BVwG L524 2210160-1

BVwGL524 2210160-19.1.2019

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art.133 Abs4
EMRK Art.2
EMRK Art.3
EMRK Art.8
FPG §46
FPG §50 Abs1
FPG §50 Abs2
FPG §50 Abs3
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

European Case Law Identifier: ECLI:AT:BVWG:2019:L524.2210160.1.00

 

Spruch:

L524 2210158-1/5E

 

L524 2210160-1/5E

 

IM NAMEN DER REPUBLIK!

 

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Veronika SANGLHUBER, LL.B. über die Beschwerde von (1.) XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, und (2.) XXXX alias XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , beide vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.10.2018,

(1.) ZI. 1089732310-151479404 und (2.) ZI. 1089733808-151479412, zu Recht erkannt:

 

A) Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG, § 52 Abs. 2 Z 2 und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

 

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

 

I. Verfahrensgang:

 

1. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind verheiratet und irakische Staatsangehörige. Sie reisten mit ihrem volljährigen Sohn illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten am 02.10.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

 

Bei der am selben Tag erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Erstbeschwerdeführer an, er sei Moslem und gehöre der kurdischen Volksgruppe an. Im Irak würden noch fünf Brüder und eine Schwester leben; seine Eltern seien bereits verstorben. Eine weitere Schwester, eine Tochter und ein Sohn des Erstbeschwerdeführers würden in Australien leben. Er habe zuletzt in Bagdad unter der Adresse XXXX gelebt und als Schmied gearbeitet. Den Entschluss zur Ausreise habe er im Jahr 2012 gefasst, den Irak habe er dann am 25.09.2015 mit seiner Frau, der Zweitbeschwerdeführerin und dem gemeinsamen Sohn verlassen. Er sei mit dem Flugzeug in die Türkei gereist und auf dem Seeweg in einem Schlauchboot schlepperunterstützt nach Griechenland weitergereist und habe am 26.09.2015 eine unbekannte griechische Insel erreicht. Er sei dann über Athen, Mazedonien, Serbien, Kroatien schlepperunterstütz mit verschiedenen Verkehrsmitteln nach Ungarn gereist, von wo aus er zunächst mit dem Zug und dann zu Fuß in das österreichische Bundesgebiet weitergereist sei. Seinen Reisepass habe er im Mittelmeer verloren. In Griechenland sei er eine Nacht geblieben und sei dort erkennungsdienstlich behandelt worden, wolle in Griechenland aber keinesfalls Asyl beantragen, er gehe diesfalls eher in den Irak zurück.

 

Als Fluchtgrund gab der Erstbeschwerdeführer an:

 

"Die Miete und die Lebenserhaltung im Irak ist sehr hoch, es gibt keine Arbeit. Ständige Explosionen, 2 x gab es in der Nähe meines Sohnes eine Explosion, aber Gott hat ihn beschützt. Es kommt auch ständig zu Entführungen durch terroristische Gruppierungen. Wir müssen für die Soldaten spenden, die gegen die Terroristen in den Kampf ziehen. Für die entführten Personen wird von den Terroristen Lösegeld gefordert, oder sie werden getötet."

 

Befragt nach den Befürchtungen bei einer Rückkehr in den Irak gab der Erstbeschwerdeführer an, er habe Angst vor Terroristen und dass er keine Arbeit und kein Geld zum Leben habe. Die Staatsverschuldung sei sehr groß. Es gebe keine Wirtschaft mehr.

 

2. Die Zweitbeschwerdeführerin gab bei der am 02.10.2015 erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, sie sei Moslemin und gehöre der kurdischen Volksgruppe an. Im Irak habe sie keine Angehörigen, im Iran würden noch ihre Mutter, drei Brüder und vier Schwestern leben. Ihr Vater sei bereits verstorben.

 

Sie habe zuletzt in Bagdad unter der Adresse XXXX gelebt. Den Entschluss zur Ausreise habe sie im Jahr 2012 gefasst, den Irak habe sie dann am 25.09.2015 gemeinsam mit ihrem Mann, dem Erstbeschwerdeführer, und dem gemeinsamen Sohn verlassen. Sie sei mit dem Flugzeug in die Türkei gereist und auf dem Seeweg in einem Schlauchboot schlepperunterstützt nach Griechenland weitergereist und habe eine unbekannte griechische Insel am 26.09.2015 erreicht. Sie sei dann über Athen, Mazedonien, Serbien, Kroatien schlepperunterstütz mit verschiedenen Verkehrsmitteln nach Ungarn gereist, von wo aus sie zunächst mit dem Zug und dann zu Fuß in das österreichische Bundesgebiet weitergereist sei. Ihren Reisepass habe sie im Mittelmeer verloren. In Griechenland sei sie eine Nacht geblieben und sei dort erkennungsdienstlich behandelt worden.

 

Als Fluchtgrund gab die Zweitbeschwerdeführerin an:

 

"Die Miete und die Lebenserhaltung im Irak ist sehr hoch, es gibt keine Arbeit. Ständige Explosionen, 2 x gab es in der Nähe meines Sohnes eine Explosion, aber Gott hat ihn beschützt. Es kommt auch ständig zu Entführungen durch terroristische Gruppierungen. Wir müssen für die Soldaten spenden, die gegen die Terroristen in den Kampf ziehen. Für die entführten Personen wird von den Terroristen Lösegeld gefordert, oder sie werden getötet."

 

Für den Fall ihrer Rückkehr in den Irak befürchte die sie, von Terroristen getötet zu werden und keine Lebensgrundlage zu haben.

 

3. Bei der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) am 11.04.2018 brachte der Erstbeschwerdeführer im Wesentlichen vor, er habe in der Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben gemacht und es sei ihm rückübersetzt worden. Seinen Reisepass habe er bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland verloren. Nachgefragt gab er an, er habe die Tasche mit seinem Reisepass weggeworfen, damit das Gewicht des Schlauchboots weniger werde. Nach Vorhalt, dass er den Personalausweis nicht weggeworfen habe, meinte der Erstbeschwerdeführer, der Schlepper habe dazu geraten, den Reisepass in Griechenland nicht vorzuzeigen, weil sie sonst von den Behörden zurückgeschickt würden. Der Erstbeschwerdeführer sei am XXXX in Bagdad geboren, schiitischer Moslem und gehöre der Volksgruppe der Faili-Kurden an. Er sei seit 1984 mit der Zweitbeschwerdeführerin verheiratet und habe mit dieser drei Kinder. Ihr Sohn XXXX und ihre Tochter XXXX würden in Australien leben und ihr Sohn XXXX lebe mit ihnen in Österreich. Seine Eltern sowie zwei Brüder seien verstorben. Er habe fünf weitere Brüder und eine Schwester im Irak sowie eine weitere Schwester in Australien. Drei Brüder und eine Schwester würden in Bagdad in verschiedenen Stadtteilen (zB XXXX ) leben und zwei Brüder würden im Nordirak in der kurdischen Autonomieregion (KRI) in XXXX leben. Er stehe mit seinen Angehörigen im Irak wöchentlich in telefonischem Kontakt.

 

Er habe in Bagdad fünf Jahre die Grundschule besucht. Danach habe er bis 1977 als Schweißer in Bagdad gearbeitet und habe von 1977 bis 1990 den Militärdienst geleistet. Im Anschluss daran habe er für drei Jahre als Brennholzverkäufer und danach bis zu seiner Ausreise erneut selbstständig als Schweißer in Bagdad gearbeitet. Bei der Ausreise habe er seine Arbeitsgeräte und sein Motorrad verkauft. Zuletzt habe er in einem gemieteten Haus in Bagdad im Stadtteil XXXX gelebt.

 

In Österreich habe er zwei Deutschkurse für Analphabeten besucht, er sei nicht erwerbstätig, auch nicht ehrenamtlich tätig und erhalte Leistungen aus der Grundversorgung. Er habe nur Kontakt zu Irakern.

 

Er habe im Jahr 2012 den Entschluss gefasst den Irak zu verlassen, weil die Lage unsicher gewesen sei und es in Bagdad Explosionen gegeben habe. Er habe aber kein Geld für die Ausreise gehabt, weshalb er den Irak erst am 26.09.2015 verlassen habe.

 

Zu seinem Fluchtgrund gab der Erstbeschwerdeführer an (Fehler im Original):

 

"F.: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig, detailliert und wahrheitsgemäß. Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.

 

A: Es gab Explosionen in Bagdad und viele Menschen wurden entführt. Deswegen habe ich Angst um meinen Sohn gehabt.

 

(Ende der freien Schilderung.)

 

F: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie den Irak verlassen haben?

 

A: Nein.

 

F: Ist Ihnen persönlich im Irak etwas passiert?

 

A: Nein.

 

F: Ist Ihrer Familie bzw. Ihrer mitgereisten Frau oder Ihrem Sohn im Irak etwas passiert?

 

A: Nein, aber mein Sohn war öfter in der Stadt unterwegs und wir hatten Angst dass ihm bei den Explosionen auf der Straße etwas passiert.

 

F: Waren diese Explosionen gezielt gegen Ihren Sohn gerichtet?

 

A: Nein, es waren allgemeine Explosionen.

 

F: Ist irgendjemand von Ihrer Familie bei diesen Explosionen verletzt worden?

 

A: Nein.

 

F: Was hat Ihr mitgereister Sohn XXXX im Irak gemacht?

 

A: Er war Hilfsarbeiter und Träger im XXXX in Bagdad.

 

F: Sie haben bei der Erstbefragung gesagt, dass die Miete sehr hoch war und wenig Arbeit war. Was sagen Sie dazu?

 

A: Ja das stimmt, das ganze Leben war teuer und mein Sohn aus Australien schickte mir Geld. Ich wollte keine Last mehr für ihn sein.

 

F: Wollen Sie zu Ihrem Fluchtgrund noch etwas sagen?

 

A: Meine Eltern stammen aus dem Iran, mein Vater kam mit 12 Jahren in den Irak. Er hat dann im Irak gelebt und geheiratet. Man geht davon aus im Irak, dass wir einfach zum Iran gehören. Auch mit "wir" meine ich die kurdischen Faili. Die regierenden Parteien im Irak meinen, dass wir pro Saddam Hussein waren und deswegen bekommen wir keine eigenen Häuser von der Stadt.

 

F: Vorhalt: Sie verbrachten Ihr ganzes Leben als Kurde Faili in Bagdad in XXXX in einem geschützten Gebiet, Sie besitzen die irakische Staatsbürgerschaft und haben auch Dokumente. Was sagen Sie dazu?

 

A: Ja, ich habe aber selber keine Sippe und keinen Stamm.

 

F: Was meinen Sie damit?

 

A: Die Sippen und Stämme regieren im Irak.

 

F: Ist Ihnen persönlich im Irak etwas passiert?

 

A: Nein. Ich war ein ruhiger Mensch und habe mich nirgendwo eingemischt. Mir ist nichts passiert.

 

F: Was befürchten Sie im Falle einer Rückkehr in den Irak?

 

A: Ich kann dort nicht leben. Nachgefragt: Niemand wird für mich und mein Leben sorgen.

 

F: Was meinen Sie damit, dass jemand für Sie sorgt?

 

A: Niemand wird mir Geld geben uns sich um mich kümmern.

 

F: Sie haben ja Geschwister im Irak. Warum soll das Leben für Sie nicht möglich sein und für Ihre Geschwister schon?

 

A: Meine Geschwister haben viele Söhne, welche für sie arbeiten und sorgen. Ich habe nur einen Sohn, dieser ist mit mir in Österreich.

 

Nachgefragt: Ja, ich habe schon einen zweiten Sohn auch, der ist in Australien."

 

Der Erstbeschwerdeführer gab, keine Probleme mit den Behörden gehabt zu haben, nicht vorbestraft oder inhaftiert gewesen zu sein. Es bestünden keine Fahndungsmaßnahmen, er sei nicht Mitglied in einer politischen Partei. Er habe keine Probleme aufgrund seines Religionsbekenntnisses bzw. seiner Volksgruppenzugehörigkeit gehabt und auch keine Probleme mit Privatpersonen gehabt.

 

4. Bei der Einvernahme vor dem BFA am 11.04.2018 brachte die Zweitbeschwerdeführerin im Wesentlichen vor, sie habe in der Erstbefragung wahrheitsgemäße Angaben gemacht und es sei ihr rückübersetzt worden. Ihr Reisepass sei auf der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland weggeworfen worden. Sie sei am XXXX in XXXX geboren, schiitische Moslemin und gehöre der Volksgruppe der Faili-Kurden an. Sie sei mit dem Erstbeschwerdeführer verheiratet und habe mit diesem drei Kinder. Ihr Sohn XXXX und ihre Tochter XXXX würden in Australien leben und ihr Sohn XXXX lebe mit ihnen in Österreich. Ihr Vater sei bereits verstorben; ihre Mutter, zwei Brüder und vier Schwestern würden im Iran leben und ein weiterer Bruder lebe in Australien. Im Irak würden nur die Geschwister ihres Ehegatten leben. Sie habe in XXXX neun Jahre die Schule besucht und im Alter von 21 Jahren ihren nunmehrigen Ehegatten geheiratet und mit diesem bis zur Ausreise in Bagdad gelebt.

 

Sie habe bislang wegen Kopfschmerzen keine Deutschkurse besucht, sei nicht erwerbstätig, würde jedoch gerne ehrenamtliche Tätigkeiten verrichten. Sie verbringe ihre Zeit mit anderen Asylwerbern.

 

Im Jahr 2011 oder 2012 habe den Entschluss gefasst den Irak zu verlassen. Sie habe aber kein Geld für die Ausreise gehabt, weshalb sie den Irak erst am 26.09.2015 mit ihrem Mann und dem Sohn verlassen habe.

 

Zu ihrem Fluchtgrund gab die Zweitbeschwerdeführerin an (Fehler im Original):

 

"F.: Schildern Sie die Gründe, warum Sie Ihr Heimatland verlassen und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, von sich aus vollständig, detailliert und wahrheitsgemäß. Sie werden darauf hingewiesen, dass falsche Angaben die Glaubwürdigkeit Ihres Vorbringens beeinträchtigen können.

 

A: Ich machte mir nur Sorgen um meinen Sohn XXXX . Er hat im XXXX gearbeitet und wir hatten Angst dass ihm etwas passiert. Wir leben seit 2 1/2 Jahren in Österreich und machen uns keine Sorgen wenn unser Sohn draußen unterwegs ist.

 

F: Gibt es noch andere Gründe, warum Sie den Irak verlassen haben?

 

A: Wir sind nur wegen meinem Sohn XXXX ausgereist.

 

F: Ist Ihrem Sohn XXXX im Irak etwas passiert?

 

A: Ihm selber ist nichts passiert, aber er war öfter unterwegs wo in der Nähe Explosionen waren.

 

F: Wann waren diese Explosionen und wo?

 

A: Einmal 2014 und einmal 2015. Die Explosionen waren in XXXX , im Kaffeehaus und auch im XXXX , wo mein Sohn arbeitete.

 

F: Waren diese Explosionen gezielt gegen Ihren Sohn gerichtet?

 

A: Nein, das betrifft tausende Menschen.

 

F: Ist Ihnen persönlich im Irak etwas passiert?

 

A: Nein.

 

F: Haben Sie eine Explosion miterlebt?

 

A: Nein, aber es gab diese öfter in der Nähe.

 

F: Wer verursachte diese Explosionen?

 

A: Das weiß ich nicht.

 

F: Ist Ihrer Familie bzw. Ihrem mitgereisten Mann oder Ihrem Sohn im Irak etwas passiert?

 

A: Nein, nein, nein.

 

Vorhalt: Sie haben bei der Erstbefragung gesagt, dass die Miete sehr hoch war und wenig Arbeit war. Was sagen Sie dazu?

 

A: Ja, das stimmt.

 

F: Warum haben sie das heute als Fluchtgrund nicht erzählt?

 

A: Sie haben mich nicht danach gefragt.

 

Vorhalt: Sie wurden gefragt, alle Fluchtgründe zu schildern und es wurde auch gefragt, ob Sie weitere Fluchtgründe haben.

 

A: Ich meine damit, ich wurde nicht nach der finanziellen Lage gefragt. In unserem Stadtviertel waren die Mieten sehr hoch.

 

F: Wollen Sie zu Ihrem Fluchtgrund noch etwas sagen?

 

A: Nein.

 

F: Was befürchten Sie im Fall der Rückkehr in den Irak?

 

A: Wir haben Angst, dass unserem Sohn etwas passiert. Um mich selbst mache ich mir keine Sorgen."

 

Die Zweitbeschwerdeführerin gab, keine Probleme mit den Behörden gehabt zu haben, nicht vorbestraft oder inhaftiert gewesen zu sein. Es bestünden keine Fahndungsmaßnahmen, sie sei nicht Mitglied in einer politischen Partei. Sie habe keine Probleme aufgrund ihres Religionsbekenntnisses bzw. ihrer Volksgruppenzugehörigkeit gehabt und auch keine Probleme mit Privatpersonen gehabt.

 

5. Mit Bescheiden des BFA vom 24.10.2018, (1.) ZI.

1089732310-151479404 und (2.) ZI. 1089733808-151479412, wurden die Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen die Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).

 

In der Begründung wurden zunächst die Angaben der Beschwerdeführer zu ihren Fluchtgründen in der Erstbefragung sowie die Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA wörtlich wiedergegeben. Weiters wurden die vorgelegten Dokumente angeführt.

 

Das BFA stellte fest, dass die Beschwerdeführer irakische Staatsangehörige und schiitische Moslems seien, sowie der Volksgruppe der Faili-Kurden angehören. Sie seien gesund, arbeitsfähig und in Österreich strafrechtlich unbescholten. Die Beschwerdeführer seien miteinander verheiratet und hätten drei Kinder. Im Irak würden noch fünf Brüder und eine Schwester des Erstbeschwerdeführers leben. In Österreich lebe ein Sohn der Beschwerdeführer.

 

Der Erstbeschwerdeführer habe fünf Jahre die Schule besucht und habe Berufserfahrung als Schweißer. Die Zweitbeschwerdeführerin habe neun Jahre die Schule besucht.

 

Der Erstbeschwerdeführer habe zwei Deutschkurse besucht, habe dazu aber keine Prüfung abgelegt und habe keine ehrenamtliche Tätigkeit verrichtet. Die Zweitbeschwerdeführerin habe keinen Deutschkurs besucht und keine ehrenamtliche Tätigkeit verrichtet. Die Beschwerdeführer würden im Bundesgebiet von der Grundversorgung leben.

 

Zu den Gründen für das Verlassen des Heimatstaates stellte das BFA fest, es könne nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer oder ihre Familie im Irak aufgrund von Explosionen bedroht worden seien. Es habe auch nicht festgestellt werden können, dass die Beschwerdeführer im Irak einer Verfolgung durch staatliche Organe oder Privatpersonen unterliegen würden und auch aus den sonstigen Umständen habe keine Verfolgung aus GFK-Gründen festgestellt werden können.

 

Danach traf das BFA Feststellungen zur Lage im Irak.

 

Beweiswürdigend führte das BFA im Bescheid des Erstbeschwerdeführers aus (Schreibfehler im Original):

 

"Bei den Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats steht die Vernehmung als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Deshalb obliegt es dem Asylwerber alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen und müssen diese Angaben von der Behörde auf Ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden.

 

Sie gaben in Ihrer Erstbefragung am 02.10.2015 befragt zu Ihren Fluchtgründen sinngemäß an, dass im Irak die Miete und die Lebenshaltungskosten sehr hoch seien, es gebe keine Arbeit und außerdem ständig Explosionen. Zweimal habe in der Nähe Ihres Sohnes eine Explosion stattgefunden.

 

Die Angst um Ihren Sohn stellte auch in der Einvernahme vor der Behörde am 11.04.2018 einen wesentlichen Grund für das Verlassen Ihrer Heimat dar. Es gebe Explosionen und viele Menschen würden entführt werden. Die Explosionen seien aber allgemein gewesen und nicht speziell gegen Ihren Sohn gerichtet, trotzdem hätten Sie Angst um ihn gehabt, weil er öfter in der Stadt unterwegs war.

 

Nachgefragt, warum Sie in der Erstbefragung die hohen Miet- und Lebenserhaltungskosten als Ausreisegrund angaben, meinten Sie, dies stimme, das Leben sei teuer und Ihr Sohn aus Australien habe Ihnen Geld geschickt. Jedoch wollten Sie keine Last mehr für ihn sein.

 

Grundsätzlich ist der Status eines Asylberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen. Diese liegen vor, wenn sich jemand aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Voraussetzung für die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling ist daher ein Eingriff, der eine solche Intensität erreicht, dass es dem Asylwerber unzumutbar ist, weiter im Heimatstaat zu verbleiben.

 

In Ihrem Fall ging die Behörde von keiner realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde

 

Es ist Ihnen nicht gelungen, eine konkrete und gezielt gegen Ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, vorzubringen.

 

Ihre Angaben lassen in erster Linie wirtschaftliche Gründe für das Verlassen Ihrer Heimat erkennen. So machten Sie als ersten geschilderten Grund in Ihrer Erstbefragung die hohen Miet- und Lebenserhaltungskosten und die Arbeitslosigkeit im Irak geltend, Sie hätten im Falle Ihrer Rückkehr in Ihre Heimat Angst dass Sie keine Arbeit und kein Geld zum Leben hätten. Die Staatsverschuldung sei sehr groß. Diese Gründe bestätigten Sie später auch in der Einvernahme vor der Behörde.

 

Zusätzliche schilderten Sie dann auch dass es ständig Explosionen und Entführungen gäbe. Diese Angaben sind zweifelsfrei den Tatsachen entsprechend, jedoch sind sie allgemein und waren nicht gegen Sie oder Ihren Sohn speziell gerichtet.

 

Sie gaben in der Einvernahme vor der Behörde an, Sie seien in Ihrem Heimatland inhaftiert gewesen weil Sie vor dem Militärdienst geflüchtet sind. Einen Haftbefehl oder sonstige Nachweise dazu konnten Sie nicht vorlegen, der Vorfall habe bereits im Jahr 1988 stattgefunden.

 

Die Voraussetzung wohlbegründeter Furcht wird in der Regel nur erfüllt, wenn zwischen den Umständen, die als Grund für die Ausreise angegeben werden und der Ausreise selbst ein zeitlicher Zusammenhang besteht (VwGH 17.03.2009, 2007/19/0459; VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Relevant kann nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein, welche im Zeitpunkt der Bescheiderlassung vorliegen muss. Die der Asylentscheidung immanente Prognose, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten haben, hat auf diesen Zeitpunkt abzustellen (VwGH, 19.10.2000, 98/20/0233).

 

In einer Gesamtschau hat die Behörde auf Grundlage des von Ihnen gewonnenen Eindrucks - auch unter Berücksichtigung der Grenzen freier Beweiswürdigung - nicht die Überzeugung erlangen können, dass eine Verfolgungsgefährdung besteht und Ihnen im Herkunftsstaat eine persönliche asylrelevante Verfolgung bzw. Bedrohung droht. Die Behörde kam in Summe im Rahmen der vorzunehmenden Beweiswürdigung zu dem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis, dass sich der maßgebliche von Ihnen behauptete und den Fluchtgrund betreffenden Sachverhalt, nämlich dass in Bagdad die wirtschaftliche Lage schlecht sei und allgemein Explosionen und Entführungen stattfanden, als nicht asylbegründend darstellt.

 

Auch aus den sonstigen Umständen konnte eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung nicht festgestellt werden.

 

Für die Behörde steht daher fest, dass es bis dato keine individuelle Verfolgungsgefahr für Ihre Person gab."

 

Beweiswürdigend führte das BFA im Bescheid der Zweibeschwerdeführerin aus (Schreibfehler im Original):

 

"Bei den Feststellungen zu den Gründen für das Verlassen Ihres Herkunftsstaats steht die Vernehmung als wichtigstes Beweismittel zur Verfügung. Deshalb obliegt es dem Asylwerber alles Zweckdienliche für die Erlangung der von ihm angestrebten Rechtsstellung darzulegen und müssen diese Angaben von der Behörde auf Ihre Glaubwürdigkeit überprüft werden.

 

Festgestellt wird, dass Sie die gleichen Gründe für das Verlassen Ihrer Heimat wie Ihr Ehemann vorbrachten.

 

Sie gaben in Ihrer Erstbefragung am 02.10.2015 befragt zu Ihren Fluchtgründen sinngemäß an, dass im Irak die Miete und die Lebenshaltungskosten sehr hoch seien, es gäbe keine Arbeit und außerdem ständig Explosionen. Zweimal habe in der Nähe Ihres Sohnes eine Explosion stattgefunden.

 

Die Angst um Ihren Sohn stellte auch in der Einvernahme vor der Behörde am 11.04.2018 einen wesentlichen Grund für das Verlassen Ihrer Heimat dar. Er habe im XXXX gearbeitet und Sie hätten Angst gehabt, dass ihm etwas passiere. Ihr Sohn sei öfter unterwegs gewesen, wo in der Nähe Explosionen gewesen seien. Auf Nachfrage, ob diese Explosionen gezielt gegen Ihren Sohn gerichtet gewesen seien, antworteten Sie, nein, das habe tausende Menschen betroffen. Sie würden sich um sich selbst keine Sorgen machen, Sie hätten nur Angst um Ihren Sohn.

 

Auch die schlechte wirtschaftliche Lage im Irak wie zum Beispiel die hohen Mietkosten und wenig Arbeit seien ein Grund für die Ausreise gewesen.

 

Grundsätzlich ist der Status eines Asylberechtigten einem Fremden zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass die Voraussetzungen des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention vorliegen. Diese liegen vor, wenn sich jemand aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

 

Voraussetzung für die Anerkennung eines Asylwerbers als Flüchtling ist daher ein Eingriff, der eine solche Intensität erreicht, dass es dem Asylwerber unzumutbar ist, weiter im Heimatstaat zu verbleiben.

 

In Ihrem Fall ging die Behörde von keiner realen Gefahr einer solchen Bedrohung aus. Unter realer Gefahr ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr ("a sufficiently real risk") möglicher Konsequenzen für den Betroffenen im Zielstaat zu verstehen (vgl. etwa VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573, mwN auf die Judikatur des EGMR). Es müssen stichhaltige Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person einem realen Risiko einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt wäre und es müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade die betroffene Person einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde

 

Es ist Ihnen nicht gelungen, eine konkrete und gezielt gegen Ihre Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der GFK genannten Gründe hätte, vorzubringen.

 

Ihre Angaben lassen in erster Linie wirtschaftliche Gründe für das Verlassen Ihrer Heimat erkennen. So machten Sie als ersten geschilderten Grund in Ihrer Erstbefragung die hohen Miet- und Lebenserhaltungskosten und die Arbeitslosigkeit im Irak geltend, Sie hätten im Falle Ihrer Rückkehr in Ihre Heimat Angst vor den Terroristen und dem Fehlen einer Lebensgrundlage. Diese Gründe bestätigten Sie später auch in der Einvernahme vor der Behörde.

 

Dass Sie sich aufgrund von Explosionen die in Bagdad stattfanden Sorgen um Ihren Sohn machten, ist allgemein verständlich, jedoch sind sie allgemein und waren nicht gegen Sie oder Ihren Sohn speziell gerichtet. Sie gaben dies selbst an, dass diese Vorfälle tausende Menschen und nicht explizit Ihren Sohn betroffen hätten. Sie seien nur wegen Ihrem Sohn ausgereist.

 

Wie schon ausgeführt, konnten Sie bei keinem der von Ihnen angeführten Gründe geltend machen, worin die Verfolgung für Sie persönlich bestehen würde.

 

In einer Gesamtschau hat die Behörde auf Grundlage des von Ihnen gewonnenen Eindrucks - auch unter Berücksichtigung der Grenzen freier Beweiswürdigung - nicht die Überzeugung erlangen können, dass eine Verfolgungsgefährdung besteht und Ihnen im Herkunftsstaat eine persönliche asylrelevante Verfolgung bzw. Bedrohung droht. Die Behörde kam in Summe im Rahmen der vorzunehmenden Beweiswürdigung zu dem den Denkgesetzen und den Erfahrungen des Lebens entsprechenden Ergebnis, dass sich der maßgebliche von Ihnen behauptete und den Fluchtgrund betreffenden Sachverhalt, nämlich dass in Bagdad die wirtschaftliche Lage schlecht ist und allgemein Explosionen und Entführungen stattfanden, als nicht asylbegründend erweist.

 

Auch aus den sonstigen Umständen konnte eine Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung nicht festgestellt werden.

 

Für die Behörde steht daher fest, dass es bis dato keine individuelle Verfolgungsgefahr für Ihre Person gab."

 

In rechtlicher Hinsicht wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführer die behaupteten Fluchtgründe nicht hätten glaubhaft machen können. Zudem seien bestehende schwierige Lebensumstände allgemeiner Natur hinzunehmen. Es ergebe sich auch kein Hinweis darauf, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in den Irak eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde. Nach Abwägung aller Interessen ergebe sich, dass eine Rückkehrentscheidung zulässig sei.

 

6. Gegen diesen Bescheid erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht über ihren nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertreter Beschwerde, in der im Wesentlichen die Situation der Faili-Kurden dargestellt wird, die schikaniert würden. In einer mündlichen Verhandlung werde der Erstbeschwerdeführer genauer über die alltäglichen Benachteiligungen berichten. Angesichts dieser Diskriminierungen sei der Erstbeschwerdeführer nicht mehr in der Lage, seine Existenzgrundlage zu sichern.

 

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

 

1. Feststellungen:

 

Die Beschwerdeführer sind irakische Staatsangehörige und schiitische Moslems. Sie gehören der Volksgruppe der Faili-Kurden an. Die Beschwerdeführer sind verheiratet und haben drei gemeinsame Kinder. Ein Sohn und eine Tochter leben in Australien, ein weiterer Sohn XXXX lebt mit den Beschwerdeführern im österreichischen Bundesgebiet. Darüber hinaus bestehen keine familiären Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet.

 

Im Irak leben fünf Brüder und eine Schwester des Erstbeschwerdeführers. Drei Brüder und eine Schwester des Erstbeschwerdeführers leben in Bagdad, zwei weitere Brüder leben in der kurdischen Autonomieregion in XXXX . Der Erstbeschwerdeführer steht in telefonischem Kontakt zu seinen Angehörigen im Irak. Die Mutter der Zweitbeschwerdeführerin lebt seit 20 Jahren im Iran. Dort leben auch zwei Brüder und vier Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin.

 

Der Erstbeschwerdeführer wurde in Bagdad geboren und lebte dort bis zu seiner Ausreise aus dem Irak. Er hat im Irak fünf Jahre die Schule besucht und danach bis 1977 als Schweißer gearbeitet. Von 1977 bis 1990 leistete er den Militärdienst. Danach arbeitete er drei Jahre als Brennholzverkäufer in Bagdad und im Anschluss daran bis zu seiner Ausreise als Schweißer.

 

Die Zweitbeschwerdeführerin wurde in XXXX geboren und wuchs dort im Elternhaus auf. Sie hat neun Jahre die Schule besucht und ist nach ihrer Heirat mit dem Erstbeschwerdeführer zu diesem nach Bagdad gezogen. Die Beschwerdeführer lebten in Bagdad in einem gemieteten Haus.

 

Zur Finanzierung der Ausreise hat der Erstbeschwerdeführer seine Arbeitsgeräte und sein Motorrad verkauft. Die wirtschaftliche Lage des Erstbeschwerdeführers war "mittelmäßig". Die Kosten der Reise betrugen für die Beschwerdeführer und ihren Sohn ca. 7.300 US-Dollar.

 

Die Beschwerdeführer verließen ca. im September 2015 legal den Irak und reisten gemeinsam mit ihrem volljährigen Sohn illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie am 02.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

 

Die Beschwerdeführer haben den Irak wegen der allgemeine Lage in Bagdad, wo es zu Explosionen und Entführungen kommt, und aus wirtschaftlichen Gründen verlassen.

 

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten und beziehen Leistungen aus der Grundversorgung. Sie sind nicht erwerbstätig und gehen auch keiner ehrenamtlichen Tätigkeit nach. Die Beschwerdeführer sind auch gesund. Der Erstbeschwerdeführer hat bislang die beiden Bildungsveranstaltungen Alpha Teil 1 und Teil 2 für AsylwerberInnen an der Volkshochschule XXXX besucht, jedoch keine Deutschprüfung abgelegt. Die Zweitbeschwerdeführerin hat bislang weder einen Deutschkurs besucht, noch eine Deutschprüfung abgelegt. Die Beschwerdeführer haben Kontakt zu irakischen Staatsangehörigen bzw. zu anderen Asylwerbern.

 

XXXX

 

KI vom 18.5.2018: Parlamentswahlen

 

Am 12.5.2018 wurden im Irak Parlamentswahlen abgehalten. Die Wahlbeteiligung lag bei 44,5 Prozent - die niedrigste Beteiligung seit dem Sturz Saddam Husseins 2003 (Die Presse 13.5.2018). Als Sieger geht das Wahlbündnis Sa'irun des schiitischen Geistlichen Muqtada al-Sadrs hervor, das nicht mehr vom ersten Platz zu verdrängen ist (Spiegel Online 17.5.2018). Auf zweitem Platz liegt, nach ersten Ergebnissen, das Fatah Bündnis des Milizenführers Hadi al-Ameri, der eng mit den iranischen Revolutionsgarden verbunden ist (Die Presse 13.5.2018). Die Nasr Allianz des amtierenden Ministerpräsidenten Haider al-Abadi kommt im Zwischenergebnis nur auf den dritten Platz (NZZ 15.5.2018).

 

Obwohl die Wahlkommission die Resultate der Wahl zunächst schon am 14.5.2018 veröffentlichen wollte, liegt bis dato kein offizielles Endergebnis vor (Spiegel Online 17.5.2018). Anschuldigungen von Wahlbetrug in der zwischen Kurden und irakischer Zentralregierung umstrittenen Stadt Kirkuk verzögern die Veröffentlichung der Endergebnisse (The Washington Post 17.5.2018). Laut Wahlkommission belagerten Bewaffnete am Mittwoch, den 16.5.2018, etliche Wahllokale in der Stadt und hielten Mitarbeiter der Wahlkommission in Geiselhaft (Reuters 16.5.2018). Der Gouverneur von Kirkuk sowie der Leiter der Exekutivorgane, Generalmajor Maan al-Saadi, bestritten dies und erklärten, dass die Lage stabil sei und es sich um friedliche und unbewaffnete Proteste um die Wahllokale herum handle (The Washington Post 17.5.2018; Reuters 16.5.2018).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

KI vom 23.11.2017: Weitere Entwicklungen im Anschluss an das Kurdenreferendum, weitere Rückeroberungen von IS-Gebiet und Update Sicherheitslage mit Fokus auf Bagdad.

 

Am 29.10.2017 erklärte Mas'ud Barzani seinen Rücktritt als Präsident der kurdischen Region. Er lehnte in einem Brief an das kurdische Parlament eine Verlängerung seines Mandats über den 1.11.17 hinaus ab (IFK 6.11.2017). Barzani bleibt Vorsitzender der KDP (Kurdistan Democratic Party) und somit weiterhin ein wichtiger politischer Akteur. Die weiter andauernde Lähmung des kurdischen Regionalparlamentes versetzt die beiden Parteien KDP und PUK (Patriotische Union Kurdistans) weiterhin in die Lage, politische Entscheidungen ohne die Einbeziehung der Partei Goran oder anderer Parteien zu treffen (CR 14.11.2017).

 

Nach der Offensive der irakischen Armee und der PMF (Popular Mobilization Forces) in die von den Kurden kontrollierten Gebiete, besteht derzeit ein Waffenstillstand, es herrscht jedoch weiterhin Unsicherheit, nicht nur bezüglich der weiteren Vorgehensweise der irakischen Regierung, sondern auch die wirtschaftliche Situation Kurdistans betreffend. Unterdessen gibt es neue Beweise dafür, dass im Zuge der Offensive in den vorwiegend kurdischen Gebieten Plünderungen, Brandstiftungen, Häuserzerstörungen und willkürliche Angriffe offenbar insbesondere von Seiten der PMF (auch von Seiten turkmenischer PMF-Milizen) stattfanden. Tausende haben dabei ihre Häuser, ihre Geschäfte und ihre sonstigen Besitztümer verloren. (AI 24.10.2017; Bas 14.11.2017; HRW 20.10.2017).

 

Laut den Vereinten Nationen (VN) kam es im Zuge der Offensive der irakischen Regierung zur Vertreibung von zehntausenden Menschen aus den sogenannten "umstrittenen Gebieten". 180.000 Menschen sind (mit Stand 18.11.2017) nach wie vor vertrieben, 172.000 sind zurückgekehrt. Die meisten dieser Vertriebenen sind Kurden, aber auch Mitglieder anderer Minderheiten, einschließlich sunnitischer Araber und Turkmenen. Die meisten Vertriebenen lebten in den Städten Kirkuk, Daquq (Provinz Kirkuk), sowie Tuz Khurmatu (Rudaw 18.11.2017). Aus Furcht vor Repressalien kehren sie derzeit nicht in ihre Heimatgebiete zurück (Reuters 9.11.2017).

 

Am Abend des 12.11.2017 fand in der Grenzregion zwischen Iran und Irak ein Erdbeben der Stärke 7,3 statt. Im Irak war dabei die an der Grenze zum Iran befindliche Stadt Halabja (im Autonomen Kurdengebiet) am stärksten betroffen. Acht Menschen starben im Irak, mehr als 500 wurden verletzt und hunderte Familien wurden obdachlos. Zumindest drei Gesundheitszentren wurden beschädigt. Verglichen mit dem Iran war der Irak deutlich geringer von dem Erdbeben betroffen (UNFPA 19.11.2017).

 

Im Zuge der Rückeroberungen von IS-Gebieten (IS: sogenannter Islamischer Staat) werden weiterhin Massengräber gefunden. Zuletzt wurde in der Nähe der Militärbasis al-Bakara etwa drei Kilometer vor der Stadt Hawija ein Grab mit mindestens 400 Toten (mutmaßlichen IS-Opfern) entdeckt (MOI 3.11.2017; Standard 11.11.2017). Umgekehrt treten weitere Berichte von Racheakten von Seiten der Befreier zutage, laut Nahostexpertin Gudrun Harrer scheint der Zyklus der Gewalt mit dem Sieg über den IS nicht unterbrochen (Harrer 24.11.2017). Mehr als 3,1 Millionen Iraker (die überwältigende Mehrheit Sunniten) sind weiterhin Vertriebene. Weitere 2,3 Millionen sind in ihre Heimatgebiete zurückgekehrt. Für den Wiederaufbau ihrer Städte erhielten die Sunniten nicht viel Hilfe von der Zentralregierung, die sich mehr auf die Bekämpfung/Zurückdrängung des IS und zuletzt der Kurden konzentrieren (NYTimes 26.10.2017).

 

Ab dem 3.11.2017 mit Stand 17.11.2017 wurden die drei letzten irakischen Städte, die sich noch unter der Kontrolle des IS befanden, Al-Qaim, Ana und Rawa (alle drei im Westen des Landes) von den irakischen Streitkräften zurückerobert. Laut der US-geführten Koalition zur Bekämpfung des IS hat dieser nun 95 Prozent jener irakischen und syrischen Territorien verloren, welches er im Jahr 2014 als Kalifat ausgerufen hatte (Telegraph 17.11.2017; IFK 6.11.2017). Das Wüstengebiet nördlich der drei Städte bleibt vorerst weiterhin IS-Terrain. Die Gebiete rund um Kirkuk und Hawija gehören zu jenen Gebieten, bei denen das Halten des Terrains eine große Herausforderung darstellt. (MEE 16.11.2017; Reuters 5.11.2017; BI 13.11.2017). Es stellt sich auch die Frage, wo sich jene IS-Kämpfer aufhalten, die, nicht getötet wurden oder die nicht in Gefängnissen sitzen (Alleine in Mossul gab es vor der Rückeroberung 40.000 IS-Kämpfer). Viele sind in die Wüste geflohen oder in der Zivilbevölkerung untergetaucht. Es gab es auch umstrittene Arrangements, die den Abzug von IS-Kämpfern und ihren Familien erlaubten. Der IS ist somit nicht verschwunden, nur sein Territorium [mit Einschränkungen s.u.] (Harrer 24.11.2017).

 

Seit der IS Offensive im Jahr 2014 ist die Zahl der Opfer im Irak nach wie vor nicht auf den Wert der Zeit zwischen 2008 - 2014 zurückgegangen, in der im Anschluss an den konfessionellen Bürgerkrieg 2006-2007 eine Phase relativer Stabilität einsetzte (MRG 10.2017; vgl. IBC 23.11.2017). Von dem Höchstwert von 4.000 zivilen Todesopfern im Juni 2014 ist die Zahl 2016 [nach den Zahlen von Iraq Body Count] auf 1.500 Opfer pro Monat gesunken; dieser sinkende Trend setzt sich im Jahr 2017 fort (MRG 10.2017). Nach den von Joel Wing dokumentierten Vorfällen, wurden in den Monaten August, September und Oktober 2017 im Irak 2.988 Zivilisten getötet (MOI 9.-11.2017). Zu diesen Zahlen gelten die im Länderinformationsblatt Irak in Abschnitt 3.1 erwähnten Einschränkungen und Anmerkungen - kriminelle Gewalt wurde in dieser Statistik nur zum Teil berücksichtigt, Stammesgewalt gar nicht .

 

Bagdad:

 

Obwohl der IS Bagdad [kontrollgebietsmäßig] nie erreicht hat, verzeichnete die Hauptstadt laut Angaben der UN jeweils entweder die höchste oder die zweithöchste - nach der Provinz Ninewa - Anzahl an zivilen Todesopfern. Um ein Beispiel zu nennen: UNAMI berichtet, dass im Februar 2017 120 Zivilisten getötet und 300 verletzt wurden. In demselben Monat im Jahr 2016 war Bagdad der am stärksten betroffene Bezirk, UNAMI berichtete von 277 Todesopfern und 838 Verletzten. (Update: Für den Monat Oktober 2017 berichtet UNAMI 177 zivile Opfer (38 Tote, 139 Verletzte). Wichtig ist, anzumerken, dass diese Zahlen ausschließlich verifizierte Opfer inkludieren und als das absolute Minimum gesehen werden müssen [Anm.: Es gelten die in Abschnitt 3.1 des LIB Irak getätigten Aussagen und Anmerkungen]. Zum Beispiel beinhalten sie auch nicht jene Opfer, die in manchen Teilen der Stadt regelmäßig tot aufgefunden und geborgen werden (MRG 10.2017; UNAMI 1.11.2017). Nach wie vor kommt es in Bagdad täglich zu sicherheitsrelevanten Vorfällen mit zivilen Opfern (Wing 9.-11.2017; vgl. IBC 28.2.2017). Laut Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes ist in Bagdad weiterhin mit schweren Anschlägen insbesondere auf irakische Sicherheitsinstitutionen und deren Angehörige, auf Ministerien, Hotels, öffentliche Plätze und religiöse Einrichtungen zu rechnen (AA 23.11.2017). Für die fragile Sicherheitssituation in der Hauptstadt gibt es zahlreiche Gründe. Abgesehen davon, dass es ein attraktives Ziel für Anschläge ist, beherbergten und beherbergen die Gebiete rund um Bagdad historisch entstandene Terrorzellen, u.a. von Al-Qaeda und dem IS. Dies ist insbesondere in der Nachbarprovinz Anbar im Westen, sowie im Bezirk Jurf al-Sakhar in der Provinz Babil der Fall. Dazu kommen die äußeren Bezirke Bagdads, dem sogenannten "Bagdad-Belt", der aus spärlich besiedelten ländlichen Gegenden besteht, in denen sich bewaffnete Gruppen leicht verstecken können.

 

Die Acht-Millionenmetropole Bagdad hat eine höhere Kriminalitätsrate als jede andere Stadt des Landes. Hauptverantwortlich dafür ist der schwache staatliche Sicherheitsapparat sowie die schwache Exekutive. Seit dem Krieg gegen den IS verblieb in Bagdad aufgrund von Militäreinsätzen in anderen Teilen des Landes phasenweise nur eine geringe Zahl an Sicherheitspersonal. Da große Teile der Armee im Sommer 2014 abtrünnig wurden, sind zum Wiederaufbau der Armee mehrere Jahre nötig. Gleichzeitig erschienen bewaffnete Gruppen, vor allem Milizen mit Verbindungen zu den 'Popular Mobilization Forces' (PMF), auf der Bildfläche, mit divergierenden Einflüssen auf die Stabilität der Stadt. Der Zusammenbruch der Armee führte zusätzlich zu einem verstärkten Zugang und zu einer größeren Verfügbarkeit von Waffen und Munition. Dazu kommt die Korruption, die in allen Einrichtungen des Sicherheitsapparates und der Exekutive herrscht. Trotz dieser Probleme gibt es aktuell eine Verbesserung der Situation, die sich auch auf die Meinung der Bewohner über den irakischen Gesetzesvollstreckungsapparat auswirkt. Obwohl konfessionell bedingte Gewalt in Bagdad existiert, ist die Stadt nicht in gleichem Ausmaß in die Spirale der konfessionellen Gewalt des Bürgerkriegs der Jahre 2006-2007 geraten. Stattdessen kommt es zu einem Anstieg der Banden-bedingten Gewalt (Bandenkriege), die meist finanziell motiviert sind, in Kombination mit Rivalitäten zwischen Sicherheitskräften/-akteuren (MRG 10.2017).

 

Terrorattacken:

 

Terrorattacken werden meist mit verschiedenen Arten von IEDs (Improvised Explosive Devices) ausgeführt, inklusive am Körper getragene ('body-born' oder BBIEDs, in Fahrzeugen transportierte ('vehicle-borne' oder S/VBIEDs) und unter Fahrzeugen befestigte Sprengfallen ('under-vehicle-borne' oder UVBTs). Dabei handelt es sich um typische Taktiken des IS. Sie zielen dabei auf große Menschenansammlungen wie z.B. auf Märkten, in Einkaufszentren und Moscheen ab, wo der Kollateralschaden maximiert werden kann. Auch wenn diese Attacken alle Teile der Stadt treffen können, sind [ethno-religiös] gemischte Gebiete besonders gefährdet. Auch werden Kontrollpunkte regelmäßig angegriffen mit dem Ziel Sicherheitskräfte zu schwächen. Wegen des hohen Verkehrsaufkommens werden an den Kontrollpunkten selten sorgfältige Fahrzeugdurchsuchungen durchgeführt, weshalb das Problem schwer einzudämmen ist (MRG 10.2017).

 

Es sollte auch erwähnt werden, dass UVBTs besonders häufig verwendet werden, um Individuen zu attackieren. Diese Attentate können durch persönliche oder stammesbezogene Auseinandersetzungen motiviert sein, in spezifischen Fällen sind sie politisch motiviert.

 

Kidnappings und Entführungen:

 

Kidnappings und Entführungen kommen überall in Bagdad vor, unterscheiden sich aber in Häufigkeit und Art der Opfer. Man kann generell zwischen finanziell motivierten Entführungen und denen, die politisch oder persönlich motiviert sind, unterscheiden. Während erstere von kriminellen Gangs begangen werden, werden die politisch oder persönlich motivierten von bewaffneten Gruppen oder Individuen ausgeführt. Geschätzte 65-75 Prozent können als kriminelle Akte kategorisiert werden, während zwischen einem Viertel und einem Drittel als politisch oder als Folge von persönlichen Auseinandersetzungen gesehen werden können. Die zentralen und relativ wohlhabenden Bezirke Karkh und Rusafa zeigen die höchsten Zahlen an Kidnappings und sind für etwa die Hälfte der dokumentierten Fälle des gesamten Gouvernements verantwortlich (MRG 10.2017).

 

Obwohl die offiziellen Daten nicht veröffentlicht wurden zeigt eine Aufzeichnung des Innenministeriums, dass in den ersten neun Monaten des Jahres 2016 in Bagdad zumindest 700 Kidnappings stattgefunden haben (MRG 10.2017).

 

Allerdings können sich diese in vielen Fällen überschneiden. Es wurde zum Beispiel berichtet, dass schiitische Milizen Kidnappings und Erpressungen als einkommensgenerierende Aktivitäten einsetzen. Während es sich dabei um einen kriminellen Akt handelt, kann zusätzlich auch ein politisches oder religiöses Motiv dahinter stehen. Milizen haben z.B. Mitglieder anderer Gruppen entführt und verschleppt. Opfer der von den Gruppen durchgeführten Kidnappings sind tendentiell eher Sunniten als Schiiten. Es ist auch häufig, dass Milizen Kidnappings in Gegenden, die nicht unter ihrer eigenen Kontrolle stehen, ausführen, etwa um ihre Reputation in den von ihnen kontrollierten Gebieten nicht aufs Spiel zu setzen (MRG 10.2017).

 

Da es zu Protesten in der Bevölkerung kam, und zu Forderungen an den Staat, Maßnahmen zu ergreifen, wurde in den letzten zwei Jahren das Thema Kidnappings in der Öffentlichkeit diskutiert. Immer wieder kam es zu Wellen von Entführungen, die gegen bestimmte Professionen und Gruppen der Gesellschaft gerichtet waren. Anfang 2017 tauchten Berichte auf, dass Sicherheitskräfte eine kriminelle Gruppe zu identifizieren suchten, die auf die Entführung von Kindern in der Gegend um Bagdad al-Jadida spezialisiert war. Im August 2017 veröffentlichte Niqash einen Artikel über eine vor Kurzem vorgefallene Serie an Kidnappings, die gegen Ärzte und medizinisches Personal gerichtet waren. Diese wurden von kriminellen Banden durchgeführt, aber auch von Stämmen, die Wiedergutmachung für Verwandte forderten, die nicht behandelt werden konnten oder die im Spital verstorben waren. Im Mai 2017 wurde eine Gruppe von Studenten und Anti-Korruptions-Aktivisten gekidnappt, angeblich von einer Miliz. Dennoch war einer der meist diskutierten Fällen die Entführung von Afrah Shawqi, einem Journalisten, der nur wenige Tage davor einen Artikel im Al-Sharq al-Awsat über die Straffreiheit von schiitischen Milizen im Irak veröffentlicht hatte. In beiden Fällen wurden die Opfer freigelassen, nachdem großer öffentlicher Druck auf den Premierminister selbst, sowie auf das Innenministerium ausgeübt worden war. Regierungsbeamte und andere politische Führungskräfte wurden ebenso ins Visier genommen wie z.B. bei jenem Fall eines hohen Beamten des Justizministeriums, der im September 2015 gekidnappt wurde, oder jenem Fall eines sunnitischen Stammesführers, dessen Entführung und Ermordung Anlass zu einer Kampagne von Amnesty International wurde (MRG 10.2017).

 

All diese Fälle haben Regierung und Sicherheitsdienste gezwungen, sich aktiver diesem Problem zu widmen. In vergangenen Jahren, sowie auch in den Jahren 2006-2007, war die Exekutive beinahe gänzlich außerstande, mit dieser Art der Gewalt umzugehen. Heute spricht Premierminister Abadi, der sich manchmal persönlich in Fälle involviert, lautstark über die Bedenken der Bevölkerung, und unternimmt Schritte, um die Kapazitäten der Gesetzesvollstreckung auszuweiten. Dennoch werden Milizen in erfolgreichen Fällen - wenn es Sicherheitskräften gelingt, Banden zur Anklage bringen - selten erwähnt. Es ist praktisch unmöglich einzuschätzen, wie oft die von den Sicherheitskräften Verhaftungen Mitglieder von Milizen einschließen, da Fälle von Kidnappings mit Lösegeldforderungen einfach als kriminelle Akte kategorisiert werden. Dies kann nur durch anekdotische Hinweise und durch Zeugenaussagen belegt werden. Allerdings besteht das Problem, dass die Opfer oft selber nicht wissen woher die Bedrohung kommt oder wer der Empfänger des geforderten Lösegeldes ist (MRG 10.2017).

 

Schießereien mit Handfeuerwaffen:

 

Was die Verwendung von Handfeuerwaffen betrifft, können generelle Muster zwischen dem zentralen Gebiet und der Peripherie der Provinz Bagdad unterschieden werden. Morde und Anschläge auf Zivilisten sind innerhalb der Stadt Bagdad weiter verbreitet, die Bezirke Karkh, Rusafa und Adhamiya sind diesbezüglich überrepräsentiert. Diese Anschläge richten sich z.B. gegen Geschäftsbesitzer, Anwälte sowie Angestellte der Regierung. Schießereien kommen auch in Verbindung mit Raubüberfällen vor. Zusätzlich stehen viele Tötungen in Verbindung mit Kidnappings, bei denen das Lösegeld nicht gezahlt wurde.

 

Im Gegensatz dazu sind Vorfälle mit Handfeuerwaffen im 'Bagdad Belt' üblicherweise gegen Sicherheitsdienste wie die Iraqi Security Forces (ISF) und Mitglieder von sunnitischen und schiitischen Milizen gerichtet, und finden meistens bei Kontrollpunkten statt. Dies kann man in Abu Ghraib, Mahmudiya und Tarmiya beobachten. Diese Gebiete verzeichnen auch eine große Anzahl an Schießereien in Verbindung mit stammesbezogenen Auseinandersetzungen (MRG 10.2017).

 

Konfessionalismus und Diskriminierung:

 

Konfessionalismus und Diskriminierung sind weiterhin ein weit verbreitetes Phänomen in Bagdad, wenn sie auch nicht dasselbe Ausmaß an Gewalt erreicht haben, der während des konfessionellen Krieges in den Jahren 2006-2007 dokumentiert wurde. Dies anzumerken, ist von wichtig, weil von vielen angenommen wurde, dass durch das Ausbreiten des IS ab 2014 frühere Muster an Gewalt nach Bagdad zurückkehren würde. Das hat er auch, allerdings in einem geringeren Ausmaß. Wie diverse Menschenrechtsberichte gezeigt haben, fachen Terrorattacken des IS in Bagdad viele Arten an Vergeltungsmaßnahmen gegen sunnitische Zivilisten an, die vorwiegend von schiitischen Milizen begangen werden. Diese beinhalten Kidnappings, Ermordungen sowie ungesetzlichen Freiheitsentzug. Dennoch ist der offensichtlichere Konfessionalismus - bei dem sunnitische Bewohner Kontrollpunkte nicht passieren konnten ohne namentlich aufgerufen zu werden und manchmal schikaniert oder festgenommen wurden - heute relativ selten. Dies trifft allerdings nicht auf sunnitische Internvertriebene (IDPs) zu, die in der Provinz Bagdad regelmäßig diskriminiert werden. Nachdem der IS in großen Teilen von Anbar und Salah al-Din die Macht ergriffen hatte, flohen Tausende nach Bagdad. In vielen Fällen war es ihnen von vorne herein nie gestattet, in die Provinz einzureisen. Die, die es dennoch geschafft haben, berichten von extrem eingeschränkter Reisefreiheit (da Personalausweise aufzeigen in welchem Gouvernement sie ausgestellt wurden), von Schwierigkeiten, als Gebietsfremde des Gouvernements an wesentliche Dokumente zu gelangen, sowie von Schikanen aufgrund des Pauschalverdachts der IS-Zugehörigkeit. Für Internvertriebene besteht, aufgrund fehlender Netzwerke für persönliche Unterstützung, auch ein größeres Risiko, entführt zu werden.

 

Eine weitere Seite des Konfessionalismus sind Verhaftungen, oft willkürlich, welche meist in Verbindung mit einer Anklage wegen Terrorismus nach Artikel 4 vollzogen werden und beinahe ohne Ausnahme Sunniten betreffen. Diese Festnahmen sind nach Terroranschlägen häufig, wenn Sicherheitsdienste Durchsuchungsaktionen durchführen, um Mitglieder oder Unterstützer des IS ausfindig zu machen (MRG 10.2017).

 

Kleinere Gemeinschaften, inklusive Minderheiten und solche, die sich ineiner Minderheitssituation wiederfinden, stehen unter signifikantem Risiko. Die Anzahl an Christen in Bagdad nimmt unter dieser Bedrohungssituation weiterhin ab, wenn auch kleine christliche Gemeinden in gemischten Bezirken bestehen bleiben; so auch in Karkh und in Karrada und Palästina. Faili-Kurden (schiitische Kurden), einschließlich jener, die in Sadirya und im südlichen Teil Bagdads leben, haben unter Bombenangriffen gelitten und berichten von erhöhten Spannungen, die in Zusammenhang mit dem kurdischen Unabhängigkeitsreferendum stehen. Palästinenser, die vorwiegend in al-Baladiyat leben, sind diesen gezielten Attacken ebenso ausgesetzt und bleiben weiterhin besonders gefährdet (MRG 10.2017).

 

Sicherheitskräfte in der Provinz Bagdad:

 

Irakische Sicherheitskräfte (ISF):

 

Die ISF werden in Bagdad vom 'Baghdad Operations Command' (BOC) repräsentiert, Geheimdienste und irakische Polizeieinheiten, die im Bagdad Gouvernement agieren, sind dem Verteidigungsministerium unterstellt. Der BOC besteht aus mehreren Brigaden, die der 6., 11. und 17. Abteilung der irakischen Armee angehören, sowie aus spezialisierten Militär- und Polizei-Einheiten, inklusive Bereitschaftspolizei und Schutzeinheiten für Diplomaten. Die irakische Armee ist gemeinsam mit staatlichen und lokalen Polizeieinheiten für die Sicherheit verantwortlich. Zusätzlich zu regulären Sicherheitsfunktionen, sind die ISF gemeinsam mit Einheiten, die in Verbindung zum Innenministerium stehen, für die Überprüfung von Internvertriebenen und Rückkehrern und damit in Zusammenhang stehende Regulierungen zuständig (MRG 10.2017).

 

Polizeikräfte werden oft als Erweiterung der Badr-Partei gesehen. Darüber hinaus wird das Polizeikorps, abgesehen von Teilen der Staatspolizei, als schwer korrupt erachtet. In wenigen Ausnahmen sind Offiziere der Staatspolizei ehemalige Offiziere der Armee und werden als weniger korrupt und konfessionalistisch gesehen. Die meisten sind allerdings durch politische Einflussnahme und Vereinbarungen verschiedener Parteien an ihre Position gelangt (MRG 10.2017).

 

Im Allgemeinen vertraut die Bevölkerung eher der Armee als der Polizei. Die Mehrheit der Bewohner Bagdads, die in einer Umfrage einer NGO befragt wurden, ob sie in einer Notsituation die Polizei kontaktieren würden, sagten sie würden erst versuchen, das Problem selbst zu beheben. Knapp unter 50 Prozent meinten, sie würden der Polizei unter keinen Umständen Bericht erstatten. Im Vergleich dazu:

über 70 Prozent derer, die in Gebieten leben, in denen die Armee für die Sicherheit verantwortlich ist, gaben an, sie würden, wenn nötig, ihre lokalen Sicherheitskräfte kontaktieren. In derselben Umfrage wurden Bewohner gefragt, ob sie jemals Bestechungsgeld gezahlt hätten, um Unterstützung von offiziellen Sicherheitskräften zu erhalten, was 30 Prozent der Befragten bejahten. Zuletzt wurden Bewohner gefragt ob sich die Sicherheits-Situation in Bagdad verbessern oder verschlechtern würde, worauf beinahe 70 Prozent antworteten, das sie sich verbessere (MRG 10.2017).

 

Islamischer Staat (IS):

 

Der IS konnte Mitte 2014 Gebiete im Provinz Bagdad nicht unter seine Kontrolle bringen. Allerdings hat sich IS-Aktivität mehrmals vom angrenzenden Provinz Anbar in den westlichen Bezirk Abu Ghraib ausgeweitet. Teile des 'Bagdad-Belt' sind historisch gesehen Unterstützungsgebiete des IS, welche IS-Attacken in zentraler gelegenen Gebieten Bagdads ermöglichen (MRG 10.2017).

 

In der Provinz Bagdad beschränken sich die Aktivitäten des IS vor allem auf "unkonventionelle Attacken" gegen Zivilisten und hochrangige Opfer - in erster Linie durch die Verwendung von IEDs (MRG 10.2017).

 

Popular Mobilization Forces (PMF):

 

Während die PMF generell auf Schlachtfeldern quer durch das Land eingesetzt wurden, bewahren einige eine signifikante Präsenz in Bagdad. Die älteren und größeren [überwiegend schiitischen] Milizen sind jene, die vorwiegend als aktive Gruppen einen Teil der Sicherheitskräfte der Stadt repräsentieren. [...] Sunnitische Milizen kommen in der Stadt Bagdad nicht vor, aber sehr wohl in manchen Teilen des 'Bagdad-Belt', besonders in den Bezirken, die an Anbar und das Gouvernement Salah al-Din grenzen, inklusive Taji, Tarmiya und Abu Ghraib. Auf lokaler Ebene agieren PMF-Einheiten parallel und oft im Konflikt mit den ISF. Bewaffnete Konflikte zwischen ISF und PMUs, wenn auch selten, wurden im Gouvernement Bagdad beobachtet. Während die PMF weitläufig von der schiitischen Bevölkerung unterstützt werden, wurden sie beschuldigt, Menschenrechtsverletzungen gegen sunnitische Zivilisten in Gebieten begangen zu haben, die vom IS zurückerobert wurden, - wie von diversen Organisationen wie z.B. Human Rights Watch, Amnesty International und Minority Rights Group dokumentiert wurde. Berichterstattung dieser Art tendiert dazu, sich auf die Gouvernements zu konzentrieren, in denen in den letzten zwei Jahren Militäreinsätze stattgefunden haben - wie in etwa in Anbar, Ninewa und Salah al-Din - sowie auf Gebiete, in denen außer Frage steht, dass Milizen ungestraft agierten. Aufgrund dessen werden Menschenrechtsverletzungen innerhalb des Gouvernements Bagdad nicht so eingehend verfolgt (MRG 10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KI vom 25.10.2017: Kämpfe zwischen Peschmerga und Regierungskräften in Folge des Referendums, weitere Informationen zur Sicherheitslage

 

Irakische Regierungskräfte haben als Reaktion auf das Kurdenreferendum beinahe alle Gebiete eingenommen, die zu den sogenannten "umstrittenen Gebieten" zählen, einschließlich Kirkuk und die dort befindlichen Ölquellen. Auch die jesidische Stadt Sinjar werde Berichten zufolge nun von Popular Mobilization Forces (PMF) kontrolliert (NYTimes 22.10.2017; Rudaw 17.10.2017). Unter anderem kam es dabei am 20. Oktober 2017 zu schweren Gefechten zwischen irakischen Truppen und kurdischen Peschmerga-Kämpfern. Iraks gemeinsames Operationskommando teilte am Freitag mit, Kräfte von Armee, Polizei und schiitischen Milizen hätten den Ort Altun Kopri/Pirde in der umstrittenen Provinz Kirkuk eingenommen. Nach offiziellen kurdischen Angaben kamen bei den Gefechten etwa 30 Peschmerga-Kämpfer ums Leben. Auch die arabischen Kämpfer der Regierungskräfte sollen hohe Verluste gehabt haben. Von ihrer Seite hieß es, die Kurden hätten das von Deutschland für den Kampf gegen den IS gelieferte MIlan-Panzerabwehrsystem eingesetzt. Die Kurden ihrerseits beklagen, dass sie mit US-Waffen bekämpft werden. Es gab zwar vereinzelt Gefechte, meist zogen sich die Peschmerga zurück (Standard 20.10.2017). Die Anti-IS-Koalition zerfällt nicht nur entlang ethnischer Linien, sondern auch die innere Spaltung der irakischen Kurden tritt wieder stärker zutage. Die irakischen Kurden sind in sich tief gespalten. Die von Barzani geführte KDP (Kurdistan Democratic Party) beschuldigt ihren innerkurdischen Hauptrivalen PUK (Patriotic Union of Kurdistan), schuld am Verlust der Stadt Kirkuk zu sein, da diese mit der Zentralregierung in Bagdad einen Deal abgeschlossen und einige ihrer Peschmerga-Einheiten angewiesen habe, sich von ihren Positionen zurückzuziehen. Die beiden kurdischen Parteien haben unterschiedliche Interessen: Der Barzani-Clan (KDP) strebt die Unabhängigkeit von Bagdad an, der Talabani-Clan (PUK) eher die Unabhängigkeit vom Barzani-Clan - durchaus auch im Einvernehmen mit Bagdad. Ein Deal zwischen Bagdad und den Talabanis über einen kurdischen Rückzug aus Kirkuk war die Konsequenz dieser Konstellation. Verlierer sind indes beide kurdischen Parteien. Im Hintergrund stehen radikalere Fraktionen wie die PKK (Kurdische Arbeiterpartei) oder die Salafisten bereit, um das kurdische Vakuum im Irak zu füllen (TDB 16.10.2017; Presse 18.10.2017).

 

Die VN (Vereinten Nationen) drängen die irakische Regierung, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen um sicherzustellen, dass alle Zivilisten geschützt sind und dass jene, die die Zivilbevölkerung bedrohen, zwangsvertreiben, oder dieser gegenüber Gewaltverbrechen begehen, gestoppt werden (Rudaw 20.10.2017). Es liegen Berichte vor, denen zufolge in der Stadt Tuz Khurmatu 150 kurdische Häuser (laut Amnesty International "hunderte Häuser") von (auch mit der Regierung verbündeten) bewaffneten Gruppen niedergebrannt wurden. Nachdem sich die Peschmerga-Kämpfer aus diesen Gebieten zurückgezogen hatten, gelangte die Stadt unter die Kontrolle von schiitisch-turkmenischen Kämpfern, die den PMF angehören. Laut VN sind mit Stand 22.10.2017 mehr als 30.000 Zivilisten aus Tuz Khurmatu geflohen. Bei Zusammenstößen zwischen Regierungskräften (einschließlich PMF-Milizen) und den kurdischen Peschmerga in Tuz Khurmatu wurden zumindest 11 Zivilisten getötet. Es schien sich dabei um einen gezielten Angriff auf überwiegend kurdische Gebiete zu handeln. Insgesamt sind laut VN 100.000 Zivilisten aus den umstrittenen Gebieten geflohen, einschließlich Zehntausender aus der Stadt Kirkuk, einige davon sind danach wieder zurückgekehrt. Den meisten jener, die geflohen sind, wird nachgesagt, dass sie Anhänger Mas'ud Barzani's seien (NYTimes 22.10.2017; AI 24.10.2017). Für den 24.10.2017 wurde ein Vorfall dokumentiert, bei dem die irakische Armee und PMF-Milizen auch einen Peschmerga-Checkpoint östlich des von den Kurden gehaltenen Dorfs Mahmud angriffen, nach schweren Gefechten scheiterten und sich ergaben, wobei zumindest 15 Menschen starben (NA 24.10.2017).

 

Die USA drängen darauf, dass die Regierung von Premierminister Haidar al-Abadi die Offensive stoppt, denn es scheint längst nicht mehr nur um Gebiete zu gehen, auf die die Kurden ihre Verwaltung 2014, als die irakische Armee vor dem IS floh, ausgedehnt hatten. Die Einheiten der PMF würden die Kurden gerne noch weiter zurückdrängen. US-Außenminister Rex Tillerson fordert die "iranischen Milizen" auf, das Land zu verlassen. Von einer Auflösung der Milizen ist der Irak aber weit entfernt. Umgekehrt fordert der mächtige Anführer der PMF-Miliz Asaib Ahl al-Haq, dass die Amerikaner unverzüglich abziehen sollten (Harrer 24.10.2017).

 

In Anbetracht der militärischen Gewalt von Seiten der irakischen Armee und der PMF boten kurdische politische Führer am 25.10.2017 an, die Unabhängigkeitsbestrebungen auszusetzen. Ein Sprecher des irakischen Militärs antwortete zunächst, dass die Offensive dennoch weitergeführt werde, eine Reaktion des Premierministers steht noch aus (Reuters 25.10.2017).

 

Die Organisation IS ("Islamischer Staat") wurde zwar massiv zurückgedrängt (s. Länderinformationsblatt inkl. bisherige Kurzinformationen), befindet sich aber weiterhin in Teilen der Provinzen Ninewa, Salah Al-Din und Anbar. Es muss dort weiterhin mit schweren Anschlägen und offenen bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen IS-Verbündeten und den irakischen Sicherheitskräften, regional-kurdischen Peschmerga, Milizen und auch mit US-Luftschlägen gerechnet werden. In der Provinz Ta'mim kommt es regelmäßig zu Kämpfen zwischen terroristischen Gruppen und kurdischen Peschmerga (AA 24.10.2017). Veröffentlichungen von Audiobotschaften des IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi zielen darauf ab, die Gerüchte rund um seinen Tod zu entkräften und die IS-Kämpfer in Syrien und Irak zur Standhaftigkeit aufzurufen. In Mosul etwa wurde der IS zwar vor drei Monaten besiegt, die Organisation stellt dort jedoch noch immer eine Bedrohung dar. Alleine im Zeitraum 19.9.2017 bis 13.10.2017 wurden dort zwölf Selbstmordattentäter getötet. In der Provinz Anbar versuchte der IS Ende September 2017 die Kontrolle über Teile der Stadt Ramadi wiederzuerlangen. Kurzzeitig konnten einige IS-Truppen tatsächlich Teile der Stadt besetzen, letztlich scheiterte der Versuch jedoch. Anbar war stets eine Hochburg von sunnitischen Aufständischen (IFK 13.10.2017).

 

Neben den militärischen Maßnahmen fasste die Zentralregierung in Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum eine Reihe weiterer Maßnahmen, darunter: Die Sanktionierung kurdischer Banken, das Einfrieren von Fremdwährungstransfers, sowie das Einstellen von Flugverbindungen und mobilen Kommunikationsnetzen (IFK 13.10.2017).

 

Der für den 1. November 2017 festgelegte Wahltermin für Präsidial- und Parlamentswahlen in Irakisch Kurdistan wurde verschoben (Reuters 23.10.2017).

 

Betreffend die nächsten Parlamentswahlen auf nationaler Ebene hat die irakische Wahlkommission den 12. Mai 2018 als Wahltermin festgelegt, der Termin muss noch vom irakischen Parlament bestätigt werden (Rudaw 22.10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KI vom 16.10.2017: Entwicklungen im Anschluss an das Kurden-Referendum, Offensiven gegen den IS, geplante Wahlen in der KRI

 

Beim Unabhängigkeitsreferendum bezüglich der Frage der Loslösung Irakisch Kurdistans (KRI) vom irakischen Staat stimmten am 25.9.17 92,7 Prozent der Stimmberechtigten für einen eigenen Staat (Wahlbeteiligung: 72 Prozent) (ORF 27.9.2017). Als Reaktion darauf verbot die irakische Zentralregierung u.a. internationale Flüge in die Region. Die irakische Zentralregierung bat zudem die beiden Länder Türkei und Iran darum, ihre Grenzen zu den kurdischen Autonomiegebieten zu schließen sowie jeglichen Handel einzustellen (BAMF 9.10.2017). Die Grenzübergänge von der KRI zum Iran und der Türkei sind seit dem Referendum nur mehr teilweise geöffnet (s. Karte unten). Die Irakischen Sicherheitskräfte (ISF) haben außerdem begonnen, Checkpoints an diesen Grenzübergängen einzurichten (ISW 6.10.2017).

 

Die Türkei, der Iran und der Irak antworteten darüber hinaus auf das Referendum mit einem aggressiven und koordinierten In-Position-bringen ihrer Truppen. Die vorangetriebenen Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden führen in der Region somit zu Annäherungen zwischen diesen drei Staaten. Am 24 September kam es zum Beschuss des Bezirks Juman (Provinz Erbil) von Seiten nicht-identifizierter iranischer Streitkräfte (ISW 6.10.2017).

 

Am 25. September kam es laut des kurdischen Sicherheitsdienstes Asayish von Seiten der Popular Mobilization Forces (PMF, offiziell in den irakischen Sicherheitsapparat eingegliedert) in Tuz Khurmatu zum Beschuss der kurdischen Peschmerga. Am 27. September verabschiedete der irakische Repräsentantenrat eine Resolution, welche die irakische Regierung dazu aufruft, die ISF mit der Zurückgewinnung der Ölfelder in Kirkuk zu beauftragen (ISW 6.10.2017). Premierminister Haidar al-Abadi forderte die Kurdenführung auf, alle Gebiete an die irakische Zentralregierung zurückzugeben, die die kurdischen Peschmerga-Kämpfer während des Kampfes gegen den IS unter ihre Kontrolle gebracht hatten (ORF 27.9.2017).

 

Am 15. Oktober 2017 eröffneten die irakischen Sicherheitskräfte (Iraqi Security Forces, ISF), Counterterrorism Services (CTS), die Bundespolizei und die vom Iran unterstützten PMF eine Offensive in Kirkuk mit dem Ziel die K1 Militärbasis, den Flughafen Kirkuk und die Ölfelder in Kirkuk von den kurdischen Peshmerga einzunehmen (ISW 15.10.2017). Dies folgte dem Ablaufen eines Ultimatums der irakischen Armee an die kurdischen Kämpfer, laut welchem der Rückzug der Peshmerga auf ihre Stellungen, die sie vor dem 6. Juni 2014 hielten, gefordert wird. Die kurdischen Peshmerga hatten diese Gebiete 2014 im Kampf gegen den IS erobert (Der Standard 15.10.2017).

 

Noch Stunden zuvor hatte der Irakische Sicherheitsrat den Kurden vorgeworfen, Kräfte mit Verbindungen zur verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK nach Kirkuk zu bringen. Dies sei eine "Kriegserklärung" (Der Tagesspiegel 16.10.2017).

 

Laut Irakischer Regierung haben die Truppen am Morgen des 16. Oktobers große Teile Kirkuks ohne Gefechte mit den Peshmerga erobert. Dies wurde jedoch von kurdischer Seite bestritten (Der Standard 16.10.2017). Südlich von Kirkuk ist es zu einem bewaffneten Zusammenstoß zwischen irakischen und kurdischen Einheiten gekommen, bei dem auch schwere Waffen eingesetzt wurden (Rudaw 16.10.2017). Laut Hemin Hawrami, einem Assistenten des kurdischen Präsidenten Massoud Barzani, hat dieser angeordnet, keinen Konflikt zu initiieren, sich im Falle eines Angriffes aber zu verteidigen (The Guardian 16.10.2017).

 

Auf die multiethnische Region Kirkuk erheben sowohl die Kurden im Irak als auch die Zentralregierung in Bagdad Anspruch. Kirkuk gehört nicht zum autonomen Kurdengebiet im Irak, wird aber überwiegend von Kurden bewohnt (Spiegel Online 16.10.2017).

 

Die Kurden im Nordirak planen nach dem Unabhängigkeitsreferendum als nächsten Schritt Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Als Wahltermin ist der 1. November vorgesehen, berichtete der Sender Rudaw TV unter Berufung auf die Wahlbehörde (Die Zeit 3.10.2017).

 

Am 3. Oktober 2017 verstarb der frühere irakische Staatspräsident und Gründer der kurdischen Partei "Patriotische Union Kurdistans" (PUK), Jalal Talabani, in Berlin (BAMF 9.10.2017).

 

Am 05.10.17 haben die irakische Armee, Polizei und paramilitärische Einheiten einen weiteren Erfolg bei der Zurückdrängung des sogenannten Islamischen Staates (IS) erzielt und die Stadt Hawija (rd. 300 km nördlich von Bagdad) zurückerobert. Gegen mehrere, weiterhin vom IS kontrollierte Orte im Nordwesten läuft eine Offensive der irakischen Armee (BAMF 9.10.2017). Im Rahmen der Offensive rund um Hawija kam es wiederum zu Menschenrechtsverletzungen von Seiten der PMF gegenüber Zivilisten, darunter unrechtmäßige Verhaftungen und Folter (K24 29.9.2017).

 

Während der Mosul-Offensive hatte sich das Ausmaß der berichteten Racheakte und Menschenrechtsverletzungen massiv vergrößert, inzwischen ist der Zorn auf IS-Sympathisanten, und Personen, die als solche wahrgenommen werden, so groß, wie er zuletzt im konfessionell motivierten Bürgerkrieg [ca. 2006-2007] war (NW 2.10.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KI vom 27.9.2017: Kurden-Referendum, Offensiven gegen den IS, Hinrichtungen

 

Nach dem Referendum über die Lossagung Irakisch-Kurdistans vom Irak am 25.9.2017 erklärte der Kurdenführer Mas?ud Barzani am Tag darauf (noch vor der offiziellen Bekanntgabe des Abstimmungsergebnisses), dass die Mehrheit der Kurden, die ihre Stimme abgaben, die Unabhängigkeit unterstützen würden. Die Beteiligung lag in etwa bei 72 Prozent (Al-Jazeera 27.9.2017). Wahlberechtigt waren ca. fünf Millionen Einwohner, darunter mehrheitlich Kurden verschiedenen Glaubens, aber auch Christen und die meist sunnitischen Araber und Turkmenen der Region (Tagesspiegel 25.9.2017). Nach vorläufigen Zahlen von Barzanis KDP (Kurdische Demokratische Partei) stimmten beim Referendum knapp 92 Prozent für die Unabhängigkeit. Trotz internationaler Kritik und Warnungen hatte die kurdische Autonomieregierung die Bürger am Montag abstimmen lassen (Standard 27.9.2017).

 

Die Zentralregierung hält das Referendum für verfassungswidrig. Auch die Türkei und der Iran sind strikt gegen einen unabhängigen Kurdenstaat. Bereits kurz nach der Abstimmung hatten die türkische und die irakische Armee ein gemeinsames Militärmanöver begonnen. Laut dem irakischen Generalstabschef Uthman al-Ghanami finde die Übung in der Gegend des Grenzübergangs Habur statt, des Übergangs zwischen der Türkei und der Kurdenregion im Nordirak. Die türkische Armee hatte das Manöver bereits eine Woche zuvor begonnen (Standard 27.9.2017). Die Türkei reagierte auch mit der Ankündigung von wirtschaftlichen Sanktionen. Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte am Folgetag des Referendums, dass die "irakischen Kurden hungern würden, wenn sein Land keine Lastwagen mehr in die Region ließe." Er drohte darüber zudem mit einem Stopp des kurdischen Ölexports und einer militärischen Intervention im Nordirak nach dem Vorbild des türkischen Einmarschs in Syrien. Das Referendum nannte er "null und nichtig" (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017).

 

Der Nachbarstaat Iran schloss als Reaktion auf das Referendum nach dem Luftraum laut offiziellen Angaben auch die Landgrenze zu den Kurdengebieten. Allerdings gab es unterschiedliche Berichte darüber, ob ein Grenzübergang weiterhin geöffnet blieb. Parlamentspräsident Ali Larijani kündigte am Dienstag zudem an, dass das Parlament "alles, was zu einer Desintegration der Region führen könnte", nicht anerkennen werde. Medienangaben zufolge gab es wegen des Referendums am Montag spontane Straßenfeiern in mehreren kurdischen Städten im Iran (Standard 26.9.2017). Der Iran und die von ihm finanzierten schiitischen Milizen im Irak. sehen die Unabhängigkeitsbestrebungen der irakischen Kurden als Bedrohung einer iranisch dominierten Neuordnung der Region, die über den Irak und Syrien bis in den Libanon reicht. Dazu braucht die iranische Führung einen Irak in seinen jetzigen Grenzen und mit seinen Ölquellen in Kirkuk. Iranische Militärs und Revolutionsgardisten mahnten zunächst in eher blumigen Worten, inzwischen melden sie das Recht auf militärische Aktionen auf kurdischem Territorium an, sollte Erbil die Unabhängigkeit vorantreiben. Sie wittern hinter dem Referendum auch eine amerikanisch-israelische Strategie zur Unterminierung iranischer Interessen. Was in diesem Fall nur zur Hälfte stimmt. Israel ist in der Tat der einzige Staat im Nahen Osten, der das Referendum befürwortet, Kurden und Israelis haben eine lange Geschichte gegenseitiger Unterstützung (Zeit 24.9.2017).

 

Die Türkei und der Iran befürchten darüber hinaus Auswirkungen auf die Autonomiebestrebungen ihrer eigenen kurdischen Minderheiten. Die USA als wichtiger Verbündeter der Kurden hatten sich ebenfalls gegen das Referendum ausgesprochen, weil sie den Kampf gegen den IS gefährdet sehen (Standard 26.9.2017).

 

Die irakische Regierung beantwortete den Aufruf Barzanis, mit den Kurden nun in Verhandlungen zu treten, ebenfalls mit einer Drohung. Premierminister Haider al-Abadi forderte die Kurden auf, binnen drei Tagen die Kontrolle der Flughäfen im Norden des Landes an die Zentralregierung zu übergeben. Sollte dies nicht geschehen, werde die irakische Regierung den Luftraum sperren und keine Flüge mehr aus oder in den Nordirak zulassen. Inlandsflüge seien davon jedoch nicht betroffen und internationale Flüge in und aus der Kurdenregion könnten [nach derzeitigem Stand] über Bagdad stattfinden (Al-Jazeera 27.9.2017; vgl. Standard 26.9.2017). Darüber hinaus stimmte das irakische Parlament bereits am Montag dafür, die irakische Armee in jene Gebiete zu schicken, in denen das Referendum abgehalten wurde, die jedoch laut irakischer Verfassung von 2005 als "umstrittenen" gelten - insbesondere Kirkuk und Umgebung, wo die Kurden die völlige Kontrolle übernahmen, nachdem 2014 die irakische Armee vor dem "Islamischen Staat" (IS) geflohen war (Harrer 26.9.2017).

 

Nachdem Premierminister Abadi am 31. August 2017 die gesamte Provinz Ninewah für vom IS zurückerobert erklärt hatte (Rudaw 31.8.2017), liegt der Focus nun auf den Provinzen Anbar und Kirkuk. Am 21. September 2017 startete die Operation zur Rückeroberung der in der Provinz Kirkuk/Tameem liegenden Stadt Hawija und deren Umgebung (BAMF 25.9.2017). Bei der Operation nehmen irakische Truppen, sowie schiitische Milizen teil, die kurdischen Peschmerga sind derzeit nicht beteiligt (Al-Jazeera 23.9.2017). Das Gebiet liegt jedoch im von den Kurden für sich beanspruchten Gebiet (Al-Jazeera 27.9.2017). Gleichzeitig findet eine Offensive zur Rückeroberung der Provinz Anbar statt, an der die irakischen Sicherheitskräfte, einschließlich Polizeieinheiten und schiitischer PMF-Milizen (PMF: Popular Mobilization Forces) teilnehmen (Al-Monitor 26.9.2017).

 

In der Provinz Anbar haben sich irakische Regierungstruppen westlich von Bagdad heftige Gefechte mit dem IS geliefert. Laut Angaben eines irakischen Generals vom 27.9.2017 waren IS-Kämpfer in die Ortschaft al-Tach südlich der Stadt Ramadi sowie in das "Kilometer Sieben" genannte Gebiet westlich davon vorgedrungen (Standard 27.9.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

KI vom 15.9.2017: Rückeroberung Tal-Afars, Spannungen zwischen den USA und schiitischen Gruppen, schwerer Doppelanschlag im Süden Iraks

 

Nach der Rückeroberung Mossuls Ende Juni 2017 erklärte der irakische Premierminister Haider al-Abadi am 31. August 2017 mit Tal-Afar eine weitere Stadt als vom "Islamischen Staat" (IS) befreit (Al-Jazeera 31.8.2017).

 

Indes kommt es im Zuge der Zurückdrängung des IS zu vermehrten Spannungen zwischen jenen Kräften, die den IS bekämpfen, so auch zwischen den USA und schiitischen Gruppen (Al-Monitor 23.8.2017), u. a. der schiitischen PMF-Miliz "Kata'ib Hezbollah" [von den USA als Terrororganisation eingestuft]. Diese droht mit erneuten Angriffen gegenüber den USA im Irak, sollten diese sich nicht aus dem Irak zurückziehen. Die USA zeigen indes keine Anzeichen, sich aus dem Irak zurückziehen zu wollen (MEE 7.9.2017; Economist 12.4.2017).

 

Neben den Anschlägen und Angriffen, die weiterhin regelmäßig im Irak verübt werden (IBC 15.9.2017), fand nun auch ein großer Doppelanschlag im Süden Iraks statt. (Anm.: In den südlichen Provinzen Iraks ist die Sicherheitslage üblicher Weise eher von stammesbezogener und krimineller Gewalt und - verglichen mit dem Nord- und Zentralirak - nur in geringerem Ausmaß von terroristischer Gewalt geprägt (s. Länderinformationsblatt Irak, Abschnitt 3.4)). Bei dem nun am 14. September 2017 stattgefundenen Doppelanschlag stürmten bewaffnete Männer in Militäruniformen ein Restaurant in Nasiriyah, der Hauptstadt der südlichen Provinz Thi-Qar, und eröffneten das Feuer. Kurz darauf explodierte das Auto eines Selbstmordattentäters bei einem Checkpoint in der Nähe des Restaurants. Die beiden Anschläge trafen u.a. schiitische Pilger. Zumindest 60 Menschen (gemäß Washington Post mehr als 80 Menschen) wurden getötet, 93 verletzt. Der IS gab an, für den Anschlag verantwortlich zu sein (WP 14.9.2017; vgl. Al-Jazeera 15.9.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

Staatsform & Parteien

 

Der Irak ist formal-konstitutionell eine republikanische, demokratische, föderal organisierte und parlamentarische Republik. So sieht es jedenfalls die gültige Verfassung von 2005 vor. Sitz von Regierung und Parlament ist Bagdad. Staatspräsident ist seit dem 24. Juli 2014 der Kurde Fuad Massum, Angehöriger der irakisch-kurdischen Partei Patriotic Union of Kurdistan - PUK. Ein Teil des föderalen Staates ist auch das kurdische Autonomiegebiet, das im Nordosten des Iraks angesiedelt ist. Diese Föderale Region Kurdistan hat weitgehende Souveränität. Sie verfügt über eigene exekutive, legislative und judikative Organe und besitzt seit 2009 eine eigene Verfassung, sowie gesonderte Militäreinheiten, die Peschmerga (LIP 6.2015).

 

Im Irak gibt es eine Vielzahl von Parteien (zu einer Anerkennung genügen laut Parteiengesetz 500 Unterschriften). Sie haben sich vor und nach den Wahlen zu Bündnissen zusammengeschlossen (AA 7.2.2017):

 

Nationale Allianz (NA):

 

Die Dachorganisation der irakischen Schiiten umfasst mehrere Wahllisten. Die Allianz bemüht sich um Konsensentscheidungen, leidet aber auch unter den divergierenden Interessen und Machtambitionen ihrer Listen. Der nach einer Vakanz seit September 2016 zum Vorsitzenden für ein Jahr gewählte Ammar al-Hakim versucht, die NA eine positive Rolle im nationalen Versöhnungsprozess spielen zu lassen (AA 7.2.2017). Hakim war bis Juli 2017 auch der Parteichef des sich innerhalb der Dachorganisation NA befindenden Islamic Supreme Council of Iraq (ISCI, vormals Supreme Council for the Islamic Revolution in Iraq - SCIRI), verließ diesen aber nun und gründete eine neue Partei namens National Wisdom Movement (Al-Monitor 24.8.2017).

 

Rechtsstaatskoalition (State of Law):

 

Die Rechtsstaatskoalition, ein Zusammenschluss mehrerer schiitischer Parteien und Teil der Nationalen Allianz, ging mit ihrem Spitzenkandidat Nuri al-Maliki als numerischer Sieger aus den Parlamentswahlen 2014 hervor, zerbrach allerdings im Anschluss. Die Dawa-Partei, der sowohl der ehemalige Premierminister Maliki, als auch der amtierende Premierminister Haidar al-Abadi angehören, ist eine der Parteien innerhalb der Rechtsstaatskoalition (AA 7.2.2017).

 

Allianz Nationaler Kräfte (Sunniten):

 

Die mehrheitlich sunnitische, säkulare Iraqiya-Bewegung, 2010 noch Wahlsieger, ist vor den Wahlen 2014 zerbrochen. Von den sunnitisch geprägten Nachfolgeparteien schnitt die eher radikal ausgerichtete Motahidoun unter Führung des aktuellen Vizepräsidenten Nujaifi aus der Provinz Ninewah am stärksten ab, gefolgt von der Nationalen Liste des ehemaligen Vizepremiers Mutlak aus Anbar. Im Zuge der Regierungsbildung schlossen sich diese Parteien mit kleineren sunnitischen Gruppierungen zur Allianz Nationaler Kräfte zusammen. Der Rückhalt in der sunnitischen Bevölkerung ist teilweise sehr gering. Zahlreiche Abgeordnete können aus Sicherheitsgründen nicht ihre durch den IS kontrollierte Herkunftsregion besuchen. Von der säkularen Bewegung konnte die Nationale Liste des Vize-präsidenten Allawi einen Achtungserfolg erringen. Sie spielt aber im politischen Tages-geschäft nur eine untergeordnete Rolle (AA 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/295451/416499_en.html , Zugriff 9.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Kurdische Autonomieregion (Kurdistan Region-Iraq: KRI)

 

Hintergrund

 

Die Region Kurdistan-Irak (KRI), die hauptsächlich aus den Provinzen Duhok, Erbil und Sulaimaniya besteht, ist seit der Verabschiedung einer neuen irakischen Verfassung infolge der US-geführten Invasion von 2003 rechtlich gesehen ein Bundesstaat. Faktisch ist sie schon lange eigenständig. Unter dem Schutz der Alliierten des Golfkriegs von 1991 hatten die Kurden im Mai 1992 Parlamentswahlen abgehalten und eine Regionalregierung gebildet. Die Region verfügt über eigene Verteidigungskräfte, die Peschmerga, betreibt eine eigenständige Wirtschafts- und Außenpolitik und regelt Fragen der Grenzkontrolle selbst - hierzu gehört auch die, von zentralirakischen Behörden unabhängige Vergabe von Visa. Das im September 2013 zuletzt gewählte Parlament [das jedoch seit 2015 nicht mehr tagt, s.u.] hat 110 Abgeordnete; elf davon sind quotierte Vertreter ethnischer und religiöser Minderheiten. Zudem regelt eine Quote, dass dreißig Prozent der Mandate von Frauen wahrgenommen werden müssen. Das derzeitige Kabinett ist eine Koalition aus den einflussreichsten Parteien: Demokratische Partei Kurdistan (KDP, gegründet 1946) und Patriotische Union Kurdistan (PUK, gegründet 1975), ferner die Bewegung Goran (auch Gorran, engl. "Change", 2009 von der PUK abgespalten), die Islamische Union in Kurdistan-Irak (IUKI, gegründet 1994) und die Islamische Gruppe in Kurdistan-Irak (IGKI, gegründet 2001). Präsident der Region ist Mas?ud Barzani. Von 1992 bis 2003 hatten KDP und PUK in der Kurdistan-Region alleine regiert. Die neue Regierung repräsentiert einen Kompromiss zwischen Gruppen, die auf eine lange Geschichte gewaltsamer Konflikte untereinander blicken. Zu nennen ist hier etwa der Bürgerkrieg zwischen KDP und PUK Mitte der 1990er Jahren. Bis heute ist die Region faktisch zwischen KDP und PUK aufgeteilt - wobei die PUK in den letzten Jahren Einfluss an Goran abgeben musste (Savelsberg 8.2017). Innerhalb der autonomen Kurdenregion gibt es immer wieder Konflikte zwischen den drei großen irakisch-kurdischen Parteien KDP, Goran und PUK. Grund dafür ist unter anderem die Wirtschaftskrise und die weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft, die im Kurdengebiet vorherrschen (Reuters 26.10.2015). Darüber hinaus sorgt der Streit um die Präsidentschaft Mas?ud Barzanis für Spannungen, dessen (bereits außertourlich verlängerte) Amtszeit im August 2015 abgelaufen ist (s.u.). Die Waffenlieferungen des Westens und anderer Verbündeter an die Kurden haben zudem den Effekt, dass die kurdische Politik insgesamt zwar an Bedeutung gewinnt, sich jedoch dadurch die Spannungen zwischen den kurdischen Fraktionen weiter erhöhen. KDP und PUK sind durch ihre jeweiligen Bündnisse mit mächtigen - teilweise gegensätzlichen - Partnern gespalten: Die KDP mit Mas'ud Barzani, dem Präsidenten der KRG (Kurdish Regional Government - die Regionalregierung in der KRI) wird vorrangig vom Westen unterstützt und steht der Türkei nahe, während die PUK vorrangig vom Iran unterstützt wird und der türkischen PKK, sowie der irakischen Regierung in Bagdad nahesteht. Beide Parteien haben ihre jeweils eigenen Militäreinheiten (Peschmerga), die im Kampf gegen den IS oftmals in einem starken Konkurrenzverhältnis zueinander stehen. (ICG 12.5.2015).

 

Die Newcomer-Partei Goran, die erst seit Juni 2014 in der kurdischen Regionalregierung vertreten ist, und die mit dem Versprechen angetreten ist, gegen den Nepotismus und die Korruption der beiden Altparteien vorzugehen, besitzt keine eigenen Militäreinheiten und ist auch wirtschaftlich nicht gut vernetzt, sodass sie aufgrund fehlenden Einflusses ihre Versprechen nicht umsetzen kann, und in der gegenwärtigen Situation - obwohl zweitstärkste Partei hinter der KDP - politisch und insbesondere militärisch keine herausragend große Rolle spielt (Bauer 2015). Nach dem Tod des Goran-Parteigründers Nawshirwan Mustafa im Mai 2017 heißt der nunmehrige Parteichef Omar Ali (Rudaw 25.7.2017).

 

Im August 2015 kam es zum Zerfall der Allparteienkoalition (AA 7.2.2017). Mas?ud Barzani hat seit Ablauf seiner bereits außertourlich verlängerten Amtszeit im Oktober 2015 das Amt nicht verlassen und das Parlament ausgesetzt (Ekurd 18.7.2017; vgl. Ekurd 16.1.2017). In Folge dieses Konflikts kam es zu gewalttätigen Zusammenstößen. Büros der KDP wurden in Brand gesteckt. Fünf Demonstranten wurden nach Angaben von Human Rights Watch getötet. Der unabhängige Nachrichtensender NRT und der Sender der Goran-Bewegung mussten ihre Büros in Erbil vorübergehend schließen. Parlamentspräsident Muhammed Yussuf, selbst Mitglied von Goran, wurde im Oktober 2015 an einem Checkpoint an der Weiterfahrt nach Erbil gehindert, die fünf Goran-Minister mussten die Regierung verlassen. Seit dem 12. Oktober 2015 hat das Parlament nicht mehr getagt. Während Barzani sein Festhalten an der Präsidentschaft mit dem Urteil eines Schiedsgerichts legitimiert, demzufolge er bis zur Neuwahl eines Nachfolgers im Amt bleibe, sprach Goran von einem "Putsch" (Savelsberg 8.2017).

 

Aktuelle politische Lage

 

Die politischen Spannungen in der KRI bleiben weiterhin bestehen:

Das kurdische Parlament tagt nach wie vor nicht (ÖB 12.2016) und Präsident Barzani, weigert sich weiterhin trotz Ablaufs seiner Amtszeit das Amt zu verlassen (Ekurd 18.7.2017; vgl. Stansfield 26.4.2017). Die Zusammenarbeit zwischen der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) beruht lediglich auf praktischen Notwendigkeiten, insbesondere im Kampf gegen den IS (ÖB 12.2016). Kurdistan konnte im Zuge des Vorstoßes des IS und dessen Bekämpfung seine politischen Interessen vorantreiben. Auch wenn die Truppen der KRG, die Peschmerga, dabei Verluste erlitten, so war es Iraks Kurden nun möglich, mit einer neuen Motivation um ihre Unabhängigkeit zu kämpfen. Es wurden bereits mehrere Unabhängigkeitsreferenden angekündigt und wieder abgesagt (Stansfield 26.4.2017). Gleichzeitig war jedoch der Drang der irakischen Kurden nach staatlicher Eigenständigkeit gedämpft aufgrund der sozioökonomischen Probleme, des Stroms von Vertriebenen, der niedrigen Ölpreise und des tiefen wirtschaftlichen und mittlerweile finanziellen Loches, in das die KRI stürzte. Dies schien zu einer realistischeren Betrachtung der Chancen und v.a. der Risiken einer möglichen Unabhängigkeit beizutragen (ÖB 12.2016). Nichts desto trotz kündigte KRG-Präsident Barzani für den 25. September 2017 abermals ein Referendum über die Unabhängigkeit von Kurdistan-Irak an. Ein solches Referendum wird (insbesondere zum gegenwärtigen Zeitpunkt) von verschiedenen Seiten sehr kritisch wahrgenommen, nicht zuletzt auf Grund der regionalen Rivalitäten, die sich auf ihrem Höhepunkt befinden, sowie der Tatsache, dass sich jene Staaten, die die kurdische Autonomieregion umgeben (Türkei, Iran, Syrien, auch Irak) alle eisern gegen ein unabhängiges Kurdistan stellen (Al-Monitor 7.7.2017; vgl. Al-Jazeera 6.7.2017). Auch die USA und die Vereinten Nationen unterstützen das Referendum nicht (Standard 14.7.2017; IFK 25.7.2017). UN-Sonderbeauftragter Jan Kubis gab bezüglich des Referendums zu bedenken, dass sich in der gegenwärtigen Situation der Interessenskonflikt in einen "Konflikt der anderen Art" verwandeln könnte, sollte es keinen "ernsthaften politischen Dialog" geben (Standard 17.7.2017). Barzani (KDP) bemüht sich, das mit dem Referendum in Verbindung stehende Risiko herunterzuspielen (Al-Jazeera (6.7.2017), selbst wenn sich sogar der Sprecher des kurdischen Parlaments Yusuf Mohammed Sadiq gemeinsam mit der zweitgrößten Partei Goran vorsichtig kritisch gegenüber diesem Referendum ausspricht, und darauf hinweist, dass eine Unabhängigkeit nicht "ausgerufen" werden kann, sondern mit langsamen Schritten erarbeitet werden muss (Ekurd 16.1.2017). Barzani selbst geht bezüglich des Ergebnisses des Referendums von einem "Ja" aus, und ergänzt, dass in diesem Falle der Zeitplan für die Umsetzung der Unabhängigkeit zwar "flexibel ist, aber nicht open-end" (Reuters 6.7.2017). Was die Gefahr eines Eskalierens in dieser Region und eines erneuten Bürgerkrieges verschärft, ist, dass Barzani das Referendum auch in den umstrittenen Gebieten des Irak durchführen will. Besonders problematisch ist dabei das ölreiche Kirkuk (ICG 31.5.2017). Es wird zum Teil auch gemutmaßt, dass es den kurdischen Behörden bei diesem Referendum in Wahrheit darum geht, große Teile des irakischen Territoriums (seit langem umstrittenes Territorium und ölreich), die sie im Zuge der Kämpfe gegen den IS militärisch bereits unter ihre Kontrolle gebracht haben, nun auch formell in das Kurdengebiet einzugliedern (Al-Jazeera 6.7.2017; vgl. Stansfield 26.4.2017). Viele Kurden bleiben weiterhin misstrauisch bezüglich der sunnitischen Araber - also bezüglich ihrer ehemaligen Feinde [unter der Regentschaft Saddam Husseins], und setzen sie pauschal mit dem IS gleich. Gleichzeitig nutzen sie deren derzeitiges unglückliches Schicksal auch aus, um in zukünftigen ethnischen Auseinandersetzungen im Vorteil zu sein, und riskieren damit, den Nährboden für zukünftige Konflikte zu schaffen (ICG 22.9.2016). Umgekehrt zeigen auch die Iran-nahen schiitisch-arabischen PMF-Milizen vermehrte Präsenz in jenen umstrittenen Territorien, die nach Ansicht der Kurden Teil ihres Staatsgebiets sein werden, sollten sie die Unabhängigkeit ausrufen. Der Widerstand gegen das geplante Referendum zeigt sich auf unterschiedlichste Art. Einige schiitische radikale Prediger rufen zu nichts weniger als Krieg auf. Nach dem Sieg über den IS steigt im Irak laut Nahost-Expertin Gudrun Harrer die Gefahr eines Konflikts zwischen den Siegern (Harrer 10.8.2017).

 

Immer wieder wird berichtet, dass Barzani vorhat, das Parlament wieder zu öffnen, was von den anderen Parteien (Goran, PUK, IUKI und IGKI) insbesondere im Zuge der Vorbereitungen des Referendums gefordert wird (Ekurd 10.5.2017; MEM 31.7.2017). Der hauptsächliche Konflikt innerhalb der KRG dreht sich nach wie vor um die beiden Parteien KDP und PUK, die beide beachtlichen Einfluss auf die bewaffneten Kräfte Kurdistans haben. Dies führt laut dem Sprecher des kurdischen Parlamentes dazu, dass die beiden Parteien ihre jeweiligen Streit-/Sicherheitskräfte nutzen, um gegen politische Opponenten oder Konkurrenten vorzugehen. Laut dem Sprecher des kurdischen Parlaments könne diese Problematik auch [wie in den 1990iger Jahren] zu einem bewaffneten Kampf führen (Ekurd 16.1.2017). KDP und PUK haben aktuell nach wie vor sehr unterschiedliche Interessen: für die KDP ist Sinjar von besonderer Bedeutung, für die PUK dagegen Kirkuk, nicht zuletzt wegen der dortigen Ölvorkommen. Die Peschmerga sind nach wie vor gespalten zwischen den beiden Parteien (KDP-Peschmerga und PUK-Peschmerga - s. auch Abschnitt Sicherheitslage) - auch wenn es mittlerweile eine etwa 30.000 Mann starke gemischte KDP-PUK-Streitkraft gibt (Stansfield 26.4.2017). Auch geographisch sind die beiden Parteien gespalten, effektiv gibt es in der Kurdenregion Iraks zwei Administrationen, eine in Erbil (KDP) und eine in Sulaymaniyah (PUK). Die Spannungen zwischen den beiden Parteien werden auch durch die Anwesenheit der PKK im Nordirak auf die Probe gestellt, sowie durch deren Bekämpfung durch die Türkei auf kurdisch-irakischem Boden (s. Abschnitt Sicherheitslage-KRI; vgl. Niqash 14.3.2017). Die kurdischen Peschmerga-Milizen (von KDP und PUK) sind sich im Umgang mit der türkisch-kurdischen PKK uneins. Dem mit der Türkei [bzw. Erdogan] verbündeten Barzani und seiner vom Westen unterstützten Peschmerga-Fraktion ist die PKK im Qandil-Gebirge [und nunmehr im Sinjar-Gebirge] ein Dorn im Auge. Andererseits bekämpfen beide, Peschmerga und PKK, den IS (TP 23.9.2016; vgl. Zeit 25.4.2017). Die KDP hat gedroht, die PKK wenn nötig mit Gewalt aus Sinjar zu vertreiben, PUK und Goran dagegen unterstützen bzw. tolerieren die PKK (Natali 3.1.2017).

 

Diese Vorfälle und Konflikte ereignen sich während wiederholter Demonstrationen von Zivilbeamten gegen das Nicht-Ausbezahlen der Gehälter, sowie während fortgesetzter Flüchtlingsströme in die Region (Natali 3.1.2017). Daneben spielen auch der Streit zwischen Erbil und Bagdad eine Rolle, der stetig gewachsen ist, ohne dass Lösungsmechanismen in Sicht wären. Der Konflikt mit Bagdad verläuft vor allem entlang zweier wesentlicher Aspekte: Der erste betrifft die sogenannten "umstrittenen Gebiete", das heißt diejenigen Territorien, deren Regierung sowohl die KRG als auch die irakische Regierung für sich reklamieren. Zentral ist hier der Konflikt um das erdölreiche Kirkuk - laut irakischer Verfassung sollte ein Referendum entscheiden, ob die Region zukünftig von Bagdad oder der KRG verwaltetet wird. Das Referendum wurde nie durchgeführt - doch der Krieg gegen den IS verschaffte den kurdischen Peschmerga unerwartet die Möglichkeit, das Gebiet einzunehmen, nachdem die irakische Armee im Juni 2014 vor den aus Syrien einfallenden Islamisten geflohen war. Eng mit diesen territorialen Konflikten verflochten ist auch der fortwährende Streit über die Beteiligung der kurdischen Region an den irakischen Öleinnahmen (Savelsberg 8.2017).

 

Quellen:

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455296_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2016-07-02-2017.pdf , Zugriff 6.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sicherheitslage

 

Nachdem die irakische Armee im Sommer 2014 vorübergehend "zerbröckelte" und dem IS kampflos große Gebiete des Landes überließ (Spiegel 15.6.2014), veröffentlichte der schiitische Religionsführer im Irak, Ayatollah al-Sistani einen Aufruf zur Mobilisierung gegen den IS, infolge dessen sich zahlreiche schiitische Milizen gründeten. Auch ältere schiitische Milizen aus der Zeit der religiös motivierten Gewalt von 2006 gewannen wieder an Einfluss. Mit Unterstützung des Irans konnten diese einen Angriff des IS auf die Hauptstadt verhindern und die Terrororganisation weiter nach Norden zurückdrängen. Seit Ende 2015 forciert Bagdad eine Regierungsoffensive gegen den IS, bei der mit Einsatz von schiitischen Milizen, sunnitischen Stammeskämpfern und Luftunterstützung der USA vorige IS-Hochburgen wie Ramadi und Fallujah zurückerobert werden konnten (ACCORD 12.2016). In den Jahren 2015 und 2016 wurden auch die Städte Tikrit, Hit, Rutba, sowie die Gegend um Sinjar, die sich unter der Kontrolle des IS befunden hatten, zurückerobert (ÖB 12.2016). Der bewaffnete Konflikt ging somit im Jahr 2016 unvermindert weiter (AI 31.12.2016), und mit Stand Dezember 2016 waren bereits 60 Prozent des Gebietes, das im Irak unter Kontrolle des IS stand, zurückerobert (ÖB 12.2016). Laut dem Irakexperten des "Institute for the Study of War", Patrick Martin, hat der IS im Irak mit Stand Juli 2017 nur noch etwa sieben Prozent des ursprünglichen IS-Gebietes unter seiner Kontrolle, gleichzeitig warnt er jedoch davor, den IS zu früh als mögliche weitere Bedrohung abzuschreiben (Daily Star 10.7.2017). Im Zuge der Rückeroberungen werden im Irak immer wieder zahlreiche Massengräber gefunden (Standard 11.5.2017; USDOS 3.3.2017, HRW 16.11.2016). Die Offensive zur Rückeroberung Mossuls startete im Oktober 2016 und am 9. Juli 2017 verkündete Premierminister Abadi (nach fast neun Monaten schwerer Kämpfe und fast einer Million Vertriebener) den erfolgreichen Abschluss derselben (OCHA 13.7.2017).

 

Aktuelle Sicherheitslage

 

Der IS hat nach wie vor weite Gebiete des Iraks unter seiner Kontrolle [zusätzlich zu jenen Gebieten, in denen er aktiv ist und z. B. terroristische Anschläge verübt - siehe dazu weiter unten], darunter die Städte Tal-Afar westlich von Mossul [mit Stand 24. August 2017 derzeit umkämpft, s.u.], die drei Städte Al-Qaim, Raw und Ana im Westen der Provinz Anbar (BBC 22.6.2017), ein Großteil der Provinz Kirkuk inklusive dem gesamten Bezirk Hawija mit mehreren darin befindlichen Städten (BBC 22.6.2017, BAMF 26.6.2017), sowie Teile der Provinz Salahuddin (IraqiNews 7.8.2017). Dies geht auch aus den vier folgenden Grafiken des Institute for the Study of War, von Al-Jazeera, des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktforschung des österreichischen Bundesheeres und des IHS Conflict Monitor hervor (Es werden hier mehrere unterschiedliche Grafiken abgebildet, da teilweise Abweichungen - v. a. in der Methodik der Darstellung - existieren).

 

Die Rückeroberung Tal-Afars verzögerte sich zunächst auf Grund der Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen teilnehmenden Akteuren. Vom Iran gestützte schiitische Milizen drängten darauf, eine Rolle bei der Eroberung der Stadt zu spielen, was die Türkei und die USA, sowie auch Premierminister Abadi zu verhindern versuchten. Bei der am 20. August begonnenen Tal-Afar-Offensive nehmen die PMF-Milizen trotz vorangehender Konzessionen gegenüber Abadi nun doch teil (WI 22.8.2017; ISW 26.6.2017; AA 7.2.2017). Luftangriffe auf Tal-Afar werden schon seit längerer Zeit von der Anti-IS-Allianz und der irakischen Luftwaffe durchgeführt. Inzwischen gibt es erste Berichte, nach denen der IS Bewohner aus dem Bezirk Tal-Afar in die Stadt treibt, um sie als Schutzschilde zu verwenden, ähnlich wie er das auch bei der Mossul-Offensive betrieben hatte (Harrer 20.8.2017). Für die schiitischen Milizen ist Tal-Afar ein besonders wichtiges Ziel. Im Gegensatz zum sunnitisch-dominierten Mossul gab es dort vor der Eroberung durch den IS einen signifikanten schiitischen Bevölkerungsanteil und die Stadt war die nördlichste Hochburg der Milizen, die sie nun zurückerobern möchten, und sich darüber hinaus für die seit 2005 durch djihadistische sunnitische Gruppen verübten Verwüstungen rächen wollen (17.7.2017). Ebenso gab es Befürchtungen der Türkei (die weiterhin in der Nähe von Mossul mit Truppen präsent ist), denn Tal Afar ist zum Teil eine turkmenische Stadt (Harrer 20.8.2017). Die UNO warnt vor weiterer Gewalt an mutmaßlichen IS-Kollaborateuren, prangert die - insbesondere auch nach der Rückeroberung Mossuls - im ganzen Land stattfindenden Racheakte an und fordert den irakischen Regierungschef Abadi auf, dringend Maßnahmen zur Unterbindung der "Kollektivbestrafung" ganzer Familien zu ergreifen (Standard 17.7.2017).

 

Bezüglich der Offensive zur Rückeroberung Hawijas gibt es weiterhin Dispute, welche Kräfte das Gebiet betreten werden. Auch hier wird bezüglich schiitischer Milizen und kurdischer Kämpfer befürchtet, dass es zu Racheakten an der sunnitischen Bevölkerung kommen könnte (ICG 22.9.2016), bzw. dass eine Invasion durch nicht-sunnitische Kräfte sogar eine Ausweitung der bewaffneten Kämpfe auf weitere Teile der umstrittenen Gebiete auslösen könnte. Hawija stand in den letzten Jahren im Zentrum mehrfacher und bedeutender sunnitischer Aufstände (Rudaw 17.5.2017).

 

Die Sicherheitslage im Irak hat sich nach der dramatischen Verschlechterung (vor allem durch den Vormarsch des IS ab Mitte 2014) in den Jahren 2015 und 2016 (mit Ausnahme von einigen vom IS zurückeroberten Gebieten) nicht verbessert (AA 7.2.2017). Es herrschen weiterhin Langzeit-Instabilität und Gewalt an mehreren Fronten gleichzeitig (OA/EASO 2.2017). Die territoriale Zurückdrängung des IS im Laufe des Jahres 2016 hat die Zahl der terroristischen Anschläge in den genannten Provinzen nicht wesentlich verringert, in manchen Fällen hat sie sogar eine asymmetrische Kriegführung des IS mit verstärkten terroristischen Aktivitäten provoziert (AA 7.2.2017; vgl. ÖB 12.2016). Schwerpunkte terroristischer Aktivitäten bleiben Bagdad sowie die Provinzen Anbar, Ninewah, Salahuddin und Dialah im Norden und Westen des Landes (AA 7.2.2017). Teile dieser Provinzen sind weiterhin nicht vollständig unter der Kontrolle der Zentralregierung. Systematische, grausamste Verbrechen des IS an tausenden Menschen bis hin zu Versuchen, ganze Bevölkerungsgruppen zu vernichten, prägen hier das Bild. Rund 17 Millionen Menschen (53 Prozent der Bevölkerung Iraks) sind von Gewalt betroffen (AA 7.2.2017). Zuletzt griff der IS am 4. Juli 2017 das Dorf Imam Gharbi, südlich von Qayyarah, an. Dabei gab es 170 Opfer, einige davon Zivilisten (OCHA 13.7.2017). Dem IS wird auch immer wieder vorgeworfen, Chemiewaffen einzusetzen (Zeit 16.4.2017). Laut World Health Organization (WHO) sind "mögliche Fälle von Einsätzen von Chemiewaffen" im Irak seit 2016 stark angestiegen, insbesondere in Mossul gibt es regelmäßig solche Berichte. Die WHO bezog jedoch nicht Stellung, ob die Chemiewaffeneinsätze auf das Konto des IS oder das von anderen Gruppen, die in die Kämpfe um Mossul verwickelt sind, gehen (New Arab 26.6.2017).

 

Neben den sicherheitsrelevanten Handlungen des IS wird auch von Gewalttaten gegen Zivilisten von Seiten der irakischen Sicherheitskräfte und Milizen berichtet (AA 7.2.2017). Die Milizen sind ein wichtiger Teil der Offensiven gegen den IS, gleichzeitig sind sie jedoch stark religiös/konfessionell motiviert, und es gibt zahlreiche Berichte über Racheakte insbesondere an der sunnitischen Bevölkerung (s. dazu ausführlich die Abschnitte zur Menschenrechtslage sowie den Abschnitt zu IDPs). Allgemein ergeben sich zunehmende Spannungen dadurch, dass die (vorwiegend) schiitischen Milizen der PMF zunehmend an Macht und Terrain gewinnen. Im Norden Iraks nimmt das Gebiet, das die Milizen im Zuge der Mossul-Rückeroberungsoffensive unter ihrer Kontrolle haben, stark zu. (BBC 3.12.2016). Im Nordwesten des Irak eroberten pro-iranische schiitische Milizen beispielsweise die Stadt Baadsch im irakisch-syrischen Grenzgebiet vom IS zurück. Weitere Vorstöße erfolgten in Richtung der Stadt Al-Qaim. Der Sprecher der Volksmobilisierungseinheiten, Karim al-Nuri, betonte zudem, dass in Koordination mit dem syrischen Regime der IS auch auf syrischem Boden bekämpft wird. Die neue Dominanz der pro-iranischen Milizen im Grenzgebiet stößt auf heftige Kritik der kurdisch dominierten SDF (Syrian Democratic Forces) in Syrien, die davor warnen syrisches Territorium zu betreten. Ein Einmarsch der schiitischen Milizen würde neue Spannungen zwischen den von den USA unterstützten Kurden und den vom Iran unterstützten schiitischen Milizen schaffen. Premierminister Abadi kritisierte die Aussage des Kommandanten der Volksmobilisierungseinheiten und betonte, dass es gemäß Verfassung Irakern nicht gestattet ist, über die Grenzen des Landes hinaus zu kämpfen (IFK 9.6.2017).

 

Anschläge

 

Der IS verübte im gesamten Land Selbstmordattentate und andere Anschläge, bei denen Zivilpersonen verletzt oder getötet wurden. Die Anschläge richteten sich wahllos und teils gezielt gegen Zivilpersonen auf belebten Märkten und öffentlichen Plätzen oder beim Besuch schiitischer Schreine (AI 22.2.2017). VBIEDs (vehicle-borne improvised explosive devices - Autobomben) und Sprengsätze von Selbstmordattentätern wurden auf öffentlichen Märkten, Sicherheitskontrollpunkten und in vorwiegend schiitischen Umgebungen zur Explosion gebracht (USDOS 3.3.2017). V.a. Städte waren im Fokus des IS. Bagdad war dabei am stärksten betroffen und war der Ort, an dem mehr als die Hälfte der gesamten Todesfälle passierten (USDOS 3.3.2017).

 

Der IS stellt trotz der massiven Rückschläge, die er erlitten hat, im Irak weiterhin eine ernstzunehmende Gefahr dar, und seine Transformation zu einer Organisation, die ihre Ressourcen zunehmend für Aufstände, Guerilla-Angriffe und terroristische Anschläge benutzt, hat bereits begonnen (Daily Star 10.7.2017). Im Zusammenhang mit der Zurückdrängung des Kontrollgebietes des IS sieht das Institute for the Study of War (ISW) bereits jetzt ein (Wieder)-Erwachen von anderen aufständischen sunnitischen Gruppen, die durch die Schwächung des IS und den dadurch entstehenden Freiraum wieder Fuß fassen können. Regierungsfeindliche Gruppen formieren sich einerseits, weil die Sunniten im konfessionell geprägten Konflikt von der schiitisch dominierten Regierung weiterhin zunehmend marginalisiert werden, und sie Angst vor den an Bedeutung gewinnenden, vom Iran aus gelenkten schiitischen Milizen haben. Andererseits werden diese Probleme von Seiten radikaler Gruppen wie Al Qaeda und ex-/neo-baathistischen Gruppen wie Jaysh al-Rijal al-Tariqa al-Naqshbandiya (JRTN) benutzt, um sunnitische Bürger für ihre Zwecke zu vereinnahmen. Diese Gruppen sind - Annahmen des Institutes for the Study of War zufolge - bereits jetzt zunehmend für Anschläge im Irak verantwortlich (ISW 7.2.2017). Terroristische Organisationen sind im gesamten Irak weiterhin imstande tödliche Anschläge durchzuführen. Heimische Terrororganisationen sind dabei für den Großteil der Anschläge verantwortlich und sind in den meisten Fällen religiösen oder politischen Organisationen zuordenbar. Zu diesen Gruppen gehören neben dem (sunnitischen) IS auch die Peace Brigades von Muqtada al Sadr (schiitisch), sowie die ebenfalls schiitischen Grppen Asa'ib Ahl al-Haq (AAH) und Kata'ib Hizballah (OSAC 1.3.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1501508705_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-17-07-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/local_link/332022/473311_de.html , Zugriff 28.6.2017

 

 

 

 

IFK - Institut für Friedenssicherung und Konfliktfoschung - Republik Österreich BMLVS (25.7.2017): Fact Sheet Irak, Nr. 63, http://www.bundesheer.at/pdf_pool/publikationen/fact_sheet_syrien_irak_63.pdf , http://www.bundesheer.at/wissen-forschung/publikationen/publikation.php?id=835 , Zugriff 3.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Statistiken und Grafiken zur Sicherheitslage im Irak

 

Die irakische Regierung veröffentlicht selbst keine Zahlen zu den Opfern des bewaffneten Konfliktes mehr und ist im Gegenteil bemüht, das Ausmaß von Gewalttaten herunterzuspielen (Harrer 10.8.2017; vgl. Wing 20.7.2017). Anm.: Es wurden im Rahmen der Recherche im Wesentlichen drei bedeutende Quellen ausfindig gemacht, die Statistiken zu den Opferzahlen im Irak veröffentlichen: UNAMI, Iraqi Body Count und Joel Wing (in "Musings on Iraq"). Diese Zahlen unterscheiden sich betreffend der Methodik und insbesondere der Höhe der Zahlen beträchtlich voneinander. Es handelt sich bei keiner dieser Quellen um Schätzungen, die das wahre Ausmaß darzustellen versuchen, sondern jeweils um eine Sammlung einzeln dokumentierter Vorfälle, die keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit erheben (UNAMI 2016/2017; IBC 7.2017; Wing 20.7.2017). Statistiken speziell zur Sicherheitslage in Bagdad finden sich in Abschnitt "Sicherheitslage in Bagdad"

 

UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) dokumentierte für das Jahr 2016 im Irak 6.878 Zivilisten, die durch "Terrorismus, Gewalt und bewaffnete Konflikte" getötet wurden. Dies sind geringfügig weniger als im Vorjahr mit 7.515 getöteten Zivilisten. Für das erste Halbjahr des Jahres 2017 dokumentierte UNAMI 2.420 getötete Zivilisten. Zu beachten ist, dass UNAMI bis November 2016 auch Bundespolizisten in die Statistik einbezog, und ab Dezember 2016 diese nicht mehr einbezog (UNAMI 2016/2017). Im Folgenden findet sich eine Statistik, die die Zahlen der von UNAMI dokumentierten monatlich getöteten Zivilisten darstellt:

 

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(Quelle: UNAMI 2016/2017; Darstellung: Staatendokumentation)

 

Laut UNAMI selbst wurde die Organisation bei der Erfassung der Opferzahlen behindert, die Zahlen sollten laut dieser als absolute Mindestangaben und nicht als vollständig angesehen werden und "es kann sein, dass UNAMI bezüglich des Ausmaßes, der Natur oder der Ernsthaftigkeit der Folgen der bewaffneten Gewalt und terroristischen Handlungen untertreibt". Die Organisation hat auch Berichte von großen Zahlen von Opfern erhalten, bezüglich welcher sie nicht die Möglichkeit hatte, diese zu verifizieren. Darüber hinaus hat UNAMI Berichte über große Zahlen von Menschen erhalten, die durch sekundäre Folgen der Gewalt ums Leben gekommen sind (Mangel an Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung), gestorben sind, die ebenfalls nicht in den Zahlen enthalten sind. Bei jenen Monaten mit Stern sind die Zahlen aus der Provinz Anbar zudem jeweils nicht enthalten (UNAMI 2016/2017).

 

In jedem monatlichen Bericht UNAMI's werden jeweils die Zahlen zu den am stärksten betroffenen Provinzen angegeben. Im Monat Juni 2017 sind das beispielsweise die Provinzen Ninewa, Bagdad, Salahuddin und Babil. In den meisten der monatlichen Berichte der letzten Jahre war Bagdad jene Provinz mit den meisten zivilen Opfern, zuletzt trat diesbezüglich Ninewah in den Vordergrund. Zahlen zu den in geringerem Ausmaß betroffenen Provinzen werden nicht veröffentlicht (UNAMI 2016/2017).

 

Iraqi Body Count (eine Datenbank, die von der in London ansässigen Firma Conflict Casualties Monitor betrieben wird) dokumentierte im Jahr 2016 16.393 "Zivilisten, die durch Gewalt ums Leben" kamen (also rund 2,4 mal so viele, wie UNAMI). Im Jahr davor wurden von Iraqi Body Count ca. 17.578 getötete Zivilisten dokumentiert. Die vorläufigen Zahlen des ersten Halbjahres 2017 (10.672) zeigen, dass diese Zahlen höher sind, als die der vier Halbjahre davor. Im Folgenden findet sich eine Grafik, die die von Iraqi Body Count dokumentierten monatlich durch Gewalt getöteten Zivilisten darstellt (die grauen Balken zeigen vorläufige Zahlen):

 

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(Iraqi Body Count 7.2017)

 

Iraqi Body Count selbst weist darauf hin, dass auf Grund von Lücken bei Berichterstattung und Aufzeichnungen selbst die höchsten von Iraqi Body Count veröffentlichten Zahlen viele Fälle von durch Gewalt getöteten Zivilisten nicht enthalten (IBC 7.2017).

 

Joel Wing, der unter anderem von BBC und CNN als Experte eingeladen wird, für die Jamestown Foundation geschrieben hat, immer wieder in einschlägigen Berichten (z.B. UK Home Office-Bericht zum Irak oder von der österreichischen Nahost-Expertin Gudrun Harrer) zitiert wird (LATimes 20.1.2017), veröffentlicht in seinem Blog "Musings of Iraq" ebenfalls Zahlen zu den Opfern von Gewalt im Irak. Die Statistiken von Joel Wing enthalten genaue Angaben zur Anzahl der Getöteten / getöteten Zivilisten / Verwundeten, etc. - und dies jeweils in Kombination mit der Art des Angriffes/Anschlages.

 

Joel Wing dokumentierte im letzten Jahr (Zeitraum Juli 2016 - Juni 2017) im Irak 22.322 im Rahmen des bewaffneten Konflikts getötete Zivilisten. Insgesamt wurden von dieser Quelle im Irak im selben Zeitraum 7.083 Vorfälle dokumentiert, bei denen 26.545 Personen (Zivilisten und Nicht-Zivilisten zusammen) getötet und 36.582 verwundet wurden. Die folgende Grafik zeigt die von Joel Wing dokumentierten monatlichen Zahlen (Anm.: Im Zuge von Stammeskonflikten Getötete sind nicht inkludiert, im Zuge von "gewöhnlichen" kriminellen Handlungen Getötete (Raubüberfälle, Kidnapping, etc.), sind nur in manchen Provinzen inkludiert, s.u.):

 

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(Quelle: MOI - Musings on Iraq 2016/2017; Darstellung:

Staatendokumentation)

 

Eine Gegenüberstellung der drei Quellen (UNAMI, Iraqi Body Count und Joel Wing) bezüglich der Zahlen zu den getöteten Zivilisten zeigt folgende gravierenden Unterschiede (Zum Teil zeigen die Quellen Iraqi Body Count und Musings on Iraq drei bis sechs Mal so hohe Zahlen wie UNAMI an):

 

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(Quellen: UNAMI 2.7.2017, Iraqi Body Count 7.2017 und Musings on Iraq 2016/2017, Darstellung: Staatendokumentation)

 

Die detaillierte Aufschlüsselung der Zahlen von Joel Wing ermöglicht eine weitere Grafik, die die Zahlen der getöteten Personen (Zivilisten und Nicht-Zivilisten) zu den einzelnen Provinzen zeigen (Zeitraum Juli 2016 bis Juni 2017):

 

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(Quelle: MOI - Musings on Iraq 2016/2017; Darstellung:

Staatendokumentation)

 

Anm.: Die Provinz Ninewah ist auf Grund der extrem hohen Zahl von

18.369 getöteten Personen in dieser Grafik nicht enthalten. Die Grafik zeigt die laut dieser Quelle am stärksten betroffen Provinzen (ausgenommen Ninewa).

 

Folgende von Joel Wing zusätzlich gelieferten Informationen sind insbesondere für die südlichen Provinzen von entscheidender Bedeutung:

 

In den südlichen Provinzen wurden (anders als in den Provinzen Zentral- und Nordwestiraks) die durch kriminelle Gewalt Getöteten nicht inkludiert (Ausnahme Babil). Laut Joel Wing ist der Großteil der Gewalt, die in den südlichen Provinzen stattfindet, größtenteils nicht terroristischer Natur, sondern krimineller, politischer und "tribaler" (stammesbezogener) Natur. Kriminelle und stammesbezogene Gewalt wurde jedoch in Joel Wing's Statistik bzgl. der südlichen Provinzen nicht mit einberechnet (Wing 20.7.2017). Anm.: Somit sind die Zahlen bezüglich der südlichen Provinzen nicht aussagekräftig und wurden daher nicht in die obenstehende Grafik inkludiert. Weiteres dazu siehe auch im Abschnitt zur Sicherheitslage in den südlichen Provinzen. Im Nordosten und Zentralirak wird "gewöhnliche" kriminelle Gewalt (wie Raubüberfälle und Kidnappings) in die Zahlen aus dem Grund mit hineingenommen, da solche kriminellen Aktionen in diesen Gebieten oft auch von Aufständischen für die Finanzierung [ihrer Ideologie/Organisation] verwendet werden. In den Provinzen der KRI wurden weder kriminelle noch stammesbezogene Gewalt inkludiert (Wing 20.7.2017). In den Opfer-Zahlen zur KRI sind jedoch zahlreiche PKK-Angehörige enthalten, die im Rahmen von Angriffen der türkischen Luftwaffe getötet wurden (insb. in der Region Sinjar)(MOI 2016/2017). Stammesbezogene Gewalt wurde in keiner der Provinzen Iraks mit einberechnet (Wing 20.7.2017)

 

Anhand der von Joel Wing veröffentlichten Statistik lässt sich auch die folgende Grafik erstellen, die die dokumentierten Todesfälle von Zivilisten durch Gewalt/Terrorismus (Todesfälle durch Stammeskonflikte sind wiederum nicht inkludiert) in den letzten vier Monaten aufgeschlüsselt nach den meist betroffenen Provinzen zeigt (Ninewah wird auf Grund der enorm hohen Zahlen gesondert angezeigt):

 

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(Quelle: MOI 2016/2017; Darstellung Staatendokumentation)

 

Im Country Policy and Information Note des UK Home Office findet sich eine ebenfalls auf Joel Wing's Zahlen beruhende Grafik zur Art der gewaltsamen Angriffe und Anschläge in den sechs am meisten betroffenen Provinzen des Irak zwischen Juni 2014 und Jänner 2017:

 

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(Quelle: UK Home Office 3.2017, Grafik anhand der Zahlen von Joel Wing)

 

Quellen:

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7496:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-june-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7414:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7228:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-april-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7085:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-march-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6877:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-february-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6725:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-january-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6611:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-december-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6455:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-november-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6267:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-october-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6144:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6041:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5931:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2016&Itemid=633&lang=en ,

Zugriff 25.7.2017

 

 

MOI - Joel Wing in Musings on Iraq (2016/2017): Violence in Iraq / Dead and Wounded in Iraq, Anm.: Zu den jeweiligen Monatsberichten s. folgende Hyperlinks:

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/09/violence-in-iraq-august-2016.html

,

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/10/violence-in-iraq-sep-2016.html , http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/11/5198-dead-and-wounded-in-iraq-in-oct.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/12/4360-dead-3920-wounded-in-iraq-november.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/01/24079-reported-dead-and-39166-wounded.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/02/violence-in-iraq-january-2017.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/03/4290-dead-and-wounded-in-iraq-in.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/04/6732-dead-and-wounded-in-iraq-in-march.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/05/2677-killed-and-1742-wounded-in-iraq.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html , Dezember-Zahlen: Wing, Joel (20.7.2017): Per Email

 

Sicherheitsbehörden und die wichtigsten im Irak operierenden militärischen Akteure und Milizen

 

Schiitische Milizen - Popular Mobilization Forces

 

Genese und Entwicklung seit 2014

 

Der Name "Volksmobilisierungseinheiten" bzw. Al-Hashd al-Shaabi, englisch: Popular Mobilization Units (PMU) oder Popular Mobilization Forces bzw. Front (PMF)) bezeichnet eine Dachorganisation für etwa vierzig bis siebzig fast ausschließlich schiitische Milizen und demzufolge ein loses Bündnis paramilitärischer Formationen. Schätzungen zufolge haben die Volksmobilisierungseinheiten zwischen 60.000 und 140.000 Mann unter Waffen. Die Entstehung des Milizenbündnisses kann als Reaktion auf die irakische Offensive des sog. "Islamischen Staates" (IS) verstanden werden und ist somit eng mit dessen militärischen Erfolgen und territorialen Gewinnen verquickt: Im Sommer 2014 drang die Terrororganisation in den Irak ein und nahm am 10. Juni erst Mossul und danach weite Teile der Provinzen Ninewah, Salahuddin, Anbar, Diyala und Kirkuk ein; wenig später waren auch die Städte Erbil und Bagdad in Gefahr (Süß 21.8.2017).

 

Die reguläre irakische Armee war dem IS nicht gewachsen, weshalb der damalige Ministerpräsident Nuri al-Maliki am 11. Juni zur Mobilisierung einer "Reservearmee" aufrief. Außerdem ließ der führende irakische schiitische Gelehrte Ayatollah Ali Sistani am 13. Juni ein islamisches Rechtsgutachten (fatwa) verlautbaren, in dem er alle jungen Männer dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften zum Schutz von Land, Volk und heiligen Stätten des Irak anzuschließen. Infolge der Fatwa schrieben sich tausende junge schiitische Männer auf Freiwilligenlisten ein, schlossen sich jedoch nicht Armee oder Polizei, sondern bereits existierenden oder neu formierten schiitischen Milizen an. Zwei Tage später bildete die irakische Regierung ein Komitee der Volksmobilisierung, das dem Ministerpräsident Haidar al-Abadi untersteht und vom Nationalen Sicherheitsberater Falih al-Fayyad geleitet wird. Die wahren Kräfteverhältnisse sind allerdings schon daran abzusehen, dass die Gründung durch das irakische Innenministerium verkündet wurde:

Dieses unterstand bis Juli 2016 der Führung des "Badr-Politikers" Muhammad al-Ghabban, die dominante Kraft im Innenministerium und damit der eigentliche irakische Führer des Milizenbündnisses ist jedoch Hadi al-Amiri. Mehrere Milizen stehen außerdem politischen Parteien nahe.

 

Innerhalb der zahlreichen, meist lokal organisierten Gruppen innerhalb der Volksmobilisierungseinheiten können im Wesentlichen drei Gruppen ausgemacht werden: Erstens schon länger aktive Milizen, die infolge der Fatwa tausende neue Rekruten hinzugewannen (Badr-Organisation, Asa'ib Ahl al-Haqq, Kata'ib Hizbullah und Saraya as-Salam). Zweitens gibt es solche schiitischen Formationen, die ab Juni 2014 entstanden (bspw. Kata'ib al-Imam Ali) und drittens einige kleinere sunnitische Milizen (Süß 21.8.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

Kurdische Sicherheitskräfte und Akteure

 

Peschmerga: Gemäß Art. 121 der irakischen Verfassung üben kurdische Sicherheitskräfte (insbesondere die militärisch organisierten Peschmerga und die Sicherheitspolizei Asayisch) die Sicherheitsverantwortung in den Provinzen Erbil, Sulaymaniya, Dohuk und XXXX aus; diese Kräfte kontrollieren darüber hinaus de facto Teile der Provinzen Diyala, Kirkuk und Ninewah. Sie unterstehen formal der kurdischen Regionalregierung und sind nicht in den Sicherheitsapparat der Zentralregierung eingegliedert. Die kurdischen Sicherheitskräfte bilden keine homogene Einheit, sondern unterstehen faktisch den beiden großen Parteien KDP und PUK in ihren jeweiligen Einflussgebieten (s. dazu den Abschnitt zur Sicherheitslage) (AA 7.2.2017). Die Peschmerga sind also nach wie vor zweigeteilt, auch wenn es eine gemischte KDP-PUK-Einheit von ungefähr 30.000 Mann gibt (Stansfield 26.4.2017). Die zivilen Behörden der KRI konnten nicht immer die Kontrolle über die Peschmerga bewahren. (USDOS 3.3.2017).

 

Interne Sicherheitskräfte der KRG: Die KDP hat auch ihre eigene, interne Sicherheitseinheit, die Asayisch, als auch ihren eigenen Geheimdienst, den Parastin. Die PUK betreibt ebenso ihre eigene interne Sicherheitseinheit, die gleichfalls als Asayisch bekannt ist, und ihren eigenen Geheimdienst Zanyari. Die PUK und die KDP unternahmen nur symbolische Schritte, um ihre internen und externen Geheimdienste zu vereinigen, diese blieben weiterhin getrennt, und werden quasi von Parteiführern durch ihre jeweiligen Parteikanäle kontrolliert (USDOS 3.3.2017).

 

Die türkisch-kurdische Arbeiterpartei PKK, die von der Türkei als terroristische Organisation bekämpft wird, ist auch im Nordirak aktiv (insb. in den Qandil-Bergen und in Sinjar), und betreibt dort Stützpunkte, die von türkischen Streitkräften attackiert werden (s. Abschnitt "Sicherheitslage im Kurdischen Autonomiegebiet").

 

Die syrische Partei PYD (Partei der Demokratischen Union) mit ihrem militärischen Arm YPG (Volksverteidigungseinheiten) gilt als der syrische Ableger der türkischen PKK und ist im Irak im Gebiet um Sinjar aktiv (s. Abschnitt "Sicherheitslage im Kurdischen Autonomiegebiet").

 

Quellen:

 

 

 

 

Sicherheitslage in Bagdad

 

Die terroristischen Aktivitäten der letzten Jahre setzten sich im Jahr 2016 fort, eine besondere Rolle spielten dabei die Anschläge des IS, insbesondere auf Städte. Bagdad war dabei am meisten betroffen, indem dort mehr als der Hälfte der aller Todesfälle verzeichnet wurden. UNAMI berichtet von nahezu täglichen Attacken mit improvisierten Sprengfallen (IEDs) von Jänner bis Oktober. Der IS führte insbesondere Angriffe auf Zivilisten in jenen Vierteln Bagdads aus, die mehrheitlich schiitisch sind. Der diesbezüglich größte Angriff des Jahres 2016 fand am 3. Juli statt. Dabei wurden im schiitisch dominierten Viertel Karrada 292 Zivilisten getötet und hunderte verletzt (USDOS 3.3.2017). Eine gewisse Sicherheit ist in Bagdad lediglich in der "grünen" internationalen Zone (Green Zone) im Zentrum der Stadt gewährleistet (ÖB 12.2016). Die Anschläge des IS finden dabei zunehmend auf Märkten und in Wohngegenden statt, der IS zielt dabei vorwiegend auf Zivilisten ab (UNAMI 1.2.2017).

 

Milizen und konfessioneller Konflikt

 

Die Vorstöße des IS im Nord- und Zentralirak 2014 und Anfang 2015 sowie das damit verbundene Sicherheitsvakuum in anderen Landesteilen haben dazu geführt, dass Milizen und Stammesführer in vielen Gegenden die Macht an sich gerissen haben, die Kriminalität zugenommen hat und insgesamt das staatliche Machtmonopol und die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht wurden, einschließlich in der Hauptstadt Bagdad (UNHCR 14.11.2016). Die PMF-Milizen, die ursprünglich entstanden sind, um den IS zu bekämpfen [andere gab es allerdings auch schon vor dem IS], verrichten nun in den Stadtvierteln von Bagdad Polizeiarbeit. Dadurch konkurrieren sie mit der regulären Polizei, missachten die Gesetze und verhalten sich oft eher wie mafiöse Gruppen. Im September 2016 kam es im Zafaraniyah-Viertel sogar zu einem Kampf zwischen schiitischen Milizen und der örtlichen Polizei. Die Milizen erschweren zunehmend die Arbeit der lokalen Polizeikräfte. Führungskräfte der Polizei sind gezwungen, mit den führenden Vertretern der Milizen, die in ihrem Stadtteil operieren, zu kooperieren, gesetzt den Fall, die Viertel befänden sich überhaupt unter Polizeikontrolle. Die meisten Stadtviertel von Bagdad haben einen Stützpunkt, zumeist in Form eines Büros, der zu der jeweiligen Miliz gehört, die in dem Teil der Stadt präsent ist (manchmal sind auch mehrere Milizen in einem Viertel präsent). Laut Angaben eines Bagdader Polizisten könne man die mutmaßlichen Rechtsverletzungen der Milizen nicht ahnden; Es käme auch zu Straßenkämpfen zwischen den Milizen und die Polizei müsse neutral bleiben und würde daher nicht in die Kämpfe eingreifen (Niqash 19.1.2017).

 

Offiziell ist nach wie vor das sogenannte "Baghdad Operations Command" (BOC) für die Sicherheit in der Stadt zuständig. Es umfasst etwa 70.000 Mitglieder, die aus Soldaten der regulären Armee, der Militärpolizei und der normalen Polizei sowie aus Geheimdiensten bestehen. Viele Bewohner haben jedoch den Eindruck, dass das BOC nicht in der Lage ist, seine Aufgabe zu erfüllen (Niqash 19.1.2017). Daher gibt es den Ruf danach, dass die PMF-Milizen auch offiziell für die Sicherheit zuständig sein sollen, bzw. den Druck, auch von Seiten verschiedener Parlamentsmitglieder, die Milizen stärker in Bagdads Sicherheitskonzept einzubinden, oder ihnen sogar die Sicherheitsagenden komplett zu übergeben und das BOC aufzulösen (IFK 25.7.2017; vgl. Niqash 19.1.2017). Problematisch werden diese Entwicklungen v.a. auch auf Grund der Tatsache gesehen, dass die PMF-Milizen konfessionell sehr einseitig (schiitisch) aufgestellt sind, und einige von ihnen direkt mit dem iranischen Revolutionsführer Ayatollah Ali Khamenei affiliiert sind [sowie auf Grund der von ihnen im Irak begangenen Menschenrechtsverletzungen -

s. Abschnitt Menschenrechtslage] (Al-Monitor 9.6.2017).

 

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad ebenso wie in anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen (UNHCR 14.11.2016). In Bagdad wurde gemeldet, dass sunnitische Binnenvertriebene gedrängt wurden, aus schiitischen und gemischt sunnitisch-schiitischen Wohngebieten auszuziehen (UNHCR 14.11.2016). Auch gewaltsame Vertreibungen von Sunniten aus mehrheitlich von Schiiten bewohnten Vierteln Bagdads kamen laut dem Leiter des Sicherheitskomitees des Provinzrates Bagdad vor. Zum Teil würde es dabei weniger um konfessionell motivierten Hass gehen, sondern darum, die Grundstücke der vertriebenen Familien übernehmen zu können (IC 1.11.2016). Laut Berichten begehen die PMF-Milizen in Bagdad immer wieder Kidnappings und Morde an der sunnitischen Bevölkerung (die nicht untersucht werden), oder sie sprechen Drohungen dieser gegenüber aus (HRW 27.1.2016; Al-Araby 17.5.2017). Laut dem Parlamentsmitglied Abdul Karim Abtan langen bezüglich der Welle von konfessionell motivierten Entführungen und Morden fast täglich Berichte ein; er beschuldigt die Polizei, die Vorfälle zu ignorieren und den Milizen zu erlauben, straffrei zu agieren (Al-Araby 17.5.2017). Viele Familien waren in Bagdad durch den konfessionellen Konflikt dazu gezwungen, ihre Häuser zu verlassen und sie siedelten sich zunehmend entlang konfessioneller Grenzen wieder an (IOM 31.1.2017). Somit sind separate sunnitische und schiitische Viertel entstanden. Bagdad ist weiterhin entlang konfessioneller Linien gespalten (IOM 31.1.2017).

 

Insbesondere in den Stadtvierteln Ghazaliya, Mansur und Dawudi wurde auch von sunnitischen Moscheen berichtet, die Schikanen von Seiten der PMF-Milizen und der irakischen Sicherheitskräfte ausgesetzt sind. Diese haben Checkpoints vor den Moscheen eingerichtet, an denen sie Kontrollen durchführen. Laut einem Imam käme es fast täglich zu Verhaftungen; meistens erfolge eine Freilassung nach kurzer Zeit, nach der Entrichtung eines Betrages von 2.000 bis 10.000 Dollar (AQAA 14.4.2016).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

MOI - Musings on Iraq (2016/2017): Violence in Iraq / Dead and

Wounded in Iraq, Anm.: Zu den jeweiligen Monatsberichten s. folgende

Hyperlinks:

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/09/violence-in-iraq-august-2016.html

,

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/10/violence-in-iraq-sep-2016.html , http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/11/5198-dead-and-wounded-in-iraq-in-oct.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2016/12/4360-dead-3920-wounded-in-iraq-november.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/01/24079-reported-dead-and-39166-wounded.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/02/violence-in-iraq-january-2017.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/03/4290-dead-and-wounded-in-iraq-in.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/04/6732-dead-and-wounded-in-iraq-in-march.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/05/2677-killed-and-1742-wounded-in-iraq.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html

 

 

http://musingsoniraq.blogspot.co.at/2017/07/3230-dead-1128-wounded-in-iraq-june-2017.html , Dezember-Zahlen: Wing, Joel (20.7.2017): Per Email

 

 

 

 

 

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7496:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-june-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7414:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-may-2017&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=7228:un-casualties-figures-for-iraq-for-the-month-of-april-2017&Itemid=633&lang=en ,

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http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6267:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-october-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6144:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-september-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=6041:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-august-2016&Itemid=633&lang=en ,

http://www.uniraq.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=5931:un-casualty-figures-for-iraq-for-the-month-of-july-2016&Itemid=633&lang=en ,

Zugriff 25.7.2017

 

 

 

 

Rechtsschutz/Justizwesen

 

Art. 19 Abs. 1 und Art. 86 ff. der Verfassung bezeichnen die Rechtsprechung als unabhängige Gewalt. Das Oberste Bundesgericht erfüllt die Funktion eines Verfassungsgerichts. Der Gerichtsaufbau wird durch noch zu erlassende Ausführungsgesetze geregelt. Die Rechtsprechung ist in der Praxis von einem Mangel an kompetenten Richtern, Staatsanwälten sowie Justizbeamten gekennzeichnet, die Unabhängigkeit der Rechtsprechung ist nicht durchgehend gewährleistet. (AA 7.2.2017). Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Gerichte und Sicherheitskräfte verfügen nicht über ausreichend qualifiziertes Personal, es fehlt an rechtsstaatlichem Grundverständnis. Gewalttaten bleiben oft straflos. Eine Verfolgung von Straftaten findet allgemein nur unzureichend statt. Insbesondere das Problem, dass Beamte bei Vergehen straffrei davonkommen, spielt sowohl bei Regierungsbeamten, Beamten der Sicherheitskräfte (einschließlich der Peschmerga), sowie bei Militärs eine große Rolle (USDOS 3.3.2017). Es mangelt an ausgebildeten, unbelasteten Richtern; eine rechtsstaatliche Tradition gibt es nicht. Obwohl nach irakischem Strafprozessrecht Untersuchungshäftlinge binnen 24 Stunden einem Untersuchungsrichter vorgeführt werden müssten, wird diese Frist nicht immer respektiert und zuweilen auf 30 Tage ausgedehnt. Häufig werden übermäßig hohe Strafen verhängt. Freilassungen erfolgen mitunter nur gegen Bestechungszahlungen. Insbesondere Sunniten beschweren sich über die "schiitische Siegerjustiz" und die einseitige Anwendung der bestehenden Gesetze zu ihren Lasten (AA 7.2.2017). Die Vorstöße des IS im Nord- und Zentralirak 2014 und Anfang 2015 und das damit verbundene Sicherheitsvakuum in anderen Landesteilen haben laut Berichten dazu geführt, dass Milizen und Stammesführer die Macht an sich gerissen haben, die Kriminalität zugenommen hat und insgesamt das staatliche Machtmonopol und die Rechtsstaatlichkeit aufgeweicht wurden, einschließlich in der Hauptstadt Bagdad und den südlichen Provinzen (UNHCR 14.11.2016).

 

Berichten zufolge sind im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit weiterhin regelmäßige Verstöße gegen das Recht der Angeklagten auf ein faires Verfahren zu beobachten (UNHCR 14.11.2016). Dies galt insbesondere für Angeklagte, denen terroristische Straftaten zur Last gelegt wurden. Gerichte sprachen Angeklagte weiterhin aufgrund von "Geständnissen" schuldig, die unter Folter erpresst worden waren. Von Angeklagten erhobene Foltervorwürfe führten weder zu Ermittlungen noch zu einer gerichtsmedizinischen Untersuchung der Opfer. In einigen Fällen wurde nach unfairen Verfahren die Todesstrafe verhängt (AI 22.2.2017).

 

Rechtsexperten, zivilgesellschaftliche Aktivisten und einige Politiker werfen dem irakischen Justizwesen vor, nicht die ihm vorgeschriebenen Aufgaben zu erfüllen, und unprofessionell mit der Umsetzung von Recht und der gleichen Anwendung des Gesetzes auf alle Bürger umzugehen. Das Oberste Bundesgericht und der Strafgerichtshof wird hierbei besonders kritisiert, und beschuldigt, Urteile zu fällen, die sich nach der Politik der Regierung richten (Fanack 18.5.2016). Die richterliche Unabhängigkeit ist insbesondere auch durch zahlreiche Drohungen und Morde von Seiten religiöser oder stammesbezogener Extremisten oder krimineller Kräfte beeinträchtigt. Richter und Anwälte, sowie deren Familienmitglieder waren regelmäßig Todesdrohungen und Angriffen ausgesetzt (USDOS 3.3.2017).

 

Die PMF-Milizen haben ihre eigenen Gerichte gegründet, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass die Milizen Missbräuche/Rechtsverletzungen in den eigenen Reihen ahnden können. Im Moment werden diese Gerichte jedoch dafür eingesetzt, um (ohne Haftbefehl) verhaftete Sunniten zu verurteilen (Wille 26.6.2017).

 

Autonomes Kurdengebiet

 

Die Region Kurdistan-Irak ist ebenfalls von Defiziten der rechtsstaatlichen Praxis gekennzeichnet. Die Asayisch-Sicherheitskräfte operieren immer wieder außerhalb der Kontrolle des zuständigen Innenministeriums (insbesondere in der Provinz Sulaymaniya). In einem glaubhaft belegten Fall berichtet Amnesty International von einem Gefangenen, der seit zehn Jahren ohne Verfahren in Haft sitzt (AA 7.2.2017). Gefangene werden gemäß der Independent Human Rights Commission der Kurdenregion in den Haftanstalten der KRG für längere Dauer festgehalten, obwohl das Gericht ihre Freilassung angeordnet hat (USDOS 3.3.2017). Untersuchungen nach Übergriffen seitens der Sicherheitskräfte bleiben oft ohne Ergebnis (AA 7.2.2017). Der Sicherheitsdienst Asayish und andere kurdische Sicherheitskräfte nahmen tausende Menschen wegen Terrorverdachts fest, vor allem sunnitische arabische Männer und Buben. Die Behörden verstießen in mehrfacher Weise gegen deren Recht auf ein faires Verfahren, u. a. indem sie die Überstellung der Inhaftierten an die Justizbehörden extrem verschleppten und ihnen über lange Zeiträume keinen Zugang zu ihren Familienangehörigen gewährten. Im Oktober 2016 gaben die Behörden der Regionalregierung bekannt, dass der allgemeine Sicherheitsdienst Asayish Ghishti und die Asayish-Abteilung in Erbil seit Anfang des Jahres 2.801 Terrorverdächtige festgenommen hätten (AI 22.2. 2017). Latif Mustafa, Richter in der Kurdenregion, und vormals in der Gesetzgebung tätig, ging im Mai 2017 an die Öffentlichkeit und erklärte, dass die Behörden der KRG nicht an das Prinzip der Rechtstaatlichkeit glauben würden. Fälle von höheren Beamten und reichen oder einflussreichen Bürgern würden nicht vor Gericht gestellt und in anderen Fällen kommt es laut diesem Richter zu überzogenen Urteilen (z.B. 11 Jahre Haft für das Stehlen von Milch und Windeln) (Ekurd Daily 1.5.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

https://chronicle.fanack.com/iraq/governance/judiciary-hanging-in-the-balance/ , Zugriff 13.6.2017

 

 

 

 

Allgemeine Menschenrechtslage

 

Auch wenn in der Verfassung aus dem Jahr 2005 wichtige demokratische Grundrechte wie Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, Religionsfreiheit, Schutz von Minderheiten und Gleichberechtigung verankert sind, kommt es weiterhin zu Menschenrechtsverletzungen durch Polizei und andere Sicherheitskräfte (AA 7.2.2017). UN-Menschenrechtsgremien und Menschenrechtsorganisationen haben dokumentiert, dass alle Parteien des nicht internationalen bewaffneten Konflikts im Irak das humanitäre Völkerrecht verletzen und schwere Verstöße gegen internationale Menschenrechte begehen (UNHCR 14.11.2016). Die Menschenrechtslage ist vor allem in Hinblick auf die mangelhafte staatliche Kontrolle und das wenig ausgeprägte Gewaltmonopol samt verbreiteter Straflosigkeit desolat, in der KRI vergleichsweise etwas besser (ÖB 12.2017). Im gesamten Land gibt es einen Mangel an Schutzmöglichkeiten, und die Menschen sind ernstzunehmenden Verletzungen des internationalen humanitären Rechts sowie der Menschenrechte ausgesetzt. Mangelnder Zugang zu sicheren Orten, Mangel an Bewegungsfreiheit, Gewalt und unfaire Behandlung verschlimmern die Spannungen zwischen den Volksgruppen (OCHA 7.3.2017).

 

Den Großteil der gravierendsten Menschenrechtsverletzungen beging die Terrororganisation IS, die unter anderem Angriffe gegen folgende Gruppen verübte: Zivilisten (im speziellen Schiiten aber auch Sunniten, die den IS ablehnen); Mitglieder anderer religiöser und ethnischer Minderheiten; einschließlich Frauen und Kinder. Die Behörden entdeckten während des Jahres 2016 etliche Massengräber (USDOS 3.3.2017). Anm.: Zu den von Seiten des IS verübten Menschenrechtsverletzungen s. auch den folgenden Abschnitt. Verstöße gegen die Menschenrechte sind aber auch außerhalb des vom IS beherrschten Gebietes weit verbreitet (AA 7.2.2017):

 

Staatliche Stellen, insbesondere die irakische Armee und ihre Verbündeten sind nach wie vor für zahlreiche schwere Übergriffe und Menschenrechtsverletzungen verantwortlich und trotz erkennbarem Willen der Regierung Abadi nicht in der Lage, die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten (ÖB 12.2016; AA 7.2.2017). Von Seiten der Regierungskräfte wurden u.a. Massenexekutionen, Misshandlungen während der Haft, "Verschwindenlassen", das Verstümmeln von Leichen (HRW 12.1.2017), sowie Folter dokumentiert (AI 22.2.2017). Insbesondere den Popular Mobilisation Forces (PMF) werden Massenerschießungen, Tötungen von Gefangenen und Festgenommenen (ohne Gerichtsverfahren) vorgeworfen (ÖB 12.2016). Den staatlichen Stellen ist es nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen, insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Dies geht einher mit Repressionen, mitunter auch Vertreibungen von Angehörigen der jeweils anderen Konfession Minderheiten geraten oft zwischen die Fronten (AA 7.2.2017).

 

In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, kommt es zu Massenvergeltungsmaßnahmen an sunnitisch-arabischen und turkmenischen Einwohnern und Rückkehrern aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Verbindung zum IS (AA 7.2.2017; vgl. UNHCR 14.11.2016). Daran beteiligt sind mit den PMF verbündete Streitkräfte, Stammesgruppen und kurdische Sicherheitskräfte (UNHCR 14.11.2016). Es kommt zu Repressionen durch schiitische und sunnitische Milizen, durch die kurdischen Peschmerga, sowie in geringerem Maße durch Milizen der verschiedenen konfessionellen Minderheiten (AA 7.2.2017). Auch im Zuge der Mossul-Offensive verhafteten und misshandelten Stammesmilizen Einwohner der Gebiete, die vom IS zurückerobert worden waren, und es kam zu Racheakten der schiitischen Milizen (HRW 12.1.2017; Harrer 10.8.2017; vgl. BAMF 26.6.2017). Die irakischen Sicherheitskräfte misshandelten und töteten Berichten zufolge Männer und Knaben, die aus Mossul flüchteten (HRW 30.6.2017). Allgemein kam es von Seiten Angehöriger der ISF und verbündeter Gruppen zu Vergehen an der flüchtenden Zivilbevölkerung, an Binnenvertriebenen und Rückkehrern. In Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, ist auch von Plünderungen und der willkürlichen Inbrandsetzung und Zerstörung von Wohnhäusern, Geschäften und Moscheen berichtet worden (UNHCR 14.11.2016). Zum Teil wurden gesamte arabische Dörfer zerstört, bei gleichzeitiger Deportation der Einwohner, obwohl es dafür keine militärische Notwendigkeit gab. In vielen Fällen handelte es sich dabei um Kriegsverbrechen (HRW 12.1.2017). Bezüglich der Frage der Rückkehrer hat die lokale Regierung in der Provinz Salahuddin im Jahr 2016 ein Dekret erlassen, nach dem jeder, der Verbindungen zum IS hat, nicht in die Region zurückkommen dürfe - Iraker, die ihre IS-assoziierten Verwandten töten würden, wären ausgenommen (OA/EASO 2.2017, vgl. HRW 5.3.2017).

 

Die große Zahl der Binnenvertriebenen im Irak und die weitverbreitete Pauschal-Auffassung, dass sunnitische Araber IS-Mitglieder sind oder mit dem IS sympathisieren, hat Berichten zufolge dazu geführt, dass immer mehr sunnitische Araber und sunnitische Turkmenen, die nicht vertrieben wurden und in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten leben, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 verhaftet werden (UNHCR 14.11.2016). Teilweise unterzogen die Regierungskräfte alle männlichen Personen im kampffähigen Alter (etwa zwischen 15 und 65 Jahren), die aus Gebieten unter IS-Kontrolle geflohen waren, einer Sicherheitsüberprüfung. Sie wurden in behelfsmäßige Hafteinrichtungen oder provisorische Auffanglager gebracht, in denen sie Tage oder sogar Monate ausharren mussten, häufig unter extrem harten Bedingungen. Terrorverdächtige wurden an Sicherheitsbehörden wie die Abteilung für Verbrechensbekämpfung, die Abteilung für Terrorismusbekämpfung oder die Geheimdienstabteilung des Innenministeriums überstellt, wo ihnen Folter und andere Misshandlungen drohten, und regelmäßig wurde ihnen der Kontakt zu ihren Familien oder Rechtsbeiständen verwehrt. Sicherheitskräfte und Milizen nahmen mutmaßliche Terrorverdächtige ohne Haftbefehl in ihren Wohnungen, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene fest und informierten weder die Betroffenen noch deren Angehörige über die Gründe für die Festnahme (AI 22.2.2017). Häufig befinden sich diese Kontrollpunkte in der Nähe der Front. Zwar werden manche Personen nach einigen Tagen wieder entlassen, andere werden jedoch Berichten zufolge wochen- oder gar monatelang festgehalten, bis sie schließlich freigelassen oder in die Obhut der zuständigen Sicherheitsbehörden überstellt werden (UNHCR 14.11.2016).

 

Die zielgerichtete Gewalt gegen sunnitische Araber hat in Bagdad und anderen von der Regierung kontrollierten Gebieten des Irak seit 2014 zugenommen. Sunnitische Araber erhalten Todesdrohungen, ihre Häuser werden zerstört und sie werden zwangsweise vertrieben, entführt/verschleppt und außergerichtlich hingerichtet. Die sunnitische Zivilbevölkerung wird nach IS-Attacken auf die schiitische Zivilbevölkerung von den ISF und verbündeten Streitkräften der PMU regelmäßig ins Visier genommen und im Rahmen offensichtlicher Vergeltungsmaßnahmen wurden sunnitische Zivilpersonen getötet und ihre Häuser, Geschäfte und Moscheen zerstört. Lager für Binnenvertriebene sind Anschlägen zum Ziel gefallen (UNHCR 14.11.2016).

 

Männer und Jugendliche ab 15 Jahren wurden unter Druck gesetzt, bewaffneten Stammesgruppen zur Bekämpfung des IS beizutreten, um nicht für IS-Anhänger gehalten zu werden (UNHCR 14.11.2016). Darüber hinaus gibt es Berichte, dass sowohl Volksmobilisierungskräften (PMF), sunnitische Stämme, die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) und sonstige bewaffnete kurdische Gruppen sowie turkmenische und jesidische Selbstverteidigungsgruppen Kinder für Unterstützungs- und Kampfhandlungen rekrutieren (UNHCR 14.11.2016, vgl. USDOS 3.3.2017; vgl. AI 22.2.2017).

 

Die Behörden unternahmen nichts, um den Aufenthaltsort und das Schicksal Tausender sunnitischer arabischer Männer und Jungen zu klären, die Milizen und Regierungstruppen in den vergangenen Jahren in Wohnhäusern, an Kontrollpunkten und in Lagern für Binnenvertriebene aufgegriffen hatten und die seitdem "verschwunden" sind (AI 22.2.2017).

 

Gemäß einem Bericht von Amnesty International haben die Truppen der Koalition zur Bekämpfung des IS bei ihrem Vorgehen in Mossul keine angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung unternommen, und Waffen eingesetzt, die in bevölkerungsreichen Gebieten niemals verwendet werden dürften (Zeit 11.7.2017). Es werden Bedenken über mögliche Kriegsverbrechen der US-geführten Koalition in Bezug auf den Kampf gegen den IS in Mossul geäußert (IP 3.6.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

http://www.ecoi.net/file_upload/5734_1501757671_deutschland-bundesamt-fuer-migration-und-fluechtlinge-briefing-notes-26-06-2017-deutsch.pdf , Zugriff 31.8.2017

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Sozioökonomische und Menschenrechtslage im Kurdischen Autonomiegebiet und den von kurdischen Streitkräften kontrollierten Gebieten

 

In der KRI gab es bedeutend weniger Berichte von Morden oder konfessioneller Gewalt als im restlichen Land (USDOS 3.3.2017). Seit 2003 arbeitetet die KRG (Kurdish Regional Government) daran, Irakisch-Kurdistan als den besseren, d.h. demokratischeren Teil des Irak darzustellen. Tatsächlich ist der Begriff "Demokratie" jedoch irreführend: Die beiden großen Parteien KDP und PUK haben untereinander die Einflussgebiete aufgeteilt - sowohl territorial innerhalb der kurdischen Region, als auch was die jeweiligen politischen Einflussbereiche anbelangt. Während die KDP den kurdischen Präsidenten stellt, ist die PUK traditionell für die Politik in Bagdad verantwortlich. In diesem Kontext der Aufteilung von Machtsphären hat die PUK allerdings in den vergangenen Jahren erheblichen Einfluss an Goran abgeben müssen. Paradoxerweise hat die Aufteilung zwischen KDP und PUK/Goran in den vergangenen Jahren die Aufrechterhaltung gewisser demokratischer Mindeststandards bzw. eine gewisse Pluralität möglich gemacht: Was unter der KDP nicht geäußert werden kann, ist vielleicht unter Herrschaft der PUK sagbar - und umgekehrt. Die sogenannte "Präsidentenkrise" hat allerdings zu einer erheblichen Ernüchterung hinsichtlich der politischen Kultur in Irakisch-Kurdistan geführt (Savelsberg 8.2017). (Anm.: Mas'ud Barzanis zweite Amtszeit lief im Jahr 2013 aus, er blieb aber weiterhin im Amt, s. dazu Abschnitt Politische Lage). Gleichzeitig führt diese innere Fragmentierung der von kurdischen Streitkräften kontrollierten Gebieten aber auch dazu, dass die Menschen zwischen den Rivalitäten und Konflikten der beiden Seiten "gefangen" sind. Kurdistan ist auch Schauplatz regelmäßiger oppositioneller Demonstrationen und Schauplatz von politischem Aktivismus, wobei es dabei regelmäßig zu Verhaftungen von Aktivisten (insbesondere von jesidischen Aktivisten) und Journalisten kommt (Wille 26.4.2017). Auf die auf Grund der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise lauter werdende Kritik reagiert Barzanis KDP mit Repression (TP 23.9.2016).

 

Die KDP profitiert massiv von der Zusammenarbeit mit dem US-Militär und dem militärischen Training an amerikanischen Waffen. Die KDP setzt diese Kenntnisse jedoch nicht nur ein, um den IS zu bekämpfen, sondern auch, um in Gebiete, die sie vom IS zurückerobert hat, vorzustoßen und die arabische Bevölkerung von dort zu vertreiben. Dies passiert in jenen Gebieten, die offiziell "umstrittene Gebiete" genannt werden, die die kurdischen Führer seit langem für sich reklamieren und von denen sie nun hoffen, sie annektieren zu können (ICG 31.5.2017), bzw. Anstrengungen unternehmen, um diese religiös und ethnisch diversen Gebiete zu "kurdifizieren" (USCIRF 26.4.2017). In den Gebieten, die vom IS zurückerobert wurden, haben sich kurdische Sicherheitskräfte Berichten zufolge an Massenvergeltungsmaßnahmen gegen sunnitisch-arabische und turkmenische Einwohner und Rückkehrer aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermuteten Kollaboration oder Verbindung mit dem IS beteiligt. Zu den gemeldeten Rechtsverletzungen zählen willkürliche Verhaftung, Entführung, Verschwindenlassen von Personen, außergerichtliche Hinrichtung, Zwangsvertreibung, Plünderung, Inbrandsetzung und Zerstörung von Häusern, Geschäften und Moscheen und in einigen Fällen die vorsätzliche Zerstörung ganzer Dörfer (UNHCR 14.11.2016).

 

Die Situation derjenigen Menschen, die in Irakisch-Kurdistan Zuflucht gefunden haben, stellt sich unterschiedlich dar, je nachdem ob es sich um Binnenvertriebene oder um Flüchtlinge aus Syrien, um Kurden oder Araber, um Geschäftsleute oder Mittellose, um Christen, Jeziden oder sunnitische Muslime handelt.

 

Syrische Flüchtlinge: Bei denjenigen Flüchtlingen, die aus Syrien nach Irakisch-Kurdistan gekommen sind, handelt es sich vor allem um Kurden - viele von ihnen sind vor den Repressionen der Partei der Demokratischen Union (PYD), der syrischen Schwesterpartei der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), geflohen. Eine Studie aus dem Frühjahr 2015 identifiziert die folgenden Aspekte als die größten Probleme derjenigen Flüchtlinge, die außerhalb von Flüchtlingscamps lebten: Schulden, deren Höhe das monatliche Einkommen überschreiten; hohe Erwerbstätigkeit von Kindern (16 Prozent); unsichere Trinkwasserversorgung bei mehr als 45 Prozent der Befragten; 16 Prozent der befragten Haushalte hatten keinerlei Einkommen; 12 Prozent der Haushalte verfügten nicht über ausreichend Nahrung; 54 Prozent aller Kinder im Schulalter gingen nicht zur Schule; die Impfrate gegen Polio (Kinderlähmung) lag bei nur 70 Prozent. Auch unter in den Lagern lebenden Flüchtlingen war die Rate der verschuldeten Haushalte mit insgesamt 58 Prozent hoch und die Schulbesuchsrate mit 71 Prozent vergleichsweise gering - insgesamt jedoch deutlich höher als bei den außerhalb der Camps lebenden Flüchtlinge. Ferner gehört auch in den Lagern Wasser zu den raren

Gütern: 37 Prozent der befragten Haushalte gaben an, dass ihr Trinkwasser nicht sicher sei, mehr als 20 Prozent, dass nicht ausreichend Trinkwasser erhalten hätten. Zudem gaben 60 Prozent der Haushalte in den Lagern an, aufgrund der wachsenden Konkurrenz immer schlechteren Zugang zum Arbeitsmarkt zu haben. Die Flüchtlinge aus Syrisch-Kurdistan machen die Erfahrung, dass auch in Irakisch-Kurdistan - das vielen von ihnen zuvor als demokratische Alternative erschien - ähnliche Strukturen herrschen wie in Syrien (Savelsberg 8.2017).

 

Binnenflüchtlinge (IDPs): Grundsätzlich erfahren irakische IDPs in den kurdischen Gebieten ähnliche Schwierigkeiten, wie sie weiter oben bereits für syrisch-kurdische Flüchtlinge beschrieben wurden. Zusätzlich sind arabisch-sunnitische IDPs jedoch mit Problemen konfrontiert, die kurdische - etwa jesidische - IDPs aus dem Irak nicht gegenwärtigen müssen: Es herrscht die Angst der Bewohner Kurdistans vor dauerhaften demographischen Veränderungen in der kurdischen Region. Darüber hinaus besteht ein weiteres Problem arabischer IDPs darin, dass ihnen oftmals unterstellt wird, islamistischen Gruppen nahe zu stehen. Abgesehen von Festnahmen können Restriktionen gegenüber sunnitisch-arabischen IDPs auch in Beschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit bestehen (s. dazu auch die Abschnitte zu Menschenrechtslage und zu IDPs und Flüchtlingen/Bewegungsfreiheit). Arabische Sunniten sind somit aufgrund ihrer ethno-religiösen Herkunft verstärkt der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt - arabische Christen trifft dieses Vorurteil hingegen in der Regel nicht. Sie werden von der irakisch-kurdischen Bevölkerung eher als Angehörige der (christlichen) Minderheit denn als Araber gesehen und daher weniger als Gefahr wahrgenommen. Ähnliches gilt für jesidische IDPs, die vor allem im Anschluss an die Einnahme des Sinjar durch den IS im Sommer 2015 in die kurdische Region geflohen sind - jedenfalls dann, wenn sie sich weder als Araber definieren noch mit der PKK kooperieren, die seit eben jenem Sommer 2015 im Sinjar militärisch vertreten ist (Savelsberg 8.2017). Jesidische IDPs leben in Sheikhan und der KRI in prekären Verhältnissen. Sie finden keine Arbeit, weil sie dort von ihren traditionellen Lebensgrundlagen abgeschnitten sind (Lattimer 26.4.2017). Das Auswärtige Amt berichtet, dass christliche IDPs, die in der KRI und den von Kurden kontrollierten Gebieten Zuflucht gefunden haben, derzeit unter schwierigen materiellen und sozialen Bedingungen als Binnenvertriebe (zumeist in der kurdischen Provinz Dohuk) leben würden, es jedoch keine Anzeichen für staatliche Diskriminierung gäbe (AA 7.2.2017). Die US Commission on International Religious Freedom berichtet über die Situation der christlichen und jesidischen IDPs Folgendes: Christliche Gemeinden erkennen das Bemühen der KRG an, sie vor dem IS zu beschützen und sie zu unterstützen. Die KRG hat christlichen Gemeinden sogar finanzielle Mittel zur Errichtung von Kirchen zur Verfügung gestellt. Allerdings, jenseits der bevölkerungsreichen Zentren und im Besonderen in Dohuk haben sich assyrische Gemeinden darüber beklagt, dass Kurden ihnen ihr Land enteignet hätten, manchmal mit stillschweigendem Einverständnis der kurdischen Behörden. Außerdem sei ihnen bei dem Versuch zu demonstrieren, das Passieren von Checkpoints verweigert worden. Die Jesiden im Kurdengebiet Iraks berichten von Diskriminierung durch die KRG-Behörden. Viele geben an, dass sie unter Druck gesetzt werden, sich als Kurden zu betrachten. Es gab auch Berichte, dass die Peschmerga jesidische Dörfer niedergebrannt, jesidische Aktivisten und politische Führer verhaftet und den Zugang von humanitären Hilfsorganisationen auf jene Personen beschränkt haben, die der KRG nahestehen (USCIRF 26.4.2017). Viele der seit 2014 in die Region Kurdistan strömenden IDPs, (Mitglieder religiöser Minderheiten darunter insbesondere Christen aus der Provinz Ninewah und Jesiden aus dem Sinjar), wurden anfänglich in der KRI willkommen geheißen. Doch in der Zwischenzeit ist der Widerstand aufgrund von tiefsitzenden geschichtlichen Konflikte zwischen kurdischen und arabischen Irakern gewachsen. Die Besorgnis steigt, dass die Ankunft von arabischen Binnenflüchtlingen in Kurdistan die unterschwelligen Spannungen verschärfen könnte. Laut Angaben von IOM haben 36 Prozent der Binnenflüchtlinge seit ihrer Vertreibung einen Sicherheitsvorfall erlebt. IDPs haben Bedenken hinsichtlich der Akzeptanz vonseiten der aufnehmenden Gesellschaft, darunter auch der kurdischen Polizei, vorgebracht. Diesbezüglich spielen auch wirtschaftliche Aspekte eine Rolle. In den letzten drei Jahren haben sich aufgrund der erhöhten Nachfrage und des aufgrund der wirtschaftlichen Lage gesunkenen Angebotes an neuem Wohnraum die durchschnittlichen Mieten um 19 Prozent verteuert. Bis zu 80 Prozent der Binnenflüchtlinge haben von Schwierigkeiten berichtet, ihre Mieten zu bezahlen (ACAPS 24.8.2016).

 

Sozioökonomische Lage in Kurdistan

 

Angesichts der Schwierigkeiten, die Flüchtlinge und IDPs in Irakisch-Kurdistan zu gegenwärtigen haben, gerät oftmals aus dem Blick, dass die Aufnahme von Hunderttausenden auch für die irakisch-kurdische Bevölkerung - hier insbesondere für die ökonomische Unter- und Mittelschicht, erhebliche Härten mit sich bringt. Die Tatsache etwa, dass zahlreiche Flüchtlinge und IDPs ohne bzw. mit geringen Qualifikationen auf den Arbeitsmarkt drängen, bedeutet auch einen schlechteren Zugang geringqualifizierter irakisch-kurdischer Bürger zu vielen Jobs. Angaben der Weltbank zufolge hat sich die allgemeine Armutsrate bereits zwischen 2012 und 2014 - als die Mehrheit der syrischen Flüchtlinge ins Land kam - von 3,5 Prozent auf 8,1 Prozent mehr als verdoppelt. Wasser und Elektrizität waren bereits im irakischen Kurdistan vor 2014 rare Güter - mit der Ankunft zahlreicher Flüchtlinge und IDPs sind sie für alle knapper geworden. Dasselbe gilt für die Gesundheitsversorgung: Das Anwachsen der Bevölkerung ohne einen entsprechenden Ausbau des Gesundheitssystems hat zu geringeren pro-Kopf-Leistungen geführt. Auch der Bildungssektor leidet unter den Herausforderungen, die rund 360.000 zusätzlich zu beschulende Kinder bedeuten - davon etwa 60.000 Kinder aus Syrien und 300.000 Kinder arabischer Binnenvertriebener. Es fehlt an geeigneten Schulgebäuden, die Klassen sind überfüllt, das Bildungsniveau der einzelnen Kinder ist extrem unterschiedlich. Zudem sind viele Schüler durch Krieg und Vertreibung traumatisiert. Unterrichtet werden sie von Lehrerinnen, die weder für diese Herausforderungen ausgebildet wurden, noch aufgrund der aktuellen Wirtschaftskrise bzw. dem angespannten Verhältnis zwischen Bagdad und Erbil auch nur regelmäßig bezahlt werden (Savelsberg 8.2017). Auch laut der Österreichischen Botschaft Amman hat die Aufnahme der großen Zahlen an IDPs und Flüchtlingen tiefgreifende wirtschaftliche und soziale Auswirkungen auf die kurdische Region. Die Bevölkerung der semi-autonomen Region ist 2014 etwa um ein Viertel gewachsen, und nach Angaben der Weltbank hat sich die Armutsrate in der KRI 2014 mehr als verdoppelt. Generell stellt die Situation eine enorme Belastung für die KRI hinsichtlich begrenzter Wasserressourcen, eines überstrapazierten Gesundheits- und Schulwesens, der angespannten Situation am Arbeits- und Wohnungsmarkt, des sozialen Friedens, zunehmend prekärer sanitärer und Gesundheitssituation sowie der Umwelt dar. Die Österreichische Botschaft Amman befand bereits im Dezember 2016, dass die Kapazitäten der KRI ausgereizt seien (ÖB 12.2017), [bevor im Zuge der danach fortgesetzten Mossul-Offensive weitere IDPs in die Region kamen.] Laut UNHCR befänden sich sowohl die Gemeinden als auch die Behörden und die Infrastruktur an der Belastungsgrenze (UNHCR 27.4.2017). Auch das Auswärtige Amt schreibt in seinem Jahresbericht, dass "die Region Kurdistan-Irak an der Grenze ihrer Aufnahmefähigkeit angelangt" ist, und sich die KRG insbesondere auch auf Grund der in der KRI herrschenden Wirtschaftskrise nicht mehr in der Lage sieht, weiter Flüchtlinge aufzunehmen (AA 7.2.2017).

 

Die Kurdenregion wird zum Teil noch immer als das gesehen, was sie vor fünf Jahren war: Eine wirtschaftlich prosperierende, aufstrebende pro-westliche Demokratie. Kurdistan ist heute tief verschuldet, politisch wie wirtschaftlich gebrochen und kaum in der Lage seine Staatsangestellten zu bezahlen (drei Viertel der arbeitenden Bevölkerung sind Staatsangestellte), was zu andauernden Protesten führt (WP 23.7.2017; vgl. Savelsberg 8.2017; ad. Proteste:

Natali 3.1.2017). Hatte das irakische Gesamtbudget 2015 bereits von 151 Billionen auf 105 Billionen gekürzt werden müssen, betrug das vorläufige Budget für 2016 nur noch 86 Billionen US-Dollar. Kriegsbedingte Kürzungen von Seiten Bagdads, der fallende Ölpreis und die Tatsache, dass mehr als zwei Millionen Flüchtlinge im Land zu versorgen waren, haben zu erheblichen ökonomischen Einbußen in der kurdischen Region geführt. Diese konnten weder durch humanitäre Hilfe im Bereich der Flüchtlingsversorgung noch durch die US-amerikanische Finanzierung der Peschmerga seit Juli 2016 kompensiert werden. Im Februar 2015 sprach die Weltbank von insgesamt 1,4 Billionen US-Dollar, die im laufenden Jahr benötigt würden, um Irakisch-Kurdistan ökonomisch zu stabilisieren, und im Januar 2016 hatte das monatliche Defizit in der kurdischen Region 406 Millionen Dollar erreicht. Staatliche Gehälter wurden und werden erheblich gekürzt und oft Monate zu spät ausgezahlt (Savelsberg 8.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Minderheiten

 

Traditionelle Stammesstrukturen und ethnisch-religiöse Zugehörigkeiten bestimmen die gesellschaftlichen und politischen Loyalitäten bzw. Konfliktlinien. Die wichtigsten ethnisch-religiösen Gruppierungen sind (arabische) Schiiten, die 60 bis 65% der Bevölkerung ausmachen (AA 7.2.2017), [gemäß CIA-Factbook 55-60 Prozent (CIA 2010)] und vor allem den Süden und Südosten des Landes bewohnen; (arabische) Sunniten (17 bis 22%) mit Schwerpunkt im Zentral- und Westirak (aus dieser Gruppe stammte bis zum Ende der Diktatur von Saddam Hussein 2003 der größte Teil der politischen und militärischen Führung) und die vor allem im Norden des Landes lebenden überwiegend sunnitischen Kurden (15 bis 20%). Entlang dieser Linien hat sich auch die Parteienlandschaft gebildet. Angehörige der religiösen Minderheiten, die traditionell besonders im arabisch-kurdischen Grenzgebiet siedelten, haben teilweise eine eigene ethnisch-religiöse Identität bewahrt, betrachten sich häufig aber auch als Kurden oder Araber (AA 7.2.2017). In der Hauptstadt Bagdad wird die Mehrheit der Bevölkerung von den schiitischen Arabern gestellt (USDOS 10.8.2016).

 

Die Hauptsiedlungsgebiete der religiösen Minderheiten liegen im Nordirak in jenen Gebieten, die seit Juni 2014 teilweise unter Kontrolle des IS standen oder noch stehen. Hier kommt es zu gezielten Verfolgungen und systematischer Unterdrückung von Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten. Jesiden, Christen, Kakai, Kurden, Sabäer-Mandäer, Schiiten, Turkmenen und Schabak werden Berichten zufolge vom IS schwer misshandelt. Es kommt zu Hinrichtungen, Entführungen, Zwangskonvertierungen, Vergewaltigungen, Versklavungen, Zwangsverheiratungen, Zwangsabtreibungen und Zwangsvertreibungen. Die Mehrzahl der Mitglieder ethnischer und religiöser Minderheiten in Gebieten, die vom IS kontrolliert werden, sind laut Berichten entweder getötet, entführt oder vertrieben worden (UNHCR 14.11.2016; vgl. AA 7.2.2017). Trotz der verfassungsrechtlichen Gleichberechtigung leiden religiöse Minderheiten unter weitreichender faktischer Diskriminierung und Existenzgefährdung. Der irakische Staat kann den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen. Sie bleiben daher, u.

a. im Zusammenhang mit ihren Berufen und damit verbundenen Lösegelderwartungen, Opfer von Entführungen und sind bevorzugte Ziele von Anschlägen. In Zusammenhang mit der Rückeroberung von Gebieten aus IS-Hand wurden problematische Versuche einer ethnisch-konfessionellen Neuordnung unternommen, besonders in der ethnisch-konfessionell sehr heterogenen Provinz Diyala (AA 7.2.2017). Die Muster der ethnischen und religiösen Verfolgung sind nicht auf bestimmte ethnische/religiöse Gemeinschaften beschränkt, sondern können, abhängig vom jeweiligen Gebiet, fast auf alle Gemeinschaften zutreffen (Lattimer 26.4.2017).

 

In der kurdischen Autonomieregion gaben Jesiden, Christen und sunnitische Anführer an, dass sie Schikanen und Misshandlungen durch die Peschmerga der KRG und der Asayisch ausgesetzt waren (USDOS 10.8.2016).

 

Schiiten sind regelmäßig Ziel von Anschlägen im Irak, insbesondere durch den IS (exemplarisch: Guardian 5.1.2017; HRW 15.1.2017, sowie Abschnitt Sicherheitslage). Generell gibt es im Irak ganz erhebliche Konflikte zwischen den Religionsgruppen der arabischen Sunniten und der Schiiten im Irak.

 

Kurden

 

15-20 Prozent der irakischen Bevölkerung sind Kurden. Der Großteil ist sunnitisch, jedoch gibt es auch schiitische Kurden (Faili-Kurden, s.u.) in Bagdad und im Südosten des Irak. Ihre Zahl wird in etwa auf 150.000 geschätzt (Stand 10.2014) (MRG 10.2014). Darüber hinaus gibt es unter den Kurden auch noch neuzeitliche Zoroastrier und Jesiden (LIPortal 12.2014). Von ethnisch-konfessionellen Auseinandersetzungen sind auch Kurden betroffen, soweit sie außerhalb der Region Kurdistan-Irak leben. Im Konflikt um die Zukunft von Kirkuk, aber auch in Mossul kommt es immer wieder zu Übergriffen und Anschlägen auf Kurden (AA 7.2.2017). Etwa drei Prozent der IDPs im Irak (nach laut USDOS allerdings eher ungenauen Schätzungen) sind sunnitische Kurden (USDOS 10.8.2016).

 

Faili-Kurden

 

Die vorwiegend im Südosten des Landes und in Bagdad (MRG 10.2014) lebenden schiitischen Kurden (Faili-Kurden) haben weiterhin Probleme auf Grund von Staatenlosigkeit. Vielen von ihnen wurde zur Zeit der Regentschaft durch Saddam Hussein die Staatsbürgerschaft aberkannt, weil dieser ihnen unterstellte, "Agenten des Iran" zu sein. Viele Faili-Kurden wurden damals auch in den Iran vertrieben. Nach 2003 kehrten Zahlreiche zurück. Viele konnten 2006 ihre Staatsbürgerschaft zurückerwerben, jedoch gelang dies nur etwa der Hälfte der ca. 300.000 Faili-Kurden (Lattimer 26.4.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Frauen

 

In der Verfassung ist die Gleichstellung der Geschlechter festgeschrieben und eine Frauenquote von 25 Prozent im Parlament (Autonomieregion Kurdistan: 30%) verankert. Dadurch sind im irakischen Parlament derzeit 82 Frauen vertreten (von insgesamt 328 Abgeordneten). Allerdings sind Frauen in den bedeutenden Ausschüssen, wie dem für Verteidigung und Sicherheit oder dem Komitee für Nationale Versöhnung, nicht vertreten. Die geschätzte Erwerbsquote von Frauen lag 2014 bei nur 14%, der Anteil an der arbeitenden Bevölkerung bei 17 %. Laut Art. 14 und 20 der Verfassung ist jede Art von Diskriminierung aufgrund des Geschlechtes verboten. Art. 41 bestimmt jedoch, dass Iraker Personenstandsangelegenheiten ihrer Religion entsprechend regeln dürfen. Viele Frauen kritisieren diesen Paragraphen als Grundlage für eine Re-Islamisierung des Personenstandsrechts und damit eine Verschlechterung der Stellung der Frau. Zudem findet auf einfachgesetzlicher Ebene die verfassungsrechtlich garantierte Gleichstellung häufig keine Entsprechung. Defizite bestehen insbesondere im Familien-, Erb- und Strafrecht sowie im Staatsangehörigkeitsrecht. Frauen werden noch immer zur Ehe gezwungen, rund 20% der Frauen werden vor ihrem 18. Lebensjahr (religiös) verheiratet, viele davon im Alter von 10 - 14 Jahren. Kinderheirat wie auch sexuelle Ausbeutung werden dadurch begünstigt, dass 10% der irakischen Frauen Witwen, viele davon Alleinversorgerinnen ihrer Familien sind (AA 7.2.2017). Frauen und Mädchen werden durch Gesetze und im täglichen Leben diskriminiert und sind nicht ausreichend gegen sexualisierte und andere geschlechtsspezifische Gewalt geschützt (AI 22.2.2017). Paragraph 41 des Strafgesetzbuches gibt Ehemännern das Recht, ihre Frauen zu bestrafen, was im gesamten Irak zu einem extremen Ausmaß an häuslicher Gewalt führt. Frauen, die Misshandlungen oder Missbrauch ausgesetzt sind, haben das Problem, dass sie keinen sicheren Zufluchtsort haben (Lattimer 26.4.2017). Sexuelle Gewalt ist zwar per Gesetz verboten, diesbezügliche Anschuldigungen können nach Paragraph 398 aber fallen gelassen werden, sofern der Täter das Opfer heiratet (HRW 12.1.2017).Die Stellung der Frau hat sich im Vergleich zur Zeit des Saddam-Regimes teilweise deutlich verschlechtert. Die prekäre Sicherheitslage und wachsende fundamentalistische Tendenzen in Teilen der irakischen Gesellschaft haben negative Auswirkungen auf das Alltagsleben und die politischen Freiheiten von Frauen. Vor allem im schiitisch geprägten Südirak werden islamische Regeln, z. B. Kopftuchzwang an Schulen und Universitäten, stärker durchgesetzt. Frauen werden unter Druck gesetzt, ihre Freizügigkeit und Teilnahme am öffentlichen Leben einzuschränken (AA 7.2.2017). Unverheiratete oder verwitwete Frauen sind dabei einem besonders großen Risiko ausgesetzt, Opfer von sexuellen Schikanen zu werden (IISS 15.5.2017).

 

Das irakische Gesetz, sowie auch die irakischen Sitten respektieren das Recht auf Bewegungsfreiheit für Frauen grundsätzlich nicht. Zum Beispiel verbietet es das Gesetz auch, dass Frauen ohne Zustimmung ihres Mannes, Vormundes oder gesetzlichen Vertreters einen Reisepass beantragen. Frauen war es auch nicht möglich, ohne Zustimmung eines männlichen Angehörigen das "Civil Status Identification Document" zu beantragen, das für die Inanspruchnahme von öffentlichen Dienstleistungen, Nahrungsmittelhilfe, Gesundheitsversorgung, Zugang zum Bildungssystem, etc. notwendig ist (USDOS 3.3.2017).

 

In den vom IS kontrollierten Gebieten sind Frauen und Mädchen vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Sie dürfen das Haus nur in männlicher Begleitung verlassen und müssen sich einem strengen Kleidungs- und Sittenkodex unterwerfen. Berichten zufolge werden Regelverstöße streng bestraft, u. a. durch Geldbußen, Prügelstrafen für die Frau oder ihren männlichen Begleiter, Folter und Hinrichtung. Frauen, insbesondere gut ausgebildete und berufstätige Frauen wie Ärztinnen, Rechtsanwältinnen Politikerinnen, wurden laut Berichten vom IS attackiert, gefoltert und hingerichtet (UNHCR 14.11.2016). Diejenigen Frauen, denen die Flucht gelang oder die von Verwandten durch Zahlung eines Lösegeldes freigekauft wurden, erhielten weder angemessene psychologische Hilfe noch ausreichende materielle Unterstützung (AI 22.2.2017).

 

Zwangsheirat / Frühehen / temporäre Ehen:

 

Im Irak gibt es einen Anstieg an Kinderehen, insbesondere bei IDPs. Heirat wird häufig als Möglichkeit gesehen, Frauen und Mädchen zu beschützen (AIO 12.6.2017). Das gesetzliche Mindestalter für die Eheschließung liegt bei 15 Jahren mit elterlicher Zustimmung und bei 18 Jahren ohne elterliche Zustimmung. Die Regierung unternahm wenige Anstrengungen zur Durchsetzung dieser gesetzlichen Vorschriften. Traditionelle Zwangshochzeiten von Mädchen im Alter von beispielsweise 11 Jahren wurden weiterhin durchgeführt, insbesondere in ländlichen Gebieten. Gemäß UNICEF wurden im Jahr 2016 ungefähr 975.000 Mädchen vor Ihrem 15. Geburtstag verheiratet, doppelt so viele wie im Jahr 1990. (Kinderehen und Zwangsehen waren in vom IS kontrollierten Gebieten stärker verbreitet.) Auch kommt es immer wieder zur sexuellen Ausbeutung von Frauen im Rahmen von sogenannten temporären Ehen ("Ehen auf Zeit"), eine Praxis, die in schiitischen Gebieten üblicher ist, als in sunnitischen (Ausnahme IS-Gebiet, wo dies auch verstärkt vorkommt). Dabei gibt ein Mann der Familie eines Mädchens oder einer Frau Ehegeld, damit er sie für eine bestimmte Dauer "ehelichen" darf (USDOS 3.3.2017).

 

Übertragung der Staatsbürgerschaft:

 

Laut Gesetz können sowohl Mutter als auch Vater gleichermaßen ihre irakische Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder übertragen. Dies gilt aber nur für Kinder, die im Irak geboren sind. Bringt eine irakische Staatsbürgerin im Ausland ein Kind zur Welt, liegt es im Ermessen des Staates, ob das Kind die Staatsbürgerschaft erhält (AIO 12.6.2017). Unverheiratete Frauen und Witwen hatten häufig Probleme dabei, ihre Kinder zu registrieren, selbst wenn sie im Irak geboren worden waren. In den meisten Fällen stellten die Behörden die entsprechenden Geburtsurkunden aus, nachdem die Geburt registriert wurde, allerdings waren das Berichten zufolge langwierige und zum Teil komplizierte Prozeduren. Scheitert eine Frau beim Versuch die Geburt seines Kindes registrieren zu lassen, kann dies dazu führen, dass der Zugang zu öffentlichen Diensten wie Bildung, Nahrungsmittelsystemen und zum Gesundheitssystem verwehrt werden (USDOS 3.3.2017). In folgenden Fällen können Frauen beispielsweise Probleme haben, ihre Staatsbürgerschaft auf ihre Kinder zu übertragen: Wenn das Kind außerehelich geboren wurde, die Heirat nie offiziell registriert wurde, oder kein gültiger Eheschließungsvertrag zustande gekommen ist (z.B. zwischen einer muslimischen Mutter und einem nicht-muslimischen Vater kann es keinen gültigen Eheschließungsvertrag geben). In solchen Fällen müsste die Frau ihre Staatsbürgerschaft auf das Kind übertragen können, dies kann in der Praxis jedoch schwierig bzw. strukturellen Barrieren unterworfen sein. Für Frauen, deren Ehemann verhaftet oder getötet wurde, oder Frauen, die Kinder zur Welt gebracht haben, nachdem sie von IS-Mitgliedern vergewaltigt worden waren, kann es ebenfalls schwierig sein, ihre Kinder zu registrieren, geschweige denn ihre Staatsbürgerschaft auf diese Kinder zu übertragen (AIO 12.6.2017).

 

Frauen in von (schiitischen) Milizen kontrollierten Gebieten:

 

In Gebieten, in denen es eine starke Präsenz von Milizen gibt (wie z. B. jenen der Volksmobilisierung - PMF), kommt es vor, dass diese Milizen in Bezug auf Frauen (aber auch ganz allgemein) konservativere kulturelle Normen und Konventionen einführen bzw. sogar gewaltsam erzwingen (AIO 12.6.2017). In von diesen Milizen kontrollierten Gebieten werden die Rechte von Frauen eingeschränkt. Einige Milizen tun dies systematisch (IISS 15.5.2017). Ob und wie weit dies geht, hängt nicht nur von der jeweiligen Miliz ab, sondern auch von den jeweiligen lokalen Kommandanten. Die Milizen schränken die Rechte von Frauen nicht nur in jenen Gebieten ein, die unter ihrer Kontrolle stehen, sondern auch in den Städten wie z.B. Bagdad und Basra, in denen der Einfluss der Milizen sehr groß ist. Die Milizen operieren diesbezüglich ungestraft, zum Teil auch in Komplizenschaft mit den lokalen Behörden (Lattimer 23.6.2017). Es wird z.B. auch von Übergriffen auf bzw. Morden an Frauen berichtet, die in Bordells arbeiten, oder die die "falsche" Kleidung tragen (Lattimer 24.7.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Grundversorgung / Wirtschaft

 

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten. Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig. Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten zumindest außerhalb der Region Kurdistan-Irak schwierig. Nach Angaben des Programms "Habitat" der Vereinten Nationen gleichen die Lebensbedingungen von 57% der städtischen Bevölkerung im Irak denen von Slums (AA 7.2.2017). Es gibt derzeit im Irak mehr schutzbedürftige Menschen und mehr Menschen, die auf humanitäre Unterstützung angewiesen sind, als zu irgendeinem Zeitpunkt der letzten Jahre (OCHA 7.3.2017). Aufgrund des Ausmaßes und der Komplexität der humanitären Krise haben die Vereinten Nationen im August 2014 die "Notstandstufe 3" - die höchste Stufe - für den Irak ausgerufen und seitdem jedes Jahr bestätigt (UNHCR 14.11.2016; aktuell s. OCHA o.D.).

 

In den Aufnahmegemeinden sind die örtlichen Behörden und Gemeinden Berichten zufolge überlastet, und es wird gemeldet, dass sich der Zugang zu Dienstleistungen, der bereits vor dem jüngsten Konflikt nicht ausreichte, nun weiter verschlechtert hat, einschließlich Trinkwasserversorgung, sanitärer Anlagen, Abfallentsorgung, Bildungseinrichtungen und Gesundheitsversorgung. Berichten zufolge sind Binnenvertriebene von der schlechten Versorgungslage besonders betroffen, da sie oftmals von ihren ehemaligen Einkommensquellen, traditionellen sozialen Netzwerken und sonstigen Auffangmechanismen abgeschnitten sind. Für Mitglieder der ärmsten Haushalte sowie für Haushalte, die von Frauen geführt werden, ist es besonders schwer, eine Stelle oder Verdienstmöglichkeit in der Aufnahmegemeinde zu finden, und viele müssen auf sogenannte "negative Bewältigungsstrategien" zurückgreifen (UNHCR 14.11.2016). Die Stromversorgung ist im Vergleich zu der Zeit vor 2003 schlecht. Selbst in Bagdad ist die öffentliche Stromversorgung häufig unterbrochen (AA 7.2.2017).

 

Nahrungsmittelversorgung

 

Es gibt Lebensmittelgutscheine für Bedürftige. Die VN-Mission ermittelte schon im Juni 2013, dass vier Millionen Iraker unterernährt sind. Etwa ein Drittel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze (2 USD/Tag) (AA 7.2.2017). Auf Grund des Fortschreitens der Krise sind Millionen von Haushalten, die von Nahrungsmittelunsicherheit betroffen sind, massiv auf Unterstützung angewiesen. In solchen betroffenen Haushalten wird häufig auf "negative Bewältigungsstrategien" umgestellt, um den Nahrungsmittelbedarf decken zu können. Ungefähr 800.000 Einwohner und 138.000 IDPs leiden im Irak unter Nahrungsmittelunsicherheit - die Menschen in Mossul, Anbar und Hawija nicht einberechnet (OCHA 7.3.2017).

 

Unterkunft

 

Die Zahl der Menschen, die bezüglich Unterkunft und bezüglich anderer "Nicht-Lebensmittel" (non-food items) auf Unterstützung angewiesen sind, hat sich seit 2016 um 95 Prozent auf 3,9 Millionen erhöht (OCHA 7.3.2017).

 

Einkommen/Arbeitsplätze

 

Irak besitzt kaum eigene Industrie. Hauptarbeitgeber ist der Staat. Über 4 Mio. der 36 Mio. Iraker erhalten reguläre Gehälter von der Regierung, die 2015 und 2016 aufgrund der schlechten Haushaltslage teilweise erst mit mehrmonatiger Verspätung gezahlt wurden. Etwa ein Zehntel der Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig. Rund 90% der Staatseinnahmen stammen aus dem Ölsektor (AA 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Medizinische Versorgung

 

Die medizinische Versorgungssituation bleibt angespannt: In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführungen oder Repressionen das Land verlassen (AA 7.2.2017). Geschätzte 75 Prozent der Ärzte, Pharmakologen und Krankenpfleger haben seit 2003 ihre Arbeit niedergelegt, wodurch ein massiver Versorgungsmangel entsteht. Etwa 60 Prozent des medizinischen Fachpersonals, das das Land verlassen hat, tat dies aufgrund der Sicherheitslage (CR 7.7.2016).

 

Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen. Korruption ist verbreitet. Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 7.2.2017). Die Jahre des bewaffneten Konflikts haben das Gesundheitssystem ernsthaft deformiert und im Irak gibt es beträchtliche Lücken bei der Bereitstellung von medizinischen Leistungen, auch wenn es regionale Unterschiede gibt. In Konfliktzonen sind viele Gesundheitseinrichtungen außer Betrieb oder zerstört (AIO 12.6.2017). In den am meisten betroffenen Provinzen Anbar, Kirkuk, Ninewah und Salahuddin wurden geschätzt 23 Krankenhäuser und über 230 medizinische Versorgungseinrichtungen beschädigt oder zerstört (OCHA 7.3.2017). Angriffe auf Spitäler und Schulen sind häufig und die Verweigerung von humanitärer Unterstützung und die Zerstörung von grundlegenden Diensten wie Wasser- und Stromversorgung werden als Kriegswaffe eingesetzt (UNICEF o.D.). Jenen Gesundheitseinrichtungen, die weiterbetrieben werden, fehlt es häufig an der Kapazität für den erhöhten Bedarf an zu Versorgenden, insbesondere in Gebieten mit einer hohen Zahl an IDPs, wie in der Region Kurdistan (AIO 12.6.2017).

 

Neben dem bewaffneten Konflikt und der großen Menge an IDPs tragen auch noch der Ausbruch von Krankheiten (mitausgelöst durch die beeinträchtigte Wasserversorgung und die Unterbrechung bei Schutzimpfungsprogrammen), sowie Finanzierungsengpässe zur Verschlimmerung bei. Es gibt einen weit verbreiteten Mangel an wesentlichen Medikamenten, Sanitätsartikeln und Nahrungsergänzungen. Laut Schätzungen haben mehr als 7,7 Millionen Menschen (laut anderer Quelle mehr als 8 Millionen Menschen) dringenden Bedarf an wesentlichen medizinischen Dienstleistungen. Seit Ende 2015 gibt es im Irak einen Cholera-Ausbruch und es besteht darüber hinaus ein erhöhtes Risiko, an Typhus, Gelbsucht oder Masern zu erkranken (WHO 2016, vgl. OCHA 7.3.2017). Im gesamten Land gibt es für schwangere Frauen nur eingeschränkten Zugang zu reproduktiven Gesundheits- und Beratungsdiensten, zu prä- und postnataler Versorgung und sicheren Geburtseinrichtungen. Diese Situation ist in verschärftem Ausmaß in Flüchtlingslagern oder anderen Umgebungen zu beobachten, in denen es einen mangelhaften Zugang zu Gesundheitsversorgung in diesem Bereich gibt. Darüber hinaus sehen sich schutzbedürftige Bevölkerungsgruppen verschiedenen Barrieren beim Zugang zu grundlegender medizinischer Versorgung gegenüber, beispielsweise auf Grund der Sicherheitslage, der ethnischen Zugehörigkeit oder finanzieller Schwierigkeiten (OCHA 7.3.2017).

 

Gemäß WHO lag im Jahr 2014 die Dichte von primären medizinischen Einrichtungen im Irak bei 0,7 auf 10.000 Einwohner (MedCOI 2017). In ungefähr der Hälfte der medizinischen Zentren arbeitet zumindest ein Arzt/ eine Ärztin, im Rest der Versorgungszentren arbeiten geschulte Gesundheitskräfte wie medizinische HelferInnen und KrankenpflegerInnen.

 

Das Gesundheitsministerium ist der Hauptanbieter im Gesundheitsbereich. Das öffentliche Gesundheitssystem basiert auf einem Kostenteilungsmodell, bei dem die Regierung die Kosten für die medizinischen Dienstleistungen übernimmt und dem Patienten eine geringe Gebühr in Rechnung stellt. Der Mangel an politischer Stabilität und Staatssicherheit im Irak hindert den Staat jedoch daran, die allgemeine Gesundheitsversorgung der Bevölkerung abzudecken. Der private Sektor bietet ebenfalls heilmedizinische Leistungen an, diese können jedoch, wenn weitere Leistungen nötig werden (z.B. MRT, Medikamente oder operative Eingriffe) für ärmere Familien kostspielig sein (MedCOI 2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

 

 

Behandlung nach Rückkehr

 

Auf niedrigem Niveau ist eine freiwillige Rückkehrbewegung irakischer Flüchtlinge aus anderen Staaten zu beobachten. In der Region Kurdistan-Irak gibt es mehr junge Menschen, die sich nach ihrer Rückkehr organisieren, ob sich diese Tendenzen verstetigen, wird aber ganz wesentlich davon abhängen, ob sich die wirtschaftliche Lage in der KRI kurz- und mittelfristig verbessern wird (AA 7.2.2017). Aus Österreich kehrten in der ersten Jahreshälfte 2017 in Etwa 346 Iraker freiwillig in den Irak zurück - von diesen fast alle im Zuge einer sogenannten unterstützen Rückkehr (BFA 11.8.2017). Die Sicherheit von Rückkehrern ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig - u. a. von ihrer ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, ihrer politischen Orientierung und den Verhältnissen vor Ort (AA 7.2.2017).

 

Dokumente

 

Irakische Reisepässe, die nach dem 17.Juni 1999 abgelaufen sind, bleiben zur Rückkehr in den Irak gültig. Die Regierung erkennt die vom alten Regime für ungültig erklärten Pässe der Serie H im Rahmen ihrer Gültigkeitsdaten an. Pässe der Serie M werden seit 01.Jänner 2007 nicht mehr anerkannt, Pässe der Serie N sind seit 1. Jänner 2008 nicht mehr gültig. Es sind vereinzelt noch Pässe der Serie S im Umlauf, die mittlerweile von den EU-Staaten, Jordanien und den USA nicht mehr anerkannt werden. Von 2006 bis 2009 gab die Regierung Pässe der Serie G aus, seit dem 1. Oktober 2010 werden nur noch Pässe der Serie A ausgestellt. Die Pässe der alten Serie G behalten ihre Gültigkeit. Irakische Blanko-Pässe der Serie A 4091901 - bis A 4150000 sind nicht mehr gültig; diese stammten aus der Provinz Anbar. Die neuen irakischen Pässe enthalten einen maschinenlesbaren Abschnitt sowie einen 3D-Barcode und gelten als fälschungssicherer im Vergleich zu den Vorgängermodellen, v. a. können diese nur noch persönlich und nicht mehr durch Dritte beantragt werden. Die irakischen Botschaften haben erst vereinzelt begonnen, Pässe auszustellen. An den Grenzen zu den Nachbarstaaten haben sich in den letzten Monaten immer wieder Änderungen der Ein- und Ausreisemöglichkeiten, Kontrollen, Anerkennung von Dokumenten etc. ergeben. Nach wie vor muss mit solchen Änderungen - auch kurzfristig - gerechnet werden (AA 7.2.2017).

 

Die irakische Regierung stellte im USDOS-Berichtszeitraum 2016 für hunderte auf die Abschiebung aus den USA wartende irakische Staatsbürger die entsprechenden Reisedokumente nicht aus, und gab an, dass es sich um Staatenlose handelt (USDOS 3.3.2017).

 

Echtheit der Dokumente / Zugang zu gefälschten Dokumenten

 

Jedes Dokument, ob als Totalfälschung oder als echte Urkunde mit unrichtigem Inhalt, ist gegen Bezahlung zu beschaffen. Zur Jahresmitte 2014 tauchten vermehrt gefälschte Visaetiketten auf. Auch gefälschte Beglaubigungsstempel des irakischen Außenministeriums sind im Umlauf; zudem kann nicht von einer verlässlichen Vorbeglaubigungskette ausgegangen werden (AA 7.2.2017).

 

Quellen:

 

 

 

 

 

2. Beweiswürdigung:

 

Die Feststellungen zur Person des Erstbeschwerdeführersund der Zweitbeschwerdeführerin sowie zu ihren familiären Lebensumständen im Herkunftsstaat, ihrer illegalen Einreise nach Österreich sowie ihrer Antragstellung zur Erlangung internationalen Schutzes ergeben sich aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren sowie aus den Verwaltungsakten. Es ist kein Grund ersichtlich, daran zu zweifeln.

 

Die Feststellungen zur Finanzierung der Ausreise aus dem Irak, zu den für die Reise aufgewendeten Kosten und zu der wirtschaftlichen Lage des Erstbeschwerdeführers ergeben sich aus dessen eigenen Angaben.

 

Die Feststellungen, dass die Beschwerdeführer strafrechtlich unbescholten sind und Leistungen aus der Grundversorgung beziehen, ergeben sich aus eingeholten Strafregisterauszügen und GVS-Auszügen, jeweils vom 27.11.2018.

 

Das BFA hat ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage nachvollziehbar, umfangreich und fundiert zusammengefasst. Das BFA ist zu Recht davon ausgegangen, dass es den Beschwerdeführern nicht gelungen ist, eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung oder Bedrohung glaubhaft zu machen, zumal die Beschwerdeführer selbst angaben, dass die von ihnen erwähnten Explosionen bzw. Bombenanschläge nicht gegen sie persönlich gerichtet gewesen seien, sondern alle in Bagdad lebenden Menschen betreffen. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass eine gegen die Beschwerdeführer gerichtete persönliche Verfolgung auch der Umstand spricht, dass ihnen von ihrem Heimatstaat Personalausweise und Reisepässe ausgestellt wurden (vgl. VwGH 25.09.2018, Ra 2017/01/0203).

 

In der Beschwerde wurde kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen zum Sachverhalt und der dazu führenden Beweiswürdigung an. Die Beschwerdeführer sind in der Beschwerde auch keinem der dargestellten beweiswürdigenden Argumente des BFA substantiiert entgegengetreten.

 

Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt wurde vom BFA vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben, der immer noch die gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Das BFA hat auch die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in der angefochtenen Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt und teilt das Bundesverwaltungsgericht auch die tragenden Erwägungen im angefochtenen Bescheid. Wie das BFA zutreffend ausführte, brachten die Beschwerdeführer keine konkrete individuell gegen sie gerichtete Bedrohung oder Gefährdung im Sinne der GFK vor.

 

Die Feststellungen zur Situation im Irak beruhen auf den dort jeweils angeführten Quellen. Diese wurden auch vom BFA herangezogen. Es handelt sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Institutionen und Personen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation im Irak ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der überwiegend übereinstimmenden Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Angaben zu zweifeln.

 

In der Beschwerde wird ein Bericht des Institute for international Law & Human Rights vom Mai 2013 zu Minderheiten im Irak zitiert. Weiters wird auf eine ACCORD-Anfragebeantwortung vom 28.07.2017 verwiesen, aus der hervorgeht, dass Faili-Kurden laut einem Artikel vom August 2015 nicht vom wirtschaftlichen Aufschwung profitieren. Diesen Berichten fehlt es an der erforderlichen Aktualität. Den im Bescheid getroffenen Feststellungen wird damit nicht substantiiert entgegengetreten. Darüber hinaus gelingt es den Beschwerdeführern damit auch nicht, eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung darzutun. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (vgl. VwGH 10.08.2018, Ra 2018/20/0314 unter Hinweis auf VwGH 15.3.2016, Ra 2015/01/0069). Die Beschwerdeführer haben in ihren Einvernahmen vor dem BFA keinerlei Bedrohungen, Diskriminierungen oder Benachteiligungen geschildert. Der Erstbeschwerdeführer gab sogar an, dass er nach seinem Schulbesuch immer gearbeitet hat. Zwar behauptete der Erstbeschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA zunächst noch, dass Faili-Kurden unter Saddam Hussein keinen Besitz (Haus, Auto) hätten haben dürfen, auf Nachfrage erklärte er jedoch, dass dies jetzt anders sei und sie schon Besitz haben dürften. Dies spiegelt sich auch in den Angaben des Erstbeschwerdeführers wider, als er angab, ein Motorrad besessen zu haben, das er zur Finanzierung seiner Ausreise aus dem Irak verkauft hat. Zudem gab er auch an, dass seine wirtschaftliche Lage mittelmäßig gewesen sei.

 

Aus der in der Beschwerde zitierten ACCORD-Anfragebeantwortung vom 30.11.2017 geht hervor, dass Faili-Kurden in Bagdad im Juli 2017 im Zuge des Bekanntwerdens des Termins für das Unabhängigkeitsreferendum Kurdistans Drohungen und Schikanen ausgesetzt gewesen seien. Ein Zusammenhang dieser Ereignisse zu den Beschwerdeführern wurde jedoch nicht aufgezeigt.

 

Die Beschwerdeführer traten damit den Feststellungen der belangten Behörde nicht konkret und substantiiert entgegen, weshalb das Bundesverwaltungsgericht nicht veranlasst war, das Ermittlungsverfahren diesbezüglich zu wiederholen bzw. zu ergänzen (vgl. zB. VwGH 20.01.1993, 92/01/0950; 14.12.1995, 95/19/1046; 30.01.2000, 2000/20/0356; 23.11.2006, 2005/20/0551 ua.).

 

3. Rechtliche Beurteilung:

 

Absehen von einer mündlichen Verhandlung:

 

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG. Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168 unter Hinweis auf VwGH 28.05.2014, Ra 2014/20/0017-0018).

 

Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch das BFA vorangegangen. Die belangte Behörde ist ihrer Ermittlungspflicht durch detaillierte Befragung nachgekommen. Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben und ist bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes in Verbindung mit der Beschwerde immer noch entsprechend aktuell und vollständig. Das BFA hat die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt und das Bundesverwaltungsgericht teilt die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung. In der Beschwerde wurde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet. Die bloße Vorlage weiterer Länderberichte in der Beschwerde stellt für sich keine substantiierte Bestreitung des von der Verwaltungsbehörde angenommenen Sachverhalts oder der von der Verwaltungsbehörde angestellten Beweiswürdigung dar (vgl. VwGH 17.05.2018, Ra 2018/20/0168).

 

Ein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender relevanter Sachverhalt wurde in der Beschwerde nicht substantiiert behauptet. Auch die behördliche Beweiswürdigung wurde nicht substantiiert bekämpft. Das Anführen von ergänzenden länderkundlichen Informationen zur Untermauerung des Fluchtvorbringens in der Beschwerde ist zwar grundsätzlich geeignet eine Beschwerde als substantiiert erscheinen zu lassen (VwGH 15.11.2018, Ra 2018/19/0247), im gegenständlichen Fall ist jedoch (wie bereits in der Beweiswürdigung ausgeführt) zu beachten, dass die angeführten "ergänzenden" länderkundlichen Informationen zum überwiegenden Teil veraltet waren. Zudem war die allgemein benachteiligende Lage der Faili-Kurden nie Teil des Fluchtvorbringens der Beschwerdeführer und ist daher im Sinne der zitierten Judikatur auch nicht geeignet dieses zu untermauern. Ein substantiiertes Bestreiten konnte der Beschwerde damit nicht entnommen werden.

 

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

 

1. Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder wegen Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 55/1955 (Genfer Flüchtlingskonvention, in der Folge: GFK) droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der RL 2004/83/EG des Rates verweist). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

 

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren."

 

Zentraler Aspekt des Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 25.01.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.01.2001, 2001/20/0011). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 23.07.1999, 99/20/0208; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177; 28.10.2009, 2006/01/0793) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen - würden sie von staatlichen Organen gesetzt - asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 mwN).

 

Von mangelnder Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe Dritter präventiv zu schützen (VwGH 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht - unter dem Fehlen einer solchen ist nicht "zu verstehen, dass die mangelnde Schutzfähigkeit zur Voraussetzung hat, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht" (VwGH 22.03.2000, 99/01/0256) -, kommt es darauf an, ob jemand, der von dritter Seite (aus den in der GFK genannten Gründen) verfolgt wird, trotz staatlichem Schutz einen - asylrelevante Intensität erreichenden - Nachteil aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten hat (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256 im Anschluss an Goodwin-Gill, The Refugee in International Law² [1996] 73; weiters VwGH 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 20.09.2004, 2001/20/0430; 17.10.2006, 2006/20/0120; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203). Für einen Verfolgten macht es nämlich keinen Unterschied, ob er auf Grund staatlicher Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einen Nachteil zu erwarten hat oder ob ihm dieser Nachteil mit derselben Wahrscheinlichkeit auf Grund einer Verfolgung droht, die von anderen ausgeht und die vom Staat nicht ausreichend verhindert werden kann. In diesem Sinne ist die oben verwendete Formulierung zu verstehen, dass der Herkunftsstaat "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sei, Schutz zu gewähren (VwGH 26.02.2002, 99/20/0509). In beiden Fällen ist es dem Verfolgten nicht möglich bzw. im Hinblick auf seine wohlbegründete Furcht nicht zumutbar, sich des Schutzes seines Heimatlandes zu bedienen (vgl. VwGH 22.03.2000, 99/01/0256; 13.11.2008, 2006/01/0191; 28.10.2009, 2006/01/0793; 19.11.2010, 2007/19/0203).

 

Die Beschwerdeführer haben eine individuell gegen sie gerichtete Verfolgung nicht glaubhaft machen können bzw. nicht vorgebracht, weshalb die Voraussetzung für die Gewährung von Asyl, nämlich die Gefahr einer aktuellen Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründe, nicht vorliegt.

 

Die Ausführungen der Beschwerdeführer betreffend das Verlassen des Irak beziehen sich ausschließlich darauf, dass es in Bagdad Explosionen gebe und viele Menschen entführt würden. Sie hätten auch Angst um ihren (volljährigen) Sohn. Die Bombenanschläge seien nicht gezielt gegen sie persönlich gerichtet gewesen, sondern würden alle Menschen in Bagdad betreffen. Eine Verfolgung bzw. Verfolgungsgefahr im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention - nämlich aus den Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - wurde weder im Verfahren vor dem BFA noch in den Beschwerdeausführungen auch nur ansatzweise vorgebracht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist aber, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 22.03.2017 Ra 2016/19/0350 unter Hinweis auf VwGH 23.02.2016, Ra 2015/20/0113). Ein solcher Anknüpfungspunkt ist nicht ersichtlich und insbesondere auch den Ausführungen der Beschwerdeführer nicht zu entnehmen. Aus dem Gesamtvorbringen der Beschwerdeführer vor dem BFA und in der Beschwerde ergeben sich keinerlei konkrete, stichhaltige Hinweise darauf, dass ein Konventionsgrund vorliegt, der einen wesentlichen Faktor für eine Verfolgung der Beschwerdeführer darstellen würde.

 

Im Hinblick auf die von den Beschwerdeführern in der Beschwerde vorgelegten Berichte zur Lage von Faili-Kurden, aus denen sich Diskriminierungen von Faili-Kurden ergeben, ist auszuführen, dass Diskriminierungen und Benachteiligungen keine erhebliche Intensität erreichende Verfolgungshandlungen darstellen. Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als "Verfolgung" iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. VwGH 02.08.2018, Ra 2018/19/0396 unter Hinweis auf Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (Statusrichtlinie)). Die Beschwerdeführer haben jedoch keinerlei Diskriminierungen geschildert, die ihnen wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit widerfahren wären und zwar weder in der Einvernahme vor dem BFA noch in der Beschwerde. Sie haben vielmehr in der Einvernahme vor dem BFA ausgeschlossen, jemals Probleme wegen ihrer Volksgruppenzugehörigkeit gehabt zu haben. Der Erstbeschwerdeführer brachte zunächst zwar vor, dass Saddam Hussein entschieden hätte, dass Faili-Kurden kein Haus und kein Auto besitzen dürften, er räumte aber schließlich ein, dass sie jetzt schon Besitz haben dürften und er selbst ein Motorrad besessen habe, das er, neben seinen Arbeitsgeräten, zur Finanzierung seiner Ausreise aus dem Irak, verkauft habe. Auch in der Beschwerde werden keine konkreten die Beschwerdeführer widerfahrenen Diskriminierungen geschildert.

 

Auch aus der allgemeinen Lage im Irak lässt sich konkret für die Beschwerdeführer kein Status eines Asylberechtigten ableiten. Die wirtschaftliche Benachteiligung einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, kann grundsätzlich asylrelevant sein (vgl. VwGH 06.11.2009, 2006/19/1125). Dafür gibt es jedoch vorliegend weder aus dem Vorbringen der Beschwerdeführer noch aus den Länderfeststellungen Anhaltspunkte. Die von den Beschwerdeführern angesprochenen hohen Lebenshaltungskosten und Mieten im Irak betreffen alle Einwohner. Aber selbst für den Fall des Entzugs der Existenzgrundlage ist Asylrelevanz nur dann anzunehmen, wenn dieser Entzug mit einem in der GFK genannten Anknüpfungspunkt - nämlich der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung - zusammenhängt, was im vorliegenden Fall zu verneinen wäre.

 

Da eine aktuelle oder zum Fluchtzeitpunkt bestehende asylrelevante Verfolgung auch sonst im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervorgekommen, notorisch oder amtsbekannt ist, ist davon auszugehen, dass den Beschwerdeführern keine Verfolgung aus in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht. Nachteile, die auf die in einem Staat allgemein vorherrschenden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Lebensbedingungen zurückzuführen sind, stellen ebenso wie allfällige persönliche und wirtschaftliche Gründe keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar. Es besteht im Übrigen keine Verpflichtung, Asylgründe zu ermitteln, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat (VwGH 21.11.1995, 95/20/0329 mwN).

 

Es gibt bei Zugrundelegung des Gesamtvorbringens der Beschwerdeführer keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in den Irak maßgeblich wahrscheinlich Gefahr laufen würde, einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt zu sein. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedenfalls nicht, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten (VwGH 15.12.2015, Ra 2015/18/0100).

 

Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG vor. Stellt ein Familienangehöriger von einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist (Z 1); einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist (Z 2) oder einem Asylwerber (Z 3) einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt gemäß § 34 Abs. 1 AsylG dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

 

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Gemäß § 34 Abs. 5 AsylG gelten die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits vor der Einreise des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigen bestanden hat.

 

In den vorliegenden Verfahren war keinem Familienmitglied der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, weshalb eine Zuerkennung dieses Status im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht kommt.

 

Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

2. Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):

 

Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1) oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

 

Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.

 

Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.

 

Mit dem Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005, wollte der Gesetzgeber - wie in den Erläuterungen (RV 952 BlgNR 22. GP , 5) ausdrücklich angeführt wird - die Statusrichtlinie (Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004), insbesondere mit dem neu geregelten "Antrag auf internationalen Schutz" deren gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben (vgl. RV 952 BlgNR 22. GP , 30f) umsetzen (vgl. VwGH 19.2.2009, 2008/01/0344).

 

Aus dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 AsylG 2005, wonach einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten unter anderem dann zuzuerkennen ist, "wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Heimatstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK" bedeuten würde, ist dagegen (im Sinne der bisherigen Non-refoulement-Prüfung) ableitbar, dass für die Gewährung des subsidiären Schutzstatus bereits jegliche reale Gefahr (real risk) einer Verletzung von Art. 3 EMRK an sich, unabhängig von einer Verursachung von Akteuren oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat ausreicht.

 

Insofern hat der Gesetzgeber die unionsrechtlichen Vorgaben der Statusrichtlinie zur Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten im Sinne der dargelegten Auslegung der Bestimmung des Art. 15 lit. b der Statusrichtlinie iVm Art. 3 Statusrichtlinie entgegen der oben angeführten Rechtsprechung des EuGH und somit fehlerhaft umgesetzt.

 

Die unmittelbare Anwendung und den Vorrang von unionsrechtlichen Bestimmungen haben sowohl die Gerichte als auch die Verwaltungsbehörden der Mitgliedstaaten zu beachten. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden (vgl. etwa VwGH 22.6.2015, 2015/04/0002, mwN).

 

Es ist dem nationalen Gesetzgeber - auch unter Berufung auf Art. 3 der Statusrichtlinie - verboten, Bestimmungen zu erlassen oder beizubehalten, die einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuerkennen.

 

Der Umstand, dass ein Drittstaatsangehöriger nach Art. 3 EMRK nicht abgeschoben werden kann, bedeutet nicht, dass ihm subsidiärer Schutz zu gewähren ist. Subsidiärer Schutz (nach Art. 15 lit. a und b der Statusrichtlinie) verlangt, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werden muss und dieser nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland ist.

 

Es widerspricht der Statusrichtlinie und es ist unionsrechtlich unzulässig, den in dieser Richtlinie vorgesehenen Schutz Drittstaatsangehörigen zuzuerkennen, die sich in Situationen befinden, die keinen Zusammenhang mit dem Zweck dieses internationalen Schutzes aufweisen, etwa aus familiären oder humanitären Ermessensgründen, die insbesondere auf Art. 3 EMRK gestützt sind.

 

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind nach der Statusrichtlinie vom subsidiären Schutz nur Fälle realer Gefahr, einen auf ein Verhalten eines Akteurs iSd Art. 6 Statusrichtlinie zurückzuführenden ernsthaften Schaden iSd Art. 15 Statusrichtlinie zu erleiden (Art. 15 lit. a und b), sowie Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt (lit. c) umfasst. Nicht umfasst ist dagegen die reale Gefahr jeglicher etwa auf allgemeine Unzulänglichkeiten im Heimatland zurückzuführender Verletzung von Art. 3 EMRK (vgl. VwGH 06.11.2018, Ra 2018/01/0106).

 

Als ernsthafter Schaden gilt nach Art. 15 der Statusrichtlinie:

 

a) die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe oder

 

b) Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung eines Antragstellers im Herkunftsland oder

 

c) eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts.

 

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies:

 

Subsidiärer Schutz (nach Art. 15 lit. a und b der Statusrichtlinie) verlangt, dass der ernsthafte Schaden durch das Verhalten von Dritten (Akteuren) verursacht werden muss und dieser nicht bloß Folge allgemeiner Unzulänglichkeiten im Herkunftsland ist.

 

Die Beschwerdeführer sind nicht durch die Todesstrafe bedroht.

 

Dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnten, konnte im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht festgestellt werden.

 

Die Beschwerdeführer stammen aus Bagdad. Diesbezüglich ist auf die Länderfeststellungen zu verweisen, denen zufolge es in der Acht-Millionenmetropole Bagdad zu sicherheitsrelevanten Vorfällen kommt, diese aber rückläufig sind. Ein bewaffneter Konflikt iSd Art. 15 lit. c der Statusrichtlinie besteht in dieser Region nicht.

 

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würden die Beschwerdeführer somit nicht in Rechten nach Art. 2 und 3 EMRK oder ihren relevanten Zusatzprotokollen verletzt werden.

 

Hinsichtlich der Beschwerdeführer liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG vor. In den vorliegenden Verfahren war keinem Familienmitglied der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, weshalb eine Zuerkennung dieses Status im Rahmen des Familienverfahrens nicht in Betracht kommt.

 

Daher ist die Beschwerde gegen Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

3. Nichterteilung eines Aufenthaltstitels und Rückkehrentscheidung (Spruchpunkte III. - VI. des angefochtenen Bescheids):

 

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird.

 

Ob eine Rückkehrentscheidung letztlich zulässig ist, bedarf gemäß § 58 Abs. 1 AsylG einer amtswegigen Prüfung ob nicht die Voraussetzungen für die Erteilung einer "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" gemäß § 57 AsylG vorliegen:

 

Gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen:

 

1. wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des § 73 StGB entspricht,

 

2. zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel oder

 

3. wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO, RGBl. Nr. 79/1896, erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist.

 

Es liegen keine Umstände vor, dass den Beschwerdeführern allenfalls von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG (Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz) zu erteilen gewesen wäre, und wurde diesbezüglich in der Beschwerde auch nichts dargetan.

 

Voraussetzung für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iSd Art. 8 EMRK geboten ist. Nur bei Vorliegen dieser Voraussetzung kommt ein Abspruch über einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG 2005 überhaupt in Betracht (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

Gemäß § 52 Abs. 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG 2005) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt. Dies gilt nicht für begünstigte Drittstaatsangehörige.

 

Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige des Irak und somit keine begünstigten Drittstaatsangehörigen. Es kommt ihnen auch kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Daher war gegenständlich gemäß § 52 Abs. 2 FPG grundsätzlich eine Rückkehrentscheidung vorgesehen.

 

Gemäß § 52 FPG iVm § 9 BFA-VG darf eine Rückkehrentscheidung jedoch nicht verfügt werden, wenn es dadurch zu einer Verletzung des Privat- und Familienlebens käme.

 

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung - nunmehr Rückkehrentscheidung - nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden (und seiner Familie) schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

 

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

 

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen:

 

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

 

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

 

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

 

4. der Grad der Integration,

 

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

 

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

 

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

 

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

 

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Unter der Schwelle des § 50 FPG kommt den Verhältnissen im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens Bedeutung zu, sodass etwa "Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder bei Sozialleistungen" in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen sind (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119 unter Hinweis auf VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101).

 

Bei der Interessenabwägung ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101) auch ein Vorbringen zu berücksichtigen, es werde eine durch die Rückkehr in den Heimatstaat wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Fremden, insbesondere die deutliche Verschlimmerung psychischer Probleme, eintreten (vgl. VwGH 11.10.2005, 2002/21/0132; 28.03.2006, 2004/21/0191; zur gebotenen Bedachtnahme auf die durch eine Trennung von Familienangehörigen bewirkten gesundheitlichen Folgen VwGH 21.04.2011, 2011/01/0093). Bei dieser Interessenabwägung ist unter dem Gesichtspunkt des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG 2014 (Bindungen zum Heimatstaat) auch auf die Frage der Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage bei einer Rückkehr dorthin Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 31.01.2013, 2012/23/0006).

 

Vom Prüfungsumfang des Begriffes des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, B 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (etwa EKMR 06.10.1981, B 9202/80, EuGRZ 1983, 215).

 

In den gegenständlichen Verfahren liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor. Ist von einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme die gesamte - im Inland befindliche - Familie betroffen, greift sie allenfalls lediglich in das Privatleben der Familienangehörigen und nicht auch in ihr Familienleben ein. Mit dieser Entscheidung wird gegen alle Beschwerdeführer (als Kernfamilie) eine Rückkehrentscheidung erlassen. Diesbezüglich liegt daher kein Eingriff in das Recht auf Achtung des Familienlebens dar.

 

In Österreich hält sich auch ein volljähriger Sohn der Beschwerdeführer auf. Auch zwischen Erwachsenen kann ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegen. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen dann unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl. VwGH 21.04.2011, 2011/01/0093). Zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit, die über die üblichen Bindungen hinausgehen, sind nicht hervorgekommen (vgl. VfGH 09.06.2006, B 1277/04; VwGH 17.11.2009, 2007/20/0955). Ein schützenswertes Familienleben der Beschwerdeführer im Bundesgebiet im oben dargestellten Sinn liegt nicht vor.

 

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls noch in das Privatleben der Beschwerdeführer eingreifen.

 

Unter dem "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

 

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration ist erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass "der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren [...] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte". Darüber hinaus hat der Verwaltungsgerichthof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 30.07.2015, Ra 2014/22/0055 ua. mwH).

 

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

 

Eine besonders fortgeschrittene Integration der Beschwerdeführer während ihres nur auf das Asylgesetz gestützten Aufenthaltes im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden:

 

Der Aufenthalt der Beschwerdeführer in Österreich seit Oktober 2015, somit seit ca. drei Jahren, beruht auf einem Antrag auf internationalen Schutz, der sich als nicht berechtigt erwiesen hat und ist auch noch zu kurz, um seinem Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet ein relevantes Gewicht zu verleihen. Es sind zudem keine besonderen zu Gunsten der Beschwerdeführer sprechenden integrativen Schritte erkennbar.

 

Der Erstbeschwerdeführer hat bislang die beiden Bildungsveranstaltungen Alpha Teil 1 und Teil 2 für AsylwerberInnen an der Volkshochschule XXXX besucht, jedoch in drei Jahren Aufenthalt keine Deutschprüfung abgelegt. Er bezieht Leistungen aus der Grundversorgung. Er ist weder berufstätig noch übt er ehrenamtliche Tätigkeiten aus. Er ist auch kein Mitglied in sonstigen Organisationen. Er unterhält nur soziale Kontakte zu irakischen Staatsangehörigen. Es muss daher von einer geringen sozialen und beruflichen Integration des Erstbeschwerdeführers in Österreich ausgegangen werden.

 

Die Integration der Zweitbeschwerdeführerin während ihres nur auf das Asylgesetz gestützten Aufenthaltes im Bundesgebiet ist noch geringer ausgeprägt als beim Erstbeschwerdeführer. Die Zweitbeschwerdeführerin hat in drei Jahren Aufenthalt keinen Deutschkurs besucht. Sie ist nicht erwerbstätig, lebt von der Grundversorgung und ist auch kein Mitglied in sonstigen Organisationen. Sie unterhält nur soziale Kontakte zu anderen Asylwerbern. Es muss daher von einer geringen sozialen und beruflichen Integration der Zweitbeschwerdeführerin in Österreich ausgegangen werden.

 

Insbesondere vor dem Hintergrund der erst relativ kurzen Aufenthaltsdauer der Beschwerdeführer im Bundesgebiet und unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Beschwerdeführer während ihres Aufenthaltes im Bundesgebiet im Rahmen der vorübergehenden Grundversorgung des Bundes unterstützt werden, kann von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung der Beschwerdeführer in die österreichische Gesellschaft nicht ausgegangen werden. Hingegen haben die Beschwerdeführer den Großteil ihres bisherigen Lebens im Irak verbracht, sind dort aufgewachsen und haben dort ihre Sozialisation erfahren. Sie sprechen die Mehrheitssprache ihrer Herkunftsregion auf muttersprachlichem Niveau. Es ist daher nicht erkennbar, inwiefern sich die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr bei der Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft unüberwindbaren Hürden gegenübersehen könnte.

 

Es ist auch davon auszugehen, dass die Beschwerdeführer Möglichkeiten zur Schaffung einer Existenzgrundlage im Falle einer Rückkehr haben. Beim Erstbeschwerdeführer handelt es sich um einen arbeitsfähigen Mann, der über eine fünfjährige Schulbildung verfügt. Er weist auch langjährige Berufserfahrung als Schweißer sowie Brennholzverkäufer auf. Es kann daher die grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Aus welchen Gründen der Erstbeschwerdeführer als gesunder und arbeitsfähiger Mann bei einer Rückkehr in den Irak nicht in der Lage sein sollte, für seinen Lebensunterhalt zu sorgen, ist nicht ersichtlich, zumal er auch über den kulturellen Hintergrund und die erforderlichen Sprachkenntnisse für den Irak verfügt und dort einen großen Verwandtenkreis vorfindet. Soweit in der Beschwerde vom Unvermögen der Erwerbstätigkeit des Erstbeschwerdeführers aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit ausgegangen wird, da Faili-Kurden laut den vorgelegten (veralteten) Berichten diskriminiert würden, ist dem entgegenzuhalten, dass ihn dieser Umstand bis zu seiner Ausreise keineswegs davon abgehalten hat einer Beschäftigung nachzugehen. Auch bei der Zweitbeschwerdeführerin kann eine grundsätzliche Teilnahmemöglichkeit am Erwerbsleben vorausgesetzt werden. Sie verfügt über neunjährige Schulbildung. Die Beschwerdeführer verfügen darüber hinaus auch über ein familiäres bzw. soziales Netz. Drei Brüder und eine Schwester des Erstbeschwerdeführers leben in Bagdad, an die sich die Beschwerdeführer wenden können, um Unterstützung zu erhalten. Weitere zwei Brüder des Erstbeschwerdeführers leben im Nordirak. Zudem wurden die Beschwerdeführer bis zur Ausreise aus dem Irak von ihrem in Australien lebenden Sohn finanziell unterstützt, an den sie sich auch neuerlich bei einer Rückkehr wenden können, um Unterstützung zu erhalten. Es kann sohin nicht erkannt werden, dass die Beschwerdeführer keine Möglichkeit hätten, sich wieder eine Existenzgrundlage zu schaffen. Daher ist im Vergleich von einer deutlich stärkeren Bindung der Beschwerdeführer zum Irak auszugehen.

 

Die Feststellung der strafrechtlichen Unbescholtenheit der Beschwerdeführer stellt der Judikatur folgend weder eine Stärkung der persönlichen Interessen noch eine Schwächung der öffentlichen Interessen dar (VwGH 21.1.1999, 98/18/0420).

 

Die Beschwerdeführer vermochten zum Entscheidungszeitpunkt daher keine entscheidungserheblichen integrativen Anknüpfungspunkte im österreichischen Bundesgebiet darzutun, welche zu einem Überwiegen der privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem Verbleib im österreichischen Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an einer Rückkehr der Beschwerdeführer in ihren Herkunftsstaat führen könnten.

 

Aufgrund der genannten Umstände überwiegen in einer Gesamtabwägung derzeit die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die privaten Interessen der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet. Insbesondere das Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Sinne eines geordneten Fremdenwesens wiegt in diesem Fall schwerer als die privaten Interessen der Beschwerdeführer an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet.

 

Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG ist die belangte Behörde somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der Beschwerdeführer im Bundesgebiet das persönliche Interesse der Beschwerdeführer am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliegt. Auch sonst sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass im gegenständlichen Fall eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig wäre.

 

Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG stellt sohin keine Verletzung der Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Privat- und Familienleben gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG iVm Art. 8 EMRK dar.

 

Mit der Rückkehrentscheidung ist gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Für die gemäß § 52 Abs. 9 FPG gleichzeitig mit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung vorzunehmende Feststellung der Zulässigkeit einer Abschiebung gilt der Maßstab des § 50 FPG (vgl. VwGH 15.09.2016, Ra 2016/21/0234).

 

§ 50 FPG lautet:

 

"Verbot der Abschiebung

 

§ 50. (1) Die Abschiebung Fremder in einen Staat ist unzulässig, wenn dadurch Art. 2 oder 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, oder das Protokoll Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe verletzt würde oder für sie als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

(2) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass dort ihr Leben oder ihre Freiheit aus Gründen ihrer Rasse, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder ihrer politischen Ansichten bedroht wäre (Art. 33 Z 1 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, in der Fassung des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974), es sei denn, es bestehe eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005).

 

(3) Die Abschiebung in einen Staat ist unzulässig, solange der Abschiebung die Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entgegensteht."

 

Es ist daher zu prüfen, ob die Rückkehr der Beschwerdeführer in den Irak zu einer Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK oder des Protokolls Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK führen würde oder die Rückkehr für sie als Zivilperson mit einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts verbunden wäre.

 

Die Beschwerdeführer sind nicht durch die Todesstrafe und auch nicht durch willkürliche Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts bedroht.

 

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 09.07.2002, 2001/01/0164; 16.07.2003, 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden ist (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137). Unter Darstellung der maßgebenden persönlichen Verhältnisse des Fremden (insbesondere zu seinen finanziellen Möglichkeiten und zum familiären und sonstigen sozialen Umfeld) ist allenfalls weiter zu prüfen, ob ihm der Zugang zur notwendigen medizinischen Behandlung nicht nur grundsätzlich, sondern auch tatsächlich angesichts deren konkreter Kosten und der Erreichbarkeit ärztlicher Hilfsorganisationen möglich wäre (VwGH 23.09.2004, 2001/21/0137 unter Hinweis auf VwGH 17.12.2003, 2000/20/0208).

 

Nach dem festgestellten Sachverhalt besteht auch kein Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände", welche eine Rückkehr des Beschwerdeführers in den Irak unzulässig machen könnten.

 

Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK bilden.

 

Die Beschwerdeführer sind aktuell nicht lebensbedrohlich erkrankt. Vor diesem Hintergrund ergeben sich somit keine Hinweise auf das Vorliegen von akut existenzbedrohenden Krankheitszuständen oder Hinweise auf eine unzumutbare Verschlechterung der Krankheitszustände im Falle einer Rückverbringung der Beschwerdeführer in den Irak.

 

Die Abschiebung der Beschwerdeführer in den Irak ist daher gemäß § 52 Abs. 9 FPG zulässig.

 

Die festgelegte Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ergibt sich zwingend aus § 55 Abs. 2 erster Satz FPG. Dass besondere Umstände, die der Drittstaatsangehörige bei der Regelung seiner persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen hätte, die Gründe, die zur Erlassung der Rückkehrentscheidung geführt haben, überwiegen würden, wurde nicht vorgebracht. Die eingeräumte Frist ist angemessen und es wurde diesbezüglich auch in der Beschwerdeschrift kein Vorbringen erstattet.

 

Daher ist die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. - VI. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

 

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

 

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

 

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Die Abweisung der Beschwerde stützt sich auf die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

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