OGH 10Ob13/24w

OGH10Ob13/24w14.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula, Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*, vertreten durch die Poduschka Partner Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, gegen die beklagte Partei V*, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 6.900 EUR sA und Feststellung, über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 6.900 EUR sA) gegen das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2023, GZ 18 R 43/23p‑56, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Braunau vom 28. September 2023, GZ 5 C 762/21d‑51, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00013.24W.0514.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im angefochtenen Umfang (des Leistungsbegehrens, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei 6.900 EUR samt 4 % Zinsen seit 25. Mai 2012 zu zahlen) und im Kostenpunkt aufgehoben. Die Rechtssache wird in diesem Umfang zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Die Klägerin unterzeichnete am 25. Mai 2012 einen Kaufvertrag (mit einem gewerblichen Fahrzeughändler als Verkäufer) über einen Audi A3 Sportback 1.6 TDI Style. Für die Klägerin war bereits damals klar, dass sie zur Finanzierung des Fahrzeugs einen Leasingvertrag abschließen wird. Zugleich mit der Übergabe des Fahrzeugs im August 2012 unterfertigte die Klägerin einen Restwertleasingvertrag mit einer Leasingbank als Leasinggeberin und der Klägerin als Leasingnehmerin über den Kaufpreis mit einer Laufzeit von drei Jahren. Nach Ablauf dieser Laufzeit des Leasingvertrags im Jahr 2015 bezahlte die Klägerin noch den darin vereinbarten Restwert.

[2] Das am 24. August 2012 erstmals zugelassene Fahrzeug ist mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet und unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 6. 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl L 171/1 vom 29. 6. 2007; künftig: VO 715/2007/EG ).

[3] Zum Zeitpunkt der im Jahr 2012 erfolgten Typengenehmigung, Auslieferung und auch Erstzulassung war in der Software des Emissionskontrollsystems des Fahrzeugs eine „Umschaltlogik“ enthalten, die in der Lage war, zu erkennen, ob sich das Fahrzeug im realen Betrieb oder auf einem Prüfstand (NEFZ-Prüfstand) befindet. Diese Software sorgte im letzteren Fall durch Umschalten in einen „Modus 1“ dafür, dass – für die Dauer des Prüfbetriebs – durch entsprechende weitreichende Abgasrückführung die vorgegebenen Abgaswerte eingehalten wurden, während im realen Betrieb der „Modus 0“ geschalten war, wodurch aufgrund der Verhinderung der Abgasrückführung die Abgaswerte nicht mehr eingehalten wurden.

[4] Außerdem ist im Fahrzeug – vor und nach der durch ein im März 2018 vorgenommenes Software-Update erfolgten Entfernung dieser „Umschaltlogik“ – ein temperatur- und höhengesteuertes Abgasrückführungssystem enthalten. Die Temperatur- und Höhenabhängigkeit dieses Systems liegt darin begründet, dass eine volle Abgasrückführung nur innerhalb eines bestimmen Temperaturbereichs („Thermofenster“) und bis zu einer bestimmten geodätischen Höhe erfolgt. Außerhalb dieses Thermofensters und der geodätischen Höhe wird das Ausmaß des rückgeführten Abgases reduziert und ab einem bestimmen Bereich sodann gänzlich unterbunden, sodass es zu einem erhöhten NOx-Ausstoß kommt.

[5] Der im Kaufvertrag vereinbarte und mit der Übergabe des Fahrzeugs fällige Kaufpreis von 23.000 EUR war nach den erstgerichtlichen Feststellungen „angemessen und branchenüblich“. Für die Klägerin war die Marke des Fahrzeugs bei der Kaufentscheidung der entscheidende Umstand; technische Details des Fahrzeugs sowie das Emissions- bzw Abgasverhalten respektive die Umweltfreundlichkeit waren für ihre Kaufentscheidung nicht entscheidungsrelevant. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin dann, wenn sie gewusst hätte bzw davon ausgegangen wäre, dass das Fahrzeug zum Ankaufzeitpunkt geltende Abgasnormen nicht einhalten würde, das Fahrzeug nicht oder nur zu einem geringeren Preis gekauft hätte.

[6] Nach den getroffenen Feststellungen gab und gibt es am österreichischen Gebrauchtwagenmarkt keinen „Wertverlust“ für Fahrzeuge mit Dieselmotoren, auch nicht von Fahrzeugen mit Dieselmotoren, die vom „Dieselabgasskandal“ betroffen sind und zwar unabhängig davon, ob bei diesen Fahrzeugen bereits das Software-Update aufgespielt wurde. Auch beim Fahrzeug der Klägerin trat seit dem Kauf durch die Klägerin zu keinem Zeitpunkt eine „objektive Wertminderung“ deshalb ein, weil darin das temperatur- und höhenabhängige und mit einer „Taxifunktion“ ausgestattete Abgasrückführungssystem weiterhin vorhanden und tätig ist. Für den Fall eines rechtswirksamen Entzugs der Typengenehmigung wäre das Fahrzeug im EU-Raum praktisch nicht mehr zu betreiben und könnte nur mehr als Teilespender dienen oder ins EU-ferne, weniger strenge Abgasvorschriften vorsehende Ausland exportiert werden, sodass sich in diesem Fall der Zeitwert des Fahrzeugs halbieren würde.

[7] DieKlägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung von 6.900 EUR sA sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden Schaden der Klägerin aus dem Kauf des Fahrzeugs. Die Beklagte habe vorsätzlich eine unzulässige Abschalteinrichtung entwickelt und eingebaut. Der Schaden liege darin, ein mit einem Mangel behaftetes Fahrzeug um 30 % überteuert erworben zu haben. Die Klägerin habe darauf vertraut, ein den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug zu erwerben. Durch das Software-Update sei der gesetzeskonforme Zustand nicht hergestellt worden, weil auch das „Thermofenster“ eine unzulässige Abschalteinrichtung sei.

[8] Die Beklagte bestritt. Es lägen kein Wertverlust, kein Schaden, kein Vermögensnachteil, keine Täuschung und kein Irrtum vor; die „technische Maßnahme“ (das Software-Update) sei erfolgreich gewesen. Mit der Durchführung des Software-Updates sei ein allfälliger – bestrittener – Mangel beseitigt worden, weil das „Thermofenster“ von den zuständigen Behörden als rechtskonforme Maßnahme zum Bauteilschutz eingestuft worden sei. Die Klägerin habe keinen Schaden erlitten, weil das Fahrzeug über eine aufrechte EG‑Typengenehmigung verfüge und im Straßenverkehr uneingeschränkt benutzbar sei. Das mängelfreie Fahrzeug habe dem vertraglich Geschuldeten entsprochen. Es fehlten auch der Kausalzusammenhang zwischen der behaupteten Täuschung und dem Vertragsabschluss sowie ein Verschulden der Beklagten. Die Klägerin habe kein rechtliches Interesse am Feststellungsbegehren. Das Klagebegehren sei verjährt.

[9] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Das Leistungsbegehren scheitere bereits daran, dass die Klägerin bislang keinerlei finanzielle Nachteile, Schäden oder Wertminderungen erlitten habe. Ein Schadenersatzanspruch sei auch deswegen zu verneinen, weil kein Verschulden der Beklagten vorliege, sodass es auch am Feststellungsinteresse fehle.

[10] Das Berufungsgericht gab der nur gegen die Abweisung des Leistungsbegehrens gerichteten Berufung der Beklagten nicht Folge. Es ging von der Schlüssigkeit der Klage aus. Auch wenn der Kaufpreis über einen Leasingvertrag finanziert worden sei, habe die Klägerin einen eigenen Schaden behauptet, der Grundlage eines Ersatzanspruchs sei. Sowohl die „Umschaltlogik“ als auch das „Thermofenster“ seien als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren. Das Leistungsbegehren scheitere nicht daran, dass kein Schaden vorliege. Ein Schadenseintritt wäre nur dann zu verneinen, wenn keine unzulässige Abschalteinrichtung vorläge oder ein den objektiven Verkehrserwartungen nicht genügendes Fahrzeug dennoch konkret dem Willen des Käufers entspreche. Letzteres sei von der Beklagten gar nicht behauptet worden und lasse sich auch aus dem festgestellten Sachverhalt nicht ableiten. Dennoch sei der Berufung ein Erfolg zu versagen, weil die Klägerin spätestens am 20. Oktober 2015 Kenntnis von der Betroffenheit des Fahrzeugs von der „EA189-Thematik“ erlangt habe. Zu diesem Zeitpunkt sei der Klägerin die Verwendung der „Umschaltlogik“ bekannt und die Möglichkeit der Klagseinbringung gegeben gewesen, sodass aus der „Umschaltlogik“ ableitbare Schadenersatzansprüche im Zeitpunkt der beinahe sechs Jahre später eingebrachten Klage verjährt seien. Die 30-jährige Verjährungsfrist komme nicht zur Anwendung, weil die Klägerin zwar einen Schaden nach zivilrechtlichen Kriterien, nicht aber einen solchen im strafrechtlichen Sinn erlitten habe. Hinsichtlich der Implementierung des Thermofensters sei kein Verjährungseinwand erhoben worden, doch komme ein darauf gestützter Schadenersatzanspruch nicht in Betracht, weil dazu festgestellt worden sei, die konkrete Ausgestaltung dieser Abschalteinrichtung sei der zuständigen Typengenehmigungsbehörde offengelegt und von dieser genehmigt worden, was der Annahme eines im Sinn der §§ 874 oder 1295 Abs 2 ABGB relevanten Verhaltens entgegen stehe.

[11] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil maßgebliche Rechtsfragen, insbesondere jene der Verjährung, wenn strafrechtlich gesehen kein Schaden eingetreten sei, für eine Vielzahl vergleichbarer anhängiger Verfahren relevant seien und dazu noch keine gesicherte höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

[12] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinn einer Stattgabe des Leistungsbegehrens, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[13] Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortungdie Zurückweisung des Rechtsmittels, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14] Die Revision ist zulässig und im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

[15] 1. Das Berufungsgericht bestätigte die Abweisung des Leistungsbegehrens durch das Erstgericht, weil es Schadenersatzansprüche der Klägerin als verjährt ansah. Dem hält die Klägerin zutreffend entgegen, dass die Ansprüche nicht verjährt sind.

[16] 1.1. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung, dass der Geschädigte, wenn er annehmen darf, dass der aufgetretene Schaden behoben worden sei, nicht anders zu behandeln ist, als wenn er von einem – an sich vorhandenen – Schaden bisher überhaupt noch nicht Kenntnis erlangt hat, weil für ihn auch in einem solchen Fall nicht der geringste Anlass zur Klage besteht (RS0034426). Da auch die Eigentümer der vom Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge nach Durchführung des Software-Updates mit gutem Grund davon ausgehen durften, dass der bei Erwerb des Fahrzeugs vorliegende Mangel behoben wurde, hat der Oberste Gerichtshof inzwischen mehrfach ausgesprochen, dass die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB in dem Zeitpunkt zu laufen beginnt, in dem die Fahrzeughalter davon Kenntnis erlangten, dass trotz des Software-Updates nach wie vor eine unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden ist (5 Ob 141/23f Rz 18; 8 Ob 81/23d Rz 19; 6 Ob 181/23w Rz 15; 10 Ob 31/23s Rz 64 f; 9 Ob 33/23b Rz 26).

[17] 1.2. Hier wurde beim Fahrzeug der Klägerin unstrittig im März 2018 das kostenlose Software-Update durchgeführt. Die Klägerin brachte auch ausdrücklich vor, darauf vertraut zu haben, dass ihr Fahrzeug danach in einem normkonformen Zustand sei, und erst 2020 konkret Kenntnis darüber erhalten zu haben, dass die medialen Zusicherungen der Beklagten unrichtig seien. Diesem Vorbringen setzte die – für den Beginn der Verjährungsfrist behauptungs- und beweispflichtige (RS0034456 [T3, T4]) – Beklagte auf Tatsachenebene nichts Substantielles entgegen. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB war bei Einbringung der Klage somit nicht abgelaufen, sodass allfällige Schadenersatzansprüche der Klägerin nicht verjährt sein können. Auf die in der Revision darüber hinaus thematisierte Frage, ob die 30‑jährige Verjährungsfrist zur Anwendung gelangen könnte, ist mangels Relevanz für die Entscheidung nicht einzugehen.

[18] 1.3. Da die Beurteilung des Berufungsgerichts die Abweisung des Leistungsbegehrens nicht zu tragen vermag, ist der von der Klägerin geltend gemachte Schadenersatzanspruch zu prüfen.

[19] 2. Dieser stützt sich auf das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs der Klägerin.

[20] 2.1. Nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG ist die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, grundsätzlich unzulässig.

[21] 2.2. Art 5 Abs 2 Satz 2 VO 715/2007/EG normiert nur drei Ausnahmetatbestände von diesem grundsätzlichen Verbot von Abschalteinrichtungen. Soweit sich die Beklagte auf eine Ausnahme vom Verbot des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG stützen will, läge es daher an ihr, die für die Verbotsausnahme erforderlichen Voraussetzungen zu behaupten und zu beweisen (10 Ob 31/23s Rz 25; 6 Ob 155/22w Rz 66; 1 Ob 149/22a Rz 46).

[22] 2.3. Hinsichtlich der im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs vorhandenen „Umschaltlogik“ trägt die Beklagte solche Umstände, aus denen sich ihre ausnahmsweise Zulässigkeit ergeben könnte, gar nicht vor. Der Oberste Gerichtshof hat auch bereits ausgesprochen, dass diese „Umschaltlogik“ jedenfalls als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinn des Art 3 Z 10 und Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG zu qualifizieren ist (10 Ob 2/23a vom 21. 2. 2023 Rz 47 uva).

[23] 2.4. Dem Schadenersatzanspruch der Klägerin hielt die Beklagte in erster Instanz entgegen, dass der Schaden durch das Software-Update infolge Entfernung der „Umschaltlogik“ beseitigt worden sei.

[24] 2.4.1. Tatsächlich war auch nach dem Software-Update weiterhin ein „Thermofenster“ vorhanden, das nach dem erstinstanzlichen Vorbringen der Beklagten – jedenfalls nach dem Software-Update – (nur) zwischen ca + 15 Grad Celsius und ca + 33 Grad Celsius Umgebungstemperatur die volle Abgasrückführung gewährleistet. Da Temperaturen außerhalb dieses Umgebungstemperaturbereichs (also unter ca + 15 Grad Celsius und über ca + 33 Grad Celsius) im Unionsgebiet (und in Österreich) bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, gestand die Beklagte damit das (weitere) Vorliegen einer Abschalteinrichtung ohnedies zu.

[25] 2.4.2. Dass diese Abschalteinrichtung ausnahmsweise zulässig wäre, behauptete die – dafür behauptungs- und beweispflichtige – Beklagte schon in der Berufungsbeantwortung nicht mehr und sie hält derartiges dem Leistungsbegehren auch in der Revisionsbeantwortung nicht mehr entgegen, obwohl sich nach der Beurteilung des Berufungsgerichts aus den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen keine ausnahmsweise Zulässigkeit der (damit unzulässigen) Abschalteinrichtungen ergebe. Insbesondere hat die Beklagte auch das Vorbringen der Klägerin in erster Instanz zu keinem Zeitpunkt substantiiert bestritten, nach dem es damals (näher bezeichnete) technische Alternativen gegeben habe, wie zu dieser Zeit in Deutschland produzierte und in den USA verkaufte Fahrzeugmodelle zeigten. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs können mit dem vorliegenden vergleichbare „Thermofenster“ aber nicht als notwendig im Sinn des Art 5 Abs 2 Satz 2 lit a VO 715/2007/EG angesehen werden (2 Ob 5/23h Rz 27; 10 Ob 31/23s Rz 28 ff).

[26] 2.4.3. Nach der Rechtsprechung wird der Schaden jedoch nicht beseitigt, wenn durch das angebotene Software-Update zwar der „Umschaltmodus“ entfernt wird, aber infolge eines „Thermofensters“ eine unzulässige Abschalteinrichtung weiter aktiv ist (4 Ob 204/23p Rz 47; 9 Ob 33/23b Rz 27).

[27] 2.5. Als Zwischenergebnis ist daher festzuhalten, dass sowohl im Zeitpunkt des Erwerbs des Fahrzeugs am 25. Mai 2012 als auch nach dem Software-Update im März 2018 eine nach Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG unzulässige Abschalteinrichtung vorhanden war.

[28] 3.1. Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs kann ein individueller Fahrzeugkäufer nur die Person oder Stelle für einen deliktischen Schadenersatzanspruch aus der (bloß schuldhaften) Verletzung des als Schutzgesetz zu qualifizierenden Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG in Anspruch nehmen, die im Typengenehmigungsverfahren als Herstellerin des Fahrzeugs aufgetreten ist und die Übereinstimmungsbescheinigung ausgestellt hat (6 Ob 16/23f Rz 19; 6 Ob 161/22b Rz 27; 4 Ob 204/23p Rz 31). Diese Voraussetzungen sind bei der Beklagten im vorliegenden Verfahren unstrittig nicht erfüllt. Die Ausführungen der Klägerin in der Revision geben keinen Anlass von dieser Rechtsprechung abzugehen.

[29] 3.2. Eine unmittelbare Haftung der Beklagten als Herstellerin des Motors ist aber nach § 1295 Abs 2 und § 874 ABGB möglich (6 Ob 16/23f Rz 21; 6 Ob 161/22b Rz 30 ff; 3 Ob 40/23p Rz 34; 10 Ob 31/23s Rz 50 ua), worauf die Klägerin ihren Anspruch auch stützt.

[30] 3.2.1. Die Schadenersatzpflicht nach § 874 ABGB greift auch dann Platz, wenn die arglistige Irreführung nicht durch den Vertragspartner, sondern durch einen Dritten erfolgt ist (RS0016298). Auch wenn feststeht, dass der Käufer eines Fahrzeugs dieses bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erworben hätte, kann er durch die Veranlassung der Leistung eines überhöhten Kaufpreises am Vermögen geschädigt worden sein (4 Ob 204/23p Rz 48; 10 Ob 31/23s Rz 51; vgl 4 Ob 1/17a).

[31] 3.2.2. Schadenersatz kommt nach § 874 ABGB aber nur bei Vorsatz in Betracht (10 Ob 31/23s Rz 52). Das gleiche gilt für die von der Klägerin ebenfalls angezogenen Anspruchsgrundlage des § 1295 Abs 2 ABGB (10 Ob 31/23s Rz 56). Die Beklagte haftet gegebenenfalls für ihre Organe und das Verhalten jener Personen, die in ihrer Organisation eine leitende Stellung innehaben und dabei mit eigenverantwortlicher Entscheidungsbefugnis ausgestattet sind (RS0009113; RS0009133 [T5]). Die Klägerin hat auch substantiierte Behauptungen in diese Richtung aufgestellt, wozu aber – worauf die Beklagte in der Revisionsbeantwortung zutreffend hinweist – keine Feststellungen getroffen wurden.

[32] 3.2.3. Für die abschließende rechtliche Beurteilung wären daher Feststellungen dazu erforderlich, ob die der Beklagten zuzurechnenden Personen (Repräsentanten) es zumindest für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie bewirkten oder dazu beitrugen, dass Fahrzeuge mit dem von ihr hergestellten Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehen waren und an Fahrzeugkäufer wie die Klägerin verkauft wurden, die im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses Fahrzeuge ohne unzulässige Abschalteinrichtung erwerben wollten und ohne diesen Irrtum keinen bzw nur einen Vertrag mit anderem Inhalt geschlossen hätten (8 Ob 71/23h Rz 22; 10 Ob 31/23s Rz 53). In diesem Zusammenhang ist auch auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu verweisen, dass der bewusste Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die dazu dienen soll, die Grenzwerte zur Erlangung der Typengenehmigung einzuhalten, ohne Vorliegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände jedenfalls subjektiv vorwerfbar ist (4 Ob 165/23b Rz 19; vgl 8 Ob 70/23m Rz 25). Sollte sich die Beklagte in diesem Zusammenhang auf einen (Vorsatz ausschließenden) Rechtsirrtum berufen, wäre zu prüfen, inwiefern sie (bzw die ihr zuzurechnenden Personen) ernsthaft annehmen konnte(n), dass eine die Erreichung der vorgegebenen Abgaswerte am Prüfstand bezweckende Abschalteinrichtung zulässig sein könnte (vgl 4 Ob 165/23b Rz 20).

[33] 3.2.4. Bei dieser Prüfung ist nur von Bedeutung, ob die Beklagte vorsätzlich ein schadensverursachendes Verhalten setzte. Eine zwischenzeitige Verhaltensänderung könnte grundsätzlich nichts an der Unzulässigkeit einer (gegebenenfalls arglistig zur Anwendung gebrachten) Abschalteinrichtung ändern (6 Ob 84/23f Rz 27 f). Wurde die „Umschaltlogik“ in diesem Sinn vorsätzlich im gegenständlichen Motor zur Anwendung gebracht, wäre es darüber hinaus irrelevant, ob das weitere Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach dem Software-Update der Beklagten als Verschulden anzulasten wäre oder ob ihr insofern – worauf in der Revisionsbeantwortung Bezug genommen wird – ein unverschuldeter Rechtsirrtum zugute käme. Hätte die Beklagte nämlich hinsichtlich der ursprünglich unzulässigen Abschalteinrichtung einen Irrtum arglistig herbeigeführt, würde die Haftung nicht dadurch entfallen, dass der Versuch der Schadensbeseitigung unverschuldet fehlschlug (RS0134560).

[34] 4. Entgegen der von der Beklagten in der Revisionsbeantwortung vertretenen Rechtsansicht kann das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens nicht schon mit der Begründung verneint werden, dass das der Beklagten von der Klägerin vorgeworfene Verhalten für den Erwerb des Fahrzeugs nicht kausal gewesen wäre.

[35] 4.1. Für den Umstand, dass im hier zu beurteilenden Fall (ausnahmsweise) kein Schaden eingetreten sei, weil die Klägerin die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit in Kauf genommen hätte, ist die Beklagte behauptungs- und beweispflichtig (6 Ob 197/23y Rz 19; 6 Ob 133/23m Rz 7). In diese Richtung abzielende Tatsachen hat die Beklagte – wie das Berufungsgericht zutreffend hervorhob – aber nicht vorgetragen.

[36] 4.2. Die vom Erstgericht getroffene und von der Beklagten in der Revisionsbeantwortung thematisierte Negativfeststellung, nach der nicht feststeht, dass die Klägerin das Fahrzeug nicht oder nur zu einem geringeren Preis gekauft hätte, wenn sie gewusst hätte, dass es geltende Abgasnormen nicht einhalten würde, kommt der Beklagten – aufgrund der sie treffenden Behauptungs- und Beweislast – schon grundsätzlich nicht zugute, sagt aber darüber hinaus – worauf das Berufungsgericht zutreffend hinwies – ohnedies nichts darüber aus, ob die Klägerin die Notwendigkeit eines Software-Updates und die mit der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit in Kauf nahm (vgl 10 Ob 16/23k Rz 45).

[37] 5. Schließlich ist auch der in der Revisionsbeantwortung von der Beklagten aufrecht erhaltene Einwand der Unschlüssigkeit der Klage nicht zielführend.

[38] 5.1. Der Oberste Gerichtshof unterscheidet in vergleichbaren Fällen im Zusammenhang mit der Finanzierung des Erwerbs eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs durch Leasing danach, ob ein Leasingvertrag erst nach dem Erwerb abgeschlossen wurde oder ob der (gleichzeitig abgeschlossene) Kaufvertrag nur der Spezifikation des Fahrzeugs diente (und die Leasinggeberin unmittelbar in den Kaufvertrag eintrat).

[39] 5.1.1. Behauptet ein Kläger, dass er einen zivilrechtlich voll wirksamen Kaufvertrag (zu einem überhöhten Preis) und erst nachträglich einen Leasingvertrag geschlossen habe, wird angenommen, dass der Kauf des Fahrzeugs und der Leasingvertrag keine vertragliche Einheit bilden, und im Abschluss des Kaufvertrags ein schlüssig geltend gemachter Schaden gesehen (6 Ob 23/24m Rz 11; 8 Ob 109/23x Rz 40, 43, 45; 8 Ob 22/22a [Unterbrechungsbeschluss vom 22. 4. 2022: Rz 11; Beschluss vom 27. 6. 2023: Rz 15]).

[40] 5.1.2. Wird demgegenüber die Finanzierung des Erwerbs des Fahrzeugs über einen gleichzeitig mit dem Kaufvertrag abgeschlossenen (und mit diesem daher eine vertragliche Einheit bildenden) Leasingvertrag behauptet und bleibt somit nach dem klägerischen Vorbringen die Möglichkeit, dass die Leasinggeberin in den ursprünglichen, ausschließlich der Spezifikation des Fahrzeugs dienenden Kaufvertrag eintrat, wird die schlüssige Geltendmachung eines Schadens aus diesem Kaufvertrag verneint (5 Ob 118/23y Rz 10 f; 7 Ob 88/23a Rz 11, 15; 7 Ob 128/23h Rz 12).

[41] 5.2. Im vorliegenden Fall behauptete die Klägerin das Fahrzeug gekauft und den Leasingvertrag (erst Monate später) nachträglich zur Finanzierung des Kaufpreises geschlossen zu haben, was auch in diesem Sinn festgestellt wurde. Wie der Geschädigte den von ihm geschuldeten Kaufpreis letztlich finanziert, ist für den Schadenseintritt ohne Bedeutung. Anhaltspunkte dafür, dass die Leasinggeberin anstelle der Klägerin in den Kaufvertrag eintrat, der Kaufvertrag lediglich der Spezifikation des Fahrzeugs gedient hätte und der geltend gemachte Schaden somit nicht im Vermögen der Klägerin eingetreten wäre (vgl 10 Ob 53/23a Rz 25), lassen sich weder dem Vorbringen der Parteien noch dem festgestellten Sachverhalt entnehmen.

[42] 6. Aus dem Gesagten folgt, dass die Rechtssache mangels Feststellungen zur behaupteten listigen Irreführung im Sinn des § 874 ABGB und sittenwidrigen Schädigung im Sinn des § 1295 Abs 2 ABGB (oben Pkt 3.2.3.) nicht spruchreif ist. Die Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen war daher unvermeidlich.

[43] 7. Sollte sich aufgrund der ergänzenden Feststellungen eine Haftung der Beklagten dem Grunde nach ergeben, wäre die Höhe des Schadens nach den folgenden Grundsätzen zu prüfen.

[44] 7.1. Hält der Getäuschte – wie die Klägerin im vorliegenden Fall – am Vertrag fest, ist der Schaden aufgrund der relativen Berechnungsmethode zu ermitteln (RS0107864; RS0014750).

[45] Gegebenenfalls wären daher Feststellungen zu einer allfälligen Wertdifferenz des Fahrzeugs mit und ohne unzulässige Abschalteinrichtung im Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses zu treffen. Der Ermittlung des Werts der wertgeminderten Sache wäre der gemeine Wert im Sinn des § 305 ABGB zugrunde zulegen (§ 306 ABGB), also der Verkehrswert (Austauschwert; RS0113651) des mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs (ohne Berücksichtigung eines Software-Updates, das im Erwerbszeitpunkt nicht verfügbar war und die unzulässige Abschalteinrichtung letztlich auch nicht beseitigte). Sollte ein solcherart wertgemindertes (Neu-)Fahrzeug keinen Verkehrswert aufweisen, weil diese oder vergleichbare Gegenstände (am Neuwagenmarkt) tatsächlich nicht – unter Offenlegung der Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit infolge mangelnder Zulassungsfähigkeit – gehandelt wurden, käme die Heranziehung des Herstellungswerts in Betracht (RS0118782).

[46] Ist die Höhe des gemeinen Werts im Sinn des § 305 ABGB aber gar nicht oder nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten zu ermitteln – etwa wenn Fahrzeuge mit unzulässiger Abschalteinrichtung (und offen gelegter Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit infolge mangelnder Zulassungsfähigkeit) tatsächlich nicht oder nicht ausreichend häufig gehandelt wurden –, käme freilich – auch unter Übergehung eines angebotenen (Sachverständigen-) Beweises – die Anwendung des § 273 ZPO in Betracht (vgl RS0018735).

[47] 7.2. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten ist der Schaden aufgrund der bereits getroffenen Feststellungen auch nicht „mit Null“ zu beziffern (und die Entscheidungen der Vorinstanzen nicht aus diesem Grund zu bestätigen). Die Feststellung, dass der Kaufpreis „angemessen und branchenüblich“ war, lässt den konkreten Wert des (wertgeminderten) Fahrzeugs nicht erkennen und darüber hinaus offen, ob dem Vergleich die vereinbarte Gegenleistung (ein Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung) oder die tatsächlich übergebene Sache (ein Fahrzeug mit unzulässiger Abschalteinrichtung) zugrunde gelegt wurde. Die Feststellungen über die Preisentwicklung am Gebrauchtwagenmarkt oder die „Wertminderung seit dem Ankauf“ stellen nicht auf den hier relevanten (Neuwagen-)Markt und auch nicht auf den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags ab (10 Ob 46/23x Rz 19). Nur der Vollständigkeit halber ist zu erwähnen, dass auch bei Ermittlung des Verkehrswerts eines mangelhaften Gebrauchtwagens die tatsächlich für entsprechend mangelhafte Fahrzeuge erzielten Kaufpreise zugrunde zu legen wären, was voraussetzen würde, dass der vorliegende Mangel in die Preisbildung eingeflossen ist, indem die beteiligten Personen (insbesondere die am Gebrauchtwagenmarkt auftretenden Erwerber) die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit tatsächlich ernstlich in Kauf nahmen – wofür es hier keine Anhaltspunkte gibt.

[48] 7.3. Weitere Überlegungen zur Höhe eines allfälligen Schadenersatzanspruchs der Klägerin erübrigen sich in diesem Verfahrensstadium, sodass insbesondere nicht auf den in erster Instanz erhobenen Einwand der Beklagten einzugehen ist, wonach bestimmte, von ihr behauptete Vorteile im Rahmen der Vorteilsausgleichung zu berücksichtigen seien. Zur behaupteten Aufwertung des Fahrzeugs durch das Software-Update sei allerdings schon an dieser Stelle auf die obigen Ausführungen (Pkt 2.4.3.) verwiesen, wonach das Software-Update am Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung nichts änderte.

[49] 8.1. Der Revision war damit im Sinn des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrags Folge zu geben. Im fortgesetzten Verfahren wird die Sachverhaltsgrundlage entsprechend zu erweitern sein (oben Pkt 3.2.3., gegebenenfalls Pkt 7.1.). Bei den anderen in der vorliegenden Entscheidung behandelten Themen (Verjährung [Pkt 1.], Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung [Pkt 2.], Kausalität des Verhaltens der Beklagten [Pkt 4.] und Irrelevanz des abgeschlossenen Leasingvertrags [Pkt 5.]) handelt es sich um abschließend erledigte Streitpunkte, die dem fortgesetzten Verfahren zugrunde zu legen sind (RS0042031).

[50] 8.2. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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