VwGH 2004/21/0191

VwGH2004/21/019128.3.2006

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der V, vertreten durch Mag. Andrea Willmitzer, Rechtsanwältin in 2500 Baden, Erzherzog Rainer-Ring 3, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 24. März 2004, Zl. Fr 385/03, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Normen

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;
FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

 

Spruch:

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Serbien und Montenegro, und ihre drei - nicht beschwerdeführenden - minderjährigen Kinder gemäß § 33 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus dem Bundesgebiet aus.

Zur Begründung dieser Maßnahme führte sie im Wesentlichen aus, die Beschwerdeführerin sei mit ihrem Ehemann und ihren drei minderjährigen Kindern am 1. April 2002 von Ungarn kommend illegal in das Bundesgebiet eingereist. Ihr Ehemann habe einen Asylantrag, sie selbst und ihre Kinder hätten einen Asylerstreckungsantrag gestellt. Dabei habe der Ehemann der Beschwerdeführerin vorgebracht, diese wäre im März 1998 im Kosovo von zwei serbischen Polizisten geschlagen und vergewaltigt worden, ihre Mutter hätte diesen Gewaltakten beigewohnt. Sie habe sich dann von Mai 1998 bis 2001 in Deutschland befunden und sei in den Kosovo zurückgekehrt. Auf Grund der gewalttätigen Übergriffe sei sie psychisch sowie an einem Herzleiden erkrankt. Die Situation habe sich verschlechtert, sie hätte mehrmals Selbstmordversuche begangen.

Sämtliche in Österreich gestellten Asyl- und Asylerstreckungsanträge seien (ebenso wie ein bereits im Dezember 1997 in Deutschland gestellter Antrag ihres Ehemannes) rechtskräftig abgewiesen worden.

Mit Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 30. Jänner 2003 sei die Beschwerdeführerin nach den §§ 223 Abs. 2 und 224 StGB (Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden) zu einer bedingt nachgesehenen sechswöchigen Freiheitsstrafe verurteilt worden.

Eine Ausweisung gemäß § 33 Abs. 1 FrG erfordere den rechtswidrigen Aufenthalt des Fremden. Die Beschwerdeführerin verfüge seit der Rechtskraft der Beendigung ihres Asylverfahrens am 8. November 2002 nicht mehr über eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 AsylG, sei aber trotzdem in Österreich aufhältig geblieben. Ihr Aufenthalt sei daher rechtswidrig und eine Ausweisung somit gemäß § 33 Abs. 1 FrG zulässig. Da auch der Ehemann und die drei Kinder der Beschwerdeführerin Österreich verlassen müssten und keine sonstigen Familienangehörigen im Bundesgebiet aufhältig seien, greife die Ausweisung nicht in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin ein. Gesundheitliche Probleme könnten in einem Verfahren nach § 75 FrG (Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat - Bundesrepublik Jugoslawien, Provinz Kosovo) Berücksichtigung finden, seien jedoch nicht dazu geeignet, die Ausweisung generell als nicht dringend geboten erscheinen zu lassen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:

Die Beschwerdeführerin tritt den behördlichen Feststellungen nicht entgegen und bestreitet auch nicht, dass sie seit Beendigung des Asylverfahrens über keine Aufenthaltsberechtigung für Österreich verfüge. Demnach hegt der Verwaltungsgerichtshof keine Bedenken gegen die behördliche Ansicht, dass der Ausweisungstatbestand des § 33 Abs. 1 FrG erfüllt sei.

Die Beschwerde rügt allerdings, dass sich die belangte Behörde mit dem Vorbringen über die zu befürchtende Verschlechterung des psychischen Zustandes der Beschwerdeführerin bei einer etwaigen Rückkehr in den Kosovo und die daraus folgende extreme seelische Belastung ihrer Familienmitglieder nicht auseinander gesetzt habe. Die Beschwerdeführerin benötige ständige ärztliche Betreuung und Medikamente. Eine Behandlung ihrer Krankheit könne nur in Österreich erfolgen, weil die begründete Annahme bestehe, dass sich ihr Gesundheitszustand auf Grund der schlechten Erfahrung in ihrer Heimat verschlechtern würde und neuerlich Selbstmordgefahr bestünde. Überdies stünden im Kosovo keine gleichwertigen Einrichtungen zur Verfügung.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg.

In ihrer Stellungnahme vom 26. August 2003 hat die Beschwerdeführerin ausgeführt, ihre psychische Situation bedürfte besonderer Rücksichtnahme. Sie stehe nicht nur unter regelmäßiger ärztlicher Aufsicht, sondern sei auch auf Medikamente angewiesen, die ihr die Bewältigung der traumatischen Erlebnisse erleichterten. Eine Rückkehr in den Kosovo, die sie selbst - und ihre Familie - bereits unternommen haben, hätte "katastrophale Auswirkungen" auf ihren Zustand und stellte tatsächlich eine Bedrohung für ihr Leben und zudem eine extreme Belastung für die gesamte Familie dar. Sie bitte insbesondere, die Belastung für ihren Mann zu beachten. Ebenso ersuche sie, im Rahmen einer gesamtheitlichen Prüfung ihre schlechte psychische Situation, die durch die Kriegsereignisse im Kosovo verursacht worden sei und die nunmehr auf die gesamte Familie einwirke, zu berücksichtigen.

In ihrer Berufung vom 11. Jänner 2004 gegen den erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid brachte die Beschwerdeführerin weiters vor, in ihrem Heimatland sei eine medizinische bzw. psychologische Betreuung unmöglich, weshalb eine Ausweisung einem Entzug der medizinischen bzw. psychologischen Hilfe gleichkomme und die zukünftigen Lebensaussichten ihrer Familie massiv beschneide. Die erstinstanzliche Behörde habe keine (ärztliche) Untersuchung angeordnet, die als Beweis im Ausweisungsverfahren hätte verwendet werden können.

Mit diesem Vorbringen hat sich die belangte Behörde nicht inhaltlich auseinander gesetzt, sondern hat aus dem Umstand, dass auch der Ehemann und die drei Kinder der Beschwerdeführerin Österreich verlassen müssten und keine sonstigen Familienangehörigen im Bundesgebiet aufhältig seien, den Schluss gezogen, dass die Ausweisung nicht in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin eingreife. Die in der Berufungsschrift angeführten gesundheitlichen Probleme, die durch die Vergewaltigung der Beschwerdeführerin im Kosovo im Jahr 1998 verursacht worden seien, sowie die zu befürchtende Verschlechterung ihres psychischen Zustandes bei einer etwaigen Rückkehr in den Kosovo stellten (lediglich) Gründe dar, die im Verfahren nach § 75 FrG zur Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat zu berücksichtigen seien. Diese Gründe seien jedoch nicht dazu geeignet, die Ausweisung gemäß § 37 Abs. 1 FrG nicht als dringend geboten erscheinen zu lassen.

Dieser Ansicht kann nicht gefolgt werden: Der Verwaltungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass bei der Abwägung der persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet mit dem öffentlichen Interesse an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auch dem Umstand Bedeutung zukommt, dass eine medizinische Behandlung in Österreich vorgenommen wird. Wenn für den Fremden keine Aussicht besteht, sich in seinem Heimatstaat oder in einem anderen Land - sollte ein solches überhaupt in Betracht kommen - außerhalb Österreichs der für ihn notwendigen Behandlung unterziehen zu können, kann das - abhängig von den dann zu erwartenden Folgen - eine maßgebliche Verstärkung der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich darstellen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 19. Mai 2000, Zlen. 98/21/0283, 0284, vom 15. März 2005, Zl. 2002/21/0056, und vom 11. Oktober 2005, Zl. 2002/21/0132, mwN). Das hat die belangte Behörde verkannt und demzufolge eine Auseinandersetzung mit dem diesbezüglichen Vorbringen der Beschwerdeführerin zu Unrecht unterlassen.

Der vorliegende Fall ist in dieser Hinsicht noch insoweit besonders gelagert, als nicht nur die Frage einer entsprechenden Behandlung der Beschwerdeführerin in ihrem Heimatstaat - unter der Annahme, dass eine Abschiebung nur dorthin möglich ist - zu beurteilen gewesen wäre, sondern eine solche Abschiebung in das Land, in dem die eingangs dargestellten, auch von der belangten Behörde als erwiesen erachteten Vorgänge für die psychischen und sonstigen gesundheitlichen Probleme der Beschwerdeführerin (nach ihrem Vorbringen) ursächlich waren, krankheitsverschlechternd wirken könnte. Auch mit diesem - von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren angesprochenen - Aspekt hätte sich die belangte Behörde bei ihrer Beurteilung nach § 37 Abs. 1 FrG auseinander setzen müssen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Oktober 2005, Zl. 2002/21/0132).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. März 2006

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