VwGH Ra 2015/01/0069

VwGHRa 2015/01/006915.3.2016

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek und die Hofräte Dr. Kleiser und Dr. Fasching als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Berger, über die Revision des S T in W, vertreten durch Dr. Leopold Specht, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch die Specht & Partner Rechtsanwalt GmbH in 1010 Wien, Teinfaltstraße 8, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Februar 2015, Zl. W178 1434022- 1/10E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Normen

AsylG 2005 §15 Abs1 Z1;
AsylG 2005 §18;
AsylG 2005 §3 Abs1;
AVG §46;
B-VG Art133 Abs4;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §34 Abs1;

European Case Law Identifier: ECLI:AT:VWGH:2016:RA2015010069.L00

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

Verfahrensgang

1 Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 19. August 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

Als Fluchtgrund brachte der Revisionswerber im Wesentlichen vor, er sei aus Angst vor den Taliban geflüchtet, da er sich geweigert habe, für sie einen Anschlag zu verüben oder mit ihnen zu kämpfen, und sie ihn daher hätten töten wollen.

2 Mit Bescheid vom 6. März 2013 wies das Bundesasylamt (nunmehr: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (I.), sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (II.) ab und wies den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 nach Afghanistan aus (III.).

Begründend führte das Bundesamt im Wesentlichen aus, das Vorbringen des Revisionswerbers sei nicht glaubwürdig, weil er während der gesamten Befragung nur allgemeine Vorfälle geschildert habe, die teilweise im Internet auffindbar gewesen seien. Mehrmals habe der Revisionswerber darauf hingewiesen werden müssen, die gestellten Fragen zu beantworten und nicht auf allgemeine Aussagen auszuweichen. Auch habe er auf die Frage, woher er wüsste, dass es sich um Taliban gehandelt habe, keine Antwort gewusst. All dies seien Hinweise darauf, dass der Revisionswerber ein Vorbringen zu konstruieren gesucht habe.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - die Beschwerde hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als unbegründet ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem Revisionswerber jedoch gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei (IV.).

Begründend stellte das Bundesverwaltungsgericht unter anderem fest, der Revisionswerber stamme aus der Provinz Baghlan und habe seine Heimat vor fünf Jahren verlassen. Er habe noch Mutter und Geschwister in seiner Heimatprovinz. Die Familie des Revisionswerbers lebe von der Unterstützung seines Bruders, der im Iran arbeite.

Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe in keiner Phase des Verfahrens Dokumente, die seine Identität belegen könnten, vorgelegt. Er habe in der mündlichen Verhandlung einen glaubhaften Eindruck hinterlassen, sein Vorbringen betreffend der Fluchtgründe und der Situation in seiner Heimatprovinz sei nachvollziehbar. Mit der gegenteiligen Einschätzung des Bundsamtes beschäftigte sich das Bundesverwaltungsgericht nicht.

Rechtlich begründete das Bundesverwaltungsgericht Spruchpunkt I. im Wesentlichen damit, das Vorbringen des Revisionswerbers, sein Heimatland aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage in Afghanistan und einer möglichen Zwangsrekrutierung als Jugendlicher verlassen zu haben, sei zwar glaubhaft, jedoch habe der Revisionswerber keine konkret gegen seine Person gerichtete (drohende) Verfolgung glaubhaft machen können, da er sich bloß in der allgemeinen Gefahrensituation von Jugendlichen befunden habe, die von der Rekrutierung der Taliban betroffen sein könnten.

4 Gegen den abweisenden Teil dieses Erkenntnisses (Spruchpunkt I.) richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

5 Die belangte Behörde nahm von der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Abstand.

Rechtsgrundlagen

6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen. Zur Zulässigkeit

9 In der Revision wird zur Zulässigkeit gemäß § 28 Abs. 3 VwGG ausgeführt, das angefochtene Erkenntnis weiche in Bezug auf die Asylrelevanz einer versuchten Zwangsrekrutierung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab. Die Weigerung des Revisionswerbers, den Rekrutierungsversuchen der Taliban nachzukommen und sich ihnen anzuschließen, verbunden mit der Tatsache, dass der Revisionswerber aus Afghanistan geflüchtet sei, würden den Schluss befürchten lassen, der Revisionswerber würde bei einer Rückkehr nach Afghanistan von den Taliban getötet werden.

10 Nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer (versuchten) Zwangsrekrutierung dann Asylrelevanz zu, wenn aus der Weigerung, sich den Rekrutierenden anzuschließen, eine tatsächliche oder nur unterstellte politische Gesinnung abgeleitet wird, an die eine Verfolgung anknüpft. Entscheidend für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ist daher, mit welchen Reaktionen der Taliban der Revisionswerber aufgrund seiner Weigerung, sich dem Willen der Rekrutierenden zu beugen, rechnen muss und ob in seinem Verhalten eine - wenn auch nur unterstellte -

politische oder religiöse oppositionelle Gesinnung erblickt wird (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2015, Ra 2014/01/0243, mwN).

11 Grundlage für die Beurteilung des Vorbringens des Asylwerbers sind nach ständiger hg. Rechtsprechung Feststellungen zur allgemeinen Lage im Herkunftsstaat. Dabei ist von den Asylbehörden zu erwarten, dass sie von den zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten Gebrauch machen und insbesondere Berichte der mit Flüchtlingsfragen befassten Organisationen in die Entscheidung einbeziehen. Unter Beachtung dieser vorliegend maßgeblichen Grundsätze ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, ob gemäß § 3 AsylG 2005 glaubhaft ist, dass einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht. Diese Einzelfallbeurteilung begründet in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, soweit das Bundesverwaltungsgericht dabei von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht abgewichen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. November 2014, Ra 2014/01/0094, mwN).

12 Dem angefochtenen Erkenntnis ist zu entnehmen, dass das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nach seinen Aussagen bei der mündlichen Verhandlung als glaubwürdig angesehen hat. Rechtlich hat das Bundesverwaltungsgericht aus diesem Vorbringen geschlossen, dass der Revisionswerber keine gegen ihn gerichtete drohende Verfolgung glaubhaft habe machen können. Feststellungen, mit welchen Folgen der Revisionswerber zu rechnen habe (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 13. Oktober 2015, Ra 2014/01/0243), hat das Bundesverwaltungsgericht nicht getroffen.

13 Das Vorbringen des Revisionswerbers ist jedoch nicht geeignet, eine in der oben angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes behandelte (versuchte) Zwangsrekrutierung des Revisionswerbers darzutun, die im Sinne dieser Rechtsprechung (vgl. nochmals das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2014/01/0243) derartige Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichtes zu einer allfälligen Verfolgungsgefahr erforderlich machen.

14 So beschränkt sich das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht bei konkreten Fragen auf allgemeine Aussagen und lässt eine konkrete Darstellung der behaupteten Rekrutierung vermissen. Der Revisionswerber hat auch nicht vorgebracht, dass konkret Zwang zwecks Rekrutierung als Kämpfer für die Taliban ausgeübt worden sei oder zumindest konkret zu erwarten gewesen wäre (vgl. so das zitierte hg. Erkenntnis Ra 2014/01/0094).

15 Das Asylverfahren bietet nur beschränkte Möglichkeiten, Sachverhalte, die sich im Herkunftsstaat des Asylwerbers ereignet haben sollen, vor Ort zu verifizieren. Hat der Asylwerber keine anderen Beweismittel, so bleibt ihm lediglich seine Aussage gegenüber den Asylbehörden, um das Schutzbegehren zu rechtfertigen. Diesen Beweisschwierigkeiten trägt das österreichische Asylrecht in der Weise Rechnung, dass es lediglich die Glaubhaftmachung der Verfolgungsgefahr verlangt. Um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, muss die Verfolgung nur mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht (vgl. dazu grundsätzlich das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2015, Ra 2015/18/0100 und 0101, III. 4. und 5., mwN). Dabei hat der Asylwerber im Rahmen seiner Mitwirkungspflicht nach § 15 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 alle zur Begründung des Antrags auf internationalen Schutz erforderlichen Anhaltspunkte über Nachfrage wahrheitsgemäß darzulegen.

16 Das Vorbringen des Asylwerbers muss demnach, um im obigen Sinne eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit einer Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (auf diesen Umstand, nämlich die Auffindbarkeit im Internet, hat das Bundesamt in der vorliegenden Rechtssache beweiswürdigend hingewiesen).

17 An der Voraussetzung, dass eine asylrelevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit glaubhaft zu machen ist, ändert auch der Umstand nichts, dass das Bundesverwaltungsgericht dieses allgemeine Vorbringen als glaubwürdig erachtet hat (ohne jedoch wie aufgezeigt auf die beweiswürdigenden Überlegungen des Bundesamtes einzugehen).

18 Mangels entsprechend konkretisiertem Vorbringen zeigt die Revision daher im Ergebnis keine Abweichung des angefochtenen Erkenntnisses von der oben angeführten hg. Rechtsprechung zur Zwangsrekrutierung auf.

Ergebnis

19 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

20 Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 1 VwGG abgesehen werden.

Wien, am 15. März 2016

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