VwGH 2005/20/0343

VwGH2005/20/034326.7.2005

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Berger und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des TL(auch TSi) in W, vertreten durch Dr. Kurt Retter, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. März 2005, Zl. 256.697/0-XI/34/05, betreffend Zurückweisung eines Asylantrages wegen entschiedener Sache (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
AsylG 1997 §28;
AsylG 1997 §7;
AVG §37;
AVG §68 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens aus dem Punjab, reiste am 29. Oktober 2002 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag (erstmals) Asyl. Bei der Einvernahme am 11. Dezember 2002 gab er im Wesentlichen an, Mitglied der Akali Dal-Partei zu sein und deshalb von Anhängern der Kongresspartei verfolgt zu werden. Wegen einer Stimmkartenfälschung durch die Kongresspartei im Zusammenhang mit Lokalwahlen im März 2002 sei es zu einer Schlägerei gekommen, bei der zwei oder drei Angehörige der Kongresspartei "verletzt" worden seien. Der Beschwerdeführer sei auf Grund einer Anzeige von Mitgliedern der Kongresspartei festgenommen und bis zur Intervention eigener Parteifreunde etwa zwei bis drei Tage lang inhaftiert gewesen. Danach habe er sich zu seiner Schwester ins Nachbardorf begeben. Zwei namentlich genannte Mitglieder der Kongresspartei hätten den Beschwerdeführer etwa einen Monat später beschimpft und geschlagen, was einen etwa 15 bis 20 Tage dauernden Krankenhausaufenthalt des Beschwerdeführers zur Folge gehabt habe. Die Angehörigen seiner Partei hätten den Vorfall angezeigt und die Polizei habe die beiden Angreifer auch verhaftet. Diese hätten dann aber "mit Hilfe der Polizei wieder Freundschaft" mit den Parteifreunden des Beschwerdeführers geschlossen und seien wieder freigelassen worden. Zum Vater des Beschwerdeführers hätten sie gesagt, sie würden diesen umbringen. Durch einen Wohnsitzwechsel könne sich der Beschwerdeführer diesem Problem nicht entziehen, denn die Kongresspartei sei eine große Partei und die Verfolger des Beschwerdeführers würden diesen in Indien überall finden können.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheid vom 11. Dezember 2003 den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es schenkte seinem Vorbringen keinen Glauben. Eventualiter wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, selbst bei Annahme von Anfeindungen in seinem Heimatdorf deute "nichts darauf hin, dass diesen weiter gehender als regionaler Charakter zukommt. Weiters sei darauf hingewiesen, dass die derzeit Indien dominierende Partei die PJB und nicht die Kongresspartei ist".

Dieser Bescheid wurde dem Beschwerdeführer am 11. Dezember 2003 persönlich ausgefolgt und blieb unangefochten.

Mit Schriftsatz vom 3. November 2004 beantragte der Beschwerdeführer neuerlich Asyl. In dem Schriftsatz führte er aus, er habe "per Fax ein Dokument erhalten, das eine neuerliche Bewertung meiner Fluchtgründe erfordert".

Am 15. Dezember 2004 gab der Beschwerdeführer zu diesem Antrag im Erstaufnahmezentrum Ost des Bundesasylamtes - aus der Schubhaft vorgeführt - zu Protokoll, er habe über seine Eltern erfahren, "dass einige Male wieder die Polizei bei mir zu Hause gewesen ist, meine Probleme bestehen nach wie vor". Die Frage, ob sich an den Gründen, weshalb er Indien verlassen und in Österreich um Asyl angesucht habe, etwas geändert habe, verneinte er.

Bei der zweiten Einvernahme nach Rechtsberatung gab er an, er habe "jetzt noch mehr Probleme in Indien". Die Situation habe sich für ihn "verschlechtert, weil die CP in ganz Indien an der Macht ist. Mein Vater wurde auch zwei Mal verhaftet und misshandelt. Ich werde von der Polizei gesucht und habe einen Beweis dafür vorgelegt". Der Beschwerdeführer habe "Angst vor der CP, diese haben veranlasst, dass die alten Akten wieder geöffnet wurden, deswegen würde ich verhaftet werden". Bei den alten Akten gehe es darum, dass der Beschwerdeführer "bei den letzten Wahlen" fälschlicherweise wegen Beteiligung an einem Wahlbetrug angezeigt worden sei. Außerdem habe es "damals Auseinandersetzungen" gegeben "und es wurde ein Mann getötet. Ich bin auch in diesen Fall verwickelt".

Bei der vom Beschwerdeführer zum Zweitantrag vorgelegten Urkunde handelte es sich um ein der beigefügten Stampiglie zufolge am 28. September 2004 in Jalandhar beglaubigtes "Affidavit" darüber, dass der Beschwerdeführer ein "worker of Akali Party" sei, es während der Wahlen im Punjab im Jahr 2002 zu einer Auseinandersetzung mit Mitgliedern der Kongresspartei gekommen sei, diese den Beschwerdeführer zusammengeschlagen hätten und er unter einer falschen Anschuldigung verhaftet worden sei.

Mit Bescheid vom 22. Dezember 2004 wies das Bundesasylamt den Zweitantrag des Beschwerdeführers gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück. Diese Entscheidung stützte sich - ohne Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit des zum Zweitantrag erstatteten Vorbringens - im Wesentlichen auf folgende Gründe:

"Von der erkennenden Behörde kann kein neuer entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt werden. Die Begründung des neuerlichen Asylantrages des Ast. reicht nicht aus, einen neuen, gegenüber dem früheren Asylantrag wesentlich geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalt entstehen zu lassen. (...) Wie sich aus der niederschriftlichen Einvernahme und dem schriftlichen Vorbringen des Antragstellers ergibt, hat dieser auch keine zusätzlichen individuellen Gründe vorgebracht, welche eine allenfalls in seiner Person gelegene neue, individuelle Gefährdung für den Entscheidungszeitpunkt begründen könnte. Das vom Ast. vorgelegte und als Beweismittel bezeichnete Schriftstück ... enthält Angaben zur angeblichen Mitgliedschaft des Ast. bei der Akali Dal und zu einer Auseinandersetzung welche im Zuge der Wahlen 2002 stattgefunden haben soll. In diesem Schriftstück werden die Angaben des Ast. aus dem ersten Asylverfahren lediglich wiedergegeben ..."

Die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid enthielt kein weiteres Vorbringen zur Begründung des Zweitantrages.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 68 Abs. 1 AVG ab.

Diese Entscheidung stützte sich - abgesehen von einer Darstellung des Verfahrensganges und allgemein gehaltenen Rechtsausführungen - im Wesentlichen auf folgende Gründe:

"Im vorliegenden Fall hat der Berufungswerber anlässlich der zu seinem zweiten Asylantrag am 15.12.2004 durchgeführten Einvernahme ausdrücklich angegeben, er könne keinen weiteren Fluchtgrund angeben. Bei der zweiten Einvernahme gab er dann an, dass er fälschlicherweise angezeigt wurde an einem Wahlbetrug beteiligt gewesen zu sein und angeblich zu einer falschen Stimmabgabe beigetragen zu haben. Außerdem gab es damals Auseinandersetzungen und ein Mann sei getötet worden.

Was das Vorbringen hinsichtlich der Auseinandersetzungen im Zuge der Wahlen betrifft, ist auszuführen, dass die Aufrechterhaltung derselben Verfolgungsbehauptungen und Bezugnahme darauf sich nicht als wesentlich geänderter Sachverhalt, sondern als Bekräftigung beziehungsweise als Behauptung des 'Fortbestehens und Weiterwirkens' (VwGH 20.03.2003, 99/20/0480) eines Sachverhaltes darstellen, über den bereits rechtskräftig abgesprochen wurde. Die behauptete Verfolgung auf Grund dieser Ereignisse wurde vom Berufungswerber schon im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren vorgebracht. Die Vorkommnisse rund um die Auseinandersetzung bei den Wahlen sind daher Sachverhaltselemente, die auf dem bereits ersten rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren aufbauen und sind als 'Fortbestehen und Weiterwirken eines Sachverhaltes' zu qualifizieren. Mit dem zweiten Antrag wird daher im Ergebnis nur die erneute sachliche Auseinandersetzung mit dem bereits im Verfahren über den ersten Asylantrag gewürdigten Sachverhalt bezweckt.

Zu dem in der Berufung erstatteten Vorbringen ist auszuführen, dass für die Berufungsbehörde der Sachgegenstand i. S.d. § 66 Abs. 4 AVG ausschließlich die Frage ist, ob die erstinstanzliche Behörde zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung mit Recht den neuerlichen Antrag gem. § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat ..."

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die zuletzt wiedergegebenen - im Bescheid noch fortgesetzten -

Ausführungen der belangten Behörde gehen ins Leere, weil der Beschwerdeführer in der Berufung gegen die erstinstanzliche Zurückweisung des Zweitantrages kein weiteres Vorbringen erstattet hat.

In den vorangegangenen Ausführungen zur Begründung des angefochtenen Bescheides fehlt eine Auseinandersetzung mit dem Umstand, dass der Beschwerdeführer zu seinem Zweitantrag einerseits mit dem Hinweis darauf, dass die Kongresspartei jetzt "in ganz Indien an der Macht" sei, eine Änderung der allgemeinen Lage (die für sich genommen allerdings nur die Eventualbegründung des rechtskräftigen Bescheides berühren würde) behauptet und andererseits auch ein Vorbringen über ihn betreffende Verfolgungshandlungen erstattet hat, die erst nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens stattgefunden haben sollen. Er hat behauptet, die Polizei habe "einige Male wieder" bei ihm zu Hause nach ihm gesucht und - erkennbar in diesem Zusammenhang - seinen Vater zweimal verhaftet und misshandelt.

Die belangte Behörde ist diesen Vorbringensteilen ohne deren Erwähnung in ihren Rechtsausführungen mit dem auf das Gesamtvorbringen bezogenen Argument begegnet, es handle sich um die Behauptung eines "Fortbestehens und Weiterwirkens" der von Anfang an geltend gemachten Verfolgungsgefahr.

Dieses Argument - das in dem dazu zitierten hg. Erkenntnis vom 20. März 2003, Zl. 99/20/0480, im hier gegebenen Zusammenhang keine Stütze findet (vgl. dazu auch Punkt 3. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom heutigen Tag, Zl. 2005/20/0226) - nimmt nicht darauf Bedacht, dass der in der Primärbegründung des rechtskräftigen Bescheides vom 11. Dezember 2003 angenommene Sachverhalt gerade nicht mit dem damaligen Vorbringen des Beschwerdeführers identisch war (vgl. insoweit Punkt 2.3. und 2.4. der Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 4. November 2004, Zl. 2002/20/0391) und der Beschwerdeführer mit der damals gar nicht erhobenen Behauptung, er werde von der Polizei gesucht, habe eine behördliche Verfolgung wegen "wieder geöffneter" - d.h. offenbar zunächst geschlossener - "Akten" zu befürchten und in diesem Zusammenhang sei jetzt sogar sein Vater wiederholt verhaftet und misshandelt worden, auch ein über das bloße "Fortbestehen und Weiterwirken" der im ersten Verfahren beschriebenen Gefahren hinausgehendes Bedrohungsbild geltend gemacht hat (vgl. zum Thema der "Gefahrenvergrößerung" Punkt 2.5. des erwähnten Erkenntnisses vom 4. November 2004; zuletzt etwa auch das Erkenntnis vom 31. März 2005, Zl. 2003/20/0468).

Bei dieser Sachlage hätte schon für das Bundesasylamt und jedenfalls für die belangte Behörde die Notwendigkeit bestanden, sich beweiswürdigend damit auseinander zu setzen, ob den nunmehrigen - nicht von vornherein asylrechtlich irrelevanten und auch die seinerzeitige Eventualbegründung auf Grund neuer Tatsachen in Frage stellenden - Behauptungen über behördliche Maßnahmen gegen den Beschwerdeführer ein glaubwürdiger Kern zuzubilligen sei oder nicht (vgl. dazu Punkt 3.1. der Entscheidungsgründe des schon mehrfach zitierten Erkenntnisses vom 4. November 2004). In diese Prüfung wären die gesamten Ermittlungsergebnisse beider Verfahren unter Einschluss der neu vorgelegten Urkunde einzubeziehen gewesen. Dass letztere sich allerdings inhaltlich - wie das Bundesasylamt richtig hervorhob - nur auf den schon im ersten Verfahren behaupteten, für sich allein keiner neuerlichen Prüfung auf Grund eines Zweitantrages zu unterziehenden Sachverhalt bezog, ändert daran nichts.

Da die belangte Behörde das im vorliegenden Fall aus den dargestellten Gründen gegebene Erfordernis eines Glaubwürdigkeitsprüfung im Zuge der Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit des Zweitantrages verkannt hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. Juli 2005

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