VwGH 2006/19/1125

VwGH2006/19/11256.11.2009

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Mag. Nedwed, und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der O, vertreten durch Mag. Matthias Zezula, Rechtsanwalt in 8970 Schladming, Ritter-von-Gersdorff-Straße 64, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates vom 10. Mai 2006, Zl. 246.226/0- VIII/22/04, betreffend § 7 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Normen

AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine usbekische Staatsangehörige, gelangte gemeinsam mit ihrer Mutter (hg. 2006/19/1151) und ihrem minderjährigen Sohn (hg. 2006/19/1141) am 21. Mai 2003 nach Österreich und stellte am 22. Mai 2003 einen Asylantrag.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20. Jänner 2004 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen und ihre Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Usbekistan gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt.

Die dagegen von der Beschwerdeführerin erhobene Berufung wies die belangte Behörde mit Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 7 AsylG ab. Mit den Spruchpunkten II. und III. erklärte sie die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin nach Usbekistan gemäß § 8 Abs. 1AsylG für nicht zulässig und erteilte ihr gemäß §§ 8 Abs. 3, 15 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Nach ausführlicher Wiedergabe der Aktenlage stellte die belangte Behörde zur Person der Beschwerdeführerin fest:

"Sie ist usbekische Staatsbürgerin und gehört der jüdischen Volksgruppe und Religion an. Nach der zehnjährigen Grundschule hat sie keine weitere Ausbildung genossen. Sie arbeitete zehn Jahre lang in einem Elektroinstallationsunternehmen als Lagerarbeiterin. Dabei lernte sie den späteren Vater ihres Sohnes, einen moslemischen Usbeken namens R, kennen. Nach der Geburt ihres Sohnes am 15. März 1993, verhinderte dieser, dass sie ihren Sohn stillte und wollte immer, dass ihr Sohn moslemisch erzogen wird. 1995/1996 ging diese Lebensgemeinschaft auseinander. 1997 lernte sie den Juden M kennen, welchen sie 1998 ehelichte. Daraufhin bedrohte sie ihr früherer Lebensgefährte und beabsichtigte sie mit ihrem Mann und ihrem Sohn nach Israel auszuwandern, erhielt jedoch für sich und ihren Sohn keine Genehmigung und wanderte ihr Mann dann allein am 04. Januar 2000 nach Israel aus. Sie versuchte daraufhin nach Russland auszuwandern und hätte jedoch innerhalb von 5 Jahren nach dem Tod ihrer Mutter wieder Russland verlassen müssen und nahm sie dann von ihrem Vorhaben Abstand. In der Folge wurden Steine in ihre Wohnung geworfen und erhielt sie auch antisemitische Flugblätter, die Tür wurde mit Kot beschmiert und einmal wurde auch Benzin in die Wohnung geschüttet. Ihr Sohn besuchte eine (geheime) jüdische Schule und wurde jedoch als Usbeke registriert. Der Vater des Kindes erreichte eine gerichtliche Entscheidung, dass ihm das Sorgerecht übertragen wurde und sie ihren Sohn ihrem ehemaligen Lebensgefährten herausgeben sollte, was die Berufungswerberin jedoch verweigerte. Daraufhin versuchte ihr ehemaliger Lebensgefährte ihr den Sohn mit Gewalt zu entreißen, wogegen sich auch ihre Mutter wehrte und wobei sie verletzt wurde. Ihr Bruder wurde festgenommen, in der Folge im Jahr 2002 ermordet und wurde auch ihr Vater kurzfristig festgenommen, damit sie ihren Sohn herausgebe, doch wegen dessen Krankheit wurde er wieder entlassen. ..."

Zur Lage der Juden in Usbekistan traf die belangte Behörde unter Heranziehung des im Verfahren in Auftrag gegebenen länderkundlichen Gutachtens "Usbekistan (Buchara-Juden)" von Univ.- Prof. Dr. Potz folgende Feststellungen:

"Während 1989 in Usbekistan noch ca. 95.000 Juden gelebt haben, ist der Anteil der jüdischen Bevölkerung durch Auswanderungswellen stark zurückgegangen und leben ca. nur mehr 12.000 Juden in Usbekistan.

Die Juden in Usbekistan stellen keine einheitliche Gruppe dar. Es gibt in Zentralasien eine schon seit langem ansässige sephardische jüdische Bevölkerungsgruppe (so genannte Buchara-Juden), wobei das genaue Datum der Ansiedlung unbekannt ist und eine europäischjüdische Bevölkerungsgruppe, die erst nach Anschluss Zentralasiens an das Russische Reich entstanden ist. Wenn auch in Usbekistan auf Grund des autoritären Regimes des Präsidenten Karimov die Situation stabiler ist, als in Tadschikistan, wandern trotzdem viele nichtusbekische Bevölkerungsgruppen (Russland, deutsche Russen, Ukrainer, Tataren und auch die Juden) zunehmend aus. Die politische Landschaft in Usbekistan ist durch das Aufkommen illegaler islamischer Gruppierungen, insbesondere der Hizb ut-Tahrir gekennzeichnet, die den Aufbau eines islamischen Gottesstaates in Usbekistan anstreben und deren Propaganda antijüdische, anti-israelische und anti-westliche Elemente enthält. Trotz ihrer Illegalität erhält die Organisation in Zentralasien, vor allem in Usbekistan, starken Zulauf. Ein demokratischrechtsstaatliches Konzept wird von ihr radikal abgelehnt und befürwortet sie die Anwendung von Gewalt für die Durchsetzung politischer Ziele. Allgemein ist ein wirtschaftlicher Niedergang für die Mehrheit der Bevölkerung, wobei die russischsprachige und buchara-jüdische Bevölkerung besonders benachteiligt wird, festzustellen. Offiziell herrscht in Usbekistan kein antijüdisches Klima und eine staatliche Verfolgung von Juden in Usbekistan ist gegenwärtig nicht gegeben. Es ist jedoch ein antijüdisches bzw. anti-zionistisches Klima entstanden und häufig wird die Schuld für die gegenwärtige schlechte Lage in Usbekistan dem Westen und insbesondere den Juden gegeben. In diesem Klima ist bei Verfolgungsmaßnahmen durch Private kaum staatlicher Schutz für Juden zu erwarten."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, dass in keinem der erwähnten Dokumente, insbesondere auch nicht in dem länderkundlichen Sachverständigengutachten, eine "Gruppenverfolgung der Juden in Usbekistan" erwähnt werde. Vielmehr sei dem genannten Sachverständigengutachten eindeutig zu entnehmen, dass in Usbekistan offiziell kein antijüdisches Klima herrsche, radikal-islamische Tendenzen - auch mit brutaler Gewalt -

bekämpft würden und keinesfalls eine staatliche Verfolgung von Juden festzustellen sei. Die gegen die Beschwerdeführerin gerichteten Verfolgungsmaßnahmen, wie "Steinwerfen in ein Zimmer, Beschmieren der Tür mit Kot und antijüdischen Parolen, sowie Hineinschütten von Benzin", reichten von ihrer Intensität "gerade noch nicht" aus, um Asylrelevanz zu begründen. Die Beschwerdeführerin gebe als Hauptgrund für ihre Ausreise die Auseinandersetzung mit ihrem früheren Lebensgefährten und Vater ihres Sohnes an, welche schließlich zum Verlust des Sorgerechts für den Sohn geführt habe. Diese Auseinandersetzung habe primär privaten Charakter und es wäre grundsätzlich auch "in einem demokratischen Rechtsstaat" möglich, dass die Beschwerdeführerin das Sorgerecht für ihren Sohn an den Kindesvater verliere, weshalb auch dieser Umstand nicht zur Asylgewährung führen könne.

Im Zusammenhang mit ihrer Entscheidung zu § 8 AsylG führte die belangte Behörde aus, dem länderkundlichen Sachverständigengutachten sei zu entnehmen, dass es zu einem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang für die Mehrheit der Bevölkerung in Usbekistan gekommen sei und hierfür dem Westen - insbesondere den Juden - die Schuld gegeben werde. Dies habe zu einem antisemitischen Klima in Usbekistan geführt, wobei bei der Ressourcenverteilung überdies generell die jüdische Bevölkerung benachteiligt werde. Bei Berücksichtigung der besonderen individuellen Situation der Beschwerdeführerin - einer allein erziehenden Frau mit einer pflegebedürftigen Mutter und einem "im Schulkindalter befindlichen" Sohn, die überdies den Sorgerechtsstreit gegen den moslemischen Vater ihres Sohnes verloren habe - sei eine besondere Schutzwürdigkeit der Beschwerdeführerin festzustellen, da diese bei einer Rückkehr nach Usbekistan in eine ausweglose Situation geriete, weshalb Refoulementschutz zu gewähren sei.

Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Bei ihrer Einschätzung der beschwerdegegenständlichen Verfolgungshandlungen als nicht asylrelevant übersieht die belangte Behörde, dass auch die wirtschaftliche Benachteiligung einer ethnischen oder sozialen Gruppe, die den Angehörigen dieser Gruppe jegliche Existenzgrundlage entzieht, grundsätzlich asylrelevant sein kann (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 8. November 2007, 2006/19/0341, mwN).

Die belangte Behörde sieht als Grund für die Gewährung von Refoulementschutz die "ausweglose Situation" der Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Usbekistan an, die durch ihre persönlichen Umstände, zu der sie auch das Bekenntnis zum Judentum zählt, bedingt ist. Damit ist jedoch ein Bezug zu einem Konventionsgrund nicht ausgeschlossen.

Die Ausführungen der belangten Behörde zur Gewährung von Refoulementschutz sind daher mit ihrer Annahme, die Beschwerdeführerin sei in ihrem Herkunftsstaat nicht aktuell asylrelevant bedroht, nicht in Einklang zu bringen.

Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Ein Kostenersatzausspruch hatte zu entfallen. Aufwandersatz kann gemäß dem sich aus § 59 Abs. 1 VwGG ergebenden Antragsprinzip nur zugesprochen werden, wenn ein diesbezüglicher Antrag - der nicht beziffert sein muss - gestellt wird (vgl. dazu zB die bei Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit 3, 722 unter Abs. 1 zu § 59 Abs. 1 VwGG referierte hg. Judikatur). Ein solcher Antrag wurde von der Beschwerdeführerin nicht gestellt.

Wien, am 6. November 2009

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