OGH 7Ob188/23g

OGH7Ob188/23g11.12.2023

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei N* S*, vertreten durch Dr. Peter Ozlberger, Rechtsanwalt in Waidhofen an der Thaya, gegen die beklagte Partei N* AG, *, vertreten durch Dr. Peter Zöchbacher, Rechtsanwalt in Wien, wegen 606.449 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. September 2023, GZ 4 R 26/23g‑23, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2023:0070OB00188.23G.1211.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Zurückweisung mangels erheblicher Rechtsfrage

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

 

Begründung:

[1] Die Gesamtrechtsvorgängerin der Beklagten verfügte von 2007 bis Ende 2014 über Spielstättenkonzessionen nach dem Wr VeranstaltungsG (aF) und betrieb Glückspielautomaten in zwei Wiener Lokalen.

[2] Der Spruch der Konzessionsbescheide lautete jeweils „Der Magistrat Wien erteilt [...] gemäß §§ 9 und 15 des Wr VeranstaltungsG [...] eine Konzession zum Betrieb von [jeweils konkret genannte Stückzahl] Münzgewinnspielapparate für den Standort [...] auf die Dauer von [...] Jahren“. Keinem der Bescheide ist zu entnehmen, welche konkreten Gerätetypen für den jeweiligen Standort bewilligt wurden. Neben „Begründung“, und „Rechtsmittelbelehrung“ findet sich in allen Bescheiden unter der Überschrift „Hinweise“ jeweils die Wortfolge:

[3] „Gemäß § 15 Abs 1 zweiter Satz leg cit sind Münzgewinnspielapparate im Sinne dieses Gesetze Spielautomaten, die die Entscheidung über Gewinn und Verlust (mechanisch oder elektronisch), ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhängig, herbeiführen, die aber wegen der Begrenzung des – nicht unter Verwendung von Bankomat oder Kreditkarten – zu leistenden Einsatzes und Gewinnes nicht unter das Glücksspielmonopol (§ 1 Abs 2 Z 7) fallen.

[4] Andere Spielapparate als die in § 15 Abs 1 leg cit sind von dieser Konzession nicht umfasst.

[5] Diese Konzession ersetzt nicht eine allenfalls nach anderen bundes‑ oder landesgesetzlichen Vorschriften einzuholende Genehmigung.“

Rechtliche Beurteilung

[6] 1.1 Gemäß § 3 GSpG ist das Recht zur Durchführung von Glücksspielen, soweit nichts anderes bestimmt wird, dem Bund vorbehalten (Glücksspielmonopol). Nach § 4 Abs 2 GSpG idF vor der GSpG‑Nov 2010, BGBl I 2010/73, unterlagen Ausspielungen mittels eines Glücksspielautomaten nicht dem Glücksspielmonopol, wenn die vermögensrechtliche Leistung des Spielers nicht den Betrag oder den Gegenwert von 0,50 Euro und der Gewinn nicht den Betrag oder den Gegenwert von 20 Euro überstieg.

[7] 1.2 Der Oberste Gerichtshof hat sich in seinen Entscheidungen 6 Ob 124/16b und 7 Ob 225/16p mit identen, ebenfalls nach dem Wr VeranstaltungsG (aF) zu beurteilenden, Fällen auseinandergesetzt und zu den auch hier relevanten Rechtsfragen zusammengefasst ausgeführt, dass Gerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden gebunden sind, und zwar auch dann, wenn diese Bescheide fehlerhaft (gesetzwidrig) sein sollten, und der Zivilrichter einen Bescheid nicht auf seine inhaltliche Richtigkeit zu prüfen hat; die Bindung an Verwaltungsakte schließt auch die Prüfung aus, ob diese durch das Gesetz (noch) gedeckt sind. Jeder Bescheid ist rein objektiv seinem Wortlaut nach auszulegen und nicht nach der subjektiven Absicht des Bescheidverfassers. Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde ist zudem als Ganzes zu beurteilen. Spruch und Begründung bilden eine Einheit; bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen. Die Wiener Veranstaltungsbehörde hat der Beklagten nur den Betrieb einer jeweils bestimmten Anzahl von „Münzgewinnspielautomaten“ gestattet. Weder aus dem Spruch noch aus der Begründung des Bescheids geht hervor, welche Art von Automaten davon erfasste sein sollten. Der durch § 15 Abs 1a Wr VeranstaltungG für die Abgabe fachlicher Empfehlungen zur „Typisierung eines Spielapparats im Sinne der Unterscheidung nach Abs 1 [und] Funktionalität“ eingerichtete Spielapperatebeirat (dessen Aufgabenbereich in der SpielapparatebeiratsV der Wr LReg, Wr LBGl 2000/43 näher geregelt wurde), hatte zu beurteilen, ob Spielapparate nach ihrem Gerätetyp und ihrer Funktionalität in die Kategorie der Unterhaltungsspielapparate (§ 15 Abs 1 Satz 1 Wr VeranstaltungsG) oder der Münzgewinnspielapparate (§ 15 Abs 1 Satz 2 Wr VeranstaltungsG) fallen (§ 5 Abs 1 Z 1 SpielapparatebeiratsV) und ob der Betrieb derartiger Apparate mit Darstellungen, Szenen oder Spielerlebnissen verbunden ist, die Aggressionen und Gewalt fördern, kriminelle Handlungen verherrlichen oder Tötungshandlungen oder pornographische Aktivitäten beinhalten, und das Ergebnis dieser Prüfung nach § 5 Abs 2 SpielapparatebeiratsV in eine fortlaufend aktualisierte Liste aufzunehmen.

[8] Der Spielapparatebeirat ist aber keine Behörde. Es kann dahinstehen, ob nach der Absicht des Bescheidverfassers die im Konzessionsantrag mit Namensbezeichnung genannten Gerätetypen bewilligt werden sollten. Der der Bescheidbegründung zuzurechnende rechtliche „Hinweis“, wonach andere Spielautomaten als die in § 15 Abs 1 Wr VeranstaltungsG genannten von dieser Konzession nicht umfasst seien, indiziert, dass eine Pauschalbewilligung für eine bestimmte Anzahl von Automaten an bestimmten Standorten erlassen wurde, soweit diese der gesetzlichen Definition eines Münzspielautomaten entsprechen.

[9] 1.3 Die Vorinstanzen sind dieser Rechtsprechung gefolgt. Sie gingen davon aus, dass die der Beklagten erteilten Konzessionsbescheide nach dem Wr VeranstaltungsG(aF) keine bindende Wirkung für die Zivilgerichte dahin entfalten, dass auch die an den jeweiligen Standorten konkret aufgestellten Spielautomaten verwaltungsbehördlich genehmigt wären. Die Gerichte seien hier vielmehr dazu aufgerufen, eigenständig zu überprüfen, ob die jeweiligen Apparate den gesetzlichen Vorgaben insbesondere des § 4 Abs 2 GSpG (aF) und den Konzessionen entsprächen, was sie verneinten. Diese Beurteilung ist nicht korrekturbedürftig.

[10] 2. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Rechtsprechung zur Frage, ob die von ihrer Gruppe nach der alten Rechtslage angebotenen Ausspielungen im Sinn des § 4 Abs 2 GSpG zulässig waren, nicht uneinheitlich:  Die von ihr herangezogenen Entscheidungen 1 Ob 161/15f und 4 Ob 28/19z sind schon deshalb nicht einschlägig, weil dort die Behörde konkrete von ihr einzeln geprüfte Automaten auf der Grundlage des Stmk VeranstaltungsG 1969 bewilligte. In dem zu 4 Ob 58/14d ergangenen Aufhebungsbeschluss prüfte der Oberste Gerichtshof nicht, ob die Ausspielungen zulässig waren, sondern er sprach im Zusammenhang mit dem dort auf § 1 UWG gestützten Unterlassungsanspruch aus, dass – sofern konkrete Bewilligungen bestimmter Spielautomaten vorliegen – die inhaltliche Richtigkeit nicht mehr zu prüfen wäre, weil ein von der Verwaltungsbehörde genehmigtes Verhalten lauterkeitsrechtlich wegen angeblicher Rechtswidrigkeit des von ihr erlassenen Bescheids nicht verboten werden könne.

[11] 3.1 Die Beklagte argumentiert weiters unter Bezugnahme auf Wolfbauer/Leissler, Neues zur Bindungswirkung, oder: Der ewige Konflikt? ecolex 2019, 995 und B. Raschauer, Die Bindung der Gerichte an Bescheide, ZfV 2019, 31, dass die Auslegung der Bindungswirkung eines Bescheidspruchs nicht nur allein anhand seines Wortlauts vorzunehmen sei, sondern jedenfalls auch unter Berücksichtigung des zugrundeliegenden Antrags zu erfolgen habe. Diese Ausführungenveranlassen den Obersten Gerichtshof zu keinem Abgehen von der bestehenden Rechtsprechung:

[12] 3.2.1 Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Bindung der Zivilgerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden (RS0036880, RS0036981, RS0036864) nur den Spruch über den Bescheidgegenstand (RS0037051, RS0036948, RS0036880 [T12], RS0036981 [T8], RS0037015 [T7]).  Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung ist der Spruch eines Bescheids nach seinem äußeren Erscheinungsbild, also objektiv nach seinem Wortlaut und nicht nach der subjektiven Absicht des Bescheidverfassers auszulegen (RS0008822 insb [T2]; VwGH 94/08/0021, 95/08/0236). Bestehen Zweifel über den Inhalt des Spruchs, so ist zu dessen Deutung auch die Begründung heranzuziehen (RS0049680, VwGH  93/02/0283, 2000/20/0090, 2000/04/0110). Bei undeutlichem Spruchinhalt sind dem Spruch die gesetzlichen Vorschriften in deren Anwendung er ergangen ist, als Deutungshilfe zugrundezulegen (VwGH 98/01/0129, 2013/15/0062).

[13] 3.2.2 Bereits bei objektiver Auslegung ist der zunächst heranzuziehende Wortlaut des Spruchs eindeutig nur auf eine Pauschalbewilligung für eine bestimmte Anzahl von Münzgewinnspielapparaten an einem bestimmten Standort gerichtet. Konkrete Geräte werden nicht bewilligt. Die von 6 Ob 124/16b zusätzlich zur Auslegung herangezogene Bescheidbegründung verdeutlicht dieses Auslegungsergebnis noch. Da weder der Spruch – noch der Bescheid in seiner Gesamtheit – weiter auslegungsbedürftig sind, bedarf es schon aus diesem Grund keines Eingehens auf allfällig weitere Auslegungsbehelfe wie insbesondere den Konzessionsansuchen.

[14] 3.2.3 Richtig geht die Beklagte davon aus, dass die Prüfung von konkreten Automaten und deren Funktionalität nur durch den bereits erwähnten „Spielapparatebeirat“ erfolgt. Nach § 15 Abs 1c Wr VeranstaltungsG (aF) hatte der Magistrat im Konzessionsverfahren betreffend den Betrieb von Münzgewinnspielapparaten dem Spielapparatebeirat die Möglichkeit einzuräumen, binnen vier Wochen eine Empfehlung abzugeben. Dass er in den gegenständlichen Konzessionsverfahren eine Empfehlung abgab, wird von der Beklagten nicht behauptet, sodass es hier auch keines weiteren Eingehens bedarf.

[15] Soweit die Beklagte jedoch vertritt, dass aufgrund der in ihren Konzessionsansuchen enthaltenen – behauptetermaßen vom Spielebeirat bereits grundsätzlich typisierten – Spielebeschreibungen die Bescheide dahin auszulegen seien, dass konkrete Automaten genehmigt worden seien, ist ihr entgegenzuhalten, dass sich Entsprechendes den Bescheiden nicht entnehmen lässt. Ob die in den – wie ausgeführt hier zur Auslegung nicht erforderlichen – Konzessionsansuchen durch Anführung der Spielprogramme umschriebenen Geräte(‑typen) allenfalls vom Bescheidverfasser bewilligt werden sollten, ist im Sinn der obigen Ausführungen ebenfalls unbeachtlich.

[16] 4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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