OGH 7Ob273/08k

OGH7Ob273/08k11.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Dr. Roch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Leopold B*****, gegen die beklagten Parteien 1.) Mustafa K*****, und 2.) Ayse K*****, beide *****, beide vertreten durch Mag. Johannes Marchtrenker, Rechtsanwalt in Zistersdorf, wegen 75.232,57 EUR (sA), Feststellung und Zuhaltung einer Vereinbarung, über die außerordentliche Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 12. September 2008, GZ 12 R 72/08h-104, mit dem das Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 21. Dezember 2007, GZ 2 Cg 2/04a-95, infolge Berufung des Klägers im angefochtenen Umfang abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Um ein Einfrieren der Wasserleitung im damals unbewohnten Erdgeschoß ihres Hauses in Z***** zu verhindern, ließen die Beklagten die WC-Spülung durch Anheben des Spülers im WC-Kasten mindestens 10 Tage lang ständig rinnen. Dadurch gelangten insgesamt 16,5 Kubikmeter Wasser in einen Hauskanal, der undicht war. Am benachbarten Grundstück des Klägers kam es zu einem Nachsacken des Bodens und zu Setzungen am Büro- und Wohngebäude. Die Kosten der Sanierung der Setzungsschäden betragen insgesamt 75.232,57 EUR.

Der Kläger behauptete, das Nachsacken des Bodens und die Schäden am Haus seien durch den von den Beklagten herbeigeführten Wasseraustritt bewirkt worden. Die Beklagten hätten die Schäden verschuldet. Allenfalls stehe ihm in analoger Anwendung der §§ 364 ff ABGB ein verschuldensunabhängiger nachbarrechtlicher Ausgleichsan- spruch zu. Der Kläger begehrte von den Beklagten 75.232,57 EUR an Sanierungskosten und die Feststellung ihrer Haftung für alle zukünftigen, derzeit noch nicht bekannte Schäden. Überdies mögen die Beklagten schuldig erkannt werden, die Sanierung und Untersuchung des Abflusskanals (Kanalstranges) auf ihrem Grundstück entlang der Grundgrenze zum Grundstück des Klägers zu dulden.

Die Beklagten beantragten Klagsabweisung. Soweit im Revisionsverfahren noch wesentlich, wendeten sie ein, für sie sei nicht vorhersehbar gewesen, dass der vor etwa acht Jahren errichtete Kanal undicht sei. Die Dichtheit des Kanals sei in den üblichen zeitlichen Abständen überprüft worden; es seien ihnen daher keine Nachlässigkeiten anzulasten. Der Kläger habe durch Bauen auf angeschüttetem Grund selbst die Schäden und auch Schäden an ihrem Haus schuldhaft verursacht. Die zur Schadensbehebung an ihrem Haus notwendigen Kosten von 225.570,74 EUR würden gegen die Klagsforderung kompensando eingewendet. Da der beigezogene Sachverständige nicht ausgeschlossen habe, dass das Wasser, das zu den Setzungen geführt habe, auch von anderen Liegenschaften, allenfalls auch von der Liegenschaft des Klägers selbst, stammen könne, werde ein Mitverschulden des Klägers eingewendet, das zumindest mit 50 % zu bewerten sei.

Das Erstgericht wies das Zahlungsbegehren sowie das Feststellungsbegehren ab und gab dem Duldungsbegehren statt. Es stellte noch fest, dass das Austreten des Wassers in Verbindung mit einem unterirdischen Gefälle zur Liegenschaft des Klägers hin zum Nachsacken des Bodens und zu den Setzungen am Objekt des Klägers geführt habe.

Die Abweisung des Feststellungsbegehrens ist ebenso wie die Stattgebung des Duldungsbegehrens unbekämpft in Rechtskraft erwachsen. Darauf ist daher nicht mehr weiter einzugehen.

Das Zahlungsbegehren betreffend führte das Erstgericht in rechtlicher Hinsicht im Wesentlichen aus, den Beklagten könne ein Verschulden an den Setzungsschäden nicht zur Last gelegt werden, weil die Auswirkungen ihres Verhaltens für sie nicht vorhersehbar gewesen seien; für die Undichtheit des Kanals habe es keinerlei Anhaltspunkte gegeben. Da es sich beim Kanal um keine behördlich genehmigte Anlage im Sinn des § 364a ABGB handle, komme nur eine analoge Anwendung dieser Bestimmung in Betracht. Dies setzte voraus, dass unmittelbar von der Anlage Einwirkungen ausgingen, die für den Betrieb der Anlage typisch seien. Mit „betriebstypischen" Schäden könnten nur adäquat verursachte Folgen gemeint sein. Zwar könne eine Kanalanlage grundsätzlich undicht werden. Allerdings habe nur eine außergewöhnliche Verkettung der Umstände zu den Setzungsschäden geführt, weshalb eine analoge Anwendung des § 364a ABGB nicht gerechtfertigt sei. Der Eintritt des Schadens habe für die Beklagten kein kalkulierbares oder kalkuliertes Risiko, das sie zu ihrem Nutzen eingegangen seien, dargestellt.

Das Berufungsgericht änderte die vom Kläger hinsichtlich der Abweisung des Leistungsbegehrens bekämpfte Entscheidung der ersten Instanz dahin ab, dass es die Klagsforderung als mit 75.232,57 EUR zu Recht bestehend und die Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend feststellte und die Beklagten zur ungeteilten Hand schuldig erkannte, dem Kläger 75.232,57 EUR (sA) zu bezahlen. Ein vom Verschulden unabhängiger Ausgleichsanspruch sei in den Fällen des § 364 Abs 2 ABGB auch dann zuzubilligen, wenn sich ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB ergäben. Ausreichende Anhaltspunkte für eine Analogie zu § 364a ABGB würden von der Rechtsprechung in jenen Fällen angenommen, in denen die Abwehr des Eingriffs zwar an sich zulässig bleibe, das Vorliegen einer behördlichen Genehmigung für die schadensstiftende Tätigkeit jedoch den Anschein der Gefahrlosigkeit und der Rechtmäßigkeit erwecke und dadurch die Durchsetzung von Abwehransprüchen erschwere oder unmöglich mache, sodass der Nachbar die Maßnahme praktisch hinnehmen müsse. Von der Rechtsprechung werde selbst bei ohne behördlicher Genehmigung durchgeführten Arbeiten ein verschuldensunabhängiger Ausgleichsanspruch analog zu § 364a ABGB gewährt, wenn der Schaden bereits eingetreten sei, bevor der von dieser Einwirkung Betroffene das Untersagungsrecht faktisch ausüben konnte, sodass er sich in einer Situation wie derjenige befunden habe, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt gewesen sei. Schließlich werde eine analoge Haftung nach § 364a ABGB in der Rechtsprechung auch dann angenommen, wenn eine Anlage eine besondere Gefahrensituation schaffe und allfällige Schadensfolgen für den Betreiber objektiv kalkulierbar seien. Die Bejahung der in Rede stehenden Analogie setze weiters unmittelbar von der Anlage ausgehende Einwirkungen voraus, die für deren Betrieb typisch seien. Im vorliegenden Fall sei auch die Typizität der Einwirkungen zu bejahen. Dass Wasser an sich nicht ungeeignet sei, Setzungen bei Gebäuden zu bewirken, entspreche allgemeiner Lebenserfahrung. Nicht zu bezweifeln sei weiters, dass die Beklagten den Kanal zu ihrem Nutzen errichtet hätten und auch dieses Kriterium der Gefahren- bzw Risikozurechnung gegeben sei. Die Verpflichtung zum Ersatz von Schäden, die Nachbarn durch einmalige Vorfälle durch Eindringen von Wasser entstanden seien, sei vom Obersten Gerichtshof stets anerkannt worden. Unmittelbare Zuleitungen seien ohne besonderen Titel unter allen Umständen, selbst bei behördlich genehmigten Anlagen unzulässig und müssten unter keinen Umständen geduldet werden. Unmittelbare Zuleitung liege nicht nur dann vor, wenn die Tätigkeit des Nachbarn unmittelbar auf die Einwirkung gerichtet sei, sondern auch, wenn die Zuleitung durch eine Veranstaltung bewirkt werde, die für eine Einwirkung gerade in der Richtung auf das Nachbargrundstück hin ursächlich sei. Entscheidend sei somit nicht, ob die Beklagten zum Eintritt der schädlichen Einwirkung auf das Nachbargrundstück unmittelbar beigetragen haben oder nicht, sondern, dass sie durch ihre Kanalanlage die Möglichkeit zum Eintritt von Wasser auf die Liegenschaft des Klägers eröffnet hätten. Nach der Rechtsprechung liege eine unzulässige unmittelbare Zuleitung vor, wenn der Nachbar sein Abwasser durch Rohrleitungen in die unmittelbare Nähe seiner Grundstücksgrenze führe, von wo es infolge undichter Leitung auf das hangabwärts liegende Grundstück sickere. Diese Überlegungen führten insgesamt zum Ergebnis, dass die in der Judikatur entwickelten Analogievoraussetzungen für den verschuldensunabhängigen Ausgleichsanspruch im Sinn des § 364a ABGB hier gegeben seien. Die Haftung der Beklagten für die von ihrer Liegenschaft, konkret einem ihrer Abwasserkanäle, ausgehenden und auf das Nachbarhaus einwirkenden Nässeschäden sei daher zu bejahen. Der Kläger habe daher Anspruch auf den Ersatz des Sanierungsaufwands in der festgestellten Höhe. Die Gegenforderung bestehe dagegen schon deshalb nicht zu Recht, weil sich die Ursache für die Setzungsschäden am Objekt der Beklagten nicht feststellen habe lassen.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil seine Ansicht, § 364a ABGB sei im vorliegenden Fall analog anzuwenden, von höchstgerichtlicher Rechtsprechung nicht abweiche.

Gegen dieses Urteil der zweiten Instanz richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten, die Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend macht und beantragt, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Leistungsbegehren abgewiesen (und demnach das Ersturteil in diesem Punkt wiederhergestellt) werde. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel seiner Prozessgegner entweder mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen oder ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, da die Entscheidung des Berufungsgerichts an dem von den Revisionswerbern geltend gemachten Mangel leidet, zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags (Rückverweisung der Sache allerdings nicht an das Erst-, sondern an das Berufungsgericht) auch berechtigt.

Die behauptete Aktenwidrigkeit ist, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht gegeben (§ 510 Abs 3 3. Satz ZPO).

Auch einen Rechtsirrtum des Berufungsgerichts bei der Beurteilung des festgestellten Sachverhalts können die Revisionswerber nicht aufzeigen. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, die Ersatzpflicht der Beklagten sei in analoger Anwendung des § 364a ABGB zu bejahen, folgt den schon vom Berufungsgericht wiedergegebenen, in ständiger Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen oberstgerichtlicher Judikatur. Danach ist ein verschuldensunabhängiger (RIS-Justiz RS0010449) nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch stets dann zu gewähren, wenn dem Geschädigten ein Abwehrrecht, das ihm wegen Bestehens einer an sich gefährlichen Situation nach dem Inhalt seines dinglichen Rechts sonst zugestanden wäre, genommen war (1 Ob 48/87 SZ 60/265 mwN ua). Ein Ausgleichsanspruch wird nach ständiger Rechtsprechung in analoger Anwendung des § 364a ABGB auch in Fällen gewährt, in denen der Schaden bereits eingetreten war, bevor der von dieser Einwirkung Betroffene das Untersagungsrecht faktisch ausüben konnte, sodass er sich in einer Situation wie derjenige befand, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war (1 Ob 620/94 SZ 68/101; 5 Ob 444/97y RdU 1998, 148; 5 Ob 3/99y ua). Auch die Verpflichtung zum Ersatz von Schäden, die dem Nachbarn durch einmalige Vorfälle wie durch Eindringen von Wasser (zB Wasserrohrbrüche) entstanden, wird von der Rechtsprechung anerkannt (8 Ob 48/07b mwN uva). Bei Herstellung einer Wasserleitungsanlage (oder - wie hier - eines Kanals) kann der Nachbar zunächst auf deren Gefahrlosigkeit vertrauen und eine Untersagung der Anlage außer Betracht lassen. Es ist demjenigen, der die Anlage errichtet und den Nachbarn damit einem erhöhten Risiko aussetzte, zumutbar, dafür Sorge zu tragen, dass dem Nachbarn aus dem Bestehen der Anlage kein Nachteil erwächst (1 Ob 48/87 mwN). Voraussetzung einer Analogie zu § 364a ABGB ist nach ständiger oberstgerichtlicher Judikatur stets, dass unmittelbar von der Anlage Einwirkungen ausgehen, die für den Betrieb der Anlage typisch sind (1 Ob 47/87 SZ 61/7; 8 Ob 523/92 SZ 65/38; 1 Ob 615/94 SZ 67/212 ua; vgl RIS-Justiz RS0010670). Mit in diesem Sinn „betriebstypischen" Schäden können nur adäquat verursachte Folgen gemeint sein. Nach der ständigen Rechtsprechung zur Theorie des adäquaten Kausalzusammenhangs ist eine adäquate Verursachung dann nicht anzunehmen, wenn ein Verhalten seiner Natur nach völlig ungeeignet erscheint, einen Erfolg nach der Art des eingetretenen herbeizuführen und bloß eine außergewöhnliche Verkettung der Umstände vorliegt (1 Ob 196/06i; RIS-Justiz RS0098939). Die Frage, ob der eingetretene Schaden noch adäquate Folge der Handlung des Schädigers war, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu lösen (vgl 1 Ob 196/06i mwN). Unterstellt man die Richtigkeit der Feststellungen des Erstgerichts zur Schadensursache ist - ausgehend von den dargestellten Grundsätzen - die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass die Voraussetzungen für eine analoge Anwendung des § 364a ABGB vorlägen, zu billigen: Die Schäden am Haus sind nämlich adäquate Folgen einer typischen Einwirkung, auf die der Kläger nicht durch eine Unterlassungsklage reagieren konnte. Er befand sich also in einer Situation wie derjenige, dem aus anderen Gründen die Unterlassungsklage verwehrt war.

Zu Recht wird von den Revisionswerbern allerdings ein Verfahrensmangel darin erblickt, dass das Berufungsgericht auf seine in der Berufungsbeantwortung erhobene Rüge der Unterlassung der Einholung eines bodenmechanischen Gutachtens in keiner Weise eingegangen ist. Die Revisionswerber weisen zutreffend darauf hin, dass von ihnen stets auch die Schadensverursachung bestritten worden sei. Es sei zu bezweifeln, dass „aus einem allfällig undichten Kanal Wasser beinahe waagrecht zur Liegenschaft des Klägers floss und dort Setzungsschäden verursachte". Der vom Gericht beigezogene Sachverständige habe zur Kausalität bloß eine Wahrscheinlichkeit von 60 % bis 80 % angegeben; es hätten erst bodenmechanische Untersuchungen den tatsächlichen Verlauf der Bodenschichten aufzeigen können. Aus diesem Grunde hätten die Beklagten in der Tagsatzung am 10. 10. 2007 die Einholung eines bodenmechanischen Gutachtens beantragt. Auch der Sachverständige, der andere schadensbegründende Ursachen nicht ausgeschlossen habe, habe ihre Ansicht geteilt. Das Erstgericht habe den Beweisantrag trotzdem abgewiesen, was in der Berufungsbeantwortung gerügt worden sei.

Es trifft zu, dass sich das Berufungsgericht über diese in der Berufungsbeantwortung enthaltene Mängelrüge hinweggesetzt und in keiner Weise dazu Stellung bezogen hat. Da der Frage der Schadenskausalität des Wasseraustritts auf dem Grundstück der Beklagten entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt, liegt ein Verfahrensmangel vor, der eine erschöpfende Erörterung und verlässliche abschließende Beurteilung der Streitsache verhinderte.

Es war daher in Stattgebung der Revision das angefochtene Urteil aufzuheben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Behandlung der Mängelrüge der Beklagten aufzutragen.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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