European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0090OB00085.24A.1023.000
Rechtsgebiet: Zivilrecht
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.000,75 EUR (darin 166,79 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
[1] Der Kläger erwarb am 15. 2. 2016 von einer Fahrzeughändlerin einen gebrauchten Audi A4 Avant 2.0 TDI daylight, um 26.500 EUR mit einem Kilometerstand von (unstrittig) ca 18.000. In diesem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter 2.0 l Dieselmotor vom Typ EA189 verbaut.
[2] Sowohl bei der im Übergabezeitpunkt in diesem Fahrzeug vorhandenen Umschaltlogik als auch bei dem im Wege des Software-Updates vom 21. 6. 2016 implementierten Thermofenster handelt es sich um unzulässige Abschalteinrichtungen im Sinn des Art 5 Abs 2 iVm Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG . Die Beklagte versah in erster Linie aus Gewinnstreben die von ihr entwickelten Motoren, die sie in eigenen Fahrzeugmodellen verbaute und auch für die Fahrzeughersteller anderer Automarken (Audi, Škoda ua) bereitstellte, mit der als unzulässige Abschalteinrichtung zu wertenden Motorsteuerungssoftware (Umschaltlogik) nicht nur mit dem Ziel, damit das KBA als Typengenehmigungsbehörde zu täuschen, sondern auch unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, welche die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typengenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzten. Zudem nahm die Beklagte die damit einhergehende Belastung der Umwelt und die Gefahr, dass bei einer Aufdeckung dieses Sachverhalts eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung der betroffenen Fahrzeuge erfolgen könnte, bewusst in Kauf. Im September 2015 räumte die Beklagte – auch aufgrund des medialen Drucks – Unregelmäßigkeiten ein und erarbeitete Maßnahmen zur Beseitigung des gesetzwidrigen Zustands, um die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung zu verhindern.
[3] Aufgrund der im Fahrzeug verbauten unzulässigen Abschalteinrichtungen ist von einer fiktiven Wertminderung in Höhe von 30 % des Kaufpreises bezogen auf den Ankaufszeitpunkt auszugehen. Hätte der Kläger gewusst, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut ist, hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Der Abgasskandal hatte und hat nach wie vor keine Auswirkungen am Gebrauchtwagenmarkt.
[4] Der Kläger hatte das Fahrzeug uneingeschränkt in Verwendung und hat bisher etwa 280.000 Kilometer ohne Probleme zurückgelegt. Das Fahrzeug war und ist uneingeschränkt betriebs- und verkehrssicher.
[5] Der Kläger begehrte von der beklagten Motorenherstellerin 7.950 EUR samt 4 % Zinsen seit 15. 2. 2016 an Schadenersatz, gestützt auf den Minderwert des Fahrzeugs zum Kaufzeitpunkt von 30 % des Kaufpreises.
[6] Die Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Soweit für das Revisionsverfahren noch relevant, wendet sie ein, dass der Kläger keinen Vermögensschaden erlitten habe, weil zwischen einem Fahrzeug mit und einem Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung am Gebrauchtwagenmarkt keine Wertdifferenz vorgelegen sei. Aufgrund der umfassenden Aufklärung der Öffentlichkeit durch die Beklagte und die übrigen Konzernunternehmen nach Bekanntwerden der EA189‑Thematik im Jahr 2015 könne ihr kein Vorsatz bzw kein sittenwidriges Verhalten bei Erwerb des Fahrzeugs nach diesem Zeitpunkt angelastet werden.
[7] Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 7.950 EUR samt 4 % Zinsen seit 23. 3. 2021 statt und wies das darüber hinausgehende Zinsenbegehren ab. Die Beklagte habe die Umschaltlogik arglistig und in Täuschungsabsicht implementiert. Ausgehend von der vom Sachverständigen ermittelten fiktiven Wertminderung von 30 % bezogen auf den Ankaufszeitpunkt und dem festgestellten Kaufpreis von 26.500 EUR ergebe sich ein (deliktischer) Schadenersatzanspruch des Klägers von 30 % des Kaufpreises, also 7.950 EUR.
[8] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Der Zuspruch eines Schadenersatzbetrags von 30 % des Kaufpreises sei zu Recht erfolgt, weil der getäuschte Kläger unter dem Gesichtspunkt eines ihm nach § 874 ABGB zu leistenden Schadenersatzes Anspruch auf einen Ausgleich für einen Minderwert der ihm verkauften Sache habe. Durch die Ermittlung des Ausmaßes des Ersatzes im Wege der relativen Berechnungsmethode werde ein Ausgleich für die durch den Willensmangel gestörte subjektive Äquivalenz der im Austauschverhältnis stehenden vertraglichen Leistungen geschaffen. Nach den Feststellungen betrage die Differenz zwischen dem Wert der geschuldeten Sache (= Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung) und jenem der gekauften Sache (= Fahrzeug mit unzulässiger Abschalteinrichtung) 30 % des Kaufpreises, sodass das Erstgericht dem Kläger zu Recht den entsprechenden Betrag zuerkannt habe. Spätere Wertentwicklungen seien bei Berechnung der durch den Willensmangel gestörten subjektiven Äquivalenz zum Ankaufszeitpunkt nicht zu berücksichtigen.
[9] Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, weil zum Zeitpunkt dieser Entscheidung – soweit ersichtlich – noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Anwendung der relativen Berechnungsmethode im Zusammenhang mit Abgasmanipulationsskandal-Fällen vorgelegen sei.
[10] In ihrer dagegen gerichteten Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer gänzlichen Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
[11] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, die Revision der Beklagten als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist ungeachtet des – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruchs des Berufungsgerichts nicht zulässig; sie kann keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzeigen. Die hier maßgeblichen Rechtsfragen sind durch den Obersten Gerichtshof bereits geklärt (vgl RS0112921). Die Begründung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).
[13] 1. Nach der Rechtsprechung hat die Berechnung des Schadens in einem Fall wie hier – in dem nicht der Fahrzeughersteller aufgrund einer Verletzung von Schutzgesetzen, sondern der Motorenhersteller nach § 874 und § 1295 Abs 2 ABGB in Anspruch genommen wird – nach der relativen Berechnungsmethode zu erfolgen (10 Ob 31/23s Rz 51; 9 Ob 18/24y Rz 16 mwN; 10 Ob 13/24w Rz 44; RS0134498 [T9]). Der getäuschte Käufer, der am Vertrag festhält, hat Anspruch auf einen Ausgleich für einen – im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestandenen – Minderwert der ihm verkauften Sache (RS0014750). Durch die Ermittlung des Ausmaßes des Ersatzes im Wege der relativen Berechnungsmethode wird ein Ausgleich für die durch den Willensmangel gestörte subjektive Äquivalenz der im Austauschverhältnis stehenden vertraglichen Leistungen geschaffen (2 Ob 139/23i Rz 24 mwN; RS0014772 [T2]). Der veränderte Preis muss sich zum vereinbarten Preis so verhalten, wie der Wert der Sache ohne Mangel zum Wert der Sache mit Mangel (5 Ob 89/24k Rz 9; 9 Ob 51/24a Rz 11 mwN).
[14] 2.1. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof in zwei jüngeren Entscheidungen der Ansicht der jeweiligen Berufungsgerichte nicht entgegengetreten ist, dass in den damaligen Verfahren allgemeine Feststellungen, welchen Betrag ein „durchschnittlicher“ Käufer für das manipulierte Fahrzeug gezahlt hätte (10 Ob 46/23x Rz 19; 5 Ob 33/24z Rz 25) nicht genügten, um daraus auf Marktwerte des (konkreten) Fahrzeugs im mangelhaften und im mangelfreien Zustand zu schließen.
[15] 2.2. Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht die Feststellung des Erstgerichts zur fiktiven Wertminderung jedoch so verstanden, dass damit die Differenz zwischen dem Wert der geschuldeten Sache (= Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung) und jenem der gekauften Sache (= Fahrzeug mit unzulässiger Abschalteinrichtung) mit 30 % des Kaufpreises konkret festgestellt wurde. Diese Auslegung der Urteilsfeststellungen im Einzelfall wirft aber regelmäßig keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf (RS0118891). Sie ist auch hier nicht weiter zu beanstanden, zumal den Entscheidungen 8 Ob 109/23x, 9 Ob 52/24y und 7 Ob 128/24k ähnliche Feststellungen wie hier zugrunde lagen.
[16] 2.3. Die Feststellungen zum konkreten Minderwert des Fahrzeugs stehen auch nicht in Widerspruch mit den Feststellungen zu den allgemeinen Auswirkungen des Abgasskandals am Gebrauchtwagenmarkt, stellen diese doch nicht auf den hier relevanten Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags ab.
[17] 2.4. Die von der Revisionswerberin genannten Entscheidungen zur Berücksichtigung der Weiterveräußerung eines manipulierten Fahrzeugs (6 Ob 19/24y; 1 Ob 12/24g) sind hier nicht maßgeblich. Nach den Feststellungen hat der Kläger sein Fahrzeug bislang nicht verkauft.
[18] 2.5. Im Übrigen hat der Oberste Gerichtshof erst kürzlich in der Entscheidung 5 Ob 33/24z (Rz 14) – der ständigen Rechtsprechung folgend – ausgesprochen, dass die Nutzung des Fahrzeugs durch den Käufer bis zum Weiterverkauf und der Weiterverkauf an sich nichts (mehr) am objektiv bereits bei Kaufvertragsabschluss eingetretenen Schaden des Käufers ändern konnte. Ob deutsche Gerichte eine andere Auffassung vertreten, begründet keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (vgl RS0126988).
[19] 3.1. Soweit die Beklagte die Berücksichtigung einer allfälligen Aufwertung des Fahrzeugs durch die „technische Maßnahme“, die der Beseitigung der Prüfstandserkennungssoftware gedient habe, im Rahmen der Vorteilsausgleichung forderte (ON 22), genügt der Hinweis, dass das Software-Update schon deswegen keinen gegenüber dem Schadenersatzanspruch des Klägers anrechenbaren Vorteil darstellen kann, weil eine unzulässige Abschalteinrichtung weiterhin besteht (vgl 10 Ob 46/23x Rz 24; 9 Ob 52/24y Rz 14; 5 Ob 97/24m Rz 27 ff).
[20] 3.2. Auch eine Vorteilsausgleichung im Zusammenhang mit einem Nutzungsvorteil im Sinn eines Benützungsentgelts kann hier nicht stattfinden, weil eine solche nicht von Amts wegen, sondern nur über Einwendungen des insoweit behauptungs- und beweispflichtigen Schädigers zu erfolgen hat (RS0036710). Die Beklagte hat ihren Vorteilsausgleichseinwand aber nur darauf gestützt, dass nach Durchführung des Software‑Updates keine Wertminderung (mehr) vorliegt. Auf einen auch zu berücksichtigenden – ohnehin nicht näher bezifferten – Nutzungsvorteil hat sie sich in erster Instanz nicht berufen. Ob bzw inwieweit daher auch die erfolgte Fahrzeugnutzung im Rahmen der Vorteilsanrechnung etwa durch ein Benützungsentgelt zu berücksichtigen ist, muss daher wegen des im Revisionsverfahren geltenden Neuerungsverbots nicht näher erörtert werden (10 Ob 46/23x Rz 23; 2 Ob 3/24s Rz 20).
[21] 3.3. Soweit im Übrigen die Revision aus der Entscheidung des Landesgerichts Ried zu 18 R 38/23b die Berücksichtigung eines Nutzungsvorteils ableiten will, genügt es, auf die dazu mittlerweile ergangene Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zu 5 Ob 83/24b (Rz 24 ff) hinzuweisen.
[22] 4. Nach den Feststellungen hat die Beklagte die Umschaltlogik arglistig und in Täuschungsabsicht in dem von ihr hergestellten Motor EA189 implementiert. Da der Beklagten hinsichtlich der Umschaltlogik ein arglistig herbeigeführter Irrtum und eine absichtliche Schadenszufügung in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise nachgewiesen wurde, entfällt ihre Haftung nicht bei fehlendem Verschulden oder einem Mangel von Arglist oder Schädigungsabsicht zum Thermofenster, weil die von der Revisionswerberin behauptete zwischenzeitige Verhaltensänderung 2015 grundsätzlich nichts an der Unzulässigkeit dieser arglistig zur Anwendung gebrachten Abschalteinrichtung ändern konnte (6 Ob 84/23f Rz 27 f unter Ablehnung von BGH 26. 6. 2023, VIa ZR 533/21 Rn 14 ff; 6 Ob 149/23i Rz 16; 2 Ob 158/23h Rz 19; 6 Ob 182/23t Rz 17; 10 Ob 13/24w Rz 33).
[23] Die Revision der Beklagten ist daher mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.
[24] Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]).
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