OGH 1Ob12/24g

OGH1Ob12/24g25.6.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Musger als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer und Mag. Wessely‑Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* GmbH, *, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagten Parteien 1. A* GmbH, *, und 2. A* AG, *, beide vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 15.000 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 31. Oktober 2023, GZ 3 R 106/23p‑38, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 31. Mai 2023, GZ 4 Cg 137/19p‑34, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0010OB00012.24G.0625.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Konsumentenschutz und Produkthaftung

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

1. Die Revision wird hinsichtlich der erstbeklagten Partei zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 550,26 EUR (darin 91,71 EUR USt) bestimmten anteiligen Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

2. Der Revision wird hinsichtlich der zweitbeklagten Partei teilweise Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung – einschließlich der bereits in Rechtskraft erwachsenen Abweisung von 7.500 EUR sA – insgesamt zu lauten hat:

„Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 3.750 EUR samt 4 % Zinsen p.a. aus diesem Betrag seit 22. Oktober 2022 binnen 14 Tagen zu zahlen.

Das Mehrbegehren, die zweitbeklagte Partei sei weiters schuldig, der klagenden Partei 11.250 EUR samt 4 % Zinsen p.a. zu zahlen, wird abgewiesen.“

Die Kostenentscheidungen der Vorinstanzen hinsichtlich der zweitbeklagten Partei werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird insofern die Fällung einer neuen Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz aufgetragen.

Die zweitbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 763 EUR (anteilige Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründeund

 

Begründung:

[1] Die Klägerin unterzeichnete am 8. 7. 2016 als Käuferin einen Kaufvertrag über einen Audi A6 Avant 3.0 TDI zu einem Kaufpreis von 54.125 EUR mit der Erstbeklagten als Verkäuferin. In diesen Kaufvertrag ist – aufgrund eines Leasingantrags der Klägerin vom 27. 7. 2016 – eine Bank als Leasinggeberin eingetreten. Die Erstbeklagte erhielt „aufgrund des Leasings“ 53.542,03 EUR für das Fahrzeug gezahlt. Die Differenz zum ursprünglichen Kaufpreis resultiert aus der Position „NOVA Rückvergütung Leasing“ von 582,97 EUR. Die Erstbeklagte ist eine Vertragshändlerin des von der Zweitbeklagten hergestellten Fahrzeugs. Das Fahrzeug wurde der Klägerin am 30. 9. 2016 übergeben.

[2] Die Klägerin hat mit der Leasinggeberin ein Restwertfinanzierungsleasing abgeschlossen. Sie leistete eine Depotzahlung und anschließend Leasingraten. Nach den vereinbarten Leasingbedingungen konnte sie das Fahrzeug nach Ende der Laufzeit des Leasings zum kalkulierten Restwert kaufen. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist weiters geregelt:

„1.1.  Eigentum: Wird im Falle der Direktbelieferung vom Kunden durch Besitzergreifung für [die Leasinggeberin] erworben und verbleibt bei [der Leasinggeberin]. Der Kunde ist Halter und Zulassungsbesitzer.“

[3] Die Leasinggeberin hat der Klägerin am 15. 11. 2019 über deren Aufforderung eine Abtretungserklärung des Inhalts übermittelt, dass „sämtliche zivilrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Fahrzeug ohne Haftung für Richtigkeit und Einbringlichkeit an Sie“ abgetreten werden.

[4] Hätte die Klägerin bereits im Zeitpunkt des Kaufs gewusst, dass das Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aufweist und damit nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Die Beklagten haben die Klägerin diesbezüglich nicht aufgeklärt.

[5] Das Fahrzeug verfügt über eine aufrechte Typ(en)genehmigung. Im Fahrzeug ist eine temperaturabhängige Abschalteinrichtung eingebaut. Das Fahrzeug verringert unterhalb einer Außentemperatur von + 5 Grad Celsius Umgebungstemperatur die AGR‑Rate; im Gegensatz zur Regelung der AGR‑Klappe bei höheren Temperaturen („Thermofenster“). Das Thermofenster führt zu einem erhöhten NOx‑Ausstoß. Es kann nicht festgestellt werden, dass das Thermofenster notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um einen sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten; insbesondere um vor einem plötzlichen, sicherheitsgefährdenden Leistungsabfall, Fahrzeugbrand und Motorschaden zu schützen. Es kann auch nicht festgestellt werden, dass das Thermofenster dem Stand der Technik entspricht.

[6] Das Fahrzeug hatte zum Kaufzeitpunkt einen um 10 % geringeren Wert als ein Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung. Im Zeitpunkt des Weiterverkaufs im Mai 2022 ist „(ebenso) eine fiktive Zeitwertminderung von 10 % anzunehmen“.

[7] Die Klägerin kaufte das Fahrzeug nach Ende des Leasingvertrags am 22. 9. 2020 um knapp 16.000 EUR von der Leasinggeberin. Davor war die Leasinggeberin Eigentümerin.

[8] Am 6. 5. 2022 verkaufte die Klägerin das Fahrzeug mit einem Kilometerstand von 206.000 km um 14.000 EUR an eine GmbH. Im Kaufvertrag mit der Käuferin des Fahrzeugs wurden Gewährleistungsansprüche und die Irrtumsanfechtung ausgeschlossen sowie festgehalten, dass das Fahrzeug vom „Abgasskandal“ betroffen ist. Der Kaufpreis von 14.000 EUR entspricht dem am Markt erzielbaren Preis des Fahrzeugs, wobei kein Unterschied zwischen vom „Abgasskandal“ betroffenen und nicht betroffenen Fahrzeugen gemacht wird.

[9] Es kann nicht festgestellt werden, dass die Erstbeklagte die Klägerin listig zum Abschluss des Kaufvertrags bewegt hat.

[10] Die Klägerin begehrte mit der am 27. 11. 2019 eingebrachten Klage zuletzt von beiden Beklagten 15.000 EUR sA und brachte zusammengefasst vor, dass im Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut und sie darüber von der Beklagten nicht aufgeklärt worden sei. Sie habe das Fahrzeug um 30 % zu teuer gekauft. Dieser zu viel gezahlte Kaufpreis stelle den Schaden dar. Sie habe das Fahrzeug während des erstinstanzlichen Verfahrens im September 2020 um knapp 16.000 EUR aus dem Leasingvertrag „herausgekauft“. Im Mai 2022 habe sie das Fahrzeug um 14.000 EUR an eine GmbH weiterverkauft. Im Laufe der Zeit eingetretene Änderungen des Marktpreises des Fahrzeugs seien unerheblich.

[11] Die Beklagten wendeten im Wesentlichen ein, dass die Klägerin nur das als Schaden geltend machen könnte, was sie beim Verkauf des Fahrzeugs zu wenig erhalten hätte. Tatsächlich habe sie das Fahrzeug im Mai 2022 zu dem am Markt damals erzielbaren Preis verkauft. Die Klägerin habe daher keinen Schaden erlitten. Die Klägerin, für die als Unternehmerin der abgeschlossene Kaufvertrag ein unternehmensbezogenes Geschäft sei, habe gegenüber den Beklagten keine Mängelrüge erhoben. Darüber hinaus sei der Anspruch gegenüber der Erstbeklagten verjährt. Schließlich hätten die Beklagten kein arglistiges oder vorsätzlich sittenwidriges Verhalten zu verantworten.

[12] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die von der Klägerin geltend gemachten Gewährleistungs‑ und Irrtumsanfechtungsansprüche seien zum Zeitpunkt der Klageeinbringung bereits verjährt gewesen. Die Leasinggeberin habe der Klägerin sämtliche zivilrechtliche Ansprüche abgetreten. Der Kaufpreis, den die Leasinggeberin an die Erstbeklagte als Verkäuferin gezahlt habe, sei wirtschaftlich von Anfang an von der Klägerin zu tragen gewesen. Zwar liege eine unzulässige Abschalteinrichtung im gegenständlichen Fahrzeug vor, jedoch sei das Klagebegehren mangels eines erweisbaren Schadens für die Klägerin abzuweisen. Dass die Erstbeklagte spezifische Informationen (wohl auch Geschäftsgeheimnisse) der Zweitbeklagten gehabt habe, sei weder behauptet worden noch festgestellt. Das Klagebegehren gegenüber der Erstbeklagten sei daher schon aus diesem Grund abzuweisen. Das Klagebegehren gegen die Zweitbeklagte scheitere daran, dass das Fahrzeug von der Klägerin an eine GmbH weiterverkauft worden sei. Aufgrund der Vertragsgestaltung beim Weiterverkauf trage die Klägerin kein Risiko einer allfälligen Untersagung der Nutzungsbewilligung mehr.

[13] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Rechtlich führte es aus, die Leasinggeberin habe sämtliche zivilrechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Fahrzeug an die Klägerin abgetreten. Das wirtschaftliche Risiko des Fahrzeugkaufs sei von Anfang an bei der Klägerin gelegen, sodass sie zur Geltendmachung des behaupteten Schadens aktivlegitimiert sei.

[14] Das Thermofenster sei als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn von Art 5 Abs 2 der VO (EG) 715/2007 zu qualifizieren. Den Beweis, dass einer der drei dort normierten Ausnahmetatbestände (die eine Abschalteinrichtung für zulässig erklärten) vorläge, hätten die Beklagten nicht erbracht.

[15] Infolge Verjährung der Gewährleistungsansprüche aus dem behaupteten Sachmangel und der Irrtumsanfechtungsansprüche scheide eine Haftung der Erstbeklagten aus. Selbst wenn man in der mangelnden Rechtsbeständigkeit der Typengenehmigung einen Rechtsmangel erblicken wollte, würde dieser Rechtsmangel für die Klägerin nur so lange bestehen, solange sie Eigentümerin des Fahrzeugs und damit von der (latenten) Gefahr des nachträglichen Entzugs der Typengenehmigung „bedroht“ gewesen sei. Die Klägerin habe jedoch das Fahrzeug im Mai 2022 verkauft, sodass sie nicht mehr Eigentümerin sei und daher vom behaupteten Rechtsmangel auch nicht mehr „bedroht“ sei.

[16] Auch die Zweitbeklagte hafte nicht. Obwohl im Fahrzeug der Klägerin eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut gewesen sei, die ursprünglich eine Wertminderung des Fahrzeugs zur Folge haben hätte können, habe sich der dadurch allenfalls (zunächst) entstandene Schaden bei ihr letztlich nicht realisiert, weil sie das Fahrzeug zu einem im Mai 2022 marktüblichen Preis verkauft habe. Geschädigt könnte allenfalls der Dritte sein, dem die Klägerin ihr Fahrzeug verkauft habe. Da sich der von der Klägerin behauptete Schaden in ihrem Vermögen letztlich nicht realisiert habe, bestehe das auf Schadenersatz gerichtete Klagebegehren gegen die Zweitbeklagte nicht.

[17] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil die Frage des (Zeitpunkts des) Schadenseintritts im Fall des Weiterverkaufs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbauten Fahrzeugs durch die Klägerin vom Obersten Gerichtshof noch nicht eindeutig beantwortet worden sei.

[18] Gegen die Abweisung von 7.500 EUR sA wendet sich die – beantwortete – Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn des Zuspruchs dieses Betrags gegenüber beiden Beklagten. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

[19] Die Revision der Klägerin ist betreffend die Erstbeklagte nicht zulässig.

[20] Ihre Revision betreffend dieZweitbeklagte ist infolge eines nach unionsrechtlichen Vorgaben anzunehmenden Schadens auch in Fällen, in denen das Fahrzeug bereits verkauft wurde, zulässig und auch teilweise berechtigt.

I. Zum Klagebegehren gegenüber der Erstbeklagten:

[21] 1. Die Klägerin stützt ihr Klagebegehren hinsichtlich der erstbeklagten Händlerin auf Gewährleistung und Irrtumsanfechtung. Das Recht auf Gewährleistung muss binnen zwei Jahren gerichtlich geltend gemacht werden. Die Frist beginnt mit dem Tag der Ablieferung (hier 30. 9. 2016), bei Rechtsmängeln aber erst mit dem Tag, an dem der Mangel dem Übernehmer bekannt wird (§ 933 Abs 1 ABGB in der Fassung BGBl I 2001/48). Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1487 ABGB für die Vertragsanfechtung wegen Irrtums beginnt mit Vertragsabschluss (hier: Juli 2016; RS0034350).

[22] 2. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die mit Klage vom 27. 11. 2019 geltend gemachten Gewährleistungs- und Irrtumsansprüche im Zusammenhang mit dem Kauf des Fahrzeugs bereits verjährt seien, ist daher nicht zu beanstanden. Diese Beurteilung wird von der Klägerin auch nicht angegriffen.

[23] 3. Wenn die Klägerin behauptet, bei der unzulässigen Abschalteinrichtung handle es sich nicht nur um einen Sach‑, sondern auch um einen Rechtsmangel, und suggeriert, die Gewährleistungsfrist für einen solchen Mangel sei noch nicht abgelaufen, ist ihr Folgendes entgegenzuhalten:

[24] Dass es ohne die im Fahrzeug verbaute Abschalteinrichtung keine Typisierung gegeben hätte, begründet keinen Rechtsmangel, weil das Fahrzeug nach den für den Obersten Gerichtshof bindenden Feststellungen seit dem Zeitpunkt der Übergabe über eine aufrechte Typ(en)genehmigung verfügte (9 Ob 21/22m Rz 41 mwN). Die bloß befürchtete mangelnde Rechtsbeständigkeit der EG‑Typ(en)genehmigung oder die bloß befürchtete, also nicht konkret drohende Aufhebung der Zulassung ist kein Rechtsmangel (3 Ob 40/23p Rz 25 f; [20. 12. 2023] 1 Ob 104/23k Rz 23 mwN ua).

[25] 4. Mangels Darlegung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist daher dieRevision betreffend die Erstbeklagte zurückzuweisen.

[26] 5. Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung der Erstbeklagten beruht auf § 50 Abs 1 und § 41 ZPO. Die Erstbeklagte hat auf die fehlende Zulässigkeit der Revision hingewiesen. Die Beklagten waren – in allen drei Instanzen – durch eine Rechtsanwaltsgesellschaft vertreten, sodass davon auszugehen ist, dass jede von ihnen die Hälfte der Gesamtkosten des Verfahrens erster Instanz und des Rechtsmittelverfahrens zu tragen hat (RS0036216). Der Erstbeklagten sind daher von der Klägerin die Hälfte der Gesamtkosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

[27] Eine Entscheidung über die Kosten der Erstbeklagten in den Unterinstanzen ist vom Obersten Gerichtshof nicht zu treffen, weil bereits rechtskräftige Entscheidungen der Vorinstanzen über die Kosten bestehen (nämlich in Höhe der Hälfte der den Beklagten vom Erst‑ und Berufungsgericht zugesprochenen Gesamtkosten) (6 Ob 243/11w [Punkt g)]).

II. Zum Klagebegehren gegenüber der Zweitbeklagten:

[28] 1. Beide Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass das Thermofenster, mit dem das Fahrzeug ausgestattet ist, eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art 5 Abs 2 Verordnung (EG) Nr 715/2007 ist, für das die zweitbeklagte Herstellerin einzustehen hat.

[29] Strittig sind im Revisionsverfahren nur die Aktivlegitimation der Klägerin und die Frage, ob die Zweitbeklagte der Klägerin trotz Verkaufs des Fahrzeugs Schadenersatz zu leisten hat.

[30] 2. Die Klägerin ist entgegen dem (bereits erstinstanzlich erhobenen) Einwand der Zweitbeklagten aktiv legitimiert:

[31] 2.1. Der Oberste Gerichtshof unterscheidet im Zusammenhang mit der Finanzierung des Kaufs eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs durch Leasing danach (10 Ob 53/23a Rz 15 ff; 3 Ob 226/23s Rz 14 f; 4 Ob 69/24m Rz 23 ff), ob ein Kaufvertrag des Leasingnehmers mit dem Fahrzeughändler nur der Spezifikation des Fahrzeugs diente (sodass der Leasinggeber unmittelbar in den Kaufvertrag eintrat) oder ob der Leasingvertrag erst nach dem Erwerb des Fahrzeugs abgeschlossen wurde.

[32] Der ersten Fallgruppe liegt zugrunde, dass der Leasingnehmer von Anfang an beabsichtigte, den Erwerb des Fahrzeugs über Leasing zu finanzieren (7 Ob 88/23a Rz 10 f; 7 Ob 128/23h Rz 12). Der Leasingvertrag bildet hier mit dem Kaufvertrag eine vertragliche Einheit und wird in der Regel gleichzeitig abgeschlossen (vgl 10 Ob 43/23a Rz 17). In dieser Konstellation tritt der Leasinggeber unmittelbar in den Kaufvertrag ein, sodass ihm und nicht dem Leasingnehmer ein Schaden entsteht (7 Ob 200/23x Rz 5 mwN).

[33] Die zweite Fallgruppe ist dadurch geprägt, dass der Kaufvertrag nicht ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs für den Abschluss eines Finanzierungsleasingvertrags diente, sondern zunächst ein zivilrechtlich wirksamer Kaufvertrag zwischen dem Händler und der späteren Leasingnehmerin zustande kam und erst in der Folge zur Finanzierung des Kaufpreises ein Leasingvertrag (einschließlich Übertragung des Eigentums am Fahrzeug vom Leasingnehmer an den Leasinggeber) zustande kommt (8 Ob 22/22a; 8 Ob 109/23x; 6 Ob 23/24m Rz 10 ff). In diesem Fall erleidet der Käufer (schon) durch den Abschluss des Kaufvertrags einen Schaden in seinem Vermögen. Ob er das Fahrzeug von Anfang an leasen wollte oder ob er es vom Leasinggeber später zurückkauft, wirkt sich darauf nicht aus ([22. 4. 2022] 8 Ob 22/22a Rz 11; [27. 6. 2023] 8 Ob 22/22a Rz 15; 8 Ob 109/23x Rz 40 ff; 3 Ob 226/23s Rz 15).

[34] 2.2. Welche der beiden Fallgruppen hier vorliegt, braucht nicht geklärt zu werden, weil die Klägerin jedenfalls aktiv legitimiert ist:

[35] Wird die Einheit des Kauf‑ und Leasingvertrags infolge des zeitlichen Abstands der beiden Verträge verneint und damit ein unmittelbarer Schadenseintritt bei der Klägerin bejaht, besteht ihre Aktivlegitimation schon aus diesem Grund. Da die Klägerin als Käuferin in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung den Wagen nicht gekauft hätte, hat sie wegen der der Herstellerin zur Last fallenden Schutzgesetzverletzung Anspruch auf Ersatz des Vermögensschadens (3 Ob 121/23z Rz 21; 8 Ob 109/23x Rz 46). Auf die Abtretung der Ansprüche der Leasinggeberin an die Klägerin als Leasingnehmerin kommt es in diesem Fall nicht an.

[36] Wird demgegenüber von der Finanzierung des Erwerbs des Fahrzeugs über einen zeitnah mit dem Kaufvertrag abgeschlossenen (und mit diesem eine vertragliche Einheit bildenden) Leasingvertrag ausgegangen, wodurch die Leasinggeberin in den ursprünglichen, ausschließlich der Spezifizierung des Fahrzeugs dienenden Kaufvertrag eingetreten wäre, kann zwar die Klägerin als Leasingnehmerin keinen Schaden aus dem Kaufvertrag geltend machen. Ihr wurden aber (noch vor Einbringung der Klage) von der Leasinggeberin rechtswirksam sämtliche Ansprüche betreffend das Fahrzeug – und damit auch gegenüber der Herstellerin – abgetreten. Da ihr damit auch Schadenersatzansprüche der Leasinggeberin als Käuferin abgetreten wurden, kann sie diese gegenüber der Zweitbeklagten geltend machen. Dem Einwand der Beklagten, bei der Leasinggeberin realisiere sich der geltend gemachte Schaden nicht, weil sie dem Kaufpreis entsprechende Leasingraten erhalten habe und sich so der überteuerte Kaufpreis vollständig amortisiert habe (vgl RS0120830), ist entgegenzuhalten, dass der von der Leasinggeberin als Käuferin abgeleitete Schadenersatz aufgrund des Minderwerts auf unionsrechtlichen Vorgaben beruht (10 Ob 7/24p Rz 30 mwN). Daher kann sich die Herstellerin – ebenso wie nach inzwischen ständiger Rechtsprechung im Fall der Weiterveräußerung (dazu gleich unten Punkt 3.) – nicht darauf berufen, dass sich der Schaden bei der Leasinggeberin nicht „realisiert“ habe.

[37] 3. Der Klägerin steht trotz Weiterverkaufs des Fahrzeug der Ersatz des Minderwerts zu.

[38] 3.1. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen und der Beklagten, durch den Verkauf des Fahrzeugs im Mai 2022 zum Marktpreis habe sich der Minderwert des Fahrzeugs infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung nicht realisiert, weicht von der nunmehr gefestigten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ab.

[39] 3.2. Der 9. Senat ist zu 9 Ob 2/23v [Rz 20 ff] ausdrücklich von seiner – vereinzelt gebliebenen – Entscheidung 9 Ob 33/22a abgegangen und hat Schadenersatz auch bei der Weiterveräußerung des Fahrzeugs zugesprochen. Er begründete dies unter Verweis auf die Entscheidungen 10 Ob 2/23a [Rz 22] und 10 Ob 27/23b [Rz 25] sowie des EuGH (C‑100/21 , Mercedes‑Benz Group AG, Rn 84) damit, dass im Fall des Erwerbs eines mit einer im Sinn des Art 5 Verordnung (EG) 715/2007 unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs das – den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechend einen Schaden im Sinn des § 1293 ABGB bildende – geringere rechtliche Interesse in der (objektiv) eingeschränkten Nutzungsmöglichkeit liegt. Diese Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags ist nach den Vorgaben des EuGH somit als unionsrechtlich relevanter Schaden anzusehen, dies auch in Fällen, in denen das Fahrzeug später verkauft wurde. Steht dabei fest, dass kein Minderwert vorliegt oder das Fahrzeug bereits verkauft wurde oder dass ein daraus resultierender Schaden behauptet wird, ist dies (nur) im Rahmen der Bandbreite des zu bemessenden Ersatzanspruchs zu berücksichtigen (9 Ob 2/23v Rz 25). Dem sind weiter Senate des Obersten Gerichtshofs gefolgt (6 Ob 19/24y; 5 Ob 33/24z).

[40] Der nach den Vorgaben des EuGH zu bemessende Schaden ist bereits aufgrund des Kaufvertrags eingetreten (10 Ob 27/23b Rz 25). Dass die Nutzung des Fahrzeugs durch die Klägerin bis zum Weiterverkauf und der Weiterverkauf an sich nichts (mehr) an dem objektiv bereits bei Kaufvertragsabschluss eingetretenen Schaden der Klägerin oder – bei Relevanz der Abtretung – der Leasinggeberin ändern konnte, ist durch höchstgerichtliche Rechtsprechung mittlerweile geklärt (6 Ob 19/24y Rz 23 f; 5 Ob 33/24z Rz 13 f).

[41] 3.4. Die Klägerin hat daher infolge der unzulässigen Abschalteinrichtung Anspruch auf Ersatz des Minderwerts. Fest steht, dass ein Fahrzeug, das nicht den gesetzlichen und technischen Vorgaben der Verordnung (EG) 715/2007 entspricht, einen um 10 % geringeren Wert hat als ein Fahrzeug, das die Rechtsvorschriften einhält. Im Hinblick darauf, dass das Fahrzeug bereits verkauft wurde, ist ein Abschlag vorzunehmen. Diesbezüglich erachtet der Senat – in Übereinstimmung mit 6 Ob 19/24y – einen Zuspruch von 7 % des Kaufpreises für angemessen. Insgesamt ergibt sich daher ein Zuspruch von gerundet 3.750 EUR sA, die Abweisung beträgt – einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils des Zahlungsbegehrens – 11.250 EUR sA.

[42] 3.5. Die gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung, wonach der primär nach unionsrechtlichen Anforderungen zu bestimmende Ersatz des Minderwerts im Sinn des § 273 Abs 1 ZPO nach freier Überzeugung innerhalb einer Bandbreite von 5 % bis 15 % des gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises festzusetzen ist (RS0134498), steht der von der Klägerin auf Maderbacher (VbR 2023/63) gestützten Ansicht entgegen, 5 % des Kaufpreises stünden ihr als „Abschreckungsanteil“ zusätzlich zum Minderwert zu (5 Ob 33/24z Rz 24).

[43] 4. Der Revision der Klägerin betreffend die Ansprüche gegenüber der Zweitbeklagten ist daher teilweise Folge zu geben.

[44] Der Zinsenzuspruch beruht darauf, dass die Klägerin in Abänderung des ursprünglichen Klagebegehrens mit Schriftsatz vom 10. 10. 2022 den Zuspruch von 15.000 EUR „samt 4 % Zinsen p.a.“ begehrte. Ein Anspruch auf Schadenersatz wird ganz allgemein erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (RS0023392 [T6; T8]). Die Änderung des Klagebegehrens erfolgte mit Vortrag in der darauffolgenden Verhandlung und damit auch die Geltendmachung gegenüber der Zweitbeklagten, sodass der Zinsenlauf mit 20. 10. 2022 beginnt.

[45] 5. Die Entscheidung über die Kosten der Klägerin im Revisionsverfahren gegen die Zweitbeklagte beruht auf § 50 Abs 1, § 43 Abs 1 ZPO. Sie hat gegenüber der Zweitbeklagten ausgehend vom Revisionsbegehren von 7.500 EUR mit 50 % obsiegt, sodass Kostenaufhebung eintritt und sie von der Zweitbeklagten die Hälfte der Pauschalgebühr gemäß TP 3 GGG (ohne Streitgenossenzuschlag nach § 19a GGG) ersetzt erhält.

[46] Zur Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz wird auf die Judikatur verwiesen, wonach bei einem Erfordernis eingehender Kostenberechnung – wie hier – die Kostenentscheidung der ersten Instanz aufgetragen werden kann (RS0124588 [T13]). Dabei wird das Erstgericht zu berücksichtigen haben, dass sich die Aufhebung der Kostenentscheidungen nur auf die Hälfte des – nach Kopfteilen zu verstehenden und in Bezug auf die Erstbeklagte rechtskräftigen – Zuspruchs bezieht.

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