VwGH 2000/01/0443

VwGH2000/01/044321.8.2001

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kremla und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. September 2000, Zl. 212.026/0-I/01/99, betreffend §§ 7, 8 und 15 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: FT, geboren am 9. Dezember 1954, B-Straße, K), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75;
EMRK Art13;
EMRK Art3;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75;
EMRK Art13;
EMRK Art3;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird in seinen Spruchpunkten II. und III. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Die Mitbeteiligte, eine jugoslawische Staatsangehörige, stammt aus dem Kosovo, gehört der albanischen Volksgruppe an und ist am 4. März 1999 gemeinsam mit ihren fünf Kindern (geboren in den Jahren 1979, 1980, 1983, 1986 und 1989) in das Bundesgebiet eingereist. In der Folge stellte sie einen Asylantrag, den sie mit dem Krieg und der Zerstörung ihres Wohnhauses begründete.

Das Bundesasylamt wies diesen Asylantrag mit Bescheid vom 6. August 1999 gemäß § 7 AsylG ab; zugleich sprach es aus, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten "nach Jugoslawien, in das Gebiet Kosovo" gemäß § 8 AsylG zulässig sei.

Dagegen erhob die Mitbeteiligte Berufung. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung entschied der unabhängige Bundesasylsenat (die belangte Behörde) hierüber mit Bescheid vom 26. September 2000 wie folgt:

Die Berufung der Mitbeteiligten werde (erkennbar gemeint: soweit sie sich gegen die Entscheidung in der Asylfrage richtet) gemäß § 7 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.); gemäß § 8 AsylG iVm § 57 Abs. 1 FrG werde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten in die "BR-Jugoslawien" nicht zulässig sei (Spruchpunkt II.); gemäß § 15 Abs. 1 iVm Abs. 3 AsylG werde der Mitbeteiligten eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 31. Juli 2001 erteilt (Spruchpunkt III.).

Dieser Entscheidung legte die belangte Behörde zugrunde, dass die Mitbeteiligte im Rahmen der Kriegswirren von den Serben aus dem Kosovo vertrieben worden sei; ihr Schwiegervater, mit dem sie im gemeinsamen Haushalt gelebt habe, sei während des Krieges getötet worden; sie hätte derzeit im Falle einer Rückkehr keine Lebensgrundlage; ihr Ehegatte lebe seit 28 Jahren in Österreich und verfüge über eine unbefristete Aufenthaltsberechtigung. Weiter traf die belangte Behörde "zur allgemeinen Situation im Kosovo" - auszugsweise - folgende Feststellungen:

"...

Eine jugoslawische oder serbische Ziviladministration existiert im Kosovo nicht mehr; deren Vertreter haben als Repräsentanten der verhassten 'Besatzer' den Kosovo weitestgehend verlassen, von Belgrad beherrschte Ämter und Behörden bestehen nicht mehr.

...

Im Kosovo sind neben den beiden tragenden Elementen KFOR und UNMIK bis auf weiteres über 350 staatliche und private internationale Organisationen tätig, welche Not- und Aufbauhilfe leisten.

...

Die UN ist zuständig für die zivile Verwaltung, die humanitäre Versorgung steht unter der Führung des UNHCR, Demokratisierung und Institutionenbildung liegen im Verantwortungsbereich der OSCE und die EU ist zuständig für die Koordination des wirtschaftlichen Wiederaufbaus (FH, 3.2000).

...

Unterkünfte:

Im Kosovo-Konflikt wurden gegen 100.000 Häuser beschädigt oder zerstört. Ende Dezember 1999 standen gemäß UNHCR 20.000 Plätze in 113 verschiedenen Kollektivunterkünften im Kosovo zur Verfügung. Mitte Dezember waren deren 5.000 besetzt. Die Bereitschaft der kosovo-albanischen Bevölkerung, in die Kollektivunterkünfte zu gehen, ist unterschiedlich. Viele Menschen ziehen es vor, einen provisorisch eingerichteten Stall oder eine Scheune in der Nähe ihres noch nicht wieder aufgebauten Heimes zu beziehen. Größere Aufbauprojekte werden ab dem Frühjahr 2000 in Angriff genommen werden können, wobei auf Grund der bestehenden Infrastruktur die Reparatur von maximal 15.000 bis 20.000 Häusern im laufenden Jahr möglich erscheint (BFF 21.2.2000, FH 3.2000).

Versorgungslage:

Die Strom- und Wasserversorgung im Kosovo schwankt zwischen Phasen relativer Stabilität und immer wieder auftretenden Zusammenbrüchen, respektive lediglich stundenweisem Funtionieren. Gemäß UNHCR sind im Kosovo Tag für Tag 900.000 Menschen von der Lebensmittelhilfe abhängig, während im Juni 1999 noch 1,5 Millionen Menschen versorgt werden mussten. Die Lebensmittel werden hauptsächlich vom World Food Program (WFP) geliefert. Momentan sind keine größeren Versorgungsengpässe oder Versorgungsschwierigkeiten bekannt (BFF 21.2.2000).

...

Gesundheitsversorgung/Fürsorgewesen:

Die Gesundheitsversorgung ist an sich funktionsfähig, doch sind kompliziertere Behandlungen nicht möglich und bestimmte kostspielige Medikamente nicht erhältlich (vgl. Bericht der WHO vom 10.9.1999). Das Sozial- Fürsorgesystem ist derzeit im Aufbau begriffen. Dem UNMIK Departement für Gesundheit und Sozialdienst sind 25 Gemeindezentren für soziale Wohlfahrt unterstellt. Die UNMIK hat bereits seit November 1999 an rund 60.000 besonders bedürftige Personen eine spezifische Unterstützung bezahlt. Bis April 2000 ist eine weitere Runde dieses Programms, von dem besonders bedürftige ältere Personen, allein stehende Mütter und arbeitsunfähige Personen profitieren, geplant. Ab Mai soll das finanzielle Nothilfeprogramm durch das Sozialversicherungssystem über die Gemeindezentren ersetzt werden. Auch die Verteilung der Nahrungsmittelhilfe des World Food Programs (WFP) soll dann von diesen Zentren - und nicht mehr wie bis dahin durch Mutter Teresa -

übernommen werden (FH 3.2000).

Nach Ansicht des UNHCR konnte nach Einzug der KFOR-Truppen in den Kosovo die systematische Diskriminierung, Schikanierung und Verfolgung der kosovo-albanischen Bevölkerung gebannt werden. Auf Grund beachtlicher Fortschritte, die die UNMIK-Verwaltung innerhalb der ihr gestellten ungeheuren Aufgabe bisher gemacht hat, ist davon auszugehen, dass die meisten der sich noch in Asylländern aufhaltenden Kosovo-Albaner keines unmittelbaren Schutzes mehr bedürfen und in Sicherheit in den Kosovo zurückkehren können. (UNHCR-Empfehlung betreffend Rückführung, Up Date März 2000).

...

Weder aus dem Bericht des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, noch aus Berichten von UNHCR, OSCE, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (FH), sowie dem Bundesamt für Flüchtlinge (BFF) und anderer befasster Institutionen sowie der internationalen Berichterstattung, kann ein Hinweis entnommen werden, dass derzeit zurückkehrende kosovarische Albaner grundsätzlich in ihrer notdürftigsten Lebensgrundlage bedroht wären. Vielmehr ergibt sich angesichts umfassender Hilfsmaßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft wie zahlreicher internationaler Organisationen, dass sich die Lebensumstände in allen Bereichen so weit verbessert haben, dass eine allgemeine lebensbedrohende Notlage im Kosovo aus Sicht der erkennenden Behörde nicht erkannt werden kann."

Dass die Mitbeteiligte im Kosovo über keine Lebensgrundlage verfüge, ergebe sich aus derem eigenen glaubwürdigen Vorbringen.

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass der vollständige Abzug der serbischen Verbände im Zusammenwirken mit der militärischen Präsenz der KFOR und "der Zeitdauer des UN-Sicherheitsratsmandates" eine weitere asylrelevante Verfolgung von Angehörigen der albanischen Volksgruppe im Kosovo durch Serbien bzw. die BR Jugoslawien als nachhaltig unwahrscheinlich erscheinen lasse. Die für die Ansehung als Flüchtling iS des Art. 1 Abschnitt A Z 2 FlKonv in der Vergangenheit vorgelegenen Umstände bestünden daher nicht mehr. Was den Ausspruch nach § 8 AsylG (Spruchpunkt II. des Bescheides vom 26. September 2000) anlange, so stelle sich die Situation für die Mitbeteiligte in der Weise dar, dass sie als Mutter von vier minderjährigen Kindern derzeit im Kosovo über keine Lebensgrundlage verfüge; eine Rückkehr iS des § 57 FrG sei daher unzumutbar. Davon ausgehend sei auch eine befristete Aufenthaltsberechtigung zu erteilen gewesen (Spruchpunkt III.).

Über die gegen die Spruchpunkte II. und III. des Bescheides vom 26. September 2000 erhobene Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

1. Zu Spruchpunkt II. hat die belangte Behörde festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Mitbeteiligten "in die BR-Jugoslawien" nicht zulässig sei. Dieser Ausspruch umfasst zweifelsohne das gesamte Staatsgebiet der Bundesrepublik Jugoslawien, obwohl sich die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides ausschließlich mit dem Kosovo beschäftigt hat. Abgesehen von dem Umstand, dass auch bezüglich des restlichen Staatsgebietes eine inhaltliche Prüfung durchzuführen gewesen wäre, ist die angefochtene Entscheidung nicht schon wegen der gewählten Fassung des Spruches rechtswidrig (im Hinblick auf die hg. Judikatur, wonach für aus dem Kosovo stammende Asylwerber auch der Kosovo selbst als selbständiges Bezugsobjekt der Non-Refoulement-Prüfung nach § 8 AsylG anzusehen ist; vgl. das Erkenntnis vom 7. Juni 2000, Zl. 2000/01/0162); die vorliegende Fassung des Spruches kann nämlich nur als (rechtlich unbedenkliche) Zusammenfassung des gebotenen Ausspruchs nach § 8 AsylG sowohl bezüglich des Kosovo als auch bezüglich der Bundesrepublik Jugoslawien (ohne den Kosovo) angesehen werden.

2. Ist ein Asylantrag abzuweisen, so hat die Behörde gemäß § 8 AsylG von Amts wegen bescheidmäßig festzustellen, ob die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Fremden in den Herkunftsstaat zulässig ist (§ 57 FrG). Eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung Fremder in einen Staat ist gemäß § 57 FrG dann unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass

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