European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0140OS00009.24S.0514.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.
In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, hinsichtlich des Schuldspruchs zu I/2 in der Annahme mehrerer Vergehen nach § 89 StGB und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und in diesem Umfang in der Sache selbst erkannt:
* S* hat durch die zu Schuldspruch I/2 beschriebene Tat das Vergehen der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB begangen und wird hiefür sowie für die ihm weiterhin zur Last liegenden Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (I/1), der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 zweiter Fall StGB (I/3), des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB (II) und des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs 1 erster Fall, 15, 12 zweiter Fall StGB (III) unter Anwendung von § 28 Abs 1 und § 39 Abs 1 StGB nach § 130 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von
drei Jahren
verurteilt.
Gemäß § 38 Abs 1 StGB wird die vonS* vom 16. August 2023, 10:58 Uhr, bis zum 17. November 2023, 11:49 Uhr, erlittene Vorhaft auf die verhängte Freiheitsstrafe angerechnet.
Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft im Übrigen wird verworfen.
Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf die Strafneubemessung verwiesen.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * S* jeweils mehrerer Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB (I/1 und 2), der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 „Abs 1 und 3 zweiter Fall“ (richtig: § 88 Abs 3 zweiter Fall [vgl Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 88 Rz 5]) StGB (I/3) und des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB (II) sowie eines Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs 1 erster Fall, 15, 12 zweiter Fall StGB (III) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er
I) am 18. Juli 2023 in V* als Lenker eines PKWs, nachdem er sich vor der Tat, wenn auch nur fahrlässig, durch den Genuss von Alkohol und den Gebrauch von Suchtgift in einen die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Rauschzustand versetzt hatte, obwohl er vorhersehen hätte können, dass ihm mit dem Lenken eines PKWs eine Tätigkeit bevorstand, deren Vornahme in diesem Zustand eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die körperliche Sicherheit eines anderen herbeizuführen oder zu vergrößern geeignet ist (§ 81 Abs 2 StGB), dadurch, dass er auf der Schnellstraße S1 (US 6)
1) in entgegengesetzter Fahrtrichtung mit einer Geschwindigkeit von rund 120 km/h einen Baustellenbereich durchfuhr und dabei einen Seitenabstand von nur wenigen Zentimetern zu einem Polizeifahrzeug einhielt, grob fahrlässig eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit und die körperliche Sicherheit der beiden im Fahrzeug befindlichen Polizisten herbeigeführt;
2) auf einer Wegstrecke von etwa 300 Metern im Baustellenbereich und über zwei Kilometer auf der Hauptfahrbahn entgegen der Fahrtrichtung fuhr, grob fahrlässig eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit und die körperliche Sicherheit von 14 Personen in entgegenkommenden Fahrzeugen, die nur durch rasche Brems- und Ausweichmanöver Zusammenstöße vermeiden konnten, herbeigeführt;
3) gegen die Fahrtrichtung fuhr und eine Kollision mit dem von * G* gelenkten PKW verursachte, fahrlässig Verletzungen herbeigeführt, und zwar
a) des * G*, der eine Prellung des rechten Unterarms erlitt;
b) des * O*, der eine Kopfprellung mit einer Blutunterlaufung der Weichteile im Augenhöhlenbereich rechts und einer Schnittwunde am rechten Augenoberlid sowie Prellungen und Hautabschürfungen am Mittel-, Ring- und Kleinfinger links, eine Stichwunde am rechten Unterschenkel mit Glasfremdkörpereinsprengung und Prellungen mit Hautabschürfungen an beiden Kniegelenken erlitt;
II) es am 18. Juli 2023 in V* unterlassen, G* und O*, deren Verletzungen am Körper er durch die unter I/3 beschriebene Handlung verursacht hatte, die erforderliche Hilfe zu leisten;
III) von 1. Juli 2023 bis 16. August 2023 gewerbsmäßig (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB) mit dem Vorsatz, sich durch die Zueignung fremder beweglicher Sachen unrechtmäßig zu bereichern,
1) fremde bewegliche Sachen weggenommen, und zwar
a) am 1. Juli 2023 in W* Verfügungsberechtigten des I* einen Flachbildfernseher im Wert von 414 Euro, indem er diesen an sich nahm und den Geschäftsbereich verließ, ohne zu bezahlen, wobei es aufgrund der Anhaltung durch eine Kassiererin beim Versuch blieb;
b) am 13. Juli 2023 in W* Verfügungsberechtigten einer Apotheke 125 Euro Bargeld, indem er dieses aus der Verkaufstheke nahm und die Apotheke verließ;
c) am 18. Juli 2023 in Se* Verfügungsberechtigten der U*, indem er den Geschäftsbereich mit einem mit Waren im Wert von 435,65 Euro befüllten Einkaufswagen verlassen wollte, ohne zu bezahlen, wobei es aufgrund seiner Betretung beim Versuch blieb;
d) am 16. August 2023 in G* Verfügungsberechtigten der P* diverse Büroartikel und einen Stabmixer im Gesamtwert von 180,33 Euro, indem er mit den Waren das Geschäft verließ, ohne diese zu bezahlen;
e) am 16. August 2023 in G* Verfügungsberechtigten des Unternehmens K* diverse Haushaltsartikel im Gesamtwert von 52,93 Euro, indem er das Geschäft verließ, ohne diese zu bezahlen;
f) am 18. Juli 2023 in Sc* Verfügungsberechtigten der Tankstelle St* GmbH diverse Getränke, sieben Brieflose, eine H7 Lampe und einen Sonax Scheibenreiniger im Gesamtwert von 56,04 Euro, indem er das Geschäft verließ, ohne diese zu bezahlen;
2) die unmündige * K* durch die Aufforderung, mit den Waren das Lokal zu verlassen, ohne diese zu bezahlen, dazu bestimmt, fremde bewegliche Sachen wegzunehmen, und zwar
a) am 1. Juli 2023 in St. * Verfügungsberechtigten der U* Waren im Wert von 289 Euro;
b) am 1. Juli 2023 in W* Verfügungsberechtigten des I* eine Schultasche im Wert von 69,90 Euro;
c) am 16. August 2023 in G* Verfügungsberechtigten des Unternehmens P* einen Kinderteppich, zwei Packungen SLIM‑Paste und eine Packung Flashing‑Glitter im Gesamtwert von 19,46 Euro.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen richten sich Nichtigkeitsbeschwerden, die der Angeklagte auf Z 4 und die Staatsanwaltschaft auf Z 5, 8 und 10 je des § 281 Abs 1 StPO stützen. Letzterer kommt teilweise Berechtigung zu.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:
[4] Der Verfahrensrüge (Z 4) zuwider wurden durch die Abweisung (ON 43.2, 14) des Antrags auf Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens zum Beweis dafür, „ob der Angeklagte zum Tatzeitpunkt überhaupt handlungsfähig war und vor allem zu der Frage, ob er aufgrund dieses regelmäßigen Morphiumkonsums überhaupt in der Lage war, abzuschätzen, in welchen Zustand er dadurch versetzt wird, um weitere Straftaten zu begehen, gemeint, ob ihn dieser permanente Morphiumkonsum so in seiner Wahrnehmung beeinträchtigt, dass er noch eine Fahrlässigkeit abschätzen kann“ (ON 43.2, 2 f), Verteidigungsrechte nicht beeinträchtigt. Denn der Antrag war schon nach seinem Wortlaut auf bloße Erkundungsbeweisführung gerichtet (vgl aber RIS‑Justiz RS0118123; vgl im Übrigen zum Begriff Handlungsfähigkeit unter dem Aspekt voller Berauschung RIS‑Justiz RS0089858).
[5] Das in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Ergänzung des Beweisthemas und zur Antragsfundierung Nachgetragene unterliegt dem Neuerungsverbot (RIS‑Justiz RS0099618) und ist daher einer inhaltlichen Erwiderung nicht zugänglich.
[6] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:
[7] Zu I/1 des Schuldspruchs leiteten die Tatrichter die Negativfeststellung zum Vorliegen eines auf die Anwendung von Gewalt gerichteten Vorsatzes (US 7) vor allem aus dem Umstand ab, dass der Angeklagte auf die Lücke zwischen dem Polizeifahrzeug und der Leitschiene, nicht aber auf die Polizisten selbst zusteuerte (US 14 f). Einen Verstoß gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze vermag die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) mit der bloßen Behauptung einer Scheinbegründung nicht aufzuzeigen (vgl RIS‑Justiz RS0118317).
[8] Der weiteren Mängelrüge (Z 5 dritter Fall, nominell vierter Fall) zuwider sind das (fahrlässige) Herbeiführen einer konkreten Gefahr für das Leben, die Gesundheit und die körperliche Sicherheit der Polizisten (US 7) sowie die vom Angeklagten gewollte Flucht (US 7 und 14 f) mit der kritisierten Negativfeststellung zum Vorsatz des Angeklagten nach Maßgabe der Denkgesetze und allgemeiner Lebenserfahrung sehr wohl vereinbar (RIS‑Justiz RS0117402 [insbes T12]).
[9] Dem verneinten Vorsatz steht – entgegen dem Einwand unvollständiger Begründung (Z 5 zweiter Fall, nominell vierter Fall) – auch die Aussage des Zeugen * N*, wonach er gerade aussteigen habe wollen, als der Angeklagte am Polizeifahrzeug vorbeigefahren sei, er aber wegen des raschen Geschehensablaufs nicht mehr dazu gekommen sei (ON 43.2, 26), nicht erörterungsbedürftig entgegen (RIS‑Justiz RS0098646 [T8]).
[10] Das dazu weiters kritisierte Fehlen von Feststellungen zum von N* beabsichtigten Aussteigen aus dem Polizeifahrzeug (Z 10, nominell auch Z 5 vierter Fall) bezieht sich auf keine für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage entscheidende Tatsache.
[11] Zu I/2 des Schuldspruchs begründeten die Tatrichter die Negativfeststellung zur subjektiven Tatseite in Ansehung des Eintritts einer Gefahr iSd § 176 Abs 1 StGB (US 9) mit dem aus nicht vorhandenen Ortskenntnissen abgeleiteten Fehlen „konkrete[r] Vorstellungen“ zum Verkehrsaufkommen (US 16). Indem die Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) andere Schlüsse zieht, spricht sie keinen Begründungsmangel iSd Z 5 an (vgl RIS‑Justiz RS0099455).
[12] Die weitere dazu unter Hinweis auf die Videoaufzeichnung vom Verkehrsunfall mit G* erfolgte Kritik einer Scheinbegründung legt abermals keinen Verstoß gegen die Denkgesetze oder grundlegende Erfahrungssätze dar. Vielmehr bekämpft die Beschwerde bloß die tatrichterliche Beweiswürdigung.
[13] Soweit die Beschwerde eine Verletzung des § 262 StPO behauptet, übersieht sie, dass nur der Angeklagte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 8 StPO) aus einem solchen Verstoß ableiten kann (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 528, 545).
[14] Indem die Subsumtionsrüge (Z 10) zu I/2 einen Schuldspruch (auch) nach § 105 Abs 1 StGB anstrebt und dazu das Fehlen von (nicht bezeichneten) Feststellungen zur objektiven Tatseite geltend macht, aber nicht auf konkrete Verfahrensergebnisse, sondern auf die Feststellungen des Erstgerichts verweist, verfehlt sie die Ausrichtung am Verfahrensrecht (RIS‑Justiz RS0118580 [T29], RS0118342).
[15] Die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft war daher in diesem Umfang zu verwerfen.
[16] Hingegen ist die zu Schuldspruch I/2 eine rechtliche Unterstellung der Tat unter § 177 Abs 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge (Z 10) im Recht:
[17] Dem Urteilssachverhalt zufolge kamen dem Angeklagten in den elf Sekunden vor der Kollision mit G* (weitere) elf Fahrzeuge mit (im Zweifel) jeweils einem Insassen entgegen, wobei zwischen dem achten und neunten Fahrzeug ein Abstand von zumindest zwei Sekunden bestand (US 8). Der Angeklagte und zehn der anderen elf Verkehrsteilnehmer verhinderten mit ruckartigen Lenkbewegungen sowie Brems- und Ausweichmanövern einen Zusammenstoß. Es lag die konkrete und „geradezu“ wahrscheinliche Gefahr von Kollisionen mit diesen Fahrzeugen und Verletzungen der jeweiligen Fahrzeuglenker vor (US 8). Es war auf „bloßes Glück“ zurückzuführen, dass sämtliche Fahrzeuglenker sowohl richtig reagierten als auch, dass durch die ruckartigen Fahrmanöver Kettenreaktionen unterblieben und sämtliche Fahrzeuglenker intuitiv oder zufällig auf die richtige Seite auswichen (US 15). Im Zeitpunkt der Kollision mit dem zwölften Fahrzeug der Kolonne befanden sich vier weitere Fahrzeuge hinter G* im Abstand von wenigen Metern, deren Lenker Zusammenstöße mit den infolge der Kollision zum Stillstand gekommenen Fahrzeugen nur durch unmittelbare starke Bremsmanöver verhindern konnten (US 8). Die Fahrgeschwindigkeit der Beteiligten war beträchtlich (US 15).
[18] Tatbestandsvoraussetzung des § 177 Abs 1 StGB ist die Herbeiführung einer Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen (die nach der Rsp ab einem Richtwert von etwa zehn Personen gegeben ist; RIS‑Justiz RS0066542 [T5]). Eine konkrete Gemeingefährdung von Personen setzt dabei voraus, dass die größere Zahl von Menschen gleichzeitig in den Gefahrenradius gerät und eine kumulative Verletzungsmöglichkeit vorliegt. Eine bloß sukzessive Gefährdung genügt demnach nicht (RIS‑Justiz RS0118702).
[19] Davon ausgehend zeigt die Subsumtionsrüge (Z 10) zutreffend auf, dass dem Erstgericht bei der (rechtlichen) Verneinung einer Gefahr für Leib oder Leben einer größeren Zahl von Menschen ein Rechtsfehler unterlaufen ist. Denn ausgehend von den Feststellungen zum Verkehrsaufkommen auf der Schnellstraße S1 im Tatzeitpunkt (16 in einer Kolonne fahrende Fahrzeuge), zum Abstand zwischen den Fahrzeugen (elf Sekunden Fahrzeit des Angeklagten in entgegengesetzter Richtung vom ersten bis zum elften Fahrzeug der Kolonne; Abstand von wenigen Metern der vier weiteren, dem verunfallten zwölften Fahrzeug nachfolgenden Fahrzeuge), zu deren Fahrgeschwindigkeit („beträchtlich“) und zu den ruckartigen Ausweich- und starken Bremsmanövern der beteiligten Lenker führte der Angeklagte – entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts – den von § 177 Abs 1 StGB verlangten Erfolg (vgl Flora, SbgK § 177 Rz 2; zu § 89 StGB Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 89 Rz 6) herbei (vgl zur Gemeingefährdung durch „Geisterfahrer“ zufolge der Gefahr einer Massenkarambolage im Übrigen Flora, SbgK § 176 Rz 17; Murschetz in WK2 StGB § 176 Rz 3 je mwN; RIS‑Justiz RS0112519). Eine größere Zahl von Menschen läge im konkreten Fall im Übrigen – entgegen den rechtlichen Erwägungen des Erstgerichts (US 18) – auch bei nur neun (iSd § 177 Abs 1 StGB gefährdeten) Personen vor (vgl RIS‑Justiz RS0066542 [T1, T7]).
[20] Demnach wäre die zu I/2 des Schuldspruchs dargestellte Geisterfahrt nicht – wie vom Erstgericht vorgenommen – mehreren Vergehen der Gefährdung der körperlichen Sicherheit nach § 89 StGB, sondern einem aufgrund des größeren Gefährdungsumfangs durch eine intensivere Rechtsgutbeeinträchtigung gekennzeichneten Vergehen der fahrlässigen Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB zu subsumieren gewesen (vgl zum Verhältnis dieser strafbaren Handlungen stellvertretend für die hM Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 89 Rz 48 mwN; aA Hinterhofer/Rosbaud, BT II7 §§ 176, 177 Rz 18; siehe zum Scheinkonkurrenztypus der Subsidiarität weiter unten).
[21] Aufgrund dieses Nichtigkeit gemäß § 281 Abs 1 Z 10 StPO begründenden Subsumtionsfehlers war – im Einklang mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Schuldspruchs zu I/2 in der Annahme mehrerer Vergehen nach § 89 StGB und demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufzuheben und in diesem Umfang auf Basis der – mängelfreien (Z 5) und keinen erheblichen Bedenken begegnenden (Z 5a) – Urteilsfeststellungen, die vom Angeklagten weder in der Gegenausführung zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, noch in seiner Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur beanstandet wurden, wie aus dem Spruch ersichtlich in der Sache selbst zu erkennen (§ 288 Abs 2 Z 3 StPO).
[22] Bei der durch die Aufhebung des Strafausspruchs erforderlichen Entscheidung über die Straffrage war zu beachten, dass dem Schuldspruch zu II nicht geltend gemachte Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 10 StPO) anhaftet:
[23] Aus der gesetzlichen Verpflichtung (nur) zur erforderlichen Hilfeleistung ergibt sich, dass nicht jeder Verletzte (oder an der Gesundheit Geschädigte) als Tatobjekt des § 94 StGB in Betracht kommt, sondern nur derjenige, der aufgrund dieser Verletzung objektiv hilfsbedürftig ist. Eine Verletzung am Körper indiziert zwar in der Regel die Hilfsbedürftigkeit des Opfers, dies gilt jedoch nicht für Bagatellverletzungen (wie unbedeutende Hautabschürfungen, Schnittwunden, Prellungen etc – vgl RIS‑Justiz RS0093466, RS0093506; Jerabek/Ropper in WK² StGB § 94 Rz 19 f).
[24] Die Feststellungen zur von G* unfallskausal erlittenen Prellung des rechten Unterarms, zu seiner nicht konkretisierten „Konstitution“ und zu seiner „Erstversorgung“ durch einen Rettungssanitäter (US 9) tragen die vorgenommene Subsumtion unter § 94 Abs 1 StGB somit nicht (vgl zur Frage des Versuchs mit Blick auf die konstatierte subjektive Tatseite in Ansehung der Hilfsbedürftigkeit des G* [US 10] Jerabek/Ropper in WK² StGB § 94 Rz 46).
[25] Zu einer amtswegigen Wahrnehmung dieses in der Annahme eines (idealkonkurrierenden) zweiten Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach § 94 Abs 1 StGB gelegenen Rechtsfehlers mangels Feststellungen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) bestand kein Anlass, weil er sich weder bei der Strafrahmenbildung (nach § 130 Abs 1 StGB) noch bei der Strafbemessung (US 19) ausgewirkt hat. Angesichts dieser Klarstellung war der Oberste Gerichtshof bei der Entscheidung über die Straffrage an den insoweit fehlerhaften Schuldspruch nicht gebunden (RIS‑Justiz RS0118870 [T24]).
[26] Bei dieser war zu berücksichtigen, dass der (am * 1987 geborene) Angeklagte (unter anderem) mit Urteil des Bezirksgerichts Trnava vom 18. Dezember 2018 wegen „Diebstahls“ zu einer unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt wurde, die er bis zum 7. Jänner 2021 teilweise verbüßte (US 4). Weiters verurteilte ihn das Landesgericht für Strafsachen Graz am 18. März 2022 (Tag der letzten Tat: 2. Februar 2022) wegen „schweren, gewerbsmäßigen Diebstahls“ ebenfalls zu einer unbedingten Freiheitsstrafe, die er bis zum 24. Dezember 2022 verbüßte (US 4). Aufgrund der daher nach § 39 Abs 1 StGB (zwingend) erweiterten Strafbefugnis war von einem Strafrahmen von bis zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe auszugehen (§ 130 Abs 1 iVm § 39 Abs 1 StGB).
[27] Im Rahmen allgemeiner Strafbemessungserwägungen (§ 32 Abs 3 StGB) fällt die teilweise Ausfolgung der Beute zu III/1/d sowie III/2/c (US 19) zu Gunsten des Angeklagten (vgl 14 Os 120/20h; Riffel in WK² StGB § 34 Rz 33), die Bestimmung einer Unmündigen zur Ausführung der Diebstähle (III/2) zu dessen Nachteil ins Gewicht. Als mildernd waren der teilweise Versuch (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB), hingegen als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer Vergehen (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), die Tatwiederholungen zu III des Schuldspruchs (§ 33 Abs 1 Z 1 StGB), die zahlreichen, größtenteils einschlägigen Vorverurteilungen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) und der rasche, einschlägige Rückfall (RIS‑Justiz RS0091041, RS0091749) zu werten.
[28] Dem Berufungsvorbringen des Angeklagten zuwider war der durch Suchtgift und Alkohol beeinträchtigte Zustand des Angeklagten mit Blick auf § 35 StGB nicht mildernd zu berücksichtigen (vgl RIS‑Justiz RS0091056). Eine – von der Berufung unsubstantiiert behauptete – unangemessen lange Dauer des Verfahrens (§ 34 Abs 2 StGB) liegt nicht vor.
[29] Davon ausgehend entspricht unter Berücksichtigung des Handlungs-, Gesinnungs- und Erfolgsunwerts der Taten eine Freiheitsstrafe von drei Jahren dem Unrechts- und Schuldgehalt derselben sowie der Täterpersönlichkeit.
[30] Aufgrund des raschen Rückfalls und der zahlreichen Vorverurteilungen bestand die von § 43a Abs 4 StGB für eine teilbedingte Strafnachsicht geforderte hohe Wahrscheinlichkeit künftigen Wohlverhaltens nicht.
[31] Die Anrechnung der Vorhaftzeiten gründet sich auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB. Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in der Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 Abs 1 StPO der Vorsitzende des Erstgerichts mit Beschluss zu entscheiden (RIS‑Justiz RS0091624; Lässig, WK‑StPO § 400 Rz 1).
[32] Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf die Strafneubemessung zu verweisen.
[33] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
[34] Bleibt zur Stellungnahme der Generalprokuratur, wonach ein Schuldspruch nach § 88 Abs 3 StGB neben jenem nach § 177 Abs 1 StGB nicht in Betracht kommt (so auch Flora, SbgK § 177 Rz 15; Kienapfel/Schmoller, BT III² §§ 169–170 Rz 64; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 177 Rz 7; Murschetz in WK² StGB § 177 Rz 3), Folgendes zu bemerken:
[35] Exklusivität im Verhältnis von fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 3 StGB und fahrlässiger Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB kommt nicht in Betracht, weil diese Tatbestände nicht – wie für Exklusivität erforderlich – einander widerstreitende Merkmale enthalten (14 Os 172/11t, EvBl 2012/163, 1094 [verst Senat]; RIS‑Justiz RS0128225; Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 3; Schmollmüller, SbgK § 28 Rz 91).
[36] Ist demnach – wie hier – ein Sachverhalt mehreren Tatbeständen zu subsumieren, setzt die Verdrängung eines dieser Tatbestände das Vorliegen eines Scheinkonkurrenzverhältnisses voraus. Dabei unterscheiden Rechtsprechung und Lehre zwischen den Scheinkonkurrenztypen der Spezialität, der (ausdrücklichen oder stillschweigenden) Subsidiarität und der Konsumtion.
[37] Spezialität liegt vor, wenn zwei strafbare Handlungen im Verhältnis von Gattung und Art stehen, also die eine sämtliche Merkmale der anderen enthält, darüber hinaus aber noch mindestens ein zusätzliches Merkmal (RIS‑Justiz RS0091146). Sie kommt ausschließlich als Form scheinbarer Idealkonkurrenz vor (14 Os 172/11t, EvBl 2012/163, 1094 [verst Senat]; Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 25 und 32; Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 28 Rz 28). Da die Begehungsweisen des § 88 Abs 3 StGB, bei dem es sich um eine (selbständige) Handlungsqualifikation handelt, gegenüber jener des § 177 Abs 1 StGB zusätzliche Elemente enthalten (vgl Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 81 Rz 28 und § 88 Rz 90 f; Hinterhofer/Rosbaud, BT II7 §§ 176, 177 Rz 7; Kienapfel/Schroll, BT I5 § 81 Rz 44 mwN und [schon zur Rechtslage vor Inkrafttreten des BGBl I 2015/112] Kienapfel/Schmoller, BT III² §§ 176–177 Rz 11; gegenteilig zur Rechtslage vor Inkrafttreten des BGBl I 2015/112 12 Os 17/97), scheidet bereits aus diesem Grund Spezialität von fahrlässiger Gemeingefährdung (§ 177 Abs 1 StGB) im Verhältnis zu fahrlässiger Körperverletzung (§ 88 Abs 3 StGB) aus. Denn § 177 Abs 1 StGB stellt gerade nicht auf einen gesteigerten Gefährlichkeitsgrad der Handlung ab, verlangt also weder grobe Fahrlässigkeit (§ 6 Abs 3 StGB) noch fahrlässiges Versetzen in einen Minderrausch. Aus dem Verweis in § 177 Abs 1 StGB auf § 89 StGB ergibt sich lediglich die Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals „Gefahr für Leib und Leben“. Der Auslegung dieses Verweises dahingehend, dass dadurch das Erfordernis eines höheren Schweregrades der Handlung normiert sei, steht der geschilderte Wortlaut des § 177 Abs 1 StGB entgegen (aA Leukauf/Steininger/Tipold, StGB4 § 176 Rz 6 und § 177 Rz 7, wonach § 177 Abs 1 StGB die Herbeiführung einer Gemeingefahr unter besonders gefährlichen Verhältnissen nach § 81 Z 1 StGB idF vor BGBl I 2015/112 voraussetze; Schwaighofer,PK‑StGB § 176 Rz 6, der den Verweis auf § 89 StGB als Verweis auf dessen dritten Fall versteht; Murschetz in WK² StGB § 176 Rz 2 und § 177 Rz 2 f,die mit systematischen Erwägungen aus §§ 169 ff StGB auf ein ungewöhnliches und auffallend sorgfaltswidriges Verhalten des Täters abstellt, obwohl die §§ 170, 172, 174 StGB ebenfalls bloß fahrlässiges Verhalten genügen lassen; Flora, SbgK § 176 Rz 11 f). Im Übrigen liegt Spezialität von § 88 Abs 3 StGB zu § 177 Abs 1 StGB ebenso wenig vor, weil die Tatbestände einen unterschiedlichen Erfolg voraussetzen.
[38] Subsidiarität ist gegeben, wenn die scheinbar zusammentreffenden strafbaren Handlungen erkennen lassen, dass eine davon nur begründet sein soll, wenn nicht eine andere begründet ist. Im Fall einer gesetzlichen Subsidiaritätsklausel liegt ausdrückliche, sonst stillschweigende Subsidiarität vor (Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 36).
[39] Mangels in § 88 Abs 3 StGB enthaltener Subsidiaritätsklausel ist bloß das allfällige Vorliegen stillschweigender Subsidiarität zu prüfen. Sie kommt insbesondere bei Rechtsgutbeeinträchtigungen in unterschiedlichen Intensitätsgraden oder verschiedenen Entwicklungsstadien vor (Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 Rz 38.28). Maßgeblich ist – im Gegensatz zur Konsumtion – das abstrakte Verhältnis der strafbaren Handlungen zueinander (14 Os 172/11t, EvBl 2012/163, 1094 [verst Senat]; vgl erneut RIS‑Justiz RS0128225; Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, 393 [398]; Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 36; Schmollmüller, SbgK § 28 Rz 57), wobei vor allem teleologische und systematische Erwägungen von Bedeutung sind (vgl Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 53). In der Regel geht die weniger intensive Rechtsgutbeeinträchtigung in der intensiveren, das frühere Entwicklungsstadium im späteren auf (Kienapfel/Höpfel/Kert, AT16 Rz 38.28; Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 30 [insbes zum Verhältnis von Gefährdungs- gegenüber Verletzungsdelikten], 41, 44, 46, 49).
[40] Davon ausgehend spricht daher bereits der Umstand, dass es sich bei § 88 Abs 3 StGB – im Gegensatz zu § 89 StGB – um ein Verletzungsdelikt handelt, gegen dessen Verdrängung durch das (konkrete) Gefährdungsdelikt nach § 177 Abs 1 StGB. Zudem weisen die in Rede stehenden strafbaren Handlungen eine unterschiedliche Schutzfunktion auf. Geht es bei fahrlässiger Körperverletzung nach § 88 Abs 3 StGB um das Rechtsgut einer einzelnen Person, kommt es bei fahrlässiger Gemeingefährdung nach § 177 Abs 1 StGB auf den Schutz einer Vielzahl von Einzelrechtsgütern an, die in ihrer Gesamtheit das Rechtsgut Allgemeinheit repräsentieren (Flora, SbgK Vorbem §§ 169–179, 187 StGB Rz 10 ff [insbes Rz 12]).
[41] Vor dem Hintergrund dieser Erwägungen ergibt sich daher nach dem abstrakten Verhältnis der strafbaren Handlungen zueinander gerade nicht die Verdrängung der einen durch die andere, sodass keine stillschweigende Subsidiarität vorliegt.
[42] Das Scheinkonkurrenzverhältnis der Konsumtion lässt sich (anders als jenes der Subsidiarität) nicht allein durch das abstrakte Verhältnis der jeweiligen strafbaren Handlungen zueinander erklären, sondern erfordert zusätzlich die Berücksichtigung der konkreten Umstände des Tatgeschehens. Konsumtion setzt also ein kriminologisches Naheverhältnis voraus, von dem angenommen werden kann, der Gesetzgeber habe es bei der Aufstellung der Strafsätze berücksichtigt (Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 57; Schmollmüller, SbgK § 28 Rz 68; vgl auch Burgstaller, JBl 1978, 393 [459]). Von den insoweit unterschiedenen Fallgruppen der straflosen Vortat, der straflosen Nachtat und der typischen Begleittat ist mit Blick auf den konkreten Sachverhalt nur das Vorliegen der Letztgenannten zu prüfen.
[43] Eine typische „Begleittat“ liegt vor, wenn die Verwirklichung einer bestimmten strafbaren Handlung regelmäßig mit der Erfüllung einer anderen verbunden ist und diese im Verhältnis zu jener einen wesentlich geringeren Unwertgehalt aufweist, sodass sie ihr gegenüber nicht ins Gewicht fällt und insoweit kein Strafbedürfnis besteht (RIS‑Justiz RS0091179, RS0091453; Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 58; Burgstaller, JBl 1978, 459 f). Da die Typizität entscheidend ist (vgl RIS‑Justiz RS0091453 [T6]; Ratz in WK² StGB Vorbemerkungen zu §§ 28–31 Rz 59) und die Verletzung einer Einzelperson am Körper nicht typischerweise mit der Gefährdung einer Vielzahl von Verkehrsteilnehmern im Zuge einer Geisterfahrt einhergeht, scheidet auch Konsumtion aus.
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