European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00039.17T.0426.000
Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.766,16 EUR (darin 293,94 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der Kläger vertreibt über das Internet gewerblich Eintrittskarten zu Veranstaltungen. Die Gesellschaft, deren Verkaufssystem er dazu nutzte, kündigte den Vertrag mit ihm und sperrte seinen Zugang. Den von ihm geführten Rechtsstreit ua über die Feststellung, dass der Vertrag nach wie vor aufrecht sei, verlor er. Nun begehrt er von seinem damaligen Rechtsvertreter aus dem Titel der Anwaltshaftung Schadenersatz. Dazu brachte er vor, er habe ihm bereits bei der ersten telefonischen Besprechung mitgeteilt, dass es sich bei diesem System um den einzigen Zugang für Karten für die ***** *****halle handle und fast die Hälfte aller ***** Veranstaltungen nur über das System seines Vertragspartners gebucht werden könnten. Die Stellung seines ehemaligen Vertragspartners mache es Abnehmern wirtschaftlich praktisch unmöglich, ohne Zugang zu dessen Verkaufssystem zu existieren. Hätte es der Beklagte nicht pflichtwidrig unterlassen, die Unwirksamkeit der im Vorprozess angenommenen ordentlichen Kündigung wegen der marktbeherrschenden Stellung seines Vertragspartners (rechtzeitig) einzuwenden, hätte er den Prozess gewonnen.
Der Beklagte bestritt und brachte – soweit für das Rekursverfahren von Bedeutung – vor, auch aus der von ihm bestrittenen Monopolstellung des Vertragspartners des Klägers lasse sich kein genereller Ausschluss der vertraglich vereinbarten ordentlichen Kündbarkeit ableiten.
Das Erstgericht wies die Klage ab und vertrat den Standpunkt, die den Anlass des Vorprozesses darstellende Kündigung sei wirksam gewesen, die Unterlassung des Beklagten daher nicht kausal für den Prozessverlust.
Das Berufungsgericht hob über die Berufung des Klägers das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht auf, eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung zu fällen. Es führte – unter Verweis auf höchstgerichtliche Recht-sprechung – aus, marktbeherrschenden Unternehmen sei der Missbrauch dieser Stellung verboten, worunter auch die Geschäftsverweigerung durch einen sachlich nicht gerechtfertigten Abbruch geschäftlicher Beziehungen falle. Dies gelte nicht nur für lebenswichtige Güter. Es sei vom Obersten Gerichtshof bereits als sinnwidrig erachtet worden, wenn der Monopolist jederzeit und grundlos – wenngleich vereinbarungsgemäß – das Schuldverhältnis zur Auflösung bringen könne, andererseits aber verpflichtet wäre, über Verlangen sofort einen neuen Vertrag abzuschließen. Träfe die vom Kläger behauptete marktbeherrschende Stellung seines damaligen Vertragspartners zu, hätte letzterer den Vertrag nur bei Vorliegen sachlicher Gründe beenden können, und zwar auch dann, wenn eine Kündigungsmöglichkeit unter Einhaltung einer Frist vereinbart worden sei, ohne ausdrücklich darin wichtige Gründe als Voraussetzung vorzusehen. Es fehlten nun Feststellungen zu den Voraussetzungen einer marktbeherrschenden Stellung und dem Vorliegen der im Vorprozess vom Vertragspartner des Klägers behaupteten Gründe für die Vertragskündigung. Der Rekurs gegen seine Entscheidung sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage vorliege, ob die Beendigung eines Vertragsverhältnisses durch ein marktbeherrschendes Unternehmen, bei welchem es sich nicht um einen Versorger mit lebensnotwendigen Gütern handle, ohne Vorliegen sachlicher Gründe auch dann unzulässig sei, wenn die ausdrückliche Vereinbarung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung solche Gründe nicht vorsehe.
Rechtliche Beurteilung
Der vom Kläger beantwortete Rekurs des Beklagten ist entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts (§ 526 Abs 2 ZPO) mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig, weil die aufgeworfenen Fragen anhand der bisherigen Rechtsprechung gelöst werden können (vgl 8 ObA 27/07i = RIS-Justiz RS0042742 [T13] mwN):
1. Die Pflicht zum Vertragsabschluss wird – außerhalb des Kartellrechts – nach ständiger Rechtsprechung ua dort bejaht, wo ein Unternehmer seine Monopolstellung durch Verweigerung des Vertragsabschlusses sittenwidrig ausnützt, was auch für marktbeherrschende Unternehmen gilt (so schon 1 Ob 71/73 = SZ 46/54; 16 Ok 23/04 mwN; weiters RIS‑Justiz RS0016745 [insbes T6, T13]; RS0016762; vgl zur missbräuchlichen Unterlassung in Form der Lieferungsverweigerung, wenn das Verhalten des marktbeherrschenden Unternehmens durch keine objektiven Gründe gerechtfertigt wird 16 Ok 7/02; 16 Ok 1/03 mwN; 16 Ok 1/12 = RIS‑Justiz RS0117542 [T3]). Faktische Übermacht darf nämlich ganz allgemein nicht in unsachlicher Weise ausgenützt werden (vgl RIS-Justiz RS0110808). Dies gilt auch bei nicht lebensnotwendigen Gütern (vgl zum Kontrahierungszwang etwa bei Filmverleihgesellschaften 4 Ob 214/97t = SZ 70/173; 4 Ob 114/00v; 4 Ob 93/02h). Auch ein Monopolist oder ein marktbeherrschendes Unternehmen kann aber nicht gezwungen werden, jeden von einem Dritten gewünschten Vertrag abzuschließen, sondern darf aus sachlich gerechtfertigten Gründen einen Vertragsabschluss ablehnen (RIS‑Justiz RS0117542; RS0106571).
Nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu 7 Ob 287/05i, 4 Ob 119/09t und 4 Ob 205/12v zu der zum Beginn des Vertrags spiegelbildlichen Situation, nämlich seiner Beendigung, kann sich aus der marktbeherrschenden Stellung einer Vertragspartei die Notwendigkeit des Vorliegens sachlicher Gründe für eine Kündigung ergeben (vgl auch RIS‑Justiz RS0053816). Auch wurde bereits erläutert, dass es geradezu sinnwidrig wäre, eine unbegründete Beendigungsmöglichkeit einzuräumen, gleichzeitig aber eine Verpflichtung anzunehmen, über Verlangen sofort wieder einen neuen Vertrag abzuschließen. In solchen Fällen muss also für die Auflösung des Vertrags ein sachlicher Grund vorliegen (6 Ob 191/05i; 7 Ob 287/05i; 1 Ob 143/10a). Das Bestehen solcher Kündigungsbeschränkungen für monopolartige Unternehmen hat der Oberste Gerichtshof nicht nur bei Verträgen über lebensnotwendige Güter bejaht (vgl 6 Ob 191/05s; 7 Ob 287/05s).
2. Der Beklagte verweist zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels auf die Begründung des Berufungsgerichts, welches die ausdrückliche Vereinbarung der Möglichkeit zur ordentlichen Kündigung (ohne das Vorliegen von sachlichen Gründen) hervorhob. Es ist aber schon aus den zuvor genannten Entscheidungen und den dem Kontrahierungszwang zugrundeliegenden Erwägungen, dass dieser überall dort besteht, wo die faktische Übermacht eines Beteiligten bei bloßer formaler Parität diesem die Möglichkeit der Fremdbestimmung über andere gibt (vgl nur RIS‑Justiz RS0016744; RS0016745; RS0062991), zweifelsfrei abzuleiten, dass einer ausdrücklichen Vereinbarung im Vertrag, dessen Gestaltung in einer solchen („Fremdbestimmtheits“‑)Lage ja typischerweise nur einem Vertragsteil, nämlich dem Bestimmenden zukommt, ohne besondere Umstände des Einzelfalls nicht jener Bedeutungsgehalt zukommen kann, der den übereinstimmenden Erklärungen der Parteien ansonsten aufgrund des Grundsatzes der Privatautonomie eingeräumt wird. Gerade die tatsächliche Fähigkeit, auf den Inhalt der Vereinbarung Einfluss zu nehmen, ist für den Vertragspartner des marktbeherrschenden Unternehmens in der Regel stark eingeschränkt. Wie den potenziellen Vertragspartnern von Monopolisten nicht nur die Möglichkeit fehlt, auf alternative Anbieter auszuweichen (4 Ob 222/10s = SZ 2011/46 mwN), fehlt ihnen im Allgemeinen auch die Möglichkeit, einzelne Vertragsbestimmungen unter Berücksichtigung ihrer Interessenslage auszuhandeln. Läge daher in einem verweigerten Vertragsabschluss oder einer Kündigung ein Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung, dann könnte daran, dass es trotzdem für die Kündigung einer sachlichen Rechtfertigung bedarf, ein formal im Vertrag als vereinbart festgehaltenes Kündigungsrecht unter Einhaltung bloß von Frist und Termin – ohne jedwede Bindung an sachliche Gründe – nichts ändern.
3. Die vom Rekurswerber zuletzt aufgeworfene Fragestellung, ob „die Vereinbarung einer ordentlichen Kündigung unter Einhaltung einer dreimonatigen Kündigungsfrist“ dann zulässig ist, wenn sich – was bei einem länger andauernden Vertragsverhältnis der Fall sein kann – die Rahmenbedingungen derart geändert haben, dass es zu einer maßgeblichen Schlechterstellung des marktbeherrschenden Unternehmens im Vergleich zu den Bedingungen, die als (tatsächlich) angemessenen bei einem Neuabschluss zugrunde zu legen wären, gekommen ist, bedarf im vorliegenden Fall keiner Klärung. Dies setzt in Wahrheit Umstände voraus, deren Notwendigkeit als Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung vom Rekurswerber gerade bestritten wird, nämlich das Vorliegen einer solchen sachlichen Rechtfertigung bei Ausspruch der Kündigung. Dass eine Veränderung der (wirtschaftlichen) Rahmenbedingungen vorgelegen wäre, wurde im vorliegenden Fall auch gar nicht behauptet, vielmehr wurden in geschäftlichen Vorgehensweisen des Klägers liegende Gründe genannt.
4. Ob für eine Kündigung rechtfertigende sachliche Gründe vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, die in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen (vgl 6 Ob 91/16z mwN). Es wird daher wie bei Vertragsbeginn (vgl RIS-Justiz RS0016762 [T4]) anhand einer sorgfältigen Abwägung der einander widerstreitenden Interessen (16 Ok 14/04 mwN; 16 Ok 1/12 = RIS-Justiz RS0109204 [T4] = RS0063530 [T11]) für die Vertragsbeendigung durch Kündigung im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine marktbeherrschende Stellung vorliegt und diese missbräuchlich ausgenutzt wurde oder ob für eine ordentliche Kündigung ein ausreichend wichtiger, dh ein objektiv nachvollziehbarer und von der Rechtsordnung nicht verpönter Grund vorlag (7 Ob 287/05i; 4 Ob 205/12v).
Der Rekurs ist daher zurückzuweisen.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Im Zwischenstreit über die mangels erheblicher Rechtsfrage verneinte Zulässigkeit des Rechtsmittels gegen einen Aufhebungsbeschluss iSd § 519 Abs 1 Z 2 ZPO des Berufungsgerichts findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS‑Justiz RS0123222 [T2, T4]; vgl RS0035976 [T2]). Der Kläger hat in seiner Rekursbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit des Rekurses hingewiesen und daher Anspruch auf Kostenersatz (RIS-Justiz RS0123222 [T8]).
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