen vorläge. Es ergebe sich keine maßgebliche Änderung bzw. Verschlechterung in Bezug auf die die Revisionswerberin betreffende asyl- und abschieberelevante Lage. Auch in Bezug auf die individuelle Lage der Revisionswerberin ergebe sich im Hinblick auf den Zeitpunkt, an dem letztmalig über den Antrag auf internationalen Schutz entschieden worden sei, keine maßgeblich geänderte Situation. Zum Gesundheitszustand der Revisionswerberin erwog das BVwG, dass sie an keiner lebensbedrohlichen psychischen Erkrankung leide. Die Rückkehrentscheidung sei nach Vornahme einer Interessenabwägung zulässig.

7 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zur Zulässigkeit unter anderem vorgebracht wird, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es nicht erkannt habe, dass seit Eintritt der Rechtskraft im ersten Asylverfahren durch die massive Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Revisionswerberin ein neuer Sachverhalt eingetreten sei, der eine andere Beurteilung ihrer Schutzbedürftigkeit nicht von vornherein als ausgeschlossen erscheinen lasse. Das BVwG habe seiner Entscheidung keine hinreichend aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt, die die Auswirkungen des Ausbruchs der Covid‑19‑Pandemie berücksichtigten. Anhand aktueller Berichte hätte ermittelt werden müssen, ob die Erkrankung der Revisionswerberin in der Türkei adäquat und langfristig behandelbar sei. Schließlich läge keine hinreichend klare Rechtsprechung zu der Frage vor, ob das BVwG seine Kognitionsbefugnis überschreite, wenn es ausspreche, dass der Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen sei, obschon das BFA eine inhaltliche Prüfung des Antrages vorgenommen habe. Des Weiteren macht die Revision eine Verletzung der Verhandlungspflicht geltend. Überdies sei dem BVwG im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der Revisionswerberin eine unvertretbare Beweiswürdigung anzulasten. Schließlich sei das BVwG von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abgewichen, indem es von der Einholung eines beantragten Sachverständigengutachtens zur Erhebung der gesundheitlichen Situation sowie der Behandlungsbedürftigkeit der Revisionswerberin Abstand genommen habe, ohne dies ausreichend zu begründen. Wäre die Erkrankung in die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK eingeflossen, hätte festgestellt werden müssen, dass eine Rückkehrentscheidung nicht zulässig sei.

8 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

9 Nach Art. 133 Abs. 4 B‑VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B‑VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B‑VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

12 Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt. Auf dem Boden der Rechtsprechung hat auch das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid nach den vorstehenden Grundsätzen zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175).

13 Wenn die Revision demgegenüber vermeint, das BVwG habe seine Kognitionsbefugnis bereits insofern überschritten, als es den Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz zurückgewiesen habe, obwohl das BFA eine inhaltliche Prüfung vorgenommen und den Antrag abgewiesen habe, ist darauf hinzuweisen, dass „Sache“ im vorliegenden Fall der von der Revisionswerberin eingebrachte Folgeantrag auf internationalen Schutz war. Ob dieser Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist, war Gegenstand des verwaltungsbehördlichen Verfahrens und damit auch des nachfolgenden Verfahrens vor dem BVwG. Die von der Revision vorgebrachte Überschreitung der Kognitionsbefugnis durch das BVwG liegt sohin nicht vor.

14 Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung ‑ nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen ‑ berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt (VwGH 23.9.2020, Ra 2020/14/0175).

15 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK im Zusammenhang mit der Frage des subsidiären Schutzes eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation der betroffenen Person in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung von Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn diese dort keine Lebensgrundlage vorfinden, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen.

16 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. VwGH 23.4.2020, Ra 2019/01/0368, mwN und Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili gegen Belgien, 41738/10).

17 Im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der Revisionswerberin erwog das BVwG, dass die Revisionswerberin beim BFA angegeben habe, momentan keine Medikamente zu nehmen und aus dem vorgelegten Arztbrief vom Oktober 2019 hervorgehe, dass sie sich von Handlungstendenzen bezüglich Suizidalität klar distanziert habe und ihre Stimmung ausgeglichen sei. Die Einholung eines weiteren Facharztgutachtens sei vor diesem Hintergrund entbehrlich. In der Türkei bestehe grundsätzlich ein freier Zugang zu medizinischer Versorgung und seien psychische Erkrankungen behandelbar. Vor diesem Hintergrund gelangte das BVwG zu dem Schluss, dass keine entscheidungswesentliche Sachverhaltsänderung eingetreten sei.

18 Eine Unvertretbarkeit dieser Einschätzung zeigt die Revision nicht auf.

19 Zwar geht ‑ wie die Revision ausführt ‑ aus demselben Arztbrief auch hervor, dass die Revisionswerberin (weiterhin) an einer Anpassungsstörung mit suizidaler Neigung bei psychosozialer Belastung leide. Dies begründet nach der oben zitierten Rechtsprechung von Verwaltungsgerichtshof und EGMR für sich genommen allerdings noch keine exzeptionellen Umstände, die einer Abschiebung im Lichte des Art. 3 EMRK entgegenstehen.

20 Daran ändert auch der Verweis der Revision auf das Urteil des EGMR vom 1. Oktober 2019, Savran gegen Dänemark, 57.467/15, nichts. Darin wurde zwar ausgesprochen, dass die Ausweisung eines psychisch schwer kranken Straftäters in die Türkei ohne individuelle Sicherstellung einer adäquaten Behandlung gegen Art. 3 EMRK verstoße. Allerdings betraf das Urteil eine an einer ernsten geistigen Langzeiterkrankung, nämlich paranoider Schizophrenie, leidende Person, die permanente medizinische und psychiatrische Betreuung benötigte und in der Türkei über keine Familie oder andere soziale Kontakte verfügte. Mangels eines regelmäßigen persönlichen Ansprechpartners hätten sich die dänischen Behörden in diesem Fall ‑ so der EGMR ‑ eine angemessene Behandlung für diese Person individuell zusichern lassen müssen.

21 Diese Fallkonstellation ist zusätzlich zum Unterschied in den festgestellten Krankheitsbildern (auch deshalb) mit dem Revisionsfall nicht vergleichbar, verfügt die Revisionswerberin doch über ein enges familiäres Netzwerk vor Ort, zumal einerseits ihr Ehemann und ihre Kinder am 24. Mai 2019 bereits in die Türkei abgeschoben wurden und andererseits ihre Eltern sowie fünf Geschwister in der Türkei leben.

22 Sofern die Revision ‑ insbesondere unter Hinweis auf den Ausbruch der Covid‑19‑Pandemie ‑ moniert, dass das BVwG seiner Entscheidung keine hinreichend aktuellen Länderberichte zugrunde gelegt und folglich eine unvertretbare Beweiswürdigung im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand der Revisionswerberin vorgenommen habe, werden Verfahrensmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, deren Relevanz in einer gesonderten Zulässigkeitsbegründung auch dargetan werden muss, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für die revisionswerbende Partei günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können. Dies setzt (in Bezug auf Feststellungsmängel) voraus, dass ‑ auf das Wesentliche zusammengefasst ‑ jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 16.7.2020, Ra 2020/18/0231, mwN).

23 Dass der aus Istanbul stammenden Revisionswerberin aufgrund des Ausbruchs der Covid‑19‑Pandemie der Zugang zu medizinischer Versorgung im Hinblick auf ihre psychische Erkrankung verwehrt bleibe, vermochte die Revision allerdings nicht aufzuzeigen.

24 Die Revisionswerberin rügt zudem die unterlassene Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVwG und vermeint, dass die vom BFA getroffene und vom BVwG übernommene Feststellung zu ihrem Gesundheitszustand in der Beschwerde substantiiert bestritten worden sei. Bei Durchführung einer mündlichen Verhandlung hätte sie weiteres Vorbringen zu ihrer psychischen Erkrankung erstatten können, was zu einem für sie günstigeren Ergebnis, nämlich zur Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten oder zur Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung geführt hätte.

25 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung begründete das BVwG unter Hinweis auf § 21 Abs. 7 BFA‑VG. Der Sachverhalt sei auf Grund der Aktenlage und des Inhaltes der Beschwerde geklärt. Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass grundsätzlich § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA‑VG besondere Regeln in Bezug auf die Verhandlungspflicht des BVwG bei wegen entschiedener Sache zurückgewiesenen Asylanträgen vorsehen. Fallgegenständlich wurde der Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf den Status der subsidiär Schutzberechtigten vom BFA jedoch einer inhaltlichen Prüfung unterzogen und daher zugelassen. Daraus ergibt sich, dass der Folgeantrag im Hinblick auf die Zuerkennung von subsidiärem Schutz vom BVwG außerhalb des Zulassungsverfahrens wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde, weswegen im Zusammenhang mit der Verhandlungspflicht für diesen Spruchpunkt § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG einschlägig ist.

26 Der Verwaltungsgerichtshof hat ausgesprochen, dass auch in nach dem BFA‑VG zu führenden Verfahren § 24 Abs. 1 bis 3 und Abs. 5 VwGVG anzuwenden sind. Soweit es die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz nach § 68 AVG betrifft, ist auf § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu verweisen, wonach die Verhandlung (u.a. dann) entfallen kann, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei zurückzuweisen ist. In den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG liegt es im Ermessen des Verwaltungsgerichts, trotz Parteiantrages keine Verhandlung durchzuführen. Dieses Ermessen ist jedenfalls im Licht des Art. 6 EMRK zu handhaben. Dies gilt sinngemäß auch für Art. 47 GRC (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0226, mwN).

27 Dass das Verfahren, soweit es die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz betraf, fehlerhaft geblieben wäre, ist vor dem Hintergrund der vorliegenden Revision, die sich mit der Bestimmung des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG nicht auseinandersetzt, nicht ersichtlich (vgl. auch VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0226). Darüber hinaus gelingt es der Revision mit ihren Einwänden auch nicht im Übrigen ‑ dh soweit nicht die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens war ‑ darzulegen, dass fallbezogen nach § 21 Abs. 7 BFA‑VG nicht von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung hätte Abstand genommen werden dürfen.

28 Soweit sich die Revision gegen die nach Art. 8 EMRK iVm § 9 Abs. 2 BFA‑VG vorzunehmende Interessenabwägung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen ‑ wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde ‑ nicht revisibel ist (vgl. VwGH 9.12.2020, Ra 2020/18/0466, mwN).

29 Im gegenständlichen Fall berücksichtigte das BVwG, dass die Revisionswerberin seit Juni 2018 im Bundesgebiet aufhältig sei, sie in Österreich über keine familiären Anknüpfungspunkte verfüge, keiner Erwerbstätigkeit nachgehe, nicht selbsterhaltungsfähig sei und bislang keine Deutschprüfung abgelegt habe, wohingegen ihre gesamte Kernfamilie ‑ Ehemann, Kinder und Eltern ‑ neben ihren Geschwistern in der Türkei aufhältig sei, sie dort das Gymnasium abgeschlossen habe und vor der Geburt ihrer Kinder als Buchhalterin tätig gewesen sei. Überdies bestehe für sie auch in der Türkei ein freier Zugang zu medizinischer Versorgung, seien psychische Erkrankungen behandelbar und stünden erforderliche Medikamente zur Verfügung.

30 Dass diese Beurteilung unvertretbar wäre, zeigt die Revision nicht auf. Insbesondere wird nicht aufgezeigt, dass die psychische Erkrankung der Revisionswerberin ‑ ungeachtet ihrer familiären Einbettung in der Türkei ‑ ein anderslautendes Verfahrensergebnis zur Folge haben hätte können.

31 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B‑VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. Februar 2021

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