OGH 2Ob50/24b

OGH2Ob50/24b23.4.2024

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Grohmann als Vorsitzende sowie die Hofräte MMag. Sloboda, Dr. Thunhart, Dr. Kikinger und die Hofrätin Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei C*, vertreten durch BRANDL TALOS Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei COVID‑19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH, Taborstraße 1–3/OG 14, Wien 2, vertreten durch ALTHUBER SPORNBERGER & PARTNER Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 100.000 EUR sA, über den Rekurs der Beklagten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 30. Juni 2023, GZ 2 R 63/23h‑17, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 15. Februar 2023, GZ 14 Cg 30/22d‑11, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0020OB00050.24B.0423.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

I. Das Rekursverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.

II. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin wurde 2016 – noch unter anderem Firmenwortlaut – als bloße Vorratsgesellschaft ohne operative Tätigkeit im Firmenbuch eingetragen. Die R* AG beabsichtigte bereits im April 2018, in K* einen Produktionsstandort für hochwertige Cannabisprodukte aufzubauen. Zur Umsetzung dieses Vorhabens übernahm sie mit 18. 4. 2018 die Klägerin als Alleingesellschafterin. Mit Beitritts- und Übernahmeerklärung vom 4. 9. 2018 traten drei natürliche Personen der Klägerin als Gesellschafter bei. Zum 7. 9. 2018 wurde der Firmenwortlaut geändert. Im Gewerbeinformationssystem erfolgte mit 19. 9. 2018 die Eintragung der Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe „Handelsgewerbe mit Ausnahme der reglementierten Handelsgewerbe“, mit 29. 10. 2019 für das reglementierte Gewerbe „Herstellung von Arzneimitteln und Giften und Großhandel mit Arzneimitteln und Giften“. Spätestens seit Ende des Jahres 2018 begann die Klägerin mit Mitteln aus dem Konzernverband, den Produktionsbetrieb (Lagerhalle samt zur Produktion erforderliche Doppelzellen) in K* aufzubauen. Die Serienproduktion sollte ursprünglich Anfang des Jahres 2020 aufgenommen werden. Bereits im Jahr 2019 waren jedenfalls zeitweise mehr als zehn Personen (neben technischen Experten auch Arbeitspersonal) bei der Klägerin angestellt. In diesem Zeitraum wurden erste Testchargen zur Überprüfung des Produktionsvorganges und zur Kalibrierung durchgeführt. Die Klägerin erwarb bereits 2019 die für die spätere Herstellung der Produkte erforderlichen Materialien. Eine Serienproduktion oder ein tatsächlicher Verkauf der Waren an Kunden erfolgte im Jahr 2019 noch nicht. Die Klägerin erzielte im Geschäftsjahr 2019 (1. 1. 2019 bis 31. 12. 2019) lediglich ganz geringfügige, sonstige betriebliche Erträge in Höhe von 880,01 EUR.

[2] Aufgrund lieferbedingter Verzögerungen hätte die Klägerin ihre Serienproduktion schließlich nicht wie geplant bereits im Jänner 2020, sondern erst rund zwei Monate später starten können. Sie nahm von diesem Vorhaben jedoch aufgrund der COVID‑19‑Maßnahmen (Lockdown) Abstand. Tatsächlich erzielte sie im gesamten Jahr 2020 (ausschließlich im Oktober) Umsätze in Höhe von nur 3.232 EUR.

[3] Die Klägerin beantragte am 6. 4. 2021 nach der auf Grundlage des § 3b Abs 3 des ABBAG‑Gesetzes erlassenen Verordnung „Richtlinien über die Gewährung eines Verlustersatzes durch die COVID‑19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG)“ – Verordnung über die Gewährung eines Verlustersatzes (VEVO) samt im Anhang befindlicher Richtlinien (RL‑VEVO; BGBl II 568/2020) in der Tranche 1 Verlustersatz in Höhe von 876.140,37 EUR für den Betrachtungszeitraum 16. 9. 2020 bis 30. 6. 2021. Als neu gegründetes Unternehmen könne sie mangels vergleichbarer Umsätze im Vergleichszeitraum 2019 den Verlustersatz gemäß Pkt 4.5.1 RL‑VEVO anhand einer Planungsrechnung berechnen. Diese nahm für den Betrachtungszeitraum einen Umsatz von 4.610.701 EUR an. Tatsächlich erwirtschaftete die Klägerin in diesem Zeitraum lediglich 74.418 EUR.

[4] Die Beklagte lehnte den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass es sich bei der Klägerin um keine Neugründung handle und daher die Voraussetzungen für die Erstellung einer Planungsrechnung nicht vorlägen.

[5] Über den am 31. 3. 2022 im Rahmen der Tranche 2 abermals auf eine Planungsrechnung gestützten Antrag der Klägerin auf Verlustersatz hat die Beklagte noch nicht entschieden.

[6] Die Klägerin begehrt die Zahlung von 100.000 EUR als Teilbetrag des von ihr beantragten Verlustersatzes der Tranche 1. Die Ablehnung ihres Antrags sei aus unsachlichen Gründen erfolgt. Unter Zugrundelegung der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise handle es sich bei der Klägerin um eine Neugründung gemäß Pkt 4.5.1 RL‑VEVO, weil sie erst im Jahr 2019 begonnen habe, ihr Unternehmen aufzubauen. Voraussetzung für den Nachweis des Verlusts durch eine Planungsrechnung sei aber ohnehin lediglich das Fehlen vergleichbarer umsatz- oder ertragssteuerlicher Daten aus dem Jahr 2019 sowie das Lukrieren von Umsätzen vor dem 1. 11. 2020. Die Beklagte selbst verweise in Pkt 1.15 ihrer öffentlich abrufbaren Website in den FAQ auf die Möglichkeit der analogen Anwendung von Pkt 4.5.1 RL‑VEVO auf Unternehmen, deren Rechtsträger nicht neu gegründet worden seien.

[7] Die Beklagte wendet – soweit im Rekursverfahren relevant – im Wesentlichen ein, nur nach dem 31. 12. 2019 gegründete Unternehmen seien Neugründungen iSd Pkt 4.5.1. Pkt 1.15 der als AGB der privatrechtlichen Förderverträge zu wertenden FAQ beziehe sich nur auf Unternehmen, die bereits vor 2020 Umsätze erzielt hätten, bei denen jedoch die Umsatzdaten nicht vergleichbar seien. Die Klägerin habe aber gar nicht geplant, im Jahr 2019 schon Umsätze zu erzielen.

[8] Das Erstgericht wies die Klage ab. Die nachträglich durch die Beklagte erstellten FAQ seien keine über den Richtlinien der Verordnung stehende, diese verändernde Rechtsquelle. Bei der Klägerin handle es sich um keine Neugründung iSd Pkt 4.5.1 der RL‑VEVO, weil die Gründung jedenfalls schon mit der Übernahme der Vorratsgesellschaft anzunehmen sei. Es lägen ohnehin vergleichbare Daten für das Geschäftsjahr 2019 vor, die aber keinen Anspruch auf Verlustersatz begründeten.

[9] Das Berufungsgericht hob das von der Klägerin angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Dem Begriff der Neugründung komme keine maßgebliche Bedeutung zu. Entscheidend sei lediglich, dass das Unternehmen vor dem 1. 11. 2020 Umsätze erzielt habe und keine vergleichbaren umsatz- oder ertragssteuerlichen Daten für 2019 vorlägen. Mangels „normalen“ Geschäftsbetriebs im Jahr 2019 seien aber noch keine vergleichbaren Daten vorhanden. Die Klägerin könne daher ihre Umsätze anhand einer Planungsrechnung plausibilisieren. Da sie erstmals im Oktober 2020 Umsätze erwirtschaftet habe, scheide eine Antragstellung für die Monate September und Oktober 2020 jedoch aus, was noch zu erörtern sei. Das Erstgericht habe im weiteren Verfahren die Planungsrechnung einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen. Den Rekurs an den Obersten Gerichtshof ließ das Berufungsgericht zur Auslegung des Pkt 4.5.1 der RL-VEVO zu, weil Rechtsprechung zu dieser über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Frage fehle.

[10] Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben, in eventu, die Entscheidung des Erstgerichts wiederherzustellen.

[11] Die Klägerin beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[12] Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber im Ergebnis nicht berechtigt.

[13] Die Beklagte argumentiert zusammengefasst, Pkt 4.5.1 RL‑VO könne nicht isoliert von der auf Neugründungen abstellenden Überschrift gelesen werden. Die Klägerin sei bereits 2018 „gegründet“ worden. Sie habe sich bewusst dafür entschieden, die operative Tätigkeit erst 2020 aufzunehmen, weshalb 2019 mit einem operativen Betrieb vergleichbare Umsätze fehlten. Mangels Neugründung könne sie ihren Umsatzverlust nicht durch eine Planungsrechnung plausibilisieren.

1. Grundsätzliches

[14] 1.1 Nach Ausbruch der Corona‑Pandemie wurde mit dem COVID‑19 Gesetz (BGBl I 2020/12) das ABBAG‑Gesetz (Stammfassung BGBl I 2014/51) zur Ermöglichung finanzieller Hilfen an Unternehmen in mehreren Punkten ergänzt. Insbesondere wurde der Bundesminister für Finanzen in § 3b Abs 3 ABBAG‑Gesetz ermächtigt, mit Verordnung Richtlinien zur Gewährung finanzieller Unterstützungen zu erlassen. Diese Bestimmung war auch die Grundlage für die hier relevante Verordnung.

[15] Gemäß § 6a Abs 2 ABBAG‑Gesetz wurde – auf Basis von § 2 Abs 2a dieses Gesetzes – über Auftrag des Bundesministers für Finanzen die Beklagte gegründet und dieser die Erbringung der Dienstleistungen und finanziellen Maßnahmen gemäß § 2 Abs 2 Z 7 ABBAG‑Gesetz übertragen. Der Bund stattet die Beklagte so aus, dass diese in der Lage ist, die ihr übertragenen kapital- und liquiditätsstützenden Maßnahmen bis zu einem Höchstbetrag von 19 Milliarden Euro zu erbringen und ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen.

[16] Gemäß § 3b Abs 2 ABBAG‑Gesetz besteht auf die Gewährung von finanziellen Maßnahmen kein Rechtsanspruch.

[17] 1.2 Mit Erkenntnis vom 5. 10. 2023, G 265/2022, hob der Verfassungsgerichtshof § 2 Abs 1 Z 3, § 2 Abs 2 Z 7, § 2 Abs 2a, § 3b Abs 2 und § 6a des ABBAG‑Gesetzes mit Ablauf des 31. 10. 2024 als verfassungswidrig auf. Er ging davon aus, dass der Gesetzgeber (nach wie vor) Aufgaben der Privatwirtschaftsverwaltung im Sinne des Art 20 Abs 1 B‑VG auf die Beklagte überträgt bzw übertragen hat (Rz 62), die Ausgliederung aber dem Sachlichkeitsgebot widerspricht (Rz 85). Ebenso qualifizierte er den (generellen) Ausschluss eines Rechtsanspruchs als Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot (Rz 118). Er ging davon aus, dass die einschlägigen Regelungen des ABBAG‑Gesetzes und die auf deren Grundlage erlassenen Verordnungen keine (bloßen) – nur die Vollzugsorgane im internen Verhältnis bindenden und die Rechtsspähre von Einzelpersonen nicht berührenden – Selbstbindungsregelungen sind, weil sich diese nicht an den Bundesminister (für Finanzen), sondern an die Beklagte als außerhalb der Staatsorganisation stehende Einrichtung richten (Rz 115). Überdies ist Adressat der Förderregelung der gesamte Kreis der in Frage kommenden Leistungswerber. Die Ausgleichsleistungen werden vom Gesetzgeber offenkundig zumindest zum Teil auch als funktionelles Äquivalent für (hoheitlich zu gewährende) Entschädigungen nach dem Epidemiegesetz angesehen, sodass der kategorische Ausschluss – trotz Fiskalgeltung der Grundrechte – einen Verstoß gegen das aus dem Gleichheitsgrundsatz erfließende Sachlichkeitsgebot darstellt (Rz 121 f).

[18] Der Verfassungsgerichtshof hob aber hervor, dass durch die Aufhebung der in Prüfung gezogenen Bestimmungen die Beklagte nicht ihre Rechtspersönlichkeit verliert und auch nicht gehindert ist, weiterhin – bis zur gesetzlichen Neuregelung – die ihr bisher übertragenen Tätigkeiten auszuüben (Rz 126). Die Aufhebung der Bestimmungen hindert nicht die gerichtliche Fortsetzung des Verfahrens (vgl VfGH V 139/2022, G 108/2022 Rz 79).

[19] 1.3 Der Verfassungsgerichtshof hat aufgrund des Antrags des Senats vom 14. 12. 2023 (2 Ob 178/23z) mit Erkenntnis vom 6. 3. 2024, V 3/2024, auch die Wortfolge „Auf Gewährung eines Verlustersatzes besteht kein Rechtsanspruch.“ in Punkt 7.6 des – hier anzuwendenden – Anhangs zur Verordnung des Bundesministers für Finanzen gemäß § 3b Abs 3 ABBAG‑Gesetzes betreffend Richtlinien über die Gewährung eines Verlustersatzes durch die COVID‑19 Finanzierungsagentur des Bundes GmbH (COFAG), BGBl II Nr 568/2020, idF BGBl II Nr 75/2021 als gesetzwidrig aufgehoben.

[20] Das aufgrund des Antrags unterbrochene Rekursverfahren war daher fortzusetzen.

[21] 2. Nach § 1 VEVO hat die Gewährung eines Verlustersatzes für ungedeckte Fixkosten durch die Beklagte zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Ausbreitung des Erregers SARS‑CoV‑2 den Richtlinien gemäß Anhang (RL‑VEVO) zu entsprechen.

[22] 3. Die Beantragung des Verlustersatzes gilt als Angebot auf Abschluss eines Fördervertrags mit der Beklagten, die dieses durch Auszahlung des Verlustersatzes annimmt (Pkt 5.1 RL‑VEVO; Pkt 7.6 [privatrechtliche Vereinbarung]). Der Staat hat sich daher im Hinblick auf die eingesetzten rechtstechnischen Mittel (RS0049882) für eine privatrechtliche Fördervergabe entschieden (vgl Eisenberger/ Holzmann, Rechtsqualität der Covid‑19‑Förderungsrichtlinien und Rechtsschutzmöglichkeiten bei verweigerter Förderungsvergabe, RdW 2022, 170 [171]).

[23] 4. Zwar werden Förderungsrichtlinien in der Regel nicht als Verordnungen im Sinne des Artikel 18 B‑VG, sondern als Erklärungen im Zusammenhang unter anderem mit einem abzuschließenden Förderungsvertrag verstanden (RS0049862 [T1]), sodass sie als rechtsgeschäftliche Willenserklärungen auszulegen sind und deren objektiver Erklärungswert mit Hilfe der Auslegungsregeln (iS der §§ 914 ff ABGB) zu ermitteln ist (RS0117563 [T6]).

[24] Im vorliegenden Fall ist aber – schon aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs vom 6. 3. 2024, V 3/2024 – nicht zweifelhaft, dass es sich bei den hier maßgeblichen RL‑VEVO um Rechtsverordnungen im Sinn des Art 18 B‑VG handelt, sodass für deren Auslegung die §§ 6 ff ABGB maßgeblich sind.

[25] 5. Trotz der Aufhebung des Punktes 7.6 RL‑VEVO ist § 3b Abs 2 des ABBAG‑Gesetzes aufgrund der gemäß Art 140 Abs 5 B‑VG gesetzten Frist für das Außerkrafttreten bis zu diesem Zeitpunkt verfassungsrechtlich unangreifbar Teil des Rechtsbestands und daher anzuwenden (RS0054001), sodass bis dahin von dessen Geltung und im Ergebnis vom Vorliegen „bloßer“ Selbstbindungsnormen auszugehen ist (vgl Eisenberger/Holzmann, Rechtsqualität der COVID‑19‑Förderungsrichtlinien und Rechtsschutzmöglichkeiten bei verweigerter Förderungsvergabe, RdW 2022, 170 [174]).

[26] 6. Selbstbindende Normen im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung sind ein Katalog von Verhaltenspflichten für die öffentliche Hand, von denen im Fall öffentlicher Bekanntgabe oder allgemeiner Zugänglichkeit jedermann weiß, dass die Verwaltungsorgane diese Verpflichtungen einzuhalten haben (3 Ob 83/18d Pkt A.1. [Burgenländisches Kulturförderungsgesetz]). Selbstbindungsnormen begründen keine Rechtsansprüche oder Rechtspflichten für den einzelnen, sondern binden lediglich das Verhalten von Verwaltungsorganen (RS0053815).

[27] Im Rahmen der „Fiskalgeltung der Grundrechte“ ist der Staat (und die anderen Gebietskörperschaften) aber auch dann an die Grundrechte und daher auch an das aus dem Gleichheitsgrundsatz (Art 2 StGG; Art 7 Abs 1 B‑VG) abzuleitende Sachlichkeitsgebot (RS0058455) gebunden, wenn er nicht hoheitlich, sondern im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätig wird (RS0038110). Der Grundrechtsbindung via Fiskalgeltung unterliegen auch privatrechtlich agierende Körperschaften und Unternehmen öffentlichen Rechts sowie selbstständige, mit der Besorgung öffentlicher Aufgaben betraute Rechtsträger, selbst wenn sie diese Aufgaben in privatrechtsförmiger Weise besorgen. Der Staat soll sich nämlich nicht der Grundrechtsbindung entziehen können, indem er Handlungs- und Rechtsformen des Privatrechts wählt (5 Ob 184/22b Rz 25). Der Aspekt des Tätigwerdens im Gemeinschaftsinteresse auf Veranlassung der öffentlichen Hand und der daraus folgende funktionelle Zusammenhang zum Staat fällt gerade in jenen Fällen ins Gewicht, in denen der Staat sich zur Verteilung öffentlicher Gelder eines privaten Rechtsträgers als „Mittler“ bedient (6 Ob 162/20x Pkt 2.3.; 5 Ob 184/22b Rz 26).

[28] Die Bindung an den Gleichheitsgrundsatz bei privatrechtlicher „Subventionsvergabe“ zwingt den mit der Verteilung betrauten Rechtsträger daher dazu, die „Subvention“ ohne unsachliche Differenzierung, also grundsätzlich jedermann zu gewähren, der die normierten Voraussetzungen erfüllt, wenn er eine solche Leistung in anderen Einzelfällen bereits erbracht hat (3 Ob 83/18d Pkt A.2.; RS0117458). Aus der Fiskalgeltung der Grundrechte folgt daher, dass Betroffene einen gerichtlich durchsetzbaren Anspruch darauf haben, dass ihnen solche Förderungen in gleichheitskonformer Weise und nach sachlichen Kriterien ebenso wie anderen Förderungswerbern gewährt werden (VfGH G 202/2020 ua, V 408/2020 ua Pkt 2.4.2.3. = VfSlg 20.397/2020). Für die Verneinung der Leistungspflicht genügt der Hinweis auf die Regelung über den Mangel eines Rechtsanspruchs auf Leistung nicht (RS0117458).

[29] Der nach wie vor in Geltung stehende § 3b Abs 2 des ABBAG‑Gesetzes steht daher einem klagbaren Leistungsanspruch nicht entgegen.

[30] 7. Die für den vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen der RL‑VEVO lauten wie folgt (Hervorhebungen durch den Senat):

Pkt. 1 Präambel

Pkt. 1.4: Der Verlustersatz hat der Erhaltung der Zahlungsfähigkeit, Vermeidung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von Unternehmen im Zusammenhang mit der Ausbreitung von COVID-19 zu dienen.

 

Pkt. 3. Begünstigte Unternehmen

Pkt 3.2 Ausgenommen von der Gewährung eines Verlustersatzes sind:

Pkt 3.2.6 Neu gegründete Unternehmen, die vor dem 1. November 2020 noch keine Umsätze gemäß Punkt 4.4.1 (Waren- und/oder Leistungserlöse) erzielt haben. …

Pkt. 4 Ermittlung und Höhe des Verlustersatzes

4.1 Der Verlustersatz wird ab einem Umsatzausfall von mindestens 30 % und unter der Voraussetzung, dass der gesamte Verlustersatz mindestens EUR 500 beträgt, gewährt.

4.2 Ausgangspunkt für die Ermittlung des Verlustersatzes ist der Verlust, den der Antragsteller in den antragsgegenständlichen Betrachtungszeiträumen aufgrund seiner operativen Tätigkeit im Inland erleidet.

4.4 Umsätze und Umsatzausfall

4.4.1 Für die Berechnung der Umsätze eines Unternehmens im Sinne dieser Richtlinien ist auf die für die Einkommen- oder Körperschaftsteuerveranlagung oder in der Feststellung gemäß § 188 BAO maßgebenden Waren- und/oder Leistungserlöse abzustellen.

4.4.2  Bei der Berechnung des Umsatzausfalls sind ein oder mehrere der folgenden Betrachtungszeiträume zu wählen, wobei sich der Umsatzausfall aus dem Vergleich zu den jeweils entsprechenden Zeiträumen des Jahres 2019 (Vergleichszeiträume ) ergibt:

(a)

Betrachtungszeitraum 1: 16. September 2020 bis 30. Septem ber 2020;

(b)

Betrachtungszeitraum 2: Oktober 2020;

(c)

Betrachtungszeitraum 3: November 2020;

(d)

Betrachtungszeitraum 4: Dezember 2020;

(e)

Betrachtungszeitraum 5: Jänner 2021;

(f)

Betrachtungszeitraum 6: Februar 2021;

(g)

Betrachtungszeitraum 7: März 2021;

(h)

Betrachtungszeitraum 8: April 2021;

(i)

Betrachtungszeitraum 9: Mai 2021;

(j)

Betrachtungszeitraum 10: Juni 2021.

 

Jene neu gegründeten Unternehmen , die erstmalig zwischen dem 16. September 2020 und dem 1. November 2020 Umsätze gemäß Punkt 4.4.1 (Waren- und/oder Leistungserlöse) erzielt haben, dürfen die Betrachtungszeiträume gemäß lit. a und lit. b nicht auswählen.

...

4.5 Neugründungen, Erwerbe von (Teil-)Betrieben oder Mitunternehmeranteilen und Umgründungen

 

4.5.1 Unternehmen, die vor dem 1. November 2020 bereits Umsätze gemäß Punkt 4.4.1 (Waren- und/oder Leistungserlöse) erzielt haben, für die aber keine vergleichbaren umsatz- oder ertragsteuerlichen Daten für das Jahr 2019 vorliegen, können die Umsatzausfälle anhand einer Planungsrechnung plausibilisieren und auf dieser Grundlage einen Verlustersatz beantragen.

4.5.2  Bei der Ermittlung des Umsatzausfalls ist im Fall des Erwerbs oder der Veräußerung von (Teil-)Betrieben oder Mitunternehmeranteilen oder im Falle von Umgründungen auf die jeweilige vergleichbare wirtschaftliche Einheit abzustellen. In diesen Fällen ist durch einen Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder Bilanzbuchhalter zu bestätigen, dass

...

 

[31] 8. Dass die Klägerin nicht unter den Ausschlusstatbestand des Pkt 3.2.6 RL‑VEVO fällt, weil sie im Oktober 2020 Umsätze erzielt hat, ist nicht strittig. Auch andere Ausschlussgründe wurden nicht behauptet. Fraglich ist hingegen, ob sie ihren Verlustersatz anhand einer Planungsrechnung gemäß Pkt 4.5.1 RL‑VEVO berechnen und beantragen kann oder die für den Vergleichszeitraum vorhandenen umsatz- oder ertragssteuerlichen Daten heranzuziehen sind, die aber aufgrund des Fehlens eines operativen Betriebs zu keinem Anspruch auf Verlustersatz führen würden.

9. „Neugründung“ im Sinne des Pkt 4.5.1 RL‑VEVO

[32] 9.1 Die RL‑VEVO definiert weder den Unternehmensgründungsvorgang noch welcher Zeithorizont maßgeblich ist, um ein gegründetes Unternehmen noch als Neugründung qualifizieren zu können.

[33] 9.2 Dass dem Begriff der Neugründung keine (entscheidende) Bedeutung zukomme, weil Pkt 4.5.1 RL‑VEVO nur von Unternehmen und nicht von neu gegründeten Unternehmen spricht, ist entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht zutreffend.

[34] Im Rahmen der – auch für Verordnungen maßgeblichen (Schauer in Kletecka/Schauer, ABGB‑ON1.02 § 6 Rz 5) – systematischen Interpretation, die darauf abzielt, aus dem Aufbau eines Gesetzes und dem jeweiligen Standort einer Norm Schlüsse auf ihren Anwendungsbereich zu ziehen, spielen gerade vom Gesetzgeber beschlossene Überschriften eine bedeutende Rolle (Schauer aaO Rz 10; Kodek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 6 Rz 79). Der in Pkt 4.5.1 gebrauchte Unternehmensbegriff ist daher im Zusammenhalt mit der für diesen Punkt vom Verordnungsgeber vorgesehenen Überschrift zu lesen. Bei systematisch logischer Betrachtung des gesamten Pkt 4.5 RL‑VEVO nimmt daher Pkt 4.5.1 auf Neugründungen und Pkt 4.5.2 auf Erwerbe von (Teil‑)Betrieben oder Mitunternehmeranteilen und Umgründungen Bezug.

[35] Voraussetzung für die Möglichkeit, den Umsatzverlust anhand einer Planungsrechnung zu plausibilisieren, ist daher nach Pkt 4.5.1 RL‑VEVO das Fehlen „vergleichbarer“ umsatz- oder ertragssteuerlicher Daten für den Vergleichszeitraum bei einem neu gegründeten Unternehmen.

[36] 9.3 Ganz allgemein wird unter einem Unternehmen eine selbstständige, organisierte Erwerbsgelegenheit verstanden (RS0068501; RS0010033; RS0057516). Die unternehmerische Tätigkeit beginnt mit der Aufnahme des Geschäftsbetriebs, womit nicht nur der bereits routinemäßig laufende Betrieb, sondern auch sein Aufbau gemeint ist (RS0127683 [T1]). Dieses zum Unternehmensrecht entwickelte Begriffsverständnis ist zwar nicht zwangsläufig auf andere Gesetze zu übertragen. Allerdings ist doch von einer gewissen Leitbildfunktion auszugehen, zumal das UGB eine grundlegende Kodifikation des Wirtschaftsrechts ist und der Gesetzgeber das UGB zum „Transformationsort“ für den unionsrechtlichen Unternehmerbegriff machen wollte (Straube/Ratka/Jost in Straube/Ratka/Rauter, UGB I4 § 1 Rz 44). Es ist daher auch bei der Auslegung des Unternehmensbegriffs der RL‑VEVO auf dieses Begriffsverständnis zurückzugreifen.

[37] Die Gründung (der Beginn) des Unternehmens der Klägerin ist daher – mit den Vorinstanzen – im April 2018 mit der Übernahme der bereits früher im Firmenbuch eingetragenen, operativ aber nicht tätigen Vorratsgesellschaft zum Zweck des anschließend erfolgten Aufbaus eines Produktionsstandorts erfolgt.

[38] 9.4 Wie lange die Unternehmensgründung zurück liegen darf, um noch als „neu“ gelten zu können, wird nicht näher definiert.

[39] Eine Neugründung im Sinne des Pkt 4.5.1 RL‑VEVO liegt – sofern nicht der Ausschlusstatbestand des Pkt 3.2.6 RL‑VEVO greift – jedenfalls bei nach dem Vergleichszeitraum (2019) gegründeten Unternehmen vor (Neugründung im engeren Sinn). Da diese für den Vergleichszeitraum schon mangels existierenden Unternehmens über gar keine umsatz- oder ertragssteuerlichen Daten verfügen, mit denen der Betrachtungszeitraum verglichen werden könnte, soll ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, ihre Umsatzausfälle im Betrachtungszeitraum nicht durch eine Gegenüberstellung mit dem Vergleichszeitraum, sondern durch eine Planungsrechnung zu „plausibilisieren“.

[40] Pkt 4.5 RL‑VEVO nimmt auf das Fehlen vergleichbarer umsatz- oder ertragssteuerlicher Daten für das Jahr 2019 bei neu gegründeten Unternehmen Bezug. Es wird daher weniger ein zeitlicher, sondern ein inhaltlicher (kausaler) Zusammenhang zwischen dem Unternehmensgründungsvorgang und dem Fehlen vergleichbarer umsatz- oder ertragssteuerlicher Daten für das Jahr 2019 hergestellt. Auch die Beklagte räumt ein, dass Pkt 4.5.1 RL‑VEVO jene Unternehmen (mit)erfasst, die im Vergleichszeitraum oder davor gegründet wurden, die aber im Vergleichszeitraum aufgrund der Gründungsphase („Anlaufphase“) noch keine oder (quantitativ) nicht vergleichbare Umsätze erzielt haben (Neugründungen im weiteren Sinn). Auch diese können gleichermaßen von einem covid-bedingten Umsatzausfall im Betrachtungszeitraum betroffen sein und – ähnlich wie Neugründungen im engeren Sinn – vor dem Problem stehen, aufgrund von mit der Neugründung zusammenhängenden Vorgängen (Vorbereitungshandlungen zur Aufnahme des Geschäftsbetriebs, Aufbau eines Produktionsstandorts, etc) keine oder eben keine vergleichbaren Umsätze vorweisen zu können, die zur Quantifizierung des Umsatzausfalls im Betrachtungszeitraum herangezogen werden können. Ihr Ausschluss wäre unsachlich.

[41] Es kommt daher für die Annahme einer Neugründung im Sinne des Pkt 4.5.1 RL‑VEVO weniger auf den Gründungszeitpunkt, als darauf an, ob aufgrund von– allenfalls zeit- und kostenintensiven – Unternehmensgründungsvorgängen im Vergleichszeitraum noch keine Umsätze erwirtschaftet wurden, die als Vergleichsmaßstab geeignet sind, einen allfälligen Umsatzausfall im Betrachtungszeitraum zu quantifizieren.

[42] Die Möglichkeit, Umsatzausfälle anhand einer Planungsrechnung zu plausibilisieren ist daher zusammengefasst (schon) im unmittelbaren Anwendungsbereich des Pkt 4.5.1 RL‑VEVO immer dann eröffnet, wenn (i) für den Vergleichszeitraum aufgrund erst danach erfolgter Unternehmensgründung gar keine umsatz- oder ertragssteuerlichen Daten vorliegen oder (ii) solche zwar vorhanden, aber (nur) aufgrund der im Vergleichszeitraum oder davor erfolgten Unternehmensgründung und des damit im Zusammenhang stehenden Unternehmensaufbaus (Gründungsmaßnahmen) nicht geeignet sind, den Umsatzausfall im Betrachtungszeitraum zu quantifizieren.

9.5 Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall Folgendes:

[43] Dass die Klägerin im Vergleichszeitraum noch keinen operativen Geschäftsbetrieb geplant hatte, ist zwar richtig, aber auf die im Zusammenhang mit der Unternehmensgründung stehenden, den operativen Betrieb erst vorbereitenden Maßnahmen zurückzuführen. Nach den Feststellungen wurde der Produktionsbetrieb (Lagerhalle samt zur Produktion erforderliche Doppelzellen) aufgebaut, Testchargen zur Überprüfung des Produktionsvorganges und zur Kalibrierung durchgeführt und die Materialien für die Herstellung erworben.

[44] Es liegen daher bei der Klägerin aufgrund von Unternehmensgründungsmaßnahmen für den Vergleichszeitraum keine vergleichbaren umsatz- oder ertragssteuerlichen Daten vor, die geeignet wären, einen Umsatzverlust im Betrachtungszeitraum zu quantifizieren. Sie ist daher schon im Rahmen des unmittelbaren Anwendungsbereichs des Pkt 4.5.1 RL‑VEVO berechtigt, ihren Umsatzverlust anhand einer Planungsrechnung zu „plausibilisieren“.

[45] 9.6. Dass die Beklagte Leistungen aufgrund der RL‑VEVO in anderen Fällen bereits erbracht hat, ist nicht strittig.

[46] Auf die rechtliche Einordnung der auf der Homepage der Beklagten veröffentlichten FAQ, die eine analoge Anwendung befürworten, kommt es daher nicht an.

[47] 10. Dass das Berufungsgericht den Sachverhalt in der von ihm dargelegten Richtung für ergänzungsbedürftig hält, ist vom Obersten Gerichtshof, der die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht im Ergebnis teilt, nicht zu überprüfen (RS0042179 [T21, T22]).

[48] 11. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf §§ 50, 52 ZPO.

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