OGH 10ObS68/24h

OGH10ObS68/24h13.8.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Schober und Dr. Annerl sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Markus Schrottmeyer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und FI Veronika Bogojevic (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*, geboren * 1975, Pensionistin, *, vertreten durch die Loimer Scharzenberger Rechtsanwälte Partnerschaft in Salzburg, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm, Dr. Simone Metz und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Mai 2024, GZ 11 Rs 48/24 v‑15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. Dezember 2023, GZ 18 Cgs 233/23g‑10, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:010OBS00068.24H.0813.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Fachgebiet: Sozialrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

 

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird teilweise dahin abgeändert, dass sie insgesamt lautet:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei ab 1. September 2023 einen Vorschuss auf die Ausgleichszulage von 451,37 EUR monatlich, und zwar die bereits fällig gewordenen Beträge innerhalb von 14 Tagen und die erst fällig werdenden Beträge am Ersten eines jeden Monats im Vorhinein zu zahlen.

Die Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei die Ausgleichszulage ab 1. September 2023, hilfsweise ab 19. September 2023, im gesetzlichen Ausmaß zu leisten, in eventu es werde festgestellt, dass die vorläufige Einstellung der Auszahlung der Ausgleichszulage an die klagende Partei per 1. September 2023, hilfsweise per 19. September 2023, zu Unrecht erfolgt sei, werden abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.010,21 EUR (darin 168,37 EUR USt) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz und die mit 731,90 EUR (darin 121,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin bezieht von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt eine Berufsunfähigkeitspension von 1.048,21 EUR brutto monatlich. Sie lebt mit ihrem am 9. September 1973 geborenen Ehegatten in einem gemeinsamen Haushalt. Dieser bezog von der AUVA eine Rente von 251,98 EUR brutto monatlich im Kalenderjahr 2023.

[2] Aufgrund einer automatisierten Datenträgermeldung vom 6. September 2023 erlangte die Beklagte davon Kenntnis, dass der Ehegatte der Klägerin im August 2023 einer geringfügigen Beschäftigung nachgegangen war. Der Umstand, dass diese Beschäftigung von der Klägerin entgegen ihrer Meldeverpflichtung gemäß § 40 ASVG nicht bekannt gegeben wurde, veranlasste die Beklagte zu einer amtswegigen Prüfung des Aktes. Diese ergab, dass die Klägerin im Zuge einer gerichtsärztlichen Untersuchung im Vorverfahren über die Weitergewährung der Berufsunfähigkeitspension am 23. Februar 2015 angegeben hatte, dass ihr Ehegatte über Patent- und Mieteinkünfte verfüge.

[3] Mit Bescheid vom 11. September 2023 stellte die Beklagte die zur Berufsunfähigkeitspension gewährte Ausgleichszulage ab 1. September 2023 „vorläufig“ ein. Als Rechtsgrundlage werden die §§ 40, 107 Abs 2 lit a ASVG genannt. In der Begründung wird ausgeführt, dass aufgrund eingelangter Unterlagen festgestellt worden sei, dass die Leistung voraussichtlich nicht oder nicht mehr in der bisherigen Höhe gebühre und bis zum Abschluss der für die endgültige Feststellung des Anspruchs noch erforderlichen Erhebungen die Ausgleichszulage eingestellt werde.

[4] Die Beklagte ersuchte die Klägerin mit Schreiben vom selben Tag auch um Zusendung entsprechender Nachweise, aus denen die monatliche Höhe dieser Einkünfte für die Zeit von 1. Juli 2008 bis 31. August 2014 und ab 1. Mai 2017 ersichtlich sei.

[5] In der Klage vom 27. September 2023 begehrt die Klägerin die Weitergewährung der Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß ab 1. September 2023, hilfsweise ab 19. September 2023, in eventu die Feststellung, dass die vorläufige Einstellung der Auszahlung der Ausgleichszulage an die Klägerin per 1. September 2023, hilfsweise per 19. September 2023, zu Unrecht erfolgt sei. Die Klägerin verfüge bis auf eine der Beklagten bereits bekannte Berufsunfähigkeitspension und einen einmaligen Dienstleistungsscheck über 10 EUR im September 2023 über keine Einkünfte, die mindernd zu berücksichtigen wären. Der Ehegatte der Klägerin verfüge über die der Beklagten bekannte Dauerrente, nicht aber über Einkünfte aus Miete oder Pacht.

[6] Mit Schreiben vom 16. Oktober 2023 forderte die Beklagte die Klägerin erneut auf, die Einkünfte des Ehegatten darzulegen. In diesem Schreiben wurde sie auch darüber belehrt, dass für den Fall, dass die angeforderten Unterlagen bzw eine Rückäußerung nicht binnen vier Wochen bei der Beklagten einlangten, nach der Aktenlage entschieden und die zu viel ausbezahlte Ausgleichszulage als Überbezug festgestellt und rückgefordert werde.

[7] Die Beklagte beantragte die Zurückweisung des Klagebegehrens, weil noch keine inhaltliche Entscheidung über den Anspruch ergangen sei. Hilfsweise beantragte sie die Abweisung des Klagebegehrens, weil die vorläufige Einstellung wegen Zweifeln darüber, ob die Ausgleichszulage in der bisher gewährten Höhe nach wie vor gebühre, zu Recht erfolgt sei.

[8] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab. Es bejahte die Zulässigkeit des Rechtswegs. In der Sache zog es die vom Obersten Gerichtshof zur Überprüfung des vom Sozialversicherungsträger ausgeübten Ermessens bezüglich der Verletzung der Mitwirkungspflicht des Versicherten ergangene Rechtsprechung heran. Die Ausübung des Ermessens durch die Beklagte sei pflichtgemäß erfolgt, weil die Klägerin der Aufforderung nicht nachgekommen sei, das Einkommen ihres Ehegatten nachzuweisen.

[9] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und sprach der Klägerin über den (gemeint) 31. August 2023 hinaus die „bis dahin gewährte Ausgleichszulage im bisherigen Ausmaß“ zu. Da es sich bei der vorläufigen Einstellung der Ausgleichszulage tatsächlich um eine Zurückhaltung der Ausgleichszulage im Sinn des § 367 Abs 2 ASVG handle, sei die Zulässigkeit des Rechtswegs zu bejahen. Ob die Klägerin ihre Meldepflicht verletzt und/oder unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe, sei im vorliegenden Fall noch nicht (gerichtlich) zu prüfen, da die Beklagte das in § 298 Abs 2 ASVG vorgesehene Verfahren nicht eingehalten habe, weil sie der Klägerin weder einen Fragebogen übermittelt noch die dort normierten Fristen eingehalten habe. Eine Erwerbstätigkeit des Ehegatten im August 2023 sei für den Anspruch auf Ausgleichszulage ab 1. September 2023 nicht von Bedeutung und könne eine vorläufige Einstellung der Auszahlung der Ausgleichszulage ab September keinesfalls rechtfertigen.

[10] Die ordentliche Revision ließ das Berufungsgericht nicht zu, weil sich die entsprechende Rechtslage eindeutig dem Gesetz entnehmen lasse.

[11] Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Zurückweisung der Klage wegen Rechtswegunzulässigkeit, hilfsweise auf Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichts im Sinn einer Abweisung der Klagebegehren.

[12] Die Klägerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig; sie ist im Sinn des hilfsweise gestellten Abänderungsantrags teilweise berechtigt.

1. Zur Zulässigkeit des Rechtswegs

[14] 1.1. Wird eine Klage erhoben, obwohl die in den §§ 67 bis 70 und § 72 Z 2 lit d ASGG genannten Voraussetzungen nicht vorliegen, so ist die Klage gemäß § 73 ASGG in jeder Lage des Verfahrens zurückzuweisen. Dies gilt allerdings auch im Verfahren in Sozialrechtssachen dann nicht, wenn dem eine die Zulässigkeit des Rechtswegs bejahende gerichtliche Entscheidung entgegensteht (§ 42 Abs 3 JN; RS0035572, RS0039774). Eine Bindung ist nach ständiger Rechtsprechung auch dann zu bejahen, wenn sich das Gericht in den Entscheidungsgründen mit dem Nichtvorliegen des Prozesshindernisses auseinandergesetzt hat (RS0043823; RS0114196).

[15] 1.2. Im vorliegenden Fall hat die Beklagte bereits in der Klagebeantwortung die Unzulässigkeit des Rechtswegs eingewandt. Das Erstgericht hat die Zulässigkeit des Rechtswegs in den Entscheidungsgründen ausdrücklich bejaht. Das Berufungsgericht hat sich ebenfalls mit dieser Frage befasst und die Zulässigkeit des Rechtswegs für die hier vorliegende Klage bejaht. Daran ist der Oberste Gerichtshof nach § 42 Abs 3 JN iVm § 528 Abs 2 Z 2 ZPO – bei den Entscheidungen über die Zulässigkeit des Rechtswegs handelt es sich um in die Urteile der Vorinstanzen aufgenommene Beschlüsse – gebunden (RS0039774 [T6]). Eine Überprüfung der von der Beklagten primär in Zweifel gezogenen Zulässigkeit des Rechtswegs ist dem Obersten Gerichtshof daher verwehrt.

2. Zum Inhalt des angefochtenen Bescheids

[16] 2.1. Die Beklagte stellte die Ausgleichszulage „vorläufig“ ein. Sie macht in der Revision zutreffend geltend, dass es sich dabei nicht um eine Zurückhaltung im Sinn des § 298 Abs 2 ASVG handelte.

[17] 2.2. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv nach seinem Wortlaut auszulegen (RS0008822 [T2]). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (RS0049680 [T5]); die Reichweite des Bescheidspruchs ist schließlich auch nach dem Entscheidungsgegenstand des bekämpften Bescheids zu interpretieren (RS0105139).

[18] 2.3. Im Spruch des angefochtenen Bescheids wird die Ausgleichszulage nicht „zurückgehalten“. Aus der Begründung ergibt sich auch kein Anhaltspunkt dafür, dass damit – wie dies § 298 Abs 2 Satz 2 ASVG vorsehen würde – sanktioniert werden sollte, dass die Klägerin einer Aufforderung zur Meldung bestimmter Umstände im Sinn des § 298 Abs 2 Satz 1 ASVG nicht nachgekommen wäre. Das wäre auch nicht verständlich, weil die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt zu einer solchen Meldung gar nicht aufgefordert worden war (eine solche Aufforderung könnte höchstens im Schreiben vom 11. September 2023 – also vom selben Tag wie der angefochtene Bescheid – liegen).

[19] 2.4. Stattdessen wird die Ausgleichszulage im Spruch des Bescheids „vorläufig eingestellt“. Diese Formulierung ist insofern zweifelhaft, als ein solcher Bescheidinhalt in § 367 ASVG nicht ausdrücklich genannt wird. Der Begriff der „Einstellung“ einer (Sozialversicherungs-)Leistung ist dem ASVG – abgesehen von der hier nicht vorliegenden und heute bedeutungslosen Sonderkonstellation nach § 541 ASVG (iZm § 23 VerbotsG) – fremd. Auch ein Blick auf die im Bescheid angegebenen Rechtsgrundlagen (zu deren Bedeutung bei der Auslegung von Bescheiden vgl 7 Ob 188/23g Rz 12 aE) hilft nicht weiter. Die zitierten Bestimmungen regeln die Meldepflicht der Zahlungsempfänger (§ 40 ASVG) und – damit im Zusammenhang – den Verlust des nach § 107 Abs 1 ASVG gegebenen Rückforderungsrechts des Versicherungsträgers bei Verletzung der Meldevorschriften hinsichtlich zu Unrecht erbrachter Geldleistungen im Fall, dass der Versicherungsträger betreffend den Rückforderungsanspruch „saumselig“ ist (§ 107 Abs 2 lit a ASVG).

[20] 2.5. Der Bescheidinhalt kann auch nicht als Entziehung nach § 99 ASVG verstanden werden. Aus der Begründung des Bescheids wird deutlich, dass der Anspruch auf Ausgleichszulage – aufgrund einer sich den eingelangten Urkunden entnehmbaren Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sachlage – bloß in Zweifel gezogen wird und der Versicherungsträger selbst davon ausgeht, noch keine endgültige Entscheidung fällen zu können. Die Entziehung nach § 99 ASVG setzt aber das Nichtmehrvorhandensein der Anspruchsvoraussetzungen und somit Spruchreife voraus; eine „vorläufige Entziehung“ sieht § 99 ASVG nicht vor.

[21] 2.6. Entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts geht es hier auch nicht um die Überprüfung einer Ermessensentscheidung der Beklagten. Eine solche ist vom Gesetz zwar für den Fall vorgesehen, dass sich der Anspruchsberechtigte einer Nachuntersuchung oder Beobachtung (vgl § 366 ASVG) entzieht (§ 99 Abs 2 ASVG). Dieser Entziehungstatbestand wird in der Literatur auch als „Versagungsfall“ bezeichnet (RS0083958) und soll den Anspruchsberechtigten zur Mitwirkung verhalten und dem Versicherungsträger die Prüfung ermöglichen, ob die Anspruchsvoraussetzungen weiter vorliegen. Wie im Fall der Überprüfung der Einkommensverhältnisse des Leistungsempfängers bzw des Ehegatten nach § 298 Abs 2 ASVG muss dafür eine Änderung der Verhältnisse, die zu einer Neufeststellung der Leistung führt, nicht eingetreten sein. Im vorliegenden Fall wurde die Leistung vielmehr – wenn auch nur „vorläufig“ – eingestellt, weil die Anspruchsvoraussetzungen als nicht (mehr) gegeben erachtet wurden.

[22] 2.7. Nach dem erkennbaren, im angefochtenen Bescheid zum Ausdruck kommenden Willen der Beklagten wird der bescheidmäßig zuerkannte Anspruch der Klägerin vielmehr aufgrund einer Änderung der Verhältnisse in Zweifel gezogen und sein Bestehen derzeit, nämlich bis zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts („vorläufig“), in Abrede gestellt. Es handelt sich somit der Sache nach um eine – wenn auch noch nicht endgültige – Entziehung der Ausgleichszulage im Rahmen eines Verfahrens nach § 296 Abs 3 ASVG. § 367 Abs 2 ASVG bestimmt, dass (unter anderem) über die Entziehung, Versagung, Neufeststellung und den Widerruf eines Leistungsanspruchs ein Bescheid (in Leistungssachen) zu erlassen ist und unterscheidet davon ausdrücklich die Zurückhaltung der Ausgleichszulage.

[23] 2.8. Damit ist als Zwischenergebnis festzuhalten: Ein Bescheid, mit dem die Ausgleichszulage „vorläufig“ (bis zum Abschluss von für die endgültige Feststellung des Anspruchs noch erforderlichen Erhebungen) „eingestellt“ wird (was offenbar der langjährigen Praxis der Sozialversicherungsträger entspricht, vgl schon 10 ObS 88/91 [„vorsorglich eingestellt“]; 10 ObS 145/21b [„vorläufig eingestellt“]), weil die Leistung voraussichtlich nicht oder nicht mehr in der bisherigen Höhe gebührt, ist eine Entziehung des bescheidmäßig zuerkannten Leistungsanspruchs.

3. Zur Richtigkeit des angefochtenen Bescheids

[24] 3.1. Bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage hat der Träger der Pensionsversicherung die Ausgleichszulage auf Antrag des Berechtigten oder von Amts wegen neu festzustellen (§ 296 Abs 3 ASVG), was zu einer Entziehung, Herabsetzung oder Erhöhung der Ausgleichszulage führen kann. Die Änderung der Anspruchsvoraussetzungen wirkt sich nach § 296 Abs 2 Satz 4 und 5 ASVG (erst) mit dem Ende des Monats aus, in dem die Änderung liegt. Davon ausgenommen ist der – hier nicht einschlägige – Fall, dass die Änderung in gesetzlichen Vorschriften begründet ist (§ 296 Abs 2 Satz 6 ASVG).

[25] 3.2. Um dem Versicherungsträger eine Entscheidung über den Anspruch zu ermöglichen, ist der Zahlungsempfänger verpflichtet, jede Änderung in den für den Fortbestand der Bezugsberechtigung maßgebenden Verhältnissen binnen zwei Wochen dem zuständigen Versicherungsträger anzuzeigen (§ 40 Abs 1 ASVG). Die Verletzung der Meldepflicht kann zur Rückforderung von zu Unrecht erbrachten Geldleistungen (§ 107 ASVG) führen und sie stellt überdies eine Verwaltungsübertretung dar (§ 112 Abs 2 iVm § 111 ASVG).

[26] 3.3. Als eine anzuzeigende Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Verhältnisse sieht die Rechtsprechung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit an (10 ObS 91/88 SZ 62/12; 10 ObS 27/10h). Daher muss der Leistungs- oder Zahlungsempfänger dem Versicherungsträger schon den Beginn einer Erwerbstätigkeit anzeigen, auch wenn zu dieser Zeit noch nicht feststeht, in welcher Höhe ihm ein Einkommen zufließen wird (RS0083665). Daran ändert auch § 298 Abs 1 ASVG nichts, weil aus der dort festgelegten Verpflichtung, jede Änderung des Nettoeinkommens anzuzeigen, nicht geschlossen werden darf, dass der Sachverhalt, der zur Erzielung eines Nettoeinkommens führen kann (und der daher im wörtlichen Sinn keine „Änderung“ des Nettoeinkommens bedeutet), nicht anzuzeigen ist; insoweit bleibt es bei den allgemeinen Meldevorschriften (RS0083665 [T3]). Da der Anspruch auf Ausgleichszulage nach § 292 Abs 2 ASVG gleichermaßen vom Einkommen des Ehegatten abhängt, bezieht sich die Meldepflicht auch auf die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch diesen.

[27] 3.4. Daraus folgt, dass die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch den Ehegatten der Klägerin im August 2023 bereits eine Änderung der Verhältnisse darstellte, die der Beklagten zu melden gewesen wäre, und die daraus erzielten Einkünfte zu einer Neufeststellung der laufenden Ausgleichszulage ab 1. September 2023 führen konnte.

[28] Dass es sich dabei um eine geringfügige Beschäftigung des Ehegatten handelte, ändert daran nichts, weil die Definition des Nettoeinkommens in § 292 Abs 3 ASVG auch für das Einkommen des Ehegatten nach § 292 Abs 2 ASVG maßgebend und daher stets die Summe aller Einkünfte der betreffenden Person in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlichen Abzüge heranzuziehen ist, sofern keine der in § 292 Abs 4 bis 13 ASVG genannten Ausnahmen oder Sonderregelungen zur Anwendung kommen (RS0128972). Eine solche Ausnahme besteht für (von der vollen Sozialversicherungspflicht ausgenommene) geringfügige Beschäftigungsverhältnisse aber nicht (vgl RS0109910).

[29] Da bei der Neufeststellung der Ausgleichszulage nach § 296 Abs 3 ASVG keine Bindung an die Grundlagen früherer Entscheidungen besteht (RS0041270), sind dabei jedenfalls auch solche Einkunftsquellen zu berücksichtigen, die – wie offenbar die weiteren von der Beklagten behaupteten Patent- und Mieteinkünfte – schon im Zeitpunkt der (Weiter‑)Gewährung berücksichtigt hätten werden können.

[30] 3.5. Nach dem Gesagten bewirkt somit schon die Änderung der maßgebenden Sach- und Rechtslage durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit (hier durch den Ehegatten der Klägerin im August 2023), dass der Anspruch auf Ausgleichszulage im Sinn des § 296 Abs 3 ASVG neu festzustellen war. Aufgrund der Durchbrechung der Rechtskraft des Gewährungsbescheids (infolge Änderung der maßgebenden Verhältnisse) kann ein Fortbezug der Ausgleichszulage nicht auf den Gewährungsbescheid gegründet werden. Es trat daher dieselbe Situation wie vor der erstmaligen Gewährung der Ausgleichszulage ein.

[31] 3.6. Eine ausdrückliche Regelung, die dem Versicherungsträger die bescheidmäßige Entziehung des Ausgleichszulagenanspruchs in dem Fall ermöglicht, dass eine Änderung der Verhältnisse eintrat und eine Neufeststellung der Ausgleichszulage nach § 296 Abs 3 ASVG zu erfolgen hätte, der Versicherungsträger einen solchen Bescheid aber mangels genügender Klärung des Sachverhalts (die Höhe der Ausgleichszulage betreffend) noch nicht erlassen kann, lässt sich dem Gesetz zwar nicht entnehmen, weil sowohl die Entziehung nach § 99 ASVG als auch die Neufeststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage nach § 296 Abs 3 ASVG Spruchreife voraussetzen (s oben ErwGr 2.5.). Dem Gesetzgeber kann allerdings nicht unterstellt werden, dass er einerseits Meldepflichten in Bezug auf bestimmte Änderungen der für die Zuerkennung des Ausgleichszulagenanspruchs maßgebenden Verhältnisse (die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit) normiert und andererseits – trotz Vorliegens solcher Tatsachen – für den Zeitraum mangelnder Spruchreife den unveränderten Fortbezug der Ausgleichszulage vorsehen wollte. Es liegt somit eine planwidrige Lücke vor, die durch analoge Anwendung der §§ 99, 296 Abs 3 ASVG zu schließen ist. Der Versicherungsträger ist in einem solchen Fall daher zur Entziehung des Ausgleichszulagenanspruchs berechtigt. Insofern entsprach der erlassene Bescheid der Rechtslage.

[32] 3.7. Davon zu trennen ist die Frage, ob bzw in welcher Höhe der Anspruch auf Ausgleichszulage ab 1. September 2023 besteht. Die Vorinstanzen haben die für einen allfälligen Fortbezug der Ausgleichszulage maßgebenden Verhältnisse nicht (vollständig) ermittelt und insbesondere keine Feststellungen zu den Einkommensverhältnissen der Klägerin und ihres Ehegatten getroffen, was die Klägerin in der Berufung auch als sekundären Feststellungsmangel rügte. Die vom Erstgericht getroffene Feststellung, dass nachhaltig weitere Einkünfte des Ehegatten „im Raum“ stünden, welche seitens der Klägerin bislang nicht dargelegt wurden, soll nach den im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen des Erstgerichts zwar offenbar Zweifel an den (bisherigen) Angaben der Klägerin zum Ausdruck bringen, ist aber auch nicht als Negativfeststellung zu werten, weil das Erstgericht nach der von ihm vertretenen Rechtsansicht bloß die Ermessensentscheidung der Beklagten überprüfen wollte und deswegen auch die zur Einkommenssituation des Ehegatten der Klägerin angebotenen Beweise nicht (vollständig) aufnahm.

[33] Schon aus diesem Grund kann derzeit nicht beurteilt werden, ob und in welcher Höhe ein allfälliger Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage auch nach dem 1. September 2023 bestand.

[34] Eine Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen zur Ergänzung der Feststellungen kann jedoch unterbleiben.

[35] 3.7.1. Hat der Versicherungsträger einen Bescheid zu erlassen, kann er dies aber innerhalb der nach § 368 Abs 1 ASVG in Betracht kommenden Frist nicht, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, so hat er, wenn seine Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, die Leistung zu bevorschussen (§ 368 Abs 2 Satz 1 ASVG). Die Vorschusspflicht wird vom Obersten Gerichtshof nicht nur bei der erstmaligen Entscheidung über einen Anspruch bejaht, sondern auch in jenen Fällen, in denen die Ausgleichszulage neu festzustellen ist, der Versicherungsträger über den weiteren Anspruch aber mangels genügender Klärung des Sachverhalts nicht entscheiden kann (10 ObS 91/88 SZ 62/12).

[36] Diese Rechtsprechung kann sich auf einen Größenschluss stützen: Wenn ein Vorschuss schon bei erstmaliger Feststellung einer Leistung (zwingend) zu gewähren ist, wenn die Leistungspflicht dem Grunde nach feststeht, so muss dies umso mehr dann gelten, wenn die dem Grunde nach feststehende Leistung bereits bescheidmäßig zuerkannt worden war und infolge Entziehung dieser Leistung dieselbe Situation wie vor der erstmaligen Gewährung der Ausgleichszulage eintreten soll, weil es zu einer Änderung der für die Zuerkennung maßgebenden Verhältnisse kam. Entscheidet sich der Versicherungsträger in einem solchen Fall, den bescheidmäßig zuerkannten Ausgleichsanspruch bis zur Klärung der maßgebenden Sachlage zu entziehen, ist er daher in analoger Anwendung des § 368 Abs 2 ASVG (gleichzeitig) zur Gewährung eines Vorschusses verpflichtet.

[37] 3.7.2. Wenn der Versicherte den Beginn einer Erwerbstätigkeit angezeigt hat, ist der Versicherungsträger somit nach der Rechtsprechung berechtigt und verpflichtet, die Leistung – mangels anderer vorhandener Informationen in der Regel in Höhe der zuletzt gebührenden Leistung – zu bevorschussen (RS0083612). Die Meldepflicht dient immerhin dem Zweck, den Versicherungsträger in die Lage zu versetzen, in diesem Sinn über die Gewährung der Leistung als Vorschuss zu entscheiden (RS0083665). Dieser Verpflichtung, über die Gewährung eines Vorschusses zu entscheiden, kam die Beklagte – soweit ersichtlich – bislang aber nicht nach.

[38] 3.7.3. Die Zahlung eines Vorschusses kann, auch wenn sie nicht beantragt wurde, vom Gericht aufgetragen werden, wenn der Versicherungsträger hiezu verpflichtet ist und sie gegenüber der – mit der Klage begehrten – Erbringung der Leistung selbst ein Minus bedeutet (RS0085539). Der Oberste Gerichtshof ist daher bei Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit davon ausgegangen, dass regelmäßig die Einkünfte des Kalenderjahres maßgeblich sind und die Voraussetzung für die Feststellung der Leistung durch Bescheid im Allgemeinen erst gegeben ist, wenn der Einkommensteuerbescheid des Finanzamts oder zumindest die hiefür erforderlichen Unterlagen vorhanden sind (10 ObS 91/88 SZ 62/12; vgl auch 10 ObS 364/89). Gleichermaßen wurde bei Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit oder ihnen gleichgestellten Einkünften vorgegangen, wenn sich diese ähnlich wie Einkünfte aus selbständiger Erwerbstätigkeit innerhalb eines Kalenderjahres wiederholt ändern (10 ObS 386/90).

[39] 3.7.4. Im vorliegenden Fall nahm der Ehegatte der Klägerin eine Erwerbstätigkeit auf (und beendete diese im selben Monat). Dass ihm aus dieser geringfügigen Beschäftigung ein Entgelt zufloss, bestritt die Klägerin nicht substanziiert. Damit unterlag das Einkommen des Ehegatten der Klägerin im Kalenderjahr 2023 Schwankungen. Die Klägerin gestand im Verfahren erster Instanz überdies zu, ein Einkommen aus einem einmaligen Dienstleistungsscheck (nur) im September 2023 bezogen zu haben, sodass auch ihr Einkommen im Kalenderjahr 2023 Schwankungen unterlag. Im Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz (19. Dezember 2023) standen somit Unterlagen über die Höhe des Nettoeinkommens (des Kalenderjahres 2023) jeweils noch nicht (vollständig) zur Verfügung. Für das Jahr 2023 (und die folgenden Jahre) hat die Beklagte somit die Ausgleichszulage als Vorschuss zu zahlen, dessen Höhe sich – mangels Vorliegens von Unterlagen über das tatsächlich nach dem 1. September 2023 bezogene Nettoeinkommen der Klägerin und ihres Ehegatten – nach der zuletzt gebührenden Leistung bemisst. Die Ausgleichszulage betrug nach dem – von der Beklagten nicht bestrittenen – Vorbringen der Klägerin zuletzt 451,37 EUR monatlich.

3.8. Zusammenfassend folgt:

[40] Kann der Versicherungsträger bei einer Änderung der für die Zuerkennung der Ausgleichszulage maßgebenden Sach- und Rechtslage einen Bescheid über die Neufeststellung der Ausgleichszulage nicht erlassen, weil der Sachverhalt noch nicht genügend geklärt ist, so ist er in analoger Anwendung der §§ 99, 296 Abs 3 ASVG zur Entziehung des Ausgleichszulagenanspruchs berechtigt. Diesfalls ist er aber gleichzeitig verpflichtet, die Ausgleichszulage – mangels anderer vorhandener Informationen in der Regel in Höhe der zuletzt gebührenden Leistung – zu bevorschussen.

[41] 4. Soweit die Beklagte in der Revision und die Klägerin in der Revisionsbeantwortung das Recht auf Rückforderung nach § 107 ASVG (bzw seinen Ausschluss, wenn der Versicherungsträger die erforderlichen Maßnahmen binnen angemessener Frist unterlassen hat) thematisieren, muss darauf nicht eingegangen werden, weil eine Rückforderung nicht Gegenstand des Verfahrens ist.

[42] 5. Den Ausführungen der Klägerin in der Revisionsbeantwortung, wonach ein bloßer Verdacht auf Ungebührlichkeit der Leistung keine Entziehung der Ausgleichszulage rechtfertigt, ist insofern beizupflichten, als der bloße Verdacht einer Änderung der Verhältnisse nicht ausreicht. Die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch ihren Ehegatten ist aber nicht strittig. Auch eine Verschiebung der Beweislast ist damit nicht verbunden, weil es in jedem Fall Sache des beklagten Versicherungsträgers ist, durch Vorbringen entsprechender Tatsachen einzuwenden (und nachzuweisen), dass der Anspruch des Pensionsberechtigten auf Ausgleichszulage infolge von Einkünften oder Unterhaltsansprüchen vermindert oder zur Gänze aufgehoben wird (RS0086050 [T20]). Der mit der Entziehung der Ausgleichszulage bis zur Entscheidung über den weiteren Anspruch verbundene Bezugsausfall der Klägerin wird durch die Leistung eines Vorschusses abgemildert, der gegebenenfalls nach den Regeln des § 103 Abs 1 ASVG (privilegiert) aufgerechnet werden kann (vgl RS0112930).

6. Ergebnis und Kosten

[43] 6.1. Der Revision der Beklagten war somit insoweit Folge zu geben, als der Klägerin die Ausgleichszulage nur als Vorschuss zuzusprechen war. Die darüber hinausgehenden Mehrbegehren waren abzuweisen.

[44] 6.2. Rechtsstreitigkeiten über die (Weiter‑)Gewährung der Ausgleichszulage sind solche über wiederkehrende Ansprüche (Neumayr in Neumayr/Reissner, ZellKomm3 § 77 ASGG Rz 16). Aufgrund des Zuspruchs eines Vorschusses (als Minus zum Klagebegehren) obsiegte die Klägerin zwar teilweise, was sich kostenrechtlich aber nicht auswirkt (§ 77 Abs 2 ASGG). Aus diesem Grund war die Kostenentscheidung des Berufungsgerichts hinsichtlich der Kosten erster und zweiter Instanz nicht zu überprüfen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG.

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