European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0120OS00112.24Y.1022.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Fachgebiet: Suchtgiftdelikte
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Aus deren Anlass wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Schuldspruch zu I./A./, demgemäß auch im * I* betreffenden Strafausspruch (einschließlich dessen Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Innsbruck verwiesen.
Die Entscheidung über die Berufung des Angeklagten * G* und dessen Beschwerde kommt dem Oberlandesgericht Innsbruck zu.
Dem Angeklagten G* fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurden – soweit hier von Bedeutung – * I* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 3 zweiter Fall SMG (I./A./) und des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 (richtig:) zweiter Fall, Abs 2, Abs 3, Abs 4 dritter Fall SMG (I./B./), * G* des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 2, Abs 4 Z 3 SMG (II./A./ und II./B./) schuldig erkannt.
[2] Danach haben I*, G* und ein unbekannter Mittäter in I* als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung vorschriftswidrig Suchtgift, und zwar
I./ I* von 26. Februar 2024 bis 28. März 2024
A./ in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von 3,04 Grenzmengen, nämlich insgesamt 800 Gramm Cannabisblüten (8,08 Gramm Reinsubstanz Delta‑9‑THC und 105,69 Gramm Reinsubstanz THCA) an G* überlassen, „nachdem er es für diesen aufbewahrt hatte“;
B./ in Bezug auf eine das 15‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von 67,65 Grenzmengen mit dem Vorsatz, dass es in Verkehr gesetzt werde, besessen, und zwar über die zu I./A. genannten Mengen hinausgehende, im Urteil näher bezeichnete Suchtgiftquanten (B./1 bis ./8);
II./ G* in einer das 25‑Fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge von 72,01 Grenzmengen anderen überlassen, und zwar
A./ am 26. Februar 2024 I* als seinem Bunkerhalter im Urteil näher bezeichnete Suchtgiftquanten (A./1 bis ./9) zur Aufbewahrung in dessen Wohnung und Kellerabteil;
B./ von 26. Februar 2024 bis 8. März 2024 unbekannten Abnehmern die im Urteil näher bezeichneten Suchtgiftquanten (B./1 bis ./2).
Rechtliche Beurteilung
[3] Gegen den ihn betreffenden Schuldspruch wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5, 5a und 9 lit a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des G*. Dieser kommt keine Berechtigung zu.
Zur Nichtigkeitsbeschwerde des G*:
[4] Dem Vorwurf offenbar unzureichender Begründung der Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) zuwider hat der Schöffensenat die Konstatierungen zur Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung ohne Verstoß gegen Gesetze folgerichtigen Denkens oder grundlegende Erfahrungssätze (RIS‑Justiz RS0116732) auf die weitgehend geständige Verantwortung der Angeklagten, einen Chatverlauf, die anlässlich der Hausdurchsuchung sichergestellten Suchtgiftquanten sowie den – im Verhältnis dazu geringen – Verkaufsanteil gestützt (US 18 iVm US 20 f und US 22 f).
[5] Weshalb diese Feststellungen keinen hinreichenden Sachverhaltsbezug in Ansehung der zeitlichen Komponente des Zusammenschlusses – der zumindest auf einige Wochen angelegt war (US 11 und US 16; vgl RIS‑Justiz RS0119848, RS0125232 [T7]) – aufweisen sollten, erklärt der Beschwerdeführer (dSn Z 10) nicht.
[6] Indem die Beschwerde den diesbezüglichen Urteilskonstatierungen eigenständige Erwägungen zur Dauer der kriminellen Vereinigung entgegensetzt, übt sie bloß unzulässige Beweiswürdigungskritik.
[7] Soweit dieses Vorbringen zugleich als Tatsachenrüge (Z 5a) geltend gemacht wird, entzieht es sich einer inhaltlichen Erwiderung, weil der wesensmäßige Unterschied der Nichtigkeitsgründe und das daraus resultierende Erfordernis getrennter Ausführung vernachlässigt werden (vgl RIS‑Justiz RS0115902).
[8] Indem der Beschwerdeführer anhand seiner Verantwortung in Verbindung mit jener des I* für seinen Standpunkt günstigere Schlussfolgerungen im Tatsächlichen fordert und dabei die zeitliche Dauer des Zusammenschlusses anspricht, beschränkt er sich neuerlich darauf, nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung die Beweiswürdigung des Schöffengerichts zu bekämpfen und verlässt damit den aus Z 5a des § 281 Abs 1 StPO eröffneten Anfechtungsrahmen (siehe dazu RIS‑Justiz RS0118780, RS0119583).
[9] Soweit die Subsumtionsrüge (Z 10 [nominell Z 9 lit a]) in Ansehung der Konstatierungen zur Tatbegehung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung „sekundäre Feststellungsmängel“ reklamiert, verkennt sie, dass ein Feststellungsmangel nur hinsichtlich eines nicht durch Urteilskonstatierungen geklärten, gleichwohl durch Ergebnisse des Beweisverfahrens indizierten Sachverhalts geltend gemacht werden kann (RIS‑Justiz RS0118580; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 600). Wurden im Urteil (wie hier US 11 f, US 16 f) Feststellungen betreffend eine entscheidende Tatsache sehr wohl getroffen, kann diesbezüglich kein Feststellungsmangel vorliegen (RIS‑Justiz RS0118580 [T24]).
[10] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits in nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).
Zur amtswegigen Maßnahme:
[11] Aus deren Anlass überzeugte sich der Oberste Gerichtshof davon, dass dem angefochtenen Urteil im Schuldspruch I./A./ nicht geltend gemachte materielle Nichtigkeit (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO) anhaftet, die dem Mitangeklagten I* zum Nachteil gereicht und daher von Amts wegen wahrzunehmen war (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO):
[12] Überlassen iSd § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG ist die Übertragung des Gewahrsams an Suchtgift von einer Person auf eine andere (RIS‑Justiz RS0088335); sei es durch einen rein faktischen (zB Übergabe) oder rechtlichen (zB Verkauf) Vorgang. Hat der Übernehmer von Anfang an (Mit‑)Gewahrsam am Suchtgift, und gibt er diesen auch nicht auf, kann ihm kein Gewahrsam übertragen werden (RIS‑Justiz RS0115882 [T3], RS0088330, RS0088010 [T4]; zur Möglichkeit des Überlassens von Suchtgift innerhalb einer kriminellen Vereinigung siehe RIS‑Justiz RS0088010 [T8]).
[13] Der Begriff Gewahrsam ist in gleicher Weise auszulegen wie jener bei Vermögensdelikten (vgl RIS‑Justiz RS0122857). Er knüpft als faktisch‑normativer Begriff an die mit Herrschaftswillen verbundene tatsächliche Sachherrschaft an. Es reicht dabei jede Form eines sogenannten gelockerten Gewahrsams im Sinn einer sozialen Zuordnung eines Gegenstands zu einer Person aus; auch bei dessen fehlender körperlicher Anwesenheit. Wesentliches Kriterium ist die potentielle Überwachung durch die übergeordneten Gewahrsam ausübende Person. Eine „greifbare Nähe“ zur Sache ist nicht erforderlich, es genügt eine rasch realisierbare Nachschau. An Sachen, die jemand zurücklässt und wieder an sich nimmt, bleibt ein Mitgewahrsam auch dann bestehen, wenn ein anderer zwischenzeitig Zugriff auf diese Sache hat (RIS‑Justiz RS0093788 [T2], RS0093841 [T2, T6], RS0099100 [T5, T6], RS0096666 [T1, T2]; 14 Os 123/07f, 12 Os 78/18i, jüngst 12 Os 68/24b).
[14] Soweit das Erstgericht konstatierte, dass G* Suchtgift in die Wohnung des I* zunächst – verpackt in Sporttaschen und einem großen Müllsack – brachte und einen Großteil davon anschließend in dem zur Wohnung des I* gehörenden Kellerabteil deponierte, wobei ein Teil desselben in der Wohnung verblieb, damit dieses für den Verkauf vorportioniert und verpackt werden konnte und I* im Zuge der Verkaufsabwicklung einen Teil des Suchtgifts wieder an G* zurückgab (US 13) fehlen Feststellungen zum Nichtvorliegen von (Mit‑)Gewahrsam des G* am Suchtgift im Zeitpunkt dessen Rückgabe an ihn sowie Feststellungen zur allfälligen Aufgabe desselben (zum Bunker in der Wohnung eines Mitbewohners siehe RIS‑Justiz RS0115882 [T7]).
[15] Den Entscheidungsgründen mangelt es solcherart an der für die rechtliche Beurteilung der Gewahrsamsverhältnisse notwendigen Sachverhaltsgrundlage (vgl RIS‑Justiz RS0133376).
[16] Dieser Rechtsfehler erfordert die Aufhebung des Schuldspruchs I./A./, demzufolge auch des I* betreffenden Strafausspruchs (einschließlich der Vorhaftanrechnung) schon bei der nichtöffentlichen Beratung und die Verweisung an das Erstgericht in diesem Umfang (§ 285e StPO).
[17] Die Entscheidung über die Berufung und die implizite Beschwerde des G* kommt dem Oberlandesgericht zu (§§ 285i, 498 Abs 3 dritter Satz StPO).
[18] Der Kostenausspruch, der die amtswegige Maßnahme nicht umfasst (RIS‑Justiz RS0101558), stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.
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