BVwG W182 2214897-1

BVwGW182 2214897-121.11.2019

AsylG 2005 §10
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:W182.2214897.1.00

 

Spruch:

W182 2214897-1/15E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. PFEILER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.01.2019, Zl. 740298708 - 180953908/BMI-BFA_OOE_RD, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.07.2019 gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBI. I. Nr 33/2013 idgF, zu Recht erkannt:

 

A) I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen

Bescheides wird insofern stattgegeben, als gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, die Dauer des Einreiseverbotes auf 5 Jahre herabgesetzt wird.

 

II. Im Übrigen wird die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 4 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 8 Abs. 1 Z 2, 10, 57 AsylG 2005 sowie § 57 AsylG 2005, § 10 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG), BGBl I. Nr. 87/2012 idgF, § 52 Abs. 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), BGBl. I. Nr. 100/2005 idgF, § 46 FPG, § 52 Abs. 9 FPG, § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 FPG und § 55 Abs. 1 - 3 FPG, als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz

(B-VG), BGBl. I Nr. 1/1930 idgF, nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, gehört der tschetschenischen Volksgruppe an, ist Muslim, stammt aus Grosny, reiste im Februar 2004 im Alter von sieben Jahren mit seinen Eltern und Geschwistern illegal in das Bundesgebiet ein und wurde für ihn am 21.02.2004 ein Asylantrag gestellt.

 

In einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 23.08.2004 präzisierte der Vater als gesetzlicher Vertreter des BF, dass es sich dabei um einen Asylerstreckungsantrag handeln würde und der BF keine eigenen Fluchtgründe habe. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der Vater des BF an, aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Situation und der damit verbundenen Gefahren Tschetschenien verlassen zu haben, konkret gegen ihn gerichtete Handlungen habe es nicht gegeben.

 

Dem Vater des BF wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.11.2004, Zl. 04 02.984-BAL, gemäß § 7 Asylgesetz 1997, BGBl I 1997/76 idF BGBl I Nr. 126/2002 (AsylG), Asyl gewährt und gemäß § 12 leg. cit. festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

Dem BF wurde aufgrund seiner Eigenschaft als Familienangehöriger des asylberechtigten Vaters mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.11.2004, Zl. 04 02.987-BAL, gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997, BGBl I 1997/76 (AsylG) idgF, durch Erstreckung in Österreich Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

Mit Aktenvermerk vom 09.10.2018 wurde seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Bundesamt) in Folge einer Anklageerhebung gegen den BF ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.

 

Im Zuge des Aberkennungsverfahrens fand am 31.10.2018 vor dem Bundesamt eine Einvernahme des BF statt. Der BF gab dabei an, in Tschetschenien für ein Jahr die Schule besucht zu haben, in Österreich habe er vier Jahre die Volksschule und vier Jahre die Hauptschule besucht, eine Lehre habe er nicht absolviert. Er sei seit ca. einem Monat arbeitssuchend und habe Schulden. Zu seinem Privat- und Familienleben in Österreich befragt gab der BF an, er lebe bei seinem Vater und seiner Mutter, des Weiteren sei eine Schwester von ihm in Österreich; er sei ledig und habe keine Kinder. Der Vater habe Asthma, könne nicht mehr arbeiten und beziehe Sozialhilfe; die Mutter arbeite als Putzfrau in einem Hotel. Er habe keine Verwandten im Heimatland und kenne dort niemanden mehr. In seiner Freizeit würde er boxen und treffe sich mit Freunden.

 

Zu den vorliegenden Anzeigen und Verurteilungen befragt gab der BF an, dies liege schon seit längerem zurück und sei er ein "Vollidiot" gewesen. Er habe sich nun Ziele gesetzt und möchte ein normales Leben führen. Im Übrigen habe er ein Antiaggressionstraining besucht.

 

2. Mit dem im Spruch genannten, angefochtenen Bescheid vom 10.01.2019 (im Bescheid aufgrund eines offensichtlichen Versehens mit 10.01.2018 datiert) erkannte das Bundesamt dem BF den mit Bescheid vom 04.11.2004, Zl. 04 02.987-BAL, zuerkannten Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ab und stellte gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 fest, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Weiters erkannte das Bundesamt dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zu (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.) und gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des BF gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 0 FPG idgF wurde gegen den BF ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

 

Darin wurde u.a. festgestellt, dass die Identität des BF feststehe, er der Volksgruppe der Tschetschenen angehöre und muslimischen Glaubens sei. Er sei unverheiratet, kinderlos, gesund und arbeitsfähig. Der BF sei nach der Asylgewährung viermal rechtskräftig verurteilt worden, mit Urteil eines Bezirksgerichts vom XXXX 2012 wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB, mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX 2012 wegen Einbruchsdiebstahls nach §§ 127, 129 Z 1 StGB, mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX 2017 wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und unerlaubtem Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 1. Fall, 27 Abs. 1 2. Fall und 27 Abs. 1 8. Fall SMG sowie mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX 2018 wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG.

 

Die Behörde verwies darauf, dass § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 bei Vorliegen der in § 6 AsylG 2005 aufgelisteten Ausschlussgründe, darunter die rechtskräftige Verurteilung durch ein inländisches Gericht wegen einem besonders schweren Verbrechens, eine Aberkennung des Status des Asylberechtigten vorsehe. Das Delikt des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG stelle ein besonders schweres Verbrechen dar und stelle der BF aufgrund seiner mehrfachen Verurteilung eine auffallende Gefahr für die Gemeinschaft dar, weshalb die Voraussetzungen für eine Aberkennung nach § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 vorliegen würden.

 

Es könne nicht festgestellt werden, dass der BF in seinem Herkunftsland einem realen Risiko unterworfen wäre, einer Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Gefahr ausgesetzt zu sein oder einer den Art. 6 oder 13 Zusatzprotokoll zur EMRK widerstreitenden Behandlung unterworfen zu sein. Eine wie auch immer geartete Gefährdung seiner Person im Fall der Rückkehr in die Russische Föderation könne nicht festgestellt werden. Es könne nicht festgestellt werden, ob der BF aktuell in der Russischen Föderation aufhältige Familienangehörige habe, er sei jedoch ein gesunder junger und arbeitsfähiger Mann, der seinen Lebensunterhalt aus Gelegenheitsarbeiten bestreiten könne.

 

Zu den in Österreich lebenden Familienangehörigen bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis und daher kein schützenswertes Familienleben, darüber hinaus würden keine besonderen und außergewöhnlichen sozialen Beziehungen in Österreich bestehen. Ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF sei daher gerechtfertigt.

 

Mit Verfahrensanordnung vom 11.01.2019 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG ein Rechtsberater amtswegig zur Seite gestellt.

 

3. Gegen den am 15.01.2019 durch Hinterlegung zugestellten Bescheid erhob der BF fristgerecht in vollem Umfang Beschwerde und führte darin im Wesentlichen aus, dass seine wirtschaftliche und soziale Lage im Fall einer Rückkehr nach Russland aufgrund seines fehlenden familiären Netzes keinesfalls gesichert wäre und die Behörde dahingehend mangelhafte Ermittlungen geführt habe. Die dem bekämpften Bescheid zugrundeliegende Beweiswürdigung sei höchst einseitig und tendenziös und seien dabei weder die Art und Schwere der Verbrechen noch die bestehenden familiären und privaten Bindungen des BF in Österreich oder die fehlenden Bindungen zum Herkunftsland gewürdigt worden. Das vom BF begangene Verbrechen sei darüber hinaus aufgrund der vorliegenden Milderungsgründe und der Höhe des bedingten Strafausmaßes nicht als subjektiv besonders schwerwiegend zu erachten, zumal die angedrohte Strafdrohung nicht ausgeschöpft worden sei. Der BF sei seit fast 15 Jahren in Österreich asylberechtigt und habe den Großteil seines Lebens in Österreich verbracht, zudem sei er in Österreich stark familiär verankert, spreche sehr gut Deutsch und habe gerade eine Arbeit aufgenommen. Er kümmere sich um seinen lungenkranken Vater und die Kinder seiner Schwester. Zum Beweis dieser intensiven Bindungen wurde die Einvernahme der in Österreich lebenden Familienangehörigen als Zeugen beantragt. Des Weiteren sei bei der Abwägung des Privat- und Familienlebens in Bezug auf die Bindungen zum Heimatstaat nicht berücksichtigt worden, dass der BF von seiner Heimat entwurzelt sei und inwieweit er sich im seinem Herkunftsstaat eine Existenzgrundlage schaffen könne. Es wurde u.a. die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt. Der Beschwerde beigeschlossen waren ein Sozialversicherungsauszug, ein Schreiben des BF, ein ärztliches Attest und ein lungenärztlicher Befund den Vater betreffend, eine Bestätigung über die Teilnahme am Rückkehrberatungsgespräch, eine Teilnahmebestätigung eines Anti-Gewalt-Trainings, Zeugnisse der Volks- und Hauptschule sowie etliche Unterstützungsschreiben.

 

4. Anlässlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung am 12.07.2019 wurde Beweis aufgenommen durch Einvernahme des BF in Anwesenheit eines Vertreters der Behörde, des Vertreters des BF sowie einer Dolmetscherin der russischen Sprache, weiters durch Einsichtnahme in die Verwaltungsakten des Bundesamtes sowie in den Akt des Bundesverwaltungsgerichtes. Der BF, welcher durchwegs in deutscher Sprache einvernommen wurde, brachte dabei vor, in Österreich seien seine Eltern und eine Schwester aufhältig. Seit einem Jahr wohne er wieder bei seinem Vater, er sei jedoch bei seiner Mutter gemeldet. Seine Schwester wohne in der Nähe des Vaters mit ihrem Ehegatten zusammen. Ein Cousin und dessen Familie seien ebenfalls in Österreich. Er habe gedacht, dass alle Familienangehörigen in Russland tot seien, vor zwei oder drei Tagen habe er jedoch von seiner Mutter erfahren, dass diese einen Bruder und eine Schwester in Russland habe. Ob sein Vater noch Angehörige in Russland habe wisse er nicht; er habe keinen Kontakt zu Familienangehörigen im Herkunftsland. Der BF führte an, gesund zu sein und seit Mai einer legalen Erwerbstätigkeit nachzugehen. Er verfüge über einen Hauptschulabschluss; einen Lehrabschluss oder eine Berufsausbildung habe er nicht gemacht. Er habe eine Freundin, mit der er seit einem Jahr zusammen sei, aber nicht zusammenwohnen würde. In Bezug auf seine letzte Verurteilung habe er einen Antrag auf eine Fußfessel gestellt und sei aus diesem Grund bislang noch nicht in Haft gewesen. Er sei vom Weg abgekommen und habe sich mit falschen Freunden eingelassen, sein Ziel sei es jetzt aber zu arbeiten, Geld zusammenzusparen, eine Familie zu gründen und in die richtige Richtung zu gehen. Dazu befragt, was er befürchte, wenn er in sein Herkunftsland zurückkehren müsste, gab er an, dass Tschetschenien für ihn ein unbekanntes Land wäre, es herrsche dort Armut und er beherrsche nicht die russische Sprache.

 

Die Mutter des BF wurde am selben Tag als Zeugin einvernommen und gab dabei an, einen Bruder und eine Schwester zu haben, welche in Grosny leben und ihren Unterhalt durch Gelegenheitsarbeiten bestreiten würden. Des Weiteren habe sie eine Tante in der Russischen Föderation; der BF habe keinen Kontakt zu den Verwandten im Herkunftsland. Auch bezweifle sie, dass diese für den BF sorgen würden, da sie selbst in einer angestrengten finanziellen Lage seien und den BF nicht kennen würden. Aktuell würde der BF bei ihr wohnen, das Wochenende verbringe er beim Vater.

 

Ebenfalls als Zeugin einvernommen wurde die Schwester des BF, welche angab, mit ihrem Gatten nicht zusammen zu wohnen, dieser sei jedoch öfters bei ihr. Sie wohne in direkter Nachbarschaft. Am Wochenende sei der BF beim Vater und unter der Woche bringe der BF den Vater zur Mutter. Der Vater habe einen Bruder in der Russischen Föderation, welcher Alkoholiker sei. Die Beziehung des BF zu ihren Kindern sei sehr innig und habe sie selbst auch eine enge Bindung zu ihm.

 

Der Verhandlung nachfolgend wurden folgende Unterlagen in Vorlage gebracht:

 

 

 

 

 

In einer schriftlichen Stellungnahme des Bundesamtes vom 16.07.2019 zur Beschwerdeverhandlung wurde mitgeteilt, dass das Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten des Vaters des BF mit 27.06.2019 in Rechtskraft erwachsen sei. Diesbezüglich wurde auch auf den entsprechenden Bescheid des Bundesamtes vom 24.05.2019, Zl. 740298403 / BMI-BFA_OOE_RD, der dem Bundesverwaltungsgericht im gegenständlichen Verfahren in Kopie am 07.06.2019 übermittelt wurde, hingewiesen. Aus den darin abgedruckten Einvernahmeprotokoll des Vaters des BF vom März 2019 geht u.a. hervor, dass dieser wegen des Krieges in Tschetschenien Asyl bekommen und sich die Situation diesbezüglich im Herkunftsland geändert habe. Er verfüge im Herkunftsland über Verwandte (Schwester und Bruder samt Kinder), zu denen er regelmäßigen Kontakt pflege und die ihn im Fall einer Rückkehr aufnehmen und unterstützen würden. Er würde seit 2016 alleine wohnen und sich mit dem BF einmal, mit seiner Tochter drei Mal wöchentlich treffen. Weiters wurde vom Bundesamt mitgeteilt, dass inzwischen auch die Aberkennungsverfahren hinsichtlich der Mutter und der Schwester des BF rechtskräftig abgeschlossen seien, wobei auch ihnen die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukomme.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

1.1. Der BF ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation, der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig und Moslem. Der (damals minderjährige, heute volljährige) BF reiste gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester im Februar 2004 nach Österreich, wo er am 21.02.2004 einen Asylantrag stellte. Für den BF wurden durch seinen gesetzlichen Vertreter keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 04.11.2004, Zahl: 04 02.987-BAL, wurde seinem Asylantrag gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 1997 stattgegeben, ihm durch Erstreckung in Österreich Asyl gewährt und gemäß § 12 AsylG festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme.

 

Der BF wurde im Bundesgebiet seit 2012 viermal rechtskräftig verurteilt.

 

Das nunmehr gegenständliche Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten wurde am 09.10.2018 eingeleitet.

 

Die Muttersprache des BF ist Tschetschenisch, er verfügt jedoch über gute Deutschkenntnisse und wurde die zugezogene Dolmetscherin zu seiner Befragung im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung nicht benötigt.

 

Der BF ist gesund und arbeitsfähig. Er besuchte ein Jahr die Schule in der Russischen Föderation, danach in Österreich vier Jahre die Volksschule und vier Jahre die Hauptschule, über einen Lehrabschluss oder eine Berufsausbildung verfügt er nicht.

 

Der BF geht aktuell seit XXXX einer Erwerbstätigkeit als XXXX nach. Er war zuvor seit 2012 in insgesamt vier Beschäftigungsverhältnissen, welchen er jeweils in einer Dauer von drei Tagen bis zu maximal zwei Monaten nachging.

 

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er befindet sich seit ca. einem Jahr in einer Beziehung mit einer Frau, die beiden wohnen nicht zusammen.

 

In Österreich leben die Eltern des BF sowie seine Schwester. Dem Vater des BF wurde gemäß § 7 Abs. 3 AsylG 2005 ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt EU" erteilt und mit rechtskräftigem Bescheid des Bundesamtes vom 24.05.2019, Zl. 740298403 - 190153089, der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 wegen Vorliegen eines Endigungsgrundes aberkannt, festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft nicht mehr zukommt und gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Sowohl der Mutter als auch der Schwester des BF wurde ebenfalls der Asylstatus rechtskräftig aberkannt und sind diese mittels zuvor erteiltem Aufenthaltstitel im Bundesgebiet aufenthaltsberechtigt.

 

Der Vater des BF ist mittlerweile geschieden, lebt alleine und leidet an COPD im vierten Stadium, Diabetes Mellitus Typ II, und diversen anderen Krankheiten.

 

Der BF lebte bis 10.11.2014 mit seinen Familienmitgliedern in einem gemeinsamen Haushalt. Von 10.11.2014 bis 22.08.2017 war der BF als obdachlos gemeldet. Seit dem 03.11.2017 ist der BF an der Adresse seiner Mutter amtlich gemeldet.

 

Des Weiteren wohnt ein Cousin des BF mit seiner Familie im Bundesgebiet.

 

Der BF verfügt über soziale Anknüpfungspunkte in Österreich in Form eines Freundeskreises und legte dazu etliche Unterstützungsschreiben vor.

 

Der BF verfügt in Tschetschenien über ein familiäres Netz (Tanten und Onkel väterlicher- und mütterlicherseits).

 

Mit Urteil eines Bezirksgerichts vom XXXX 2012, rk. am XXXX 2012, wurde der BF des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs. 2 StGB für schuldig befunden und der Ausspruch der verhängten Strafe für eine Probezeit von 3 Jahren vorbehalten, für die Dauer der Probezeit wurde zudem Bewährungshilfe angeordnet.

 

Mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX 2012, rk. am XXXX 2012, wurde er des Verbrechens des Einbruchsdiebstahls nach §§ 127, 129 Z 1 StGB für schuldig befunden und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 5 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

 

Mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX 2017, rk. am XXXX 2017, wurde der BF der Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB, der Nötigung nach § 105 Abs. 1 StGB und des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach §§ 27 Abs. 1 1. Fall, 27 Abs. 1 2. Fall und 27 Abs. 1 8. Fall SMG für schuldig befunden und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 6 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren sowie einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu je 4,00 EUR (720,00 EUR), im Nichteinbringungsfall 90 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt.

 

Zuletzt wurde der BF mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX 2018, rk. am XXXX 2018, des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG für schuldig befunden und zu einer Freiheitsstrafe im Ausmaß von 24 Monaten, davon 18 Monate bedingt, unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren verurteilt. Vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht im zuvor ergangenen Urteil gegen den BF wurde abgesehen, jedoch die Probezeit auf 5 Jahre verlängert und die Bewährungshilfe angeordnet. Die zuletzt ausgesprochene Freiheitsstrafe wurde bis dato noch nicht vollzogen, da der BF einen Antrag auf elektronisch überwachten Hausarrest stellte und im diesbezüglichen Verfahren von ihm gegen die erstinstanzliche Entscheidung Beschwerde eingereicht wurde, weshalb die Anordnung des Strafvollzuges nach wie vor gehemmt ist.

 

Weiters erhielt der BF zwischen XXXX und XXXX 2017 fünf Strafverfügungen wegen Verwaltungsübertretungen im Zusammenhang mit dem Führerscheingesetz (keine gültige Lenkerberechtigung), dem Kraftfahrgesetz (Kennzeichenmissbrauch, kein Verbandszeug, keine Warnkleidung, keine geeignete Warneinrichtung), der Straßenverkehrsordnung (Fahrerflucht nach Verkehrsunfall mit Sachschaden) sowie dem Meldegesetz (Meldepflichtverletzung), wobei gegen ihn Geldstrafen in der Höhe von zusammengerechnet über 1600,- € verhängt wurden.

 

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF nach einer Rückkehr ins Herkunftsland mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevanten Übergriffe ausgesetzt ist. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass dieser konkret Gefahr liefe, in seinem Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

 

Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in eine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundalge entzogen wäre.

 

1.2. Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen:

 

Politische Lage

 

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (CIA 12.7.2018, vgl. GIZ 7.2018c). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau. Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 7.2018a, vgl. EASO 3.2017). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister und entlässt sie (GIZ 7.2018a). Wladimir Putin ist im März 2018, bei der Präsidentschaftswahl im Amt mit 76,7% bestätigt worden. Die Wahlbeteiligung lag der Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl ärgster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motivierten Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, um an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018, FH 1.2018). Putin kann dem Ergebnis zufolge nach 18 Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen. Gemäß der Verfassung darf er nach dem Ende seiner sechsjährigen Amtszeit nicht erneut antreten, da es eine Beschränkung auf zwei aufeinander folgende Amtszeiten gibt (Tagesschau.de 19.3.2018, vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

 

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58,4% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Parlament - Staatsduma und Föderationsrat - ist in seinem Einfluss stark beschränkt.

 

Der Föderationsrat ist als "obere Parlamentskammer" das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten: Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus der Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für vier Jahre nach dem Verhältniswahlrecht auf der Basis von Parteilisten gewählt. Es gibt eine Siebenprozentklausel. Wichtige Parteien sind die regierungsnahen Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern und Gerechtes Russland (Spravedlivaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern. Die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, die die Nachfolgepartei der früheren KP ist. Die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist, die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern, die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), linkszentristisch, mit 85.000 Mitgliedern, die Partei der Volksfreiheit (PARNAS) und die demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 7.2018a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (339 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (40 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (AA 5 .2018b).

 

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international umstrittenen Einordnung der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges, Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 7.2018a, vgl. AA 5 .2018b). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 7.2018a).

 

Es wurden acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten) geschaffen, denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum ("exekutive Machtvertikale") deutlich (GIZ 7.2018a).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die Tschetschenische Republik ist eine der 22 Republiken der Russischen Föderation. Die Fläche beträgt 15.647 km2 (Rüdisser 11.2012) und laut offizieller Bevölkerungsstatistik der Russischen Föderation zum 1.1.2018 beläuft sich die Einwohnerzahl Tschetscheniens auf 1,4 Millionen (GKS 25.1.2018), wobei die offiziellen Angaben von unabhängigen Medien infrage gestellt werden. Laut Aussagen des Republiksoberhauptes Ramzan Kadyrow sollen rund 600.000 TschetschenInnen außerhalb der Region leben, die eine Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat die Hälfte Tschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, bei der anderen Hälfte handle es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens, die bereits vor über einem Jahrhundert entstanden seien, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum (ÖB Moskau 12.2017). In Bezug auf Fläche und Einwohnerzahl ist Tschetschenien somit mit der Steiermark vergleichbar. Etwa die Hälfte des tschetschenischen Territoriums besteht aus Ebenen im Norden und Zentrum der Republik.

Heutzutage ist die Republik eine nahezu monoethnische: 95,3% der Bewohner/innen Tschetscheniens gaben [bei der letzten Volkszählung] 2010 an, ethnische Tschetschenen/innen zu sein. Der Anteil ethnischer Russen/innen an der Gesamtbevölkerung liegt bei 1,9%. Rund 1% sind ethnische Kumyk/innen, des Weiteren leben einige Awar/innen, Nogaier/innen, Tabasar/innen, Türk/innen, Inguschet/innen und Tatar/innen in der Republik (Rüdisser 11.2012).

 

In Tschetschenien gilt Ramzan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). So musste im Mai 2016 der Vorsitzende des Obersten Gerichts Tschetscheniens nach Kritik von Kadyrow zurücktreten, obwohl die Ernennung/Entlassung der Richter grundsätzlich in föderale Kompetenz fällt. Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Im Juni 2016 beschloss das tschetschenische Parlament die vorzeitige Selbstauflösung, um vorgezogene Neuwahlen parallel zu den Wahlen zum Oberhaupt der Republik durchzuführen. Bei den Wahlen vom 18.9.2016 lag die Wahlbeteiligung in Tschetschenien weit über dem landesweiten Durchschnitt. Kadyrow wurde laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigen bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 12.2017). Vertreter russischer und internationaler NGOs berichten immer wieder von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen, einem Klima der Angst und Einschüchterung (AA 21.5.2018). Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen. Anfang 2016 sorgte Kadyrow landesweit für Aufregung, als er die liberale Opposition in Moskau als Staatsfeinde bezeichnete, die danach trachteten, Russland zu zerstören. Nachdem er dafür von Menschenrechtsaktivisten sowie von Vertretern des präsidentiellen Menschenrechtsrats scharf kritisiert worden war, wurde in Grozny eine Massendemonstration zur Unterstützung Kadyrows organisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Während der mittlerweile über zehn Jahre dauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramzan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grozny als Staatsikone auszustellen und sich als "Fußsoldat Putins" zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute föderale Machtvertikale dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russländischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum "inneren Ausland" Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen. Todesopfer forderte zuletzt ein Terroranschlag in der Metro von St. Petersburg im April 2017. Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 28.8.2018a, vgl. BMeiA 28.8.2018, GIZ 6.2018d). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 28.8.2018).

 

Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderten Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Gewaltzwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Demnach stand Russland 2011 noch an neunter Stelle hinter mittelöstlichen, afrikanischen und südasiatischen Staaten, weit vor jedem westlichen Land. Im Jahr 2016 rangierte es dagegen nur noch auf Platz 30 hinter Frankreich (Platz 29), aber vor Großbritannien (Platz 34) und den USA (Platz 36). Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem Sinai mit 224 Todesopfern. Seitdem ist der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken soll. Moskau appelliert beim Thema Terrorbekämpfung an die internationale Kooperation (SWP 4.2017).

 

Eine weitere Tätergruppe rückt in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sogenannten IS kämpfen, wird auf einige tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpfen Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat - etwa in der Ostukraine sowohl auf Seiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite, auch in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der "Tschetschenisierung" wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).

 

Im gesamten Jahr 2017 gab es in Tschetschenien 75 Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon 59 Todesopfer (20 Aufständische, 26 Zivilisten, 13 Exekutivkräfte) und 16 Verwundete (14 Exekutivkräfte, zwei Zivilisten) (Caucasian Knot 29.1.2018). Im ersten Quartal 2018 gab es in Tschetschenien acht Opfer des bewaffneten Konfliktes, davon sieben Todesopfer (sechs Aufständische, eine Exekutivkraft) und ein Verwundeter (eine Exekutivkraft) (Caucasian Knot 21.6.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Rechtsschutz / Justizwesen

 

Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte bezüglich Verfassungs-, Zivil-, Administrativ- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR, EuR) als auch nationale Organisationen (Ombudsmann, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 12.2017). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kreml gebunden (FH 1.2018).

 

In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Laut einer Umfrage des Levada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen aus Ende 2014 rangiert die Justiz (gemeinsam mit der Polizei) im letzten Drittel. 45% der Befragten zweifeln daran, dass man der Justiz trauen kann, 17% sind überzeugt, dass die Justiz das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdient und nur 26% geben an, den Gerichten zu vertrauen (ÖB Moskau 12.2017). Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen: So wurde in einem aufsehenerregenden Fall der amtierende russische Wirtschaftsminister Alexei Ulyukayev im November 2016 verhaftet und im Dezember 2017 wegen Korruptionsvorwürfen seitens des mächtigen Leiters des Rohstoffunternehmens Rosneft zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, FH 1.2018).

 

2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, so dass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das die Souveränität Russlands untergraben möchte (ÖB Moskau 12.2017). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der Entscheidung des Straßburger Gerichtes zu verzichten. Diese Position des Verfassungsgerichtshofs wurde im Dezember 2015 durch ein Föderales Gesetz unterstützt, welches dem VfGH das Recht einräumt, Urteile internationaler Menschenrechtsinstitutionen nicht umzusetzen, wenn diese nicht mit der russischen Verfassung im Einklang stehen. Das Gesetz wurde bereits einmal im Fall der Verurteilung Russlands durch den EGMR in Bezug auf das Wahlrecht von Häftlingen 61 angewendet (zugunsten der russischen Position) und ist auch für den YUKOS-Fall von Relevanz. Der russische Verfassungsgerichtshof zeigt sich allerdings um grundsätzlichen Einklang zwischen internationalen gerichtlichen Entscheidungen und der russischen Verfassung bemüht (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018, US DOS 20.4.2018).

 

Am 10.2.2017 fällte das Verfassungsgericht eine Entscheidung zu

Artikel 212.1 des Strafgesetzbuchs, der wiederholte Verstöße gegen das Versammlungsrecht als Straftat definiert. Die Richter entschieden, die Abhaltung einer "nichtgenehmigten" friedlichen Versammlung allein stelle noch keine Straftat dar. Am 22. Februar überprüfte das Oberste Gericht das Urteil gegen den Aktivisten Ildar Dadin, der wegen seiner friedlichen Proteste eine Freiheitsstrafe auf Grundlage von Artikel 212.1. erhalten hatte, und ordnete seine Freilassung an. Im Juli 2017 trat eine neue Bestimmung in Kraft, wonach die Behörden Personen die russische Staatsbürgerschaft aberkennen können, wenn sie diese mit der "Absicht" angenommen haben, die "Grundlagen der verfassungsmäßigen Ordnung des Landes anzugreifen". NGOs kritisierten den Wortlaut des Gesetzes, der nach ihrer Ansicht Spielraum für willkürliche Auslegungen bietet (AI 22.2.2018).

 

Bemerkenswert ist die extrem hohe Verurteilungsquote bei Strafprozessen. Die Strafen in der Russischen Föderation sind generell erheblich höher, besonders im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis unterscheidet dabei nicht nach Merkmalen wie ethnischer Zugehörigkeit, Religion oder Nationalität. Für zu lebenslanger Haft Verurteilte bzw. bei entsprechend umgewandelter Todesstrafe besteht bei guter Führung die Möglichkeit einer Freilassung frühestens nach 25 Jahren. Eine Begnadigung durch den Präsidenten ist möglich. Auch unabhängig von politisch oder ökonomisch motivierten Strafprozessen begünstigt ein Wetteifern zwischen Strafverfolgungsbehörden um hohe Verurteilungsquoten die Anwendung illegaler Methoden zum Erhalt von "Geständnissen" (AA 21.5.2018).

 

Repressionen Dritter, die sich gezielt gegen bestimmte Personen oder Personengruppen wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe richten, äußern sich hauptsächlich in homophoben, fremdenfeindlichen oder antisemitischen Straftaten, die von Seiten des Staates nur in einer Minderheit der Fälle zufriedenstellend verfolgt und aufgeklärt werden (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Das russische föderale Recht gilt für die gesamte Russische Föderation, einschließlich Tschetscheniens. Neben dem russischen föderalen Recht spielen sowohl Adat als auch Scharia eine wichtige Rolle in Tschetschenien. Republiksoberhaupt Ramzan Kadyrow unterstreicht die Bedeutung, die der Einhaltung des russischen Rechts zukommt, verweist zugleich aber auch auf den Stellenwert des Islams und der tschetschenischen Tradition. Das Adat ist eine Art Gewohnheitsrecht, das soziale Normen und Regeln festschreibt. Dem Adat-Recht kommt in Zusammenhang mit der tschetschenischen Lebensweise eine maßgebliche Rolle zu. Allgemein gilt, dass das Adat für alle Tschetschenen gilt, unabhängig von ihrer Clanzugehörigkeit. Das Adat deckt nahezu alle gesellschaftlichen Verhältnisse in Tschetschenien ab und regelt die Beziehungen zwischen den Menschen. Im Laufe der Jahrhunderte wurden diese Alltagsregeln von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Adat ist in Tschetschenien in Ermangelung einer Zentralregierung bzw. einer funktionierenden Gesetzgebung erstarkt. Daher dient das Adat als Rahmen für die gesellschaftlichen Beziehungen. In der tschetschenischen Gesellschaft ist jedoch auch die Scharia von Bedeutung. Die meisten Tschetschenen sind sunnitische Muslime und gehören der sufistischen Glaubensrichtung des sunnitischen Islams an [für Informationen bezüglich Sufismus vgl.: ÖIF Monographien (2013):

Glaubensrichtungen im Islam]. Der Sufismus enthält u. a. auch Elemente der Mystik. Eine sehr kleine Minderheit der Tschetschenen sind Salafisten. Formal gesehen hat das russische föderale Recht Vorrang vor Adat und Scharia, doch sind sowohl das Adat als auch die Scharia in Tschetschenien genauso wichtig wie die russischen Rechtsvorschriften. Iwona Kaliszewska, Assistenzprofessorin am Institut für Ethnologie und Anthropologie der Universität Warschau, führt an, dass sich die Republik Tschetschenien in Wirklichkeit außerhalb der Gerichtsbarkeit des russischen Rechtssystems bewegt, auch wenn sie theoretisch darunter fällt. Dies legt den Schluss nahe, dass sowohl Scharia als auch Adat zur Anwendung kommen, und es unterschiedliche Auffassungen bezüglich der Frage gibt, welches der beiden Rechte einen stärkeren Einfluss auf die Gesellschaft ausübt (EASO 9.2014). Scharia-Gerichtsbarkeit bildet am Südrand der Russischen Föderation eine Art "alternativer Justiz". Sie steht zwar in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands, wird aber, mit Einverständnis der involvierten Parteien, für Rechtsprechung auf lokaler Ebene eingesetzt (SWP 4.2015).

 

In Einklang mit den Prinzipien des Föderalismus ist das tschetschenische Parlament autorisiert, Gesetze innerhalb der Zuständigkeit eines Subjektes der Russischen Föderation zu erlassen. Laut Artikel 6 der tschetschenischen Verfassung überwiegt das föderale Gesetz das tschetschenische im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Föderalen Regierung, wie beispielsweise Gerichtswesen und auswärtige Angelegenheiten, aber auch bei geteilten Zuständigkeiten wie Minderheitenrechte und Familiengesetzgebung. Bei Themen im Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Republik überwiegt das tschetschenische Gesetz. Die tschetschenische Gesetzgebung besteht aus einem Höchstgericht und 15 Distrikt- oder Stadtgerichten, sowie Friedensgerichte, einem Militärgericht und einem Schiedsgericht. Die formale Qualität der Arbeit der Judikative ist vergleichbar mit anderen Teilen der Russischen Föderation, jedoch wird ihre Unabhängigkeit stärker angegriffen als anderswo, da Kadyrow und andere lokale Beamte Druck auf Richter ausüben (EASO 3.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über Strafprozesse auf der Grundlage fingierten Materials gegen angebliche Terroristen aus dem Nordkaukasus, insbesondere Tschetschenien und Dagestan, die aufgrund von z.T. unter Folter erlangten Geständnissen oder gefälschten Beweisen zu hohen Haftstrafen verurteilt worden seien (AA 21.5.2018). Der Konflikt im Nordkaukasus zwischen Regierungskräften, Aufständischen, Islamisten und Kriminellen führt zu vielen Menschenrechtsverletzungen, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen und daher auch zu einem generellen Abbau der Rechtsstaatlichkeit. In Tschetschenien werden Menschenrechtsverletzungen seitens der Sicherheitsbehörden mit Straffreiheit begangen (US DOS 20.4.2018, vgl. HRW 7.2018, AI 22.2.2018).

 

In Bezug auf Vorladungen von der Polizei in Tschetschenien ist zu sagen, dass solche nicht an Personen verschickt werden, die man verdächtigt, Kontakt mit dem islamistischen Widerstand zu haben. Solche Verdächtige würden ohne Vorwarnung von der Polizei mitgenommen, ansonsten wären sie gewarnt und hätten Zeit zu verschwinden (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitsbehörden

 

Das Innenministerium (MVD), der Föderale Sicherheitsdienst FSB, das Untersuchungskomittee und die Generalstaatsanwaltschaft sind auf allen Regierungsebenen für den Gesetzesvollzug zuständig. Der FSB ist mit Fragen der Sicherheit, Gegenspionage und der Terrorismusbekämpfung betraut, aber auch mit Verbrechens- und Korruptionsbekämpfung. Die nationale Polizei untersteht dem Innenministerium und ist in föderale, regionale und lokale Einheiten geteilt. 2016 wurde die Föderale Nationalgarde gegründet. Diese neue Exekutivbehörde steht unter der Kontrolle des Präsidenten, der ihr Oberbefehlshaber ist. Ihre Aufgaben sind die Sicherung der Grenzen gemeinsam mit der Grenzwache und dem FSB, Administrierung von Waffenbesitz, Kampf gegen Terrorismus und organisierte Kriminalität, Schutz der Öffentlichen Sicherheit und Schutz von wichtigen staatlichen Einrichtungen. Weiters nimmt die Nationalgarde an der bewaffneten Verteidigung des Landes gemeinsam mit dem Verteidigungsministerium teil (US DOS 20.4.2018).

 

Nach dem Gesetz können Personen bis zu 48 Stunden ohne gerichtliche Zustimmung inhaftiert werden, wenn sie am Schauplatz eines Verbrechens verhaftet werden, vorausgesetzt es gibt Beweise oder Zeugen. Ansonsten ist ein Haftbefehl notwendig. Verhaftete müssen von der Polizei über ihre Rechte aufgeklärt werden und die Polizei muss die Gründe für die Festnahme dokumentieren. Der Verhaftete muss innerhalb von 24 Stunden einvernommen werden, davor hat er das Recht, für zwei Stunden einen Anwalt zu treffen. Im Allgemeinen werden die rechtlichen Einschränkungen betreffend Inhaftierungen eingehalten, mit Ausnahme des Nordkaukasus (US DOS 20.4.2018).

 

Nach überzeugenden Angaben von Menschenrechtsorganisationen werden insbesondere sozial Schwache und Obdachlose, Betrunkene, Ausländer und Personen "fremdländischen" Aussehens Opfer von Misshandlungen durch die Polizei und Untersuchungsbehörden. Nur ein geringer Teil der Täter wird disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt. Die im Februar 2011 in Kraft getretene Polizeireform hat bislang nicht zu spürbaren Verbesserungen in diesem Bereich geführt (AA 21.5.2018).

 

Die im Nordkaukasus agierenden Sicherheitskräfte sind in der Regel maskiert (BAMF 10.2013). Der Großteil der Menschenrechtsverletzungen im Nordkaukasus wird Sicherheitskräften zugeschrieben. In Tschetschenien sind sowohl föderale russische als auch lokale tschetschenische Sicherheitskräfte tätig. Letztere werden bezeichnenderweise oft Kadyrowzy genannt, nicht zuletzt, da in der Praxis fast alle tschetschenischen Sicherheitskräfte unter der Kontrolle Ramzan Kadyrows stehen (Rüdisser 11.2012). Ramzan Kadyrows Macht gründet sich hauptsächlich auf die ihm loyalen Kadyrowzy. Diese wurden von Kadyrows Familie in der Kriegszeit gegründet und ihre Mitglieder bestehen hauptsächlich aus früheren Kämpfern der Rebellen (EASO 3.2017). Vor allem tschetschenische Sicherheitsbehörden können Menschenrechtsverletzungen straffrei begehen (HRW 7.2018). Die Angaben zur zahlenmäßigen Stärke tschetschenischer Sicherheitskräfte fallen unterschiedlich aus. Von Seiten des tschetschenischen MVD [Innenministerium] sollen in der Tschetschenischen Republik rund 17.000 Mitarbeiter tätig sein. Diese Zahl dürfte jedoch nach der Einrichtung der Nationalgarde der Föderation im Oktober 2016 auf 11.000 gesunken sein. Die Polizei hatte angeblich 9.000 Angehörige. Die überwiegende Mehrheit von ihnen sind ethnische Tschetschenen. Nach Angaben des Carnegie Moscow Center wurden die Reihen von Polizei und anderen Sicherheitskräften mit ehemaligen tschetschenischen Separatisten aufgefüllt, die nach der Machtübernahme von Ramzan Kadyrow und dem Ende des Krieges in die Sicherheitskräfte integriert wurden. Bei der tschetschenischen Polizei grassieren Korruption und Missbrauch, weshalb die Menschen bei ihr nicht um Schutz ersuchen. Die Mitarbeiter des Untersuchungskomitees (SK) sind auch überwiegend Tschetschenen und stammen aus einem Pool von Bewerbern, die höher gebildet sind als die der Polizei. Einige Angehörige des Untersuchungskomitees versuchen, Beschwerden über tschetschenische Strafverfolgungsbeamte zu untersuchen, sind jedoch "ohnmächtig, wenn sie es mit der tschetschenischen OMON [Spezialeinheit der Polizei] oder anderen, Kadyrow nahestehenden "unantastbaren Polizeieinheiten" zu tun haben" (EASO 3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Korruption

 

Korruption gilt in Russland als wichtiger Teil des gesellschaftlichen Systems. Obwohl Korruption in Russland endemisch ist, kann im Einzelfall nicht generalisiert werden. Zahlreiche persönliche Faktoren bezüglich Geber und Nehmer von informellen Zahlungen sind zu berücksichtigen sowie strukturell vorgegebene Einflüsse der jeweiligen Region. Im alltäglichen Kontakt mit den Behörden fließen informelle Zahlungen, um widersprüchliche Bestimmungen zu umgehen und Dienstleistungen innerhalb nützlicher Frist zu erhalten. Korruption stellt eine zusätzliche Einnahmequelle von Staatsbeamten dar. Das Justizsystem und das Gesundheitswesen werden in der Bevölkerung als besonders korrupt wahrgenommen. Im Justizsystem ist zwischen stark politisierten Fällen, einschließlich solchen, die Geschäftsinteressen des Staates betreffen, und alltäglichen Rechtsgeschäften zu unterscheiden. Nicht alle Rechtsinstitutionen sind gleich anfällig für Korruption. Im Gesundheitswesen gehören informelle Zahlungen für offiziell kostenlose Dienstleistungen zum Alltag. Bezahlt wird für den Zugang zu Behandlungen oder für Behandlungen besserer Qualität. Es handelt sich generell um relativ kleine Beträge. Seit 2008 laufende Anti-Korruptionsmaßnahmen hatten bisher keinen Einfluss auf den endemischen Charakter der Korruption (SEM 15.7.2016).

 

Korruption ist sowohl im öffentlichen Leben als auch in der Geschäftswelt weit verbreitet. Aufgrund der zunehmend mangelhaften Übernahme von Verantwortung in der Regierung können Bürokraten mit Straffreiheit rechnen. Analysten bezeichnen das politische System als Kleptokratie, in der die regierende Elite das öffentliche Vermögen plündert, um sich selbst zu bereichern (FH 1.2018).

 

Das Gesetz sieht Strafen für behördliche Korruption vor, die Regierung bestätigt aber, dass das Gesetz nicht effektiv umgesetzt wird, und viele Beamte in korrupte Praktiken involviert sind. Korruption ist sowohl in der Exekutive als auch in der Legislative und Judikative und auf allen hierarchischen Ebenen weit verbreitet (USDOS 20.4.2018, vgl. EASO 3.2017). Zu den Formen der Korruption zählen die Bestechung von Beamten, missbräuchliche Verwendung von Finanzmitteln, Diebstahl von öffentlichem Eigentum, Schmiergeldzahlungen im Beschaffungswesen, Erpressung, und die missbräuchliche Verwendung der offiziellen Position, um an persönliche Begünstigungen zu kommen. Behördliche Korruption ist zudem auch in anderen Bereichen weiterhin verbreitet: im Bildungswesen, beim Militärdienst, im Gesundheitswesen, im Handel, beim Wohnungswesen, bei Pensionen und Sozialhilfe, im Gesetzesvollzug und im Justizwesen (US DOS 20.4.2018).

 

Korruptionsbekämpfung gilt seit 2008 als prioritäres Ziel der Zentralregierung. Bis 2012 wurde die dafür notwendige Gesetzesgrundlage geschaffen. Beispielsweise wurden die Sanktionen festgelegt. Aufsichtsbehörden erhielten mehr Befugnisse, darunter die Finanzkontrolle, die Generalstaatsanwaltschaft und der Geheimdienst (FSB). Es wurden vermehrt Überprüfungen eingeleitet. In der Folge stieg die Anzahl der Strafverfahren. Zu Beginn richteten sie sich hauptsächlich gegen untere Chargen, seit 2013 jedoch auch gegen hochrangige Beamte und Politiker, wie einzelne Gouverneure, regionale Minister und stellvertretende föderale Minister und einen früheren Verteidigungsminister. Positiv bewertete die russische Zivilgesellschaft die 2009 geschaffenen Gesetze, welche die staatlichen Behörden und die Justiz verpflichteten, über ihre Aktivitäten zu informieren. Im Zusammenhang mit der Korruptions-Bekämpfung entstanden zahlreiche zivilgesellschaftliche Initiativen, die ab 2011 einen gewissen Einfluss auf die Arbeit der Behörden ausüben konnten und erreichten, dass das Handeln von Dienststellen und Gerichten teils transparenter wurde. In einzelnen Bereichen der Verwaltung wurde die Korruption reduziert, oft abhängig von einzelnen integren und innovativen Führungsfiguren. Beobachter sind sich jedoch einig, dass sich die Situation nicht substantiell verbessert hat. Am endemischen Charakter der Korruption in der Verwaltung hat sich bisher nichts geändert. Das gilt auch für das Justizsystem und für die Polizei, die 2011 reformiert wurde. Die Gründe für den Misserfolg sind vielschichtig. Auf höchster Ebene scheint die russische Führung kein echtes Interesse an der Korruptions-Bekämpfung zu haben, da sie selber vom korrupten System profitiert. Externe Beobachter kritisieren, der Kreml nutze Anti-Korruptions-Maßnahmen, um Gegner zu schwächen und die Elite zu kontrollieren. Aufsehenerregende Fälle dienten dazu, die Popularität des Präsidenten in der Bevölkerung zu stärken. Im Verwaltungsapparat sind die konkreten Regeln zur Korruptionsbekämpfung unterentwickelt, es fehlen zum Beispiel Mechanismen zur Integritätsprüfung der Mitarbeiter/innen. Institutionen zur Korruptionsbekämpfung sind laut BTI zwar oft mit kompetenten Personen besetzt, es fehlen ihnen jedoch die Kompetenz und die Ressourcen, um effektiv zu handeln. Laut Elena Panfilova, ehemalige Direktorin von Transparency International Russland, herrscht unter russischen Beamten und dem Justizpersonal kein Verständnis für die Problematik von Interessenskonflikten, vielmehr scheinen verwandtschaftliche und freundschaftliche Gefälligkeiten wichtiger als die berufliche Integrität. Durch korrupte Praktiken sind Abhängigkeiten zwischen Mitarbeiter/innen, zwischen Personen in verschiedenen Hierarchiestufen und zwischen Institutionen entstanden. Solche "verfilzten Strukturen" blieben völlig unkontrolliert und weil jeder jeden deckt, ist eine systematische Aufarbeitung kaum möglich. In der Verwaltung werden deshalb im Vergleich zur Anzahl der Staatsangestellten relativ wenige Strafverfahren wegen Korruption eingeleitet, auch weil die Gerichte selber korruptionsanfällig sind. Zu Schuldsprüchen kommt es selten, wenn doch, ist das Strafmaß vielfach gering oder wird insbesondere bei hohen Geldbußen nicht vollstreckt. Auf weitere Institutionen, die zur Korruptionsbekämpfung notwendig sind - unabhängige Gerichte, freie Medien und die Zivilgesellschaft - wird vermehrt Druck ausgeübt. Auch im Nordkaukasus beschränken sich Anti-Korruptionskampagnen vor allem auf einzelne aufsehenerregende Festnahmen von Beamten. Es ist davon auszugehen, dass Ramzan Kadyrow Korruptionsbekämpfung dazu nutzt, um gegen unliebsame Personen vorzugehen. Die tschetschenische Staatsanwaltschaft bestätigt 2014, dass es in Anbetracht des Ausmaßes des Problems zu vergleichsweise wenigen Strafverfahren kommt. Und diese endeten oft ohne Schuldspruch. Häufig betreffen sie Alltagskorruption, das heißt, die unteren Chargen der Verwaltung. Laut Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden, befragt durch ICG, sind die Polizisten, die in Korruptionsfällen ermitteln, selber korrupt. Um gegen Korruption innerhalb der Polizei vorzugehen, wurden die Löhne erhöht. Die erforderliche Summe, um eine Stelle bei der Polizei zu erhalten, blieb jedoch derart hoch, dass die Abhängigkeit von informellen Zahlungen weiterhin bestand. Die Lohnerhöhungen brachten deshalb keine substantiellen Verbesserungen. Eine Kontrolle durch die Zivilgesellschaft ist in Tschetschenien noch weniger gegeben als im übrigen Russland, da Nichtregierungsorganisationen seit Jahren stark unter Druck stehen und die Bevölkerung tendenziell versucht, jeglichen Kontakt mit den Strafverfolgungsbehörden zu vermeiden (SEM 15.7.2016).

 

Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 12.2017, vgl. AA 21.5.2018). Eines der zentralen Themen der Modernisierungsagenda ist die Bekämpfung der Korruption und des Rechtsnihilismus. Im Zeichen des Rechtsstaats durchgeführte Reformen, wie die Einsetzung eines Richterrats, um die Selbstverwaltung der Richter zu fördern, die Verabschiedung neuer Prozessordnungen und die deutliche Erhöhung der Gehälter hatten jedoch wenig Wirkung auf die Abhängigkeit der Justiz von Weisungen der Exekutive und die dort herrschende Korruption. Im Februar 2012 erfolgte der Beitritt Russlands zur OECD-Konvention zur Korruptionsbekämpfung (GIZ 7.2018a).

 

Korruption ist vor allem in Tschetschenien nach wie vor weit verbreitet und große Teile der Wirtschaft werden von wenigen, mit dem politischen System eng verbundenen Familien kontrolliert. Laut einem rezenten Bericht der International Crisis Group gibt es glaubwürdige Berichte, wonach öffentliche Bedienstete einen Teil ihres Gehalts an den nach Kadyrovs Vater benannten und von dessen Witwe geführten Wohltätigkeitsfonds abführen müssen. Der 2004 gegründete Fonds baut Moscheen und verfolgt Wohltätigkeitsprojekte. Kritiker meinen jedoch, dass der Fonds auch der persönlichen Bereicherung Kadyrovs und der ihm nahestehenden Gruppen diene. So bezeichnete der "Kommersant" den Fonds als eine der intransparentesten NGOs des Landes (ÖB Moskau 12.2017). Die auf Clans basierte Korruption hält die regionalen Regierungen zusammen und die Zuschüsse haben den Zweck, die Loyalität der lokalen Elite zu erkaufen. Putins System der zentralisierten Kontrolle bevorzugt Loyalität und lässt Bestechung und Gesetzlosigkeit gedeihen (IAR 31.3.2014). Die Situation in Tschetschenien zeichnet sich dadurch aus, dass korrupte Praktiken erstens stärker verbreitet sind und zweitens offener ablaufen als im restlichen Russland. In der Folge wird der Rechtsstaat unterlaufen und der Zugang zum Gesundheitswesen - außer der Notfallversorgung - hängt zu einem großen Teil von den finanziellen Mitteln der Patienten und ihres sozialen Umfeldes ab (SEM 15.7.2016).

 

Der Lebensstandard in der Republik Dagestan ist einer der niedrigsten in der gesamten Russischen Föderation und das Ausmaß der Korruption sogar für die Region Nordkaukasus beispiellos (IOM 6.2014).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Wehrdienst und Rekrutierungen

 

Alle männlichen russischen Staatsangehörigen zwischen 18 und 27 Jahre werden zur Stellung für den Pflichtdienst in der russischen Armee einberufen. Die Pflichtdienstzeit beträgt ein Jahr. Es gibt auch die Möglichkeit, freiwillig auf Basis eines Vertrags in der Armee zu dienen (dies steht auch weiblichen Staatsangehörigen offen). Nachdem vermehrt vertraglich verpflichtete Soldaten herangezogen werden, sinkt die Bedeutung der allgemeinen Wehrpflicht für die russischen Streitkräfte. Staatsangehörige, die aus gesundheitlichen Gründen nicht zum Wehrdienst geeignet sind, werden von der Dienstpflicht befreit. Darüber hinaus kann ein Antrag auf Aufschub des Wehrdienstes gestellt werden, etwa durch Personen, die ein Studium absolvieren oder die einen nahen Verwandten pflegen müssen, bzw. durch Väter mehrerer Kinder. Der Präsident legt jährlich fest, wie viele der Stellungspflichtigen tatsächlich zum Wehrdienst eingezogen werden, in der Regel liegt die Quote bei etwa einem Drittel bzw. rund 300.000 Rekruten. Versuche, sich dem Wehrdienst zu entziehen, sind weit verbreitet. So sollen 2016 rund

3.800 Personen nicht den Ladungen der Militärkommissariate gefolgt sein. Über die regionale Aufteilung der Wehrpflichtigen entscheidet das Verteidigungsministerium, wobei die Anzahl der Wehrpflichtigen aus den jeweiligen Regionen stark variiert. Bis ins Jahr 2014 wurden etwa aus Tschetschenien überhaupt keine Wehrpflichtigen eingezogen. Die Anzahl der aus dem Nordkaukasus rekrutierten Soldaten bleibt weiterhin niedrig. So wurden im Herbst 2017 aus der gesamten nordkaukasischen Region nur rund 6.000 Personen rekrutiert. In einigen Nordkaukasus-Republiken werden überdies nur Männer rekrutiert, für welche mehrere respektierte Persönlichkeiten als Bürgen auftreten. Die Regel zielt darauf ab, dass in die Armee nur disziplinierte Personen einberufen werden, um Konflikte zu vermeiden (ÖB Moskau 12.2017). Im Allgemeinen sinken die Zahlen der Einberufenen. Im Frühling 2018 wurden nur noch 128.000 Personen einberufen. Die geringe Zahl hat damit zu tun, dass die derzeitigen Kohorten extrem niedrige Geburtenraten aufweisen (Jamestown 10.4.2018).

 

Wehrpflichtige erhalten zurzeit 2.000 Rubel Monatssold plus Gefahrenzulagen sowie einen Zuschuss für die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Die im Jahr 2013 eingeleiteten Maßnahmen zur "Humanisierung" und Attraktivitätssteigerung des Wehrdienstes wurden 2017 weiter umgesetzt. Diese Maßnahmen umfassen u. a. die Möglichkeit der heimatnahen Einberufung für Verheiratete, Wehrpflichtige mit Kindern oder Eltern im Rentenalter. Verbesserungen bei der Verpflegung, längere Ruhezeiten sowie die Erlaubnis zur Benutzung privater Mobiltelefone wurden ebenfalls eingeführt. 2017 gab es keine offiziellen Verlautbarungen zu Menschenrechtsverletzungen in den Streitkräften der Russischen Föderation. Die NGOs "Komitee der Soldatenmütter" und "Armee.Bürger.Recht" berichten jedoch von Soldaten, die sich aus ganz Russland mit der Bitte um Unterstützung beim Schutz ihrer Rechte an die beiden Organisationen wenden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Menschenrechtslage in den russischen Streitkräften weiterhin problematisch ist. Das "Komitee der Soldatenmütter" äußerte zudem die Befürchtung, dass das 2016 erlassene Gesetz zur Verlängerung für Auslandseinsätze missbraucht und Wehrpflichtige zur Unterschrift genötigt werden könnten. Im Jahr 2015 wurde durch Staatspräsident Putin ein Dekret erlassen, dass die Aufgaben der Militärpolizei erheblich erweiterte und seitdem ausdrücklich die Bekämpfung der Misshandlungen von Soldaten durch Vorgesetzte aller Dienstgrade oder ältere Wehrpflichtige ("Dedowschtschina") sowie von Diebstählen innerhalb der Streitkräfte umfasst. Es ist zu vermuten, dass es nach wie vor zu "Dedowschtschina" kommt, jedoch nicht mehr in dem Ausmaß wie in der Vergangenheit. Eine Gesamtzahl von Todesfällen in den russischen Streitkräften wird nicht veröffentlicht. Mit einem Dekret des Präsidenten vom Mai 2015 wird die Zahl der in Friedenszeiten getöteten Angehörigen des Verteidigungsministeriums zum Staatsgeheimnis erklärt. Bei Verstößen drohen bis zu sieben Jahre Haft (AA 21.5.2018).

 

Für Strafverfahren gegen Militärangehörige sind Militärgerichte zuständig, die seit 1999 formal in die zivile Gerichtsbarkeit eingegliedert sind. Freiheitsstrafen wegen Militärvergehen sind ebenso wie Freiheitsstrafen aufgrund anderer Delikte in Haftanstalten oder Arbeitskolonien zu verbüßen. Militärangehörige können jedoch auch zur Verbüßung von Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren in Strafbataillone, die in der Regel zu Schwerstarbeit eingesetzt werden, abkommandiert werden (AA 21.5.2018).

 

Insgesamt sind jedoch zunehmend einzelne Verbesserungen zu erkennen, da (teilweise auf Initiative der Soldatenmütter) vor drei bis vier Jahren ein Beschwerderecht für Soldaten eingeführt wurde, seit Kurzem jeder Soldat ein Gehaltskonto haben muss, um Korruption und Erpressung durch Vorgesetzte zu verhindern und sich die soziale Lage durch den Neubau von Kasernen und die damit einhergehende Abnahme der Überbelegung verbessert hat, wodurch auch die Misshandlungen jüngerer durch ältere Soldaten zurückgegangen sind (AA 21.5.2018).

 

Das Verteidigungsministerium kooperiert mit der Ombudsstelle für Menschenrechte und mit relevanten NGOs, um regelmäßige Vorwürfe der Misshandlung von Rekruten zu verbessern. In den vergangenen Jahren konnten gewisse Fortschritte erzielt werden. Im April 2017 erklärte Verteidigungsminister Sergej Schoigu, dass die Anzahl der gemeldeten Übergriffe von Armeeangehörigen gegenüber Untergebenen um 37,6% gesunken sei. NGOs wie das "Komitee der Soldatenmütter" betonen, dass trotz gewisser Fortschritte mehr Anstrengungen, insbesondere bei der Verurteilung von Schuldigen sowie bei der Prävention, notwendig seien (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die russische Armee hat mit Stand 2017 850.000 Soldaten, davon 250.000 Wehrdienstleistende, 354.000 Kontraktniki [Vertragssoldaten], 220.000 Offiziere und 30.000 Kadetten von Militärakademien (Jamestown 8.11.2017).

 

In Tschetschenien wurden bei der Stellung im Herbst 2017 500 Wehrpflichtige eingezogen. 400 von ihnen werden ihren Militärdienst in den Einheiten des russischen Verteidigungsministeriums im südlichen Militärdistrikt, die restlichen 100 werden ihren Dienst in den Einheiten der Nationalgarde ableisten. Laut Militärangehörigen wird die Anzahl an jungen Tschetschenen, die in der Armee dienen möchten, von Jahr zu Jahr mehr. Grund hierfür sind die schlechten Berufsaussichten in Tschetschenien. Momentan würden auf eine freie Stelle 50 Kandidaten kommen. Das Rekrutierungspotential in Tschetschenien liegt bei ca. 80.000 jungen Männern (Caucasian Knot 1.12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Wehrersatzdienst

 

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung wird durch Art. 59 Abs. 3 der Verfassung garantiert (AA 21.5.2018). Dieser alternative Zivildienst kann abgeleistet werden, falls der Wehrdienst gegen die Überzeugung bzw. Glaubensvorschriften einer Person spricht oder falls diese Person zu einem indigenen Volk gehört, dessen traditionelle Lebensweise dem Wehrdienst widerspricht. Die Zivildienstzeit beträgt 18 Monate in den russischen Streitkräften bzw. 21 Monate in anderen staatlichen Einrichtungen. In der Regel soll der Zivildienst außerhalb der Region absolviert werden, in der der Staatsangehörige lebt. Die Möglichkeit zum alternativen Zivildienst wird in der Praxis auch genutzt. So absolvierten mit Stand vom August 2017 laut Angaben der Föderalen Agentur für Arbeit und Beschäftigung über 1.000 Personen alternativen Zivildienst. Vereinzelt kommt es zu gerichtlichen Verfahren, etwa wenn die pazifistische Gesinnung eines Wehrpflichtigen in Zweifel steht. Insgesamt blickt der Zivildienst in Russland bereits auf eine lange historische Tradition zurück (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

Wehrdienstverweigerung / Desertion

 

Es gibt in Russland verschiedene Möglichkeiten, sich dem Wehrdienst zu entziehen. Ein Großteil der Wehrpflichtigen macht von den Regelungen zur Aufschiebung des Wehrdienstes Gebrauch, die in der Praxis oftmals zu einer Annullierung der Wehrpflicht führen. Wehrpflichtige machen häufig von illegalen Praktiken (meist in Form von Zahlung von Bestechungsgeldern an Ärzte) Gebrauch, um sich von der Wehrpflicht zu befreien. Es kommt auch vor, dass sich Wehrpflichtige auf ihr Hochschulstudium berufen, um eine Aufschiebung des Wehrdienstes zu erlangen. Es ist auch möglich, mittels Zahlung von Bestechungsgeldern an gefälschte Dokumente zu kommen, aus denen hervorgeht, dass der Wehrpflichtige die Voraussetzungen für einen Aufschub oder eine Befreiung vom Wehrdienst erfüllt (ACCORD 12.11.2014).

 

Für Wehrdienstverweigerer sind folgende Strafen vorgesehen:

Geldstrafen von bis zu 200.000 Rubel oder iHv. 18 Monatslöhnen des Verurteilten sowie Freiheitsentzug von sechs Monaten bis zu zwei Jahren. Für die Weigerung, den alternativen Zivildienst zu absolvieren, ist eine Geldstrafe von bis zu 80.000 Rubel oder iHv. sechs Monatslöhnen vorgesehen bzw. bis zu sechs Monate Haft. Laut offizieller Statistik des russischen Obersten Gerichtshofs wurden 314 Personen in der ersten Jahreshälfte 2017 wegen Wehrdienstverweigerung verurteilt, zwei weitere Personen wegen der Verweigerung des alternativen Zivildienstes (ÖB Moskau 12.2017). Seit einer gesetzlichen Neuregelung im Juli 2017 ist Wehrdienstverweigerern der Eintritt in den Staatsdienst für eine Dauer von zehn Jahren verboten (ÖB Moskau 12.2017, vgl. Jamestown 8.11.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Russland garantiert in der Verfassung von 1993 alle Menschenrechte und bürgerliche Freiheiten. Präsident und Regierung bekennen sich zwar immer wieder zur Einhaltung von Menschenrechten, es mangelt aber an der praktischen Umsetzung. Trotz vermehrter Reformbemühungen, insbesondere im Strafvollzugsbereich, hat sich die Menschenrechtssituation im Land noch nicht wirklich verbessert. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg kann die im fünfstelligen Bereich liegenden ausständigen Verfahren gegen Russland kaum bewältigen; Russland sperrt sich gegen eine Verstärkung des Gerichtshofs (GIZ 7.2018a). Die Verfassung der Russischen Föderation vom Dezember 1993 postuliert, dass die Russische Föderation ein "demokratischer, föderativer Rechtsstaat mit republikanischer Regierungsform" ist. Im Grundrechtsteil der Verfassung ist die Gleichheit aller vor Gesetz und Gericht festgelegt. Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache, Herkunft und Vermögenslage dürfen nicht zu diskriminierender Ungleichbehandlung führen (Art. 19 Abs. 2). Die Einbindung des internationalen Rechts ist in Art. 15 Abs. 4 der russischen Verfassung aufgeführt: Danach "sind die allgemein anerkannten Prinzipien und Normen des Völkerrechts und die internationalen Verträge der Russischen Föderation Bestandteil ihres Rechtssystems." Russland ist an folgende VN-Übereinkommen gebunden:

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Europarat äußerte sich mehrmals kritisch zur Menschenrechtslage in der Russischen Föderation. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) waren 2016 knapp 10% der anhängigen Fälle Russland zuzurechnen (77.821 Einzelfälle). Der EGMR hat 2016 228 Urteile in Klagen gegen Russland gesprochen. Damit führte Russland die Liste der verhängten Urteile mit großem Abstand an (an zweiter Stelle Türkei mit 88 Urteilen). Die EGMR-Entscheidungen fielen fast ausschließlich zugunsten der Kläger aus (222 von 228 Fällen) und konstatierten mehr oder wenige gravierende Menschenrechtsverletzungen. Zwei Drittel der Fälle betreffen eine Verletzung des Rechts auf Freiheit und Sicherheit. [Zur mangelhaften Anwendung von EGMR-Urteilen durch Russland vgl. Kapitel 4. Rechtsschutz/Justizwesen] (AA 21.5.2018).

 

Die Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wurden 2017 weiter eingeschränkt. Menschenrechtsverteidiger und unabhängige NGOs sahen sich nach wie vor mit Schikanen und Einschüchterungsversuchen konfrontiert (AI 22.2.2018). Auch Journalisten und Aktivisten riskieren Opfer von Gewalt zu werden (FH 1.2018). Staatliche Repressalien, aber auch Selbstzensur, führten zur Einschränkung der kulturellen Rechte. Angehörige religiöser Minderheiten mussten mit Schikanen und Verfolgung rechnen. Das Recht auf ein faires Verfahren wurde häufig verletzt. Folter und andere Misshandlungen waren nach wie vor weit verbreitet. Die Arbeit unabhängiger Organe zur Überprüfung von Haftanstalten wurde weiter erschwert. Im Nordkaukasus kam es auch 2017 zu schweren Menschenrechtsverletzungen (AI 22.2.2018).

 

Die allgemeine Menschenrechtslage in Russland ist weiterhin durch nachhaltige Einschränkungen der Grundrechte sowie einer unabhängigen Zivilgesellschaft gekennzeichnet. Der Freiraum für die russische Zivilgesellschaft ist in den letzten Jahren schrittweise eingeschränkt worden. Sowohl im Bereich der Meinungs- und Versammlungsfreiheit als auch in der Pressefreiheit wurden restriktive Gesetze verabschiedet, die einen negativen Einfluss auf die Entwicklung einer freien und unabhängigen Zivilgesellschaft ausüben. Inländische wie ausländische NGOs werden zunehmend unter Druck gesetzt. Rechte von Minderheiten werden nach wie vor nicht in vollem Umfang garantiert. Journalisten und Menschenrechtsverteidiger werden durch administrative Hürden in ihrer Arbeit eingeschränkt und erfahren in manchen Fällen sogar reale Bedrohungen für Leib und Leben (ÖB Moskau 12.2017, vgl. FH 1.2018, AA 21.5.2018). Im Zuge der illegalen Annexion der Krim im März 2014 und der Krise in der Ostukraine wurde die Gesellschaft v.a. durch staatliche Propaganda nicht nur gegen den Westen mobilisiert, sondern auch gegen die sog. "fünfte Kolonne" innerhalb Russlands. Der Menschenrechtsdialog der EU mit Russland ist derzeit aufgrund prozeduraler Unstimmigkeiten ausgesetzt. Laut einer Umfrage zum Stand der Menschenrechte in Russland durch das Meinungsforschungsinstitut FOM glauben 42% der Befragten nicht, dass die Menschenrechte in Russland eingehalten werden, während 36% der Meinung sind, dass sie sehr wohl eingehalten werden. Die Umfrage ergab, dass die russische Bevölkerung v.a. auf folgende Rechte Wert legt: Recht auf freie medizinische Versorgung (74%), Recht auf Arbeit und gerechte Bezahlung (54%), Recht auf kostenlose Ausbildung (53%), Recht auf Sozialleistungen (43%), Recht auf Eigentum (31%), Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (31%), Recht auf eine gesunde Umwelt (19%), Recht auf Privatsphäre (16%), Rede- und Meinungsfreiheit (16%). Der Jahresbericht der föderalen Menschenrechtsbeauftragten Tatjana Moskalkowa für das Jahr 2017 bestätigt die Tendenz der russischen Bevölkerung zur Priorisierung der sozialen vor den politischen Rechten. Unter Druck steht auch die Freiheit der Kunst, wie etwa die jüngsten Kontroversen um zeitgenössisch inszenierte Produktionen von Film, Ballett und Theater zeigen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Menschenrechtsorganisationen sehen übereinstimmend bestimmte Teile des Nordkaukasus als den regionalen Schwerpunkt der Menschenrechtsverletzungen in Russland. Hintergrund sind die bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Sicherheitskräften und islamistischen Extremisten in der Republik Dagestan, daneben auch in Tschetschenien, Inguschetien und Kabardino-Balkarien. Der westliche Nordkaukasus ist hiervon praktisch nicht mehr betroffen. (AA 21.5.2018). Auch 2017 wurden aus dem Nordkaukasus schwere Menschenrechtsverletzungen gemeldet, wie Verschwindenlassen, rechtswidrige Inhaftierung, Folter und andere Misshandlungen von Häftlingen sowie außergerichtliche Hinrichtungen (AI 22.2.2018). Die Menschenrechtslage im Nordkaukasus wird von internationalen Experten weiterhin genau beobachtet. Im Februar 2016 führte das Komitee gegen Folter des Europarats eine Mission in die Republiken Dagestan und Kabardino-Balkarien durch. Auch Vertreter des russischen präsidentiellen Menschenrechtrats bereisten im Juni 2016 den Nordkaukasus und trafen sich mit den einzelnen Republiksoberhäuptern, wobei ein Treffen mit Ramzan Kadyrow abgesagt wurde, nachdem die tschetschenischen Behörden gegen die Teilnahme des Leiters des Komitees gegen Folter Igor Kaljapin protestiert hatten (ÖB Moskau 12.2017).

 

Der konsultative "Rat zur Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Menschenrechte" beim russischen Präsidenten unter dem Vorsitz von M. Fedotow übt auch öffentlich Kritik an Menschenrechtsproblemen und setzt sich für Einzelfälle ein. Der Einfluss des Rats ist allerdings begrenzt (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

NGOs beklagen weiterhin schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch tschetschenische Sicherheitsorgane, wie Folter, das Verschwindenlassen von Personen, Geiselnahmen, das rechtswidrige Festhalten von Gefangenen und die Fälschung von Straftatbeständen. Entsprechende Vorwürfe werden kaum untersucht, die Verantwortlichen genießen zumeist Straflosigkeit. Besonders gefährdet sind Menschenrechtsaktivisten bzw. Journalisten. Die unabhängige Novaya Gazeta berichtete im Sommer 2017 über die angebliche außergerichtliche Tötung von über zwei Dutzend Personen zu Beginn des Jahres im Zuge von Massenfestnahmen nach dem Tod eines Polizisten. Seitens Amnesty International wurde eine umfassende Untersuchung der Vorwürfe durch die russischen Behörden gefordert. Im Herbst 2017 besuchte das Komitee gegen Folter des Europarates neuerlich Tschetschenien und konsultierte dabei auch die russische Ombudsfrau für Menschenrechte. Ihre nachfolgende Aussage gegenüber den Medien, dass das Komitee keine Bestätigung außergerichtlicher Tötungen oder Folter gefunden habe, wurde vom Komitee unter Hinweis auf die Vertraulichkeit der mit den russischen Behörden geführten Gespräche zurückgewiesen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die strafrechtliche Verfolgung der Menschenrechtsverletzungen ist unzureichend. Recherchen oder Befragungen von Opfern vor Ort durch NGOs sind nicht möglich; Regimeopfer müssen mitsamt ihren Familien aus Tschetschenien herausgebracht werden. Tendenzen zur Einführung von Scharia-Recht sowie die Diskriminierung von Frauen haben in den letzten Jahren zugenommen. Ende 2015 wurden nach Angaben von Memorial mehrere hundert Menschen aufgrund oberflächlicher "Verdachtsmerkmale" wie zu kurzer Bärte tagelang in Behördengewahrsam genommen, ohne dass den Angehörigen hierzu Auskunft erteilt wurde (AA 21.5.2018). 2017 kam es zur gezielten Verfolgung von Homosexuellen durch staatliche Sicherheitskräfte (AA 21.5.2018, vgl. HRW 18.1.2018), wo die Betroffenen gefoltert und einige sogar getötet wurden [vgl. Kapitel 19.4. Homosexuelle] (HRW 18.1.2018).

 

Gewaltsame Angriffe, die in den vergangenen Jahren auf Menschenrechtsverteidiger in Tschetschenien verübt worden waren, blieben nach wie vor straffrei. Im Januar 2017 nutzte der Sprecher des tschetschenischen Parlaments, Magomed Daudow, seinen Instagram-Account, um unverhohlen eine Drohung gegen Grigori Schwedow, den Chefredakteur des unabhängigen Nachrichtenportals Kaukasischer Knoten, auszusprechen. Im April erhielten Journalisten von Novaya Gazeta Drohungen aus Tschetschenien, nachdem sie über die dortige Kampagne gegen Schwule berichtet hatten. Auch Mitarbeiter des Radiosenders Echo Moskwy, die sich mit den Kollegen von Novaya Gazeta solidarisch erklärten, wurden bedroht. Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen seit Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018).

 

In den vergangenen Jahren häufen sich Berichte von Personen, die nicht aufgrund irgendwelcher politischer Aktivitäten, sondern aufgrund einfacher Kritik an der sozio-ökonomischen Lage in der Republik unter Druck geraten. So musste ein Mann, der sich im April 2016 in einem Videoaufruf an Präsident Putin über die Misswirtschaft und Korruption lokaler Beamter beschwerte, nach Dagestan flüchten, nachdem sein Haus von Unbekannten in Brand gesteckt worden war. Einen Monat später entschuldigte sich der Mann in einem regionalen Fernsehsender. Im Mai 2016 wandte sich Kadyrow in einem TV-Beitrag mit einer deutlichen Warnung vor Kritik an die in Europa lebende tschetschenische Diaspora: Diese werde für jedes ihrer Worte ihm gegenüber verantwortlich sein, man wisse, wer sie seien und wo sie leben, sie alle seien in seinen Händen, so Kadyrow. Gegenüber der Nachrichtenagentur Interfax behauptete Kadyrow am 21. November 2017, dass der Terrorismus in Tschetschenien komplett besiegt sei, es gebe aber Versuche zur Rekrutierung junger Menschen, für welche er die subversive Arbeit westlicher Geheimdienste im Internet verantwortlich machte (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Menschenrechtsorganisation Memorial beschreibt in ihrem Bericht über den Nordkaukasus vom Sommer 2016 eindrücklich, dass die Sicherheitslage für gewöhnliche Bürger zwar stabil ist, Aufständische einerseits und Kritiker der bestehenden Systeme sowie Meinungs- und Menschenrechtsaktivisten andererseits weiterhin repressiven Maßnahmen und Gewalt bis hin zum Tod ausgesetzt sind. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen, darunter Memorial und Human Rights Watch, prangern die seitens der regionalen Behörden praktizierte Sippenhaft von Familienangehörigen in Tschetschenien an. Im Fall des Menschenrechtsaktivisten und Leiter des Memorial-Büros in Tschetschenien Ojub Titijew wurde seitens Memorial bekannt, dass Familienangehörige Tschetschenien verlassen mussten (AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer

 

Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird hart vorgegangen (ÖB Moskau 12.2017). Über Jahre sind die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte, die unter Kadyrows de-facto-Kontrolle stehen, mit illegalen Methoden gegen mutmaßliche Rebellen und ihre Unterstützer/innen vorgegangen, mit der Zeit sind sie jedoch dazu übergegangen, diese Methoden gegenüber Gruppen anzuwenden, die von den tschetschenischen Behörden als "unerwünscht" erachtet werden, beispielsweise lokale Dissidenten, unabhängige Journalisten oder auch salafistische Muslime. In den letzten zehn Jahren gab es andauernde, glaubhafte Anschuldigungen, dass die Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte in ihrem Kampf gegen den aggressiven islamistischen Aufstand an Entführungen, Fällen von Verschwindenlassen, Folter, außergerichtlichen Hinrichtungen und kollektiven Bestrafungen beteiligt gewesen seien. Insbesondere Aufständische, ihre Verwandten und mutmaßliche Unterstützer/innen seien ins Visier geraten. Kadyrow setzte lokale salafistische Muslime und Aufständische oder deren Unterstützer/innen weitgehend gleich. Er habe die Polizei und lokale Gemeinschaften angewiesen, genau zu überwachen, wie Personen beten und sich kleiden würden, und die zu bestrafen, die vom Sufismus abkommen würden (HRW 26.5.2017).

 

Familienmitglieder von "Foreign Fighters" dürften weniger schweren Reaktionen seitens der Behörden ausgesetzt sein, als Familienmitglieder von lokalen Militanten. Wenn Foreign Fighters in die Russische Föderation zurückkehren, müssen sie mit Strafverfolgung rechnen. Die Schwere der Strafe hängt davon ab, ob sie sich den Behörden stellen und kooperieren. Jene, die sich nicht stellen, laufen Gefahr, in sogenannten Spezialoperationen liquidiert zu werden (Landinfo 8.8.2016).

 

Die Tageszeitung Novaya Gazeta berichtete über die rechtswidrige Inhaftierung zahlreicher Personen im Dezember 2016 und die heimliche Hinrichtung von mindestens 27 Gefangenen durch Sicherheitskräfte am 26. Januar 2017 in Tschetschenien (AI 22.2.2018). Demnach wollte die tschetschenische Führung damit den Mord an einem Polizisten rächen. Der Polizist wurde vermutlich von islamistischen Kämpfern ermordet. Tschetschenische Regierungsvertreter bestreiten die Vorfälle aufs schärfste (ORF.at 9.7.2017, vgl. Standard.at 10.7.2017). Caucasian Knot berichtet, das im Jänner 2017 Ramzan Kadyrow bei einem Auftritt in Grozny, der im Fernsehen übertragen worden sei, die Sicherheitskräfte angewiesen habe, ohne Vorwarnung auf Rebellen zu schießen, um Verluste in den Reihen der Sicherheitskräfte zu vermeiden, und auch denen gegenüber keine Nachsicht zu zeigen, die von den Rebellen in die Irre geführt worden seien (Caucasian Knot 25.1.2017).

 

Die Anzahl der Rebellen in Tschetschenien ist schwer zu konkretisieren. Schätzungen gehen von einem Dutzend bis ca. 120 Personen aus. Die Anzahl der tschetschenischen Rebellen ist sicherlich geringer als jene z.B. in Dagestan, wo der islamistische Widerstand seinen Hotspot hat. Sie verstecken sich in den bergigen und bewaldeten Gebieten Tschetscheniens. Sie bewegen sich hauptsächlich zwischen Tschetschenien und Dagestan, weniger oft auch zwischen Tschetschenien und Inguschetien. Kidnapping wird von tschetschenischen Sicherheitskräften begangen. In Tschetschenien selbst ist also der Widerstand nicht sehr aktiv, sondern hauptsächlich in Dagestan und auch in Inguschetien. Die Kämpfer würden auch nie einen Fremden um Vorräte, Nahrung, Medizin oder Unterstützung im Allgemeinen bitten, sondern immer nur Personen fragen, denen sie auch wirklich vertrauen, so beispielsweise Verwandte, Freunde oder Bekannte (DIS 1.2015).

 

Im November 2013 wurden in Russland Gesetze verabschiedet, welche die Bestrafung von Familien und Verwandten von Terrorverdächtigen vorsehen. Sie legalisieren Kollektivbestrafungen, welche bereits in mehreren Republiken des Nordkaukasus als Form des Kampfs gegen den Aufstand praktiziert werden. Die Gesetzgebung erlaubt es den Behörden, Vermögenswerte der Familien von Terrorverdächtigen zu beschlagnahmen und die Familien zu verpflichten, für Schäden aufzukommen, welche durch Handlungen der Terrorverdächtigen entstanden sind. Das Gesetz sieht vor, dass Familienangehörige und Verwandte von Terrorverdächtigen belegen müssen, dass ihre Vermögenswerte, Immobilien und weitere Besitztümer nicht durch "terroristische Aktivitäten" erworben wurden. Wenn nicht bewiesen werden kann, dass die Vermögenswerte legal erworben wurden, kann der Staat sie beschlagnahmen. Auch Personen, welche Terrorverdächtigen nahestehen, können mit dem Gesetz belangt werden (SFH 25.7.2014). Angehörigen von Aufständischen bleiben, laut Tanja Lokshina von Human Rights Watch in Russland, nicht viele Möglichkeiten um Kontrollen oder Druckausübung durch Behörden zu entkommen. Eine ist die Republik Tschetschenien zu verlassen, aber das kann sich nicht jeder leisten, oder man sagt sich öffentlich vom aufständischen Familienmitglied los. Vertreibungen von Familien von Aufständischen haben zugenommen (Meduza 31.10.2017).

 

Nach der Terrorattacke auf Grozny am 4.12.2014 hat Tschetscheniens Oberhaupt Ramzan Kadyrow die Verwandten der Attentäter in Sippenhaft genommen. Kadyrow verlautbarte auf Instagram kurz nach der Tat, dass, wenn ein Kämpfer in Tschetschenien einen Mitarbeiter der Polizei oder einen anderen Menschen töte, die Familie des Kämpfers sofort ohne Rückkehrrecht aus Tschetschenien ausgewiesen werde. Ihr Haus werde zugleich bis auf das Fundament abgerissen. Tatsächlich beklagte einige Tage später der Leiter der tschetschenischen Filiale des "Komitees gegen Folter", dass den Angehörigen der mutmaßlichen Täter die Häuser niedergebrannt worden seien (Standard.at 14.12.2014, vgl. Meduza 31.10.2017). Es handelte sich um 15 Häuser, die niedergebrannt wurden (The Telegraph 17.1.2015, vgl. Meduza 31.10.2017). Ein weiterer Fall, wo ein Haus niedergebrannt wurde, ist jener von Ramazan Dschalaldinow aus dem Jahr 2016. Er hat sich in einem Internetvideo bei Präsident Putin über die behördliche Korruption und Bestechungsgelder beschwert (RFE/RFL 18.5.2016). Ebenso im Jahr 2016 wurden nach einer Attacke von zwei Aufständischen auf einen Checkpoint in der Nähe von Grozny die Häuser ihrer Familien niedergebrannt (US DOS 3.3.2017). Auch Human Rights Watch berichtet im Jahresbericht 2016, dass Häuser niedergebrannt wurden [damit sind wohl die eben angeführten Fälle gemeint] (HRW 12.1.2017). Die Jahresberichte für das Jahr 2014 von Amnesty International (AI), US DOS, Human Rights Watch (HRW) und Freedom House (FH) berichten vom Niederbrennen von Häusern, als Vergeltung für die oben genannte Terrorattacke auf Grozny vom Dezember 2014. In allen rezenten Jahresberichten dieser Organisationen (AI, US DOS, HRW und FH) mit Berichtszeitraum 2017 kamen keine Informationen zum Niederbrennen von Häusern vor (AI 22.2.2018, US DOS 20.4.2018, HRW 18.1.2018, FH 1.2018).

 

In Bezug auf Verfolgung von Kämpfern des ersten und zweiten Tschetschenienkrieges, erging von der Konsularabteilung der ÖB Moskau die Information, dass sich auf youtube unter https://www.youtube.com/watch?v=0viIlHc51bU ein Link zu einem Nachrichtenbeitrag, der am 23.4.2014 veröffentlicht wurde, findet. Diesem Beitrag zufolge haben tschetschenische Ermittlungsbehörden Anfragen an die Archivbehörden des Verteidigungsministeriums in Moskau gerichtet, um Daten zu erfahren, die ein militärisches Geheimnis darstellen: Nummern militärischer Einheiten, Namen von Kommandeuren und Offizieren, die der Begehung von Kriegsverbrechen verdächtig sind, Fotos dieser Personen; Familienname und Rang von Teilnehmern an Spezialoperationen, in deren Verlauf Zivilisten verschwunden sind. Unbekannt ist laut Bericht, ob die tschetschenischen Behörden die angefragten Informationen erhalten haben. Im Interview betont der Pressesekretär des tschetschenischen Präsidenten, Alvi Karimov, dass an den Anfragen nichts Besonderes dran sei; es gehe um die Aufklärung von Verbrechen, die an bestimmten Orten begangen wurden, als sich dort russisches Militär aufgehalten habe, und die Anfragen seien zur Identifizierung der Militärangehörigen gestellt worden, die sich zu dieser Zeit dort aufgehalten haben, aber nicht zur Identifizierung aller Teilnehmer an militärischen Handlungen. Diese Anfragen beziehen sich offenbar auf Kampfhandlungen des 1. und 2. Tschetschenienkrieges. Aus den Briefköpfen der Anfragen ist allerdings ersichtlich, dass diese schon aus dem Jahr 2011 stammen. Hinweise auf neuere Anfragen oder Verfolgungshandlungen tschetschenischer Behörden konnten ho. nicht gefunden werden, ebenso wenig wie Hinweise darauf, dass russische Behörden tschetschenische Kämpfer der beiden Kriege suchen würden. Hinweise darauf, dass Verwandte von Tschetschenien-Kämpfern durch russische oder tschetschenische Behörden zu deren Aufenthaltsort befragt wurden, konnten nicht gefunden werden (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Nach Ansicht der Österreichischen Botschaft kann aus folgenden Gründen davon ausgegangen werden, dass sich die russischen und tschetschenischen Behörden bei der Strafverfolgung mittlerweile auf IS-Kämpfer/Unterstützer bzw. auf Personen konzentrieren, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen:

 

1. Es konnten keine Hinweise auf Verfolgung von Veteranen der Tschetschenien-Kriege nach 2011 gefunden werden. Es gibt im Internet jedoch zahlreiche Berichte neueren Datums über anti-terroristische Spezialoperationen im Nordkaukasus.

 

2. Zahlreichen Personen, nach denen seitens russischer Behörden gefahndet wird (z.B. Fahndungen via Interpol), werden Delikte gemäß § 208 Z 2 1. (Teilnahme an einer illegalen bewaffneten Formation) oder gemäß § 208 Z 2 2. (Teilnahme an einer bewaffneten Formation auf dem Gebiet eines anderen Staates, der diese Formation nicht anerkennt, zu Zwecken, die den Interessen der RF widersprechen) des russischen StGB zur Last gelegt. In der Praxis zielen diese Gesetzesbestimmungen auf Personen ab, die im Nordkaukasus gegen die Sicherheitskräfte kämpfen bzw. auf Personen, die ins Ausland gehen, um aktiv für den sog. IS zu kämpfen (ÖB Moskau 12.7.2017).

 

Ein zunehmendes Sicherheitsrisiko stellt für Russland die mögliche Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut INTERFAX warnte FSB-Leiter Bortnikov bei einem Treffen des Nationalen Anti-Terrorismus-Komitees am 12. Dezember 2017 vor der Rückkehr militanter Kämpfer nach der territorialen Niederlage des sog. IS in Syrien, der bei dieser Gelegenheit auch konkrete Zahlen zur Terrorismusbekämpfung in Russland nannte: Im Jahresverlauf 2017 seien über 60 terroristische Verbrechen, darunter 18 Terroranschläge, verhindert worden, die Sicherheitskräfte hätten über 1.000 militante Kämpfer festgenommen, knapp 80 Personen seien neutralisiert worden. Laut diversen staatlichen und nichtstaatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere tausend Personen umfasste. Eine aktuelle Studie des renommierten Soufan-Instituts nennt Russland noch vor Saudi-Arabien als das wichtigste Herkunftsland ausländischer Kämpfer: So sollen rund 3.500 aus Russland stammen, wobei die Anzahl der Rückkehrer mit 400 beziffert wird. Anderen Analysen zufolge sollen bis zu 10% der IS-Kämpfer aus dem Kaukasus stammen, deren Radikalisierung teilweise auch in russischen Großstädten außerhalb ihrer Herkunftsregion erfolgte. Laut Präsident Putin sollen rund 9.000 Kämpfer aus dem postsowjetischen Raum stammen. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten zurückkehren, wird v.a. gerichtlich vorgegangen. Zu Jahresende 2015 liefen laut Angaben des russischen Innenministeriums rund 880 Strafprozesse, die meisten davon basierend auf den relevanten Bestimmungen des russischen StGB zur Teilnahme an einer terroristischen Handlung, der Absolvierung einer Terror-Ausbildung sowie zur Organisation einer illegalen bewaffneten Gruppierung oder Teilnahme daran. Laut einer INTERFAX-Meldung vom 2. Dezember 2015 seien in Russland bereits über 150 aus Syrien zurückgekehrte Kämpfer verurteilt worden. Laut einer APA-Meldung vom 27. Juli 2016 hat der Leiter des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB kommuniziert, dass 220 zurückgekehrte Kämpfer im besonderen Fokus der Sicherheitskräfte zur Vorbeugung von Anschlägen stünden. In einem medial verfolgten Fall griffen russische Sicherheitskräfte im August 2016 in St. Petersburg auf mutmaßlich islamistische Terroristen mit Querverbindungen zum Nordkaukasus zu. Medienberichten zufolge wurden im Verlauf des Jahres 2016 über 100 militante Kämpfer in Russland getötet. In Syrien sollen über 2.000 militante Kämpfer aus Russland bzw. dem GUS-Raum getötet worden sein. Nachdem der sog. IS im Nahen Osten weitgehend bezwungen werden konnte, ist zu vermuten, dass überlebenden IS-Kämpfer nordkaukasischer Provenienz abgesehen von einer Rückkehr nach Russland entweder in andere Konfliktgebiete weiterziehen oder sich der Diaspora in Drittländern anschließen könnten. Daraus könnte sich auch ein entsprechendes Sicherheitsrisiko für Länder mit umfangreichen tschetschenischen Bevölkerungsanteilen ergeben. Prominentestes Beispiel für die terroristischen Umtriebe zwischen dem Nordkaukasus, der Diaspora in Mitteleuropa und den Kampfgebieten des sog. IS im Nahen Osten war wohl der Austro-Dschihadist tschetschenischer Provenienz namens Akhmed Chatayev, der vom Al-Qaida-Sanktionskomitee des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen wegen der Rekrutierung russischsprachiger IS-Kämpfer gelistet wurde, als Drahtzieher hinter dem verheerenden Anschlag auf den Istanbuler Flughafen vom Juni 2016 gilt und bei einer Anti-Terror-Operation in Tiflis in Georgien getötet worden ist. Deutsche Medien berichteten im Jahr 2017 über Verdachtsmomente, dass Russland die Migration von Tschetschenen nach Mitteleuropa fördern könnte, unter denen auch radikale Islamisten zu befürchten seien, um so die durch die Migrationskrise angespannte Lage weiter zu destabilisieren. Anderen Berichten zufolge könnte der russische Geheimdienst FSB mitunter als Migranten getarnte Agenten nach Mitteleuropa schleusen. Trotz des insignifikanten touristischen bzw. ökonomischen Potentials Tschetscheniens bietet die Fluglinie UTair seit Mitte 2017 wöchentliche Linienflüge zwischen München und Grozny an. Auch in der tschetschenischen Diaspora in Österreich scheint mitunter ein gewisses Naheverhältnis zum Kadyrow-Regime fortzubestehen, wie sich etwa in der Kampfsportszene zeigt (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Religionsfreiheit

 

Art. 28 der Verfassung garantiert Gewissens- und Glaubensfreiheit. Christentum, Islam, Buddhismus und Judentum haben dabei eine herausgehobene Stellung. Art. 14 der Verfassung schreibt die Trennung von Staat und Kirche fest. Die Russisch-Orthodoxe Kirche (ROK) erhebt Anspruch auf einen Vorrang unter den Religionsgemeinschaften und auf "Symphonie" mit der Staatsführung. Sie propagiert ihren Wertekanon als Basis einer neuen "nationalen Idee". Faktisch wird sie vom Staat bevorzugt behandelt. Der Islam ist eine der traditionellen Hauptreligionen Russlands. In der Russischen Föderation leben rund 20 Millionen Muslime. Der Islam in Russland ist grundsätzlich von Toleranz gegenüber anderen Religionen geprägt. Radikalere, aus dem Nahen und Mittleren Osten beeinflusste Gruppen stehen insbesondere im Nordkaukasus unter scharfer Beobachtung der Behörden (AA 21.5.2018). Auch andere Religionsgemeinschaften können in Russland legal bestehen, müssen sich aber registrieren lassen. Seit Ende der Achtziger Jahre hat der Anteil der Gläubigen im Zuge einer "religiösen Renaissance" bedeutend zugenommen. Allerdings bezeichnen sich laut Meinungsumfragen rund 50% der Bevölkerung als ungläubig. Zwar gibt es in Russland einen hohen Grad der Wertschätzung von Kirche und Religiosität, dies bedeutet aber nicht, dass die Menschen ihr Leben nach kirchlichen Vorschriften führen. Offizielle Statistiken zur Zahl der Gläubigen verschiedener Konfessionen gibt es nicht, und die Zahlen in den meisten Quellen unterscheiden sich erheblich. Die Russische Orthodoxe Kirche (ROK) ist heute die mit Abstand größte und einflussreichste Religionsgemeinschaft in Russland. Seit der Unabhängigkeit der Russischen Föderation ist sie zu einer äußerst gewichtigen gesellschaftlichen Einrichtung geworden. Die Verluste an Gläubigen und Einrichtungen, die sie in der Sowjetzeit erlitt, konnte sie zu einem großen Teil wieder ausgleichen. Die ROK hat ein besonderes Verhältnis zum russischen Staat, z.B. ist der Patriarch bei wichtigen staatlichen Anlässen stets anwesend. Die ROK versteht sich als multinationale Kirche, die über ein "kanonisches Territorium" verfügt. Es erstreckt sich über die GUS-Staaten mit der Ausnahme von Armenien, wo es eine eigene orthodoxe Kirche gibt. Über die Zahl der Angehörigen der ROK gibt es nur Schätzungen, die zwischen 50 und 135 Millionen Gläubigen schwanken. Wer heute in Russland seine Zugehörigkeit zur orthodoxen Kirche herausstellt, macht damit deutlich, dass er zur russischen Tradition steht. Das Wiedererwachen des religiösen Lebens in Russland gibt regelmäßig Anlass zu Diskussionen um die Rolle der Russisch-Orthodoxen Kirche in der Gesellschaft und ihr Verhältnis zum Staat. Bei den traditionell religiös orientierten ethnischen Minderheiten Russlands findet man Anhänger des Islam und des Buddhismus, des Schamanismus und Judaismus, des protestantischen und katholischen Glaubens. Der Islam ist die zweitgrößte Glaubensgemeinschaft in Russland. Die Muslime sind in der Regel Baschkiren, Tataren, Tschuwaschen, Tschetschenen und Angehörige anderer Kaukasusvölker. Sie werden durch die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Europäischen Teils Russlands und Sibiriens sowie die Geistliche Verwaltung der Muslime (Muftirat) des Nordkaukasus vertreten. Die Zahl der russischen Muslime wird offiziell mit 14,5 Millionen angegeben. Die Vertreter der islamischen Gemeinde sprechen von mehr als 20 Millionen Mitgliedern. Alle anderen Religionen, wie Buddhismus (ca. 600.000 Gläubige) - zu dem sich Burjaten, Kalmyken, Tuwa und andere Bevölkerungsgruppen in den Gebieten Irkutsk und Tschita bekennen - und Judentum (ca. 200.000 Gläubige), haben nur geringe Bedeutung. Von den christlichen Kirchen sind die katholische Kirche, die evangelisch-lutherische Kirche sowie eine Reihe von Freikirchen (vor allem Baptisten) in Russland vertreten. Sie sind im europäischen Russland und in Sibirien präsent (GIZ 7.2018c, vgl. SWP 4.2013).

 

Bestimmte religiöse Gruppen wie die Zeugen Jehovas, Scientology oder Falun Gong sind aufgrund ihres Glaubens zur Zielscheibe der russischen Behörden geworden. Auch hier stützt man sich vor allem auf das Extremismusgesetz [das sogenannte Yarovaya-Gesetz] (ÖB Moskau 12.2017). Im Zuge dieser Extremismusgesetzgebung wurden unter anderem auch private religiöse Reden kriminalisierten (USCIRF 4.2018) und es wird benutzt, um religiöse Gruppen zu unterdrücken und wegen Extremismus zu bekämpfen (FH 1.2018). Die NGO Sova sieht als Hauptgründe der exzessiven Implementierung des Gesetzes einerseits die schlechte Schulung von Polizeibeamten, andererseits den Missbrauch der Rechtsvorschrift zum Vorgehen gegen oppositionelle bzw. unabhängige Aktivisten (ÖB Moskau 12.2017). Seit Juli 2016 wurden über 100 religiöse Aktivisten mit Bußgeldern belegt, weil sie entweder ohne Genehmigung gepredigt hatten, oder religiöse Literatur ohne Anführen des Namens des Vertreibers verteilten (HRW 18.1.2018).

 

Besonders Muslime, die in Verdacht stehen, extremistisch zu sein, sind von strengen Strafen betroffen (USCIRF 4.2018), aber auch moderate muslimische Organisationen sehen sich stärkeren Kontrollen ausgesetzt. Im Jahr 2015 wurde in der Staatsduma ein Gesetz angenommen, der die Kontrolle des Justizministeriums über die Finanzflüsse religiöser Organisationen erhöhen soll. Gruppen, die aus dem Ausland Gelder oder sonstige Vermögenswerte erhalten, werden in Zukunft den Behörden mehr Informationen vorlegen müssen. Im Zuge der Verschärfung der anti-extremistischen Gesetzgebung im Juni 2016 wurden auch die Auflagen für Missionstätigkeiten außerhalb religiöser Institutionen präzisiert (ÖB Moskau 12.2017).

 

Am 20.4.2017 billigte das Oberste Gericht Russlands einen Antrag des Justizministeriums, in dem die russische Zentrale der Zeugen Jehovas als extremistische Gruppe eingestuft wurde, die die Bürgerrechte sowie die öffentliche Ordnung und Sicherheit bedrohe. Von dem Verbot sind alle 395 Regionalverbände des Landes betroffen. Ihr Besitz wird beschlagnahmt. Die Zeugen Jehovas können somit für die Ausübung ihres Glaubens strafrechtlich verfolgt werden (AA 21.5.2018, vgl. AI 22.2.2018, HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Die Bevölkerung gehört der sunnitischen Glaubensrichtung des Islam an, wobei traditionell eine mystische Form des Islam, der Sufismus, vorherrschend ist (BAMF 10.2013). Beim Sufismus handelt es sich um eine weit verbreitete und zudem äußerst facettenreiche Glaubenspraxis innerhalb des Islams. Heutzutage sind Sufis sowohl innerhalb des Schiitentums als auch unter Sunniten verbreitet (ÖIF 2013).

 

In Tschetschenien setzt Ramzan Kadyrow seine eigenen Ansichten bezüglich des Islams durch. Frauen müssen sich islamisch kleiden und können in polygame Ehen gezwungen werden. Anhänger eines "nicht traditionellen" Islams, oder Personen mit Verbindungen zu Aufständischen können Opfer von Verschwindenlassen durch die Sicherheitskräfte werden (USCIRF 4.2018). Kadyrow nutzt den traditionellen Sufismus politisch und als Instrument seines Antiterrorkampfes, um mit dem "guten" sufistischen Islam dem von weiten Teilen der heute in der Republik aktiven Kämpfern propagierten "schlechten" fundamentalistischen Islam, dem oft auch Wahhabismus genannten Salafismus, entgegenzuwirken. Diese Strategie hatte bereits sein Vater unter Maschadow - relativ erfolglos - anzuwenden versucht. Diese politische Instrumentalisierung der Religion führt aus mehreren Gründen zu heftiger Kritik: Durch die kadyrowsche Islamisierung werden zunehmend Menschenrechte, insbesondere Frauenrechte, beschnitten. Innerhalb der tschetschenischen Bevölkerung empfinden viele die von Kadyrow angeordneten Verhaltensnormen als nicht gerechtfertigten (und schon gar nicht durch tschetschenische Tradition zu rechtfertigenden) Eingriff in ihr Privatleben. Einige der aufgrund der (Re‑)Islamisierung erfolgten Erlässe und Aussagen des Republikoberhauptes, wie etwa die Kopftuchpflicht für Frauen in öffentlichen Gebäuden oder seine Befürwortung der Polygamie, widersprechen zudem russischem Recht. Beobachter der Lage sind sich gemeinhin einig, dass all dies von föderaler Seite geduldet wird, weil und solange es Kadyrow gelingt, die relativ stabile Sicherheitslage zu erhalten (BAA Staatendokumentation 19.5.2011).

 

Mutmaßliche Dschihadisten werden in Tschetschenien inhaftiert, und es kann zu Folterungen und außergerichtlichen Tötungen kommen (HRW 18.1.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Ethnische Minderheiten

 

Russland ist ein multinationaler Staat, in dem Vertreter von mehr als hundert Völkern leben. Die Russen stellen mit 79,8% die Mehrheit der Bevölkerung. Größere Minderheiten sind die Tataren (4,0%), die Ukrainer (2,2%), die Armenier (1,9%), die Tschuwaschen (1,5%), die Baschkiren (1,4%), die Tschetschenen (0,9%), die Deutschen (0,8%), die Weißrussen und Mordwinen (je 0,6%), Burjaten (0,3%) und andere. Vielfach ist die Verflechtung zwischen den nichtrussischen und russischen Bevölkerungsteilen durch gemischte Ehen und interethnische Kommunikation recht hoch, ebenso der Russifizierungsgrad der nichtrussischen Bevölkerungsteile. Nur wenige nationale Gebietseinheiten, wie Tschetschenien, Dagestan, Tschuwaschien und Tuwa, sind stärker vom namensgebenden Ethnos geprägt. Russisch ist die einzige überall geltende Amtssprache. Parallel dazu wird in den einzelnen autonomen Republiken die jeweilige Volkssprache als zweite Amtssprache verwendet (GIZ 7.2018c).

 

Die Verfassung garantiert gleiche Rechte und Freiheiten unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Nationalität, Sprache und Herkunft. Entsprechend bemüht sich die Zentralregierung zumindest in programmatischen Äußerungen um eine ausgleichende Nationalitäten- und Minderheitenpolitik, inklusive der Förderung von Minderheitensprachen im Bildungssystem. Fremdenfeindliche und rassistische Ressentiments sind in der Bevölkerung und in den Behörden weit verbreitet. Sie richten sich insbesondere gegen Kaukasier und Zentralasiaten. Die Menschenrechtsorganisation Sova verzeichnete für Januar - Oktober 2016 fünf Tote und 47 Verletzte aufgrund rassistisch motivierter Gewalttaten (AA 21.5.2018).

 

Im Nordkaukasus ist die ethnische, kulturelle und sprachliche Vielfalt beeindruckend groß. Deshalb, sowie hinsichtlich der räumlichen Gliederung und der politischen, kulturellen und religiösen Geschichte seiner Volksgruppen stellt der Nordkaukasus die ethnisch am stärksten differenzierte Region der Russischen Föderation dar. Gerne wird sie als "ethnischer Flickenteppich" bezeichnet (Rüdisser 11.2012).

 

Quellen:

 

 

 

 

Bewegungsfreiheit

 

In der Russischen Föderation herrscht Bewegungsfreiheit sowohl innerhalb des Landes, als auch bei Auslandsreisen, ebenso bei Emigration und Repatriierung (US DOS 20.4.2018). Somit steht Tschetschenen, genauso wie allen russischen Staatsbürgern [auch Inguschen, Dagestaner etc.] das in der Verfassung verankerte Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu. Mit dem Föderationsgesetz von 1993 wurde ein Registrierungssystem geschaffen, nach dem Bürger den örtlichen Stellen des Innenministeriums ihren gegenwärtigen Aufenthaltsort [temporäre Registrierung] und ihren Wohnsitz [permanente Registrierung] melden müssen. Voraussetzung für eine Registrierung ist die Vorlage des Inlandspasses und nachweisbarer Wohnraum. Nur wer eine Bescheinigung seines Vermieters vorweist, kann sich registrieren lassen (AA 21.5.2018). Einige regionale Behörden schränken die Registrierung von vor allem ethnischen Minderheiten und Migranten aus dem Kaukasus und Zentralasien ein (FH 1.2018, vgl. US DOS 20.4.2018) [bez. Registrierung vgl. Kapitel 19.1 Meldewesen].

 

Personen aus dem Nordkaukasus können grundsätzlich problemlos in andere Teile der Russischen Föderation reisen. Sie treffen allerdings immer noch auf anti-kaukasische Stimmungen (AA 21.5.2018, vgl. ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017).

 

Bei der Einreise werden die international üblichen Pass- und Zollkontrollen durchgeführt. Personen ohne reguläre Ausweisdokumente wird in aller Regel die Einreise verweigert. Russische Staatsangehörige können grundsätzlich nicht ohne Vorlage eines russischen Reisepasses oder anerkannten Passersatzdokuments wieder in die Russische Föderation einreisen. Russische Staatsangehörige, die kein gültiges Personaldokument vorweisen können, müssen eine administrative Strafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen (AA 21.5.2018).

 

Personen, die innerhalb des Landes reisen, müssen ihre Inlandspässe zeigen, wenn sie Tickets kaufen wollen für Reisen via Luft, Schienen, Wasser und Straßen. Dies gilt nicht für Pendler (US DOS 20.4.2018, vgl. FH 1.2018). Der Inlandspass ermöglicht auch die Abholung der Pension vom Postamt, die Arbeitsaufnahme und die Eröffnung eines Bankkontos (AA 21.5.2018, vgl. FH 1.2018).

 

Nach Angaben des Leiters der Pass- und Visa-Abteilung im tschetschenischen Innenministerium haben alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Inlandspässe erhalten (AA 24.1.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Meldewesen

 

Gegen Jahresmitte 2016 wurde der Föderale Migrationsdienst (FMS), der für die Registrierung verantwortlich war, aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert (ÖB Moskau 12.2016). Die neue Behörde, die die Aufgaben des FMS übernommen hat, ist die Hauptverwaltung für Migrationsfragen (General Administration for Migration Issues - GAMI) (US DOS 3.3.2017).

 

Laut Gesetz müssen sich Bürger der Russischen Föderation an ihrem permanentem und temporärem Wohnort registrieren (EASO 8.2018). Die Registrierung ist nichts anderes als eine Benachrichtigung für die Behörde wo eine Person wohnt und funktioniert relativ problemlos (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018). Die Registrierung des Wohnsitzes erfolgt entweder in einer lokalen Niederlassung des Innenministeriums (MVD), über das Onlineportal für öffentliche Dienstleistungen "Gosuslugi" oder per Email (nur für die temporäre Registrierung). Man kann neben einer permanenten Registrierung auch eine temporäre Registrierung haben, z.B. in einem Hotel, in einer medizinischen Einrichtung, in einem Gefängnis, in einer Wohnung etc. Natürlich gibt es auch die Möglichkeit den Hauptwohnsitz zu ändern. Hierzu muss man die permanente Registrierung innerhalb von sieben Tagen ändern. Um sich zu registrieren braucht man einen Pass, einen Antrag für die Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man berechtigt ist, sich an einer bestimmten Adresse zu registrieren, wie z.B. einen Mietvertrag. Die permanente Registrierung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt. Die Beendigung einer permanenten Registrierung muss von der jeweiligen Person veranlasst werden. Dies muss aber nicht bei den Behörden an der alten Adresse geschehen, sondern kann von der neuen Adresse beantragt werden. Auch die Beendigung wird mittels eines Stempels im Inlandspass vermerkt (EASO 8.2018).

 

Wenn eine Person vorübergehend an einer anderen Adresse als dem Hauptwohnsitz (permanente Registrierung) wohnt, muss eine temporäre Registrierung gemacht werden, wenn der Aufenthalt länger als 90 Tagen dauert. Die Registrierung einer temporären Adresse beeinflusst die permanente Registrierung nicht. Für die temporäre Registrierung braucht man einen Pass, einen Antrag für temporäre Registrierung und ein Dokument, das zeigt, dass man zur Registrierung berechtigt ist. Nach der Registrierung bekommt man ein Dokument, das die temporäre Registrierung bestätigt. Die temporäre Registrierung endet automatisch mit dem Datum, das man bei der Registrierung angegeben hat. Eine temporäre Registrierung in Hotels, auf Camping-Plätzen und in medizinischen Einrichtungen endet automatisch, wenn die Person die Einrichtung verlässt. Wenn eine Person früher als geplant den temporären Wohnsitz verlässt, sollten die Behörden darüber in Kenntnis gesetzt werden (EASO 8.2018).

 

Eine Registrierung ist für einen legalen Aufenthalt in der Russischen Föderation unabdingbar. Diese ermöglicht außerdem den Zugang zu Sozialhilfe und staatlich geförderten Wohnungen, zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum legalen Arbeitsmarkt (BAA 12 .2011, vgl. US DOS 20.4.2018).

 

Es kann für alle Bürger der Russischen Föderation zu Problemen beim Registrierungsprozess kommen. Es ist möglich, dass Migranten aus dem Kaukasus zusätzlich kontrolliert werden (ADC Memorial, CrimeaSOS, SOVA Center for Information and Analysis, FIDH 2017). In der Regel ist die Registrierung für Tschetschenen aber kein Problem, auch wenn es möglicherweise zu Diskriminierung oder korrupten Verhalten seitens der Beamten kommen kann. Im Endeffekt bekommen sie die Registrierung (DIS 1.2015, vgl. EASO 8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenen in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens

 

Die Bevölkerung Tschetscheniens schrumpft seit einigen Jahren, vor allem durch Abwanderung. Zwischen 2008 und 2015 haben laut offiziellen Zahlen 150.000 Tschetschenen die Republik verlassen. Sie ziehen sowohl in andere Regionen in der Russischen Föderation als auch ins Ausland. Als Gründe für die Abwanderung werden ökonomische, menschenrechtliche und gesundheitliche Gründe genannt. In Tschetschenien arbeiten viele Personen im informellen Sektor und gehen daher zum Arbeiten in andere Regionen, um Geld nach Hause schicken zu können. Tschetschenen leben überall in der Russischen Föderation. Laut der letzten Volkszählung von 2010 leben die meisten Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens z.B. in Moskau (über 14.000 Personen), in Inguschetien (knapp 19.000 Personen) in der Rostow Region (über 11.000 Personen), in Stawropol Krai (knapp 12.000 Personen), in Dagestan (über 9.000 Personen), in der Wolgograd Region (knapp 10.000 Personen) und in der Astrachan Region (über 7.000 Personen). Die Zahlen sind aber nicht sehr verlässlich, da bei der Volkszählung ein großer Teil der Bevölkerung nicht ihre Nationalität angab. Beispielsweise soll die tschetschenische Bevölkerung in der Wolgograd Region um das doppelte höher sein, als die offiziellen Zahlen belegen. Viele Tschetschenen leben dort seit 30 Jahren und sind in unterschiedlichsten Bereichen tätig. In St. Petersburg beispielsweise sollen laut Volkszählung knapp 1.500 Tschetschenen leben, aber allein während des zweiten Tschetschenienkrieges (1999-2009) kamen 10.000 Tschetschenen, um in St. Petersburg zu leben und zu arbeiten, da es in Tschetschenien einen Mangel an Arbeitsplätzen gibt. Die soziale Zusammensetzung der tschetschenischen Bevölkerung dort ist unterschiedlich, aber die meisten sprechen ihre Landessprache und halten die nationalen Traditionen hoch. Unter den Tschetschenen in St. Petersburg gibt es Geschäftsmänner, Sicherheitsbeamte, Rechtsanwälte, McDonald's Franchisenehmer, aber auch Ärzte, Universitätsprofessoren und Maler. Viele arbeiten im Baugewerbe und im Ölgeschäft, zumeist in mittleren Betrieben, oder besitzen ein eigenes Geschäft oder eine Firma. Tschetschenen in St. Petersburg sehen sich selbst nicht unbedingt als eine engmaschige Diaspora. Sie werden eher durch kulturelle Aktivitäten, die beispielsweise durch die offizielle Vertretung der tschetschenischen Republik oder den sogenannten "Vaynakh-Kongress" (eine Organisation, die oft auch als "tschetschenische Diaspora" bezeichnet wird) veranstaltet wird, zusammengebracht. Auch in Moskau ist die Zahl der Tschetschenen um einiges höher, als die offiziellen Zahlen zeigen. Gründe hierfür sind, dass viele Tschetschenen nicht an Volkszählungen teilnehmen wollen, oder auch, dass viele Tschetschenen zwar in Moskau leben, aber in Tschetschenien ihren Hauptwohnsitz registriert haben [vgl. hierzu Kapitel 19. Bewegungsfreiheit, bzw. 19.1. Meldewesen] (EASO 8.2018). Außerdem ist es schwieriger eine Registrierung in Moskau oder beispielsweise in St. Petersburg zu erlangen, als in anderen Regionen. Dies gilt aber nicht nur für Tschetschenen (DIS 8.2012). Tschetschenen in Moskau arbeiten oft in der Automobil-, Hotel-, und Restaurantbranche. Viele besitzen auch Tankstellen, oder arbeiten im Baugewerbe und im Taxigeschäft (EASO 8.2018).

 

Die Heterogenität und Dynamik des politischen und religiösen Machtgefüges in Tschetschenien prägen die oppositionellen Strömungen in Inland sowie die Diaspora im Ausland. Überdies wirken sozio-ökonomische Motive als bedeutende ausschlaggebende Faktoren für die Migration aus dem Nordkaukasus. Trotz der Rhetorik des tschetschenischen Oberhauptes gilt dessen Machtentfaltung außerhalb der Grenzen der Teilrepublik als beschränkt, und zwar nicht nur formell im Lichte der geltenden russischen Rechtsordnung, sondern auch faktisch durch die offenkundige Konkurrenz zu den föderalen Sicherheitskräften (ÖB Moskau 12.2017). Viele Personen innerhalb der Elite, einschließlich der meisten Leiter des Sicherheitsapparates misstrauen und verachten Kadyrow (Al Jazeera 28.11.2017). Allein daraus ist zu folgern, dass die umfangreiche tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands nicht unter der unmittelbaren Kontrolle von Kadyrow steht. Wie konkrete Einzelfälle aus der Vergangenheit zeigen, können kriminelle Akte gegen explizite Regimegegner im In- und Ausland allerdings nicht gänzlich ausgeschlossen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

In vielen Regionen gibt es offizielle Vertretungen der tschetschenischen Republik, die kulturelle und sprachliche Programme organisieren und auch die Rechte von einzelnen Personen schützen. Es wird berichtet, dass Kadyrow in Moskau jederzeit auf 1.000 bis 2.000 bewaffnete Männer zurückgreifen und weitere 20.000 relativ einfach hinzuziehen können soll (Telegraph 24.2.2016). Auch soll es einige hundert tschetschenische Sicherheitsbeamte in Moskau geben, die illegale Aktivitäten ausüben (New York Times 17.8.2017). In Moskau soll es außerdem einen bewaffneten Trupp von ca. 30 tschetschenischen Bodyguards geben. Gegen den Anführer dieses Trupps soll es Strafverfahren wegen eines bewaffneten Vorfalls, Kidnapping und Folter gegeben haben, es wurden jedoch alle Ermittlungen eingestellt, da er Beziehungen zur Regierung haben soll (EASO 8.2018). Es scheint, als hätten die föderalen Exekutivkräfte wenig Handhabe gegen Kadyrow bzw. seine Leute (EASO 8.2018).

 

Die regionalen Strafverfolgungsbehörden können Menschen auf der Grundlage von in ihrer Heimatregion erlassenen Rechtsakten auch in anderen Gebieten der Russischen Föderation in Gewahrsam nehmen und in ihre Heimatregion verbringen (AA 21.5.2018). Es kann sein, dass die tschetschenischen Behörden nicht auf diese offiziellen Kanäle zurückgreifen, da diese häufig lang dauern und so ein Fall muss auch schlüssig begründet sein (DIS 1.2015). Kritiker, die Tschetschenien aus Sorge um ihre Sicherheit verlassen mussten, fühlen sich häufig auch in russischen Großstädten vor Ramzan Kadyrow nicht sicher. Bewaffnete Kräfte, die Kadyrow zuzurechnen sind, sind etwa auch in Moskau präsent (AA 21.5.2018).

 

Was die sozio-ökonomischen Grundlagen für die tschetschenische Diaspora innerhalb Russlands betrifft, ist davon auszugehen, dass die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in der Russischen Föderation trotz der vergangenen Wirtschaftskrise bei vorhandener Arbeitswilligkeit auch entsprechende Chancen für russische Staatsangehörige aus der eher strukturschwachen Region des Nordkaukasus bieten. Parallel dazu zeigt sich die russische Regierung bemüht, auch die wirtschaftliche Entwicklung des Nordkaukasus selbst voranzutreiben, unter anderem auch durch Ankurbelung ausländischer Investitionstätigkeit (ÖB Moskau 12.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grundversorgung

 

2016 betrug die Zahl der Erwerbstätigen in Russland ca. 75,5 Millionen, somit ungefähr 64% der Gesamtbevölkerung. Der Frauenanteil an der erwerbstätigen Bevölkerung beträgt knapp 49%. Die Arbeitslosenrate liegt bei 5,3% (WKO 4.2017), diese ist jedoch abhängig von der jeweiligen Region (IOM 2017).

 

Russland ist einer der größten Rohstoffproduzenten der Welt und verfügt mit einem Viertel der Weltgasreserven (25,2%), circa 6,3% der Weltölreserven und den zweitgrößten Kohlereserven (19%) über bedeutende Ressourcen. Die mangelnde Diversifizierung der russischen Wirtschaft führt zu einer überproportional hohen Abhängigkeit der Wirtschaftsentwicklung von den Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas. Rohstoffe stehen für ca. 80% der Exporte und finanzieren zu rund 50% den Staatshaushalt. Die Staatsverschuldung in Russland ist mit rund 10% des BIP weiterhin vergleichsweise moderat. Sowohl hohe Gold- und Währungsreserven als auch die beiden durch Rohstoffeinnahmen gespeisten staatlichen Reservefonds stellen eine Absicherung des Landes dar. Strukturdefizite, Finanzierungsprobleme und Handelseinschränkungen durch Sanktionen seitens der USA, Kanadas, Japans und der EU bremsten das Wirtschaftswachstum. Insbesondere die rückläufigen Investitionen und die Fokussierung staatlicher Finanzhilfen auf prioritäre Bereiche verstärken diesen Trend. Das komplizierte geopolitische Umfeld und die Neuausrichtung der Industrieförderung führen dazu, dass Projekte vorerst verschoben werden. Wirtschaftlich nähert sich Russland der VR China an. Im Index of Economic Freedom nimmt Russland 2018 den 107. Platz unter 180 Ländern ein. Das schlechte Investitionsklima schlägt sich in einer niedrigen Rate ausländischer Investitionen nieder. Bürokratie, Korruption und Rechtsunsicherheit bremsen die wirtschaftliche Entwicklung aus. Seit Anfang 2014 hat die Landeswährung mehr als ein Drittel ihres Wertes im Vergleich zum Euro verloren, was unter anderem an den westlichen Sanktionen wegen der Ukraine-Krise und dem fallenden Ölpreis liegt. Durch den Währungsverfall sind die Preise für Verbraucher erheblich gestiegen, die Inflationsrate betrug Ende 2015 ca. 15%. 2015 geriet die russische Wirtschaft in eine schwere Rezession. Nach dem BIP-Rückgang um 3% 2015 und dem weiteren BIP-Rückgang um 0,2% 2016 wurde für 2017 eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts um ca. 2% prognostiziert (GIZ 6.2018b).

 

Nach zwei Jahren in der Rezession ist die russische Konjunktur auf einem Pfad der langsamen Erholung. Zwar stiegen das Durchschnittseinkommen (38.040 Rubel im August 2017) und die Durchschnittsrente (12.934 RUB im August 2017). Bedingt durch die hohe Inflationsrate und die Erhöhung der kommunalen Abgaben sanken jedoch die real verfügbaren Einkommen (6% im 2016) und die Armutsrate bleibt hoch. Die soziale Lage in Russland ist weiterhin angespannt. Mehr als 15% der russischen Bevölkerung leben unterhalb der absoluten Armutsgrenze. Das per Verordnung bestimmte monatliche Existenzminimum liegt mit 10.329 Rubel (2. Quartal 2017) weit unter dem Wert, der faktisch zum Überleben notwendig ist. Auffällig ist, dass der Mindestlohn mit 7.800 Rubel sogar die Grenze des Existenzminimums unterschreitet. Lediglich 7% der Bevölkerung verfügen über ein monatliches Einkommen von mehr als 60.000 Rubel. 39% des russischen BIP entstehen in der Schattenwirtschaft. Im 1. Quartal 2017 waren bis zu 63% der Bevölkerung armutsgefährdet. Dies kann nur teilweise durch die Systeme der sozialen Absicherung aufgefangen werden. Diese Verarmungsentwicklung ist vorwiegend durch extrem niedrige Löhne verursacht. Ungünstig ist die Arbeitsmarktstruktur. Der größte Teil der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen Dienst oder in Unternehmen, die ganz oder teilweise dem Staat gehören. Nur 26% aller Beschäftigten arbeiten in privaten Unternehmen. Ein weiteres Spezifikum der russischen Lohnpolitik ist der durchschnittliche Lohnverlust von 15-20% für Arbeitnehmer ab dem 45. Lebensjahr. Sie gelten in den Augen von Arbeitgebern aufgrund fehlender Fortbildung als unqualifiziert und werden bei den Sonderzahlungen und Lohnanpassungen nicht berücksichtigt. Dieser Effekt wird durch eine hohe Arbeitslosenquote (21%) bei den über 50-Jährigen verstärkt. Folglich müssen Arbeitnehmer bis zum 44. Lebensjahr jede Chance zum Vermögensaufbau nutzen, um sich vor Altersarmut zu schützen. Auch bei Migranten wird beim Lohn gespart. Sie verdienen öfters nur den Mindestlohn (AA 21.5.2018).

 

Die Lage der Rentner (29,5 % der russischen Bevölkerung) ist stabil, aber prekär (Rentenniveau: 30% des letzten Einkommens). In den ersten fünf Monaten 2017 waren die Altersrenten zwar um 7,6% höher als 2016, dies war aber die kumulierte Auswirkung von inflationsausgleichenden Indexierungen und einer einmaligen Sonderzahlung von 5.000 Rubel im Jänner 2017. Durch letztere stiegen die Renten einmalig um 37,3% und das Vermögen der Rentner um 33%. Die Stärke dieses Effekts zeigt letztlich vor allem, wie niedrig das Ausgangsniveau der Renten und Ersparnisse war. Gemessen am Existenzminimum ist das durchschnittliche Niveau der Rente zwischen 2012 und Ende 2016 um 19% gesunken. Damit führen die Rentner ein Leben an der Grenze des Existenzminimums und sind stark von den Lebensmittelpreisen abhängig. Dennoch gehören die Rentner nicht zu den Verlierern der Politik. Weil die Rente die verlässlichste staatliche Transferleistung ist, sind die Rentner vielmehr ein Stabilisierungsfaktor in vielen Haushalten geworden. Statistisch ist das Armutsrisiko von Haushalten ohne Rentner dreimal höher als das von Haushalten mit Rentnern. Die spezifischen Interessen der Rentner übertragen sich damit auch auf die Familien, die sie mitfinanzieren. Verlierer der aktuellen Politik sind v.a. ältere Arbeitnehmer, Familien mit Kindern und Arbeitsmigranten. An der Höhe des Existenzminimums gemessen sank das Lohnniveau zwischen 2012 und 2016 um 54% (AA 21.5.2018).

 

Angesichts der Geschehnisse in der Ost-Ukraine hat die EU mit VO 833/2014 und mit Beschluss 2014/512/GASP am 31.7.2014 erstmals Wirtschaftssanktion gegen Russland verhängt und mit 1.8.2014 in Kraft gesetzt. Diese wurden mehrfach, zuletzt mit Beschluss (GASP) 2018/964 bis zum 31.1.2019 verlängert (WKO 22.8.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

Sozialbeihilfen

 

Die Russische Föderation hat ein reguläres Sozialversicherungs-, Wohlfahrts- und Rentensystem. Leistungen hängen von der spezifischen Situation der Personen ab (IOM 2017). Das soziale Sicherungssystem wird von vier Institutionen getragen: dem Rentenfonds, dem Sozialversicherungsfonds, dem Fonds für obligatorische Krankenversicherung und dem staatlichen Beschäftigungsfonds. Aus dem 1992 gegründeten Rentenfonds werden Arbeitsunfähigkeits- und Altersrenten gezahlt. Das Rentenalter wird mit 60 Jahren bei Männern und bei 55 Jahren bei Frauen erreicht. Da dieses Modell aktuell die Renten nicht vollständig finanzieren kann, steigen die Zuschüsse des staatlichen Pensionsfonds an. Eine erneute Rentenreform wurde seit 2012 immer wieder diskutiert. Am Tag der Eröffnung der Fußball-Weltmeisterschaft [14. Juni 2018] hat die Regierung einen Gesetzentwurf ins Parlament eingebracht, womit das Renteneintrittsalter für Frauen bis zum Jahr 2034 schrittweise auf 63 Jahre und für Männer auf 65 angehoben werden soll. Die Pläne der Regierung stießen auf Protest: Mehr als 2,5 Millionen Menschen unterzeichneten eine Petition dagegen, in zahlreichen Städten finden Demonstrationen gegen die geplante Rentenreform statt (GIZ 7.2018c).

 

Der Sozialversicherungsfonds finanziert das Mutterschaftsgeld (bis zu 18 Wochen), Kinder- und Krankengeld. Das Krankenversicherungssystem umfasst eine garantierte staatliche Minimalversorgung, eine Pflichtversicherung und eine freiwillige Zusatzversicherung. Vom staatlichen Beschäftigungsfonds wird das Arbeitslosengeld (maximal ein Jahr lang) ausgezahlt. Alle Sozialleistungen liegen auf einem niedrigen Niveau (GIZ 7.2018c).

 

Personen im Rentenalter mit mindestens fünfjährigen Versicherungszahlungen haben das Recht auf eine Altersrente. Begünstigte müssen sich bei der lokalen Pensionskasse melden und erhalten dort, nach einer ersten Beratung, weitere Informationen zu den Verfahrensschritten. Informationen zu den erforderlichen Dokumenten erhält man ebenfalls bei der ersten Beratung. Eine finanzielle Beteiligung ist nicht erforderlich. Zu erhaltende Leistungen werden ebenfalls in der Erstberatung diskutiert (IOM 2017).

 

Zu dem Kreis der schutzbedürftigen Personen zählen Familien mit mehr als drei Kindern, Menschen mit Beeinträchtigungen sowie alte Menschen. Staatliche Zuschüsse werden durch die Pensionskasse bestimmt (IOM 2017).

 

Familienhilfe:

 

Monatliche Zahlungen im Falle von einem Kind liegen bei 3.120 Rubel (ca. 44 Euro). Bei einem zweiten Kind sowie weiteren Kindern liegt der Betrag bei 6.131 Rubel (ca. 87 Euro). Der maximale Betrag liegt bei 22.120 Rubel (ca. 313 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaft:

 

Mutterschaftsurlaub kann man bis zu 140 Tage beantragen und erhält weiterin 100% Lohn (70 Tage vor der Geburt, 70 Tage danach). Im Falle von Mehrlingsgeburten kann dieser auf 194 Tage erhöht werden. Das Minimum der Mutterschaftshilfe liegt bei 100% des gesetzlichen Mindestlohns bis zu einem Maximum im Vergleich zu einem 40-Stunden Vollzeitjob. Der Maximalbetrag der Mutterschutzhilfe liegt bei

35.901 Rubel (ca. 513 Euro) (IOM 2017).

 

Mutterschaftskapital:

 

Zu den bedeutendsten Positionen der staatlichen Beihilfe zählt das Mutterschaftskapital, in dessen Genuss Mütter mit der Geburt ihres zweiten Kindes kommen. Dieses Programm wurde 2007 aufgelegt und wird russlandweit umgesetzt. Der Umfang der Leistungen ist beträchtlich - innerhalb von zehn Jahren stiegen sie inflationsbereinigt von 250.000 auf 453.026 Rubel, also von 4.152 auf mehr als 7.500 Euro. Man bekommt das Geld allerdings erst drei Jahre nach der Geburt ausgezahlt und die Zuwendungen sind an bestimmte Zwecke gebunden. So etwa kann man von den Geldern Hypothekendarlehen tilgen, weil das zur Verbesserung der Wohnsituation beiträgt. In einigen Regionen darf der gesamte Umfang des Mutterkapitals bis zu 70% der Wohnkosten decken. Das Programm wurde nun für weitere zwei Jahre verlängert, wobei eine weitere inflationsbedingte Anpassung nicht vorgesehen ist. Aufgestockt werden die Leistungen durch Beihilfen in den Regionen (RBTH 22.4.2017).

 

Behinderung:

 

ArbeitnehmerInnen mit einem Behindertenstatus haben das Recht auf eine Behindertenrente. Dies gilt unabhängig von der Schwere der Behinderung, der Beitragsdauer und Arbeitsstatus. Diese wird für die Dauer der Behinderung gewährt oder bis zum Erreichen des normalen Rentenalters (IOM 2017).

 

Arbeitslosenunterstützung:

 

Eine Person kann sich bei den Arbeitsagenturen der Föderalen Behörde für Arbeit und Beschäftigung (Rostrud) arbeitslos melden und Arbeitslosenhilfe beantragen. Daraufhin wird die Arbeitsagentur innerhalb von zehn Tagen einen Arbeitsplatz anbieten. Sollte der/die BewerberIn diesen zurückweisen, wird er/sie als arbeitslos registriert. Arbeitszentren gibt es überall im Land. Arbeitslosengeld wird auf Grundlage des durchschnittlichen Gehalts des letzten Beschäftigungsverhältnisses kalkuliert. Ebenfalls wird dieses durch eine maximale und minimale festgelegte Höhe der russischen Rechtslage determiniert. Seit 2009 beträgt die Mindestlohnhöhe pro Monat 850 Rubel (12 Euro) und der Maximallohn

4.900 Rubel (71 Euro). Gelder werden monatlich ausgezahlt. Die Voraussetzung ist jedoch die notwendige Neubewertung (normalerweise zwei Mal im Monat) der Bedingungen durch die Arbeitsagenturen. Die Leistungen können unter verschiedenen Umständen auch beendet werden (IOM 2017).

 

Wohnmöglichkeiten und Sozialwohnungen:

 

BürgerInnen ohne Unterkunft oder mit einer unzumutbarer Unterkunft und sehr geringem Einkommen können kostenfreie Wohnungen beantragen. Dennoch ist dabei mit Wartezeiten von einigen Jahren zu rechnen. Es gibt in der Russischen Föderation keine Zuschüsse für Wohnungen. Einige Banken bieten jedoch für einen Wohnungskauf niedrige Kredite an (min. 12%). Junge Familien mit vielen Kindern können bundesstaatliche Zuschüsse (Mutterschaftszulagen) für wohnungswirtschaftliche Zwecke beantragen. Im Jahr 2017 lag dieser Zuschuss bei 453.026 Rubel (ca 6.618 Euro) (IOM 2017).

 

Das europäische Projekt MedCOI erwähnt weitere Kategorien von Bürgern, denen unterschiedliche Arten von sozialer Unterstützung gewährt werden:

 

 

 

 

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Medizinische Versorgung wird von staatlichen und privaten Einrichtungen zu Verfügung gestellt. StaatsbürgerInnen haben im Rahmen der staatlich finanzierten, obligatorischen Krankenversicherung (OMS) Zugang zu einer kostenlosen medizinischen Versorgung. Vorausgesetzt für OMS sind Unterlagen wie ein gültiger Pass und die Geburtsurkunde für Kinder unter 14 Jahren. Diese müssen bei der nächstliegenden Krankenversicherung eingereicht werden. An staatlichen wie auch an privaten Kliniken sind medizinische Dienstleistungen verfügbar, für die man direkt bezahlen kann (im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung - Voluntary Medical Insurance DMS) (IOM 2017).

 

Die kostenfreie Versorgung umfasst Notfallbehandlung, Ambulante Behandlung, inklusive Vorsorge, Diagnose und Behandlung von Krankheiten zu Hause und in Kliniken, Stationäre Behandlung und teilweise kostenlose Medikamente. Medizinische Leistungen stehen im allgemeinen kostenfrei zur Verfügung. Es gibt jedoch auch private Anbieter (IOM 2017), die zum Teil auch mit OMS abrechnen (GTAI 5.1.2016). Immer mehr russische Staatsbürger wenden sich an Privatkliniken (GTAI 5.1.2016, vgl. Ostexperte 22.9.2017) Das Recht auf kostenlose medizinische Grundversorgung für alle Bürger ist in der Verfassung verankert (GIZ 7.2018c, vgl. IOM 2017, AA 21.5.2018, ÖB Moskau 12.2017). Das noch aus der Sowjetzeit stammende Gesundheitssystem bleibt jedoch ineffektiv. Trotz der schrittweisen Anhebung der Honorare sind die Einkommen der Ärzte und des medizinischen Personals noch immer niedrig. Dies hat zu einem System der faktischen Zuzahlung durch die Patienten geführt, obwohl ärztliche Behandlung eigentlich kostenfrei ist (GIZ 7.2018c).

 

Das Wissen und die technischen Möglichkeiten für anspruchsvollere Behandlungen sind meistens nur in den Großstädten vorhanden. Das Hauptproblem ist weniger die fehlende technische Ausstattung als vielmehr ein gravierender Ärztemangel und eine unzureichende Aus- und Fortbildung. Hinzu kommt, dass die Gesundheitsversorgung zu stark auf klinische Behandlung ausgerichtet ist und gleichzeitig Allgemeinmediziner und Chirurgen fehlen. Das Problem wurde vom Staat erkannt. Die Zahl der Ärzte ist 2016 leicht gestiegen. Dank großangelegter Prophylaxe-Programme hat sich die Zahl der Vorsorgeuntersuchungen vervierfacht (AA 21.5.2018).

 

Im Bereich der medizinischen Versorgung von Rückkehrern sind der Botschaft keine Abweichungen von der landesweit geltenden Rechtslage bekannt. Seit Jänner 2011 ist das "Föderale Gesetz Nr. 326-FZ über die medizinische Pflichtversicherung in der Russischen Föderation" vom November 2010 in Kraft und seit Jänner 2012 gilt das föderale Gesetz Nr. 323-FZ vom November 2011 über die "Grundlagen der medizinischen Versorgung der Bürger der Russischen Föderation". Laut Gesetz hat jeder Mensch Anrecht auf kostenlose medizinische Hilfestellung in dem gemäß "Programm der Staatsgarantien für kostenlose medizinische Hilfestellung" garantierten Umfang. Von diesem Programm sind alle Arten von medizinischer Versorgung (Notfallhilfe, ambulante Versorgung, stationäre Versorgung, spezialisierte Eingriffe) erfasst. Kostenpflichtig sind einerseits Serviceleistungen (Einzelzimmer u.Ä.), andererseits jene medizinischen Leistungen, die auf Wunsch des Patienten durchgeführt werden (z.B. zusätzliche Untersuchungen, die laut behandelndem Arzt nicht indiziert sind). Staatenlose, die dauerhaft in Russland leben, sind bezüglich ihres Rechts auf medizinische Hilfe russischen Staatsbürgern gleichgestellt. Bei Anmeldung in der Klinik muss die Krankenversicherungskarte (oder die Polizze) vorgelegt werden, womit der Zugang zur medizinischen Versorgung auf dem Gebiet der Russischen Föderation gewährleistet ist. Personen haben das Recht auf freie Wahl der medizinischen Anstalt und des Arztes, allerdings mit Einschränkungen. Für einfache medizinische Hilfe, die in der Regel in Polikliniken erwiesen wird, haben Personen das Recht die medizinische Anstalt nicht öfter als einmal pro Jahr, unter anderem nach dem territorialen Prinzip (d.h. am Wohn-, Arbeits- oder Ausbildungsort), zu wechseln. Davon ausgenommen ist ein Wechsel im Falle einer Änderung des Wohn- oder Aufenthaltsortes. Das bedeutet aber auch, dass die Inanspruchnahme einer medizinischen Standardleistung (gilt nicht für Notfälle) in einem anderen als dem "zuständigen" Krankenhaus, bzw. bei einem anderen als dem "zuständigen" Arzt, kostenpflichtig ist. In der ausgewählten Organisation können Personen ihren Allgemein- bzw. Kinderarzt nicht öfter als einmal pro Jahr wechseln. Falls eine geplante spezialisierte medizinische Behandlung im Krankenhaus nötig wird, erfolgt die Auswahl der medizinischen Anstalt durch den Patienten gemäß der Empfehlung des betreuenden Arztes oder selbstständig, falls mehrere medizinische Anstalten zur Auswahl stehen. Abgesehen von den oben stehenden Ausnahmen sind Selbstbehalte nicht vorgesehen (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Versorgung mit Medikamenten ist grundsätzlich bei stationärer Behandlung sowie bei Notfallbehandlungen kostenlos. Es wird aber berichtet, dass in der Praxis die Bezahlung von Schmiergeld zur Durchführung medizinischer Untersuchungen und Behandlungen teilweise erwartet wird (ÖB Moskau 12.2017). Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes (DIS 1.2015). Weiters wird berichtet, dass die Qualität der medizinischen Versorgung hinsichtlich der zur Verfügung stehenden Ausstattung von Krankenhäusern und der Qualifizierung der Ärzte landesweit variieren kann (ÖB Moskau 12.2017). Die Palliativmedizin muss erheblich ausgebaut werden, es fehlen vor allem stark wirkende Schmerzmedikamente. Im Zuge der Lokalisierungspolitik der Russischen Föderation sinkt der Anteil an hochwertigen ausländischen Medikamenten. Es wurde über Fälle von Medikamenten ohne oder mit schädlichen Wirkstoffen berichtet. Im starken Kontrast zum Erleben der Bevölkerung sieht die Regierung ihre Reformen im Gesundheitswesen pauschal als Erfolg und führt als Beleg die gestiegene Lebenserwartung an (AA 21.5.2018).

 

Das Gesundheitswesen wird im Rahmen der "Nationalen Projekte", die aus Rohstoffeinnahmen finanziert werden, modernisiert. So wurden landesweit sieben föderale Zentren mit medizinischer Spitzentechnologie und zwölf Perinatalzentren errichtet, Transport und Versorgung von Unfallopfern verbessert sowie Präventions- und Unterstützungsprogramme für Mütter und Kinder entwickelt. Schrittweise werden die Gehälter für das medizinische Personal angehoben sowie staatliche Mittel in die Modernisierung bestehender Kliniken investiert. Seit 2002 ist die Lebenserwartung in Russland stetig gestiegen (GIZ 7.2018c).

 

Aufgrund der Bewegungsfreiheit im Land ist es für alle Bürger der Russischen Föderation möglich, bei Krankheiten, die in einzelnen Teilrepubliken nicht behandelbar sind, zur Behandlung in andere Teile der Russischen Föderation zu reisen (vorübergehende Registrierung) (vgl. dazu die Kapitel 19. Bewegungsfreiheit und 19.1 Meldewesen) (DIS 1.2015, vgl. AA 21.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschetschenien

 

Wie jedes Subjekt der Russischen Föderation hat auch Tschetschenien eine eigene öffentliche Gesundheitsverwaltung, die die regionalen Gesundheitseinrichtungen wie z.B. regionale Spitäler (spezialisierte und zentrale), Tageseinrichtungen, diagnostische Zentren und spezialisierte Notfalleinrichtungen leitet. Das Krankenversicherungssystem wird vom territorialen verpflichtenden Gesundheitsfonds geführt. Schon 2013 wurde eine dreistufige Roadmap eingeführt, mit dem Ziel, die Verfügbarkeit und Qualität des tschetschenischen Gesundheitssystems zu erhöhen. In der ersten Stufe wird die primäre Gesundheitsversorgung - inklusive Notfall- und spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt. In der zweiten Stufe wird multidisziplinäre spezialisierte Gesundheitsversorgung und in der dritten Stufe die spezialisierte Gesundheitsversorgung zur Verfügung gestellt (BDA CFS 31.3.2015). Es sind somit in Tschetschenien sowohl primäre als auch spezialisierte Gesundheitseinrichtungen verfügbar. Die Krankenhäuser sind in einem besseren Zustand als in den Nachbarrepubliken, da viele erst vor kurzem erbaut worden sind (DIS 1.2015).

 

Bestimmte Medikamente werden kostenfrei zur Verfügung gestellt, z.B. Medikamente gegen Krebs und Diabetes. Auch gibt es bestimmte Personengruppen, die bestimmte Medikamente kostenfrei erhalten. Dazu gehören Kinder unter drei Jahren, Kriegsveteranen, schwangere Frauen und Onkologie- und HIV-Patienten. Verschriebene Medikamente werden in staatlich lizensierten Apotheken kostenfrei gegen Vorlage des Rezeptes abgegeben (DIS 1.2015). Weitere Krankheiten, für die Medikamente kostenlos weitergegeben werden (innerhalb der obligatorischen Krankenversicherung):

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die obligatorische Krankenversicherung deckt unter anderem auch klinische Untersuchungen von bestimmten Personengruppen wie Minderjährige, Studenten, Arbeiter usw. und medizinische Rehabilitation in Gesundheitseinrichtungen. Weiters werden zusätzliche Gebühren von Allgemeinmedizinern und Kinderärzten, Familienärzten, Krankenschwestern und Notfallmedizinern finanziert. Peritoneal- und Hämodialyse werden auch unterstützt (nach vorgegebenen Raten), einschließlich der Beschaffung von Materialien und Medikamenten. Die obligatorische Krankenversicherung in Tschetschenien ist von der föderalen obligatorischen Krankenversicherung subventioniert (BDA CFS 31.3.2015). Trotzdem muss angemerkt werden, dass auch hier aufgrund der niedrigen Löhne der Ärzte das System der Zuzahlung durch die Patienten existiert (BDA CFS 31.3.2015, vgl. GIZ 7.2018c, AA 21.5.2018). Trotzdem gibt es medizinische Einrichtungen, wo die Versorgung kostenfrei bereitgestellt wird, beispielsweise im Distrikt von Gudermes (von hier stammt Ramzan Kadyrow). In kleinen Dörfern sind die ärztlichen Leistungen auch günstiger (BDA CFS 31.3.2015).

 

In Tschetschenien gibt es nur einige private Gesundheitseinrichtungen, die normalerweise mit Spezialisten arbeiten, die aus den Nachbarregionen eingeladen werden. Die Preise sind hier um einiges teurer als in öffentlichen Institutionen aufgrund von komfortableren Aufenthalt, besser qualifizierten Spezialisten und modernerer medizinischer Ausstattung (BDA CFS 31.3.2015).

 

Wenn eine Behandlung in einer Region nicht verfügbar ist, gibt es die Möglichkeit, dass der Patient in eine andere Region, wo die Behandlung verfügbar ist, überwiesen wird (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Gesundheitseinrichtungen in Tschetschenien

 

Gesundheitseinrichtungen, die die ländlichen Gebiete Tschetscheniens abdecken sind: "Achkhoy-Martan RCH" (regional central hospital), "Vedenskaya RCH", "Grozny RCH", "Staro-Yurt RH" (regional hospital), "Gudermessky RCH", "Itum-Kalynskaya RCH", "Kurchaloevskaja RCH", "Nadterechnaye RCH", "Znamenskaya RH", "Goragorsky RH", "Naurskaya RCH", "Nozhai-Yurt RCH", "Sunzhensk RCH", Urus-Martan RCH", "Sharoy RH", "Shatoïski RCH", "Shali RCH", "Chiri-Yurt RCH", "Shelkovskaya RCH", "Argun municipal hospital N° 1" und "Gvardeyskaya RH" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Gesundheitseinrichtungen, die alle Gebiete Tschetscheniens abdecken, sind: "The Republican hospital of emergency care" (former Regional Central Clinic No. 9), "Republican Centre of prevention and fight against AIDS", "The National Centre of the Mother and Infant Aymani Kadyrova", "Republican Oncological Dispensary", "Republican Centre of blood transfusion", "National Centre for medical and psychological rehabilitation of children", "The Republican Hospital", "Republican Psychiatric Hospital", "National Drug Dispensary", "The Republican Hospital of War Veterans", "Republican TB Dispensary", "Clinic of pedodontics", "National Centre for Preventive Medicine", "Republican Centre for Infectious Diseases", "Republican Endocrinology Dispensary", "National Centre of purulent-septic surgery", "The Republican dental clinic", "Republican Dispensary of skin and venereal diseases", "Republican Association for medical diagnostics and rehabilitation", "Psychiatric Hospital 'Samashki', "Psychiatric Hospital 'Darbanhi'", "Regional Paediatric Clinic", "National Centre for Emergency Medicine", "The Republican Scientific Medical Centre", "Republican Office for forensic examination", "National Rehabilitation Centre", "Medical Centre of Research and Information", "National Centre for Family Planning", "Medical Commission for driving licenses" und "National Paediatric Sanatorium 'Chishki'" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Städtische Gesundheitseinrichtungen in Grosny sind: "Clinical Hospital N° 1 Grozny", "Clinical Hospital for children N° 2 Grozny", "Clinical Hospital N° 3 Grozny", "Clinical Hospital N° 4 Grozny", "Hospital N° 5 Grozny", "Hospital N° 6 Grozny", "Hospital N° 7 Grozny", "Clinical Hospital N° 10 in Grozny", "Maternity N° 2 in Grozny", "Polyclinic N° 1 in Grozny", "Polyclinic N° 2 in Grozny",

"Polyclinic N° 3 in Grozny", "Polyclinic N° 4 in Grozny",

"Polyclinic N° 5 in Grozny", "Polyclinic N° 6 in Grozny",

"Polyclinic N° 7 in Grozny", "Polyclinic N° 8 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 1", "Paediatric polyclinic N° 3 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 4 in Grozny", "Paediatric polyclinic N° 5", "Dental complex in Grozny", "Dental Clinic N° 1 in Grozny", "Paediatric Psycho-Neurological Centre", "Dental Clinic N° 2 in Grozny" und "Paediatric Dental Clinic of Grozny" (BDA CFS 31.3.2015).

 

Quellen:

 

 

Rückkehr

 

Die Rückübernahme russischer Staatsangehöriger aus Österreich nach Russland erfolgt in der Regel im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Russischen Föderation über die Rückübernahme. Der Rückübernahme geht, wenn die betroffene Person in Österreich über kein gültiges Reisedokument verfügt, ein Identifizierungsverfahren durch die russischen Behörden voraus. Wird dem Rücknahmeersuchen stattgegeben, wird für diese Person von der Russischen Botschaft in Wien ein Heimreisezertifikat ausgestellt. Wenn die zu übernehmende Person im Besitz eines gültigen Reisedokuments ist, muss kein Rücknahmeersuchen gestellt werden. Bei Ankunft in der Russischen Föderation mussten sich bislang alle Rückkehrer beim Föderalen Migrationsdienst (FMS) ihres beabsichtigten Wohnortes registrieren. Dies gilt generell für alle russische Staatsangehörige, wenn sie innerhalb von Russland ihren Wohnort wechseln. 2016 wurde der FMS allerdings aufgelöst und die entsprechenden Kompetenzen in das Innenministerium verlagert. Bei der Rückübernahme eines russischen Staatsangehörigen, nach dem in der Russischen Föderation eine Fahndung läuft, wird die ausschreibende Stelle über die Überstellung informiert und, falls ein Haftbefehl aufrecht ist, kann diese Person in Untersuchungshaft genommen werden (ÖB Moskau 12.2017).

 

Zur allgemeinen Situation von Rückkehrern, insbesondere im Nordkaukasus, kann festgestellt werden, dass sie vor allem vor wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen stehen. Dies betrifft vor allem die im Vergleich zum Rest Russlands hohe Arbeitslosigkeit im Nordkaukasus. Hinzu kommen bürokratische Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Dokumenten, die oft nur mit Hilfe von Schmiergeldzahlungen überwunden werden können (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen betreffen weite Teile der russischen Bevölkerung und können somit nicht als spezifisches Problem von Rückkehrern bezeichnet werden. Besondere Herausforderungen ergeben sich für Frauen aus dem Nordkaukasus, zu deren Bewältigung zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützend tätig sind. Eine allgemeine Aussage über die Gefährdungslage von Rückkehrern in Bezug auf mögliche politische Verfolgung durch die russischen bzw. die nordkaukasischen Behörden kann nicht getroffen werden, da dies stark vom Einzelfall abhängt. Aus gut informierten Kreisen war jedoch zu erfahren, dass Rückkehrer gewöhnlich mit keinerlei Diskriminierung seitens der Behörden konfrontiert sind (ÖB Moskau 12.2017).

 

Die Stellung eines Asylantrags im Ausland führt nicht prinzipiell zu einer Verfolgung. Der Kontrolldruck gegenüber kaukasisch aussehenden Personen ist aus Angst vor Terroranschlägen und anderen extremistischen Straftaten erheblich. Russische Menschenrechtsorganisationen berichten von häufig willkürlichem Vorgehen der Miliz gegen Kaukasier allein wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Kaukasisch aussehende Personen ständen unter einer Art Generalverdacht. Personenkontrollen und Hausdurchsuchungen (häufig ohne Durchsuchungsbefehle) finden weiterhin statt (AA 21.5.2018).

 

Rückkehrende zählen nicht automatisch zu den schutzbedürftigen Personenkreisen. Wie alle russischen Staatsangehörige können sie ebenfalls durch das Wohlfahrtssystem Leistungen erhalten. Mikrokredite für Kleinunternehmen können bei Banken beantragt werden (der Zinsatz liegt bei mindestens 10,6%). Einige Regionen bieten über ein Auswahlverfahren spezielle Zuschüsse zur Förderung von Unternehmensgründung an (IOM 2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

Dokumente

 

In Russland ist es möglich, Personenstands- und andere Urkunden zu kaufen, wie z.B. Staatsangehörigkeitsnachweise, Geburts- und Heiratsurkunden, Vorladungen, Haftbefehle, Gerichtsurteile. Es gibt auch Fälschungen, die auf Originalvordrucken professionell hergestellt wurden (AA 21.5.2018). Auslandsreisepässe sind schwieriger zu bekommen, aber man kann auch diese kaufen. Es handelt sich bei den Dokumenten oft um echte Dokumente mit echten Stempeln und Unterschriften, aber mit falschem Inhalt. Die Art der Dokumente hierbei können z.B. medizinische Protokolle (medical journals), Führerscheine, Geburtsurkunden oder Identitätsdokumente sein. Ebenso ist es möglich, echte Dokumente mit echtem Inhalt zu kaufen, bei der die Transaktion der illegale Teil ist. Für viele Menschen ist es einfacher, schneller und angenehmer, ein Dokument zu kaufen, um einem zeitaufwändigem Kontakt mit der russischen Bürokratie zu vermeiden. Es soll auch gefälschte "Vorladungen" zur Polizei geben (DIS 1.2015).

 

Quellen:

 

 

 

Im Übrigen wird der unter Punkt I. wiedergegebene Verfahrensgang der Entscheidung zugrundgelegt.

 

2. Beweiswürdigung:

 

2.1. Der oben angeführte Verfahrensgang sowie die getroffenen Feststellungen zur Person des BF, seiner Herkunft, seinen Familienverhältnissen, seinem Leben und seinen familiären bzw. sozialen Kontakten sowohl in Österreich als auch in der Russischen Föderation sowie zu seinem Gesundheitszustand und seiner Arbeitsfähigkeit ergeben sich zweifelsfrei auf Grundlage des Inhaltes des zur Beschwerde vorgelegten Aktes des Bundesamtes zur im Spruch genannten Zahl, den Angaben des BF in der Beschwerdeverhandlung, sowie den vorgelegten Dokumenten.

 

Die Feststellungen zu den Beschäftigungsverhältnissen des BF ergeben sich aufgrund eingeholter Sozialversicherungsdaten.

 

Die strafrechtlichen Verurteilungen des BF basieren auf einem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Strafregisterauszug sowie aus den im Akt einliegenden Gerichtsurteilen. Die Feststellungen zum Vollzug der zuletzt verhängten Haftstrafe ergeben sich aus den vorgelegten Bestätigungen der Bewährungshilfe.

 

Die Feststellungen zu den Meldeadressen des BF ergeben sich aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister (ZMR).

 

Die Feststellungen zum Vater des BF sowie den in der Russischen Föderation aufhältigen Familienmitgliedern des BF gründen sich auf die Angaben des BF, seiner Mutter und Schwester in der Beschwerdeverhandlung am 12.07.2019, auf die vorliegenden ärztlichen Unterlagen sowie dem Aberkennungsbescheid des Bundesamtes vom 24.05.2019.

 

Die Feststellungen zum Aufenthaltsstatus der Eltern und Schwester des BF gründen auf dem vom Bundesamt vorgelegten Akt und der diesbezüglichen Auskunft des Bundesamtes.

 

Dass der BF im Fall einer Rückkehr in sein Herkunftsland keinen asylrelevanten Übergriffen ausgesetzt ist, ergibt sich in einer Zusammenschau mit dem Asylverfahren seines Vaters. Diesem wurde aufgrund der bürgerkriegsähnlichen Situation und der damit verbundenen Gefahren in Tschetschenien Asyl zuerkannt. Wie sich schon aus den Länderfeststellungen zweifelsfrei ergibt, herrscht weder in Tschetschenien noch in der Russischen Föderation eine derartige Kriegssituation mehr vor. Aus diesem Grund wurde dem Vater des BF - und in weiterer Folge auch der Mutter und Schwester des BF - der Status des Asylberechtigten aufgrund Vorliegens einem der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe respektive der geänderten Umstände im Herkunftsstaat rechtskräftig aberkannt. Für den BF wurden im ursprünglichen Asylverfahren keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht. Es ist daher nicht ersichtlich, dass der aufgrund eines Erstreckungsantrages asylberechtigte BF einer Verfolgung in seinem Herkunftsstaat unterliegen sollte, wenn für seinen Vater keine Verfolgungsgefahr mehr besteht, umso mehr als auch vom BF selbst eine individuelle Bedrohung durch staatliche Organe oder Privatpersonen im Herkunftsstaat nicht einmal ansatzweise behauptet wurde.

 

Die Feststellungen zum Vorliegen einer Existenzgrundlage in der Russischen Föderation ergeben sich daraus, dass es sich beim BF um einen jungen, gesunden und arbeitsfähigen Mann handelt, der zudem Tschetschenisch spricht, im Herkunftsland auch noch etwa ein Jahr die Schule besucht hat, über einen Pflichtschulabschluss verfügt und bereits Arbeitserfahrung gesammelt hat. Dass in der Russischen Föderation die Grundversorgung der Bevölkerung gegeben ist und sohin auch für den BF eine Existenzgrundlage vorliegt, ergibt sich aus den Länderfeststellungen. Der BF verfügt zudem über Verwandte im Herkunftsland. Ferner ergibt sich aus den Länderfeststellungen, denen der BF im Übrigen nicht substantiiert entgegengetreten ist, dass die Verhältnisse in der Russischen Föderation nicht das Ausmaß erreichen, um von einer Gefährdung ausgehen zu können, die in den Nahebereich des Art. 3 EMRK gelangen könnte.

 

2.2. Die zur Lage in der Russischen Föderation/Tschetschenien getroffenen Feststellungen wurden in der Beschwerdeverhandlung dargetan und basieren auf aktuellen Berichten angesehener staatlicher und nichtstaatlicher Einrichtungen und stellen angesichts des bereits Ausgeführten im konkreten Fall eine hinreichende Basis zur Beurteilung des Vorbringens des BF dar. Diese wurden inhaltlich vom BF bzw. seiner Vertretung auch nicht bestritten. Aus den getroffenen Länderfeststellungen lässt sich keine derartige Situation im Herkunftsland ableiten, wonach dem BF allein aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage ohne Hinzutreten individueller Faktoren in der Russischen Föderation bzw. Tschetschenien aktuell und mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit seiner Person drohen würde oder dass ihm im Falle einer Rückkehr ins Herkunftsland die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Dies entspricht im Übrigen auch der Einschätzung des Europäischen Gerichtshofes für Menschrechte, wobei etwa auf das Urteil vom 09.07.2016 im Fall R.K. gegen Frankreich, Zl. 61.264/11, verwiesen wird, wonach die Situation im Nordkaukasus (inklusive Tschetschenien) - trotz dort festzustellender schwerer Menschenrechtsverletzungen - nicht so geartet ist, dass die Abschiebung dorthin automatisch eine Verletzung nach Art. 3 EMRK darstellen würde (vgl. dazu auch EGMR 30.11.2017, Application no. 54646/17, X v. Germany).

 

Es liegen keine Anhaltspunkte vor, dass sich die Situation im Herkunftsland seit dem Zeitpunkt der Beschwerdeverhandlung in den gegenständlich relevanten Punkten entscheidungswesentlich verändert hat.

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

3.1. Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

 

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn (Z 1) der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder (Z 2) die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Letztere Variante traf unter Berücksichtigung der in ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG vertretenen Ansicht über den prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auf die gegenständliche Konstellation zu (vgl. dazu etwa VwGH 28.07.2016, Zl. Ra 2015/01/0123).

 

Soweit das Verwaltungsgericht nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, hat es gemäß § 27 VwGVG den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs.1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen. Gemäß § 9 Abs.1 VwGVG hat die Beschwerde u.a. (Z 3) die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt, sowie (Z 4) das Begehren zu enthalten. In den erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012, wurde zu § 27 VwGVG ausgeführt: "Der vorgeschlagene § 27 legt den Prüfungsumfang des Verwaltungsgerichtes fest. Anders als die Kognitionsbefugnis einer Berufungsbehörde (vgl. § 66 Abs. 4 AVG) soll die Kognitionsbefugnis des Verwaltungsgerichtes durch den Inhalt der Beschwerde beschränkt sein."

 

Zu Spruchteil A):

 

3.2. Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides

 

3.2.1. Der mit "Aberkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 7 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"(1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn

 

1. ein Asylausschlussgrund nach § 6 vorliegt;

 

2. einer der in Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder

 

3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.

 

(2) Ein Verfahren zur Aberkennung des Status des Asylberechtigten ist jedenfalls einzuleiten, wenn der Fremde straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3) und das Vorliegen der Voraussetzungen gemäß Abs. 1 wahrscheinlich ist.

 

(3) Das Bundesamt kann einem Fremden, der nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3), den Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 nicht aberkennen, wenn die Aberkennung durch das Bundesamt - wenn auch nicht rechtskräftig - nicht innerhalb von fünf Jahren nach Zuerkennung erfolgt und der Fremde seinen Hauptwohnsitz im Bundesgebiet hat. Kann nach dem ersten Satz nicht aberkannt werden, hat das Bundesamt die nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, zuständige Aufenthaltsbehörde vom Sachverhalt zu verständigen. Teilt diese dem Bundesamt mit, dass sie dem Fremden einen Aufenthaltstitel rechtskräftig erteilt hat, kann auch einem solchen Fremden der Status eines Asylberechtigten gemäß Abs. 1 Z 2 aberkannt werden.

 

(4) Die Aberkennung nach Abs. 1 Z 1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen."

 

Der mit "Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten" betitelte § 6 AsylG 2005 lautet wie folgt:

 

"(1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn

 

1. und so lange er Schutz gemäß Art. 1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;

 

2. einer der in Art. 1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;

 

3. er aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder

 

4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des

 

§ 73 StGB, BGBl. Nr. 60/1974, entspricht.

 

(2) Wenn ein Ausschlussgrund nach Abs. 1 vorliegt, kann der Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ohne weitere Prüfung abgewiesen werden. § 8 gilt."

 

3.2.2. Das Bundesamt stützte sich in seiner Entscheidung auf § 7 Abs. 1 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005.

 

Für eine Entscheidung gemäß § 7 Abs. 2 Z 1 iVm § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 müssen wegen der wörtlich gleichen Voraussetzungen die gleichen Maßstäbe gelten, auf die sich die Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes in den bisherigen Vorerkenntnissen zu § 13 Abs. 2 zweiter Fall AsylG 1997 bezogen haben (vgl. dazu VwGH 01.03.2016, Zl. Ra 2015/18/0247, und insbesondere VwGH 21.09.2015, Zl. Ra 2015/19/0130: "vgl. allgemein zu den Kriterien des Asylausschlussgrundes - zu vergleichbarer Rechtslage - die Erkenntnisse vom 6. Oktober 1999, 99/01/0288, vom 3. Dezember 2002, 99/01/0449 und vom 23. September 2009, 2006/01/0626; zum Begriff des "besonders schweren Verbrechens" im Sinne dieser Bestimmung die bereits zitierten Erkenntnisse vom 3. Dezember 2002 und vom 23. September 2009; sowie zum Tatbestandsmerkmal der "Gefahr für die Gemeinschaft" des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 die zur "Gemeingefährlichkeit" ergangene hg Judikatur, etwa die hg Erkenntnisse vom 18. Jänner 1995, 94/01/0746, vom 10. Oktober 1996, 95/20/0247 sowie vom 27. September 2005, 2003/01/0517").

 

Wie der Verwaltungsgerichtshof - erstmals - in seinem Erkenntnis vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0288, unter Hinweis auf Art 33 Z 2 GFK ausgeführt hat, müssen nach "internationaler Literatur und Judikatur" kumulativ vier Voraussetzungen erfüllt sein, damit ein Flüchtling trotz drohender Verfolgung in den Heimat- oder Herkunftsstaat verbracht werden darf. Er muss ein besonders schweres Verbrechen verübt haben, dafür rechtskräftig verurteilt worden und gemeingefährlich sein und es müssen die öffentlichen Interessen an der Rückschiebung die Interessen des Flüchtlings am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen.

 

Zur Bedeutung des Begriffs des "besonders schweren Verbrechens" verwies der Verwaltungsgerichtshof in dem genannten Erkenntnis auf einschlägige Literatur (Kälin, Grundriss des Asylverfahrens, [1990] S 227 ff und Rohrböck, Das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl, [1999] Rz 455), wonach "typischerweise schwere Verbrechen" "etwa Tötungsdelikte, Vergewaltigung, Kindesmisshandlung, Brandstiftung, Drogenhandel, bewaffneter Raub und dergleichen" seien. Es müsse sich um Straftaten handeln, die objektiv besonders wichtige Rechtsgüter verletzen. Allerdings genüge es nicht, wenn ein abstrakt als "schwer" einzustufendes Delikt verübt worden sei. Die Tat müsse sich im konkreten Einzelfall als objektiv und subjektiv besonders schwerwiegend erweisen. Unter anderem sei auf Milderungsgründe Bedacht zu nehmen und der Entscheidung eine Zukunftsprognose zugrunde zu legen (so auch die Judikatur des VwGH zu § 13 Abs. 2 AsylG 1997, der Vorgängerregelung des § 6 Abs. 1 Z 4 AsylG 2005, VwGH 03.12.2002, 99/01/0449; 27.04.2006, 2003/20/0050; 05.10.2007, 2007/20/0416). Andererseits setze die Entscheidung eine Güterabwägung, ob die Interessen des Zufluchtsstaates jene des Flüchtlings überwiegen, voraus (VwGH 15.12.2006, 2006/19/0299; 5.10.2007, 2007/20/0416).

 

In seinem Erkenntnis vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0288, beschäftigte sich der Verwaltungsgerichtshof auch mit der Entwicklung des Begriffes "besonders schweres Verbrechen" und führte dazu Folgendes aus:

 

"Das Asylgesetz aus 1968 hatte den in Art. 33 Z. 2 GFK enthaltenen Begriff ‚besonders schweres Verbrechen' mit der Umschreibung ‚Verbrechen, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist' präzisiert (vgl. § 4 leg. cit.). Gemäß § 5 Abs. 1 Z. 3 Asylgesetz 1991 verlor ein Flüchtling - u.a. - Asyl, wenn festgestellt wurde, dass hinsichtlich seiner Person einer der in Art. 33 Abs. 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Tatbestände eingetreten ist. Obwohl diese Bestimmung von einer ‚Konkretisierung' des Begriffs ‚besonders schweres Verbrechen' abzusehen schien, umschrieb § 37 Abs. 4 des Fremdengesetzes aus 1992 diesen Begriff weiterhin als ‚Verbrechen, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist' (vgl. dazu Rohrböck, Das Asylgesetz 1991, 148 ff). Gestützt darauf ging die Rechtsprechung weiterhin davon aus, dass auch unter dem in § 5 Abs. 1 Z 3 Asylgesetz 1991 übernommenen Begriff ‚besonders schweres Verbrechen' ein solches zu verstehen ist, das mit mehr als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 10. Oktober 1996, Zl. 95/20/0247 uva.). Wie sich im Fall Ahmed vor dem EGMR (vgl. dazu EGMR 17. Dezember 1996 Ahmed, 71/1995/577/663) gezeigt hatte, war die Konkretisierung des Begriffs ‚besonders schweres Verbrechen' nach abstrakten Deliktstypen nicht dazu geeignet, den Unwert einer Tat im Einzelfall (insbesondere unter Berücksichtigung von Erschwernis- und Milderungsgründen) zu erfassen und führte in Einzelfällen aus völkerrechtlicher Sicht zu bedenklichen Ergebnissen. Mit der seit 1. Jänner 1998 geltenden Rechtslage wurde von einer Konkretisierung des Begriffs ‚besonders schweres Verbrechen' überhaupt abgesehen und nur die - aus dem Völkerrecht stammenden - Wendungen ‚aus gewichtigen Gründen eine Gefahr für die Sicherheit' der Republik darstellen oder die .... ‚wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt' worden sind und wegen dieses strafbaren Verhaltens ‚eine Gefahr für die Gemeinschaft' bedeuten, übernommen (vgl. § 13 Abs. 2 AsylG 1997 und § 57 Abs. 4 FrG 1997, die wörtlich an Art. 33 Z. 2 GFK anknüpfen)."

 

Für die Frage des Vorliegens eines "besonders schweren Verbrechens" ist daher der Unwert einer Tat im Einzelfall ausschlaggebend, wobei auch Verbrechen unter der Grenze von fünf Jahren Freiheitsstrafe infrage kommen, wenn sie von der Rechtsordnung und der Gemeinschaft des Staates sowie aufgrund der Umstände des Einzelfalles als besonders schwerwiegend eingestuft werden.

 

Fallbezogen wurde der BF wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG verurteilt. Aufgrund der bereits erfolgten Ausführungen ist davon auszugehen, dass es sich bei dem Delikt des Suchtgifthandels um ein besonders schweres Verbrechen handeln kann. Gemäß § 28a Abs. 1 SMG beträgt der Strafrahmen bis zu 5 Jahren. Der BF wurde für schuldig erkannt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge übersteigenden Menge, nämlich insgesamt XXXX Cannabiskraut in Straßenqualität Suchtgiftabnehmern überlassen zu haben, und zwar im Zeitraum XXXX an eine Person in mehreren Angriffen zumindest XXXX um XXXX sowie zwischen XXXX und XXXX an eine zweite Person XXXX um XXXX überlassen zu haben. Er wurde daher wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 5. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 24 Monaten verurteilt, wobei ein Strafteil von 18 Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen und für den BF eine Bewährungshilfe angeordnet wurde.

 

Auch wenn die verhängte Strafe im Ausmaß von 24 Monaten unter Berücksichtigung des angedrohten Strafrahmens von 5 Jahren sich in der unteren Hälfte dieses Strafrahmens bewegt, ändert sich aus objektiver Sicht nichts an dem im Gesetz und der Rechtsprechung zum Ausdruck kommenden Unwert der Tat des Suchtgifthandels. Der Verwaltungsgerichtshof hat hinsichtlich der Suchtgiftdelinquenz nämlich wiederholt festgehalten, dass diese (zumal wenn sie sich - wie im vorliegenden Fall - auf eine die Grenzmenge deutlich übersteigenden Menge bezieht) ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, an dessen Verhinderung ein großes öffentliches Interesse besteht (vgl. zB. VwGH 31.05.2012, 2011/23/0396; 22.11.2012, 2011/23/0556).

 

Fallbezogen stützt sich die Verurteilung des BF auf mehrere Angriffe über einen Zeitraum von zumindest zwei Monaten und wurde die Grenzmenge jedenfalls deutlich überschritten. Der einzige im Urteil des Landesgerichts berücksichtigte Milderungsgrund des überwiegenden Geständnisses erscheint, insbesondere im Hinblick auf die dort angeführten Erschwerungsgründe der drei einschlägigen Vorstrafen und des äußerst raschen Rückfalles, kaum geeignet, in subjektiver Hinsicht ein besonders schweres Verbrechen zu verneinen. Dies vor allem auch vor jenem Hintergrund, dass der BF zuvor schon im XXXX für schuldig befunden wurde, im Zeitraum XXXX bis XXXX XXXX Marihuana erworben, besessen und in der Folge weitergegeben zu haben. Das gegen ihn ergangene Urteil hielt ihn jedoch nicht davon ab, auch in den darauffolgenden Monaten weiterhin Handel mit Cannabis zu betreiben und diesen Handel auch im Ausmaß von XXXX Cannabiskraut zu betreiben. In Anbetracht der wiederholten Verstöße des BF gegen das SMG und der dargestellten qualifizierten Suchtgiftdelinquenz, vor allem in Bezug auf die Menge des gehandelten Suchtmittels erscheint es vertretbar, die vom BF wiederholt verübten einschlägigen Straftaten unter den Begriff des besonders schweren Verbrechens zu subsumieren.

 

Bei einer auf § 13 Abs. 2 2. Fall AsylG 1997 (nunmehr § 6 Abs. 1 Z 4) gestützten Entscheidung ist eine entsprechende Zukunftsprognose (zur Beurteilung der Gemeingefährlichkeit des Straftäters) zu erstellen, wobei es auf das gesamte Verhalten des BF ankommt. Demgemäß ist seine Einstellung während der Dauer seines Aufenthaltes gegenüber dem Staat bzw. der Gemeinschaft der in diesem Staat lebenden Bürger und seine in diesem Zeitraum gesetzten Handlungen maßgeblich, welche geeignet sind, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden (vgl. VwGH 06.10.1999, 99/01/0288).

 

Die Gemeingefährlichkeit des BF drückt sich zunächst in der dargestellten Verurteilung aus, die nicht nur auf einer einzelnen Tathandlung, sondern auf einer Vielzahl von Tathandlungen beruht, die der BF in einem zumindest zweimonatigen Zeitraum ausübte. Der BF verkaufte wiederholt Suchtmittel in einem erheblichen Ausmaß. Gerade in Bezug auf Suchtmitteldelinquenz hat der VwGH auch festgehalten, dass diese ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, bei dem erfahrungsgemäß eine hohe Wiederholungsgefahr gegeben ist (vgl. etwa VwGH 22.11.2012, 2011/23/0556; 20.12.2012, 2011/23/0554).

 

Darüber hinaus kann auch aus den in der Vergangenheit gegen den BF ergangenen Verurteilungen auf eine Neigung des BF zu gesetzwidrigem Verhalten geschlossen werden. So wurde der BF im Jahr 2012 wegen des Vergehens der Körperverletzung verurteilt, da er am XXXX einer Person im Zuge einer Auseinandersetzung zwei Ohrfeigen versetzte und diese gegen eine Mauer stieß, sohin vorsätzlich am Körper misshandelte, wodurch diese durch den Anprall gegen die Mauer XXXX erlitt, und der BF diese durch die körperliche Misshandlung fahrlässig am Körper verletzte. Da es sich dabei um die erste Verurteilung des BF handelte, wurden ihm die Unbescholtenheit als mildernd zugutegehalten sowie sein Geständnis. Als erschwerend konnte kein Umstand hinzugezogen werden.

 

Noch im selben Jahr erfolgte die zweite Verurteilung des BF im Zuge der er des Verbrechens des Diebstahls, teils durch Einbruch, nach den §§ 127, 129 Z 1 StGB verurteilt wurde. Dabei wurde er für schuldig befunden, anderen Personen fremde bewegliche Sachen zu einem EUR 3.000,- nicht übersteigendem Gesamtwert teils durch Einbruch teils durch Einsteigen in einen sonst abgeschlossenen Raum, der sich in einem Gebäude befindet, weggenommen zu haben, konkret am XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit drei anderen Personen durch Aufzwängen einer elektronischen Schiebetüre eines Einkaufzentrums und Überklettern einer zwei Meter hohen Kunststoffwand und der Mitnahme von diversem Silberschmuck und Bargeld im Gesamtwert von EUR XXXX ,- sowie am XXXX einen Kickstarter im Wert von EUR XXXX ,- durch Abmontieren von einem fremden Moped. Als mildernd wurden bei der Strafbemessung sein Geständnis, die teilweise Schadensgutmachung und das teilweise Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 31, 40 StGB gewertet, als erschwerend hingegen die fortgesetzten Angriffe gegen fremdes Vermögen, die Tatbegehung während des anhängigen Verfahrens zu dem Diebstahl sowie der rasche Rückfall im Hinblick auf die vorherige Verurteilung. Festzuhalten bleibt somit, dass der BF in den Jahren 2011/2012 mehrere strafrechtlich relevante Taten setzte und sich auch von den gegen ihn geführten Ermittlungen nicht davon abhalten ließ, weitere Tatbestände zu verwirklichen.

 

Die dritte Verurteilung des BF stammt aus dem Jahr 2017 und wurde er dabei für schuldig befunden, am XXXX eine Person mit Gewalt und durch gefährliche Drohung zu einer Handlung genötigt zu haben, nämlich zur Herausgabe des Mobiltelefons und zum Eingeständnis einer XXXX , indem er der Person mehrere Faustschläge und Tritte gegen den Kopf und den Oberkörper sowie XXXX versetzte und ihn mit dem Umbringen bedrohte; des Weiteren im Zuge dieser Handlung die Person vorsätzlich am Körper verletzte, sohin XXXX zufügte; und darüber hinaus im Zeitraum von XXXX bis XXXX vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar XXXX Marihuana erworben und besessen und an eine andere Person weitergegeben hat. Dadurch verwirklichte der BF die Vergehen der Nötigung, der Körperverletzung und des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften. Als mildernd wurden bei der Strafbemessung das teilweise Geständnis und die Tatbegehung nach Vollendung des achtzehnten, jedoch vor Vollendung des einundzwanzigsten Lebensjahres gewertet. Als erschwerend fiel das Zusammentreffen von drei Vergehen und das Vorliegen einer Verurteilung wegen einer auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden Tat ins Gewicht. Wie auch vom Strafgericht bereits festgehalten, wurde der BF trotz einer bereits erfolgten Verurteilung wegen Körperverletzung erneut einschlägig straffällig und ließ sich dazu hinreißen, das Rechtsgut der körperlichen Integrität zu missachten. Zudem verwirklichte der BF über den Tatzeitraum XXXX drei Vergehen. Bei der Verurteilung wegen Suchtgifthandels handelt es sich sohin nicht um die erste Verurteilung des BF, sondern verstieß dieser bereits zuvor mehrmals gegen die Rechtsordnung. Die kriminelle Energie des BF steigerte sich dabei zusehends und resultierte letztlich in der Verurteilung wegen Suchtgifthandels.

 

Die seit der Tatbegehung im XXXX bzw. seit der Verurteilung im XXXX verstrichene Zeit ist - auch vor dem Hintergrund der noch bis 2022 laufenden Probezeit - jedenfalls zu kurz, um ein nachhaltiges Wohlverhalten seit der letzten Tatbegehung festzustellen und auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der vom BF ausgehenden Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit schließen zu können. Darüber hinaus hat der BF die gegen ihn verhängte Haftstrafe noch nicht verbüßt, sodass dem bisherigen Wohlverhalten nur geringe Bedeutung beigemessen werden kann, da nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat (vgl. VwGH 26.1.2017, Ra 2016/21/0233).

 

Der BF nahm an einem Anti-Gewalt-Training und Deeskalationsseminar teil, dabei handelte es sich jedoch um eine gerichtlich erteilte Weisung, welche der BF zu befolgen hatte, um weiteren Maßnahmen zu entgehen und liegt daher auch keine völlig freiwillige Teilnahme vor. Auch dass der BF die Termine der angeordneten Bewährungshilfe, wie in dem seitens der Bewährungshelferin ergangenen Schreiben angemerkt, wahrnimmt, ist für sich genommen nicht geeignet, die durch die wiederholte Begehung von Delikten gegen die körperliche Integrität und gegen fremdes Vermögen indizierte Gemeingefahr auszuschließen. Schließlich ist auch darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Verurteilung wegen Suchtgifthandels um die zweite einschlägige Verurteilung handelt und daher davon auszugehen ist, dass beim BF ein hohes Rückfallrisiko besteht.

 

Unter Zugrundelegung dieser Erwägungen erscheint es vertretbar, die vom BF begangenen Straftaten auch als subjektiv besonders schwerwiegend im Sinne der obigen Ausführungen anzusehen. Die vom BF während seines Aufenthalts im Bundesgebiet gesetzten Handlungen waren jedenfalls geeignet, das ordentliche und sichere Zusammenleben der Gemeinschaft zu gefährden. Eine positive Zukunftsprognose kann daher allein schon aufgrund der erheblichen Rückfälligkeit und des mangelnden Beobachtungszeitraumes ausgeschlossen werden.

 

Schließlich bleibt zu prüfen, ob die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung das Interesse des BF am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat überwiegen. Bei dieser Güterabwägung sind die Verwerflichkeit des Verbrechens und die potentielle Gefahr für die Allgemeinheit den Schutzinteressen des Asylwerbers beinhaltend das Ausmaß und die Art der drohenden Maßnahmen gegenüberzustellen.

 

Dazu ist auf die Rechtsprechung des VwGH hinzuweisen, wonach Suchtgiftdelinquenz (zumal wenn sie sich - wie im vorliegenden Fall - auf eine die Grenzmenge übersteigende Menge bezieht) ein besonders verpöntes Fehlverhalten darstellt, an dessen Verhinderung ein großes öffentliches Interesse besteht (vgl. zB. VwGH 31.05.2012, 2011/23/0396; 22.11.2012, 2011/23/0556). Aufgrund der besonderen Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität wiegt das maßgebliche öffentliche Interesse in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer, als das gegenläufige private Interesse des Fremden (vgl. auch VwGH vom 14.01.1993, Zl. 92/18/0475). In diesem Sinne hat auch der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften Suchtgift drastisch als "Geißel der Menschheit" bezeichnet; der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte betonte die verheerende Wirkung von Drogen auf das gesellschaftliche Leben (vgl. EGMR 23.06.2008, 1638/03, Maslov gegen Österreich [GK]). Diese Einschätzung erscheint letztlich auch auf die vom BF begangenen einschlägigen Drogen-Delikte übertragbar.

 

3.2.3. Unabhängig davon ist aber jedenfalls davon auszugehen, dass der BF den Aberkennungsgrund nach § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK erfüllt.

 

Art. 1 Abschnitt "C" Z 5 der Genfer Flüchtlingskonvention lautet:

 

"Eine Person, auf die die Bestimmungen des Absatzes A zutrifft, fällt nicht mehr unter dieses Abkommen, wenn sie nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmung dieser Ziffer auf keinen Flüchtling im Sinne der Ziffer 1 des Abschnittes A dieses Artikels Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes abzulehnen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt."

 

Art. 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK entspricht Art. 11 Abs. 1 lit. e iVm Abs. 3 StatusRL, der zufolge ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser nicht mehr Flüchtling ist, wenn er nach Wegfall der Umstände, aufgrund deren er als Flüchtling anerkannt worden ist, es nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Diese Bestimmung findet keine Anwendung auf einen Flüchtling, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes des Landes, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, abzulehnen.

 

Die Flüchtlingseigenschaft gemäß Art. 11 Abs. 1 lit. e Status-RL aF, der der aktuellen Rechtslage entspricht, erlischt, wenn in Anbetracht einer erheblichen und nicht nur vorübergehenden Veränderung der Umstände in dem fraglichen Drittland diejenigen Umstände, aufgrund deren der Betreffende begründete Furcht vor Verfolgung aus einem der in Art. 2 lit. c der Richtlinie genannten Gründe hatte und als Flüchtling anerkannt worden war, weggefallen sind und er auch nicht aus anderen Gründen Furcht vor "Verfolgung" im Sinne des Art. 2 lit c der Richtlinie haben muss (EuGH vom 2.3.2010, Rs C-175/08 ua, Abdulla ua, Rz 76). Die Umstände müssen sich auf grundlegende, in Art. 1 Abschnitt A Ziffer 2 GFK angeführte Fluchtgründe beziehen, auf Grund deren angenommen werden kann, dass der Anlass für die - begründete - Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht (VwGH vom 25.6.1997, 95/01/0326).

 

Die Bestimmung des Art. 1 Abschnitt C Ziffer 5 GFK stellt primär auf eine grundlegende Änderung der (objektiven) Umstände im Herkunftsstaat ab, kann jedoch auch die Änderung der in der Person des Flüchtlings gelegenen Umstände umfassen, etwa wenn eine wegen der Mitgliedschaft zu einer bestimmten Religion verfolgte Person nun doch zu der den staatlichen Stellen genehmen Religion übertritt und damit eine gefahrlose Heimkehr möglich ist (vgl Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, § 7 Asyl- und Fremdenrecht, § 7 AsylG, K9).

 

Nach der Judikatur setzt Art. 1 Abschnitt C Ziffer 5 eine wesentliche nachhaltige Änderung der (für die Verfolgungsgefahr maßgeblichen) Umstände im Heimatstaat des Flüchtlings, einen Wegfall der Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention und der Notwendigkeit der Schutzgewährung voraus.

 

Der bloße Wegfall des subjektiven Furchtempfindens erfüllt nicht automatisch den Tatbestand von Artikel 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention. Umstände im Sinne dieser Bestimmung müssen sich auf grundlegende in Artikel 1 Abschnitt A Ziffer 2 der Konvention angeführte Fluchtgründe betreffende Veränderungen im Heimatstaat des Flüchtlings beziehen, aufgrund derer angenommen werden kann, dass der Anlass für die begründete Furcht vor Verfolgung nicht mehr länger besteht. Der Wegfall des subjektiven Furchtempfindens kann jedoch "ein Indiz dafür sein, dass auch objektiv kein asylrechtlich relevanter Verfolgungsgrund mehr vorliegt" (VwGH vom 25.6.1997, 95/01/0326; VwGH vom 29.1.1997, 95/01/0449).

 

Die Änderungen im Herkunftsstaat müssen nachhaltig und nicht bloß von vorübergehender Natur sein (VwGH vom 22.4.1999, 98/20/0567; VwGH vom 25.3.1999, 98/20/0475). Nach Einhaltung eines längeren Beobachtungszeitraumes wird auch der bloße "Haltungswandel" des bisherigen Verfolgers, ohne dass ein politischer Machtwechsel stattgefunden hat, eine asylrechtlich maßgebliche Änderung der Umstände ergeben und in Folge Art. 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention zum Tragen kommen (VwGH vom 21.11.2002, 99/20/0171).

 

Der Wegfall der Verfolgungsgefahr ist maßgeblich für die Anwendung von Art. 1 Abschnitt C Ziffer 5 der Genfer Flüchtlingskonvention. Ob die allgemeine wirtschaftliche Lage im Herkunftsstaat schlecht ist oder familiäre beziehungsweise emotionelle Bindungen zum Aufnahmestaat bestehen, ist für den Eintritt der Ziffer 5 grundsätzlich irrelevant.

 

Dem BF wurde aufgrund seiner Eigenschaft als Familienangehöriger seines Vaters durch Erstreckung der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. In den Feststellungen und der Beweiswürdigung wurde bereits der Umstand gewürdigt, dass dem Vater des BF der Status des Asylberechtigten nunmehr rechtskräftig aberkannt wurde. Diese Entscheidung wurde auf die nach der Asylgewährung eingetretene Änderung der Verhältnisse im Herkunftsland gestützt, wodurch die Grundlage für die Gewährung von Asyl weggefallen ist. Dem Vater des BF- und infolgedessen durch Erstreckung auch dem BF selbst - wurde der Asylstatus ursprünglich aufgrund der damaligen Kriegssituation in Tschetschenien gewährt. Der zweite Tschetschenienkrieg fand 2009 sein Ende. Aus den herangezogenen Länderberichten geht zweifelsfrei hervor, dass sich die Situation im Herkunftsland seither maßgeblich und nachhaltig geändert hat. So kann allein aufgrund der allgemeinen Verhältnisse im Herkunftsland keine Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung oder unmenschliche Behandlung des BF mehr erkannt werden, individuelle Gründe wurden zudem nicht substantiiert geltend gemacht. Da er zudem straffällig geworden ist, ist festzustellen, dass § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK im Hinblick auf den BF als erfüllt anzusehen ist.

 

3.2.4. Somit liegt in jedem Fall ein Aberkennungsgrund nach § 7 Abs. 1 AsylG 2005 vor.

 

Da sich die Aberkennung des Status der Asylberechtigten sohin insgesamt als rechtmäßig erweist, hat die belangte Behörde auch gemäß § 7 Abs. 4 AsylG 2005 zu Recht festgestellt, dass der BF die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt.

 

Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 7 Abs. 1 und Abs. 4 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

3.3. Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides

 

3.3.1. Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist, gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung dieses Status mit der der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 AsylG 2005 zu verbinden.

 

Angesichts des im Wesentlichen identen Regelungsinhalts des bis 31.12.2005 in Kraft stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 1997 im Verhältnis zum nunmehr in Geltung stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 2005 - abgesehen vom im letzten Halbsatz des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nunmehr enthaltenen zusätzlichen Verweis auf eine eventuelle ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als weitere mögliche Bedingung für eine Gewährung subsidiären Schutzes - lässt sich auch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum § 8 AsylG 1997 auf die neue Rechtslage anwenden.

 

Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf das Leben gesetzlich geschützt. Abgesehen von der Vollstreckung eines Todesurteils, das von einem Gericht im Falle eines durch Gesetz mit der Todesstrafe bedrohten Verbrechens ausgesprochen worden ist, darf eine absichtliche Tötung nicht vorgenommen werden. Letzteres wurde wiederum durch das Protokoll Nr. 6 beziehungsweise Nr. 13 zur Abschaffung der Todesstrafe hinfällig. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 und 6 AsylG 2005 ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich dieses Status abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offensteht oder wenn der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden kann. Daraus und aus mehreren anderen Vorschriften (§ 2 Abs. 1 Z 13, § 10 Abs. 1 Z 2, § 27 Abs. 2 und 4 AsylG 2005) ergibt sich, dass dann, wenn dem Asylwerber kein subsidiärer Schutz gewährt wird, sein Antrag auf internationalen Schutz auch in dieser Beziehung förmlich abzuweisen ist.

 

Somit ist zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

 

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560). Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

 

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offen bliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

 

Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht (z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005). Auch der Verwaltungsgerichtshof stellte wiederholt mit Verweis auf die ständige Judikatur des EGMR klar, dass - abgesehen von Abschiebungen in Staaten, in denen die allgemeine Situation so schwerwiegend ist, dass die Rückführung eines abgelehnten Asylwerbers dorthin eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde - es grundsätzlich der abschiebungsgefährdeten Person obliegt, mit geeigneten Beweisen gewichtige Gründe für die Annahme eines Risikos nachzuweisen, dass ihr im Falle der Durchführung einer Rückführungsmaßnahme eine dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung drohen würde (vgl. etwa VwGH 13.09.2016, Zl. Ra 2016/01/0096, Rz 9-12, zur diesbezüglich nicht beanstandeten Rückkehrmöglichkeit eines gesunden und arbeitsfähigen Revisionswerbers nach Kabul; VwGH 05.10.2016, Zl. Ra 2016/19/0158, Rz 13-14, zur Rückkehrmöglichkeit eines gesunden Revisionswerbers nach Mogadischu). Zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK ist es notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (VwGH 25.05.2016, Zl. Ra 2016/19/0036). Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (z.B. Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137). Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl. für mehrere z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

 

Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Nach der auf der Rechtsprechung des EGMR beruhenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist eine solche Situation nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend (VwGH 25.05.2016, Zl. Ra 2016/19/0036). Selbst wenn vor dem Hintergrund dessen, dass der BF bei einer Rückkehr in eine in materieller Hinsicht äußerst beschwerliche, von erheblicher Armut geprägten Lebenssituation gelangen könnte, wäre aus diesen Erwägungen nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen würden, die die hohe Schwelle eines Eingriffs iSv Art. 2 und 3 EMRK erreichen würden. Diesbezüglich ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach sich aus schlechten Lebensbedingungen keine Gefährdung bzw. Bedrohung ergibt, und äußerst schwierige und bescheidene Lebensverhältnisse hinzunehmen sind (vgl. dazu etwa VwGH 25.05.2016, Zl. Ra 2016/19/0036, wonach die Feststellung, dass ein gesunder, arbeitsfähiger und erwachsener Mann ohne Berufsausbildung und -erfahrung bei einer Rückkehr nach Kabul kein berufliches oder familiäres Netz mehr vorfinden würde, zwar geeignet war, eine schwierige Lebenssituation bei der Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche sowie in wirtschaftlicher Hinsicht darzutun, jedoch noch keine reale Gefahr existenzbedrohender Verhältnisse; VwGH 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059, wonach die voraussichtliche Unterbringung eines Asylwerbers in einem notdürftig errichteten, beheizten, mit Stroh ausgelegten Zelt, das er sich mit mehreren Personen teilen hätte müssen, grundsätzlich einer Abschiebung nicht entgegenstand, VwGH 05.10.2016, Zl. Ra 2016/19/0158, Rz 13-14, zur Rückkehrmöglichkeit eines gesunden Revisionswerbers nach Mogadischu ohne familiäre Unterstützung). Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK ist nicht ausreichend.

 

3.3.2. Aus dem oben festgestellten Sachverhalt ergab sich, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im gegenständlichen Fall nicht vorliegen.

 

Vor dem Hintergrund der Feststellungen kann nicht gesagt werden, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass der BF mit der hier erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten müssten, im Herkunftsland Übergriffen von im gegebenen Zusammenhang ausreichender Intensität ausgesetzt zu sein.

 

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten kann auch nicht angenommen werden, dass der im Wesentlichen gesunde und arbeitsfähige BF mit Schulausbildung und Berufserfahrung, welcher seinen Lebensunterhalt im Herkunftsland durch Erwerbstätigkeit finanzieren kann und im Heimatstaat über Verwandte (mehrere Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) verfügt, in der Russischen Föderation sozialisiert wurde und die tschetschenische Sprache beherrscht, nach einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat in Ansehung existentieller Grundbedürfnisse (etwa Nahrung, Unterkunft) einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wären. Dazu ist zu ergänzen, dass die Grundversorgung der russischen Bevölkerung - wie sich aus den Länderfeststellungen ergibt - gesichert ist. Diesbezüglich ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach sich aus schlechten Lebensbedingungen keine Gefährdung bzw. Bedrohung im Sinne des § 57 FrG ergibt (vgl. etwa VwGH 30.1.2001, Zl. 2001/01/0021). Selbst wenn vor dem Hintergrund dessen der BF bei einer Rückkehr in eine in materieller Hinsicht beschwerliche Lebenssituation gelangen könnte, war aus diesen Erwägungen nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen würden, die die hohe Schwelle eines Eingriffs iSv Art. 2 und 3 EMRK erreichen würden.

 

Schließlich kann auch nicht gesagt werden, dass eine Abschiebung des BF für diesen als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. In der Russischen Föderation ist eine Zivilperson nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt.

 

Insoweit war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abzuweisen.

 

3.4. Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. - VI. des angefochtenen Bescheides

 

3.4.1. Gemäß § 10. Abs. 1 Z 4 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt.

 

Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

 

Der BF hält sich seit 21.02.2004 als Asylwerber und seit 04.11.2004 als anerkannter Flüchtling im Bundesgebiet auf, sein Aufenthalt war nicht geduldet. Er war nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor, wobei dies weder im Verfahren noch in der Beschwerde auch nur behauptet wurde.

 

3.4.2. Gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn ihm der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Der BF ist kein begünstigter Drittstaatsangehöriger und es kommt ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu, da sein Aufenthaltsrecht mit der Aberkennung des Status des Asylberechtigten endet.

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird, und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

3.4.3. Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

 

Gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG sind bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl I Nr 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

 

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

 

Art. 8 Abs. 2 EMRK erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen. In diesem Sinne wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (vgl. VfGH 29.09.2007, B 1150/07-9; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423).

 

Zu den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten Grundsätzen zählt unter anderem auch, dass das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Familienlebens, das Vorhandensein einer "Familie" voraussetzt.

 

In der bisherigen Spruchpraxis der Straßburger Instanzen wurden als unter dem Blickwinkel des Art. 8 EMRK zu schützende Beziehungen neben den zwischen Ehegatten und ihren minderjährigen Kindern ipso iure zu bejahenden Familienleben bereits solche zwischen Enkel und Großeltern (EGMR 13.6.1979, Marckx, EuGRZ 1979, 458; s. auch EKMR 7.12.1981, B 9071/80, X-Schweiz, EuGRZ 1983, 19), zwischen Geschwistern (EKMR 14.3.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Onkel bzw. Tante und Neffen bzw. Nichten (EKMR 19.7.1968, 3110/67, Yb 11, 494 (518); EKMR 28.2.1979, 7912/77, EuGRZ 1981/118; EKMR 5.7.1979, B 8353/78, EuGRZ 1981, 120) anerkannt, sofern eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt (vgl. Baumgartner, ÖJZ 1998, 761; Rosenmayer, ZfV 1988, 1). Als Kriterien hiefür kommen in einer Gesamtbetrachtung etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Intensität und die Dauer des Zusammenlebens bzw. die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht. Das Kriterium einer gewissen Beziehungsintensität wurde von der Kommission auch für die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern gefordert (EKMR 6.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Sich bei der Prüfung allein auf das Kriterium der Abhängigkeit zu beschränken, greift jedenfalls zu kurz (vgl. VwGH vom 26.01.2006, Zl. 2002/20/0423).

 

Aus Art. 8 EMRK kann im Bereich der Einwanderung keine generelle Verpflichtung eines Staates abgeleitet werden, die Wahl des ehelichen Wohnsitzes eines verheirateten Paares zu respektieren oder eine Familienzusammenführung auf seinem Gebiet zu gestatten. Hierbei kommt insbesondere dem Umstand Bedeutung zu, ob das Familienleben zu einer Zeit geschaffen wurde, zu der den beteiligten Personen bekannt war, dass das Fortbestehen von Familienleben im Gaststaat wegen des Einwanderungsstatus einer von ihnen von Beginn an unsicher war. War ein Fortbestehen des Familienlebens im Gastland bereits bei dessen Begründung wegen des fremdenrechtlichen Status einer der betroffenen Personen ungewiss und dies den Familienmitgliedern bewusst, kann eine Ausweisung nur in Ausnahmefällen eine Verletzung von Art. 8 EMRK bedeuten (EGMR 31.07.2008, Omoregie ua., 265/07, mwN;

28.06.2011, Nunez, 55597/09; 03.11.2011, Arvelo Aponte, 28770/05;

14.02.2012, Antwi u.a., 26940/10). Solche außergewöhnlichen Umstände können sich insbesondere aus einer sehr langen Aufenthaltsdauer und den Auswirkungen der Ausweisung auf die dadurch betroffenen Kinder ergeben. Dem Kindeswohl kommt nach höchstgerichtlicher Judikatur bei der Interessensabwägung ein hoher Stellenwert zu. Daraus lässt sich aber umgekehrt nicht der Schluss ziehen, dass private Interessen in jenen Konstellationen, in denen Kindern in ihrem Recht auf Familienleben mittelbar von einer aufenthaltsbeenden Maßnahme gegen einen Familienangehörigen betroffen sind, immer den gegenläufigen öffentlichen Interessen vorgehen, sondern kommt es jeweils auf die Konstellation im konkreten Einzelfall an (vgl. dazu etwa VwGH 30.08.2018, Zl. Ra 2018/21/0063-11; VwGH 23.02.2017, Zl. 2016/21/0235-8, Rz 10-11; VwGH 31.08.2017, Zl. Ra 2017/21/0041-13;

VwGH 24.01.2013, Zl. 2010/21/0523).

 

Nach den Vorgaben der Judikatur des EGMR, vor allem nach den in der Rechtssache Boultif formulierten Kriterien, ist in diesem Zusammenhang u. a. zu ermitteln: die Dauer des Aufenthalts des Beschwerdeführers in dem Land, aus dem er ausgewiesen werden soll, die Staatsangehörigkeit der einzelnen Betroffenen; die familiäre Situation des Beschwerdeführers und insbesondere gegebenenfalls die Dauer seiner Ehe und andere Faktoren, welche die Effektivität eines Familienlebens bei einem Paar belegen; die Frage, ob aus der Ehe Kinder hervorgegangen sind und wenn ja, welches Alter sie haben, und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte in dem Land unter Umständen begegnet, in das der Beschwerdeführer auszuweisen ist (EGMR 02.08.2001, Fall Boultif, Appl. 54.273/00, VfGH 01.07.2009, Zl. U992/08).

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu. Für den Aspekt des Privatlebens spielt auch die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung grundsätzlich keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Peter Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852ff.). Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Interessenabwägung gemäß Art. 8 EMRK ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden etwa Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK ist auch für die Erteilung von Aufenthaltstiteln relevant (VwGH 10.11.2015, Zl. 2015/19/0001; VwGH 26.03.2015, Zl. 2013/22/0303; VwGH 16.12.2014, Zl. 2012/22/0169; VwGH 19.11.2014, Zl. 2013/22/0270; VwGH 10.12.2013, Zl. 2013/22/0242).

 

Die "Zehn-Jahres-Grenze" in der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes spielt jedoch nur dann eine Rolle, wenn einem Fremden kein strafrechtliches Fehlverhalten vorzuwerfen ist. Der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält. Zu Lasten eines Fremden ins Gewicht fallen jedoch sehr wohl rechtskräftige Verurteilungen durch ein inländisches Gericht (vgl. VwGH 27.02.2007, Zl. 2006/21/0164, mwN, wo dieser zum wiederholten Male klarstellt, dass das Vorliegen einer rechtskräftigen Verurteilung den öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK eine besondere Gewichtung zukommen lässt). Wie der Verwaltungsgerichtshof auch in jüngster Rechtsprechung immer wieder ausgeführt hat, erhöht eine wiederholte Straffälligkeit das Interesse an einer Rückkehrentscheidung und hat der Fremde auch in einer Gesamtabwägung die durch die Rückkehrentscheidung bewirkte Beeinträchtigung seiner familiären Rechte hinzunehmen (vgl. dazu etwa VwGH 31.08.2017, Zl. Ro 2017/21/0012).

 

Bei der Beurteilung des Grades der Integration des Fremden sind insbesondere die Selbsterhaltungsfähigkeit, die schulische und berufliche Ausbildung, die Beschäftigung und die Kenntnisse der deutschen Sprache zu berücksichtigen (vgl. dazu etwa VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/22/0023). Die Umstände, dass ein Fremder perfekt Deutsch spricht sowie sozial vielfältig vernetzt und integriert ist, stellen keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale dar (Hinweis E 26. November 2009, 2008/18/0720).

 

3.4.4. Im Bundesgebiet halten sich die Eltern und die Schwester des BF auf. Zwar gab die Schwester im Zuge der Beschwerdeverhandlung an, eine enge Bindung zu ihrem Bruder zu haben und dass dieser etwa drei bis vier Mal ihre Kinder in der Woche sehen würde, sie lebt jedoch in einem eigenen Haushalt und besteht kein besonderes Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem volljährigen Bruder. Darüber hinaus bekommt diese von ihrem Gatten, wenn auch nur gelegentliche, Unterstützung bei der Kinderbetreuung. Der BF gab, abweichend zu den Angaben seiner Schwester, an, dass diese mit ihrem Gatten zusammenleben und ganz in der Nähe zum Vater wohnen würde. Seine Schwester hingegen gab an, dass sie alleine wohnen würde, der Gatte jedoch öfters da sei, sowie weiters dass sie in direkter Nachbarschaft zu ihrer Mutter wohnen würde. Dass der BF zu den Wohnverhältnissen seiner Schwester keine konkreten Angaben machen kann, spricht gegen ein, wie von ihm behauptetes, enges Naheverhältnis.

 

Auch in Bezug auf die Eltern gab der BF an, dass er bei seinem kranken Vater leben und sich um diesen kümmern würde, er jedoch bei seiner Mutter im 20. Bezirk gemeldet sei. Die Mutter behauptete wiederum in der Beschwerdeverhandlung, dass der BF bei ihr wohnen würde. In seiner im Zuge des Aberkennungsverfahrens geführten Einvernahme vor dem Bundesamt am 01.03.2019 gab der Vater des BF an, er würde seit 2016 alleine wohnen und sich mit seinem Sohn einmal, mit seiner Tochter drei Mal wöchentlich treffen. Unabhängig von diesen abweichenden Angaben, die erhebliche Zweifel am diesbezüglichen Vorbringen des BF aufwerfen, ist aber jedenfalls davon auszugehen, dass der Vater des BF im Falle einer Betreuung auch auf seine Tochter zurückgreifen könnte, die zwar drei Kinder betreut, aber andererseits im Gegensatz zum BF auch keiner Erwerbstätigkeit nachgeht, wobei sie auch ihr Gatte unterstützt und zudem von der Hilfe der in der Nähe lebenden Mutter auszugehen sein wird.

 

Der BF ist erwerbstätig und bezieht keine Unterhaltsleistungen durch seine Angehörigen. Ein persönliches oder finanzielles Abhängigkeitsverhältnis besteht nicht, auch wenn der BF emotional jedenfalls in einer Nahebeziehung zu seinen Familienangehörigen stehen wird.

 

In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass der BF durch sein kontinuierlich straffälliges Verhalten eine Trennung von seinen im Bundesgebiet lebenden Angehörigen bewusst in Kauf genommen hat und dessen Interessen an einer Aufrechterhaltung des persönlichen familiären Kontakts im Bundesgebiet aufgrund der kontinuierlichen Straffälligkeit gegenüber den öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung und der Verhinderung weiterer Straftaten zurückzutreten haben. Soweit vom BF vorgebracht wurde, er müsse sich um seinen Vater kümmern, so muss dem entgegengehalten werden, dass auch für den Fall der Inhaftierung des BF eine entsprechende Pflege des Vaters nicht möglich sein wird und auch dies dem BF bei der Begehung der Straftat bewusst sein musste. Die Verfügung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung bewirkt darüber hinaus auch keinen vollständigen Abbruch der Beziehung zwischen dem BF und seinen Familienangehörigen, zumal es dem BF und seinen Angehörigen im Fall seiner Rückkehr in die Russische Föderation möglich sein wird, den Kontakt zueinander auf telefonischem Weg oder über das Internet oder durch Besuche aufrecht zu erhalten.

 

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Er befindet sich seit etwa einem Jahr in einer Beziehung mit einer Frau, ein gemeinsamer Wohnsitz besteht nicht, sodass sodass auch diesbezüglich kein Familienleben vorliegt und die Beziehung allenfalls im Rahmen des Privatlebens zu berücksichtigen ist.

 

Der BF war bisher infolge seines Status als Asylberechtigte legal in Österreich aufhältig, er hält sich durchgehend seit Februar 2004, sohin über 15 Jahre in Österreich auf, weswegen er über ein Privatleben im Bundesgebiet iSd Art. 8 EMRK verfügt. Der Eingriff in sein Privatleben ist jedoch gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK iVm § 9 BFA-VG verhältnismäßig, hat der BF doch die ersten sieben Lebensjahre in der Russischen Föderation verbracht, kennt unverändert die dortigen Lebensgewohnheiten und spricht die tschetschenische Sprache.

 

Der Umstand, dass es dem BF in einem Beobachtungszeitraum von knapp 8 Jahren seit seinem Pflichtschulabschluss in Österreich im Jahr 2011 lediglich gelungen ist, knapp 10 Monate tatsächlicher Erwerbstätigkeit nachzuweisen, lässt nicht erkennen, dass es dem BF bisher ein ernsthaftes Anliegen war, in Österreich aus eigener Arbeitsleistung dauerhaft seinen Unterhalt zu bestreiten.

 

Zu Gunsten des BF ist neben der Dauer seines Aufenthalts in Österreich auch zu würdigen, dass er die prägenden Jahre seiner Persönlichkeitsentwicklung in Österreich erfuhr und hier auch volljährig wurde. Weiters spricht er die deutsche Sprache sehr gut und besuchte in Österreich die Volks- und Hauptschule. Er verfügt über soziale Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet und wird dies durch die Vorlage der Unterstützungsschreiben belegt.

 

All dies wird jedoch durch die - nahezu seit seiner Strafmündigkeit bestehende - kontinuierliche Straffälligkeit des BF in Österreich relativiert, wobei sich das kriminelle Verhalten des BF zudem kontinuierlich gesteigert hat.

 

Ein Gesinnungswandel eines Straftäters ist grundsätzlich daran zu messen, ob und wie lange er sich - nach dem Vollzug einer Haftstrafe - in Freiheit wohlverhalten hat. Dieser Zeitraum ist nach den Grundsätzen der Judikatur umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden - etwa in Hinblick auf das der strafgerichtlichen Verurteilung zu Grunde liegende Verhalten oder einen raschen Rückfall - manifestiert hat (vgl. etwa VwGH 26.06.2019, Zl. Ra 2019/21/0118).

 

Angesichts des Ausmaßes und der Schwere der begangenen Straftaten sowie insbesondere der bisherigen kontinuierlichen Rückfälligkeit kann selbst unter Mitberücksichtigung der positiven Einschätzung seitens der Bewährungshilfe zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der BF, der zudem den unbedingten Teil der im Urteil vom XXXX verhängten Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt hat, keine weiteren einschlägigen Straftaten mehr begeht.

 

Auch wenn der BF die Russische Föderation bereits vor über 15 Jahren verlassen und einen großen Teil seines Lebens in Österreich verbrachte, steht all dies vor dem Hintergrund der massiven Straffälligkeit des BF einer Rückkehrentscheidung nicht entgegen. Diesbezüglich ist insbesondere auf die Entscheidung des EGMR zu verweisen, in welcher dieser keine Verletzung der in Art. 8 EMRK geschützten Rechte durch die Ausweisung eines Fremden erblickt hat, der sich seit seiner Geburt im Aufenthaltsstaat aufgehalten hatte, in weiterer Folge aber wegen schwerer Gewaltverbrechen (die er zum Teil vor, zum Teil nach Erreichung der Volljährigkeit begangen hat) verurteilt wurde. Dass er nach der letzten Verurteilung nicht wieder straffällig geworden ist, sei darauf zurückzuführen, dass er sich derzeit in Haft befindet. Zudem beherrsche er auch die Sprache seines Heimatstaates, wo auch Verwandte von ihm leben (Mutlag gg. Deutschland, 25.03.2010, 40.601/05, Rz 55 ff.). Wenn sogar die Ausweisung eines wiederholt straffällig gewordenen Fremden, der sich seit seiner Geburt im Aufenthaltsstaat aufgehalten hat, iSd Art. 8 EMRK gerechtfertigt ist, so muss dies umso mehr für den Fall des BF gelten, der mehr seine ersten sieben Lebensjahre in seinem Herkunftsstaat verbracht hat und mit der Tschetschenischen Sprache vertraut ist.

 

In diesem Zusammenhang wird auch auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23.03.1995, Zl. 95/18/0061, verwiesen, in welchen der VwGH ausdrücklich ausgeführt hat, dass das wiederholte Fehlverhalten des Fremden (im damals vom VwGH beurteilten Verfahren waren dies die Delikte des Einbruchsdiebstahles und der Hehlerei) eine erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit bewirkt und derart schwerwiegend ist, dass auch die stark ausgeprägten privaten und familiären Interessen des Fremden, der mit seiner Familie, Gattin und Kindern, seit fünfzehn Jahren in Österreich lebte, zurücktreten müssen (vgl. auch VwGH 08.02.1996, 95/18/0009).

 

Festzuhalten ist überdies, dass familiäre Bindungen des BF zu seinem Herkunftsstaat bestehen, so leben dort mehrere Tanten, Onkel und Cousins. Der BF lebte bis zum Jahr 2004 in der Russischen Föderation, ist mit den dortigen Gegebenheiten vertraut und beherrscht die tschetschenische Sprache.

 

Eine Aufenthaltsbeendigung ist, insbesondere in Hinblick auf die strafgerichtliche Verurteilung in Zusammenhang mit Suchtmitteln, auch unter dem Aspekt der Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen zu sehen. In Hinblick auf die "verheerende Wirkung von Drogen auf das Leben von Menschen" gab auch der EGMR wiederholt sein Verständnis für die Bestimmtheit der Mitgliedstaaten im Vorgehen gegenüber Personen, die an der Verbreitung von Drogen aktiv mitwirken, zum Ausdruck (vgl. EGMR, 19.02.1998, Dalia gegen Frankreich, Nr. 154/1996/773/974; EGMR vom 30.11.1999, Baghli gegen Frankreich, Nr. 34374/97).

 

Das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung des BF wiegt angesichts des bereits Ausgeführten im gegenständlichen Fall in einer Gesamtbetrachtung höher als die persönlichen Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet. In Summe kann daher nicht erkannt werden, dass sich die Rückkehrentscheidung zum Entscheidungszeitpunkt im Hinblick auf Art 8 EMRK als unzulässig erweist.

 

3.4.5. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

 

Nach § 50 Abs. 1 FPG ist die Abschiebung Fremder in einen Staat unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Nach § 50 Abs. 2 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

Nach § 50 Abs. 3 FPG ist die Abschiebung in einen Staat unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht.

 

Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten zu den Punkten II.3.2. und II.3.3. können keine Gründe erkannt werden, aus denen sich eine Unzulässigkeit der Abschiebung im Sinne des § 50 FPG ergeben hätte. Der Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung des BF in den Herkunftsstaat ist sohin zu Recht erfolgt.

 

3.4.6. Gemäß § 55 Abs. 1 FPG wird mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. Die Frist für die freiwillige Ausreise beträgt nach § 55 Abs. 2 FPG 14 Tage ab Rechtskraft des Bescheides, sofern nicht im Rahmen einer vom Bundesamt vorzunehmenden Abwägung festgestellt wurde, dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hat, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen.

 

Da derartige Gründe im Verfahren nicht vorgebracht wurden, ist die Frist zu Recht mit 14 Tagen festgelegt worden.

 

3.4.7. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12.11.2015, Zl. Ra 2015/21/0101, dargelegt hat, bietet das Gesetz keine Grundlage dafür, in Fällen, in denen - wie hier - eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG erlassen wird, darüber hinaus noch von Amts wegen negativ über eine Titelerteilung nach § 55 AsylG 2005 abzusprechen. Sohin war - unter Auslassung von § 55 AsylG 2005 - spruchgemäß zu entscheiden.

 

3.5. Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides

 

Die belangte Behörde erließ gegen den BF aufgrund der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilungen nach dem StGB ein Einreiseverbot in der Höhe von 7 Jahren und führte dabei im Spruch des bekämpften Bescheides § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 0 FPG als Rechtsgrundlage an. Aus der Begründung des angefochtenen Bescheids ergibt sich, dass sich die Behörde bei der Verhängung des Einreiseverbotes auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG stützte. Insofern daher im Spruch des angefochtenen Bescheides die Rechtsgrundlage für das gegen den BF verhängte Einreiseverbot nicht zweifelsfrei erkennbar ist, so lässt doch die inhaltliche Begründung des Bescheides keine Zweifel über die angewendete Rechtsvorschrift aufkommen und lässt die belangte Behörde erkennen, dass sie sich auf § 53 Abs. 3 Z 1 FPG stützt. Es liegt sohin kein wesentlicher Verfahrensmangel vor (VwGH 20.02.2002, 99/08/0104; 17.10.2002, 2002/17/0033).

 

Mit einer Rückkehrentscheidung kann gemäß § 53 Abs. 1 FPG vom Bundesamt mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Das Einreiseverbot ist die Anweisung an den Drittstaatsangehörigen, für einen festgelegten Zeitraum nicht in das Hoheitsgebiet der Mitgliedsstaaten einzureisen und sich dort nicht aufzuhalten.

 

Gemäß § 53 Abs. 3 FPG ist ein Einreiseverbot gemäß Abs. 1 für die Dauer von höchstens zehn Jahren, in den Fällen der Z 5 bis 8 auch unbefristet zu erlassen, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt. Als bestimmte Tatsachen, die bei der Bemessung der Dauer des Einreiseverbotes neben den anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen relevant sind, hat laut Z 1 insbesondere zu gelten, wenn ein Drittstaatsangehöriger von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten, zu einer bedingt oder teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten oder mindestens einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhenden strafbaren Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.

 

Der BF wurde zuletzt mit Urteil eines Landesgerichts vom XXXX nach § 28a Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von 24 Monaten, davon 18 Monate bedingt nachgesehen, verurteilt. Die Voraussetzung des § 53 Abs. 3 Z 1 FPG ist somit gleich mehrmals erfüllt, da der BF zu einer unbedingten, drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe verurteilt wurde, zu einer sechs Monate übersteigenden bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt wurde und es sich zudem um die zweite Verurteilung wegen Verstoßes gegen das SMG handelt, weshalb auch von einer schädlichen Neigung iSd § 71 StGB auszugehen ist.

 

Bei der für ein Einreiseverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahingehend vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (Vgl. VwGH 20.10.2016, Zl. Ra 2016/21/0289; VwGH Zl. 24.03.2015, Ra 2014/21/0049). Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist für die Annahme eines Wegfalls der sich durch das bisherige Fehlverhalten manifestierten Gefährdung in erster Linie das Wohlverhalten in Freiheit maßgeblich (vgl. etwa VwGH 25.02.2016, Zl. Ra 2016/21/0022).

 

Zur ausführlichen Darstellung der dem Urteil konkret zugrundeliegenden Straftat sowie den Erschwerungs- und Milderungsgründen wird auf die Ausführungen unter Punkt II.1.4. und II.3.2. verwiesen, aus denen sich zweifelsfrei ergibt, dass aufgrund der Natur und Schwere des Verbrechens sowie der erheblichen Rückfälligkeit eine Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist.

 

Der BF wurde viermal rechtskräftig verurteilt wegen einschlägiger Vergehen wie Diebstahl und Einbruchsdiebstahl, zweifacher Körperverletzung, Nötigung, unerlaubten Umganges mit Suchtgiften und Suchtgifthandel. Es wurde dabei bereits zweimal zuvor eine bedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen und mit dem nunmehrigen Urteil erstmals auch eine unbedingte Freiheitsstrafe verhängt. Hinzu kommen Strafverfügungen vom September 2017 wegen Verwaltungsübertretungen in Zusammenhang mit dem FSG, KFG, MeldeG und der StVO. Die vom BF derzeit ausgeübte Erwerbstätigkeit übt er seit 5 Monaten aus, weshalb bis dato noch nicht von einer kontinuierlichen Erwerbstätigkeit gesprochen werden kann. Allein angesichts der erheblichen Rückfälligkeit und mangels eines aussagekräftigen Beobachtungszeitraumes kann zum aktuellen Zeitpunkt auch keine positive Zukunftsprognose getroffen werden.

 

Aufgrund der Schwere des Fehlverhaltens ist unter Bedachtnahme auf das Gesamtverhalten, davon auszugehen, dass die im Gesetz umschriebene Annahme, dass der BF eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, gerechtfertigt ist. Im gegenständlichen Fall wird die Gefahrenprognose noch zusätzlich durch die wiederholte Begehung von strafbaren Handlungen, durch den mehrfachen Rückfall und die Steigerung des Fehlverhaltens und durch die Begehung weiterer Straftaten trotz bereits erfolgter Verurteilung gestützt.

 

Bei der Bemessung des Einreiseverbotes, kann sich die Behörde nicht auf die bloße Beurteilung von Rechtsfragen zurückziehen, sondern ist insbesondere auch die Intensität der privaten und familiären Bindungen zu Österreich einzubeziehen (VwGH, 07.11.2012, Zl. 2012/18/0057).

 

Wie bereits zur Frage der Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung ausführlich geprüft und festgestellt, sind die familiären und privaten Anknüpfungspunkte des BF in Österreich nicht dergestalt, dass sie einen Verbleib in Österreich rechtfertigen würden. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verletzt in gegenständlichen Fall nicht die in Art. 8 EMRK geschützten Rechte. Es muss daher unter Berücksichtigung des in § 53 Abs. 3 FPG genannten Tatbestandes ebenso davon ausgegangen werden, dass das öffentliche Interesse an Ordnung und Sicherheit dem persönlichen Interesse des BF an einem Verbleib in Österreich überwiegt.

 

Es kann daher der belangten Behörde nicht vorgeworfen werden, wenn sie im vorliegenden Fall von einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit ausging, welche die Anordnung eines Einreiseverbotes erforderlich macht.

 

Unter Miteinbeziehung der Aufenthaltsdauer des BF, der seit seinem siebenten Lebensjahr in Österreich aufgewachsen ist und insbesondere des Umstandes, dass sich die gesamte Kernfamilie des BF im Bundesgebiet aufhält, erscheint aber in der vorliegenden Konstellation -insbesondere auch in Anbetracht des unverhältnismäßig hohen Anteils an lediglich bedingt ausgesprochener Strafen - die Dauer von 7 Jahren letztlich zu hoch gegriffen. Es war daher auf eine angemessene Dauer von 5 Jahren herabzusetzen, in welcher der BF ein Wohlverhalten unter Beweis zu stellen haben wird (vgl. dazu auch VwGH 30.08.2018, Zl. 2018/21/0063, Rz 11; VwGH 26.01.2017, Zl. Ra 2016/21/0233).

 

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs.1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs.4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben (vgl. dazu insbesondere die unter den Punkten II.3.2.2. f., II.3.3.1. f., II.3.4.3. f. und II.3.5. zitierte Judikatur).

 

Die Revision ist sohin gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

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