OGH 7Ob210/22s

OGH7Ob210/22s21.2.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M* L*, vertreten durch die Schlösser & Partner Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei W* AG *, vertreten durch Mag. Dr. Otto  Ranzenhofer, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung; in eventu Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Juli 2022, GZ 4 R 32/22p‑20, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 28. Dezember 2021, GZ 21 Cg 62/21h‑15, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00210.22S.0221.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtenen Entscheidungen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Der Kläger ist seit März 1996 bei der Beklagten krankenversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die Versicherungsbedingungen der Beklagten für die Krankheitskosten- und Krankenhaus-Tagegeldversicherung (Anhang 920) (in Hinkunft AVB) zugrunde. Diese lauten auszugsweise:

§ 18 Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes (Anpassung).

(1) Als für die Änderungen der Prämie oder des Versicherungsschutzes maßgebende Umstände im Sinn des § 178f Versicherungsvertragsgesetz gelten die Veränderungen folgender Faktoren:

- der durchschnittlichen Lebenserwartung

- der Häufigkeit der Inanspruchnahme von Leistungen nach Art der vertraglich vorgesehenen und deren Aufwendigkeit, bezogen auf die zu diesem Tarif Versicherten

- des Verhältnisses zwischen den vertraglich vereinbarten Leistungen und den entsprechenden Kostenersätzen der gesetzlichen Sozialversicherungen

- der durch Gesetz, Verordnung, sonstigen behördlichen Akt oder durch Vertrag zwischen dem Versicherer und im Versicherungsvertrag bezeichneten Einrichtungen des Gesundheitswesens festgesetzten Entgelte für die Inanspruchnahme dieser Einrichtungen; bei der Festsetzung der Höhe der Anpassung bleiben jedoch Gebühren und/oder Honorare, über deren Höhe ein Einvernehmen mit dem Versicherer nicht festgestellt worden ist, außer Betracht; betrifft dies die Gebühren und/oder Honorare sämtlicher Spitäler dieses Bundeslandes, wird der Anpassung die jeweilige Veränderung des vom Österreichischen statistischen Zentralamtes verlautbarten Index der Verbraucherpreise zugrundegelegt. Wird der Index der Verbraucherpreise nicht mehr verlautbart, gelten die an seiner Stelle verlautbarten Werte; sollte die Berechnung des Index der Verbraucherpreise grundlegend geändert werden, bestimmt die Versicherungsaufsichtsbehörde den künftig anzuwendenden Maßstab

des Gesundheitswesens oder der dafür geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

(2) Die Erklärung einer rückwirkenden Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes ist unwirksam, die Erklärung wirkt erst ab dem der Absendung folgenden Monatsersten.

(3) Mit dem Zeitpunkt der Anpassung ändern sich die Prämien, Leistungen und die Höhe allfälliger Selbstbehalte entsprechend der neuen Leistungs- und Prämienübersicht. Für die Bemessung der Teilprämie für die geänderten Leistungen ist das Alter im Zeitpunkt der Anpassung maßgebend.

(4) Im Fall einer Anpassung sind die Bestimmungen des § 4 Abs. 4 AVB und des § 6 Abs. 1 und 2 AVB nicht anzuwenden.

(5) Erhöht der Versicherer die Prämie, so hat er dem Versicherungsnehmer auf dessen Verlangen die Fortsetzung des Vertrages mit höchstens gleichbleibender Prämie und angemessen geänderten Leistungen anzubieten. Auf dieses Recht wird der Versicherer den Versicherungsnehmer in seiner Benachrichtigung über die Prämienerhöhung ausdrücklich nochmals hinweisen.“

[2] Zu Beginn des Vertrags lag der vereinbarte Erstattungsprozentsatz für den Fall, dass der Sozialversicherungsträger beisteuere, bei 80 %, ansonsten bei 100 %.

[3] Am 12. 12. 2014 erhielt der Kläger ein Schreiben von der Beklagten über die zum Versicherungsvertrag vorgenommenen Änderungen mit einer erhöhten monatlichen Gesamtprämie von 39,96 EUR anstelle von bisher 37,10 EUR. Der Kläger hielt auf diesem Schreiben fest: „Wertanpassung nicht erwünscht für 2015! 16.12.2014“ und unterschrieb. Zuvor waren die aufgrund der geänderten maßgeblichen Umstände im Sinn des § 18 AVB vorgenommenen Prämienerhöhungen vom Kläger bis ins Jahr 2014 stets akzeptiert worden. Da der Kläger der Tarifanpassung widersprochen hatte, wurde der Erstattungsprozentsatz mit Wirksamkeit per 1. 1. 2015 von der Beklagten von 80 % auf 70 % reduziert.

[4] Am 10. 9. 2020 richtete die Beklagte folgendes Schreiben an den Kläger: „Wir sind gesetzlich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass mit den Prämien aus Krankenversicherungsverträgen die dauernde Erfüllbarkeit der Leistungsverpflichtung gewährleistet ist. Aus dieser Verpflichtung heraus ist eine Anpassung Ihrer Krankenversicherung aus folgenden Gründen notwendig:

‑ allgemein häufige Inanspruchnahme von Leistungen

‑ Veränderung der durchschnittlichen Lebenserwartung

Da Sie sich bereits in der Vergangenheit gegen eine Prämienanpassung ausgesprochen haben, erfolgt diese Anpassung nun mit Wirkung ab 1.10.2020 bei gleichbleibender Prämie durch die Erhöhung Ihres Selbstbehalts. Für Leistungen aus Ihrer Privat-Versicherung ergibt sich somit ein neuer Erstattungsprozentsatz von 50 %. Ihre Prämie sowie die vereinbarte(n) Jahreshöchstleistung(en) bleiben unverändert.“

[5] Die Anpassung brachte die Beklagte gemäß § 178g VersVG den dort angeführten Stellen unverzüglich zur Kenntnis. Die Vornahme dieser Anpassung wurde von diesen Stellen nicht beanstandet.

[6] Der Kläger begehrt, der Beklagten die vorgenommene Erhöhung des Selbstbehalts zu verbieten und sie zur Festlegung der ursprünglichen Selbstbehaltsregelung von 30 % vom Rechnungsbetrag, wenn der Sozialversicherungsträger beisteuere, sonst von 0 % zu verhalten. Hilfsweise beantragt er die Feststellung, dass die Beklagte einen Erstattungsprozentsatz von 70 % anzuwenden habe, wenn der Sozialversicherungsträger beisteuere, sonst von 100 %. Die Festlegung des Selbstbehalts von 50 % sei grundlos erfolgt. Die Beklagte habe eine konkrete Änderung der Umstände und eine häufigere Inanspruchnahme von Leistungen durch den Kläger nicht dargelegt. Das Ausmaß der Reduktion sei nicht nachvollziehbar. Die Beklagte hätte die Gründe für die Anpassung (Lebenserwartung; Inanspruchnahme von Leistungen) darzulegen bzw eine konkrete Aufschlüsselung der konkreten Umstände vorzunehmen gehabt. Sie hätte eine mathematische Aufschlüsselung vornehmen müssen, aus der sich die Reduktion um 20 % errechnen lasse.

[7] Die Beklagte entgegnete, § 178f VersVG räume ihr die Möglichkeit ein, die Prämie oder den Versicherungsschutz einseitig abzuändern. Die Anpassung sei erforderlich gewesen, um die dauernde Erfüllbarkeit der aus dem Versicherungsvertrag resultierenden Leistungsverpflichtungen gewährleisten zu können. Die Reduktion der im Versicherungsfall zu erbringenden Leistungen (hier die angemessene Reduktion des Erstattungsprozentsatzes) sichere die Gleichbehandlung aller Versicherungsnehmer. Während die Prämien kontinuierlich hätten erhöht werden müssen, sei der Vertrag des Klägers seit 2015 nicht angepasst worden. In dem Zeitraum hätten sich aber die durchschnittliche Lebenserwartung sowie die Behandlungskosten und die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Leistungen wesentlich erhöht. Die Anpassung sei angesichts dessen geringfügig und sachlich gerechtfertigt gewesen und dem Kläger zumutbar.

[8] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf keine Sachverhaltsfeststellungen, sondern wertete den unstrittigen Sachverhalt dahin, dass die Anpassungsklausel dem Faktorenkatalog des § 178f Abs 2 VersVG entspreche und daher weder unklar noch unverständlich im Sinn des § 6 Abs 3 KSchG sei. Der Verpflichtung zur Bekanntmachung nach § 178g VersVG sei die Beklagte umgehend nachgekommen. Es sei gerichtsnotorisch, dass sich die Lebenserwartung in den letzten zehn Jahren verändert habe. Aus dem Gesetz und den Vertragsbedingungen ergebe sich daher keine Pflicht der Beklagten, den Vertrag mit dem Kläger unverändert und offenbar nach dem Begehren unbefristet fortzuführen, sodass die vom Kläger eigentlich begehrte Feststellung, dass sich sein Vertragsverhältnis seit seinem Widerspruch Ende 2014 nicht geändert habe, nicht berechtigt sei. Zur Erhebung eines Unterlassungsbegehrens seien nur die in § 178g VersVG genannten Stellen berechtigt.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. § 18 AVB stelle eine § 178f Abs 2 VersVG genügende, zulässige Prämien‑ und Leistungsanpassungsklausel dar. Der Kläger bezweifle nicht, dass der Beklagten auf der Grundlage dieser Klausel ein (einseitiges) Anpassungsrecht zukomme. Er stelle auch nicht in Abrede, dass sich im maßgeblichen Zeitraum seit 2015 die durchschnittliche Lebenserwartung ebenso wie die Behandlungskosten und die Häufigkeit der Inanspruchnahme von Leistungen prinzipiell erhöht habe, sondern fordere „eine konkrete Aufschlüsselung der konkreten Umstände“. Das grundsätzliche Vorliegen der von der Beklagten für die Anpassung herangezogenen Faktoren sei nicht strittig, lediglich die fehlenden Belege der Beklagten für das Ausmaß der Änderung. Zumindest die Änderung der Lebenserwartung sei als zweifellos offenkundig und somit nicht beweisbedürftig anzusehen. Der Umstand, dass seit 2015 jedenfalls eine Änderung – welchen genauen Ausmaßes auch immer – erfolgt sei, berechtigte die Beklagte nach § 18 AVB zur Änderung des Versicherungsschutzes. Damit erweise sich das Unterlassungs‑ und das Eventualfeststellungsbegehren als unberechtigt.

[10] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision nachträglich zu. Der Oberste Gerichtshof habe sich noch nicht mit der Frage befasst, ob aus § 178f Abs 2 VersVG eine Pflicht des Versicherers abzuleiten sei, im konkreten Änderungsfall – über die Mitteilungspflicht an die in § 178g Abs 1 VersVG genannten Stellen hinaus –, dem Versicherungsnehmer die für die Änderung maßgeblichen Umstände nachvollziehbar darzulegen.

[11] Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit dem Abänderungsantrag dahin, dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

[12] Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen; hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

[14] 1. In § 178f Abs 1 VersVG wird für den Bereich der Krankenversicherung festgelegt, dass eine Vereinbarung, nach der der Versicherer berechtigt ist, die Prämie nach Vertragsabschluss einseitig zu erhöhen oder den Versicherungsschutz einseitig zu ändern, etwa einen Selbstbehalt einzuführen, nur mit den sich aus den folgenden Abs 2 und 3 ergebenden Einschränkungen wirksam ist, dies unbeschadet des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG bzw § 6 Abs 2 Z 3 KSchG. In Abs 2 Satz 1 leg cit werden jene Umstände genannt, die als Faktoren für die Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes vereinbart werden dürfen. In Abs 2 Satz 2 leg cit werden andere Faktoren – so unter anderem bloß vom Älterwerden des Versicherten abhängige Anpassungen – zur Klarstellung ausgeschlossen. Eine ausdrückliche Ausnahme vom Verbot, das Ausmaß der Prämie vom steigenden Alter des Versicherten abhängig zu machen, enthält Abs 2 Satz 3. Danach kann vereinbart werden, dass eine zunächst geringere Prämie ab einem bestimmten Lebensalter des Versicherten auf denjenigen Betrag angehoben wird, den der betreffende Tarif für Versicherte vorsieht, die mit diesem Alter in die Versicherung eintreten; dieses Lebensalter darf nicht über 20 Jahre liegen.

[15] § 178f Abs 3 VersVG sieht für den Fall, dass der Versicherer die Prämie erhöht, vor, dass er dem Versicherungsnehmer auf dessen Verlangen die Fortsetzung des Vertrags mit höchstens gleichbleibender Prämie und angemessenen geänderten Leistungen anzubieten hat. Nach § 178f Abs 4 VersVG ist eine rückwirkende Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes unwirksam; die Erklärung wirkt erst ab dem der Änderung folgenden Monatsersten.

[16] 2.1 § 178f VersVG regelt die Zulässigkeit von vertraglichen Prämien und Leistungsanpassungsklauseln in Krankenversicherungsverträgen. Ihr Zweck besteht darin, einen sinnvollen Ausgleich zwischen den Interessen des Versicherers und jenen des Versicherungsnehmers herzustellen. Dabei muss auf die Besonderheiten des Krankenversicherungsvertrags Bedacht genommen werden. Aus Kundenperspektive dienen Krankenversicherungsleistungen der sozialen Absicherung. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers ist der Versicherungsnehmer im Versicherungsfall in erhöhtem Maß auf die Leistung des Krankenversicherers angewiesen. Er vertraut schließlich auf Deckung im Krankheitsfall. Der Versicherer muss sich hingegen auf eine langjährige Vertragsbeziehung einstellen (§ 178i: „lebenslanges“ Vertragsverhältnis). Das Versicherungsprodukt erwirbt man im jungen Alter, während die Wahrscheinlichkeit eines Versicherungsfalls mit den Jahren drastisch zunimmt. Ferner können sich die Rahmenbedingungen der Vertragsbeziehungen im Laufe der Zeit wandeln. Das betrifft etwa normative und faktische Änderungen im Gesundheitssystem. Zu denken wäre an neue kostenintensive Behandlungsmethoden, Krankheitswellen oder Pandemien oder höhere Preise für Medikamente, die für den Versicherer vorab nicht absehbare, höhere Deckungspflichten bedeuten. Der Versicherer muss, um sein Geschäftsmodell betreiben zu können, eine risikoäquivalente Prämie kalkulieren. Die Prämie soll im Idealfall dem versicherten Risiko des Versicherungsnehmers über die gesamte Vertragslaufzeit entsprechen (Äquivalenzgedanke). Zusammengefasst ist der Versicherer an einer gewissen Prämienflexibilität, vor allem was veränderliche Rahmenbedingungen über einen längeren Zeitraum angeht, der Versicherungsnehmer hingegen an Prämienstabilität trotz höherer Leistungsintensität interessiert (Zoppel in Fenyves/Perner/Riedler, VersVG [2022] § 178f Rz 1).

[17] 2.2 Prämien‑ und Leistungsanpassungen sind nur in dem Rahmen, den § 178f VersVG taxativ vorgibt, zulässig. Es besteht eine inhaltliche Gemeinsamkeit der gesetzlich aufgezählten Faktoren. Sie knüpfen nicht an individuelle Umstände des einzelnen Versicherungsnehmers an (Zoppel aaO Rz 2).

[18] 3.1 Nach der eindeutigen Gesetzesstelle (arg „unbeschadet“) gilt neben dem § 178f VersVG der § 6 Abs 1 Z 5 und Abs 2 Z 3 KSchG (7 Ob 287/01h). Der Oberste Gerichtshof hat zu § 6 Abs 1 Z 5 und § 6 Abs 2 Z 3 KSchG bereits ausgesprochen, dass in § 178f Abs 1 VersVG ex ante dem Konsumentenschutzgesetz widersprechende Vertragsbestimmungen abschließend geregelt werden und dazu festgehalten, dass diese Gesetzesauslegung nicht den Zielsetzungen des Konsumentenschutzgesetzes widerspricht (vgl 7 Ob 287/01h, 7 Ob 206/15t, 7 Ob 177/21m, RS0116376).

[19] 3.2 Bei der ex‑ante‑Kontrolle der Vertragsklauseln nach § 6 Abs 2 Z 3 KSchG ist vom Faktorenkatalog des § 178f Abs 2 VersVG auszugehen und sofern die im Krankenversicherungsvertrag enthaltene Anpassungsklausel den in § 178f Abs 2 VersVG festgelegten Faktoren entspricht, ist sie nicht unklar oder unverständlich und nach § 6 Abs 2 Z 3 KSchG auch ohne Aushandlung im Einzelnen wirksam (7 Ob 287/01h, 7 Ob 177/21m). Eine § 178f Abs 2 Z 1 bis 6 VersVG entsprechende Klausel bedarf über § 178f Abs 2 VersVG hinaus keiner weiteren Konkretisierung der darin festgehaltenen Faktoren, um den Bestimmtheitserfordernissen des § 6 Abs 1 Z 5 KSchG (hier idF BGBl Nr. 140/1979) zu entsprechen (7 Ob 206/15t, 7 Ob 177/21m).

[20] 3.3 § 18 Abs 1 AVB entspricht – im hier interessierenden Umfang – § 178f Abs 2 VersVG und ist insoweit wirksam vereinbart.

[21] 4.1 Dass der Versicherer unter den Voraussetzungen des § 178f Abs 1 und 2 VersVG berechtigt ist, die Prämie einseitig zu erhöhen oder den Versicherungsschutz einseitig zu ändern, bestreitet der Revisionswerber nicht, sondern führt aus, dass ein automatisches Reduzieren von Versicherungsleistungen unzulässig und die vorgenommene Reduktion in ihrer Höhe unberechtigt und unangemessen sei.

[22] 4.2 Aus qualitativer Sicht geht es um die Frage, in welcher Weise der Versicherer den Vertrag inhaltlich umgestalten darf, um den geänderten Verhältnissen Rechnung zu tragen. Nach § 178f VersVG kommen die Prämienerhöhung und die Änderung des Versicherungsschutzes in Betracht. Die zwei Mechanismen stehen einander gleichwertig gegenüber. Auch Kombinationen können gebildet werden (Zoppel aaO § 178f Rz 27). Eine Einschränkung des Änderungsrechts trifft § 178f Abs 3 VersVG. Erhöht der Versicherer die Prämie, so hat er dem Versicherungsnehmer auf dessen Verlangen hin, die Fortsetzung des Vertrags mit maximal gleichbleibender Prämie und angemessenen geänderten Leistungen anzubieten (Zoppel aaO Rz 28, Schauer in Fenyves/Kronsteiner/Schauer, Kommentar zu den Novellen zum VersVG § 178f Rz 25).

[23] 4.3 Aus quantitativer Sicht geht es um die Frage, in welchem Umfang der Versicherer eine Änderung der vertraglichen Leistungen vornehmen darf. Die Lösung muss sich an dem aus dem Katalog der Anpassungsfaktoren gemäß Abs 2 erkennbaren Gesetzeszweck orientieren, einen Ausgleich zwischen dem Anpassungsinteresse des Versicherers wegen steigender Kostenbelastung und dem Stabilitätsinteresse des Versicherungsnehmers herbeizuführen. Daraus ergibt sich, dass die Änderungsfaktoren iSd Abs 2 Z 2 bis 6 nicht nur, was der Gesetzestext nahelegen könnte, die Voraussetzungen der Änderung normieren, sondern gleichzeitig auch das Ausmaß der zulässigen Änderung festlegen. Ändert sich also einer der Faktoren gemäß Abs 2 Z 2 bis 6, so darf der Versicherer eine Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes nur in jenem Umfang vornehmen, wie dies zur Abdeckung des erwarteten oder bereits entstandenen Schadensbedarfs erforderlich ist (SchaueraaO Rz 24).

[24] 5.1 Die Vertragsänderung oder Prämienanpassung ist zu erklären. Soll der Vertrag aufgrund der Faktoren von Abs 2 Z 2 bis 6 modifiziert werden, handelt es sich um eine Willenserklärung, die die Ausübung eines Gestaltungsrechts zum Inhalt hat (Zoppel aaO Rz 30, SchaueraaO Rz 26).

[25] 5.2 Auf die Einschränkung des § 178f Abs 3 VersVG ist hier nicht näher einzugehen, weil die Beklagte den Versicherungsschutz unbeanstandet ohne Prämienerhöhung änderte. Zu klären ist der erforderliche Inhalt einer Erklärung des Versicherers, mit dem er – ohne Prämienerhöhung – den Versicherungsschutz ändert.

[26] 5.3 Weder § 178f VersVG, noch die Erläuterungen (RV 1553 XVIII. GP ) enthalten dazu nähere Bestimmungen. § 135e Abs 2 Z 3 VAG (vormals § 255 Abs 2 Z 3 VAG) sieht vor, dass der Versicherungsnehmer während der Laufzeit des Versicherungsvertrags über das Ausmaß und die Gründe einer allenfalls vorgenommenen Prämienanpassung zu informieren ist. Nach § 135e Abs 4 VAG 2016 (vormals § 255 Abs 4 VAG 2016) hat die Finanzmarktaufsicht mit Zustimmung des Bundesministers für Finanzen die in Abs 1 und 2 genannten Informationspflichten durch Verordnung näher zu konkretisieren, soweit dies im Interesse der Versicherungsnehmer und einer besseren Vergleichbarkeit sowie Transparenz erforderlich ist. Dementsprechend sieht § 5 der Verordnung der Finanzmarktaufsichtsbehörde (FMA) über die Informationspflichten für die Krankenversicherung nach Art der Lebensversicherung (Krankenversicherung Informationspflichtenverordnung – KV‑InfoV), die aber nur auf nach dem 30. 6. 2016 abgeschlossene Versicherungsverträge Anwendung findet (§ 6 KV‑InfoV) vor, dass der Versicherungsnehmer im Rahmen der Information über das Ausmaß und die Gründe einer vorgenommenen Prämienanpassung gemäß § 135e Abs 2 Z 3 VAG darüber zu informieren ist, welche konkreten Gründe der vorgenommenen Prämienanpassung zugrunde liegen und dass gemäß § 178f Abs 3 VersVG die Fortsetzung des Vertrags mit höchstens gleichbleibender Prämie und angemessenen Leistungen verlangt werden kann.

[27] 5.4 Nachdiesen nur für die Prämienanpassung vorgesehenen Regelungen hat der Versicherer die konkreten Gründe für die Prämienanpassung bekanntzugeben, ein pauschaler Verweis auf § 178f VersVG ist nicht ausreichend (Schweizer in Korinek/G. Saria/S. Saria VAG § 135e [Stand 1. 11. 2020, rdb.at] Rz 16). Nach den Erläuterungen (RV 354 XXV. GP ) zu § 255 VAG ist dem Versicherungsnehmer das Ausmaß und eine kurze Beschreibung der Gründe einer vollzogenen Prämienanpassung mitzuteilen.

[28] 5.5 Selbst wenn man die für die Prämienanpassung normierten Kriterien auch auf die bloße Änderung des Versicherungsschutzes – ohne Prämienanpassung – anwendet, erweist sich die von der Beklagten abgegebene Anpassungserklärung als diesen Vorgaben entsprechend und damit als ausreichend. Sie teilte dem Kläger den neuen Erstattungsprozentsatz mit 50 % wegen der allgemein häufigen Inanspruchnahme von Leistungen und der Veränderung der durchschnittlichen Lebenserwartung mit.

[29] 6.1 § 178g VersVG soll sicherstellen, dass die Vorgaben des § 178f VersVG für einseitige Prämien- oder Vertragsänderungen praktisch eingehalten werden. Bis zur Liberalisierung des Versicherungsmarkts kam diese Aufgabe der Aufsichtsbehörde zu, die Vertragsanpassungen zustimmen musste. Daneben stand es auch schon vor der Marktöffnung dem einzelnen Versicherungsnehmer frei, gegen gesetz‑ oder vertragswidrige Vertragsanpassungsklauseln zivilprozessual vorzugehen. Eine effektive Kontrolle von Prämienerhöhungen oder einseitig erklärten Vertragsänderungen ist allerdings von Individuen kaum zu erwarten. Um derartigen Entwicklungen entgegenzuwirken, wurde die Versicherungsaufsicht in diesem Zusammenhang durch eine Verbandsklage nach dem Modell des § 14 UWG und der §§ 28 ff KSchG substituiert. § 178g VersVG räumt den dort genannten Institutionen das Recht ein, im Interesse der Versicherungsnehmer Unterlassungsansprüche geltend zu machen. Die zur Verbandsklage berechtigten Institutionen sind von einseitigen Prämienerhöhungen und einseitigen Änderungen des Versicherungsschutzes im Sinn des § 178f VersVG zu informieren. Damit ist sichergestellt, dass die Institutionen ihre Kontrollfunktion effizient ausführen können, ohne auf (zufällige) Mitteilungen angewiesen zu sein oder nachforschen zu müssen. Die Verständigungspflicht des Versicherers besteht bei allen Varianten der Vertragsanpassung (Zoppel aaO § 178g bis § 178h Rz 1 f).

[30] Der Versicherer ist dazu verpflichtet, den in § 178g Abs 1 VersVG genannten Stellen auf Verlangen unverzüglich Einsicht in sämtliche Kalkulationsgrundlagen zu gewähren, die eine erklärte Änderung der Prämie oder des Versicherungsschutzes begründen sollen (§ 178h VersVG).

[31] 6.2 Unabhängig von der Möglichkeit der Verbandsklage nach § 178g VersVG steht es aber auch dem einzelnen Versicherungsnehmer frei, sich gegen eine gesetz- oder vertragswidrige Vertragsanpassung durch den Versicherer zur Wehr zu setzen (7 Ob 206/15t Pkt 3.3.3. Schauer aaO §§ 178g bis 178h Rz 1; vgl auch RV 1553 XVIII. GP S 33).

[32] 6.3 Gegenstand der Überprüfung im gegenständlichen Prozess ist damit, ob die Voraussetzungen für die betragliche Änderung des Versicherungsschutzes durch die Beklagte vorlagen und ob das Ausmaß zutreffend ermittelt wurde.

[33] 6.4 Hinsichtlich der Beweislast gilt grundsätzlich, dass jede Partei die Voraussetzungen der für sie günstigen Normen zu behaupten und zu beweisen hat (RS0039939). Der Oberste Gerichtshof hat bereits allgemein ausgesprochen, dass der Gestaltungsberechtigte mit der Offenlegung seiner Faktoren für die Erhöhung/Änderung bis zum Prozess zuwarten kann (10 Ob 145/05d, 10 Ob 125/05p, 8 Ob 31/12k, 10 Ob 80/15k). Im Verfahren sind dann aber die relevanten Faktoren, die für die Preisbestimmung und ‑ausgestaltung der vereinbarten Klausel maßgeblich waren, von ihm konkret und nachvollziehbar darzulegen (8 Ob 31/12k, 10 Ob 80/15k).

[34] Diese Grundsätze können auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Demnach hat die Beklagte diejenigen Umstände, die sie zur Ausübung des Gestaltungsrechts im konkreten Ausmaß berechtigten, offenzulegen und nachzuweisen.

[35] 7.1 In diesem Sinn wird das Erstgericht die Rechtssache im fortgesetzten Verfahren mit den Parteien zu erörtern und die Vertragsänderung durch die Beklagte – wohl unter Beiziehung eines Sachverständigen – zu überprüfen haben.

[36] 7.2 Auch das Klagebegehren ist mit dem Kläger noch zu erörtern. Die Zulässigkeit eines (vorbeugenden) Unterlassungsanspruchs ist nach den Vorschriften des materiellen Rechts zu beurteilen. Ein solcher besteht grundsätzlich im Fall eines rechtswidrigen Eingriffs in eine fremde Rechtssphäre bzw einer rechtswidrigen Gefährdung einer solchen. Unterlassungsklagen können nach ständiger Rechtsprechung etwa zum Schutz vor Eingriffen in absolut geschützte Rechte oder im Rahmen bestehender vertraglicher Schuldverhältnisse erhoben werden (RS0010540; 8 Ob 58/12f). Immer muss aber ein Eingriff in eine fremde Rechtssphäre unmittelbar und konkret drohen (RS0012061; RS0010479; 1 Ob 142/17i). Hier will der Kläger die bereits vorgenommene konkrete Vertragsänderung überprüft und als unzulässig beurteilt wissen, womit er wohl eine Feststellungsklage beabsichtigt. Insoweit ist aber zu beachten, dass gemäß § 228 ZPO unter den dort näher angeführten Voraussetzungen unter anderem auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses oder RechtsKlage erhoben werden kann. Die Feststellungsklage bedarf eines konkreten aktuellen Anlasses, der zur Hintanhaltung einer nicht bloß vermeintlichen, sondern tatsächlichen oder ernstlichen Gefährdung der Rechtslage des Klägers eine ehestbaldige gerichtliche Entscheidung notwendig macht (RS0039215). Von den Rechtsverhältnissen sind aber die Rechtshandlungen zu unterscheiden, die Erklärungen und Äußerungen sind, mit denen einem anderen etwas kundgemacht werden soll, an das sich Rechtsfolgen knüpfen (Frauenberger‑Pfeiler in Fasching/Konecny 3 III/1 § 228 Rz 40). Eine Rechtshandlung kann nicht Gegenstand eines Feststellungsbegehrens gemäß § 228 ZPO sein, weil es sich dabei nicht um ein Recht oder Rechtsverhältnis, sondern nur um eine Vorfrage für dessen Bestand handelt (RS0038804).

[37] 8. Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

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