OGH 1Ob123/24f

OGH1Ob123/24f25.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Wessely‑Kristöfel und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*, vertreten durch die TWS rechtsanwälte og in St. Pölten, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde *, vertreten durch Mag. Wolfgang Weilguni, Rechtsanwalt in Wien, wegen 18.096 EUR, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse: 17.016 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 21. Mai 2024, GZ 15 R 64/24b‑25, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 21. März 2024, GZ 16 Cg 49/23v‑20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00123.24F.0925.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.880,16 EUR (darin 313,36 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Das Berufungsgericht bestätigte die erstinstanzliche Entscheidung, mit welcher der Klage im Umfang von 17.016 EUR stattgegeben und das Mehrbegehren von 1.080 EUR abgewiesen wurde. Die ordentliche Revision ließ es zur Frage der analogen Anwendung des § 364a ABGB auf Wasseraustritte aus einer Rohrleitung auf einem Nachbargrundstück zu.

Rechtliche Beurteilung

[2] Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der Beklagten mangels Aufzeigens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig:

[3] 1. Im Revisionsverfahren ist nur zu beurteilen, ob – wovon die Vorinstanzen ausgingen – die beklagte Gemeinde aufgrund eines Rohrbruchs der über ihr Grundstück verlaufenden „Gemeindewasserleitung“ für den dadurch verursachten Schaden des Klägers nach § 364a ABGB analog haftet.

[4] 2. Die Rechtsprechung bejaht Ersatzansprüche in Analogie zu § 364a ABGB bei Vorliegen einer dieser Bestimmung vergleichbaren Interessenlage. Eine solche wird insbesondere angenommen, wenn durch eine behördliche (Bau-)Bewilligung einer Anlage der Anschein ihrer Gefahrlosigkeit erweckt und dadurch eine Schadensabwehr praktisch erschwert oder unmöglich gemacht wurde (RS0010668). § 364a ABGB wird aber auch analog angewandt, wenn zwar eine solche Genehmigung fehlt, durch eine Anlage aber ein Schaden eintrat, bevor der betroffene Nachbar sein Untersagungsrecht faktisch ausüben konnte (RS0010668 [T7]); ebenso wenn ein Immissionsschaden auftritt und einerseits der geschädigte Nachbar der Schadensgefahr ausgeliefert war und andererseits für den Haftpflichtigen der Eintritt des Schadens ein kalkuliertes Risiko darstellte, das er zu seinem Nutzen einging (RS0111420 [T1] 2 Ob 12/19g). Der Nachbar haftet dann für alle adäquaten Schäden, die aus dem besonderen Gefährdungspotenzial der Anlage resultieren (4 Ob 233/18w; 2 Ob 1/19i, jeweils mwN).

[5] 3. Der Oberste Gerichtshof befasste sich auch bereits mehrfach mit der Verpflichtung zum Ersatz von Schäden eines Nachbarn durch das Eindringen von Wasser. Er anerkannte dazu überwiegend eine Haftung analog § 364a ABGB (1 Ob 31/78; 1 Ob 9/86; 1 Ob 31/95 [kommunaler Abwasserkanal]; 7 Ob 273/08k; 5 Ob 21/19b [Hauskanal]; 1 Ob 614/94 [Fernwärmeleitung]; 1 Ob 48/87; 8 Ob 48/07b [kommunale Wasserleitung]; 5 Ob 82/13i [Überlaufrohr]), wobei es teilweise als ausreichend angesehen wurde, dass eine Immission – wie hier – von einer Anlage der allgemeinen Daseinsvorsorge ausging (1 Ob 31/78; 1 Ob 9/86; 1 Ob 31/95; im Ergebnis auch 1 Ob 614/94). Mitunter wurde dafür auch der für deren Errichtung erforderliche Gemeinderatsbeschluss berücksichtigt (1 Ob 31/78; 1 Ob 31/95). In jüngerer Zeit geht der Oberste Gerichtshof zu Schädigungen durch auf dem Nachbargrund ausgetretenes Wasser ganz allgemein davon aus, dass der Nachbar bei der Herstellung einer Wasserleitungsanlage zunächst auf deren Gefahrlosigkeit vertrauen und eine Untersagung außer Betracht lassen konnte. Wer seinen Nachbarn durch eine solche Anlage einem erhöhten Risiko aussetzt, müsse aber dafür Sorge tragen, dass ihm daraus kein Nachteil erwächst (8 Ob 48/07b; 7 Ob 273/08k; 5 Ob 82/13i; siehe auch 5 Ob 21/19b).

[6] 4. Die Entscheidungen der Vorinstanzen beruhen auf dieser Rechtsprechung und begegnen daher keinen Bedenken.

[7] 5. Auch die Revision vermag solche nicht zu wecken:

[8] 5.1. Der geschädigte Kläger war (als Unterlieger) dem von der Wasserversorgungsanlage der Beklagten ausgehenden Risiko eines Wasseraustritts ausgesetzt, das die Beklagte mit dem Betrieb ihrer Anlage zu ihrem Nutzen (vgl Pkt 4.2) einging. Dass das Berufungsgericht seinen Schaden als adäquate und daher „kalkulierbare“ Folge des Betriebs der Wasserversorgungsanlage ansah, begegnet keinen im Einzelfall (RS0010668 [T12]; ebenso die in der Revision zitierten Entscheidungen zu 1 Ob 196/06i und 4 Ob 200/17s) aufzugreifenden Bedenken, zumal nach den Feststellungen bereits früher ähnliche Gebrechen auftraten. Auch die in den beiden letztgenannten Entscheidungen geforderte „objektive Vorhersehbarkeit“ der Schadensfolgen setzt nur deren „Kalkulierbarkeit“ im Sinn einer Adäquanzprüfung voraus. Darauf, ob die Beklagte den konkreten Rohrbruch vorhersehen und verhindern hätte können, kommt es für eine Haftung analog zu § 364a ABGB nicht an.

[9] 5.2. Soweit die Beklagte der von den Vorinstanzen angenommenen Analogie zu § 364a ABGB auch mit dem Argument entgegentritt, sie habe die Wasserversorgungsanlage nicht zu ihrem „eigenen“ Nutzen– sondern „im ausschließlichen Interesse der BürgerInnen“ – betrieben, wendet sie sich nicht gegen den vom Berufungsgericht insofern angenommenen Verstoß gegen das Neuerungsverbot. Davon abgesehen ist ihr auch zu entgegnen, dass ihre nachbarrechtliche Haftung als Gemeinde nicht deshalb eingeschränkt sein kann, weil diese durch eine der allgemeinen Daseinsvorsorge dienende Anlage entstand (1 Ob 31/78; 1 Ob 9/86; 1 Ob 46/88; vgl auch RS0010622).

[10] 5.3. Auf jene von der zweiten Instanz zitierten Entscheidungen, in denen der Oberste Gerichtshof eine analoge Anwendung des § 364a ABGB – aus für den vorliegenden Fall nicht maßgeblichen Gründen – verneinte, geht die Revision nicht näher ein.

[11] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (RS0035979 [T16]).

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte