VwGH Ra 2016/21/0224

VwGHRa 2016/21/022420.10.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 17. Mai 2016, G307 2121525-1/4E, betreffend Rückkehrentscheidung und Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: V P in W, vertreten durch Mag. A R, pA Caritas Wien/MigrantInnenzentrum, 1160 Wien, Lienfeldergasse 75-79), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 2005 §55 Abs1;
AsylG 2005 §55 Abs2;
AsylG 2005 §55;
AsylG 2005 §58 Abs2;
AsylG 2005 §58 Abs9 Z2;
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z4;
BFA-VG 2014 §9 Abs3;
BFA-VG 2014 §9;
FrPolG 2005 §46a Abs1 Z4;
FrPolG 2005 §46a Abs6;
FrPolG 2005 §52 Abs4 Z4;
FrPolG 2005 §52 Abs4;
FrPolG 2005 §52;
MRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs1;
NAG 2005 §11 Abs2;
NAG 2005 §24 Abs1;
NAG 2005 §25 Abs1;
NAG 2005 §25 Abs2;
NAG 2005 §25;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2016210224.L00

 

Spruch:

Das angefochtene Erkenntnis wird insoweit, als es feststellt, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist und dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen, wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Im Übrigen (Stattgebung der zugrunde liegenden Beschwerde und Aufhebung des angefochtenen Bescheides) wird die Revision als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Mitbeteiligte ist serbischer Staatsangehöriger und reiste - damals knapp 15-jährig - im Dezember 2009 zu seiner Mutter nach Österreich. Diese ist seit 2002 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet und verfügt über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt-EU".

2 Der Mitbeteiligte lebt mit seiner Mutter, seinem Stiefvater und seinen beiden Halbgeschwistern im gemeinsamen Haushalt. Die Halbgeschwister, geboren 2003 und 2010, sind österreichische Staatsbürger. Das jüngere Kind ist behindert und bedarf dauerhafter Pflege.

3 Der zunächst unrechtmäßig im Bundesgebiet befindliche Mitbeteiligte erhielt mit Gültigkeit von 15. Mai 2012 bis 15. Mai 2013 einen Aufenthaltstitel "Familienangehöriger". Am 6. Mai 2013 stellte er einen Verlängerungsantrag, den er in der Folge auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" modifizierte.

4 Bei Bearbeitung dieses Antrags ging die Niederlassungsbehörde davon aus, dass der nicht berufstätige Mitbeteiligte, dessen Familie Notstandshilfe bzw. Mindestsicherung beziehe, die Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht erfülle; sein Aufenthalt könnte zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen. Die Niederlassungsbehörde leitete somit ein Verfahren nach § 25 Abs. 1 NAG ein.

5 Das so befasste Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) sprach schließlich mit Bescheid vom 21. Jänner 2016 aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 55 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Unter einem erließ das BFA gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei, und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

6 Mit Erkenntnis vom 17. Mai 2016 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, in der der Mitbeteiligte, seine Mutter und sein Stiefvater einvernommen worden waren, der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde statt, behob den Bescheid und stellte fest, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei. Außerdem sprach es aus, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorlägen.

7 Das BVwG stellte insbesondere fest, dass der Mitbeteiligte in Serbien, wohin keine Bindungen mehr bestünden, die Grundschule und in Österreich sechs Monate den polytechnischen Lehrgang besucht habe. Er spreche sehr gut Deutsch und verfüge über einen arbeitsrechtlichen Vorvertrag sowie die Einstellungszusage einer näher genannten KG. Zur Zeit sei er - nach einer zweitägigen Beschäftigung im September 2015 und einer weiteren kurzfristigen Beschäftigung im Oktober 2015 - arbeitslos, jedoch seit 8. April 2016 bei der Wiener Gebietskrankenkasse selbstversichert. Zahlreiche (weitere) Versuche, eine Arbeitsstelle zu erlangen, seien (nur) in Ermangelung eines Aufenthaltstitels gescheitert. Angesichts der somit gegebenen intensiven familiären und privaten Bindungen des Mitbeteiligten sei - so das BVwG zusammenfassend in seiner rechtlichen Beurteilung - in einer Gesamtschau davon auszugehen, dass sein Interesse an der Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens in Österreich im konkreten Fall die in Art. 8 Abs. 2 EMRK angeführten öffentlichen Interessen überwiege, sodass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen nicht nur vorübergehenden unverhältnismäßigen Eingriff in sein Recht auf Privat- und Familienleben darstellen würde. Seiner Beschwerde sei deshalb stattzugeben und gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG festzustellen, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei; gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG sei der angefochtene Bescheid "insoweit" aufzuheben. Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 - so das BVwG weiter - sei die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG rechtskräftig auf Dauer für unzulässig erklärt werde. Da der Mitbeteiligte einen Nachweis über die Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a NAG vorgelegt habe und sein Verbleib in Österreich zur Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens geboten sei, sei gleichzeitig festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorlägen.

8 Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG noch aus, dass eine Revision gegen sein Erkenntnis gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

 

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene - wie sich aus dem Nachstehenden ergibt, entgegen der Ansicht des BVwG zulässige - Revision des BFA, zu der der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage erwogen:

9 Auszugehen ist davon, dass sich der Mitbeteiligte zunächst auf Basis des ihm erteilten Aufenthaltstitels rechtmäßig im Bundesgebiet aufhielt. Da er rechtzeitig einen Verlängerungsantrag gestellt hatte, blieb sein Aufenthalt gemäß § 24 Abs. 1 dritter Satz NAG auch nach Ablauf der Gültigkeitsdauer dieses Aufenthaltstitels (15. Mai 2013) weiter rechtmäßig.

10 Die Niederlassungsbehörde gelangte im Verlängerungsverfahren jedoch zu dem Ergebnis, dass der Mitbeteiligte die allgemeine Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht mehr erfülle. Wie die Niederlassungsbehörde in einem solchen Fall vorzugehen hat, ergibt sich aus § 25 NAG.

Diese Bestimmung lautet:

"Verfahren im Fall des Fehlens von Erteilungsvoraussetzungen für die Verlängerung eines Aufenthaltstitels

§ 25. (1) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2, so hat die Behörde - gegebenenfalls nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff. FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012) zulässig scheint. Außerdem hat sie ihn zu informieren, dass er das Recht hat, sich hiezu binnen einer gleichzeitig festzusetzenden, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist zu äußern. Nach Ablauf dieser Frist hat die Behörde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - gegebenenfalls unter Anschluss der Stellungnahme des Fremden - zu verständigen. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.

(2) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird. Ist eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig, hat die Behörde einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen.

(3) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels besondere Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles, hat die Behörde den Antrag ohne weiteres abzuweisen."

11 Die in § 25 Abs. 1 und 2 NAG angesprochene Aufenthaltsbeendigung hat ihre konkrete Grundlage in § 52 Abs. 4 Z 4 FPG, wonach gegen einen Drittstaatsangehörigen, der sich rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen ist, wenn der Erteilung eines weiteren Aufenthaltstitels ein Versagungsgrund (§ 11 Abs. 1 und 2 NAG) entgegensteht.

12 Auch eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG ist nur nach Maßgabe des § 9 BFA-VG zulässig. Diese Vorschrift ordnet unter der Rubrik "Schutz des Privat- und Familienlebens" in ihren ersten drei Absätzen Folgendes an:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

  1. 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
  2. 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
  3. 4. der Grad der Integration,
  4. 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
  5. 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
  6. 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

    8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

    9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre."

13 Dem zuletzt zitierten § 9 Abs. 3 BFA-VG liegt zugrunde, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 52 FPG erfüllt sind. Steht der Erlassung einer solchen Maßnahme auch die gebotene Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG nicht entgegen, so hat die Rückkehrentscheidung grundsätzlich zu ergehen. Ergibt die Abwägung hingegen, dass die privaten oder familiären Interessen des Fremden das öffentliche Interesse an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung überwiegen, so hat sie zu unterbleiben; zugleich ist auszusprechen, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nur vorübergehend oder auf Dauer unzulässig ist. Wird Ersteres rechtskräftig festgestellt, so ist der Aufenthalt des betreffenden Fremden damit gemäß § 46a Abs. 1 Z 4 (iVm Abs. 6) FPG geduldet. Kommt es aber zum Ausspruch, die Erlassung einer Rückkehrentscheidung sei auf Dauer unzulässig, so ordnet § 58 Abs. 2 AsylG 2005 für diesen Fall an, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen "zu prüfen" ist (was nach wie vor heißt, dass gegebenenfalls ein solcher "Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK" zu erteilen ist; vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 12. November 2015, Ra 2015/21/0101, Punkt 3.4.2. der Entscheidungsgründe). In diesem Sinn halten die ErläutRV zur am 1. Jänner 2014 in Kraft getretenen Stammfassung des § 9 Abs. 3 BFA-VG (1803 BlgNR 24. GP 12) fest,

"(d)ie Frage, ob eine Rückkehrentscheidung aus Gründen des Art. 8 EMRK dauerhaft unzulässig ist, ist maßgeblich für die amtswegige Prüfung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005. Die dauerhafte Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung führt gemäß § 55 AsylG 2005 nämlich entweder zur Erteilung einer ¿Aufenthaltsberechtigung plus' gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 oder zur Erteilung einer ¿Aufenthaltsberechtigung' gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005."

14 Der Ausspruch über die dauernde oder nur vorübergehende Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung ist somit nicht Selbstzweck. Es geht vielmehr darum, eine eindeutige Grundlage für die weitere aufenthaltsrechtliche Stellung des Fremden zu schaffen, sei es durch Duldung oder Erteilung des Aufenthaltstitels "aus Gründen des Art. 8 EMRK" nach § 55 AsylG 2005 (vgl. idS schon das zur Rechtslage vor dem 1. Jänner 2014 ergangene hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2012, Zl. 2012/21/0030, Punkt 3.1. iVm Punkt 2. der Entscheidungsgründe).

15 In einer Konstellation wie hier, in der im Gefolge eines Verlängerungsantrages die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG zu prüfen ist, kommt diese Zielsetzung indes nicht zum Tragen. Erweist sich im Zuge einer Vorgangsweise nach § 25 NAG die Erlassung einer Rückkehrentscheidung - aus welchem Grund bzw. auf welche Dauer auch immer - als unzulässig, so hat die Niederlassungsbehörde gemäß § 25 Abs. 2 dritter Satz NAG nämlich ohnehin "einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen", das heißt dem Verlängerungsantrag stattzugeben und den bisherigen Aufenthaltstitel erneut (allenfalls aber auch einen anderen nunmehr in Betracht kommenden Titel nach dem NAG) auszustellen. Damit bleibt aber weder Platz für eine Duldung, die einen titellosen Aufenthalt voraussetzt, noch für einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005, der nicht neben einen bereits bestehenden Aufenthaltstitel treten kann (vgl. auch § 58 Abs. 9 Z 2 AsylG 2005, wonach ein Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach dem 7. Hauptstück des AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen ist, wenn der Drittstaatsangehörige bereits über ein Aufenthaltsrecht - u.a. - nach dem NAG verfügt). Davon ausgehend - und weil dem Gesetz nicht unterstellt werden kann, es ordne Überflüssiges an - ist § 9 Abs. 3 BFA-VG dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass (jedenfalls) im Rückkehrentscheidungsverfahren nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG die entbehrlichen Aussprüche über die nur vorübergehende oder dauernde Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu unterbleiben haben.

16 Im vorliegenden Fall war seitens der Niederlassungsbehörde das nach § 25 Abs. 1 NAG vorgesehene Verfahren eingeleitet worden. Dieses mündete - das BFA teilte die Ansicht der Niederlassungsbehörde, der Mitbeteiligte erfülle die allgemeine Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG nicht mehr - zunächst in der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG.

17 Das mit Beschwerde angerufene BVwG ging auf die Frage, ob der vom BFA zu Grunde gelegte Rückkehrentscheidungstatbestand nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG vorliege, nicht ein. Das angefochtene Erkenntnis ist aber so zu verstehen, dass das BVwG insoweit der - in der Beschwerde nicht bestrittenen - Auffassung des BFA beitrat und die von ihm dann vorgenommene Aufhebung der Rückkehrentscheidung - ausschließlich - darauf gründete, dass die gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG gebotene Abwägung zu Gunsten des Mitbeteiligten auszufallen habe. Damit verband es dann die Feststellung nach § 9 Abs. 3 BFA-VG, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei.

18 Zu diesem Ausspruch war es nach dem Gesagten aber nicht befugt. Ebensowenig war eine Feststellung dahingehend zu treffen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Aufenthaltsberechtigung plus" nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen. In Bezug auf diese beiden Feststellungen erweist sich das angefochtene Erkenntnis daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG als mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes belastet. Insoweit ist die Amtsrevision daher im Ergebnis berechtigt, wenngleich der darin in diesem Zusammenhang primär erhobene Vorwurf, das BVwG habe die gebotene "Prüfreihenfolge" missachtet, weil es in die Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG erst nach Bejahung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs. 4 Z 4 FPG hätte eintreten dürfen, von vornherein keine Basis hat. Vor dem Hintergrund der - wie gezeigt - gebotenen (eingeschränkten) Lesart des § 9 Abs. 3 BFA-VG iVm der Anordnung des § 25 Abs. 2 dritter Satz NAG, wonach die Verlängerung des bisherigen Aufenthaltstitels nach dem NAG jedenfalls zu erfolgen hat, aus welchem Grund auch immer die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 4 Z 4 FPG nicht in Betracht kommt, spricht nämlich nichts dagegen, das etwa strittige Vorliegen einer Erteilungsvoraussetzung dahinstehen zu lassen, wenn klar ersichtlich ist, die Interessenabwägung habe ohnehin zu Gunsten des Fremden auszufallen.

19 Im Übrigen treffen in Anbetracht der obigen Ausführungen über das Verständnis der angefochtenen Entscheidung auch die Vorwürfe, es sei nicht erkennbar, "auf welche konkrete Rechtslage" das BVwG den gegenständlichen Fall stütze, und seine Erwägungen würden den Anforderungen an die Begründung einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht entsprechen, nicht zu.

20 Schließlich ist vor allem angesichts der familiären Bindungen des Mitbeteiligten auch die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung zu seinen Gunsten nicht zu beanstanden, zumal dem in diesem Zusammenhang in der Amtsrevision in den Vordergrund gerückten Umstand, dass der Mitbeteiligte sich zunächst (bis Mai 2012) unrechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat, angesichts seiner damaligen Minderjährigkeit und des nunmehr vierjährigen rechtmäßigen Aufenthalts keine wesentliche Bedeutung mehr zukommt. Was aber den noch weiter angesprochenen "Grad der Integration" (§ 9 Abs. 2 Z 4 BFA-VG) anlangt, so lässt die Amtsrevision den mehrmonatigen Schulbesuch des Mitbeteiligten in Österreich außer Acht. Auch dem Vorhandensein einer Einstellungszusage und ebenso - anders als das BFA meint - den sehr guten Deutschkenntnissen des Mitbeteiligten, von denen sich das BVwG aus Anlass der ohne Dolmetsch durchgeführten Beschwerdeverhandlung ein Bild machen konnte, kommt in diesem Zusammenhang Bedeutung zu (siehe etwa das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2016, Ra 2016/21/0165, Rz 24 f). Dass der Mitbeteiligte keine maßgebliche Integration aufweise - so das BFA der Sache nach - trifft daher nicht zu.

21 Zusammenfassend begegnet damit die Beschwerdestattgebung durch das BVwG, also die Behebung der vom BFA erlassenen Rückkehrentscheidung (samt Nebenaussprüchen) sowie die Behebung seines amtswegig vorgenommenen Ausspruches nach § 55 AsylG 2005 (wofür es von vornherein keine Rechtsgrundlage gab; vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. September 2016, Ra 2016/21/0234, Rz 28), keinen Bedenken, weshalb die Revision insoweit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Wien, am 20. Oktober 2016

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