VwGH 2001/21/0137

VwGH2001/21/013723.9.2004

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des O, vertreten durch Dr. Wolfgang Vacarescu, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 31. Juli 2001, Zl. Fr 903/99, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997, zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75;
EMRK Art13;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
AsylG 1997 §8;
FrG 1997 §57 Abs1;
FrG 1997 §57 Abs2;
FrG 1997 §57;
FrG 1997 §75 Abs1;
FrG 1997 §75;
EMRK Art13;
EMRK Art3;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid stellte die belangte Behörde gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, fest, es bestünden keine stichhaltigen Gründe für die Annahme, dass der Beschwerdeführer in Nigeria gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 FrG bedroht sei.

In der Begründung dieses Bescheides folgerte die belangte Behörde vorerst - in der Beschwerde nicht mehr releviert -, dass eine vom Beschwerdeführer behauptetermaßen aus Stammeskämpfen in Nigeria abzuleitende Verfolgungsgefahr nicht bestehe.

In der weiteren Begründung verneinte sie eine aus einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria resultierende Verletzung des Art. 3 EMRK, die sich nach den Behauptungen des Beschwerdeführers daraus ergebe, dass er HIV-infiziert sei, er seit 2. Juni 1999 mit einer antiretroviralen Kombinationstherapie begonnen habe und es beim Absetzen der Therapie innerhalb von wenigen Wochen zu einem Wiederanstieg der Virusbelastung kommen würde. Ein allfälliges Ansteigen der Virusbelastung bei Abbrechen der entsprechenden Behandlungsmethode hat die belangte Behörde nicht in Zweifel gezogen. Die Behörde stellte in diesem Zusammenhang fest, dass eine medizinische Betreuung von HIV-Patienten auch mit einer sogenannten antiretroviralen Therapie grundsätzlich in Nigeria möglich sei, jede Person in Nigeria freien Zugang zu staatlichen oder privaten Kliniken, Spitälern und Arztpraxen habe, Behandlungskosten jedoch von den Patienten zu ersetzen seien. Für die Behandlung müssten (derzeit monatlich) umgerechnet DM 800,-- bis 1.000,-- aufgewendet werden. Wegen der großen Anzahl von HIV-infizierten Patienten in Nigeria müsse in Bälde mit einer deutlichen Senkung der Marktpreise für diese Medikamente durch größere Importe - auch seitens der Regierung - gerechnet werden. Es seien bereits erste Tranchen dieser Medikamente zum Einsatz gekommen und es "dürften" die Behandlungskosten demnach laut Mitteilung der österreichischen Botschaft in Lagos in etwa US-$ 350,-- pro Jahr und Patienten betragen. Die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" hätte mehrere Niederlassungen in Nigeria und es gebe weiters "eine Unzahl von mehr oder weniger bedeutenden NGOs", die sich um HIV-Patienten kümmern würden und auch um präventive Maßnahmen im Kampf gegen Aids. Die medizinische Versorgung in Nigeria sei mit Ausnahme einiger weniger, entfernt gelegener ländlicher Gebiete flächendeckend gewährleistet. Somit sei eine medizinische Versorgung des Beschwerdeführers in Nigeria sowohl grundsätzlich als auch unter Berücksichtigung der nunmehr wesentlich günstigeren finanziellen Aspekte zur Erlangung von antiretroviralen Kombinationsmedikamenten gewährleistet. Eine Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria würde somit Art. 3 EMRK nicht verletzen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Eingangs ist festzuhalten, dass der Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde habe dem Beschwerdeführer die Stellungnahme der österreichischen Botschaft in Lagos vom 3. Juni 2001 nicht übermittelt, nicht zutrifft. Mit Schreiben vom 20. Juni 2001, dem Vertreter des Beschwerdeführers am 25. Juni 2001 zugestellt, brachte nämlich die belangte Behörde dem Beschwerdeführer das Erhebungsergebnis der österreichischen Botschaft in Lagos vom 3. Juni 2001 zur Kenntnis, woraufhin der Beschwerdeführer am 30. Juli 2001 schriftlich Stellung bezog.

Zu den behördlichen Feststellungen meint die Beschwerde zwar vorerst, die antiretroviralen Medikamente seien in Nigeria nicht zu erhalten (dies ohne nähere Begründung), geht in der Folge jedoch ausdrücklich davon aus, dass eine Behandlung für den HIVinfizierten Beschwerdeführer theoretisch in seinem Heimatland möglich wäre, er sich diese Behandlung jedoch nicht leisten könne. In diesem Zusammenhang wirft die Beschwerde der belangten Behörde vor, dass noch nicht abschätzbar sei, wann "die Methodik eines günstigeren Medikamentes tatsächlich umgesetzt" werde. Der angefochtene Bescheid ist allerdings diesbezüglich - wie sich aus der Formulierung "dürften" ergibt - ohnedies dahin zu verstehen, dass auch die belangte Behörde (lediglich) von der Möglichkeit ausgeht, dass die Behandlungskosten gesenkt werden könnten, dies jedoch nicht als sicher annimmt.

An sich zutreffend unterzog die belangte Behörde diesen Sachverhalt einer Beurteilung nach Art. 3 EMRK, diente doch § 57 Abs. 1 FrG - mit Ausnahme der darin genannten Todesstrafe - auch schon vor der Novelle BGBl. I Nr. 126/2002 der Konkretisierung des durch Art. 3 EMRK ("Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.") verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes. Zur Auslegung des § 57 Abs. 1 FrG ist daher an die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ergangene Rechtsprechung zu Art. 3 EMRK anzuknüpfen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. August 2001, Zl. 2000/01/0443, und daran anschließend etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2003, Zl. 2000/20/0208).

Zur Frage, ob die Verbringung eines HIV-infizierten bzw. Aidskranken Fremden in seinen Heimatstaat eine Verletzung des Art. 3 EMRK im Sinn einer unmenschlichen Behandlung darstellen würde, nahm der EGMR in seinen Entscheidungen vom 2. Mai 1997, Nr. 30240/96, D v. Vereinigtes Königreich (ÖJZ 1998/20 MRK), vom 15. Februar 2000, Nr. 46553/99, S C C v. Schweden, (ÖJZ 2000/18 MRK), vom 24. Juni 2003, Nr. 13669/03, Arcila Henao

  1. v. Niederlande, und vom 22. Juni 2004, Nr. 17868/03, Ndangoya
  2. v. Schweden, Stellung.

Am Maßstab dieser Entscheidungen wäre aber für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, zu klären gewesen, mit welcher Wahrscheinlichkeit bei Absetzen der Therapie mit dem Wiederanstieg der Virusbelastung zu rechnen wäre und welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären. Unter Darstellung der maßgebenden persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers (insbesondere zu seinen finanziellen Möglichkeiten und zum familiären und sonstigen sozialen Umfeld) wäre allenfalls weiter zu prüfen gewesen, ob ihm der Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlung nicht nur grundsätzlich, sondern auch tatsächlich angesichts deren konkreter Kosten - die belangte Behörde hat sich mit dem Einwand des Beschwerdeführers, er könne eine derartige Behandlung nicht finanzieren, nicht nachvollziehbar auseinander gesetzt, sondern lediglich gemeint, dass eine medizinische Betreuung von HIV-Patienten grundsätzlich in Nigeria möglich sei, die Behandlungskosten sinken "dürften" und es dem Beschwerdeführer zumutbar sei, "unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse in dessen Heimatland" die Behandlungskosten aufzubringen oder sich an eine der Niederlassungen der Organisation "Ärzte ohne Grenzen" in Nigeria zu wenden - und der Erreichbarkeit ärztlicher Hilfsorganisationen möglich wäre (vgl. das schon erwähnte hg. Erkenntnis Zl. 2000/20/0208).

Da somit die Zulässigkeit bzw. Unzulässigkeit einer Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria auf Basis der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden kann, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 23. September 2004

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