OGH 1Ob9/86

OGH1Ob9/865.3.1986

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Gamerith, Dr. Hofmann und Dr. Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien

1.) Friedrich E***, Angestellter, 2.) Annemarie E***, Angestellte, beide Salzburg, Negrellistraße 5, beide vertreten durch Dr. Harald Berger, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei S*** S***, vertreten durch Dr. Rudolf

Bruckenberger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen S 162.000,-- s.A., infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 17. Juni 1985, GZ. 1 R 109/85-27, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 31. Jänner 1985, GZ. 8 Cg 356/83-22, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagenden Parteien sind schuldig, der beklagten Partei die mit S 7.472,35 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (hievon S 679,30 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind je zur Hälfte Miteigentümer der Liegenschaft EZ 1265 KG Itzling mit dem Wohnhaus Salzburg, Negrellistraße 5. Die beklagte S*** S*** ist Eigentümerin der Grundstücke 6270 öffentliches Gut (Negrellistraße) und 59/3 öffentliches Gut (Maxstraße). Das Haus der Kläger ist an den in der Negrellistraße verlegten Fäkalkanal angeschlossen. Das Kanalnetz der beklagten Partei ist im Bereich des Wohnhauses der Kläger als Trennsystem errichtet, das Oberflächenwasser und Fäkalwässer getrennt führt. Im Hauptsammelkanal Itzling-Gnigl geht dieses System in ein Mischsystem über. Die Kanäle für Fäkalwässer weisen Kontrollschächte zur Straßenoberfläche auf, die mit ÖNORM-gerechten eisernen Schachtabdeckungen, in denen sich Luftlöcher befinden, versehen sind. Unterhalb der Schachtabdeckungen sind Sandfänge angebracht, die Fremdkörper wie Sand und Laub zurückhalten. Der Fäkalkanal hat einen Durchmesser von 25 cm und eine Aufnahmsfähigkeit von 103 sek/l; als Abwasserbemessungsmenge ist eine Stoßbelastung von 2,64 sek/1 festgelegt. Es kann demnach ein Vielfaches dieser Bemessungsmenge eingeleitet werden, ohne daß der Rohrstrang unter Druck gerät. Die Zutrittsmöglichkeit von Wasser durch die Luftöffnungen der Kanalschächte ist nicht so groß, daß es hiedurch zu einem Rückstau im Fäkalkanal kommen könnte. Das Haus der Kläger ist an den Fäkalkanal in der Negrellistraße angeschlossen. Der Kanalanschluß wurde am 13. Juli 1977 von der beklagten Partei kollaudiert und dabei die einwandfreie Funktion des Kanalanschlusses festgestellt.

In den späten Nachmittags- und Abendstunden des 7. Juli 1983 ging über dem Stadtgebiet von Salzburg ein sehr heftiges und lang andauerndes Gewitter nieder, bei dem die Niederschlagsmengen eine kleinräumige Gliederung aufwiesen; insbesondere in den nördlichen Stadtteilen dürften außergewöhnlich hohe Niederschlagsmengen erreicht worden sein. Die Niederschläge waren so stark, daß das Regenwasser durch die offenen Gerinne nicht mehr abgeleitet werden konnte und es zu Straßenüberflutungen, insbesondere auch im Bereich der Negrellistraße, kam. Es kam zu einem Rückstau im Fäkalkanal Negrellistraße, wodurch aus den Entwässerungsöffnungen im Keller des Hauses Negrellistraße 5 mit Regenwasser verdünntes Fäkalwasser austrat. Zu einem Wassereintritt bei einem Kellerfenster ist es nicht gekommen. Der Wasseraustritt ist auf den Rückstau im Fäkalkanal Negrellistraße zurückzuführen; solange die Funktion des Fäkalkanals erhalten bleibt, ist ein derartiger Rückstau nicht möglich, es ist auch seit der Errichtung des Kanalsystems zu keinem solchen Rückstau gekommen. Ein Rückstau vom Hauptsammelkanal Itzling-Gnigl ist auszuschließen. Durch das Eindringen der Fäkalwässer entstanden im Haus der Kläger Schäden im Betrag von S 162.000,--.

Die Kläger begehren den Betrag von S 162.000,-- s.A. und führten zur Begründung aus, das Eindringen von Fäkalwässern in den Keller ihres Hauses sei offenbar darauf zurückzuführen, daß das Kanalnetz, bzw. der Fäkalkanal zu schwach dimensioniert sei. Die beklagte Partei hafte für den eingetretenen Schaden auf Grund der Bestimmungen des Nachbarrechts, zumal der Schaden voraussehbar gewesen sei. Aus Gründen der Vorsicht werde der Anspruch auch auf die Bestimmungen des Schadenersatzrechtes gestützt, doch werde der Anspruch nicht aus einer hoheitlichen Tätigkeit, sondern aus der unbestrittenen Tatsache abgeleitet, daß die beklagte Partei Eigentümerin des öffentlichen Gutes mit den darin verlegten Kanalsträngen, sohin benachbarter Grundflächen sei. Die beklagte Partei machte Unzulässigkeit des Rechtsweges geltend, weil die Kläger eine mangelhafte Ausführung des Kanalnetzes, dessen Betrieb der Hoheitsverwaltung zuzurechnen sei, behaupten. Das Begehren sei aber auch der Sache nach nicht gerechtfertigt. Für das unbefugte Öffnen der Schachtabdeckungen im Nahbereich der Liegenschaft der Kläger und das dadurch ermöglichte Eindringen von Oberflächenwässern in den Fäkalkanal könne die beklagte Partei nicht haftbar gemacht werden. Es sei der beklagten Partei nicht möglich, Vorkehrungen gegen ein solches unbefugtes Öffnen der Schachtdeckel zu treffen.

Das Erstgericht bejahte in den Gründen der Entscheidung die Zulässigkeit des Rechtsweges, wies jedoch das Klagebegehren ab. Es stellte fest, unbefugte, unbekannt gebliebene Personen hätten, vermutlich zur rascheren Ableitung der Niederschlagswässer, die 50 bis 70 kg schweren Schachtabdeckungen des Fäkalkanals geöffnet, wodurch große Mengen von Oberflächenwässer in den Fäkalkanal eingeflossen seien, der dadurch in einen Mischkanal umfunktioniert worden sei. Der auf die §§ 364 ff ABGB gestützte Ersatzanspruch sei nicht gerechtfertigt. Das Gesetz statuiere keine reine Erfolgshaftung, so daß der bloße Umstand, daß eine Einwirkung vom Nachbargrund ausgehe, den Nachbar noch nicht ersatzpflichtig mache. Voraussetzung für die Haftung sei, daß der Nachbar die Einwirkung geduldet habe, obwohl er sie zu hindern in der Lage gewesen wäre. Der eingetretene Schaden müsse für den Nachbarn auch objektiv kalkulierbar gewesen sein, was hier nicht zutreffe. Das Berufungsgericht gab der Berufung nicht Folge. Es erklärte die Revision nicht für zulässig. Das Berufungsgericht übernahm die Tatsachenfeststellungen des angefochtenen Urteils. Der Nachbar hafte zwar nach den §§ 364 ff ABGB für Fehler seiner Anlage, mag er sie auch nicht verschuldet haben, ebenso für Versagen seiner Leute, wenn dadurch eine typische Betriebsgefahr herbeigeführt wurde, nicht aber dann, wenn Immissionen durch Dritte ausgelöst werden, es sei denn, der Nachbar hätte deren Tätigkeit auf seiner Liegenschaft geduldet, obwohl er sie zu hindern berechtigt und imstande gewesen wäre, was jedenfalls Vorhersehbarkeit des Schadens voraussetze. Im vorliegenden Fall sei nicht ohne weiteres damit zu rechnen gewesen, daß Unbefugte die nach der Aktenlage 50 bis 70 kg schweren Kanalabschlußdeckel aufheben werden, um Oberflächenwässer den Abfluß in den Fäkalkanal zu ermöglichen. Es sei auch nicht hervorgekommen, daß zusätzliche Absicherungen dieser Deckel üblich wären. Auch der im Schadenersatzrecht anzuwendende Sorgfaltsmaßstab würde nicht die Verpflichtung begründen, für jeden irgendwie möglichen Zwischenfall Vorkehrungen zu treffen, so daß auch eine schadenersatzrechtliche Haftung zu verneinen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobenen außerordentlichen Revision der Kläger kommt Berechtigung nicht zu. Die gerügte Mangelhaftigkeit des Verfahrens erachtet der Oberste Gerichtshof nach Prüfung als nicht gegeben (§ 510 Abs. 3 letzter Satz ZPO).

Die Kläger stützen ihren Ersatzanspruch primär auf die Bestimmungen des Nachbarrechts. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach ausgesprochen, daß die §§ 364 ff ABGB, die dem Schutz des Nachbarn vor übermäßigen Einwirkungen, die von anderen Grundstücken ausgehen, dienen, auch im Verhältnis zwischen einem Privatgrundstück und einer öffentlichen Straße anzuwenden sind (SZ 55/105; SZ 52/79; SZ 51/184; SZ 43/139 u.a.); sie gelten auch für Schäden, die durch das Ausströmen von Abwässern aus einem Kanalnetz entstehen (SZ 52/79; SZ 51/184), jedenfalls insoweit, als sie aus der Art der Durchführung von Baumaßnahmen (Jabornegg, Bürgerliches Recht und Umweltschutz 85) und deren Folgen abgeleitet werden. Die im Bereich der Liegenschaft der Kläger auf Grund des Beschlusses des Bau- und Liegenschaftsausschusses der Landeshauptstadt Salzburg angelegten Kanäle sind behördlich genehmigte Anlagen iS des § 364 a ABGB, jedenfalls aber solche, die eine Analogie zu § 364 a ABGB rechtfertigen, so daß die beklagte Partei eine verschuldensunabhängige Haftung trifft (SZ 51/184). Der Anspruch nach den §§ 364, 364 a ABGB richtet sich gegen den Grundnachbarn. Für die Begründung der Haftung ist nicht erforderlich, daß der Nachbar selbst die störende Einwirkung herbeiführt. Verursacht sie ein anderer, so wird eine Haftung des Grundnachbarn von Rechtsprechung und Lehre dann als gerechtfertigt erachtet, wenn der Eigentümer die Einwirkung duldet, obwohl er sie zu hindern berechtigt und imstande gewesen wäre (MietSlg. 31.029; SZ 50/99;

EvBl. 1976/190; SZ 45/132; SZ 42/159; SZ 38/106; JBl. 1965, 417;

SZ 20/184; vgl. auch EvBl. 1982/93; Klang in Klang Komm. 2 II 169;

Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht 2 II 321). Hiezu wird allerdings, das Wesen des Nachbarrechts wohl verkennend, die Auffassung vertreten, daß es nicht überzeugen könne, als Störer denjenigen zu behandeln, der die schädliche Einwirkung zu hindern unterläßt, weil nicht von vornherein unterstellt werden dürfe, daß der Eigentümer verpflichtet sei, von seinem Grund ausgehende Eingriffe in fremdes Eigentum zu hindern (Jabornegg-Strasser, Nachbarrechtliche Ansprüche als Instrument des Umweltschutzes, 119, Jabornegg, aaO 37). Übereinstimmung herrscht aber darüber, daß die bloße Tatsache, daß eine von einem Dritten verursachte Immission vom Grundstück des Nachbarn ausgeht, diesen noch nicht verantwortlich macht (MietSlg. 31.029; SZ 38/106; Spielbüchler in Rummel, ABGB, Rdz 5 zu § 364; Jabornegg-Strasser a.a.O. 119, 132 f, 143;

Jabornegg a.a.O. 37, 49). Es wird ein gewisser Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Emission gefordert (Spielbüchler a.a.O. Rdz 5 zu § 364; JBl. 1977, 201 m. Anm. Hoyer).

Im vorliegenden Fall haben unbefugte Personen, also Personen die nicht mit der Betreuung des Kanalsystems der beklagten Partei betraut sind, die in Rede stehenden Kanaldeckel geöffnet und damit das Eindringen von Oberflächenwässern in den Fäkalkanal ermöglicht. Für das schadensstiftende Verhalten solcher dritter Personen kann die beklagte Partei nicht verantwortlich gemacht werden. Der beklagten Partei, die die Kanalanlagen im Rahmen ihrer Verpflichtung zur Daseinsvorsorge betreibt, kann vernünftigerweise nicht die Pflicht auferlegt werden, Vorkehrungen dagegen zu treffen, daß Kanaldeckel durch Unbefugte nicht geöffnet werden können. Eine öffentliche Straße ist schon ihrer Zweckbestimmung nach allgemein zugänglich; die Haftungsverpflichtung des Eigentümers des öffentlichen Gutes würde in unerträglicher Weise überspitzt, würde man ihn für jedes Verhalten, das unbefugte Dritte setzen, verantwortlich machen. Ist aber die Haftung der beklagten Partei für Einwirkungen, die von außenstehenden dritten Personen bewirkt werden, im vorliegenden Fall zu verneinen, so kann eine Prüfung der Frage, ob durch bauliche Maßnahmen die Folgen eines solchen Verhaltens dritter Personen verhindert werden könnten, unterbleiben. Auf den Rechtsgrund des Schadenersatzes können sich die Kläger nicht stützen, da sie im Verfahren erster Instanz klargestellt haben (S 14 d.A.), daß sie ihren Anspruch nicht aus der behördlichen Tätigkeit der beklagten Partei, sondern "aus der unbestrittenen Tatsache, daß die beklagte Partei Eigentümer des öffentlichen Gutes im unmittelbaren Bereich des Hauses mit darin befindlichen Kanalsträngen und Anlagen, sohin benachbarter Grundflächen ist", ableiten. Nur im Hinblick auf die Erklärung der Kläger, ihren Anspruch nicht aus der behördlichen Tätigkeit der beklagten Partei, sondern aus den Bestimmungen des Nachbarrechts abzuleiten, wurde die Zulässigkeit des Rechtsweges vom Erstgericht bejaht. Die Kläger können auch nicht geltend machen, daß die Kanalanlage der beklagten Partei deshalb mangelhaft sei, weil keine Rückstausicherung eingebaut wurde. Zum Unterschied von dem der Entscheidung SZ 51/184 zugrunde liegenden Fall war der Fäkalkanal im vorliegenden Fall ausreichend dimensioniert. Bei nicht zweckwidrigem Gebrauch der Anlage war eine Rückstausicherung im Hinblick auf die Dimensionierung des Kanals nicht erforderlich; mit einem zweckwidrigen Gebrauch mußte die beklagte Partei aber nicht rechnen. Soweit die Kläger geltend machen, die beklagte Partei wäre auf Grund des mit ihr begründeten Benützungsverhältnisses, das erhöhte Schutz- und Sorgfaltspflichten beinhalte, zum Einbau einer Rückstausicherung verpflichtet gewesen, seien sie außerdem darauf verwiesen, daß die Rechtsbeziehung der Kläger und der beklagten Partei in Ansehung der Benützung des Fäkalkanals nicht privatrechtlicher, sondern öffentlich-rechtlicher Natur ist, was sich insbesondere aus § 34 Abs 3 Salzburger Bautechnikgesetz, LGBl. 1976/75, ergibt, das einen Anschlußzwang der Anrainer an das Kanalnetz der beklagten Partei vorsieht (vgl. SZ 50/159; Loebenstein-Kaniak, Komm.z. AHG 2 Rz 319).

Demzufolge ist der Revision der Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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