OGH 10Ob7/24p

OGH10Ob7/24p14.5.2024

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Mag. Ziegelbauer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Stefula, Mag. Schober, Dr. Annerl und Dr. Vollmaier als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S* GmbH, *, vertreten durch die Wallner Jorthan Rechtsanwalts GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei V* AG, *, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen 25.380 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 11. Dezember 2023, GZ 12 R 32/23x‑33, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 18. September 2023, GZ 14 Cg 35/22t‑29, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2024:0100OB00007.24P.0514.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

Entscheidungsart: Ordentliche Erledigung (Sachentscheidung)

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

[1] Am 10. Oktober 2018 schloss die Klägerin, vertreten durch ihren Geschäftsführer, mit einer Fahrzeughändlerin einen Kaufvertrag über einen Pkw VW Touareg R‑Line 3,0 TDI SCR 4-motion mit einem Kilometerstand von 201 km und einer Erstzulassung im Oktober 2018. Als Liefertermin wurde „Dezember 2018“ vereinbart. Herstellerin des Fahrzeugs ist die Beklagte. Das Fahrzeug unterliegt unstrittig dem Anwendungsbereich der VO 715/2007/EG .

[2] Den Kaufpreis von 84.600 EUR finanzierte die Klägerin über eine Leasinggesellschaft, wobei nicht feststeht, ob die Leasinggeberin oder die Klägerin den Kaufpreis an die Verkäuferin entrichtete. Zum Leasingvertrag steht nur fest, dass dieser mit 1. Jänner 2019 beginnen sollte, eine Laufzeit von 90 Monaten hatte, ein Restwert von 25.380,00 EUR brutto kalkuliert werden und in der ersten Leasingrate unter anderem ein „Nutzungsentgelt“ für die Zeit von 10. Dezember 2018 bis 31. Dezember 2018 enthalten waren. Der weitere Inhalt des Leasingvertrags konnte ebenso wie die Vereinbarung über das Eigentum am Fahrzeug, die Gefahrtragung und das Auslaufen des Leasingvertrags nicht festgestellt werden.

[3] Im Fahrzeug (Motor) kommt ein sogenanntes „Thermofenster“ zum Einsatz, dessen Temperaturbereich nicht feststellbar war. Innerhalb eines nicht feststellbaren Temperaturbereichs wird die Abgasreinigung abgeschaltet bzw ausgerampt. Außerhalb dieses Temperaturbereichs wird eine vollständige Abgasreinigung verhindert und der Grenzwert von 80 mg NOx/km nicht eingehalten.

[4] Dem Geschäftsführer der Klägerin war das Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs bis Anfang des Jahres 2022 nicht bekannt. Bei Unterfertigung des Kaufvertrags ging er davon aus, dass das Fahrzeug den geltenden Normen entspricht. Wäre ihm bekannt gewesen, dass es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist und nicht den geltenden Normen entspricht, hätte er (die Klägerin) das Fahrzeug nicht erworben. Für das (mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattete) Fahrzeug wäre – so das Erstgericht in seinen Feststellungen – bezogen auf den Ankaufzeitpunkt eine Wertminderung von 30 % „angemessen“. Am österreichischen Gebrauchtwagenmarkt gab es – so erneut das Erstgericht – bislang keine Preisminderung für die vom „Abgasskandal“ betroffenen Fahrzeuge.

[5] Mit Erklärung vom 20. September 2021 trat die Leasinggeberin der Klägerin sämtliche ihr aus dem Erwerb des Fahrzeugs gegen die Beklagte zustehenden Ansprüche zum Inkasso ab, die die Klägerin auch annahm.

[6] Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin von der Beklagten als Fahrzeugherstellerin 25.380 EUR sA (30 % des Kaufpreises) an Schadenersatz. Eventualiter strebt sie die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden sowie die Aufhebung des Kaufvertrags und Rückzahlung des um ein Benützungsentgelt verminderten Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs an. Die Beklagte habe im Fahrzeug bewusst unzulässige Abschalteinrichtungen in Form einer Prüfstandserkennung und eines (technisch) nicht notwendigen Thermofensters mit einem Temperaturbereich von 15 Grad Celsius bis 33 Grad Celsius verbaut und dies den Prüfbehörden verschwiegen, um sich so die für den Betrieb erforderliche EG‑Typgenehmigung zu erschleichen. Hätte sie (die Klägerin) gewusst, dass das Fahrzeug manipuliert worden sei, hätte sie dafür um 30 % weniger gezahlt. Ihr Schaden liege im Abschluss eines nachteiligen Geschäfts, durch das sie ein so nicht gewolltes Fahrzeug erworben habe, bei dem der Entzug der EG‑Typgenehmigung drohe. Die Beklagte hafte ihr dafür nach §§ 874, 1295 Abs 2 ABGB sowie wegen Verletzung der Schutznorm des Art 5 VO (EG) 715/2007 . Der Schaden sei zunächst unmittelbar bei ihr eingetreten, weil sie das Fahrzeug erworben und erst danach den Kaufpreis (teilweise) drittfinanziert habe. Zudem habe ihr die Leasinggeberin die erhobenen Ansprüche abgetreten.

[7] Die Beklagtewandte ein, dass das Fahrzeug über keine Umschaltlogik verfüge. Das zum Einsatz kommende Thermofenster stelle keine unzulässige Abschalteinrichtung dar, weil es zum Schutz des Motors notwendig sei und einen sehr weiten Temperaturbereich von - 10 Grad Celsius bis + 50 Grad Celsius aufweise. Selbst wenn man anderes annehmen würde, sei ihr kein Verschulden anzulasten. Abgesehen davon sei der Klägerin aufgrund der Leasingfinanzierung der geltend gemachte Schaden nicht entstanden, weil sie weder den Kaufpreis bezahlt noch Eigentum am Fahrzeug erworben habe. Die Geltendmachung eines von der Leasinggeberin abgetretenen Anspruchs scheitere daran, dass diese die mit der Klägerin vertraglich vereinbarten Zahlungen erhalten und daher keinen Schaden erlitten habe. Die Klage sei insoweit unschlüssig.

[8] Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab, weil sich aus den zu ihren Lasten gehenden Negativfeststellungen zur Leasingkonstruktion ein der Klägerin selbst entstandener Schaden nicht ableiten lasse.

[9] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Die Klägerin habe den ihr obliegenden Nachweis, in welchem Temperaturbereich die Abgasreinigung „ausgerampt“ werde, nicht erbracht. Es stehe daher nicht fest, dass überhaupt eine Abschalteinrichtung iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG vorliege. Auf die Schlüssigkeit der Klage komme es daher nicht mehr an.

[10] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil in der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs möglicherweise unterschiedliche Ansichten zur Behauptungs- und Beweislast im Zusammenhang mit Abschalteinrichtungen vertreten worden seien.

[11] Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin mit dem Antrag, dem Hauptbegehren, hilfsweise dem zweiten Eventualbegehren stattzugeben. Eventualiter stellt sie einen Aufhebungsantrag.

[12] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision ist zulässig und im Sinn der Aufhebung der Entscheidungen der Vorinstanzen auch berechtigt.

1. Zur Beweislast

[14] 1.1. Nach ständiger Rechtsprechung ist der Kläger für das Vorliegen einer „Abschalteinrichtung“ iSd Art 3 Z 10 VO 715/2007/EG behauptungs‑ und beweispflichtig. Ist ihm dieser Nachweis gelungen, ist angesichts des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen (Art 5 Abs 2 Satz 1 VO 715/2007/EG ) zunächst von ihrer Unzulässigkeit auszugehen. Den Beklagten (als Hersteller) trifft sodann die Beweislast dafür, dass die Abschalteinrichtung unter eine der Ausnahmen des Art 5 Abs 2 VO 715/2007/EG fällt (6 Ob 177/23g Rz 26; 4 Ob 17/24i Rz 9; 8 Ob 71/23h Rz 26 je mwN). Wenn das Berufungsgericht aus der Entscheidung 9 Ob 17/22y (Rz 15, mH auf 1 Ob 146/22k) anderes ableitet, hat der Oberste Gerichtshof schon klargestellt, dass es sich bei den dortigen Aussagen nur um eine komprimierte Kurzfassung der dargestellten Rechtsprechung handelt (8 Ob 109/23x Rz 20).

[15] 1.2. Hier steht fest, dass das Fahrzeug über ein „Thermofenster“ verfügt, was die Beklagte auch nie bestritten hat; sie gestand vielmehr zu, dass es einen Temperaturbereich von - 10 Grad Celsius bis + 50 Grad Celsius aufweise. Da es sich bei Temperaturen unter - 10 Grad Celsius jedenfalls um Bedingungen handelt, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, ist dieses zugestandene „Thermofenster“ grundsätzlich als Abschalteinrichtung zu qualifizieren (vgl 6 Ob 122/23v Rz 25; 9 Ob 53/23v Rz 11 ua). Es oblag daher der Beklagten als Herstellerin des Fahrzeugs, nachzuweisen, in welchem Temperaturbereich es aktiv ist und ob es unter die (hier angezogene) Ausnahme des Art 5 Abs 2 lit a VO 715/2007/EG fällt. Diesen Nachweis hat sie nicht erbracht, sodass auch nicht beurteilt werden kann, ob die Abschalteinrichtung den überwiegenden Teil des Jahres (nicht) wirksam ist. Das geht zu Lasten der (wohl über die volle Kenntnis der Wirkungsweise ihrer Abschalteinrichtung verfügenden) Beklagten (6 Ob 177/23g Rz 38; 4 Ob 171/23k Rz 36; 10 Ob 31/23s Rz 32 ua).

[16] 1.3. Angesichts dessen ist daher von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Begründung vermag die Abweisung der Klage somit nicht zu tragen.

2. Zum Eintritt eines Schadens

[17] Auf Basis des derzeitigen Sachverhaltsgrundlage kann die Klageabweisung auch nicht auf die vom Erstgericht angenommene fehlende Aktivlegitimation gestützt werden.

[18] 2.1. Wenn die Klägerin ihre Aktivlegitimation mit der Judikatur zu Substanzschäden (vgl 2 Ob 29/20h; 2 Ob 172/22s) begründen will, verfängt das zwar nicht. Denn diese betrifft Fälle, bei denen das Leasinggut nach Übergabe an den Leasingnehmer beschädigt wird. Dieses Risiko kann durch den Leasingvertrag auf den Leasingnehmer verlagert werden, der dann insofern auch aktiv klagslegitimiert ist. Die hier in Rede stehende (Kardinal‑)Pflicht des Leasinggebers zur erstmaligen Verschaffung des ordnungsgemäßen Gebrauchs bzw Übergabe der Sache im bedungenen Zustand kann aber nicht auf den Leasingnehmer überwälzt werden (RS0020735 [insb T8, T16]; 4 Ob 142/22v Rz 21 ua).

[19] 2.2. Der Oberste Gerichtshof unterscheidet jedoch im Zusammenhang mit der Finanzierung des Kaufs eines mit einer Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs durch Leasing danach, ob der Kauf‑ und der Leasingvertrag eine vertragliche Einheit bilden (10 Ob 53/23a Rz 15 ff):

[20] Erfolgt die Finanzierung des Fahrzeugkaufs über einen gleichzeitig mit dem Kaufvertrag abgeschlossenen Leasingvertrag, dient der Kaufvertrag (in der Regel) nur der Spezifikation des Fahrzeugs, das letztlich der Leasinggeber erwerben und dem Kläger zum Gebrauch überlassen sollte (vgl 7 Ob 128/23h Rz 8 mwN). In dieser Konstellation tritt der Leasinggeber unmittelbar in den Kaufvertrag ein, sodass aus diesem ihm und nicht dem Leasingnehmer ein Schaden entsteht (7 Ob 200/23x Rz 5; 5 Ob 118/23y Rz 10 f; 7 Ob 88/23a Rz 11, 15 ua). Nur in dieser Situation kommt es für die Aktivlegitimation des Leasingnehmers für aus dem Kaufvertrag abgeleitete Ansprüche darauf an, ob es aufgrund des konkreten Inhalts des Leasingvertrags allenfalls zu einer Schadensverlagerung auf ihn (vgl 9 Ob 53/20i [Pkt 3.] ua) gekommen ist.

[21] Schließt der Kläger dagegen einen zivilrechtlich voll wirksamen Kaufvertrag – was insbesondere durch eine von ihm an den Händler geleisteten Anzahlung zum Ausdruck kommt – und erst nachträglich einen Leasingvertrag, wird angenommen, dass der Kauf‑ und der Leasingvertrag keine vertragliche Einheit bilden. In diesem Fall erleidet der Kläger (schon) durch den Abschluss des Kaufvertrags respektive den überteuerten Kauf einen Schaden in seinem Vermögen. Ob er das Fahrzeug von Anfang an leasen wollte oder er es von der Leasinggeberin später zurückkauft, wirkt sich darauf nicht aus (3 Ob 226/23s Rz 15; 8 Ob 109/23x Rz 40 ff; 8 Ob 22/22a vom 22. April 2022 Rz 11 bzw vom 27. Juni  2023 Rz 15).

[22] 2.3. Welche der beiden Varianten hier vorliegt, lässt sich derzeit nicht beantworten. Denn bislang steht nur fest, dass die Klägerin am 10. Oktober 2018 einen Kaufvertrag mit dem Händler unterfertigt und den Kaufpreis über einen – zu einem nicht festgestellten Zeitpunkt abgeschlossenen – Leasingvertrag mit Vertragsbeginn am 1. Jänner 2019 finanziert hat. Die für die Beurteilung der Aktivlegitimation relevante Frage, ob die Leasinggeberin in den Kaufvertrag unmittelbar eingetreten ist oder daraus die Klägerin – wie sie behauptet hat – (zunächst) selbst verpflichtet war, lässt sich daraus nicht ableiten. Daran ändert nichts, dass weder feststellbar war, wer den Kaufpreis bezahlt hat, noch, ob die Klägerin (mit Blick auf die Einträge im Zulassungsschein) jemals selbst Eigentum am Fahrzeug erworben hat. Wie und zu welchen Bedingungen der Käufer einen von ihm geschuldeten Kaufpreis finanziert, ist für den Schadenseintritt nämlich ohne Bedeutung. Es ist auch nicht ungewöhnlich, wenn der Käufer den aus dem Kaufvertrag resultierenden Anspruch auf Eigentumsverschaffung an den Leasinggeber abtritt, der die Kaufpreiszahlungspflicht übernimmt und dem Käufer bzw Leasingnehmer das Fahrzeug gegen ein monatliches Leasingentgelt zum Gebrauch überlässt. In diesem Fall entsteht dem Käufer durch den Kauf des Fahrzeugs zu einem überhöhten Preis ein Schaden (8 Ob 109/23x Rz 43 f).

[23] 2.4. Erst wenn geklärt ist, ob der Kauf‑ und der Leasingvertrag eine Einheit bilden, kann beurteilt werden, ob der Leasinggeberin überhaupt Ansprüche aus dem Kaufvertrag zustehen, die sie der Klägerin – was sie eventualiter behauptet – abgetreten haben kann.

3. Zum Schaden

[24] 3.1. Aufgrund der unionsrechtlichen Vorgaben ist im Zusammenhang mit Verstößen gegen die Schutznormen der VO 715/2007/EG jedenfalls ein angemessener Schadenersatz zu gewähren, der sich innerhalb einer Bandbreite von 5 % und 15 % des vom Kläger gezahlten und dem Wert des Fahrzeugs angemessenen Kaufpreises zu bewegen hat (RS0134498; 4 Ob 27/24k Rz 20 ua). Die Wertminderung kann aber auch exakt festgestellt und vom Käufer verlangt werden (RS0134498 [T6]; 10 Ob 33/23k Rz 22 ua), was die Klägerin hier auch anstrebt.

[25] 3.2. Dafür bedarf es Feststellungen zu einer allfälligen Wertdifferenz im Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags, insbesondere dazu, welchen Verkehrswert das Fahrzeug in Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung aufwies respektive zu welchem Preis ein solches Fahrzeug (damals) gehandelt worden wäre (vgl 8 Ob 70/23m Rz 27; RS0113651).

[26] 3.3. Darüber geben die derzeitigen Feststellungen keinen Aufschluss. Zwar stellt die Klägerin nicht in Abrede, dass der gezahlte Kaufpreis dem objektiven (Verkehrs‑)Wert des Fahrzeugs ohne eine unzulässige Abschalteinrichtung entsprochen hat. Die Feststellung, dass – bezogen auf den Ankaufzeitpunkt – aus technischer Sicht eine Wertminderung von 30 % „angemessen“ wäre, bildet aber den Verkehrswert der mangelhaften Sache nicht ab. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, auf welche „technischen“ Umstände sich die Aussage bezieht, ist die „Angemessenheit“ einer Wertminderung eine rechtliche Beurteilung, die sich mangels Feststellungen zu den ihr zugrundeliegenden Ausgangsparametern aus dem Sachverhalt nicht ableiten lässt. Es hilft auch die Feststellung zur Preisentwicklung am Gebrauchtwagenmarkt nicht weiter, weil sie nicht auf den hier relevanten Neuwagenmarkt und auch nicht den Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags abstellt (10 Ob 46/23x Rz 19). Relevant ist nur, welcher Preis für entsprechend mangelhafte Fahrzeuge unter der Voraussetzung tatsächlich erzielt worden wäre, dass die Käufer die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit in Kauf nahmen. Dazu liegen keine Tatsachenfeststellungen vor.

[27] 3.4. Zusammenfassend ist zwar (abschließend) von einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen. Die Sache ist aber noch nicht entscheidungsreif, weil derzeit nicht beurteilt werden kann, wie hoch der aus dem Kaufvertrag resultierende Schaden (die tatsächliche Wertminderung) ist und in wessen Vermögen er eintrat.

[28] 4. Im fortgesetzten Verfahren werden daher die für diese Beurteilung erforderlichen Feststellungen zu treffen sein. Dabei wird (zudem) zu berücksichtigen sein:

[29] 4.1. Bei Prüfung der Frage, ob der Kauf‑ und der Leasingvertrag eine Einheit bilden, wird zu beachten sein, dass die Beklagte für den von ihr erhobenen Einwand der fehlenden Aktivlegitimation auch die Beweislast trägt (3 Ob 121/23z Rz 26). Vor der Entscheidung wird dies mit der Beklagten zu erörtern und ihr Gelegenheit zu geben sein, für ihre Behauptungen auch Beweismittel anzubieten.

[30] 4.2. Sofern ein Zusammenhang zwischen dem Kauf‑ und dem Leasingvertrag bejaht werden sollte, wird die behauptete Abtretung der Ansprüche zu prüfen sein. Zum dazu erhobenen Einwand der Beklagten, bei der Leasinggeberin realisiere sich der geltend gemachte Schaden nicht, weil sie dem Kaufpreis entsprechende Leasingraten erhält und sich so der (behauptetermaßen) überteuerte Kaufpreis vollständig amortisiert (vgl RS0120830), wird mit ihr zu erörtern sein, dass sich der begehrte Schadenersatz nach unionsrechtlichen Vorgaben richtet (vgl 6 Ob 19/24y Rz 20; 9 Ob 2/23v Rz 24 [Weiterverkauf]).

[31] 4.3. Sollte sich bei der allfälligen Ermittlung der Wertminderung ergeben, dass derartige Fahrzeuge mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung (im Ankaufszeitpunkt) keinen Verkehrswert hatten, weil sie – unter Offenlegung der Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit – nicht gehandelt wurden, käme die Heranziehung des Herstellungswerts (RS0118782) oder allenfalls die Anwendung des § 273 ZPO (RS0018735) in Betracht.

[32] 4.4. Soweit (noch) erforderlich, wird auch der von der Beklagten behauptete „Verbotsirrtum“ (Rechtsirrtum) zu prüfen sein. Dieser setzt voraus, dass der Behörde die konkrete Abschalteinrichtung vor ihrer Entscheidung – und zwar ungeachtet allfälliger Offenlegungspflichten – bekannt war, weil nur dann ein schutzwürdiges Vertrauen auf die Richtigkeit ihrer Entscheidung bestehen kann (3 Ob 2/24a Rz 16; 6 Ob 177/23g Rz 42; 10 Ob 27/23b Rz 34 ua). Es bedarf daher Feststellungen, zu welchem Zeitpunkt (bis zum Inverkehrbringen des Fahrzeugs) aufgrund welcher konkreten Prüfschritte und/oder Ereignisse welche der der Beklagten zurechenbaren Personen (vgl RS0009113) darauf vertrauen durften und auch konkret darauf vertraut haben, dass und warum die verbaute Abschalteinrichtung nach den unionsrechtlichen Normen ausnahmsweise zulässig war. Die dafür erforderlichen Tatsachenbehauptungen aufzustellen und die dafür geeigneten Beweismittel zu nennen, ist Sache der Beklagten (3 Ob 170/23f Rz 22; 4 Ob 171/23k Rz 42; 8 Ob 109/23x Rz 30 ua).

[33] Aus der zu diesem Themenkomplex derzeit allein festgestellten Einschätzung des Kraftfahrt‑Bundesamts (KBA) vom Jänner 2023 lassen sich keine relevanten Schlüsse ziehen, weil die Haftung der Beklagten nicht schon deshalb entfällt, weil das KBA (oder eine andere Behörde) bei diesem Motortyp noch keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt hat (6 Ob 154/23z Rz 12; vgl 10 Ob 27/23b Rz 34 ff).

[34] 4.5. Ein Anspruch auf Schadenersatz wird erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klageerweiterung fällig, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (vgl 6 Ob 150/22k Rz 47).

[35] 5. Über das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung hinaus sind folgende weitere Fragen hingegen abschließend erledigt (RS0042031):

[36] 5.1. Dem Argument der Beklagten, sie sei (in Bezug auf § 1311 ABGB ) nicht passivlegitimiert, weil sie mit der Herstellung des Motors nichts zu tun habe, steht entgegen, dass die deliktische Haftung aus der Verletzung der Schutznorm des Art 5 Abs 2 VO (EG) 715/2007 den Fahrzeughersteller trifft, der Inhaber der EG‑Typengenehmigung und Aussteller der Übereinstimmungsbescheinigung ist (6 Ob 16/23f Rz 19; 4 Ob 204/23p Rz 31 ua). Das ist (unstrittig) die Beklagte.

[37] 5.2. Dafür, dass der Klägerin (ausnahmsweise) kein Schaden entstanden ist, weil sie die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene Unsicherheit über die Nutzungsmöglichkeit in Kauf genommen hätte, wäre die Beklagte behauptungs‑ und beweispflichtig (6 Ob 197/23y Rz 19; 6 Ob 133/23m Rz 7). Selbst wenn man ihr Vorbringen zur allgemeinen Kaufmotivation (potentieller) Käufer als ausreichend konkret ansehen würde (insb ON 25), hat die Beklagte den Beweis dafür nicht angetreten. Diese Frage wird daher nicht mehr zu prüfen sein.

[38] 5.3. Das erste – auf Feststellung der Haftung der Beklagten für jeden der Klägerin aus dem Kauf des Fahrzeugs entstehenden Schaden gerichtete – Eventualbegehren ist mangels Geltendmachung im Revisionsantrag nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

[39] 6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

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