VwGH 2010/21/0523

VwGH2010/21/052324.1.2013

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, im Beisein der Schriftführerin Mag. Dobner, über die Beschwerde des O C in G, vertreten durch Greiml & Horwath Rechtsanwaltspartnerschaft in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 10. November 2010, Zl. E1 9561/2009, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:

Normen

FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z5;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z5;
FrPolG 2005 §62 Abs1;
FrPolG 2005 §62 Abs2;
FrPolG 2005 §62 Abs3;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2;
FrPolG 2005 §66 Abs3;
MRK Art8 Abs2;

 

Spruch:

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 57,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein im Jahr 1999 eingereister türkischer Staatsangehöriger, verfügte zunächst über Aufenthaltserlaubnisse als Student und danach seit März 2002 im Hinblick auf seine Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin über Aufenthaltstitel als Familienangehöriger, zuletzt mit einer Gültigkeit vom 24. Jänner 2008 bis 24. Jänner 2010. Wegen der Scheidung der Ehe stellte er am 10. August 2009 einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt".

Der Beschwerdeführer wurde mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 9. Juni 2010 wegen des Verbrechens der Schlepperei nach § 114 Abs. 1 und 3 Z 1 und 3, Abs. 4 erster Fall Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG) zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 20 Monaten verurteilt. Der Beschwerdeführer befand sich seit Oktober 2009 in Untersuchungshaft und wurde sodann am 13. August 2010 - nach Verbüßung der Hälfte der verhängten Freiheitsstrafe - aus der Strafhaft entlassen. Während der Untersuchungshaft hatte der Beschwerdeführer am 21. Jänner 2010 einen Antrag auf Gewährung von internationalem Schutz gestellt. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 24. September 2010 zur Gänze ab und verfügte die Ausweisung des Beschwerdeführers in die Türkei. Dagegen wurde am 11. Oktober 2010 Beschwerde an den Asylgerichtshof erhoben.

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (der belangten Behörde) vom 10. November 2010 wurde über den Beschwerdeführer gemäß § 62 iVm § 60 Abs. 2 Z 5 FPG ein mit zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot verhängt.

Die belangte Behörde stellte zunächst die dem genannten Strafurteil zugrundeliegenden Tathandlungen des Beschwerdeführers (dem Schuldspruch folgend) fest. Danach sei der Beschwerdeführer schuldig erkannt worden, er habe als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im Zusammenwirken mit weiteren Tätern gewerbsmäßig die rechtswidrige Einreise von dazu nicht berechtigten Fremden in einen Mitgliedstaat der Europäischen Union gefördert, wobei er mit dem Vorsatz gehandelt habe, sich durch das dafür geleistete Entgelt unrechtmäßig zu bereichern, und zwar

1. indem er mit mehreren Mittätern im Auftrag des H. in der Zeit vom 23. bis 25. Mai 2009 zumindest zwölf unbekannt gebliebene türkische Staatsangehörige mit einem näher beschriebenen Fahrzeug aus der Türkei über Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich und weiter nach Deutschland transportiert habe;

2. indem er gemeinsam mit einem Anderen zumindest sechs unbekannt gebliebene türkische Staatsangehörige mit einem näher beschriebenen Kastenwagen von Österreich nach Deutschland zu einer bestimmten Autobahnstation befördert habe, nachdem diese (zusammen mit anderen) Personen von mehreren Mittätern in der Zeit vom 2. bis 4. Juni 2009 mit einem LKW aus der Türkei über Bulgarien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Graz transportiert und auf verschiedene "Abholerfahrzeuge" verteilt worden seien;

3. indem er (als Lenker des "Vorausfahrzeuges") dabei mitgewirkt habe, gemeinsam mit einem Anderen 15 türkische Staatsangehörige von Österreich nach Deutschland in einem Transporter zu befördern, nachdem diese Personen von mehreren Mittätern in der Zeit vom 9. bis 11. Juli 2009 mit einem Sattelzug aus der Türkei über Bulgarien, Serbien, Kroatien und Slowenien nach Graz transportiert und auf verschiedene "Abholerfahrzeuge" verteilt worden seien, wobei die geschleppten Personen längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt worden seien, weil sie während einer Stehzeit von neun Stunden im geschlossenen LKW bei unzureichender Luftzufuhr zurückgelassen worden seien;

4. indem er mit Mittätern am 26. Mai 2009 zumindest sieben unbekannt gebliebene türkische Staatsangehörige auf der A 21 von nicht ausgeforschten türkischen "Fahrzeugschleppern" übernommen und nach Deutschland zu einer bestimmten Autobahnraststation transportiert habe.

In der weiteren Begründung bezog sich die belangte Behörde darauf, dass das Verbrechen der Schlepperei zu den schwerwiegendsten strafbaren Tatbeständen gehöre, sodass diese Form der organisierten Kriminalität aufgrund des besonders großen öffentlichen Interesses an ihrer Bekämpfung ein rigoroses Vorgehen dringend erforderlich mache. Die Art und Weise der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten rechtfertige zweifelsohne den Schluss, er bilde eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Ein Wohlverhalten seit der Haftentlassung in der Dauer von weniger als vier Monaten sei viel zu kurz, um auf einen nachhaltigen Gesinnungswandel schließen zu können.

Unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 FPG berücksichtigte die belangte Behörde das Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind (beide sind österreichische Staatsbürger), stellte dem aber das öffentliche Interesse an der Erlassung des Rückkehrverbotes gegenüber und kam dabei zu dem Ergebnis, dass die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers nicht höher zu gewichten seien. Die Erschwerung der "bisherigen Kontakte" zu den Familienangehörigen, die durch Besuche im Ausland in zumindest eingeschränktem Umfang aufrechterhalten werden könnten, stelle somit eine "unvermeidliche Konsequenz" dar. In Bezug auf die Bindungen zum Heimatland ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer seine gesamte schulische Ausbildung in der Türkei absolviert habe und dort auch seinen derzeitigen Beruf als "Transportarbeiter" (Kraftfahrer) ausüben könne. Im Übrigen lebten in der Türkei noch seine Eltern und Geschwister, zu denen er nach wie vor Kontakt habe. Schließlich begründete die belangte Behörde noch, dass eine Ermessensübung zugunsten des Beschwerdeführers nicht in Betracht komme.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:

Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof den angefochtenen Bescheid auf Basis der Sach- und Rechtslage bei seiner Erlassung zu überprüfen hat. Wird daher im Folgenden auf Bestimmungen des FPG Bezug genommen, so handelt es sich dabei um die zu diesem Zeitpunkt (November 2010) geltende Fassung des genannten Gesetzes.

Die belangte Behörde hat zutreffend erkannt, dass gegen den Beschwerdeführer als Asylwerber kein Aufenthaltsverbot, sondern nur ein Rückkehrverbot im Sinne des § 62 FPG erlassen werden konnte und sie hat demnach zu Recht das Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen geprüft. Gemäß § 62 Abs. 1 FPG setzt ein Rückkehrverbot voraus, dass auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, der (weitere) Aufenthalt des Fremden gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit (Z 1) oder laufe anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwider (Z 2). Gemäß § 62 Abs. 2 FPG liegen bestimmte Tatsachen im Sinne des Abs. 1 vor, wenn näher genannte Tatbestände des § 60 Abs. 2 FPG verwirklicht sind. Nach dieser Bestimmung hat als - die erwähnte Gefährdungsprognose rechtfertigende - Tatsache (u.a.) zu gelten, wenn ein Fremder Schlepperei begangen oder an ihr mitgewirkt hat (Z 5).

In der Beschwerde wird nicht bestritten, dass im Hinblick auf die der rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zugrundeliegenden Tathandlungen die zuletzt angeführten Voraussetzungen erfüllt sind. Im Übrigen ist auch der die genannte Gefährdungsprognose ebenfalls indizierende Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG in Form seiner ersten Alternative verwirklicht, weil der Beschwerdeführer von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten rechtskräftig verurteilt worden ist.

Die Beschwerde wendet sich aber gegen die behördliche Annahme einer Gefährdung iSd § 62 Abs. 1 FPG und rügt, die belangte Behörde habe sich "mit dem Sachverhalt überhaupt nicht auseinandergesetzt", sondern sei "lediglich vom Urteilsspruch ausgegangen". Aus dem Gerichtsakt ergebe sich jedoch eindeutig, dass der Beschwerdeführer nur Hilfsdienste erbracht und im Rahmen der Schleppung einen PKW, der vor(aus)gefahren sei, gelenkt habe. Er habe "die gegenständliche Schleppung" weder organisiert, noch habe er eine leitende Funktion innegehabt. Er sei damals nicht in Kenntnis gewesen, dass das Lenken des Vorausfahrzeuges unter einen Straftatbestand falle. Nach entsprechender Belehrung habe er im Strafverfahren ein umfassendes Geständnis abgelegt, das sich auch strafmildernd ausgewirkt habe.

Dieses Beschwerdevorbringen bezieht sich offenbar nur auf das im angefochtenen Bescheid bei Darstellung des dem Beschwerdeführer vom Strafgericht zur Last gelegten Verhaltens unter Punkt 3. angeführte Faktum. Aus den dazu getroffenen Feststellungen ergibt sich aber ohnehin, dass dem Beschwerdeführer insoweit nur die Rolle als Lenker des "Vorausfahrzeuges" zugekommen ist. Der in der Beschwerde gerügte Feststellungsmangel liegt somit nicht vor. Vielmehr lässt die Beschwerde die weiteren Fakten völlig außer Acht, die insgesamt zu einer Verurteilung des Beschwerdeführers wegen gewerbsmäßiger Schlepperei im Rahmen einer kriminellen Organisation führten. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers im Rahmen der arbeitsteilig organisierten Schleppung von türkischen Staatsangehörigen aus ihrer Heimat durch mehrere europäische Staaten mit dem Zielland Deutschland lässt sich aber nicht auf bloße Hilfsdienste reduzieren, hat er doch nicht nur innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums mehrfach Beförderungen der geschleppten Personen von Österreich nach Deutschland durchgeführt (Fakten 2., 3. und 4.), sondern auch an einem Transport aus der Türkei bis nach Deutschland mitgewirkt (Faktum 1.). Vor diesem Hintergrund ist es nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde von einer Gefährdung iSd § 62 Abs. 1 FPG ausging. Daran kann weder die bis zu diesen Straftaten gegebene Unbescholtenheit des Beschwerdeführers noch das für eine positive Zukunftsprognose viel zu kurze Wohlverhalten seit der Haftentlassung etwas ändern.

Nach § 62 Abs. 3 FPG ist bei der Erlassung eines Rückkehrverbotes (u.a.) auf § 66 FPG Bedacht zu nehmen. Gemäß § 66 Abs. 1 FPG ist ein Aufenthaltsverbot, mit dem in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei dieser Beurteilung ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen, insbesondere unter Berücksichtigung der im § 66 Abs. 2 FPG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 66 Abs. 3 FPG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Bei einer Entscheidung über ein Rückkehrverbot ist der Behörde Ermessen eingeräumt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2010, Zl. 2010/21/0370).

Unter diesem Gesichtspunkt verweist der Beschwerdeführer auf die Lebensgemeinschaft mit seiner Verlobten und dem gemeinsamen Kind im Alter von einem Jahr. Die Anwesenheit des Beschwerdeführers sei jedenfalls auch für die Herstellung einer Vater-Kind-Beziehung notwendig. Die Möglichkeit von Besuchen in der Türkei bestehe nicht, weil die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers nicht mehr in die Türkei einreisen könne, "zumal sie auch politisch verfolgt wird".

Dieser in der Beschwerde erstmals vorgetragene pauschale Einwand kann schon mangels jeder Konkretisierung nicht berücksichtigt werden. Auf das ins Treffen geführte Familienleben hat die belangte Behörde aber sonst ohnehin ausreichend Bedacht genommen, sie hat dem daraus und aus der bisherigen Aufenthaltsdauer abgeleiteten Interesse an einem Verbleib in Österreich allerdings zu Recht das große öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers gegenübergestellt. Dabei durfte die belangte Behörde - im Einklang mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (siehe etwa das Erkenntnis vom 29. Februar 2012, Zl. 2009/21/0103, vgl. auch zuletzt das Erkenntnis vom 20. Dezember 2012, Zl. 2012/23/0011) - davon ausgehen, dass der Bekämpfung der Schlepperei aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zukommt. Angesichts der vom Beschwerdeführer begangenen Straftaten und der sich daraus ergebenden Gefährlichkeit ist es somit nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass die belangte Behörde unter Abwägung der wechselseitigen Interessen zu dem Ergebnis kam, die Erlassung des Rückkehrverbotes sei im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Angesichts des - wie erwähnt - besonders großen öffentlichen Interesses an der Unterbindung der Schlepperkriminalität in Verbindung mit der von ihm insoweit weiterhin ausgehenden erheblichen Gefahr haben der Beschwerdeführer und seine Angehörigen eine durch das Rückkehrverbot (im Zusammenspiel mit einer asylrechtlichen Ausweisung) bewirkte allfällige Trennung in Kauf zu nehmen. Schließlich werden in der Beschwerde auch keine Gründe aufgezeigt, wonach die Ermessensübung durch die belangte Behörde nicht im Sinne des Gesetzes erfolgt wäre.

Soweit sich der Beschwerdeführer schließlich gegen die festgesetzte zehnjährige Dauer des Rückkehrverbots wendet, legt er keine überzeugenden Gründe dar, aus denen abzuleiten wäre, dass von der belangten Behörde ein Wegfall der von ihm ausgehenden Gefährdung bereits nach einem kürzeren als dem genannten Zeitraum hätte vorhergesehen werden können.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2008, BGBl. II Nr. 455.

Wien, am 24. Jänner 2013

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