OGH 16Ok14/04

OGH16Ok14/0411.10.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Birgit Langer als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Manfred Vogel und Dr. Wolfgang Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Fidelis Bauer und Mag. Johanna Ettl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin r***** GmbH, *****, vertreten durch Graf, Maxl & Pitkowitz Rechtsanwälte in Wien, wider die Antragsgegnerin Österreichische Post Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Peter Huber, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abstellung des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung, Veröffentlichung und einstweiliger Verfügung, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Kartellgericht vom 15. März 2004, GZ 26 Kt 29, 30/04-11, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird teilweise Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in den Punkten I.2. und II.2. seines Spruchs bestätigt, im Übrigen aufgehoben und die Rechtssache in diesem Umfang zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Der Antrag, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Antragstellerin und Antragsgegnerin befassen sich mit der Zustellung von Printmedien (Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Monatszeitungen). Die Antragsgegnerin ist zur Erbringung dieser Dienstleistung als "Österreichische Post" im Rahmen des ihr übertragenen "Universaldienstes" gesetzlich verpflichtet. Zur Sicherstellung der dauerhaften Erbringung des Universaldienstes ist der Antragsgegnerin der reservierte Postdienst vorbehalten. Beim Postzeitungsversand handelt es sich um einen nicht der Antragsgegnerin vorbehaltenen "Wettbewerbsdienst". Bis 31. 12. 2001 war der Postzeitungsversand gesetzlich durch den Bund subventioniert. Die Antragsgegnerin hat für den Universaldienst Allgemeine Geschäftsbedingungen zu erlassen. Diese sind der Obersten Postbehörde vor der beabsichtigten Veröffentlichung anzuzeigen. Die Veröffentlichung ist zu untersagen, wenn Kunden- und Marktbedürfnisse nicht ausreichend gedeckt werden, die Qualität des Dienstleistungsangebotes oder die Angemessenheit der Entgelte nicht ausreichend sichergestellt sind und die Geschäftsbedingungen gegen zwingendes Recht verstoßen. Die Entgelte für den Postzeitungsversand bedürfen der Genehmigung der Obersten Postbehörde. Für die Verweigerung der Genehmigung gelten dieselben Voraussetzungen wie für die Untersagung der Veröffentlichung sonstiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen. Die Entgelte sind so zu gestalten, dass sie jedenfalls einheitlich, allgemein erschwinglich und kostenorientiert sind.

Gestützt auf §§ 35 und 52 Abs 2 KartG beantragte die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 20. 1. 2004

1. zu Recht zu erkennen, dass die Antragsgegnerin auf dem Markt der Zustellung von Printmedien (Tages-, Wochen- und Monatszeitungen, Regionalzeitungen und Sponsoring-Post) im Gebiet der Republik Österreich eine marktbeherrschende Stellung besitzt und diese missbräuchlich ausübt;

2. zu Recht zu erkennen, dass die Strafbestimmungen in den in diesem gleichlautenden Punkt 13.2 der ab 1. 1. 2002 gültigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Antragsgegnerin für den Versand von Tageszeitungen, Wochenzeitungen und Monatszeitungen sowie die korrespondierenden Strafbestimmungen in den auf der Grundlage dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen abgeschlossenen Einzelverträgen der Antragsgegnerin mit den Medieninhabern (Verlegern) ex tunc nichtig waren und sind, wonach,

a) rückwirkend ab 1. 1. 2002 die teureren Entgelte gemäß Punkt 14.1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zur Anwendung gelangen, wenn

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist teilweise berechtigt.

1. § 35 Abs 1 KartG bestimmt, dass das Kartellgericht auf Antrag den beteiligten Unternehmen aufzutragen hat, den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung abzustellen. Wie der Oberste Gerichtshof als Kartellobergericht wiederholt (16 Ok 7/02; 16 Ok 10/02) ausgesprochen hat, ist ein (vorbeugender) Abstellungsantrag zur Verhinderung künftigen missbräuchlichen Verhaltens dem österreichischen Kartellrecht fremd. Im Sinn dieser vom Erstgericht bezogenen Entscheidungen hat es zu Recht die oben unter Punkt 3. und Punkt 5. zweiter Spiegelstrich angeführten Anträge abgewiesen (Punkte I.2. und II.2. des Spruchs des angefochtenen Beschlusses). Der Rekurs enthält auch keine gegen diese Rechtsauffassung gerichteten Ausführungen. Insoweit war der angefochtene Beschluss zu bestätigen.

2. Im Übrigen ist der Rekurs im Sinn des Aufhebungsantrags begründet. Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung (§ 34 KartG) ist verboten; das Kartellgericht hat auf Antrag den beteiligten Unternehmern den Missbrauch abzustellen (§ 35 Abs 1 KartG). Als vom Kartellgericht - auf Antrag einer Amtspartei - aufzuerlegende Sanktion bei einem Zuwiderhandeln gegen das Verbot sieht § 142 Z 1 lit b KartG eine Geldbuße und § 143b KartG die Veröffentlichung der Geldbußenentscheidung vor. Nach § 8a Abs 1 KartG hat das Kartellgericht auf Antrag festzustellen, ob und inwieweit ein Sachverhalt den Tatbestand des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung im Sinn des Kartellgesetzes verwirklicht. Auch wenn davon auszugehen ist, dass § 35 Abs 1 KartG ein gesetzliches Verbot darstellt, dessen Übertretung die Nichtigkeit (§ 879 Abs 1 ABGB) eines Vertrages oder von Vertragsbestandteilen, mit denen missbräuchliches Verhalten verwirklicht wird, begründen kann (vgl 4 Ob 187/02g), so ist doch mangels einer hiezu ermächtigenden Norm des Kartellgesetzes das Kartellgericht nicht berufen, über eine solche zivilrechtliche Folge einer Zuwiderhandlung gegen § 35 Abs 1 KartG abzusprechen. Das hat das Erstgericht zutreffend erkannt. Insofern kann der Antrag auf Ausspruch der Nichtigkeit der von der Antragstellerin als Strafbestimmungen bezeichneten Vertragsbestandteile, die nach den Antragsbehauptungen den Missbrauchstatbestand verwirklichen, nicht Erfolg haben. Auf die vom Erstgericht erwogene und schließlich verneinte Möglichkeit einer Umdeutung des Begehrens muss hier nicht eingegangen werden. Zu Recht rügt nämlich die Rekurswerberin als Verfahrensmangel, dass das Erstgericht ihr keine Gelegenheit zu einer Antragsänderung gegeben hat. Im Zusammenhang mit einem kartellrechtlichen Missbrauchsverfahren hat der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen, dass das Kartellgericht dem Antragsteller Gelegenheit zu geben hat, seinen Antrag zu modifizieren, wenn ihm die beantragte Maßnahme ungeeignet oder unzulässig erscheint (16 Ok 6/00 = SZ 73/153). Dies ist hier nicht geschehen. Vielmehr hat das Erstgericht seine beabsichtigte Vorgangsweise in keiner Weise auch nur angedeutet. Es war daher mit Aufhebung im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang vorzugehen.

Die Rekurswerberin stellt in ihrem Rechtsmittel klar, dass sie den abzustellenden Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch die Antragsgegnerin darin erblickt, dass diese mit den beanstandeten Vertragsbestandteilen durch die Pönalisierung der frühzeitigen Kündigung der Verträge durch die Verleger de facto eine fünfjährige Ausschließlichkeitsbindung vereinbart, die marktabschottend wirkt, worauf sie ihren Antrag schon im verfahrenseinleitenden Schriftsatz gestützt hat. Ob der Antragsgegnerin durch die Anwendung zweier Tarifmodelle auch eine sachlich nicht gerechtfertigte Preisdiskriminierung vorzuwerfen sei, sei nicht Gegenstand des Verfahrens. Das Erstgericht wird daher der Antragstellerin Gelegenheit zu geben haben, ihren Antrag durch ein entsprechendes Abstellungsbegehren zu modifizieren.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht, das ohnehin im Rahmen des Feststellungsantrags das Vorliegen des Missbrauchs einer marktbeherschenden Stellung durch die Antragsgegnerin prüft, insbesondere Folgendes zu beachten haben:

Die Beurteilung des (der) - nach den Vorbringen der Parteien strittigen - sachlich betroffenen Marktes (Märkte) wird nach Lehre und Rechtsprechung nach dem Bedarfsmarktkonzept durchgeführt. Derselbe Markt liegt vor, wenn sich die in Frage stehenden Waren oder Dienstleistungen in ihren für die Deckung desselben Bedarfs wesentlichen Eigenschaften von anderen unterscheiden, sich also - aus der Sicht der Bedarfsträger als der Marktgegenseite - beliebig gegeneinander austauschen lassen (16 Ok 9/01 = ÖBl 2002/40 [Barbist] mwN; Koppensteiner, Österreichisches und europäisches Wettbewerbsrecht³ § 12 Rz 18 f mwN).

§ 35 KartG hat den Zweck, konkrete Verhaltensweisen im wirtschaftlichen Wettbewerb, die sich negativ auf den Markt auswirken können, zu unterbinden. Missbräuchlich sind sämtliche Verhaltensweisen eines Unternehmers in beherrschender Stellung, die die Strukturen eines Marktes beeinflussen können, auf dem Wettbewerb gerade wegen der Anwesenheit des fraglichen Unternehmers bereits geschwächt ist und die Aufrechterhaltung des auf dem Markt noch bestehenden Wettbewerbs oder dessen Entwicklung durch die Verwendung von Mitteln behindern, die von den Mitteln eines normalen Produkt- oder Dienstleistungswettbewerbs auf der Grundlage der Leistungen der Marktbürger abweichen (stRsp ua 16 Ok 11/03 = MR 2004, 143; RIS-Justiz RS0063530). Bei der Prüfung, ob eine missbräuchliche Ausnützung einer marktbeherrschenden Stellung vorliegt, ist stets eine sorgfältige Abwägung der einander widerstreitenden Interessen vorzunehmen (16 Ok 11/03 mwN). Dass die durch die beanstandeten Vertragsbestimmungen de facto zu Gunsten der Antragsgegnerin geschaffene Bezugsbindung missbräuchlich sein kann (vgl dazu etwa Eilmannsberger in Streinz, EUV/EGV Art 82 EGV Rz 54 ff), hat das Erstgericht zutreffend erkannt. Ob und inwieweit die Bindung im konkreten Fall den Marktzugang für die Wettbewerber maßgeblich erschwert, wird vom Erstgericht zu klären sein. Hingewiesen sei auf die Bekanntmachung der Europäischen Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den Postsektor und über die Beurteilung bestimmter Maßnahmen betreffend Postdienste, ABl C-039 vom 6. 2. 1998 S 2 bis 18. Darin (Punkt 2.9) heißt es bei Pflichten von Postbetreibern mit beherrschender Stellung:

"Ein beherrschendes Unternehmen kann seine Stellung im Wettbewerb verteidigen, ist jedoch insbesonderem Maße dafür verantwortlich, den am Markt noch bestehenden Wettbewerb nicht zu verringern. Verdrängungpraktiken können sich gegen bestehende Wettbewerber richten oder darauf angelegt sein, den Marktzugang neuer Unternehmer zu behindern. Zu einem derartigen unzulässigen Verhalten gehören: ... Geschäftsvereinbarungen mit Auschließungseffekten, Diskriminierung als Teil eines größer angelegten Monopolverhaltens zur Ausschließung von Wettbewerbern und Rabattsystemen mit Ausschließungseffekten."

Der Antrag der Rekurswerberin, eine mündliche Verhandlung durchzuführen, war abzuweisen. Sie stützt diesen Antrag auf § 51 Abs 1 KartG. Diese Vorschrift bezieht sich nach ihrer Stellung im Gesetz auf das Verfahren vor dem Kartellgericht. Für das Rechtsmittelverfahren (§ 53 KartG) ordnet das Gesetz die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht an.

Kosten des Rechtsmittelverfahrens wurden nicht verzeichnet.

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