European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0170OB00004.24Y.0507.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Fachgebiet: Insolvenzrecht
Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Begründung:
[1] Streitgegenständlich ist eine Liegenschaft, die zunächst im Miteigentum von drei Familien stand und mithilfe des vormaligen Beklagten und nunmehrigen Schuldners in seiner Funktion als Rechtsanwalt nach einem Brand verwertet werden sollte. Über dessen Vermittlung räumten die Eigentümer der (Rechtsvorgängerin der) Klägerin mit mehreren Vereinbarungen in den Jahren 2014 und 2017 zunächst ein Bestandrecht und sodann ein Baurecht sowie eine Kaufoption ein. Der Zins sollte auf den Kaufpreis angerechnet werden, als Treuhänder und Bevollmächtigter wurde der Schuldner eingesetzt.
[2] Im Jahr 2018 erklärte die Klägerin ihr Optionsrecht auszuüben und erhob in der Folge zwei gleichlautende Klagen gegen die verbliebene Miteigentümerin sowie den Schuldner, der zwischenzeitlich im Erbweg Eigentum an Liegenschaftsanteilen erworben hatte und daher seitdem nicht mehr nur Treuhänder, sondern auch Optionsgeber ist.
[3] Das Erstgericht gab dem auf Unterfertigung eines einverleibungsfähigen Kaufvertrags gerichteten Hauptbegehren statt. Der vorgelegte Entwurf beinhalte bereits Regelungen zur treuhändigen Kaufpreiszahlung, sodass es keiner gesonderten Zug um Zug‑Verpflichtung bedürfe.
[4] Nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz wurde über das Vermögen des Schuldners und vormaligen Beklagten ein Insolvenzverfahren eröffnet und die nunmehrige Beklagte zur Masseverwalterin bestellt.
[5] In der Folge beantragte die Klägerin die Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens, ohne jedoch das Klagebegehren umzustellen.
[6] Das Berufungsgericht stellte das Klagebegehren von Amts wegen auf eine Feststellung der Forderung der Klägerin von 342.310,64 EUR als unbedingte Insolvenzforderung um und wies es über Berufung der Beklagten ab.
[7] Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens könne kein Leistungsurteil mehr erwirkt werden; das nach der Unterbrechung fortgesetzte Verfahren werde vielmehr von Gesetzes wegen zu einem Prüfungsprozess nach § 110 IO. Das Leistungsbegehren sei daher über Antrag oder von Amts wegen auf ein Feststellungsbegehren über die Richtigkeit und Rangordnung der angemeldeten Forderung zu ändern, und zwar auch noch im Rechtsmittelverfahren, ohne dass die Voraussetzungen für eine Klagsänderung vorliegen müssten. Allerdings könne das Klagebegehren nur auf jenen Grund, der in der Forderungsanmeldung und bei der Prüfungstagsatzung angegeben worden sei, gestützt werden.
[8] Die Klägerin habe im Insolvenzverfahren gegen den Schuldner ein Aussonderungsrecht nach § 44 IO an dessen Liegenschaftsanteilen geltend gemacht und ihre Prozesskosten als Insolvenzforderung angemeldet. Hilfsweise habe sie eine unbedingte Insolvenzforderung von 342.310,64 EUR angemeldet, weil sie auf den vereinbarten Kaufpreis von 352.503,70 EUR bereits 342.310,64 EUR (durch anrechenbare Zinszahlungen) geleistet habe und daher nur mehr 10.193,06 EUR für den Eigentumserwerb zahlen müsse. Das Klagebegehren sei sohin von Amts wegen unter Rückgriff auf und Bindung an die – bestrittene – Forderungsanmeldung auf die Feststellung einer Forderung von 342.310,64 EUR umzustellen.
[9] Dieses Erfüllungsinteresse stehe der Klägerin jedoch nicht zu, weil sie die Option nie wirksam ausgeübt habe. Unstrittig habe sie den Kaufpreis nicht erlegt, wozu sie jedoch bei richtiger Auslegung des Optionsvertrags verpflichtet gewesen sei. Weder genüge die bloße Bereitschaft, noch eine Zug um Zug‑Verpflichtung, weil beides nicht die Einzahlung des Kaufpreises bis zum Laufzeitende am 31. 12. 2024 auf das Treuhandkonto sicherstelle. Der Schuldner habe diesen Einwand bereits in der Klagebeantwortung ausdrücklich erhoben, das erstmals in der Berufungsbeantwortung erstattete Vorbringen dazu verstoße gegen das Neuerungsverbot des § 482 ZPO. Die Klägerin hätte den Kaufpreis jedenfalls gemäß § 1425 ABGB gerichtlich erlegen können.
[10] Das Berufungsgericht bewertete den Streitgegenstand mit 30.000 EUR übersteigend und erklärte die ordentliche Revision zur Frage der Änderung eines Begehrens auf Unterfertigung eines Kaufvertrags nach Insolvenzeröffnung für zulässig.
[11] Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, das auf Vertragsunterfertigung lautende Ersturteil wiederherzustellen, in eventu eine Insolvenzforderung von 342.310,64 EUR festzustellen; nochmals hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[12] Die Beklagte beantragt, der Revision nicht Folge zu geben, „in eventu (im Übrigen) die Revision zurückzuweisen“.
Rechtliche Beurteilung
[13] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.
[14] 1.1. Ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, stellt nur dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RS0042936). Steht die Vertragsauslegung durch die Vorinstanzen mit den Grundsätzen von Lehre und Rechtsprechung im Einklang, liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, kommt doch der Beurteilung, ob ein Vertrag im Einzelfall richtig ausgelegt wurde, keine darüber hinausgehende Bedeutung zu (RS0042776).
Dasselbe gilt für die Frage, ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist (vgl RS0042828).
[15] 1.2. Der Schuldner hatte bereits in der Klagebeantwortung konkret vorgebracht, dass die Klägerin den Kaufpreis weder mit ihrer Erklärung, die Option auszuüben, entsprechend den vertraglichen Vereinbarungen ermittelt und bekanntgegeben, noch diesen auf ein Konto des Treuhänders (des Schuldners) oder der nunmehrigen Klagevertreter überwiesen oder gerichtlich erlegt habe, sodass sie die Option nie wirksam ausgeübt habe.
[16] Mangels erstinstanzlichen Vorbringens der Klägerin zur Vertragsauslegung, insbesondere zu einem allfällig abweichenden Parteiwillen (vgl RS0017834), begegnet es aber keinen Bedenken, dass das Berufungsgericht allein auf den Wortlaut des Optionsvertrags abstellte und dafür ergänzend den von der Klägerin selbst als Beilage vorgelegten und unstrittigen Vertragstext heranzog (vgl RS0121557, RS0040083 [T1]). Auch die Auslegung des Berufungsgerichts, wonach darin nicht nur die Laufzeit geregelt sei, sondern ebenso die Modalitäten für die Ausübung der Option, nämlich „durch schriftliche Erklärung einerseits und Einzahlung des zum Zeitpunkt der Ausübung der Option ermittelten Kaufpreisbetrages auf das Konto des Treuhänders andererseits“, bewegt sich innerhalb des ihm im Einzelfall notwendigerweise zukommenden Beurteilungsspielraums.
[17] Das Rechtsmittelvorbringen, wonach die Parteien den Vertrag anders verstanden hätten, jedenfalls aber im Zuge der Korrespondenz über die Optionsausübung einvernehmlich davon abgegangen seien, und sich der Schuldner, der schon damals einzig seine eigenen finanziellen Interessen verfolgt habe, treuwidrig und rechtsmissbräuchlich verhalten habe, scheitert, worauf ebenfalls bereits das Berufungsgericht hinwies, an einem substanziierten erstinstanzlichen Tatsachenvorbringen und damit am Neuerungsverbot der §§ 482 Abs 2, 504 Abs 2 ZPO. Die Klägerin bot zwar an, den Kaufpreis treuhändig zu erlegen, und nahm eine dahingehende Abwicklung in den Vertragsentwurf bzw eine Zug um Zug‑Verpflichtung in ihr Eventualbegehren auf, brachte aber nie vor, dass und wodurch sie vom Schuldner an einem Erlag gehindert worden wäre. Ihr erstinstanzliches Vorbringen, wonach niemand von seinem schädigenden Verhalten profitieren dürfe, bezog sich vorrangig auf den Einwand des Schuldners, wonach nie ein Verkauf beabsichtigt gewesen und der (von ihm errichtete) Optionsvertrag unwirksam sei, und nicht konkret auf die Optionsausübung.
[18] Die Ansicht des Berufungsgerichts, dass selbst ein widersprüchliches und eigennütziges Verhalten des Schuldners die Klägerin nicht von der Einhaltung ihrer eigenen vertraglichen Verpflichtungen entbunden habe, sodass erforderlichenfalls der Kaufpreis gerichtlich zu hinterlegen gewesen wäre, und ein bloßes Anbot hier nicht ausreiche, kann aber im Einzelfall und im Hinblick auf die vereinbarte Frist sowie eine Sicherung schon bei Optionsausübung keineswegs als unvertretbar qualifiziert werden.
[19] 1.3. § 182a ZPO hat schließlich nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (RS0122365). Musste den Parteien auf Grund des beiderseitigen Vorbringens klar sein, dass die Auslegung von schriftlichen Verträgen von Bedeutung sein werde, kann nicht bloß deshalb, weil die Auslegungsfrage erstmalig vom Berufungsgericht aufgegriffen und in einer der klägerischen Auffassung entgegengesetzten Weise gelöst wurde, von einer Überraschung mit einer Rechtsansicht gesprochen werden (vgl RS0037300 [T15]).
[20] 2. Weiters hat das Berufungsgericht grundsätzlich zutreffend auf die ständige Rechtsprechung verwiesen, laut der eine Umstellung des Leistungsprozesses in einen Prüfungsprozess und eine Änderung des Klagebegehrens auf Feststellung erforderlichenfalls auch noch im Rechtsmittelverfahren und von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl RS0041103, RS0065967).
[21] Die Frage eines Eingriffs in das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 21 IO, die von der Klägerin gegen die amtswegige Umstellung ins Treffen geführt wird (in concreto betreffend den Liegenschaftskaufvertrag; s dazu auch 17 Ob 14/22s), ist schon mangels wirksamer Optionsausübung nicht präjudiziell.
[22] Wenn die Klägerin darauf beharrt, dass über ihr Begehren auf Vertragsunterfertigung zu entscheiden gewesen wäre, ist ihr entgegenzuhalten, dass es hier keineswegs um eine persönliche Leistung des Schuldners iSd § 6 Abs 3 IO geht (vgl RS0063707), sondern um die Einwilligung in die Einverleibung zwecksÜbertragung des Eigentums an einer in die Masse fallenden Liegenschaft, und dieses daher mangels Vereinbarkeit mit § 6 Abs 1, § 14 Abs 1 und § 110 Abs 1 iVm § 113 IO zurückgewiesen hätte werden müssen (vgl RS0119602, RS0111042).
[23] Wenn man dieses hingegen im Sinne ihrer primären Anmeldung im Insolvenzverfahren als Aussonderungsbegehren iSd § 6 Abs 2 IO versteht, wäre es ebenso abzuweisen gewesen wie ihr hilfsweiser Geldleistungsanspruch. Durch eine bloß unrichtige Entscheidungsform kann sich eine Partei aber nicht beschwert erachten (RS0036324 [T16]).
[24] Einen Aussonderungsanspruch nach § 44 IO hätte die Klägerin nicht einmal dann, wenn sie die Option vor Insolvenzeröffnung wirksam ausgeübt hätte, hätte sie doch mangels Einverleibung noch kein Eigentum erworben (vgl 2 Ob 687/86; vgl auch RS0063858, RS0063848, RS0065403; RS0102658; § 13 IO). Das Rechtsmittelgericht wies bereits im Rahmen der Aufhebung der einstweiligen Verfügung – und von der Klägerin unbekämpft – darauf hin, dass auch das Veräußerungs- und Belastungsverbot kein Ersatz für eine Rangordnung gewesen sei. Der obligatorische Anspruch auf Übertragung des Eigentums an Liegenschaften wird aber grundsätzlich als mit ihrem Schätzwert zur Zeit der Konkurseröffnung anzumeldende Forderung angesehen (vgl RS0063909 [T1]).
[25] 3. Im Ergebnis gelingt es der Revision sohin nicht, ein unvertretbares Abgehen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung oder sonst eine erhebliche Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen, sodass sie als unzulässig zurückzuweisen ist.
[26] 4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 ZPO. Die Beklagte erachtete die Revision im Zusammenhang mit der Klagsänderung ausdrücklich für zulässig (vgl RS0035962, RS0035979).
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