VwGH 2012/22/0169

VwGH2012/22/016916.12.2014

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Bernegger und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Schwarz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lechner, über die Beschwerde des H in W, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 24. Juli 2012, Zl. 161.926/2-III/4/12, betreffend Aufenthaltstitel, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
EMRK Art8;
NAG 2005 §11 Abs3;
NAG 2005 §41a Abs9;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.326,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die Bundesministerin für Inneres (in der Folge kurz als "Behörde" bezeichnet) die erstinstanzliche Abweisung des Antrages des Beschwerdeführers, eines chinesischen Staatsangehörigen, vom 8. November 2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (nunmehr) gemäß § 41a Abs. 9 i.V.m. § 44b Abs. 1 Z 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Zur Begründung führte die Behörde im Wesentlichen aus, der Beschwerdeführer sei im September 2002 illegal eingereist und habe am 13. September 2009 einen Asylantrag eingebracht, der abgewiesen und eine Ausweisung ausgesprochen worden sei. Der am 5. Mai 2008 gestellte Folgeantrag sei letztlich mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 29. September 2010 abgewiesen und die Ausweisung gegen den Beschwerdeführer ausgesprochen worden.

Am 8. November 2010 habe der Beschwerdeführer den verfahrensgegenständlichen Antrag eingebracht, welcher nach In-Kraft-Treten des Fremdenrechtsänderungsgesetzes 2011 mit 1. Juli 2011 als Antrag gemäß § 41a Abs. 9 NAG zu werten sei.

Der Beschwerdeführer habe seinen Antrag damit begründet, seit dem Jahr 2002 im Bundesgebiet aufhältig zu sein und seit März 2006 einer geregelten Arbeit nachzugehen. Der Beschwerdeführer sei seit Dezember 2005 mit einer gebürtigen Österreicherin verheiratet, allerdings sei die Ehe inzwischen zerrüttet. Auf eine "angeblich" leibliche Tochter aus der Ehe habe der Beschwerdeführer erstmalig mit Schreiben vom 10. Februar 2012 hingewiesen. Es sei nicht erkennbar, dass eine enge familiäre Bindung zum österreichischen Bundesgebiet bestehe, zumal der Beschwerdeführer von seiner Ehefrau getrennt lebe und seine Frau und sein Kind zuletzt im Sommer 2009 gesehen habe. Seit Erlassung der Ausweisung habe der Beschwerdeführer lediglich eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt. Abschließend führte die Behörde aus: "Aufgrund der Tatsache, dass kein maßgeblich geänderter Sachverhalt seit Erlassung der Ausweisung festgestellt werden konnte, war Ihr Antrag abzulehnen."

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Aktenvorlage in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Soweit durch das Verwaltungsgerichtsbarkeits-Übergangsgesetz, BGBl. I Nr. 33/2013, nicht anderes bestimmt ist, sind gemäß § 79 Abs. 11 VwGG idF BGBl. I Nr. 122/2013 in den mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Verwaltungsgerichtshof anhängigen Beschwerdeverfahren die bis zum Ablauf des 31. Dezember 2013 geltenden Bestimmungen weiter anzuwenden. Dies trifft auf den vorliegenden Fall zu.

Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides im Juli 2012 sind die Bestimmungen des NAG idF BGBl. I Nr. 112/2011 anzuwenden.

Die Erteilung des Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG erfordert u.a., dass dies gemäß § 11 Abs. 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die von der Behörde diesbezüglich vorgenommene Interessenabwägung.

Zwar hat die Behörde bei der Bewertung des Interesses des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich iSd § 11 Abs. 3 Z 8 NAG zu Recht berücksichtigt, dass er auf der Grundlage der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung, die ihm während des Asylverfahrens zugekommen ist, nicht damit rechnen durfte, er werde dauerhaft in Österreich bleiben können.

Die Behörde ist auch grundsätzlich zutreffend davon ausgegangen, dass den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Normen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung - und damit eines von Art. 8 Abs. 2 EMRK erfassten Interesses - ein hoher Stellenwert zukommt. Demgegenüber wurde aber in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu Ausweisungen nach § 53 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 idF vor dem Fremdenrechtsänderungsgesetz 2011 bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden wiederholt von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich und damit von der Unverhältnismäßigkeit der Ausweisung ausgegangen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden derartige Ausweisungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen. Diese Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof auch bei der Prüfung eines Eingriffs in Rechte nach Art. 8 EMRK im Zusammenhang mit der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 41a Abs. 9 NAG herangezogen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. September 2014, Zl. 2013/22/0247, mwN).

Im vorliegenden Fall hielt sich der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Entscheidung der Behörde beinahe zehn Jahre in Österreich auf. Diese Aufenthaltsdauer wäre entsprechend zu berücksichtigen gewesen (vgl. das angeführte Erkenntnis vom 9. September 2014). Die Behörde hat anerkannt, dass der Beschwerdeführer eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 abgelegt hat. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers, dass er seit März 2006 ohne Unterbrechung einer geregelten Beschäftigung als Koch nachgehe, ist sie nicht entgegengetreten.

Auch wenn die Behörde ausführt, dass keine enge familiäre Bindung des Beschwerdeführers in Österreich bestehe, da seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin zerrüttet sei und er von der Ehegattin und dem gemeinsamen Kind getrennt lebe, vermag der Verwaltungsgerichtshof angesichts der dargestellten integrationsbegründenden Umstände vor dem Hintergrund des knapp unter zehn Jahre liegenden Inlandsaufenthaltes des Beschwerdeführers die Auffassung der Behörde, die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels sei nicht iSd § 11 Abs. 3 NAG geboten, nicht zu teilen.

Der angefochtene Bescheid war daher schon deshalb wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008 und § 3 Z 1 der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014 idF BGBl. II Nr. 8/2014. Das Mehrbegehren

in Bezug auf den Schriftsatzaufwand war im Hinblick auf den in der angeführten Verordnung vorgesehenen Pauschalsatz für Schriftsatzaufwand abzuweisen.

Wien, am 16. Dezember 2014

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