OGH 4Ob14/24y

OGH4Ob14/24y10.9.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schwarzenbacher als Vorsitzenden sowie den Vizepräsidenten Hon.‑Prof. PD Dr. Rassi, den Hofrat Mag. Dr. Wurdinger, die Hofrätin Mag. Waldstätten und den Hofrat Dr. Stiefsohn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei *, Spanien, vertreten durch die SRG Stock Rafaseder Gruszkiewicz Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei * Privatstiftung, *, vertreten durch Dr. Malte Berlin, Rechtsanwalt in Salzburg, als Verfahrenshelfer, wegen Feststellung (100.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 10. November 2023, GZ 2 R 149/23d‑46, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 20. August 2023, GZ 2 Cg 75/22m‑41, geändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0040OB00014.24Y.0910.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Zivilverfahrensrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.811,30 EUR (darin 468,55 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

[1] Der Kläger bot der Beklagten am 25. 10. 2019 den Abschluss zweier Kaufverträge an und erklärte, ihr mit diesen Angeboten bis 31. 10. 2025 „im Wort zu bleiben“. Die Beklagte nahm die Angebote bisher nicht an.

[2] Der Kläger begehrte die Feststellung des Nichtbestehens des Rechtsverhältnisses aus den Angeboten und hilfsweise die Aufhebung der Angebote. Die Angebote seien nicht ausreichend bestimmt und damit unwirksam. Das Feststellungsinteresse ergebe sich daraus, dass die Beklagte die Angebote jederzeit annehmen könne. Hilfsweise erklärte er die Anfechtung der Angebote wegen List, Irrtums und Verkürzung über die Hälfte.

[3] Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und entgegnete, die Angebote seien ausreichend bestimmt. Der Kläger habe kein Feststellungsinteresse, weil ohnehin kein Vertrag zustande komme, solange die Angebote nicht angenommen würden. Die hilfsweise geltend gemachten Wurzelmängel bestünden nicht.

[4] Das Erstgericht wies sowohl das Haupt- als auch das Eventualbegehren ab.

[5] Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil und gab dem Hauptbegehren statt. Das Rechtsverhältnis aus den Angeboten sei das Gestaltungsrecht der Beklagten auf Annahme während der Annahmefrist. Sein Nichtbestehen sei feststellungsfähig. Die Angebote seien inhaltlich unbestimmt und deshalb unwirksam. Damit bestehe das Rechtsverhältnis aus den Angeboten nicht.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision mit der Begründung zu, es fehle eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Feststellungsfähigkeit des Rechtsverhältnisses aus einem Angebot, das sich im Wesentlichen als Gestaltungsrecht auf Annahme darstelle.

[7] Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Ersturteil wiederherzustellen.

[8] Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen und hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig.

[10] 1. Kann ein vom Obersten Gerichtshof noch nicht ausdrücklich behandelter Fall bereits mit den Leitlinien seiner Rechtsprechung gelöst werden, liegt keine Rechtsfrage der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität vor (RS0042656 [T48]; RS0042742 [T11, T13]).

[11] 2. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt klargestellt:

[12] 2.1. Ein – nach § 228 ZPO feststellungsfähiges – Rechtsverhältnis ist eine bestimmte, durch den vorgetragenen Sachverhalt gegebene und konkretisierte, rechtlich geregelte Beziehung zwischen Personen oder zwischen einer Person und einem Gegenstand (RS0039053; RS0039223; RS0038988). Feststellungsfähig sind auch einzelne rechtliche Beziehungen, die Ausfluss eines weitergehenden Rechtsverhältnisses sind, oder einzelne rechtliche Folgen solcher Rechtsbeziehungen, wie einzelne Forderungen oder daraus abgeleitete Ansprüche (RS0039053 [T5]; RS0039223 [T4]).

[13] 2.2. Rechtshandlungen dagegen sind einem anderen zugegangene Erklärungen, die Rechtsfolgen haben (vgl 8 ObA 4/18y; 7 Ob 210/22s). Eine Rechtshandlung kann nicht Gegenstand eines Feststellungsbegehrens sein, weil es sich dabei nicht um ein Recht oder Rechtsverhältnis, sondern nur um eine Vorfrage für dessen Bestand handelt (RS0038804; RS0039036; RS0039087). Sehr wohl feststellungsfähig ist jedoch das aus der Rechtshandlung resultierende Rechtsverhältnis (RS0039087 [T8]; RS0039036 [T17]).

[14] 2.3. Der Offerent kann ein dem Adressaten zugegangenes Angebot nicht mehr einseitig widerrufen. Mit dem Zugang des Angebots erlangt der Adressat ein Gestaltungsrecht, das er während der Dauer der Annahmefrist (§ 862 S 3 ABGB) ausüben kann (vgl 9 ObA 262/01x; 7 Ob 69/05f; 2 Ob 131/13y; 9 ObA 40/21d).

[15] 3. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger könne die Feststellung des Nichtbestands des Rechtsverhältnisses aus den Angeboten vom 25. 10. 2019 begehren (§ 228 ZPO), bleibt in dem durch diese Rechtsprechung vorgegebenen Rahmen:

[16] 3.1. Das dem Adressaten zugegangene Angebot des Offerenten an sich ist zwar „nur“ eine Rechtshandlung im oben dargelegten Sinn, deren Wirksamkeit oder Unwirksamkeit nicht Gegenstand eines Feststellungsbegehrens sein könnte. Diese Rechtshandlung begründet aber bereits vor der Annahme eine rechtlich geregelte Beziehung zwischen dem Offerenten und dem Adressaten und damit ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis: Für die Dauer der Annahmefrist ist der Offerent an das Angebot gebunden und hat der Adressat das Gestaltungsrecht, einseitig die Annahme zu erklären und dadurch den Vertragsschluss zu bewirken. Der Bestand oder Nichtbestand eines solchen durch die Rechtshandlung des Angebots begründeten Rechtsverhältnisses zwischen dem Offerenten und dem Adressaten – Bindung des Offerenten an das Angebot und Gestaltungsrecht des Adressaten während der Annahmefrist – ist nach den oben dargelegten Grundsätzen so lange feststellungsfähig, als die Annahmefrist noch offen und die Annahme noch nicht erfolgt ist.

[17] 3.2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Berufungsgericht auch nicht von den eingangs wiedergegebenen Rechtsprechungsgrundsätzen abgewichen: Die Beklagte übersieht, dass der Kläger nicht die Festellung der Unwirksamkeit seiner Angebote vom 25. 10. 2019 begehrt hat, sondern die Feststellung des Nichtbestands des „Rechtsverhältnisses“ aus diesen Angeboten. Dieses Rechtsverhältnis war das Gestaltungsrecht der Beklagten, die Angebote während der Annahmefrist anzunehmen.

[18] 4. Auch davon abgesehen zeigt die Revision keine erhebliche Rechtsfrage auf:

[19] 4.1. Ob das Berufungsgericht eine Erklärung im Einzelfall richtig ausgelegt hat, ist nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn es infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt hat (RS0042776 [T6, T31]; RS0042936; RS0112106). Das gilt selbst dann, wenn auch die vom Revisionswerber angestrebte Auslegung vertretbar wäre (RS0042936 [T17]; 5 Ob 122/14y). Ob auch eine andere Auslegung vertretbar wäre, ist also keine erhebliche Rechtsfrage (RS0042776 [T2]). Dieselben Grundsätze gelten für die Frage, ob eine Erklärung ausreichend bestimmt ist (RS0042555; 4 Ob 88/08g).

[20] 4.2. Die Beklagte will voraussetzen, dass die Angebote Teil eines umfassenderen und unteilbaren „einheitlichen Vertragswerks“ gewesen seien, und daraus ableiten, dass das Hauptbegehren nicht allein auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Rechtsverhältnisse aus den Angeboten gerichtet sein hätte dürfen. Schon mit der Begründung ihrer Prämisse zeigt sie aber keine unvertretbare Auslegung des Berufungsgerichts auf: Der bloße Umstand, dass die Parteien am 25. 10. 2019 auch andere Verträge und Erklärungen als Teil eines „Gesamtkonzepts“ unterfertigt haben, ändert nichts an der Vertretbarkeit der Beurteilung, die Angebote seien vom Rest des „Gesamtkonzepts“ abteilbar. Die Frage, ob eine Unteilbarkeit des „Gesamtkonzepts“ der alleinigen Feststellung des Nichtbestands der Rechtsverhältnisse aus den Angeboten entgegenstünde, stellt sich daher nicht.

[21] 4.3. Die Beklagte kritisiert auch die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Angebote vom 25. 10. 2019 seien mangels Angabe eines Kaufpreises sowie mangels objektiver Bestimmbarkeit der Kaufgegenstände nicht ausreichend bestimmt gewesen. Sie kommt zu einem anderen Auslegungsergebnis als das Berufungsgericht – konkret zu jenem, die Angebote seien auf den Kauf ausreichend bestimmbarer Sachen „in Pausch und Bogen“ (§§ 930, 1049, 1276 ABGB) gerichtet gewesen. Dass aber die Auslegung des Berufungsgerichts im Einzelfall unvertretbar gewesen sei, behauptet sie nicht. Der Vorwurf, das Berufungsgericht habe bei der Auslegung der Angebote nicht „das gesamte Handlungs- und Pflichtenprogramm“ aus dem „Gesamtkonzept“ beachtet, bleibt ohne nähere Konkretisierung.

[22] 5. Die Revision ist daher zurückzuweisen.

[23] 6. Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet auf §§ 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist nur das Hauptbegehren. Der Kostenersatz ist daher auf dessen Grundlage (Streitwert: 100.000 EUR) zu bemessen. Der in Spanien – und damit im „Gemeinschaftsgebiet“ im Sinn des § 3a Abs 14 UStG – ansässige Kläger hat nach § 3a Abs 7 UStG auch Anspruch auf den Ersatz der für die Leistungen seiner österreichischen Vertreterin verzeichneten österreichischen Umsatzsteuer (20 %).

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