European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0110OS00108.24B.1126.000
Rechtsgebiet: Strafrecht
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde M* F* jeweils mehrerer Verbrechen der fortgesetzten Gewaltausübung nach § 107b Abs 1, 3a Z 1 und Abs 4 zweiter Fall StGB (I A und B) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 dritter Fall StGB (II C) sowie jeweils mehrerer Vergehen der Körperverletzung nach §§ 15, 83 Abs 1 StGB (II A) und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 erster Fall StGB (II B) schuldig erkannt.
[2] Danach hat er in W* und andernorts
(I) gegen folgende Personen jeweils länger als ein Jahr hindurch fortgesetzt (auf im angefochtenen Urteil beschriebene Weise) Gewalt ausgeübt, und zwar
(A) vom Jänner 2013 bis zum März 2022 gegen den bis zum * 2018 (vgl Jerabek/Ropper in WK2 StGB § 68 Rz 6)unmündigen * N* und
(B) vom Jahr 2018 bis zum Jänner 2023 gegen die (während dieses gesamten Zeitraums) unmündige A* F*, weiters
(II) * A* vom Jahr 2011 bis zum März 2022 jeweils in mehreren Angriffen (auf im angefochtenen Urteil beschriebene Weise)
(A) vorsätzlich am Körper zu verletzen versucht,
(B) mit dem Tod gefährlich bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen und
(C) durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper zu einer Unterlassung genötigt, die besonders wichtige Interessen der Genannten verletzte.
Rechtliche Beurteilung
[3] Dagegen wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 3, 4, 5, 5a und 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.
[4] Die Verfahrensrüge (Z 3) behauptet einen Verstoß gegen § 252 StPO, weil in der Hauptverhandlung am 10. April 2024 (ON 41, 19) Bild- und Tonaufnahmen über die kontradiktorischen Vernehmungen der drei tatbetroffenen Zeugen (auszugsweise) vorgeführt worden seien, ohne dass sich der Beschwerdeführer damit einverstanden (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) erklärt gehabt hätte.
[5] Zwar ist aus den Akten nicht ersichtlich, dass – nach der Verfahrenslage zum Zeitpunkt der monierten Vorführung – insoweit einer der Fälle des § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 StPO vorgelegen wäre. Allerdings haben die Verfahrensbeteiligten – dem ungerügt gebliebenen Protokoll über die Hauptverhandlung am 5. Juli 2024 zufolge – zu einem späteren Zeitpunkt ihre Zustimmung zu einem zusammengefassten Vortrag der Protokolle über die angesprochenen Zeugenvernehmungen (ON 15, 16 und 17) gemäß § 252 Abs 2a StPO erteilt (ON 55, 11). Inwieweit die frühere Vorführung (ON 41, 19) deren technischer Aufnahmen – im Hinblick darauf – gleichwohl einen dem Beschwerdeführer nachteiligen Einfluss auf die Entscheidung (§ 281 Abs 3 erster Satz StPO) hätte üben können, macht die Rüge nicht klar (vgl aber RIS‑Justiz RS0111314 und RS0112877; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 234 und 743; Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 105 f).
[6] Der Erledigung der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) sei vorangestellt, dass der Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung am 10. Juni 2024 zwei Schriftstücke vorlegte (ON 49.1, 3). Das eine (Beilage ./II) enthält folgenden, handschriftlich verfassten Text: „Ich bin A* F* […] die Tochter von M* F*. Mein Vater M* F* hat mich noch nie geschlagen oder bedroht. Ich A* F* dachte von mir aus das ich damit meiner Mutter helfe.“ Bei dem anderen (Beilage ./I) handelt es sich um eine vor der Kinder- und Jugendhilfe * aufgenommene Niederschrift einer Vereinbarung zwischen dem Beschwerdeführer und der Mutter der A* F*, * A*, vom 6. Juni 2024, wonach der Beschwerdeführer „ab heute die Pflege und Erziehung der A* [F*] übernimmt“.
[7] In der Folge beantragte der Beschwerdeführer (durch seinen Verteidiger) die „neuerliche Einvernahme“ der Zeugin A* F* „aufgrund dessen, dass sie jetzt angeblich dieses Schreiben geschickt hat“ und „dass es eine Niederschrift beim Jugendamt gibt, die von einer Sozialarbeiterin unterschrieben ist, also einer fremden, dritten Person, was den Schluss zulässt, dass diese Aussagen, die hier getätigt wurden, nicht glaubhaft sind“ (ON 49.1, 11).
[8] Daraufhin wurde die Hauptverhandlung vertagt (ON 49.1, 14). Nach der Lage der Akten erklärte die bereits im Ermittlungsverfahren kontradiktorisch vernommene (ON 16) Zeugin, im Sinn des § 156 Abs 1 Z (1 und) 2 StPO belehrt, am 3. Juli 2024 durch ihre Prozessbegleiterin (vgl RIS‑Justiz RS0111315 [T14, T16]), in der Hauptverhandlung nicht aussagen zu wollen (ON 54, sodass ihre Ladung unterblieb). In der (fortgesetzten) Hauptverhandlung am 5. Juli 2024 gab die Vorsitzende dies den Parteien bekannt (ON 55, 2 f).
[9] Hiervon ausgehend wurden – der Rüge zuwider – Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers nicht dadurch verkürzt, dass das Gericht seinem Antrag (im Ergebnis) nicht entsprochen hat:
[10] Die ausnahmsweise ergänzende Vernehmung einer (wie hier) gemäß § 156 Abs 1 Z (1 und) 2 StPO von der Aussage befreiten Belastungszeugin ist zwar bei Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände, die das im Schutz der Zeugin gelegene Beweismittelverbot (vgl Art 8 MRK) gegen das Verteidigungsinteresse an ergänzender Befragung (Art 6 Abs 3 lit d MRK) zurücktreten lassen, nicht ausgeschlossen (vgl RIS‑Justiz RS0128501 [T2]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 233).
[11] Das nachträgliche Hervorkommen neuer Beweisergebnisse führt aber nicht zum Entfall der Aussagebefreiung (RIS‑Justiz RS0110798 [T4], RS0118084; Kirchbacher/Keglevic, WK‑StPO § 156 Rz 18 und Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 94).
[12] Somit hätte es – angesichts der (in der fortgesetzten Hauptverhandlung am 5. Juli 2024) geänderten Sachlage – eines Verlangens nach Umsetzung der (nicht effektuierten) Beweisaufnahme (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 317 und RIS‑Justiz RS0117404) einschließlich eines Vorbringens dazu bedurft, weshalb die Zeugin trotz ihrer Erklärung, von ihrem Recht auf Aussagebefreiung Gebrauch zu machen (ON 54), gleichwohl zu einer Aussage bereit sein werde (RIS‑Justiz RS0117928). Auf dergleichen beruft sich die Rüge – aktenkonform – nicht.
[13] Der gegen den Schuldspruch I A gerichteten Mängelrüge zuwider lassen die Feststellungen zur Dauer, Dichte und Intensität der insgesamt über neun Jahre andauernden, in der Regel zumindest monatlichen Gewaltausübung gegenüber dem während eines Teils des Tatzeitraums von fünf Jahren noch unmündigen * N* (US 6 ff, zur subjektiven Tatseite vgl US 7) an Deutlichkeit (Z 5 erster Fall) nichts vermissen.
[14] Sie blieben auch nicht offenbar unzureichend begründet (Z 5 vierter Fall), sondern wurden – willkürfrei – auf vom Schöffengericht als glaubhaft erachtete Aussagen der Zeugen * N* und * A* gestützt (US 10 bis 13). Eine in der Beschwerde (nominell verfehlt auch Z 5a, inhaltlich nur Z 5 zweiter Fall) hervorgehobene Darstellung des Zeugen * N*, einiges aus Erzählungen seiner Mutter in Erinnerung zu haben (ON 17 S 25), wurde dabei durchaus berücksichtigt (US 13), aber für nicht geeignet erachtet, die Überzeugungskraft seiner Angaben in Frage zu stellen. Dass dem Beschwerdeführer diese Einschätzung nicht überzeugend genug erscheint, bildet keinen Begründungsmangel (RIS‑Justiz RS0106588).
[15] Der Einwand des Fehlens von Feststellungen dazu, „wie oft es […] friedlichere Zeiten ohne Gewaltakte gab“, ist aus dem Blickwinkel der Z 5 ohne Belang (RIS‑Justiz RS0099575 [T5]). Als Rechts- oder Subsumtionsrüge (Z 9 lit a oder 10) verstanden legt er nicht methodengerecht aus dem Gesetz abgeleitet dar, weshalb die genaue Anzahl und exakte zeitliche Einordnung der („[t]eilweise[n]“, „bis zu höchstens vier Monate andauer[nd]en“) gewaltfreien Phasen, denen aber wieder „Phasen mit intensiveren Gewaltakten“ folgten (US 6 f und 11 f), angesichts der (zum Schuldspruch I A getroffenen) Urteilsfeststellungen schuld- oder subsumtionsrelevant sein sollten (siehe aber RIS‑Justiz RS0116565).
[16] Sinnfällig kein Widerspruch (nominell verfehlt Z 5a, inhaltlich Z 5 dritter Fall) besteht zwischen der Konstatierung (auch) gewaltfreier Phasen gegenüber * N* (US 6) und den Feststellungen zur Gewaltanwendung gegenüber dem heranwachsenden Genannten (US 5 ff) sowie dazu, dass sich der Beschwerdeführer diesem gegenüber (I A; US 6 f) zu anderen Zeitpunkten (und auf andere Weise) gewalttätig verhielt als gegenüber seiner Tochter A* F* (I B; US 7 ff).
[17] Indem die übrige Tatsachenrüge (Z 5a) – unter Bezugnahme auf das Vorbringen zur Mängelrüge (und teils wörtlicher Wiederholung desselben) – behauptet, es bestünden „daher auch“ erhebliche Bedenken gegen die Feststellungen „über die angeblichen Gewalttaten“ des Beschwerdeführers, verkennt sie die Verschiedenheit der Anfechtungskalküle (siehe dazu RIS‑Justiz RS0115902 und RS0116733).
[18] Die gegen den Schuldspruch I A gerichtete Subsumtionsrüge (Z 10) lässt eine prozessförmige Darstellung des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes schon deshalb vermissen, weil sie nicht darlegt, welchem Strafgesetz die davon umfassten Taten nach Ansicht des Beschwerdeführers bei richtiger Gesetzesauslegung hätten unterzogen werden müssen (RIS-Justiz RS0117247 [T7], RS0099984 [T1] und RS0118415 [T3]).
[19] Hinzugefügt sei, dass ihre – ohne Ableitung aus dem Gesetz bleibende (abermals RIS‑Justiz RS0116565) – bloße Behauptung, „[m]ehrere friedlichere Zeiten von 4 Monaten“ würden „den Tatbestand der Regelmäßigkeit“ (jedenfalls) „durchbrechen“, nicht zutrifft.
[20] Bei der Beurteilung der Tatbestandsmäßigkeit nach § 107b StGB ist nämlich stets eine einzelfallbezogene Gesamtbetrachtung der Faktoren Dauer, Dichte und Intensität der Gewaltausübung vorzunehmen, womit eine besonders starke Ausprägung eines dieser Faktoren unter dem Aspekt der Subsumtion eine Reduktion des Gewichts der beiden übrigen Faktoren zulässt (RIS‑Justiz RS0127377). Angesichts der vorliegend festgestellten (US 6 ff) Dichte und Intensität der Gewaltausübung während des sonstigen Tatzeitraums (von insgesamt mehr als neun Jahren) wird deren „Fortgesetztheit“ (§ 107b Abs 1 StGB) durch einzelne, wenn auch bis zu viermonatige Unterbrechungen (US 6) – fallkonkret – nicht beseitigt (vgl RIS‑Justiz RS0129716 [T2]). Hiervon ausgehend erweist sich die vom Schöffengericht vorgenommene Subsumtion als rechtsrichtig.
[21] Mit ihrem abschließenden Vorbringen („für den Angeklagten“ sei „wesentlich, dass festgehalten wird […]“) behauptet die Beschwerde keinen Sachverhalt, der einer der Anfechtungskategorien der §§ 281 Abs 1, 281a StPO unterläge.
[22] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – gemäß § 285d Abs 1 StPO bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.
[23] Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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